heute wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Grüne Woche besuchen. Auf einem zweistündigen Rundgang ab 10 Uhr mit anschließendem Pressestatement wolle er sich “einen Eindruck über zukunftsweisende Projekte aus der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft sowie dem Gartenbau verschaffen”, teilt das Bundespresseamt mit.
Scholz will sich auf dem Messegelände beispielsweise über die Ökosystemleistungen des Waldes sowie den Drohnen- und Robotereinsatz bei der Feld- und Erntearbeit informieren. Themen sollen zudem nachhaltiges Bauen mit Holz und die Klimawirkung intakter Moore sein. Auch der Besuch einer Showküche und einer Schaubäckerei stünden auf dem Programm. Begleitet wird er dabei vom CEO der Messe Berlin, Mario Tobias. Zudem ist geplant, sich mit Branchenvertretern auszutauschen.
Sicherlich wird sich der Kanzler und sein Tross in den vergangenen Tagen auch auf die von DBV-Präsident Joachim Rukwied angekündigten “nadelstichartigen” Protestaktionen vorbereitet haben. Mit Spannung ist zu erwarten, wie er sich, umgeben von Fachleuten, positioniert.
Auch der ehemalige BMEL-Staatssekretär Hermann Onko Aeikens bekräftigt, Verständnis für den Unmut der Bauern zu haben. Mit uns hat der Agrarökonom über den Ampelkompromiss, die Verantwortung der Bundesländer mit Blick auf eine Bodenmarktreform und die Zukunft der Agrarstruktur in ostdeutschen Bundesländern gesprochen.
Herr Aeikens, landwirtschaftliche Betriebe erzielten im vorigen Wirtschaftsjahr ein Unternehmensergebnis von durchschnittlich 115.400 Euro je Betrieb. Mit Ausnahme der Wein- und Obstbaubetriebe verzeichneten nahezu alle Betriebsformen eine positive Entwicklung. Das zeigt der Situationsbericht des DBV. Wie viel Verständnis haben Sie für protestierende Bauern?
Hermann Onko Aeikens: Nun, die Ergebnisse des letzten Wirtschaftsjahres sind in gewisser Weise ein Ausreißer. Zwar lagen diese über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Aber es gab eben auch schon deutlich schwierigere Jahre.
Was geht denn Ihrer Meinung nach in den Köpfen der Bauern vor?
Neben zu erwartenden Gewinneinbußen gegenüber dem Vorjahr, hapert es an Wertschätzung. Zur Erinnerung: Die Zukunftskommission Landwirtschaft ermittelte einen Finanzbedarf in Höhe von jährlich sieben Milliarden Euro für die Transformation des Sektors hin zu mehr Umweltschutz und Tierwohl. Für den Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl veranschlagte die Borchert-Kommission analog zu wissenschaftlichen Berechnungen allein drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr.
Im Rahmen der Haushaltskürzungen sollte der Sektor ursprünglich aber fast eine Milliarde Euro verlieren. Das ist verglichen mit der Streichung von 17 Milliarden Euro für den gesamten Bundeshaushalts eine überproportionale Belastung, und das wird von den Bauern auch als solche empfunden.
Die wirtschaftliche Lage hat sich doch aber für alle Bevölkerungsschichten verschlechtert?
Die Landwirtschaft muss aber in einem harten Wettbewerb bestehen. Aktuell liegen die Landwirte in Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld, was die Preise für Agrardiesel angeht. Nach der vorgesehenen Kürzung würden sie zu den Spitzenzahlern aufrücken.
Die Ampelfraktionen meinen, dass für “die seit 40 Jahren abnehmende Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe eine jahrzehntelange verfehlte Agrarpolitik ursächlich” sei. Die aktuellen Proteste seien auch Ausdruck dieser verfehlten Entwicklungen. Inwiefern stimmen Sie damit überein?
Das sehe ich anders. Wir haben in einer Gesellschaft mit technischem Fortschritt immer einen strukturellen Wandel. Und es ist nun mal so, dass mit heutiger Technik pro Zeiteinheit mehr geleistet werden kann als in früheren Zeiten. Das betrifft sowohl den Ackerbau als auch zum Beispiel die Milchviehhaltung, wo in zunehmenden Maße Roboter das Melken übernehmen.
Insofern ist es ein Irrglaube, wenn gesagt wird, wir können den Strukturwandel völlig aufhalten. Viele Menschen, die früher im Nebenerwerb Landwirtschaft betrieben, hatten neben ihrem Hauptberuf einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb, mit Viehhaltung, um ihren Lebensstandard zu heben. Es ging darum, im Winter über die Runden zu kommen, weil sie dann arbeitslos waren und nur im Sommer in ihrem Hauptberuf, beispielsweise auf dem Bau oder in einer Gärtnerei tätig sein konnten. Deren Kinder oder Enkel streben nicht zurück zur Landwirtschaft.
Also, wird der Strukturwandel weiter voranschreiten?
Ja. Wie intensiv dieser verläuft, hängt sicherlich auch von politischen Weichenstellungen ab. Aber hier von einer verfehlten Politik zu sprechen und frühere Regierungen dafür verantwortlich zu machen, lässt sich wissenschaftlich nicht belegen.
Dass sagen Sie jetzt aber nicht nur, weil die CDU, also Ihre Partei, in den letzten Jahrzehnten meistens am Schalthebel saß?
Auch Grüne und die Sozialdemokraten saßen auf dem Stuhl des Bundeslandwirtschaftsministers. Und wir hatten auch verschiedene Kanzler in den letzten 40 Jahren. Parteipolitisch lässt sich der Strukturwandel genauso wenig begründen.
Ok, in den letzten 75 Jahren gab es unzählige Regierungen, Agrarpolitiken und Marktsituationen. In keiner Situation wurde das Höfesterben über einen längeren Zeitraum aufgehalten. Welchen Einfluss haben der politische Rahmen und der Markt dann überhaupt und was kann die Ampel jetzt tun?
Einen gewissen Einfluss hat er schon. Die Verteilung der Direktzahlungen hat beispielsweise einen Einfluss auf die Strukturentwicklung. Hinzu kommt, dass vermeintlich reiche Bauern häufig gar keine Bauern sind. Denn außerlandwirtschaftliche Investoren kaufen sich in Agrargesellschaften ein und werden so zu landwirtschaftlichen Unternehmern, die Flächenprämien erhalten.
All das hat einen Einfluss auf die regionale Agrarstruktur. Diese Schieflage kann nur durch einen angepassten rechtlichen Rahmen des Bodenmarktes ausgeglichen werden.
Im Laufe Ihrer politischen Karriere haben Sie sich immer sehr für eine Bodenmarktreform eingesetzt. Bis dato können 90 Prozent der Anteile an einer Gesellschaft im Rahmen sogenannter Share-Deals Grunderwerbssteuerfrei erworben werden. Für außerlandwirtschaftliche Investoren ist das sehr attraktiv. Die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat während ihrer Amtszeit nicht dafür gesorgt, dass dieser Anteil auf 75 Prozent abgesenkt wurde. Ein Fehler?
Im Gegenteil, sie hat sich sehr engagiert eingesetzt, aber die politischen Mehrheiten dafür haben gefehlt. Neben dem Agrarbereich umfasst diese Regelung für die Grunderwerbssteuer natürlich auch Wohnungsbaugesellschaften. Die hatten eine sehr starke Lobby hinter sich. Insofern kam es lediglich zu einer Reduzierung von 95 auf 90 Prozent.
Die entscheidende Zuständigkeit für das Bodenrecht liegt ohnehin seit 2006/2007 bei den Bundesländern. Bislang hat zwar kaum ein Bundesland davon Gebrauch gemacht. Aber wichtig wäre es, oder nicht?
Ja, bislang gibt es lediglich ein Vorkaufsrecht für den Landwirt bei einem sogenannten normalen Flächenkauf. Wenn also ein Arzt im Dorf landwirtschaftliche Flächen kaufen will, aber der Landwirt von nebenan ist bereit denselben Preis dafür zu bieten, dann hat der Arzt nach geltendem Recht das Nachsehen. Das ist auch in Ordnung.
Share-Deals laufen aber bislang unter dem Radar des Staates ab und sind dann eine willkommene Investitionsmöglichkeit zur Vermögensdiversifizierung. Als Folge dieser großen Grundstücksgeschäfte entstehen dann häufig Holdingstrukturen in einer Dimension, wie wir sie in der herkömmlichen Landwirtschaft bisher nicht gekannt haben.
Welchen rechtlichen Hebel gibt es, um Share-Deals zu verhindern?
Wir müssen Share-Deals auch einer behördlichen Kontrolle unterziehen, wie den Flächenkauf. Jetzt kümmert sich der Staat darum, dass die durchschnittlich zwei bis drei Hektar, die ein normaler Verkauf umfasst, in landwirtschaftliche Hände kommen. Geht es um mehrere hundert oder tausend Hektar, dann hat der Staat keine Eingriffsmöglichkeit und schaut zu.
Der Deutsche Bauernverband schien aber nie erpicht auf solch eine Bodenmarktreform. Woran liegt das?
Das ist eine Frage, die Sie dem Bauernverband stellen müssen. Mein Eindruck ist aber, dass Betroffene dies als Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit werten.
Meist sind es ja die östlichen Bundesländer, die versuchen eine Reform des Bodenmarktes in Form von Agrarstrukturgesetzen durchzusetzen, denn dort gibt es viel Fläche, die den Besitzer wechseln kann …
… und deswegen sind die östlichen Bauernverbände, wo Share-Deals besonders verbreitet sind, da auch besonders kritisch. Aber ich finde deren Argument für den Erhalt der unternehmerischen Freiheit nicht sehr stichhaltig. Denn es ist natürlich auch ein Eingriff in das Eigentum, wenn Grundbesitzer mit einem Vorkaufsrecht für Landwirte konfrontiert werden, und sie nicht an den Käufer ihrer Wahl verkaufen können.
Trotzdem: Wenn der Landwirt beim Kaufpreis nicht mitbietet, kann der Verkäufer den höchstmöglichen Gewinn erzielen …
Das stimmt bei den Share-Deals. Und das führt zu einer Entwicklung auf dem Bodenmarkt, die ich für bedenklich halte. Es gibt mittlerweile Beispiele, dass Betriebe von Banken bewirtschaftet werden und sich Wohnungsbaukonzerne auf dem Bodenmarkt tummeln und landwirtschaftliche Betriebe kaufen. Verpächter sehen sich zuweilen mit neuen Betriebsinhabern konfrontiert, denen sie ihre Flächen eigentlich nicht anvertrauen möchten. Da entsteht eine Landwirtschaft, die wir Städtern immer schwieriger erklären können. Ohnehin haben wir schon ein Problem moderne Landwirtschaft zu vermitteln. Durch solche Strukturen wird das noch schwieriger.
Wenn die Ampel in diesem Punkt nicht aktiv werden kann. Was würden Sie ihr jetzt raten, um die Kuh vom Eis zu holen?
Es ist richtig, dass die Ampel jetzt versucht mit dem Berufsstand an Lösungen zu arbeiten. Auch die Bundesländer sollten eingebunden werden. Es sollte dabei unter anderem um die Beschlüsse der Borchert Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft gehen. Die Bauern möchten wissen, was mit den Ergebnissen wird. Und ich würde es mir für die Landwirtschaft wirklich wünschen, dass wir in Deutschland Bürokratie abbauen – auch im Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaaten, zum Beispiel im Baurecht. Deswegen kann ich dem Berufsstand nur raten, diesen Gesprächsfaden aufzunehmen und an den Stellen, wo es drückt, für Linderung zu sorgen.
Die Union fordert nun eine Regulierungspause für die Landwirtschaft. “Für die Bauern wäre es ein starkes Signal, wenn Union, FDP, Grüne und SPD sich gemeinsam auf einen Landwirtschaftsfrieden verständigen würden. Für zehn Jahre sollte es keine neue Bürokratie für den Agrarbereich geben”, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU, Jens Spahn. Wie bewerten Sie das?
Ich wäre vorsichtig, das zu versprechen. Agrarpolitik wird in erste Linie durch die EU gestaltet. Hinzu kommt, wir leben in einer sehr dynamischen Welt, denken wir nur an das Thema KI. Es gibt immer wieder neue Entwicklungen, die einen rechtlichen Rahmen erforderlich machen, aber es gibt auch noch nicht ausdiskutierte Themen.
Was zum Beispiel?
Die Umsetzung des Green Deals im Agrar- und Ernährungssektor ist noch auszudiskutieren. Selbst der Berufsstand in Deutschland hat im Rahmen der Zukunftskommission Landwirtschaft Handlungsbedarf bei Umwelt- und Klimaschutz identifiziert. Das Thema wird kaum an Bedeutung verlieren.
In einer sich stetig wandelnden Welt mit immer neuen technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften, muss man sich außerdem zwangsläufig über neue Regeln Gedanken machen. Nichtsdestotrotz sollte man analog dazu versuchen, an anderen Stellen zu deregulieren, um unsere Gesellschaft und insbesondere die Landwirtschaft zu entbürokratisieren.
Peter Strohschneider soll im Auftrag der EU-Kommission einen strategischen Dialog zur Zukunft der Agrarpolitik leiten. Nach Informationen von Table.Media lädt die Kommission gerade Experten für die Runde ein. Akteure der Lebensmittelkette sollen an einen Tisch gebracht werden. Strohschneider saß bereits der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) auf nationaler Ebene in Deutschland vor. Der emeritierte Hochschullehrer wurde in germanistischer Mediävistik habilitiert und war zuletzt Chef der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Der von ihm geleitete Expertenkreis soll seinen Abschlussbericht im Spätsommer vorlegen. Vize-Kommissionspräsident Maroš Šefčovič geht am Dienstag mit Strohschneider in den Agrarrat und am Mittwoch in den Agrarausschuss des Europaparlaments. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) läuft bis 2027. Es wird damit gerechnet, dass die Kommission 2025 ihren Vorschlag für die nächste Periode der GAP vorlegt.
“Es ist eine gute Nachricht für die europäische Landwirtschaft, dass die EU-Kommission Professor Strohschneider für die Leitung des Landwirtschaftsdialogs gewinnen konnte”, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Auch der von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann initiierte Strategiedialog mache vor, wie es gelingen könne, “alle wichtigen Partner für die Zukunft der Landwirtschaft an einen Tisch zu holen”.
Grünen-Politiker Özdemir freue sich, dass die EU-Kommission sich diese beiden “guten Beispiele aus Deutschland zum Vorbild nimmt”. Dieses Miteinander unterschiedlichster gesellschaftlicher Akteure “brauchen wir in Europa, um die nachhaltige Zukunft des Agrar- und Ernährungssystems gemeinsam auszuhandeln”, sagte er. Sein Ressort werde diesen Dialog “konstruktiv und mit großem Interesse begleiten”. mgr/has
Wie in Brüssel zu hören ist, sollen Waren aus der Ukraine ein weiteres Jahr von Importzöllen befreit werden. Dies will die Kommission am Mittwoch vorschlagen. Die Wirtschaft des Landes, das von Putins Militär schon seit fast zwei Jahren mit einem Angriffskrieg überzogen wird, kann die Unterstützung gut gebrauchen. Die Zollfreiheit soll weiterhin für alle Waren gelten, also Industrieprodukte wie auch für landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel.
Nicht vorgesehen sind Importverbote in die Anrainerstaaten Polen, Rumänien, Slowakei, Bulgarien und Ungarn für Weizen, Mais, Saatgut von Raps und Sonnenblumen. Diese galten bis September mit Billigung der Kommission und seitdem faktisch. Dafür aber “Schutzmaßnahmen” für die Agrarmärkte der EU-Staaten.
Hinter den Kulissen gibt es massive Unruhe. Es geht nicht mehr nur noch um ukrainisches Getreide, das den EU-Markt überschwemmt, sondern auch um Zucker, Eier und Geflügel. Große internationale Agrarunternehmen verlagern gerade Produktionskapazitäten sehr gezielt in das kriegsversehrte Land.
Der EU-Import ist für die Investoren attraktiv: In der Ukraine sind die Löhne deutlich geringer, die höheren EU-Standards etwa beim Tierwohl und beim Pestizideinsatz gelten für sie nicht. Der Widerstand gegen die uneingeschränkte Zollfreiheit kommt nicht mehr nur aus den Anrainerstaaten, sondern auch aus westlich gelegenen Mitgliedstaaten. Etwa aus Frankreich. Im Gespräch sind nun Quoten für die zollfreie Einfuhr von bestimmten Agrarprodukten und Lebensmitteln aus der Ukraine. mgr
heute wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Grüne Woche besuchen. Auf einem zweistündigen Rundgang ab 10 Uhr mit anschließendem Pressestatement wolle er sich “einen Eindruck über zukunftsweisende Projekte aus der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft sowie dem Gartenbau verschaffen”, teilt das Bundespresseamt mit.
Scholz will sich auf dem Messegelände beispielsweise über die Ökosystemleistungen des Waldes sowie den Drohnen- und Robotereinsatz bei der Feld- und Erntearbeit informieren. Themen sollen zudem nachhaltiges Bauen mit Holz und die Klimawirkung intakter Moore sein. Auch der Besuch einer Showküche und einer Schaubäckerei stünden auf dem Programm. Begleitet wird er dabei vom CEO der Messe Berlin, Mario Tobias. Zudem ist geplant, sich mit Branchenvertretern auszutauschen.
Sicherlich wird sich der Kanzler und sein Tross in den vergangenen Tagen auch auf die von DBV-Präsident Joachim Rukwied angekündigten “nadelstichartigen” Protestaktionen vorbereitet haben. Mit Spannung ist zu erwarten, wie er sich, umgeben von Fachleuten, positioniert.
Auch der ehemalige BMEL-Staatssekretär Hermann Onko Aeikens bekräftigt, Verständnis für den Unmut der Bauern zu haben. Mit uns hat der Agrarökonom über den Ampelkompromiss, die Verantwortung der Bundesländer mit Blick auf eine Bodenmarktreform und die Zukunft der Agrarstruktur in ostdeutschen Bundesländern gesprochen.
Herr Aeikens, landwirtschaftliche Betriebe erzielten im vorigen Wirtschaftsjahr ein Unternehmensergebnis von durchschnittlich 115.400 Euro je Betrieb. Mit Ausnahme der Wein- und Obstbaubetriebe verzeichneten nahezu alle Betriebsformen eine positive Entwicklung. Das zeigt der Situationsbericht des DBV. Wie viel Verständnis haben Sie für protestierende Bauern?
Hermann Onko Aeikens: Nun, die Ergebnisse des letzten Wirtschaftsjahres sind in gewisser Weise ein Ausreißer. Zwar lagen diese über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Aber es gab eben auch schon deutlich schwierigere Jahre.
Was geht denn Ihrer Meinung nach in den Köpfen der Bauern vor?
Neben zu erwartenden Gewinneinbußen gegenüber dem Vorjahr, hapert es an Wertschätzung. Zur Erinnerung: Die Zukunftskommission Landwirtschaft ermittelte einen Finanzbedarf in Höhe von jährlich sieben Milliarden Euro für die Transformation des Sektors hin zu mehr Umweltschutz und Tierwohl. Für den Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl veranschlagte die Borchert-Kommission analog zu wissenschaftlichen Berechnungen allein drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr.
Im Rahmen der Haushaltskürzungen sollte der Sektor ursprünglich aber fast eine Milliarde Euro verlieren. Das ist verglichen mit der Streichung von 17 Milliarden Euro für den gesamten Bundeshaushalts eine überproportionale Belastung, und das wird von den Bauern auch als solche empfunden.
Die wirtschaftliche Lage hat sich doch aber für alle Bevölkerungsschichten verschlechtert?
Die Landwirtschaft muss aber in einem harten Wettbewerb bestehen. Aktuell liegen die Landwirte in Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld, was die Preise für Agrardiesel angeht. Nach der vorgesehenen Kürzung würden sie zu den Spitzenzahlern aufrücken.
Die Ampelfraktionen meinen, dass für “die seit 40 Jahren abnehmende Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe eine jahrzehntelange verfehlte Agrarpolitik ursächlich” sei. Die aktuellen Proteste seien auch Ausdruck dieser verfehlten Entwicklungen. Inwiefern stimmen Sie damit überein?
Das sehe ich anders. Wir haben in einer Gesellschaft mit technischem Fortschritt immer einen strukturellen Wandel. Und es ist nun mal so, dass mit heutiger Technik pro Zeiteinheit mehr geleistet werden kann als in früheren Zeiten. Das betrifft sowohl den Ackerbau als auch zum Beispiel die Milchviehhaltung, wo in zunehmenden Maße Roboter das Melken übernehmen.
Insofern ist es ein Irrglaube, wenn gesagt wird, wir können den Strukturwandel völlig aufhalten. Viele Menschen, die früher im Nebenerwerb Landwirtschaft betrieben, hatten neben ihrem Hauptberuf einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb, mit Viehhaltung, um ihren Lebensstandard zu heben. Es ging darum, im Winter über die Runden zu kommen, weil sie dann arbeitslos waren und nur im Sommer in ihrem Hauptberuf, beispielsweise auf dem Bau oder in einer Gärtnerei tätig sein konnten. Deren Kinder oder Enkel streben nicht zurück zur Landwirtschaft.
Also, wird der Strukturwandel weiter voranschreiten?
Ja. Wie intensiv dieser verläuft, hängt sicherlich auch von politischen Weichenstellungen ab. Aber hier von einer verfehlten Politik zu sprechen und frühere Regierungen dafür verantwortlich zu machen, lässt sich wissenschaftlich nicht belegen.
Dass sagen Sie jetzt aber nicht nur, weil die CDU, also Ihre Partei, in den letzten Jahrzehnten meistens am Schalthebel saß?
Auch Grüne und die Sozialdemokraten saßen auf dem Stuhl des Bundeslandwirtschaftsministers. Und wir hatten auch verschiedene Kanzler in den letzten 40 Jahren. Parteipolitisch lässt sich der Strukturwandel genauso wenig begründen.
Ok, in den letzten 75 Jahren gab es unzählige Regierungen, Agrarpolitiken und Marktsituationen. In keiner Situation wurde das Höfesterben über einen längeren Zeitraum aufgehalten. Welchen Einfluss haben der politische Rahmen und der Markt dann überhaupt und was kann die Ampel jetzt tun?
Einen gewissen Einfluss hat er schon. Die Verteilung der Direktzahlungen hat beispielsweise einen Einfluss auf die Strukturentwicklung. Hinzu kommt, dass vermeintlich reiche Bauern häufig gar keine Bauern sind. Denn außerlandwirtschaftliche Investoren kaufen sich in Agrargesellschaften ein und werden so zu landwirtschaftlichen Unternehmern, die Flächenprämien erhalten.
All das hat einen Einfluss auf die regionale Agrarstruktur. Diese Schieflage kann nur durch einen angepassten rechtlichen Rahmen des Bodenmarktes ausgeglichen werden.
Im Laufe Ihrer politischen Karriere haben Sie sich immer sehr für eine Bodenmarktreform eingesetzt. Bis dato können 90 Prozent der Anteile an einer Gesellschaft im Rahmen sogenannter Share-Deals Grunderwerbssteuerfrei erworben werden. Für außerlandwirtschaftliche Investoren ist das sehr attraktiv. Die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat während ihrer Amtszeit nicht dafür gesorgt, dass dieser Anteil auf 75 Prozent abgesenkt wurde. Ein Fehler?
Im Gegenteil, sie hat sich sehr engagiert eingesetzt, aber die politischen Mehrheiten dafür haben gefehlt. Neben dem Agrarbereich umfasst diese Regelung für die Grunderwerbssteuer natürlich auch Wohnungsbaugesellschaften. Die hatten eine sehr starke Lobby hinter sich. Insofern kam es lediglich zu einer Reduzierung von 95 auf 90 Prozent.
Die entscheidende Zuständigkeit für das Bodenrecht liegt ohnehin seit 2006/2007 bei den Bundesländern. Bislang hat zwar kaum ein Bundesland davon Gebrauch gemacht. Aber wichtig wäre es, oder nicht?
Ja, bislang gibt es lediglich ein Vorkaufsrecht für den Landwirt bei einem sogenannten normalen Flächenkauf. Wenn also ein Arzt im Dorf landwirtschaftliche Flächen kaufen will, aber der Landwirt von nebenan ist bereit denselben Preis dafür zu bieten, dann hat der Arzt nach geltendem Recht das Nachsehen. Das ist auch in Ordnung.
Share-Deals laufen aber bislang unter dem Radar des Staates ab und sind dann eine willkommene Investitionsmöglichkeit zur Vermögensdiversifizierung. Als Folge dieser großen Grundstücksgeschäfte entstehen dann häufig Holdingstrukturen in einer Dimension, wie wir sie in der herkömmlichen Landwirtschaft bisher nicht gekannt haben.
Welchen rechtlichen Hebel gibt es, um Share-Deals zu verhindern?
Wir müssen Share-Deals auch einer behördlichen Kontrolle unterziehen, wie den Flächenkauf. Jetzt kümmert sich der Staat darum, dass die durchschnittlich zwei bis drei Hektar, die ein normaler Verkauf umfasst, in landwirtschaftliche Hände kommen. Geht es um mehrere hundert oder tausend Hektar, dann hat der Staat keine Eingriffsmöglichkeit und schaut zu.
Der Deutsche Bauernverband schien aber nie erpicht auf solch eine Bodenmarktreform. Woran liegt das?
Das ist eine Frage, die Sie dem Bauernverband stellen müssen. Mein Eindruck ist aber, dass Betroffene dies als Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit werten.
Meist sind es ja die östlichen Bundesländer, die versuchen eine Reform des Bodenmarktes in Form von Agrarstrukturgesetzen durchzusetzen, denn dort gibt es viel Fläche, die den Besitzer wechseln kann …
… und deswegen sind die östlichen Bauernverbände, wo Share-Deals besonders verbreitet sind, da auch besonders kritisch. Aber ich finde deren Argument für den Erhalt der unternehmerischen Freiheit nicht sehr stichhaltig. Denn es ist natürlich auch ein Eingriff in das Eigentum, wenn Grundbesitzer mit einem Vorkaufsrecht für Landwirte konfrontiert werden, und sie nicht an den Käufer ihrer Wahl verkaufen können.
Trotzdem: Wenn der Landwirt beim Kaufpreis nicht mitbietet, kann der Verkäufer den höchstmöglichen Gewinn erzielen …
Das stimmt bei den Share-Deals. Und das führt zu einer Entwicklung auf dem Bodenmarkt, die ich für bedenklich halte. Es gibt mittlerweile Beispiele, dass Betriebe von Banken bewirtschaftet werden und sich Wohnungsbaukonzerne auf dem Bodenmarkt tummeln und landwirtschaftliche Betriebe kaufen. Verpächter sehen sich zuweilen mit neuen Betriebsinhabern konfrontiert, denen sie ihre Flächen eigentlich nicht anvertrauen möchten. Da entsteht eine Landwirtschaft, die wir Städtern immer schwieriger erklären können. Ohnehin haben wir schon ein Problem moderne Landwirtschaft zu vermitteln. Durch solche Strukturen wird das noch schwieriger.
Wenn die Ampel in diesem Punkt nicht aktiv werden kann. Was würden Sie ihr jetzt raten, um die Kuh vom Eis zu holen?
Es ist richtig, dass die Ampel jetzt versucht mit dem Berufsstand an Lösungen zu arbeiten. Auch die Bundesländer sollten eingebunden werden. Es sollte dabei unter anderem um die Beschlüsse der Borchert Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft gehen. Die Bauern möchten wissen, was mit den Ergebnissen wird. Und ich würde es mir für die Landwirtschaft wirklich wünschen, dass wir in Deutschland Bürokratie abbauen – auch im Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaaten, zum Beispiel im Baurecht. Deswegen kann ich dem Berufsstand nur raten, diesen Gesprächsfaden aufzunehmen und an den Stellen, wo es drückt, für Linderung zu sorgen.
Die Union fordert nun eine Regulierungspause für die Landwirtschaft. “Für die Bauern wäre es ein starkes Signal, wenn Union, FDP, Grüne und SPD sich gemeinsam auf einen Landwirtschaftsfrieden verständigen würden. Für zehn Jahre sollte es keine neue Bürokratie für den Agrarbereich geben”, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU, Jens Spahn. Wie bewerten Sie das?
Ich wäre vorsichtig, das zu versprechen. Agrarpolitik wird in erste Linie durch die EU gestaltet. Hinzu kommt, wir leben in einer sehr dynamischen Welt, denken wir nur an das Thema KI. Es gibt immer wieder neue Entwicklungen, die einen rechtlichen Rahmen erforderlich machen, aber es gibt auch noch nicht ausdiskutierte Themen.
Was zum Beispiel?
Die Umsetzung des Green Deals im Agrar- und Ernährungssektor ist noch auszudiskutieren. Selbst der Berufsstand in Deutschland hat im Rahmen der Zukunftskommission Landwirtschaft Handlungsbedarf bei Umwelt- und Klimaschutz identifiziert. Das Thema wird kaum an Bedeutung verlieren.
In einer sich stetig wandelnden Welt mit immer neuen technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften, muss man sich außerdem zwangsläufig über neue Regeln Gedanken machen. Nichtsdestotrotz sollte man analog dazu versuchen, an anderen Stellen zu deregulieren, um unsere Gesellschaft und insbesondere die Landwirtschaft zu entbürokratisieren.
Peter Strohschneider soll im Auftrag der EU-Kommission einen strategischen Dialog zur Zukunft der Agrarpolitik leiten. Nach Informationen von Table.Media lädt die Kommission gerade Experten für die Runde ein. Akteure der Lebensmittelkette sollen an einen Tisch gebracht werden. Strohschneider saß bereits der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) auf nationaler Ebene in Deutschland vor. Der emeritierte Hochschullehrer wurde in germanistischer Mediävistik habilitiert und war zuletzt Chef der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Der von ihm geleitete Expertenkreis soll seinen Abschlussbericht im Spätsommer vorlegen. Vize-Kommissionspräsident Maroš Šefčovič geht am Dienstag mit Strohschneider in den Agrarrat und am Mittwoch in den Agrarausschuss des Europaparlaments. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) läuft bis 2027. Es wird damit gerechnet, dass die Kommission 2025 ihren Vorschlag für die nächste Periode der GAP vorlegt.
“Es ist eine gute Nachricht für die europäische Landwirtschaft, dass die EU-Kommission Professor Strohschneider für die Leitung des Landwirtschaftsdialogs gewinnen konnte”, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Auch der von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann initiierte Strategiedialog mache vor, wie es gelingen könne, “alle wichtigen Partner für die Zukunft der Landwirtschaft an einen Tisch zu holen”.
Grünen-Politiker Özdemir freue sich, dass die EU-Kommission sich diese beiden “guten Beispiele aus Deutschland zum Vorbild nimmt”. Dieses Miteinander unterschiedlichster gesellschaftlicher Akteure “brauchen wir in Europa, um die nachhaltige Zukunft des Agrar- und Ernährungssystems gemeinsam auszuhandeln”, sagte er. Sein Ressort werde diesen Dialog “konstruktiv und mit großem Interesse begleiten”. mgr/has
Wie in Brüssel zu hören ist, sollen Waren aus der Ukraine ein weiteres Jahr von Importzöllen befreit werden. Dies will die Kommission am Mittwoch vorschlagen. Die Wirtschaft des Landes, das von Putins Militär schon seit fast zwei Jahren mit einem Angriffskrieg überzogen wird, kann die Unterstützung gut gebrauchen. Die Zollfreiheit soll weiterhin für alle Waren gelten, also Industrieprodukte wie auch für landwirtschaftliche Produkte und Lebensmittel.
Nicht vorgesehen sind Importverbote in die Anrainerstaaten Polen, Rumänien, Slowakei, Bulgarien und Ungarn für Weizen, Mais, Saatgut von Raps und Sonnenblumen. Diese galten bis September mit Billigung der Kommission und seitdem faktisch. Dafür aber “Schutzmaßnahmen” für die Agrarmärkte der EU-Staaten.
Hinter den Kulissen gibt es massive Unruhe. Es geht nicht mehr nur noch um ukrainisches Getreide, das den EU-Markt überschwemmt, sondern auch um Zucker, Eier und Geflügel. Große internationale Agrarunternehmen verlagern gerade Produktionskapazitäten sehr gezielt in das kriegsversehrte Land.
Der EU-Import ist für die Investoren attraktiv: In der Ukraine sind die Löhne deutlich geringer, die höheren EU-Standards etwa beim Tierwohl und beim Pestizideinsatz gelten für sie nicht. Der Widerstand gegen die uneingeschränkte Zollfreiheit kommt nicht mehr nur aus den Anrainerstaaten, sondern auch aus westlich gelegenen Mitgliedstaaten. Etwa aus Frankreich. Im Gespräch sind nun Quoten für die zollfreie Einfuhr von bestimmten Agrarprodukten und Lebensmitteln aus der Ukraine. mgr