Table.Briefing: Agrifood

+++ Table.Alert: Lieferketten-Beschwerden gegen Edeka und Rewe +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

eine Branchengewerkschaft aus Ecuador und Oxfam Deutschland legen beim BAFA Beschwerde gegen die Einzelhandelsunternehmen Rewe und Edeka ein. Es sind zwar nicht die ersten Beschwerden im Rahmen des deutschen Lieferkettengesetzes, aber diese haben ein besonderes Gewicht. Denn sie werfen zentrale Fragen auf: Dürfen sich Unternehmen bei der Beurteilung der Zustände in ihren Lieferketten alleine auf Zertifizierer verlassen? Und inwiefern müssen Unternehmen Gewerkschaften und Betriebsräte bei der Beurteilung der Lage in ihren Lieferketten einbeziehen, um ihren Verpflichtungen gerecht zu werden, gerade in Fällen, wo sie über ihre Beschwerdemechanismen Informationen über mögliche Arbeitsrechts- oder Menschenrechtsverletzungen erhalten haben? Bemerkenswert ist auch, warum die Organisationen vorerst keine Beschwerde gegen Aldi und Lidl einlegen.

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher

Analyse

Bananen aus Ecuador: Lieferketten-Beschwerden gegen Edeka und Rewe

Missstände im Bananenanbau und die systematische Verletzung von Arbeitsrechten sind seit zehn Jahren für Ecuador ausführlich dokumentiert. Laut dem 2023 ITCU Global Rights Index zählt es weltweit zu den Ländern mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen überhaupt. Jüngst hieß es in einem Bericht der American Bar Association Center for Human Rights: “Obwohl die Verfassung das Recht der Vereinigungsfreiheit garantiert, wird es in der Praxis nicht anerkannt”. Auch Oxfam hat in diversen Studien wie “Süße Früchte, bittere Wahrheit” die Missstände in Ecuador beschrieben und den Dialog mit hiesigen Einzelhandelskonzernen gesucht, um Abhilfe zu schaffen. Nun versuchen Betroffene die Situation durch Beschwerden im Rahmen des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) zu verbessern.

Vorerst keine Beschwerden gegen Aldi und Lidl

Mit dessen Inkrafttreten Anfang 2023 hat sich die Situation für deutsche Unternehmen verändert. Seitdem müssen Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigte gesetzliche Sorgfaltspflichten für ihre Lieferkette einhalten. Vorher waren sie hier allenfalls freiwillig tätig. Gegen die neuen Pflichten haben Edeka und Rewe nach Ansicht der im Bananensektor tätigen Branchengewerkschaft ASTAC und Oxfam Deutschland verstoßen. Die detaillierten Beschwerden liegen Table.Media vor. Dazu zählen auch dokumentierte Tonbandaussagen Beschäftigter der Bananenfarmen. Edeka und Rewe sollen laut der Beschwerden ihre “Sorgfaltspflichten nach §§3-10 Abs. 1 LKSG” verletzt haben, mit Bezug auf folgende Aspekte:

  • Verstöße gegen das Verbot der Missachtung des Arbeitsschutzes, etwa bei dem Einsatz von Pestiziden auf den Farmen, ohne die Arbeitenden vorher zu warnen, damit diese sich in Sicherheit bringen können.
  • Missachtung der Koalitionsfreiheit, etwa durch die Unterdrückung von Gewerkschaftsarbeit auf den Bananenplantagen. Arbeiter berichten beispielsweise von großen Schwierigkeiten, eine neue Stelle zu finden, wenn sie sich auf einer Farm vorher über Missstände beschwert haben.
  • dem Verbot der Ungleichbehandlung in der Beschäftigung, weil etwa ältere Beschäftigte entlassen werden, kurz bevor ein Anspruch auf Rentenzahlung greift.
  • dem Verbot der Vorenthaltung eines angemessenen Lohns seitens der Betriebe, indem Beschäftigten beispielsweise weniger Lohn erhalten als ihnen zusteht.

Beide Firmen hätten es auch versäumt, bei den Zuliefern geeignete und erforderliche Anordnungen und Maßnahmen zu treffen, “um die festgestellten Verstöße zu beseitigen, sowie weitere Verstöße zu verhindern”.

Rewe “widerspricht den Aussagen von Oxfam entschieden”. Man habe gemeinsam mit seinen Lieferanten bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen und stehe dazu auch mit Oxfam im Austausch, teilte das Unternehmen auf Anfrage von Table.Media mit: “Wir möchten betonen, dass dieser Austausch von unserer Seite auf freiwilliger und stets kooperativer Basis erfolgt ist.” Edeka reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf die Anfrage.

Bereits im Sommer hatte Oxfam Deutschland Rewe und Edeka über Missstände informiert und das Gespräch gesucht, um Verbesserungen herbeizuführen. Gleiches geschah auch bei Aldi und Lidl wegen Missständen in den Lieferketten für Bananen und Ananas in Costa Rica. Beide Unternehmen hätten sich “verhandlungsbereit” gezeigt, heißt es bei Oxfam und “nahmen direkten Kontakt zur Gewerkschaft in Costa Rica auf”. Deswegen habe man zunächst einmal Abstand davon genommen, Beschwerden gegen Aldi und Lidl einzureichen, sagte Tim Zahn von Oxfam Deutschland Table.Media.

Antragsteller ist im Falle von Edeka die Gewerkschaft ASTAC, vertreten durch Oxfam Deutschland. Im Falle von Rewe beschweren sich betroffene Arbeiter und die Gewerkschaft ASTAC, vertreten durch Oxfam Deutschland. Unterstützt werden die Beschwerden von Misereor und dem European Center for Constitutional Rights. Die Arbeitenden bleiben anonym, sie “müssten vor Vergeltungsmaßnahmen durch den Zuliefererbetrieb geschützt werden”, heißt es in der Beschwerde. Erst jüngst gab es Morddrohungen gegenüber für die Organisation von Arbeitern zuständigen Gewerkschaftern im Bananenanbau in Ecuador. Das LkSG sieht auch wegen solcher Situationen die Vertretung Betroffener durch Gewerkschaften und NGOs vor.

Die Lieferketten für Bananen umfassen vergleichsweise wenige Stufen, weswegen sie sich grundsätzlich leichter nachverfolgen lassen als in vielen anderen Bereichen wie beispielsweise Elektronik oder Textilien. Die Lieferkette von Edeka reicht laut der Beschwerde über einen US-Lieferanten zu dessen Tochterunternehmen, welches Bananenfarmen in Ecuador betreibt. Die Beschwerde ist sowohl für den Fall ausgelegt, dass der Lieferant als unmittelbarer oder als mittelbarer Lieferant einzustufen ist. Im Falle von Rewe geht es um eine mittelbare Lieferbeziehung.

Gängige Zertifizierungssysteme stehen auf dem Prüfstand

Die Beschwerden sind vor allem auch deswegen interessant, weil damit das gängige Zertifizierungssystem auf den Prüfstand gestellt wird. Das geschieht nicht zum ersten Mal, nun aber könnte mit der BAFA eine Behörde über den Sinn oder Unsinn dieses weit verbreiteten Ansatzes befinden. Dessen Mängel haben sich in der Praxis mehrfach gezeigt, bei folgenschweren Katastrophen in zertifizierten Betrieben, ob den Textilfabriken Ali Enterprises oder Rana Plaza oder dem Staudamm Brumadinho in Brasilien. Zertifizierer kontrollieren gewöhnlich nur zu einem Zeitpunkt, was das Verfahren manipulationsanfällig macht, ganz besonders, wenn die Kontrollen angekündigt werden. Im Falle eines Verstoßes drohen den Unternehmen Geldbußen und im Extremfall ein Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

Trotzdem ist die Zertifizierung von Zulieferern durch private Auditunternehmen weiter das gängige Verfahren für auftraggebende Unternehmen, die Verhältnisse bei Zuliefern zu überprüfen. Das liegt auch daran, dass die staatlichen Systeme der Arbeitsüberwachung in vielen Ländern nur unzureichend funktionieren und anfällig für Korruption sind. Unter Experten ist es ziemlich unstrittig, dass freie Gewerkschaften und Betriebsräte prinzipiell häufig am besten über die Situation in Betrieben Bescheid wissen, weil sie kontinuierlich Kontakt mit Beschäftigten haben. Aber sie sind häufig auch schwach. Nach Ansicht mancher juristischen Kommentatoren müssen vom LkSG erfasste Firmen im Rahmen des Risikomanagements die Interessen der Beschäftigten und ihrer legitimen Interessenvertreter angemessen berücksichtigen. Hier sehen die Beschwerden Versäumnisse bei Rewe und Edeka.

Adäquate Nutzung der Beschwerdemechanismen ist Thema

Von grundlegender Bedeutung der Beschwerden ist auch die Handhabung des Beschwerdemechanismus, welchen das LkSG vorschreibt. Oxfam Deutschland hatte alle vier Unternehmen über Missstände über deren Beschwerdemechanismus informiert. Beispiel Rewe: Oxfam informierte laut der Beschwerde die Firma per Mail am 6. April 2023 über konkrete Arbeitsrechtsverletzungen bei seinen Zulieferern. Rewe habe die Beschwerde an die “Rainforest Alliance-Siegel-Initiative weitergereicht”, den zuständigen Zertifizierer des Lieferanten. Rainforest habe nach einer Prüfung dem Betrieb das Siegel für sechs Monate entzogen.

Laut der Beschwerde hat Rewe mit ihrem unmittelbaren Zulieferer und dem mittelbaren Zulieferer einen sogenannten Corrective Action Plan entwickelt. Es geht um Vertragsanpassungen, die Einführung eines biometrischen Zeiterfassungssytems sowie Schulungen des Führungspersonals. Nicht einbezogen worden seien aber die betroffenen Arbeitnehmer sowie die Gewerkschaft ASTAC, heißt es in der Beschwerde. Darin sehen die Beschwerden einen Verstoß gegen das LkSG § 4 Abs. 2 und 4 LkSG, denen zufolge “bei der Ent-wicklung und Umsetzung aller Maßnahmen im Rahmen des Risikomanagements die Interessen der Beschäftigten und Betroffenen und ihrer legitimen Interessenvertreter*innen angemessen berücksichtigt werden müssen”.

Aus Sicht von Rewe stellt sich die Situation anders dar: “Nach Erhalt der Beschwerde haben wir unverzüglich das LkSG-Beschwerdeverfahren initiiert.” Nach dem Zertifikatsentzug durch die Rainforest Alliance beziehe Rewe von dem betroffenen Zulieferer keine Waren mehr, “da unsere Einkaufsanforderungen ohne gültige Zertifizierung des mittelbaren Zulieferers nicht mehr erfüllt sind”. Die Gewerkschaft ASTAC habe auf die Möglichkeit verzichtet, an dem Audit teilzunehmen, teilte das Unternehmen mit. Außerdem habe zuletzt im August ein Austauschtermin zwischen der REWE Group, Rainforest Alliance, Oxfam und ASTAC stattgefunden. In diesem Rahmen hätten ebenfalls Betroffene anonym von ihrer Situation berichtet.

  • Lebensmittel
  • Lieferketten

Agrifood.Table Redaktion

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    eine Branchengewerkschaft aus Ecuador und Oxfam Deutschland legen beim BAFA Beschwerde gegen die Einzelhandelsunternehmen Rewe und Edeka ein. Es sind zwar nicht die ersten Beschwerden im Rahmen des deutschen Lieferkettengesetzes, aber diese haben ein besonderes Gewicht. Denn sie werfen zentrale Fragen auf: Dürfen sich Unternehmen bei der Beurteilung der Zustände in ihren Lieferketten alleine auf Zertifizierer verlassen? Und inwiefern müssen Unternehmen Gewerkschaften und Betriebsräte bei der Beurteilung der Lage in ihren Lieferketten einbeziehen, um ihren Verpflichtungen gerecht zu werden, gerade in Fällen, wo sie über ihre Beschwerdemechanismen Informationen über mögliche Arbeitsrechts- oder Menschenrechtsverletzungen erhalten haben? Bemerkenswert ist auch, warum die Organisationen vorerst keine Beschwerde gegen Aldi und Lidl einlegen.

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    Henrike Schirmacher
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    Analyse

    Bananen aus Ecuador: Lieferketten-Beschwerden gegen Edeka und Rewe

    Missstände im Bananenanbau und die systematische Verletzung von Arbeitsrechten sind seit zehn Jahren für Ecuador ausführlich dokumentiert. Laut dem 2023 ITCU Global Rights Index zählt es weltweit zu den Ländern mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen überhaupt. Jüngst hieß es in einem Bericht der American Bar Association Center for Human Rights: “Obwohl die Verfassung das Recht der Vereinigungsfreiheit garantiert, wird es in der Praxis nicht anerkannt”. Auch Oxfam hat in diversen Studien wie “Süße Früchte, bittere Wahrheit” die Missstände in Ecuador beschrieben und den Dialog mit hiesigen Einzelhandelskonzernen gesucht, um Abhilfe zu schaffen. Nun versuchen Betroffene die Situation durch Beschwerden im Rahmen des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) zu verbessern.

    Vorerst keine Beschwerden gegen Aldi und Lidl

    Mit dessen Inkrafttreten Anfang 2023 hat sich die Situation für deutsche Unternehmen verändert. Seitdem müssen Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigte gesetzliche Sorgfaltspflichten für ihre Lieferkette einhalten. Vorher waren sie hier allenfalls freiwillig tätig. Gegen die neuen Pflichten haben Edeka und Rewe nach Ansicht der im Bananensektor tätigen Branchengewerkschaft ASTAC und Oxfam Deutschland verstoßen. Die detaillierten Beschwerden liegen Table.Media vor. Dazu zählen auch dokumentierte Tonbandaussagen Beschäftigter der Bananenfarmen. Edeka und Rewe sollen laut der Beschwerden ihre “Sorgfaltspflichten nach §§3-10 Abs. 1 LKSG” verletzt haben, mit Bezug auf folgende Aspekte:

    • Verstöße gegen das Verbot der Missachtung des Arbeitsschutzes, etwa bei dem Einsatz von Pestiziden auf den Farmen, ohne die Arbeitenden vorher zu warnen, damit diese sich in Sicherheit bringen können.
    • Missachtung der Koalitionsfreiheit, etwa durch die Unterdrückung von Gewerkschaftsarbeit auf den Bananenplantagen. Arbeiter berichten beispielsweise von großen Schwierigkeiten, eine neue Stelle zu finden, wenn sie sich auf einer Farm vorher über Missstände beschwert haben.
    • dem Verbot der Ungleichbehandlung in der Beschäftigung, weil etwa ältere Beschäftigte entlassen werden, kurz bevor ein Anspruch auf Rentenzahlung greift.
    • dem Verbot der Vorenthaltung eines angemessenen Lohns seitens der Betriebe, indem Beschäftigten beispielsweise weniger Lohn erhalten als ihnen zusteht.

    Beide Firmen hätten es auch versäumt, bei den Zuliefern geeignete und erforderliche Anordnungen und Maßnahmen zu treffen, “um die festgestellten Verstöße zu beseitigen, sowie weitere Verstöße zu verhindern”.

    Rewe “widerspricht den Aussagen von Oxfam entschieden”. Man habe gemeinsam mit seinen Lieferanten bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen und stehe dazu auch mit Oxfam im Austausch, teilte das Unternehmen auf Anfrage von Table.Media mit: “Wir möchten betonen, dass dieser Austausch von unserer Seite auf freiwilliger und stets kooperativer Basis erfolgt ist.” Edeka reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf die Anfrage.

    Bereits im Sommer hatte Oxfam Deutschland Rewe und Edeka über Missstände informiert und das Gespräch gesucht, um Verbesserungen herbeizuführen. Gleiches geschah auch bei Aldi und Lidl wegen Missständen in den Lieferketten für Bananen und Ananas in Costa Rica. Beide Unternehmen hätten sich “verhandlungsbereit” gezeigt, heißt es bei Oxfam und “nahmen direkten Kontakt zur Gewerkschaft in Costa Rica auf”. Deswegen habe man zunächst einmal Abstand davon genommen, Beschwerden gegen Aldi und Lidl einzureichen, sagte Tim Zahn von Oxfam Deutschland Table.Media.

    Antragsteller ist im Falle von Edeka die Gewerkschaft ASTAC, vertreten durch Oxfam Deutschland. Im Falle von Rewe beschweren sich betroffene Arbeiter und die Gewerkschaft ASTAC, vertreten durch Oxfam Deutschland. Unterstützt werden die Beschwerden von Misereor und dem European Center for Constitutional Rights. Die Arbeitenden bleiben anonym, sie “müssten vor Vergeltungsmaßnahmen durch den Zuliefererbetrieb geschützt werden”, heißt es in der Beschwerde. Erst jüngst gab es Morddrohungen gegenüber für die Organisation von Arbeitern zuständigen Gewerkschaftern im Bananenanbau in Ecuador. Das LkSG sieht auch wegen solcher Situationen die Vertretung Betroffener durch Gewerkschaften und NGOs vor.

    Die Lieferketten für Bananen umfassen vergleichsweise wenige Stufen, weswegen sie sich grundsätzlich leichter nachverfolgen lassen als in vielen anderen Bereichen wie beispielsweise Elektronik oder Textilien. Die Lieferkette von Edeka reicht laut der Beschwerde über einen US-Lieferanten zu dessen Tochterunternehmen, welches Bananenfarmen in Ecuador betreibt. Die Beschwerde ist sowohl für den Fall ausgelegt, dass der Lieferant als unmittelbarer oder als mittelbarer Lieferant einzustufen ist. Im Falle von Rewe geht es um eine mittelbare Lieferbeziehung.

    Gängige Zertifizierungssysteme stehen auf dem Prüfstand

    Die Beschwerden sind vor allem auch deswegen interessant, weil damit das gängige Zertifizierungssystem auf den Prüfstand gestellt wird. Das geschieht nicht zum ersten Mal, nun aber könnte mit der BAFA eine Behörde über den Sinn oder Unsinn dieses weit verbreiteten Ansatzes befinden. Dessen Mängel haben sich in der Praxis mehrfach gezeigt, bei folgenschweren Katastrophen in zertifizierten Betrieben, ob den Textilfabriken Ali Enterprises oder Rana Plaza oder dem Staudamm Brumadinho in Brasilien. Zertifizierer kontrollieren gewöhnlich nur zu einem Zeitpunkt, was das Verfahren manipulationsanfällig macht, ganz besonders, wenn die Kontrollen angekündigt werden. Im Falle eines Verstoßes drohen den Unternehmen Geldbußen und im Extremfall ein Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

    Trotzdem ist die Zertifizierung von Zulieferern durch private Auditunternehmen weiter das gängige Verfahren für auftraggebende Unternehmen, die Verhältnisse bei Zuliefern zu überprüfen. Das liegt auch daran, dass die staatlichen Systeme der Arbeitsüberwachung in vielen Ländern nur unzureichend funktionieren und anfällig für Korruption sind. Unter Experten ist es ziemlich unstrittig, dass freie Gewerkschaften und Betriebsräte prinzipiell häufig am besten über die Situation in Betrieben Bescheid wissen, weil sie kontinuierlich Kontakt mit Beschäftigten haben. Aber sie sind häufig auch schwach. Nach Ansicht mancher juristischen Kommentatoren müssen vom LkSG erfasste Firmen im Rahmen des Risikomanagements die Interessen der Beschäftigten und ihrer legitimen Interessenvertreter angemessen berücksichtigen. Hier sehen die Beschwerden Versäumnisse bei Rewe und Edeka.

    Adäquate Nutzung der Beschwerdemechanismen ist Thema

    Von grundlegender Bedeutung der Beschwerden ist auch die Handhabung des Beschwerdemechanismus, welchen das LkSG vorschreibt. Oxfam Deutschland hatte alle vier Unternehmen über Missstände über deren Beschwerdemechanismus informiert. Beispiel Rewe: Oxfam informierte laut der Beschwerde die Firma per Mail am 6. April 2023 über konkrete Arbeitsrechtsverletzungen bei seinen Zulieferern. Rewe habe die Beschwerde an die “Rainforest Alliance-Siegel-Initiative weitergereicht”, den zuständigen Zertifizierer des Lieferanten. Rainforest habe nach einer Prüfung dem Betrieb das Siegel für sechs Monate entzogen.

    Laut der Beschwerde hat Rewe mit ihrem unmittelbaren Zulieferer und dem mittelbaren Zulieferer einen sogenannten Corrective Action Plan entwickelt. Es geht um Vertragsanpassungen, die Einführung eines biometrischen Zeiterfassungssytems sowie Schulungen des Führungspersonals. Nicht einbezogen worden seien aber die betroffenen Arbeitnehmer sowie die Gewerkschaft ASTAC, heißt es in der Beschwerde. Darin sehen die Beschwerden einen Verstoß gegen das LkSG § 4 Abs. 2 und 4 LkSG, denen zufolge “bei der Ent-wicklung und Umsetzung aller Maßnahmen im Rahmen des Risikomanagements die Interessen der Beschäftigten und Betroffenen und ihrer legitimen Interessenvertreter*innen angemessen berücksichtigt werden müssen”.

    Aus Sicht von Rewe stellt sich die Situation anders dar: “Nach Erhalt der Beschwerde haben wir unverzüglich das LkSG-Beschwerdeverfahren initiiert.” Nach dem Zertifikatsentzug durch die Rainforest Alliance beziehe Rewe von dem betroffenen Zulieferer keine Waren mehr, “da unsere Einkaufsanforderungen ohne gültige Zertifizierung des mittelbaren Zulieferers nicht mehr erfüllt sind”. Die Gewerkschaft ASTAC habe auf die Möglichkeit verzichtet, an dem Audit teilzunehmen, teilte das Unternehmen mit. Außerdem habe zuletzt im August ein Austauschtermin zwischen der REWE Group, Rainforest Alliance, Oxfam und ASTAC stattgefunden. In diesem Rahmen hätten ebenfalls Betroffene anonym von ihrer Situation berichtet.

    • Lebensmittel
    • Lieferketten

    Agrifood.Table Redaktion

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