in Sachen Grüner Gentechnik wird es kurz vor Jahresende noch einmal spannend. Am Montag will sich der EU-Agrarrat offiziell zu dem kontrovers diskutierten Vorschlag der EU-Kommission für ein neues EU-Gentechnikrecht positionieren. Klar ist: Die EU-Mitgliedstaaten sind in der Frage extrem gespalten. Wie interne Beratungen im Ausschuss der Ständigen Vertreter zuletzt gezeigt haben, wird sich im Agrarrat deshalb eher keine Mehrheit für eine Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts finden. Woran das im Detail liegt und welche Wellen eine mögliche Enthaltung von deutscher Seite durch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hierzulande schlägt, berichtet meine Kollegin Henrike Schirmacher.
Stichwort Özdemir: Der Bundeslandwirtschaftsminister hat heute ein Gutachten vom Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) übermittelt bekommen. Die Mitglieder des WBAE, die Özdemir und sein Ministerium beraten, nehmen darin die deutsche und europäische Gesetzgebung zu Sorgfaltspflichten für die Agrar- und Ernährungswirtschaft in den Blick. Die Autoren des Gutachtens warnen vor einem Papiertiger und sehen Handlungsbedarf bei den Kontrollmechanismen. Um diese insbesondere beim deutschen Lieferkettengesetz zu verbessern, schlagen die Gutachter vor, Zertifizierungssysteme staatlich zu regulieren. Oder wie sie es nennen: eine “Kontrolle der Kontrolleure.”
Am Montag soll sich der EU-Agrarrat erstmals offiziell zum Vorschlag der EU-Kommission für ein novelliertes EU-Gentechnikrecht positionieren. So sieht es jedenfalls die Tagesordnung vor. Bislang gibt es unter den EU-Mitgliedstaaten aber keine qualifizierte Mehrheit dafür, sich zu positionieren. Das haben interne Beratungen im Ausschuss der Ständigen Vertreter in dieser Woche gezeigt.
Die Fronten im Europäischen Rat sind verhärtet. Diejenigen Länder, die das EU-Recht lockern wollen, sind nicht bereit, auf Forderungen ihrer Widersacher, darunter Kroatien, Österreich und Polen, einzugehen. Diese wiederum wollen sich deswegen nicht zur aktuellen Fassung der Brüsseler Behörde positionieren. Die Kritiker des Vorschlags pochen darauf, eine Koexistenz von NGT-1-Pflanzen und Ökolandbau zu ermöglichen, “um das Vertrauen der Käufer von Bioprodukten und die wirtschaftlichen Interessen des Sektors nicht zu gefährden”. Außerdem beharrt Kroatien beispielsweise auf einer Opt-out-Möglichkeit, sprich darauf, den Anbau solcher Pflanzen im eigenen Land verbieten zu dürfen. Diese Möglichkeit sieht der Vorschlag der EU-Kommission allerdings bislang nicht vor.
Eine qualifizierte Mehrheit für den aktuellen Vorschlag der EU-Kommission rückt damit in weite Ferne. Zwar wollen Frankreich und Italien für den Entwurf der EU-Kommission zur Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts stimmen. Aber Deutschland wird sich aufgrund unterschiedlicher Positionen in der Bundesregierung enthalten.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) folgt den Forderungen der Grünen-Parteibasis sowie der Ökolandwirtschaft, die um ihr Wirtschaftsmodell fürchtet, sollte es zu einer Deregulierung kommen. “Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können. Das muss für die gesamte Wertschöpfungskette gelten”, sagte er im Interview mit Table.Media. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hingegen sieht die Grüne Gentechnik in erster Linie als “riesige Chance” für die Agrar- und Ernährungsbranche.
Die stockenden Verhandlungen im Rat spielen den Kritikern der Grünen Gentechnik in die Hände. Im neuen Jahr übernimmt Belgien die Ratspräsidentschaft. Im Gegensatz zu Spanien dürfte das Land bei einer Liberalisierung des EU-Rechts eher auf die Bremse treten. In den Reihen der Grünen Bundestagsfraktion sorgt das für Zustimmung. “Es ist arrogant, sich über die Bedürfnisse der Menschen nach Wahlfreiheit hinwegzusetzen und die Kennzeichnungspflicht für Gentechnik auf Lebensmittel abschaffen zu wollen”, sagt der Bundestagsabgeordnete Harald Ebner. “Das bisherige EU-Gentechnikrecht wurde ja vorausschauend explizit auch für neue Technologien, die man noch nicht kennt, ausgestaltet”, meint Ebner weiter und pocht damit auf eine strikte Regulierung.
“Özdemirs Ablehnung der Novelle der EU-Kommission behindert den dringend notwendigen Fortschritt”, sagt Carina Konrad, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, zu Table.Media. Diese Haltung widerspreche wissenschaftlichem Konsens. Die FDP-Politikerin fordert von Özdemir, “veraltete Ansichten zu überdenken”. Neue Methoden in der Pflanzenzüchtung seien die Voraussetzung dafür, dass sich Landwirte mithilfe von widerstandsfähigeren Sorten sowohl an den klimatischen als auch politischen Wandel anpassen könnten. “Dafür trägt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir Verantwortung”, so Konrad weiter.
Mit der Europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Deutschland sehen sich viele Akteure der Agrar- und Ernährungswirtschaft mit einem Paradigmenwechsel konfrontiert. Die Gesetzesentwicklungen in diesem Bereich hat der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung (WBAE) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) nun für den Sektor untersucht und sieht dringenden Handlungsbedarf.
In seinem Gutachten identifiziert der WBAE Risiken und Nebeneffekte bei der Implementierung der Sorgfaltspflichten im Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft, die Unternehmen dazu anhalten sollen, Umwelt und Menschenrechte besser zu schützen. Die Autoren drängen hierbei darauf, die Regelungen wirksamer und effizienter auszugestalten und umzusetzen, und sie sprechen eine Reihe von Empfehlungen aus. Ein Appell ist das gerade auch an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, dem Vertreter des WBAE das Gutachten heute virtuell überreicht haben.
Wirksamkeit und Effizienz der Sorgfaltspflichtenregelungen, so heißt es in dem Gutachten, würden wesentlich von Kontrolle abhängen. Es bestehe aber die Gefahr, dass die staatliche Kontrolle der Sorgfaltspflichten lediglich eine “Papierkontrolle von Bemühenspflichten” werde, mahnt der Vorsitzende des WBAE und Autor des Gutachtens, Achim Spiller. Denn: Die Situation bei den Lieferanten vor Ort zu überprüfen, sei für staatliche Behörden kaum umsetzbar.
Der WBAE drängt deshalb in dem Gutachten darauf, privatwirtschaftliche Zertifizierungsunternehmen stärker einzubeziehen. Da solche Zertifizierungssysteme bislang aber noch deutliche Schwachstellen aufwiesen, müsse deren Qualität staatlich abgesichert werden, fordert Spiller. Insbesondere beim deutschen LkSG, dessen Steuerungswirkung aufgrund einer fehlenden Haftungsregelung ohnehin begrenzt sei, sieht der WBAE diesbezüglich Verbesserungsbedarf und gibt in dem Gutachten deshalb auch Empfehlungen für eine staatliche Anerkennung und Überwachung der Zertifizierung.
Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten stark zu sanktionieren – wie im LkSG vorgesehen – halten die Autoren des Gutachtens hingegen für schwierig. Seien die Sanktionen zu hoch, könnte es für Unternehmen attraktiver sein, sich aus Regionen oder Ländern zurückzuziehen, die mit höheren Menschenrechts- und Umweltrisiken verbunden sind, warnen die Autoren des Gutachtens. Wichtig sei deshalb, Sanktionen auf zielgerichtete und substantielle Gesetzesverstöße auszurichten. Zudem sollte der Staat auch positive Anreize setzen, wie etwa durch Projektförderungen und Preise sowie durch Vorteile in öffentlichen Vergabeverfahren, fordert der WBAE.
Um zu verhindern, dass sich Unternehmen aus Ländern oder Regionen zurückziehen, die höhere Menschenrechts- und Umweltrisiken bergen, hält der WBAE außerdem einen intensiven Dialog mit internationalen Handelspartnern und bessere Unterstützungsmaßnahmen für erforderlich. Dies sei auch im Sinne des Prinzips “Befähigung statt Rückzug”. Denn ein Rückzug von Unternehmen sei zwar die einfachste Lösung, löse aber nicht die zugrundeliegenden Menschenrechts- und Umweltprobleme in der Produktion, so die Autorin des Gutachtens Christine Wieck.
Um zu sehen, ob die Gesetze ihre anvisierten Ziele erreichen, ob es zu negativen Auswirkungen oder zu Umsetzungsproblemen kommt, sei es zudem wichtig, dass sowohl ein begleitendes Monitoring aufgebaut, als auch eine Wirkungsüberprüfung eingeplant werde, so Wieck weiter. Beides ist im LkSG bislang nicht explizit vorgesehen. Beim Monitoring und bei der Wirkungsprüfung der Gesetze gelte es zudem, eine Zusammenarbeit mit den Handelspartnern anzustreben. “Von dem Erfahrungswissen der Akteure vor Ort können diese Prozesse nur profitieren”, ist sich Wieck sicher.
Mit Blick auf die Verhandlungen zur CSDDD mahnt Achim Spiller schon jetzt: “Die größte Lücke entsteht dann, wenn am Schluss nur die EU solche Sorgfaltspflichten einführen würde. Dann käme es nämlich zu Marktspaltungen.” Das heißt: Die “gute” Ware gehe in die EU, die “schlechte mit Kinderarbeit” in andere Regionen der Welt, prognostiziert Spiller. Es sei also zentral, dass sich die EU um die Verbreitung des Ansatzes in möglichst vielen wichtigen Handelsregionen dieser Welt bemühe.
Zur Erinnerung: Das deutsche Lieferkettengesetz, das seit Jahresbeginn 2023 für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden gilt, verpflichtet Firmen dazu, ihre eigenen Arbeitsprozesse und Lieferketten auf Verstöße gegen Menschenrechte sowie auf Umwelt- und Arbeitsschutz zu durchleuchten. Zudem sind die Unternehmen angehalten, Maßnahmen zu definieren, um diese Risiken einzudämmen. Ab 2024 gilt das Regelwerk bereits für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden.
Das EU-Lieferkettengesetz sieht nach den Plänen der Kommission vor, dass in der EU ansässige Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden und einem Nettojahresumsatz ab 150 Millionen Euro die Bestimmungen umsetzen müssen. Bestimmte Risikosektoren, zu denen auch die Agrarwirtschaft sowie Produzenten und Händler von Lebensmitteln zählen, sollen demnach schon ab 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Noch sind die Trilogverhandlungen zur CSDDD nicht abgeschlossen. Aller Voraussicht nach werden die Regelungen der CSDDD aber weit über die des LkSG hinausgehen.
in Sachen Grüner Gentechnik wird es kurz vor Jahresende noch einmal spannend. Am Montag will sich der EU-Agrarrat offiziell zu dem kontrovers diskutierten Vorschlag der EU-Kommission für ein neues EU-Gentechnikrecht positionieren. Klar ist: Die EU-Mitgliedstaaten sind in der Frage extrem gespalten. Wie interne Beratungen im Ausschuss der Ständigen Vertreter zuletzt gezeigt haben, wird sich im Agrarrat deshalb eher keine Mehrheit für eine Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts finden. Woran das im Detail liegt und welche Wellen eine mögliche Enthaltung von deutscher Seite durch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hierzulande schlägt, berichtet meine Kollegin Henrike Schirmacher.
Stichwort Özdemir: Der Bundeslandwirtschaftsminister hat heute ein Gutachten vom Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) übermittelt bekommen. Die Mitglieder des WBAE, die Özdemir und sein Ministerium beraten, nehmen darin die deutsche und europäische Gesetzgebung zu Sorgfaltspflichten für die Agrar- und Ernährungswirtschaft in den Blick. Die Autoren des Gutachtens warnen vor einem Papiertiger und sehen Handlungsbedarf bei den Kontrollmechanismen. Um diese insbesondere beim deutschen Lieferkettengesetz zu verbessern, schlagen die Gutachter vor, Zertifizierungssysteme staatlich zu regulieren. Oder wie sie es nennen: eine “Kontrolle der Kontrolleure.”
Am Montag soll sich der EU-Agrarrat erstmals offiziell zum Vorschlag der EU-Kommission für ein novelliertes EU-Gentechnikrecht positionieren. So sieht es jedenfalls die Tagesordnung vor. Bislang gibt es unter den EU-Mitgliedstaaten aber keine qualifizierte Mehrheit dafür, sich zu positionieren. Das haben interne Beratungen im Ausschuss der Ständigen Vertreter in dieser Woche gezeigt.
Die Fronten im Europäischen Rat sind verhärtet. Diejenigen Länder, die das EU-Recht lockern wollen, sind nicht bereit, auf Forderungen ihrer Widersacher, darunter Kroatien, Österreich und Polen, einzugehen. Diese wiederum wollen sich deswegen nicht zur aktuellen Fassung der Brüsseler Behörde positionieren. Die Kritiker des Vorschlags pochen darauf, eine Koexistenz von NGT-1-Pflanzen und Ökolandbau zu ermöglichen, “um das Vertrauen der Käufer von Bioprodukten und die wirtschaftlichen Interessen des Sektors nicht zu gefährden”. Außerdem beharrt Kroatien beispielsweise auf einer Opt-out-Möglichkeit, sprich darauf, den Anbau solcher Pflanzen im eigenen Land verbieten zu dürfen. Diese Möglichkeit sieht der Vorschlag der EU-Kommission allerdings bislang nicht vor.
Eine qualifizierte Mehrheit für den aktuellen Vorschlag der EU-Kommission rückt damit in weite Ferne. Zwar wollen Frankreich und Italien für den Entwurf der EU-Kommission zur Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts stimmen. Aber Deutschland wird sich aufgrund unterschiedlicher Positionen in der Bundesregierung enthalten.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) folgt den Forderungen der Grünen-Parteibasis sowie der Ökolandwirtschaft, die um ihr Wirtschaftsmodell fürchtet, sollte es zu einer Deregulierung kommen. “Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können. Das muss für die gesamte Wertschöpfungskette gelten”, sagte er im Interview mit Table.Media. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hingegen sieht die Grüne Gentechnik in erster Linie als “riesige Chance” für die Agrar- und Ernährungsbranche.
Die stockenden Verhandlungen im Rat spielen den Kritikern der Grünen Gentechnik in die Hände. Im neuen Jahr übernimmt Belgien die Ratspräsidentschaft. Im Gegensatz zu Spanien dürfte das Land bei einer Liberalisierung des EU-Rechts eher auf die Bremse treten. In den Reihen der Grünen Bundestagsfraktion sorgt das für Zustimmung. “Es ist arrogant, sich über die Bedürfnisse der Menschen nach Wahlfreiheit hinwegzusetzen und die Kennzeichnungspflicht für Gentechnik auf Lebensmittel abschaffen zu wollen”, sagt der Bundestagsabgeordnete Harald Ebner. “Das bisherige EU-Gentechnikrecht wurde ja vorausschauend explizit auch für neue Technologien, die man noch nicht kennt, ausgestaltet”, meint Ebner weiter und pocht damit auf eine strikte Regulierung.
“Özdemirs Ablehnung der Novelle der EU-Kommission behindert den dringend notwendigen Fortschritt”, sagt Carina Konrad, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, zu Table.Media. Diese Haltung widerspreche wissenschaftlichem Konsens. Die FDP-Politikerin fordert von Özdemir, “veraltete Ansichten zu überdenken”. Neue Methoden in der Pflanzenzüchtung seien die Voraussetzung dafür, dass sich Landwirte mithilfe von widerstandsfähigeren Sorten sowohl an den klimatischen als auch politischen Wandel anpassen könnten. “Dafür trägt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir Verantwortung”, so Konrad weiter.
Mit der Europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Deutschland sehen sich viele Akteure der Agrar- und Ernährungswirtschaft mit einem Paradigmenwechsel konfrontiert. Die Gesetzesentwicklungen in diesem Bereich hat der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung (WBAE) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) nun für den Sektor untersucht und sieht dringenden Handlungsbedarf.
In seinem Gutachten identifiziert der WBAE Risiken und Nebeneffekte bei der Implementierung der Sorgfaltspflichten im Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft, die Unternehmen dazu anhalten sollen, Umwelt und Menschenrechte besser zu schützen. Die Autoren drängen hierbei darauf, die Regelungen wirksamer und effizienter auszugestalten und umzusetzen, und sie sprechen eine Reihe von Empfehlungen aus. Ein Appell ist das gerade auch an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, dem Vertreter des WBAE das Gutachten heute virtuell überreicht haben.
Wirksamkeit und Effizienz der Sorgfaltspflichtenregelungen, so heißt es in dem Gutachten, würden wesentlich von Kontrolle abhängen. Es bestehe aber die Gefahr, dass die staatliche Kontrolle der Sorgfaltspflichten lediglich eine “Papierkontrolle von Bemühenspflichten” werde, mahnt der Vorsitzende des WBAE und Autor des Gutachtens, Achim Spiller. Denn: Die Situation bei den Lieferanten vor Ort zu überprüfen, sei für staatliche Behörden kaum umsetzbar.
Der WBAE drängt deshalb in dem Gutachten darauf, privatwirtschaftliche Zertifizierungsunternehmen stärker einzubeziehen. Da solche Zertifizierungssysteme bislang aber noch deutliche Schwachstellen aufwiesen, müsse deren Qualität staatlich abgesichert werden, fordert Spiller. Insbesondere beim deutschen LkSG, dessen Steuerungswirkung aufgrund einer fehlenden Haftungsregelung ohnehin begrenzt sei, sieht der WBAE diesbezüglich Verbesserungsbedarf und gibt in dem Gutachten deshalb auch Empfehlungen für eine staatliche Anerkennung und Überwachung der Zertifizierung.
Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten stark zu sanktionieren – wie im LkSG vorgesehen – halten die Autoren des Gutachtens hingegen für schwierig. Seien die Sanktionen zu hoch, könnte es für Unternehmen attraktiver sein, sich aus Regionen oder Ländern zurückzuziehen, die mit höheren Menschenrechts- und Umweltrisiken verbunden sind, warnen die Autoren des Gutachtens. Wichtig sei deshalb, Sanktionen auf zielgerichtete und substantielle Gesetzesverstöße auszurichten. Zudem sollte der Staat auch positive Anreize setzen, wie etwa durch Projektförderungen und Preise sowie durch Vorteile in öffentlichen Vergabeverfahren, fordert der WBAE.
Um zu verhindern, dass sich Unternehmen aus Ländern oder Regionen zurückziehen, die höhere Menschenrechts- und Umweltrisiken bergen, hält der WBAE außerdem einen intensiven Dialog mit internationalen Handelspartnern und bessere Unterstützungsmaßnahmen für erforderlich. Dies sei auch im Sinne des Prinzips “Befähigung statt Rückzug”. Denn ein Rückzug von Unternehmen sei zwar die einfachste Lösung, löse aber nicht die zugrundeliegenden Menschenrechts- und Umweltprobleme in der Produktion, so die Autorin des Gutachtens Christine Wieck.
Um zu sehen, ob die Gesetze ihre anvisierten Ziele erreichen, ob es zu negativen Auswirkungen oder zu Umsetzungsproblemen kommt, sei es zudem wichtig, dass sowohl ein begleitendes Monitoring aufgebaut, als auch eine Wirkungsüberprüfung eingeplant werde, so Wieck weiter. Beides ist im LkSG bislang nicht explizit vorgesehen. Beim Monitoring und bei der Wirkungsprüfung der Gesetze gelte es zudem, eine Zusammenarbeit mit den Handelspartnern anzustreben. “Von dem Erfahrungswissen der Akteure vor Ort können diese Prozesse nur profitieren”, ist sich Wieck sicher.
Mit Blick auf die Verhandlungen zur CSDDD mahnt Achim Spiller schon jetzt: “Die größte Lücke entsteht dann, wenn am Schluss nur die EU solche Sorgfaltspflichten einführen würde. Dann käme es nämlich zu Marktspaltungen.” Das heißt: Die “gute” Ware gehe in die EU, die “schlechte mit Kinderarbeit” in andere Regionen der Welt, prognostiziert Spiller. Es sei also zentral, dass sich die EU um die Verbreitung des Ansatzes in möglichst vielen wichtigen Handelsregionen dieser Welt bemühe.
Zur Erinnerung: Das deutsche Lieferkettengesetz, das seit Jahresbeginn 2023 für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden gilt, verpflichtet Firmen dazu, ihre eigenen Arbeitsprozesse und Lieferketten auf Verstöße gegen Menschenrechte sowie auf Umwelt- und Arbeitsschutz zu durchleuchten. Zudem sind die Unternehmen angehalten, Maßnahmen zu definieren, um diese Risiken einzudämmen. Ab 2024 gilt das Regelwerk bereits für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden.
Das EU-Lieferkettengesetz sieht nach den Plänen der Kommission vor, dass in der EU ansässige Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden und einem Nettojahresumsatz ab 150 Millionen Euro die Bestimmungen umsetzen müssen. Bestimmte Risikosektoren, zu denen auch die Agrarwirtschaft sowie Produzenten und Händler von Lebensmitteln zählen, sollen demnach schon ab 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Euro Umsatz unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Noch sind die Trilogverhandlungen zur CSDDD nicht abgeschlossen. Aller Voraussicht nach werden die Regelungen der CSDDD aber weit über die des LkSG hinausgehen.