es gibt in Brüssel den aus der französischen Sprache kommenden Begriff “la rentrée”. Frei übersetzt heißt das soviel wie “Back-to-school”. Und das ist diese Woche in Brüssel Programm. Die EU-Hauptstadt erwacht so langsam aus dem Sommerschlaf und der politische Betrieb nimmt wieder Fahrt auf.
Traditionell markiert die Rede zur Lage der Union der EU-Kommissionspräsidentin den politischen Auftakt nach der parlamentarischen Sommerpause. Ursula von der Leyen wird in zwei Wochen die im Brüsseler Jargon als SOTEU bekannte Rede halten, auch wenn diese Woche bereits die ersten Ausschusssitzungen stattfinden.
Der Umweltausschuss im Europäischen Parlament (ENVI) nimmt am heutigen Dienstag die Arbeit an mehreren schwierigen Themen wieder auf, unter anderem zum Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (NRL) und zur Richtlinie zur Reduzierung von Industrieemissionen (IED).
Morgen stimmt der EU-Agrarausschuss über seine Stellungnahme zur Zertifizierung von CO₂-Entnahmen ab und tauscht sich außerdem mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit über Pflanzenschutzmittel und die Risikobewertung zu Glyphosat aus.
Am Donnerstag findet zudem ein “Meinungsaustausch” zwischen dem Agri-Ausschuss des Europäischen Parlaments und Agri-Kommissar Janusz Wojciechowski zum Abkommen über den Export von Getreide über das Schwarze Meer und die Situation auf den Märkten statt.
Am Sonntag kommt es schließlich zu einem zweitägigen informellen Treffen der EU-Agrarminister in der spanischen Stadt Córdoba, da Spanien noch bis Ende Dezember die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Hier sind zwei Arbeitssitzungen geplant: in der einen soll es um die “Rolle neuer Technologien für eine nachhaltigere und widerstandsfähigere Landwirtschaft” gehen, die andere widmet sich den neuen Gen-Editing-Techniken.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen “une bonne rentrée” und eine angenehme Lektüre.
Den Green Deal vor der Europawahl im kommenden Jahr abzuschließen, könnte schwieriger werden als gedacht. Insbesondere der Weggang von Ex-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, der den Brüsseler Betrieb verlassen hatte, um als Spitzenkandidat in den niederländischen Wahlkampf zu ziehen, verlangsamt die Prozesse auf EU-Ebene. Schließlich galt Timmermans nicht nur als Wegbereiter des Green Deals, sondern auch als dessen lautester Fürsprecher.
Immer wieder hatte der ehemalige Kommissionsvizepräsident den Green Deal mit aller Kraft verteidigt, wodurch er für seine Kritiker zunehmend zu einem roten Tuch geworden war, besonders in der Europäischen Volkspartei (EVP). Der Konflikt entlud sich beim Renaturierungsgesetz, das die EVP zu verhindern suchte – letztlich ohne Erfolg. Der Text wurde schließlich mit einer knappen Mehrheit vom Europäischen Parlament verabschiedet, jedoch in einer deutlich abgeschwächten Version.
Der hochumstrittene Gesetzesvorschlag steht nun erneut auf der Tagesordnung des Umweltausschusses des EU-Parlaments (ENVI). Am heutigen Dienstag nimmt dieser seine Arbeit wieder auf. Ebenfalls auf der Tagesordnung steht die mindestens genauso umstrittene Verordnung zur Reduzierung von Industrieemissionen (IED), mit der die EU-Kommission den Schadstoffausstoß von Industrieanlagen eindämmen will, einschließlich großer Viehzuchtbetriebe.
Vertreter des Europäischen Parlaments und des Rates sollen hier am 10. Oktober und am 28. November zu einem abschließenden Trilog unter der Aufsicht der Kommission zusammenkommen. Die technischen Teams werden sich ihrerseits etwa 20 Mal treffen, um die Kompromisse vorzubereiten. Zur Erinnerung: Der Rat will die Anzahl der Betriebe, die von der neuen Richtlinie betroffen sein werden, begrenzen. Das Parlament spricht sich für die Beibehaltung des Status quo aus, damit Rinderzuchtbetriebe aus dem Geltungsbereich des Textes herausgehalten werden.
Und es wird noch ein weiterer strittiger Vorschlag in den kommenden Wochen und Monaten in Brüssel verhandelt – die Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR). Die Kommission will mit der Pestizidverordnung den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbieren sowie ökologisch besonders bedenkliche Pestizide komplett untersagen.
Das umstrittene Gesetz, das bereits Monate später als ursprünglich geplant eingebracht wurde, hat weitere Verzögerungen erfahren, hinter denen Aktivisten und grüne Abgeordnete ein taktisches Manöver vermuten. Da die Abstimmungen in den parlamentarischen Ausschüssen um mehrere Monate verschoben wurden und der Rat erst kürzlich eine zusätzliche Folgenabschätzung von der Kommission erhalten hat, besteht Grund zur Annahme, dass das Gesetz nicht mehr rechtzeitig vor den Wahlen ratifiziert werden kann.
In diesem zeitlichen angespannten Kontext hat die spanischen EU-Ratspräsidentschaft die Agrar-Experten der EU-27 für den 14. September zum ersten technischen Treffen über die Verordnung einberufen. Laut Tagesordnung werden die Vertreter der Staaten zunächst die zusätzliche Studie über die Auswirkungen der SUR-Verordnung diskutieren, die Anfang Juli von der Kommission veröffentlicht wurde. Danach werden sie sich erneut mit dem Verbot von Pestiziden in sensiblen Gebieten befassen. Dieser Punkt, einer der umstrittensten des Textes, war seit Ende 2022 nicht mehr Gegenstand der Verhandlungen im Rat.
Dabei ruft Spanien die Staaten dazu auf, über den Kompromissvorschlag abzustimmen, den die Exekutive im November letzten Jahres übermittelt hatte. Bisher plant Madrid vier Sitzungen der Arbeitsgruppe zur SUR-Verordnung, schließt aber nicht aus, bei Bedarf weitere Sitzungen einzuberufen.
Geplant war bislang außerdem, dass die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Gesetz über nachhaltige Lebensmittelsysteme im dritten Quartal 2023 vorlegen wird. Ursprünglich als übergreifende Gesetzgebung für die “Farm to Fork”-Strategie – die Agrar- und Lebensmittelkomponente des Green Deal – angekündigt, befürchten Umweltschützer hier allerdings, dass sich der Vorschlag am Ende stärker auf die Lebensmittelsicherheit konzentrieren könnte.
Anfang Juli schlug die Kommission vor, die EU-Vorschriften für neue genomische Techniken (NGTs) zu lockern. Der Begriff wird für wissenschaftliche Methoden zur Veränderung bestimmter Merkmale von Nutzpflanzen verwendet. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese umstrittene Initiative zur Grünen Gentechnik noch vor den Wahlen zum Abschluss gebracht wird.
Denn obwohl das Thema für die spanische Ratspräsidentschaft Priorität hat, gibt es Widerstand vonseiten der europäischen Grünen, mehrerer Mitgliedsstaaten sowie des EU-Bio-Sektors. Der NGT-Vorschlag ist Teil eines umfassenderen Pakets der Kommission, das unter anderem ein Gesetz zur Bodenüberwachung und eine Überarbeitung des Rahmens für die Saatgutvermarktung umfasst, die nun beide unter einem ähnlich engen Zeitplan stehen.
Eine Einigung über die Bodenüberwachungsinitiative könnte jedoch leichter zu erzielen sein, da der von der EU-Exekutive vorgelegte Entwurf bereits viel weniger ehrgeizig ist als das ursprünglich vorgesehene “Bodengesundheitsgesetz”.
Die erste Phase der Überarbeitung der Tierschutzvorschriften – die Qualitätskontrolle durch den Ausschuss für Regulierungskontrolle (RSB) – wurde derweil erfolgreich abgeschlossen. Nun schaltet sich Paris ein: Marc Fesneau, der französische Landwirtschaftsminister, veröffentlichte am 9. August eine Erklärung, in der er seine roten Linien festlegt sowie einige Vorschläge für das zukünftige Gesetzespaket macht. Frankreich fordert die Kommission unter anderem dazu auf, für eine Harmonisierung der Texte innerhalb der EU zu sorgen. Das Ministerium plädiert außerdem dafür – wie übrigens auch die Kommission – die Tierschutzkennzeichnung nur auf freiwilliger Basis erfolgen zu lassen.
Frankreichs Landwirtschaftsminister sprach sich für die Begleitung der Branchen beim Ausstieg aus der Käfighaltung aus und versicherte letzte Woche vor französischen Medien, dass Frankreich und Deutschland Gespräche führen, um zu gemeinsamen Positionen zu gelangen. Es komme für Frankreich dabei jedoch nicht infrage, dem Beispiel Berlins zu folgen, was das Verbot von Lebendausfuhren in Drittländer angehe, so Marc Fesneau. Das Thema bleibe für Paris eine rote Linie.
Was den Zeitplan in Brüssel betrifft, sollen die Vorschläge im Oktober oder November vorgelegt werden, können damit aber nicht mehr vor der Europawahl im kommenden Jahr abgestimmt werden.
Das Gremium unter Leitung des CDU-Mannes und ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert kündigte bereits in der Vergangenheit an, das Handtuch zu werfen, sollte die Ampelkoalition nicht deutlich mehr Fördergelder in den Umbau der Tierhaltung stecken. Die Chancen auf Konsens im Ampelbündnis diesbezüglich waren aber nie groß. Auf eine mögliche Auflösung vorbereitet, fiel der Widerstand im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) entsprechend gering aus, als die Borchert-Kommission vergangene Woche diesen Schritt ging. Im Anschluss an die abschließende Sitzung der Mitglieder des Kompetenznetzwerks im BMEL ließ Ressortchef Cem Özdemir schlicht seinen Dank verkünden – keine Worte des Bedauerns.
Den Kern der Kritik des Gremiums, das seine Empfehlungen für den Umbau der Nutztierhaltung Anfang 2020 vorgestellt hatte, bringt Professor Folkhard Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts auf den Punkt: “Mit der aktuellen finanziellen Förderung bleibt der Transformationseffekt für die Schweinemast in Deutschland gering. Lediglich Mastbetriebe, die bereits in Ställe mit höherem Tierwohl investiert haben, profitieren.” Das Anliegen der Borchert-Kommission sei aber immer gewesen, klassische konventionelle Betriebe mit Warmstall und Spaltenboden zur Transformation zu bewegen. Mit einem höheren Haushaltsbudget und einer langfristigen, vertraglich fixierten Tierwohlprämie, die Verbraucher in Form einer Abgabe auf tierische Produkte zahlen, hätte dieses Ziel im Sinne der Borchert-Kommission erreicht werden können, erläutert Isermeyer.
Nach Empfehlungen der Borchert-Kommission gibt es drei Optionen, an der Ladentheke mehr Geld für tierische Produkte und den Stallumbau einzunehmen. Dazu zählen eine Sonderabgabe Tierwohl, eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte sowie eine Anhebung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf tierische Produkte von 7 auf 19 Prozent. Die Expertenkommission plädierte für eine mengenbezogene Tierwohlabgabe, die in Form einer Verbrauchssteuer umgesetzt werden könnte.
Dass in dieser Legislatur noch eine Tierwohlabgabe von der Ampelkoalition eingeführt werden wird, damit ist allerdings nicht zu rechnen. An der FDP beißen sich Befürworter solch einer Abgabe nach wie vor die Zähne aus. Beobachter analysieren darüber hinaus, dass es auch in den Reihen der Grünen Skeptiker an einer “Subventionierung” der Tierhaltung gibt. Besonders unter Fürsprechern einer Förderung von pflanzenbasierter Ernährung, die Investitionen in diesen Trend bevorzugen würden.
Vorbehalte gegenüber den Empfehlungen der Borchert-Kommission hatte beispielsweise Grünen-Politikerin Renate Künast. Sie honoriere zwar deren “anerkennenswerte große” Leistung, einen Konsens erarbeitet zu haben; die Beratung sei sehr gut, gerade bei den Details der Haltung. “Mich persönlich hat deren Vorschlag aber nicht überzeugt, nur eine Kennzeichnung auf freiwilliger Basis einzuführen und bis ins Jahr 2040 kaum rechtliche Änderungen am gesetzlichen Standard vorzunehmen”, kritisiert die agrar- und ernährungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Bislang bleibt die finanzielle Ausstattung für die Transformation aus Sicht der Borchert-Kommission dürftig. Die Bundesregierung investiert im Zeitraum von 2023 bis 2026 eine Milliarde Euro, um den Umbau in der Tierhaltung zu finanzieren. Das umfasst einerseits einen degressiv gestaffelten Investitionskostenzuschuss zwischen 50 Prozent und 60 Prozent für notwendige Baumaßnahmen. Andererseits beinhaltet es einen ebenfalls degressiv gestaffelten Zuschuss zwischen 70 Prozent und 80 Prozent zu den laufenden Mehrkosten für zehn Jahre.
Die Bundesregierung habe sich damit zwar verpflichtet, über die Legislatur hinaus Mehrkosten zu bezuschussen, sagt Isermeyer. Aber verteilt über einen Zehnjahreszeitraum schrumpfe der jährliche Förderbetrag aus der Tierwohlmilliarde eben auf einen kleinen Millionenbetrag.
Für die anstehenden Haushaltsverhandlungen im Bundestag kündigt Özdemir an, eine “dauerhafte Finanzierung nach Kräften” zu unterstützen. Auch Künast betont: “Bei der langfristigen Finanzierung steht ein Konsens in der Ampelkoalition leider noch aus. Diese muss aber kommen.” Rückenwind für eine bessere finanzielle Ausstattung hätten einzelne Mitglieder aus der Borchert-Kommission weiterhin gerne gegeben. “Die Borchert-Kommission könnte insbesondere Bundesfinanzminister Christian Lindner und die FDP-Fraktion daran erinnern, den Umbau nicht weiter auf Kosten der Landwirtinnen und Landwirte zu blockieren”, sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz und Teil der Borchert-Kommission. Umso bedauerlicher sei es, dass die Kommission sich mit der Auflösung ihrer Möglichkeiten zur Einflussnahme selbst beraubt habe.
Der Frust innerhalb der Borchert-Kommission rührte auch daher, dass die Ampelkoalition eine Entscheidung zur Tierwohlabgabe offensichtlich auf die lange Bank schiebt. Denn Pro und Kontra der verschiedenen Optionen sind längst bekannt. Bereits unter Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die das Kompetenznetzwerk ins Leben rief, hatte das Agrarressort eine Machbarkeitsstudie zu den möglichen Finanzierungsinstrumenten in die Hände von Rechtsanwälten gegeben. Vor dem Hintergrund, dass das Für und Wider zu Finanzierungsinstrumenten längst bekannt ist, entsteht der Eindruck, dass die Ampelfraktionen sich den Ball gegenseitig zuspielen, um das Verkünden eines Scheiterns zu vermeiden. Für die Borchert-Kommission scheint dieser Punkt nun aber nach fast zweijähriger Regierungszeit gekommen zu sein.
Aussicht auf Einigung innerhalb der Ampelkoalition gibt es aktuell nur in puncto Erweiterung der Tierhaltungskennzeichnung – zum Beispiel auf die Gastronomie und verarbeitete Produkte sowie auf weitere Tierarten. Zunächst sollen Kriterien für die Ferkelerzeugung und im Anschluss für die Rinderhaltung folgen.
Klaus Kunkemöller ist kein Mann großer Worte. Der Exportleiter beim Anlagehersteller Riela beantwortet Fragen meist mit wenigen Sätzen, manchmal einsilbig mit Ja oder Nein. Dabei hat er Spannendes zu erzählen. Er leitet beim Mittelständler Riela in Hörstel bei Münster den Vertrieb in Afrika und verkauft Maisrebler, Siebreiniger und Lagerungssilos, also verschiedenste Anlagen, mit denen sich Feldfrüchte reinigen, trocknen und lagern lassen.
Für afrikanische Staaten sind solche Anlagen von großer Bedeutung. Das sogenannte African Postharvest Losses Information System zeigt, dass auf dem Kontinent in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt ein Fünftel der Maisernte verloren ging, bevor sie bei den Kunden ankam. Falsche Lagerung und falscher Transport sind wichtige Ursachen dafür, weshalb Agrarprodukte verderben. Werden sie vor der Lagerung nicht gereinigt, faulen sie oder werden von Schädlingen befallen. Viele Institutionen arbeiten an Lösungen, auch die Afrikanische Union. Im September richtet diese zum vierten Mal einen panafrikanischen Kongress zu diesem Thema aus.
Geht es nach Kunkemöller, sollen ein Teil der Lösung Riela-Anlagen aus dem Teutoburger Wald sein. Das Unternehmen ist bisher vor allem in Osteuropa aktiv. “Und weil das Geschäft dort damals gut lief, haben wir vor fast zehn Jahren angefangen, neue Märkte in den Blick zu nehmen: vor allem Afrika”, sagt der Exportleiter.
Die Landwirtschaft sei für den Kontinent wichtig. Die Konkurrenz durch andere Anlagenbauer ist relativ gering, auch wenn Wettbewerber aus China, Indien und der Türkei stärker werden. Der Bedarf für großformatige Anlagen wachse, je stärker sich die Landwirtschaft vor Ort industrialisiere.
Wie andere deutsche Unternehmen steht auch der Mittelständler vor der Frage, wie man den Vertrieb auf dem Kontinent am besten angeht. Das Messewesen im Bereich Landwirtschaft stehe erst am Anfang, sagt Kunkemöller. In vielen Ländern gebe es, wenn überhaupt, nur kleine, regionale Events. Nationale Veranstaltungen wie die jährliche Messe Agrofood Nigeria blieben die Ausnahme. “Das gibt der Markt in vielen Ländern südlich der Sahara noch nicht her”, sagt der Exportleiter. “Das industrielle Niveau der Landwirtschaft in afrikanischen Staaten lässt sich in etwa mit der Landwirtschaft in Deutschland in den 50- oder 60er-Jahren vergleichen.”
Für Riela bedeutet das: Obwohl der Bedarf groß ist und steigt, ist der Markt kleinteilig. Will Kunkemöller ein neues Land erschließen, nimmt er zunächst an einer Markterschließungsreise teil oder besucht auf eigene Initiative kleine Veranstaltungen vor Ort. Dort knüpft er am liebsten Kontakte zu Genossenschaften. Die sind nämlich die spannenden Kunden für Riela: Für einzelne Landwirte sind die Anlagen in der Regel zu groß und zu teuer.
Steht der erste Kontakt, lädt Kunkemöller potentielle Kunden und Regierungsvertreter nach Deutschland ein. Sein Unternehmen betreibt am Sitz in Hörstel eine Ausstellungshalle, in der er die Maschinen zeigen kann. Neben der Technik sei der Service ein wichtiger Aspekt im Verkauf, sagt der Manager. Dafür betreibt Riela großen Aufwand: “Wir beraten die Kunden, wir schulen das Personal vor Ort, und wir empfehlen ihnen Partner aus unserem Netzwerk, falls sie Equipment brauchen, das wir nicht verkaufen.” Reine Nettigkeit ist das nicht: Der Service ist ein wichtiges Argument, um sich von günstigeren Anbietern aus China oder Indien zu unterscheiden.
Zur Unterstützung des Afrika-Geschäfts brauche es bessere Exportkreditgarantien des Bundes für die Region, sagt Klaus Kunkemöller. Das fordert auch der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft immer wieder. Außerdem müsse die Visavergabe für Geschäftsreisende aus Afrika schneller werden, sagt der Manager. “Es gibt Kunden, die der komplizierte Vergabeprozess abschreckt. Die kommen gar nicht erst.”
Sind die Kunden aber erst einmal in Hörstel, steigen die Chancen für einen Verkauf. Stehen die Anlagen dann vor Ort, fragt Kunkemöller die Betreiber, ob sie mit Riela einen Tag der Offenen Tür ausrichten wollen. So können andere Genossenschaften die Anlagen besichtigen. “Manche Kunden machen das, andere scheuen die Konkurrenz”, sagt er. “Aber nachzufragen, ob ein solches Event möglich ist, lohnt sich auf alle Fälle.”
Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?
Mit dem Grünen Deal und der Farm-to-Fork-Strategie hat Europa ein wesentliches Signal in Richtung sozial-ökologische Zukunft gesetzt. Was wir jetzt brauchen, ist eine engagierte Umsetzung dieser visionären Ziele. Das beinhaltet eine Agrarpolitik, die nicht auf Subventionen nach dem Gießkannenprinzip setzt, sondern Prozessorientierung, Biodiversität und Regionalität in den Fokus rückt. Das beinhaltet eine Politik, die ökologisch ausgerichteten Unternehmen eine Perspektive bietet. Eine solche Agrar- und Ernährungspolitik sollte zudem positive Anreize für die Menschen in Europa schaffen, ihren Lebensstil auf eine nachhaltigere Ernährung umzustellen. Bio kann hier eine Schlüsselrolle spielen, denn das Bio-Konzept ist prozessorientiert und steht für einen achtsamen Umgang mit unserer Umwelt und unserer Ernährung.
Für wie wichtig halten Sie Bio?
Bio bedeutet Zukunft! Bio steht für leckeres, vielfältiges Essen aus einer ressourcenschonenden Landwirtschaft, die Bodenleben und Artenvielfalt achtet und die sorgsam mit Wasser und Klima umgeht. Bio steht für eine schonende Verarbeitung der landwirtschaftlichen Rohstoffe mit so wenig Zutaten wie möglich, für vielfältige Handelsstrukturen und die Unterstützung kleiner und mittelständischer Betriebe. Bio ist entlang der gesamten Prozesskette gesetzlich geregelt und bietet damit ein einmaliges rechtliches Instrument, das uns den Weg zu einem nachhaltigen Europa ebnet.
Müssen wir unsere Essgewohnheiten ändern?
Wir dürfen sie ändern. Das wird richtig gut, weil wir mit einem nachhaltigeren Ernährungsstil auch unserer Vitalität etwas Gutes tun! Und die gute Nachricht ist: viele junge Menschen ernähren sich bereits sehr bewusst und legen Wert auf klimafreundliches Essen. Das beinhaltet eine pflanzenbasierte Ernährung, die bestenfalls so natürlich wie möglich ist und wenig Zusatzstoffe enthält. Vegane Chemiebaukästen bilden da keine sinnvolle Alternative – es gibt sehr gute vegane Produkte, die ohne lange Zutatenliste auskommen, auch in Bioqualität. Aber auch hochwertige tierische Produkte dürfen auf unserem Speiseplan stehen, denn Tiere auf dem Hof helfen uns, im Kreislauf zu wirtschaften und unterstützen ein fruchtbares Bodenleben. Wichtig ist, dass wir achtsam mit unserer Gesundheit und unserer gesamten Umwelt umgehen. Die Art, wie wir uns ernähren, kann das wesentlich unterstützen – das ist doch eine sehr gute Nachricht für uns alle, die wir unsere Zukunft gestalten wollen.
Seit 2015 ist die studierte Medien- und Literaturwissenschaftlerin Anne Baumann bei der Assoziation ökologischer Lebensmittelherstellerinnen und -Hersteller (AöL) für die Personalbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit zuständig, seit 2023 ist sie stellvertretende Geschäftsführerin. Sie stammt aus einer Bauernfamilie in Thüringen und engagiert sich im Verein für Kultur- und Umweltbildung in Fulda.
Die Getreideernte in Deutschland wird 2023 schlechter ausfallen als in den vergangenen Jahren. Das hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özedmir bei der Vorstellung des diesjährigen Ernteberichts in Aussicht gestellt. Mit erwarteten 42,23 Tonnen dürften die Erträge – Körnermais eingerechnet – um rund drei Prozent niedriger sein als im Vorjahr und um 1,4 Prozent geringer als der Fünfjahresmittelwert, heißt es im Erntebericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Insgesamt rechnet Özdemir aber mit einer durchschnittlichen Ernte. Das deckt sich mit der Prognose des Deutschen Raiffeisenverbandes und liegt leicht über den Erwartungen, die der Deutsche Bauernverband (DBV) vergangene Woche abgegeben hatte. DBV-Präsident Joachim Rukwied hatte mit Blick auf die Getreideernte von einer “echten Zitterpartie” gesprochen.
Beim Winterweizen, Deutschlands wichtigste Getreidekultur, schrumpfte die Erntemenge laut Prognose des BMEL im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent auf fast 21 Millionen Tonnen. Die Winterrapsernte ging gegenüber dem guten Vorjahresergebnis um drei Prozent auf fast 4,2 Millionen Tonnen zurück. Mit Blick auf Eiweißpflanzen berichtete Özdemir von einer deutlichen Ausweitung des Anbaus in diesem Jahr. Ohne belastbare Schätzungen bei dieser Pflanzengruppe vorliegen zu haben, geht das BMEL hier davon aus, dass lange Trockenphasen im Frühsommer und der kalte, nasse Juli die Erträge geschmälert haben.
Als Hauptgrund für die magere Getreideernte nannte Özdemir starke Niederschläge während der Erntezeit, unter denen vor allem der Weizen gelitten habe. “Extremwetter als Folgen der Klimakrise machen unsere Ernten immer stärker zu einem Lotteriespiel”, sagte der Landwirtschaftsminister. Auf einen zunächst regenreichen und dann trockenen Frühling folgte ein erst sehr trockener und dann sehr regnerischer Sommer. Verschiedene Regionen Deutschlands waren davon unterschiedlich stark betroffen. Insbesondere Brandenburg sei sehr trockenheitsanfällig, hieß es aus dem BMEL. Dort und im Saarland erwartet das Ministerium so denn auch die stärksten Rückgänge bei der Getreideernte.
Buchstäblich im Regen stehen lassen, will Özdemir die Landwirte aber nicht. “Das neue Normal der Wetterextreme verlangt ein neues Normal des Regierens”, so Özdemir. Es müsse jetzt in eine klimafeste Landwirtschaft investiert werden. Als Instrumente in diesem Prozess nannte der Bundeslandwirtschaftsminister unter anderem die Nationale Wasserstrategie, die sein Ministerium im März auf den Weg gebracht hat und ein millionenschweres Humusprojekt, das das BMEL fördert. “Der diesjährige Regensommer zeigt das andere Gesicht der Klima- und Naturkrise, die unsere Lebensmittelproduktion schon heute vor große Herausforderungen stellt”, kommentierte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger den Erntebericht. Es sei deshalb wichtig, die landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland naturverträglich zu nutzen und damit widerstandsfähiger gegen die Folgen der Klimakrise wie Dürren und Starkregen zu machen. heu
Hohe Erwartungen werden an Maroš Šefčovič gestellt, der nach dem Abschied von Frans Timmermans künftig die Zuständigkeit für den Green Deal übernimmt. Wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche verkündete, werde sein Fokus weniger auf neuen Gesetzesvorschlägen liegen als auf der Umsetzung der beschlossenen Vorhaben und dem Dialog mit Industrie, Bauern und Waldbesitzern.
“Wir erwarten, dass Kommissar Šefčovič den Auftrag von Kommissionspräsidentin von der Leyen ernst nimmt, jetzt den intensiven Dialog mit Landwirten und Waldbesitzern aufzunehmen”, sagt Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. Šefčovič müsse beispielsweise die Kommissionsvorschläge zur Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln noch einmal anpassen, um Landwirtschaft in ganz Europa weiterhin möglich zu machen, fordert Hemmerling.
Das Portfolio für den Green Deal gehe mit Šefčovič auf einen erfahrenen Kommissar über, kommentiert Raphael Weyland vom Naturschutzbund Deutschland. “Die bereits von der Kommission vorgelegten Gesetzesvorschläge, die noch nicht verabschiedet worden sind, muss die Kommission in den Trilogen zum Erfolg bringen, ohne dass das – aus Wissenschaftssicht ohnehin häufig nicht ausreichende – Ambitionsniveau leidet”, so Weyland weiter. Hierzu zähle unter anderem das “Nature Restoration Law” oder die Verordnung zur Reduktion von Pestiziden (SUR). Bei diesen besonders strittigen Vorhaben soll Šefčovič vermitteln. Es sei an der Zeit, den Fokus auf die Umsetzung der beschlossenen Regeln zu legen, so von der Leyen.
Der 57-jährige Diplomat Šefčovič absolviert bereits seine dritte Amtszeit in der Brüsseler Behörde. Seine guten Kontakte in die anderen EU-Institutionen könnten helfen, die Triloge zu schwierigen Dossiers wie Renaturierungsgesetz und Pestizidverordnung zu moderieren. Šefčovič wird zunächst, wie bislang Timmermans, als Exekutiv-Vizepräsident den Green Deal in der Kommission koordinieren.
Für Timmermans Nachfolge als EU-Klimakommissar wurde der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra vorgeschlagen. Der Christdemokrat ist bislang nicht durch seine Klimapolitik aufgefallen, bringt aber als ehemaliger Finanzminister der Niederlande die nötige Erfahrung mit, sich in die internationalen Klimaverhandlungen und Fragen zu Klimafinanzierung einzubringen. Seine Hauptaufgabe als Kommissar in den kommenden Monaten dürfte sein, die EU bei der UN-Klimakonferenz in Dubai (COP28) am Verhandlungstisch zu vertreten. has
Aus den Reihen von SPD und Grünen kommt der Vorschlag, den Mehrwertsteuersatz auf Milchersatzprodukte zu senken. Diese sollten künftig wie Kuhmilch mit 7 statt 19 Prozent besteuert werden, so trage man geänderten Ernährungsgewohnheiten Rechnung. “Ich kann mir sehr gut vorstellen, die Mehrwertsteuer auf Milchersatzprodukte bereits kurzfristig im Rahmen der anstehenden Verhandlungen zum Jahressteuergesetz zum 1. Januar 2024 auf sieben Prozent zu reduzieren”, sagte der Steuerexperte Tim Klüssendorf aus der SPD-Bundestagsfraktion der Zeitung “Welt am Sonntag”. Eine Anpassung der unterschiedlichen Sätze bei Grundnahrungsmitteln, wie bei Hafer- oder Sojadrinks, sei lange überfällig.
Unterstützung erhielt der SPD-Politiker vom Grünen-Abgeordneten Bruno Hönel: “Mit dem Wandel der Ernährungsgewohnheiten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist beispielsweise Pflanzen-Milch für viele eine alltägliche Alternative zu Kuhmilch geworden. Zudem ist sie klimafreundlicher“, sagte Hönel. Die steuerliche Ungleichbehandlung stoße daher zu Recht auf Unverständnis und sei inhaltlich schwer aufrechtzuerhalten. Die Verwirklichung sei jedoch “abhängig von den Haushaltsspielräumen”. dpa
Der russische Angriff auf die Ukraine hält nach den Worten von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir die Preise für viele Nahrungsmittel hoch. “Die Lebensmittelpreise bleiben ein Inflationstreiber”, sagt Özdemir und fügt hinzu: “Ganz besonders dort, wo die Produktionskosten hoch sind durch teure Energie und Betriebsmittel.” Dem Ministerium zufolge haben sich die Preise für Agrarprodukte zwar wieder normalisiert. Allerdings blieben die Kosten für Betriebsmittel wie Diesel, Dünger und Pflanzenschutzmittel über dem Vorkriegsniveau. Die höheren Kosten entlang der Wertschöpfungskette wiederum verteuerten Lebensmittel für die Verbraucher.
“Wir unterstützen die Landwirtschaft deshalb dabei, sich unabhängiger von synthetischem Dünger oder Pflanzenschutzmittel zu machen”, sagt Özdemir. “Zentral ist dabei eine Agrarförderung, die das Schützen und Nutzen im Fokus hat.” Auch weniger Tiere besser zu halten und Pflanzen nachhaltig zu schützen, müsse sich für die Höfe auszahlen. “Denn letztendlich ist es doch eine einfache Rechnung: In eine klimafeste Landwirtschaft zu investieren, macht uns unabhängiger von volatilen Weltmärkten und ist sinnvoller und günstiger als Schäden auszugleichen”, sagte der Minister.
Im Juli sind die Preise für Nahrungsmittel in Deutschland um durchschnittlich 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Die gesamte Inflationsrate liegt mit 6,2 Prozent dagegen deutlich niedriger. Vor allem mussten die Verbraucher spürbar mehr für Zucker, Marmelade, Honig und andere Süßwaren (+18,9 Prozent) bezahlen. Merklich teurer binnen Jahresfrist wurden auch Brot und Getreideerzeugnisse (+16,6 Prozent), Gemüse (+15,7 Prozent), sowie Fisch, Fischwaren und Meeresfrüchte (+14,1 Prozent). Reuters
Als im Juni zum fünften Mal der Zugabe-Preis der Körber-Stiftung verliehen wurde, war Titus Bahner einer der drei Preisträger. Der mit jeweils 60.000 Euro dotierte Preis würdigt “Sozialunternehmer:innen 60 plus” für ihre “innovativen und gesellschaftlich relevanten Gründungen“.
Im Fall des 62-jährigen Bahner ist das die Kulturland-Genossenschaft mit Sitz im wendländischen Hitzacker, die er 2014 gemeinsam mit anderen aus der Taufe gehoben hat. Ihr Ziel: möglichst viel Agrarland der grassierenden Bodenspekulation zu entziehen. Dazu kauft sie Acker-, Weide- und Waldflächen auf und stellt sie ökologisch wirtschaftenden Betrieben und neuen Projekten zur Verfügung.
Auf seiner Website hat Bahner sehr eindringlich beschrieben, was ihn zu seinem Engagement bewegt. “Meine innere Uhrzeit ist sozusagen fünf nach zwölf. Die Katastrophe liegt schon hinter uns. Jetzt geht es darum, etwas Neues aufzubauen, neue Strukturen. Die alte Welt sorgt für sich selbst. Aber die neue entsteht nur durch unser Zutun.”
Im Gespräch mit Table.Media betont Bahner, wie wichtig es für ihn ist, sich auf die Zukunft zu konzentrieren. “Ich habe mich davon verabschiedet zu glauben, ich hätte den Hebel in der Hand, um irgendwie die Welt zu retten”, sagt er. Selbstermächtigung bedeutet für ihn, “sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf das, was nach vorne geht“. Auch wenn ihm bewusst sei, “dass es ziemlich schwierig ist, etwas in die Welt zu setzen, was wirklich trägt”.
Dabei stört ihn weder, dass er nun eine Art Seniorenpreis verliehen bekommen hat, noch dass die Kulturland-Genossenschaft von der Jury mit dem hippen Begriff Start-up gelabelt wurde. Schließlich seien die vielfältigen Erfahrungen eines bewegten Lebens wichtig, um seine Arbeit heute gut zu machen. Auch klinge Start-up für ihn “ein bisschen wild und ein bisschen garagenmäßig, auch ehrenamtlich”. Und so sei es auch gewesen, als sie vor neun Jahren mit zehn Leuten angefangen hätten.
Mittlerweile zählt die bundesweit tätige Kulturland-Genossenschaft über 1.500 Mitglieder. Ihre 594 Hektar Land werden von 33 Partnerbetrieben bewirtschaftet. Die Bandbreite ist groß und reicht von der Kommune Schafhof oder dem Luzernhof in der Region Freiburg über den Landkulturhof Klein Trebbow in Mecklenburg-Vorpommern bis zur Ackerilla, einem Gemüseanbaubetrieb in Sehlis bei Leipzig. Viele von ihnen sind Projekte der Solidarischen Landwirtschaft. Das Prinzip: Mehrere Privathaushalte tragen die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebes. Im Gegenzug erhalten sie dessen Erträge.
Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Bahner hat zunächst Volkswirtschaftslehre und dann Landwirtschaft studiert. Aufgewachsen ist er nicht auf einem Bauernhof, sondern in einer Heidelberger Arztfamilie. Doch schon als Jugendlicher beschäftigte ihn die Frage, “warum die Menschen mit der Erde so umgehen, als hätten sie noch eine zweite im Kofferraum”.
Dazu kam “eine große Liebe zu den wilden Tieren und Pflanzen”. Das trägt bis heute und hat ihn mit Anfang 30 schließlich ins Wendland geführt. “Die Elbe vor der Haustür, Rotmilan, Kranich, Seeadler, der Weißstorch. Und eine bunte Gemeinschaft der unterschiedlichsten Menschen, mit denen sich das wunderbar leben lässt.” Seine Brötchen verdient er seit 1996 als selbstständiger Berater und Projektentwickler im ländlichen Raum in Norddeutschland und im europäischen Ausland.
Es hätte auch anders kommen können. Denn nach der Schule zog es Bahner zunächst als Straßenmusikant in die weite Welt. Eine Karriere als Berufsmusiker wäre wohl möglich gewesen, wurde dann aber verworfen. Stattdessen saß er “oft genug mit dem Akkordeon auf den Gleisen” und machte Musik für den Anti-Atom-Widerstand. Und auch heute noch ist ihm die Musik sehr wichtig: “Das ist der Ausgleich, der oft zu kurz kommt.” Bei der diesjährigen Kulturellen Landpartie, dem Großereignis im ansonsten eher strukturschwachen Wendland, hat es Bahner mit seiner Band Djervani immerhin auf fünf Auftritte gebracht. “Weltmusik mit Widerstandsgedanken”, schrieb die lokale Elbe-Jeetzel-Zeitung einmal. Passt irgendwie. Carsten Hübner
es gibt in Brüssel den aus der französischen Sprache kommenden Begriff “la rentrée”. Frei übersetzt heißt das soviel wie “Back-to-school”. Und das ist diese Woche in Brüssel Programm. Die EU-Hauptstadt erwacht so langsam aus dem Sommerschlaf und der politische Betrieb nimmt wieder Fahrt auf.
Traditionell markiert die Rede zur Lage der Union der EU-Kommissionspräsidentin den politischen Auftakt nach der parlamentarischen Sommerpause. Ursula von der Leyen wird in zwei Wochen die im Brüsseler Jargon als SOTEU bekannte Rede halten, auch wenn diese Woche bereits die ersten Ausschusssitzungen stattfinden.
Der Umweltausschuss im Europäischen Parlament (ENVI) nimmt am heutigen Dienstag die Arbeit an mehreren schwierigen Themen wieder auf, unter anderem zum Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (NRL) und zur Richtlinie zur Reduzierung von Industrieemissionen (IED).
Morgen stimmt der EU-Agrarausschuss über seine Stellungnahme zur Zertifizierung von CO₂-Entnahmen ab und tauscht sich außerdem mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit über Pflanzenschutzmittel und die Risikobewertung zu Glyphosat aus.
Am Donnerstag findet zudem ein “Meinungsaustausch” zwischen dem Agri-Ausschuss des Europäischen Parlaments und Agri-Kommissar Janusz Wojciechowski zum Abkommen über den Export von Getreide über das Schwarze Meer und die Situation auf den Märkten statt.
Am Sonntag kommt es schließlich zu einem zweitägigen informellen Treffen der EU-Agrarminister in der spanischen Stadt Córdoba, da Spanien noch bis Ende Dezember die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Hier sind zwei Arbeitssitzungen geplant: in der einen soll es um die “Rolle neuer Technologien für eine nachhaltigere und widerstandsfähigere Landwirtschaft” gehen, die andere widmet sich den neuen Gen-Editing-Techniken.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen “une bonne rentrée” und eine angenehme Lektüre.
Den Green Deal vor der Europawahl im kommenden Jahr abzuschließen, könnte schwieriger werden als gedacht. Insbesondere der Weggang von Ex-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, der den Brüsseler Betrieb verlassen hatte, um als Spitzenkandidat in den niederländischen Wahlkampf zu ziehen, verlangsamt die Prozesse auf EU-Ebene. Schließlich galt Timmermans nicht nur als Wegbereiter des Green Deals, sondern auch als dessen lautester Fürsprecher.
Immer wieder hatte der ehemalige Kommissionsvizepräsident den Green Deal mit aller Kraft verteidigt, wodurch er für seine Kritiker zunehmend zu einem roten Tuch geworden war, besonders in der Europäischen Volkspartei (EVP). Der Konflikt entlud sich beim Renaturierungsgesetz, das die EVP zu verhindern suchte – letztlich ohne Erfolg. Der Text wurde schließlich mit einer knappen Mehrheit vom Europäischen Parlament verabschiedet, jedoch in einer deutlich abgeschwächten Version.
Der hochumstrittene Gesetzesvorschlag steht nun erneut auf der Tagesordnung des Umweltausschusses des EU-Parlaments (ENVI). Am heutigen Dienstag nimmt dieser seine Arbeit wieder auf. Ebenfalls auf der Tagesordnung steht die mindestens genauso umstrittene Verordnung zur Reduzierung von Industrieemissionen (IED), mit der die EU-Kommission den Schadstoffausstoß von Industrieanlagen eindämmen will, einschließlich großer Viehzuchtbetriebe.
Vertreter des Europäischen Parlaments und des Rates sollen hier am 10. Oktober und am 28. November zu einem abschließenden Trilog unter der Aufsicht der Kommission zusammenkommen. Die technischen Teams werden sich ihrerseits etwa 20 Mal treffen, um die Kompromisse vorzubereiten. Zur Erinnerung: Der Rat will die Anzahl der Betriebe, die von der neuen Richtlinie betroffen sein werden, begrenzen. Das Parlament spricht sich für die Beibehaltung des Status quo aus, damit Rinderzuchtbetriebe aus dem Geltungsbereich des Textes herausgehalten werden.
Und es wird noch ein weiterer strittiger Vorschlag in den kommenden Wochen und Monaten in Brüssel verhandelt – die Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR). Die Kommission will mit der Pestizidverordnung den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbieren sowie ökologisch besonders bedenkliche Pestizide komplett untersagen.
Das umstrittene Gesetz, das bereits Monate später als ursprünglich geplant eingebracht wurde, hat weitere Verzögerungen erfahren, hinter denen Aktivisten und grüne Abgeordnete ein taktisches Manöver vermuten. Da die Abstimmungen in den parlamentarischen Ausschüssen um mehrere Monate verschoben wurden und der Rat erst kürzlich eine zusätzliche Folgenabschätzung von der Kommission erhalten hat, besteht Grund zur Annahme, dass das Gesetz nicht mehr rechtzeitig vor den Wahlen ratifiziert werden kann.
In diesem zeitlichen angespannten Kontext hat die spanischen EU-Ratspräsidentschaft die Agrar-Experten der EU-27 für den 14. September zum ersten technischen Treffen über die Verordnung einberufen. Laut Tagesordnung werden die Vertreter der Staaten zunächst die zusätzliche Studie über die Auswirkungen der SUR-Verordnung diskutieren, die Anfang Juli von der Kommission veröffentlicht wurde. Danach werden sie sich erneut mit dem Verbot von Pestiziden in sensiblen Gebieten befassen. Dieser Punkt, einer der umstrittensten des Textes, war seit Ende 2022 nicht mehr Gegenstand der Verhandlungen im Rat.
Dabei ruft Spanien die Staaten dazu auf, über den Kompromissvorschlag abzustimmen, den die Exekutive im November letzten Jahres übermittelt hatte. Bisher plant Madrid vier Sitzungen der Arbeitsgruppe zur SUR-Verordnung, schließt aber nicht aus, bei Bedarf weitere Sitzungen einzuberufen.
Geplant war bislang außerdem, dass die EU-Kommission ihren Vorschlag für ein Gesetz über nachhaltige Lebensmittelsysteme im dritten Quartal 2023 vorlegen wird. Ursprünglich als übergreifende Gesetzgebung für die “Farm to Fork”-Strategie – die Agrar- und Lebensmittelkomponente des Green Deal – angekündigt, befürchten Umweltschützer hier allerdings, dass sich der Vorschlag am Ende stärker auf die Lebensmittelsicherheit konzentrieren könnte.
Anfang Juli schlug die Kommission vor, die EU-Vorschriften für neue genomische Techniken (NGTs) zu lockern. Der Begriff wird für wissenschaftliche Methoden zur Veränderung bestimmter Merkmale von Nutzpflanzen verwendet. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass diese umstrittene Initiative zur Grünen Gentechnik noch vor den Wahlen zum Abschluss gebracht wird.
Denn obwohl das Thema für die spanische Ratspräsidentschaft Priorität hat, gibt es Widerstand vonseiten der europäischen Grünen, mehrerer Mitgliedsstaaten sowie des EU-Bio-Sektors. Der NGT-Vorschlag ist Teil eines umfassenderen Pakets der Kommission, das unter anderem ein Gesetz zur Bodenüberwachung und eine Überarbeitung des Rahmens für die Saatgutvermarktung umfasst, die nun beide unter einem ähnlich engen Zeitplan stehen.
Eine Einigung über die Bodenüberwachungsinitiative könnte jedoch leichter zu erzielen sein, da der von der EU-Exekutive vorgelegte Entwurf bereits viel weniger ehrgeizig ist als das ursprünglich vorgesehene “Bodengesundheitsgesetz”.
Die erste Phase der Überarbeitung der Tierschutzvorschriften – die Qualitätskontrolle durch den Ausschuss für Regulierungskontrolle (RSB) – wurde derweil erfolgreich abgeschlossen. Nun schaltet sich Paris ein: Marc Fesneau, der französische Landwirtschaftsminister, veröffentlichte am 9. August eine Erklärung, in der er seine roten Linien festlegt sowie einige Vorschläge für das zukünftige Gesetzespaket macht. Frankreich fordert die Kommission unter anderem dazu auf, für eine Harmonisierung der Texte innerhalb der EU zu sorgen. Das Ministerium plädiert außerdem dafür – wie übrigens auch die Kommission – die Tierschutzkennzeichnung nur auf freiwilliger Basis erfolgen zu lassen.
Frankreichs Landwirtschaftsminister sprach sich für die Begleitung der Branchen beim Ausstieg aus der Käfighaltung aus und versicherte letzte Woche vor französischen Medien, dass Frankreich und Deutschland Gespräche führen, um zu gemeinsamen Positionen zu gelangen. Es komme für Frankreich dabei jedoch nicht infrage, dem Beispiel Berlins zu folgen, was das Verbot von Lebendausfuhren in Drittländer angehe, so Marc Fesneau. Das Thema bleibe für Paris eine rote Linie.
Was den Zeitplan in Brüssel betrifft, sollen die Vorschläge im Oktober oder November vorgelegt werden, können damit aber nicht mehr vor der Europawahl im kommenden Jahr abgestimmt werden.
Das Gremium unter Leitung des CDU-Mannes und ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert kündigte bereits in der Vergangenheit an, das Handtuch zu werfen, sollte die Ampelkoalition nicht deutlich mehr Fördergelder in den Umbau der Tierhaltung stecken. Die Chancen auf Konsens im Ampelbündnis diesbezüglich waren aber nie groß. Auf eine mögliche Auflösung vorbereitet, fiel der Widerstand im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) entsprechend gering aus, als die Borchert-Kommission vergangene Woche diesen Schritt ging. Im Anschluss an die abschließende Sitzung der Mitglieder des Kompetenznetzwerks im BMEL ließ Ressortchef Cem Özdemir schlicht seinen Dank verkünden – keine Worte des Bedauerns.
Den Kern der Kritik des Gremiums, das seine Empfehlungen für den Umbau der Nutztierhaltung Anfang 2020 vorgestellt hatte, bringt Professor Folkhard Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts auf den Punkt: “Mit der aktuellen finanziellen Förderung bleibt der Transformationseffekt für die Schweinemast in Deutschland gering. Lediglich Mastbetriebe, die bereits in Ställe mit höherem Tierwohl investiert haben, profitieren.” Das Anliegen der Borchert-Kommission sei aber immer gewesen, klassische konventionelle Betriebe mit Warmstall und Spaltenboden zur Transformation zu bewegen. Mit einem höheren Haushaltsbudget und einer langfristigen, vertraglich fixierten Tierwohlprämie, die Verbraucher in Form einer Abgabe auf tierische Produkte zahlen, hätte dieses Ziel im Sinne der Borchert-Kommission erreicht werden können, erläutert Isermeyer.
Nach Empfehlungen der Borchert-Kommission gibt es drei Optionen, an der Ladentheke mehr Geld für tierische Produkte und den Stallumbau einzunehmen. Dazu zählen eine Sonderabgabe Tierwohl, eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte sowie eine Anhebung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf tierische Produkte von 7 auf 19 Prozent. Die Expertenkommission plädierte für eine mengenbezogene Tierwohlabgabe, die in Form einer Verbrauchssteuer umgesetzt werden könnte.
Dass in dieser Legislatur noch eine Tierwohlabgabe von der Ampelkoalition eingeführt werden wird, damit ist allerdings nicht zu rechnen. An der FDP beißen sich Befürworter solch einer Abgabe nach wie vor die Zähne aus. Beobachter analysieren darüber hinaus, dass es auch in den Reihen der Grünen Skeptiker an einer “Subventionierung” der Tierhaltung gibt. Besonders unter Fürsprechern einer Förderung von pflanzenbasierter Ernährung, die Investitionen in diesen Trend bevorzugen würden.
Vorbehalte gegenüber den Empfehlungen der Borchert-Kommission hatte beispielsweise Grünen-Politikerin Renate Künast. Sie honoriere zwar deren “anerkennenswerte große” Leistung, einen Konsens erarbeitet zu haben; die Beratung sei sehr gut, gerade bei den Details der Haltung. “Mich persönlich hat deren Vorschlag aber nicht überzeugt, nur eine Kennzeichnung auf freiwilliger Basis einzuführen und bis ins Jahr 2040 kaum rechtliche Änderungen am gesetzlichen Standard vorzunehmen”, kritisiert die agrar- und ernährungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Bislang bleibt die finanzielle Ausstattung für die Transformation aus Sicht der Borchert-Kommission dürftig. Die Bundesregierung investiert im Zeitraum von 2023 bis 2026 eine Milliarde Euro, um den Umbau in der Tierhaltung zu finanzieren. Das umfasst einerseits einen degressiv gestaffelten Investitionskostenzuschuss zwischen 50 Prozent und 60 Prozent für notwendige Baumaßnahmen. Andererseits beinhaltet es einen ebenfalls degressiv gestaffelten Zuschuss zwischen 70 Prozent und 80 Prozent zu den laufenden Mehrkosten für zehn Jahre.
Die Bundesregierung habe sich damit zwar verpflichtet, über die Legislatur hinaus Mehrkosten zu bezuschussen, sagt Isermeyer. Aber verteilt über einen Zehnjahreszeitraum schrumpfe der jährliche Förderbetrag aus der Tierwohlmilliarde eben auf einen kleinen Millionenbetrag.
Für die anstehenden Haushaltsverhandlungen im Bundestag kündigt Özdemir an, eine “dauerhafte Finanzierung nach Kräften” zu unterstützen. Auch Künast betont: “Bei der langfristigen Finanzierung steht ein Konsens in der Ampelkoalition leider noch aus. Diese muss aber kommen.” Rückenwind für eine bessere finanzielle Ausstattung hätten einzelne Mitglieder aus der Borchert-Kommission weiterhin gerne gegeben. “Die Borchert-Kommission könnte insbesondere Bundesfinanzminister Christian Lindner und die FDP-Fraktion daran erinnern, den Umbau nicht weiter auf Kosten der Landwirtinnen und Landwirte zu blockieren”, sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz und Teil der Borchert-Kommission. Umso bedauerlicher sei es, dass die Kommission sich mit der Auflösung ihrer Möglichkeiten zur Einflussnahme selbst beraubt habe.
Der Frust innerhalb der Borchert-Kommission rührte auch daher, dass die Ampelkoalition eine Entscheidung zur Tierwohlabgabe offensichtlich auf die lange Bank schiebt. Denn Pro und Kontra der verschiedenen Optionen sind längst bekannt. Bereits unter Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die das Kompetenznetzwerk ins Leben rief, hatte das Agrarressort eine Machbarkeitsstudie zu den möglichen Finanzierungsinstrumenten in die Hände von Rechtsanwälten gegeben. Vor dem Hintergrund, dass das Für und Wider zu Finanzierungsinstrumenten längst bekannt ist, entsteht der Eindruck, dass die Ampelfraktionen sich den Ball gegenseitig zuspielen, um das Verkünden eines Scheiterns zu vermeiden. Für die Borchert-Kommission scheint dieser Punkt nun aber nach fast zweijähriger Regierungszeit gekommen zu sein.
Aussicht auf Einigung innerhalb der Ampelkoalition gibt es aktuell nur in puncto Erweiterung der Tierhaltungskennzeichnung – zum Beispiel auf die Gastronomie und verarbeitete Produkte sowie auf weitere Tierarten. Zunächst sollen Kriterien für die Ferkelerzeugung und im Anschluss für die Rinderhaltung folgen.
Klaus Kunkemöller ist kein Mann großer Worte. Der Exportleiter beim Anlagehersteller Riela beantwortet Fragen meist mit wenigen Sätzen, manchmal einsilbig mit Ja oder Nein. Dabei hat er Spannendes zu erzählen. Er leitet beim Mittelständler Riela in Hörstel bei Münster den Vertrieb in Afrika und verkauft Maisrebler, Siebreiniger und Lagerungssilos, also verschiedenste Anlagen, mit denen sich Feldfrüchte reinigen, trocknen und lagern lassen.
Für afrikanische Staaten sind solche Anlagen von großer Bedeutung. Das sogenannte African Postharvest Losses Information System zeigt, dass auf dem Kontinent in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt ein Fünftel der Maisernte verloren ging, bevor sie bei den Kunden ankam. Falsche Lagerung und falscher Transport sind wichtige Ursachen dafür, weshalb Agrarprodukte verderben. Werden sie vor der Lagerung nicht gereinigt, faulen sie oder werden von Schädlingen befallen. Viele Institutionen arbeiten an Lösungen, auch die Afrikanische Union. Im September richtet diese zum vierten Mal einen panafrikanischen Kongress zu diesem Thema aus.
Geht es nach Kunkemöller, sollen ein Teil der Lösung Riela-Anlagen aus dem Teutoburger Wald sein. Das Unternehmen ist bisher vor allem in Osteuropa aktiv. “Und weil das Geschäft dort damals gut lief, haben wir vor fast zehn Jahren angefangen, neue Märkte in den Blick zu nehmen: vor allem Afrika”, sagt der Exportleiter.
Die Landwirtschaft sei für den Kontinent wichtig. Die Konkurrenz durch andere Anlagenbauer ist relativ gering, auch wenn Wettbewerber aus China, Indien und der Türkei stärker werden. Der Bedarf für großformatige Anlagen wachse, je stärker sich die Landwirtschaft vor Ort industrialisiere.
Wie andere deutsche Unternehmen steht auch der Mittelständler vor der Frage, wie man den Vertrieb auf dem Kontinent am besten angeht. Das Messewesen im Bereich Landwirtschaft stehe erst am Anfang, sagt Kunkemöller. In vielen Ländern gebe es, wenn überhaupt, nur kleine, regionale Events. Nationale Veranstaltungen wie die jährliche Messe Agrofood Nigeria blieben die Ausnahme. “Das gibt der Markt in vielen Ländern südlich der Sahara noch nicht her”, sagt der Exportleiter. “Das industrielle Niveau der Landwirtschaft in afrikanischen Staaten lässt sich in etwa mit der Landwirtschaft in Deutschland in den 50- oder 60er-Jahren vergleichen.”
Für Riela bedeutet das: Obwohl der Bedarf groß ist und steigt, ist der Markt kleinteilig. Will Kunkemöller ein neues Land erschließen, nimmt er zunächst an einer Markterschließungsreise teil oder besucht auf eigene Initiative kleine Veranstaltungen vor Ort. Dort knüpft er am liebsten Kontakte zu Genossenschaften. Die sind nämlich die spannenden Kunden für Riela: Für einzelne Landwirte sind die Anlagen in der Regel zu groß und zu teuer.
Steht der erste Kontakt, lädt Kunkemöller potentielle Kunden und Regierungsvertreter nach Deutschland ein. Sein Unternehmen betreibt am Sitz in Hörstel eine Ausstellungshalle, in der er die Maschinen zeigen kann. Neben der Technik sei der Service ein wichtiger Aspekt im Verkauf, sagt der Manager. Dafür betreibt Riela großen Aufwand: “Wir beraten die Kunden, wir schulen das Personal vor Ort, und wir empfehlen ihnen Partner aus unserem Netzwerk, falls sie Equipment brauchen, das wir nicht verkaufen.” Reine Nettigkeit ist das nicht: Der Service ist ein wichtiges Argument, um sich von günstigeren Anbietern aus China oder Indien zu unterscheiden.
Zur Unterstützung des Afrika-Geschäfts brauche es bessere Exportkreditgarantien des Bundes für die Region, sagt Klaus Kunkemöller. Das fordert auch der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft immer wieder. Außerdem müsse die Visavergabe für Geschäftsreisende aus Afrika schneller werden, sagt der Manager. “Es gibt Kunden, die der komplizierte Vergabeprozess abschreckt. Die kommen gar nicht erst.”
Sind die Kunden aber erst einmal in Hörstel, steigen die Chancen für einen Verkauf. Stehen die Anlagen dann vor Ort, fragt Kunkemöller die Betreiber, ob sie mit Riela einen Tag der Offenen Tür ausrichten wollen. So können andere Genossenschaften die Anlagen besichtigen. “Manche Kunden machen das, andere scheuen die Konkurrenz”, sagt er. “Aber nachzufragen, ob ein solches Event möglich ist, lohnt sich auf alle Fälle.”
Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?
Mit dem Grünen Deal und der Farm-to-Fork-Strategie hat Europa ein wesentliches Signal in Richtung sozial-ökologische Zukunft gesetzt. Was wir jetzt brauchen, ist eine engagierte Umsetzung dieser visionären Ziele. Das beinhaltet eine Agrarpolitik, die nicht auf Subventionen nach dem Gießkannenprinzip setzt, sondern Prozessorientierung, Biodiversität und Regionalität in den Fokus rückt. Das beinhaltet eine Politik, die ökologisch ausgerichteten Unternehmen eine Perspektive bietet. Eine solche Agrar- und Ernährungspolitik sollte zudem positive Anreize für die Menschen in Europa schaffen, ihren Lebensstil auf eine nachhaltigere Ernährung umzustellen. Bio kann hier eine Schlüsselrolle spielen, denn das Bio-Konzept ist prozessorientiert und steht für einen achtsamen Umgang mit unserer Umwelt und unserer Ernährung.
Für wie wichtig halten Sie Bio?
Bio bedeutet Zukunft! Bio steht für leckeres, vielfältiges Essen aus einer ressourcenschonenden Landwirtschaft, die Bodenleben und Artenvielfalt achtet und die sorgsam mit Wasser und Klima umgeht. Bio steht für eine schonende Verarbeitung der landwirtschaftlichen Rohstoffe mit so wenig Zutaten wie möglich, für vielfältige Handelsstrukturen und die Unterstützung kleiner und mittelständischer Betriebe. Bio ist entlang der gesamten Prozesskette gesetzlich geregelt und bietet damit ein einmaliges rechtliches Instrument, das uns den Weg zu einem nachhaltigen Europa ebnet.
Müssen wir unsere Essgewohnheiten ändern?
Wir dürfen sie ändern. Das wird richtig gut, weil wir mit einem nachhaltigeren Ernährungsstil auch unserer Vitalität etwas Gutes tun! Und die gute Nachricht ist: viele junge Menschen ernähren sich bereits sehr bewusst und legen Wert auf klimafreundliches Essen. Das beinhaltet eine pflanzenbasierte Ernährung, die bestenfalls so natürlich wie möglich ist und wenig Zusatzstoffe enthält. Vegane Chemiebaukästen bilden da keine sinnvolle Alternative – es gibt sehr gute vegane Produkte, die ohne lange Zutatenliste auskommen, auch in Bioqualität. Aber auch hochwertige tierische Produkte dürfen auf unserem Speiseplan stehen, denn Tiere auf dem Hof helfen uns, im Kreislauf zu wirtschaften und unterstützen ein fruchtbares Bodenleben. Wichtig ist, dass wir achtsam mit unserer Gesundheit und unserer gesamten Umwelt umgehen. Die Art, wie wir uns ernähren, kann das wesentlich unterstützen – das ist doch eine sehr gute Nachricht für uns alle, die wir unsere Zukunft gestalten wollen.
Seit 2015 ist die studierte Medien- und Literaturwissenschaftlerin Anne Baumann bei der Assoziation ökologischer Lebensmittelherstellerinnen und -Hersteller (AöL) für die Personalbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit zuständig, seit 2023 ist sie stellvertretende Geschäftsführerin. Sie stammt aus einer Bauernfamilie in Thüringen und engagiert sich im Verein für Kultur- und Umweltbildung in Fulda.
Die Getreideernte in Deutschland wird 2023 schlechter ausfallen als in den vergangenen Jahren. Das hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özedmir bei der Vorstellung des diesjährigen Ernteberichts in Aussicht gestellt. Mit erwarteten 42,23 Tonnen dürften die Erträge – Körnermais eingerechnet – um rund drei Prozent niedriger sein als im Vorjahr und um 1,4 Prozent geringer als der Fünfjahresmittelwert, heißt es im Erntebericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Insgesamt rechnet Özdemir aber mit einer durchschnittlichen Ernte. Das deckt sich mit der Prognose des Deutschen Raiffeisenverbandes und liegt leicht über den Erwartungen, die der Deutsche Bauernverband (DBV) vergangene Woche abgegeben hatte. DBV-Präsident Joachim Rukwied hatte mit Blick auf die Getreideernte von einer “echten Zitterpartie” gesprochen.
Beim Winterweizen, Deutschlands wichtigste Getreidekultur, schrumpfte die Erntemenge laut Prognose des BMEL im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent auf fast 21 Millionen Tonnen. Die Winterrapsernte ging gegenüber dem guten Vorjahresergebnis um drei Prozent auf fast 4,2 Millionen Tonnen zurück. Mit Blick auf Eiweißpflanzen berichtete Özdemir von einer deutlichen Ausweitung des Anbaus in diesem Jahr. Ohne belastbare Schätzungen bei dieser Pflanzengruppe vorliegen zu haben, geht das BMEL hier davon aus, dass lange Trockenphasen im Frühsommer und der kalte, nasse Juli die Erträge geschmälert haben.
Als Hauptgrund für die magere Getreideernte nannte Özdemir starke Niederschläge während der Erntezeit, unter denen vor allem der Weizen gelitten habe. “Extremwetter als Folgen der Klimakrise machen unsere Ernten immer stärker zu einem Lotteriespiel”, sagte der Landwirtschaftsminister. Auf einen zunächst regenreichen und dann trockenen Frühling folgte ein erst sehr trockener und dann sehr regnerischer Sommer. Verschiedene Regionen Deutschlands waren davon unterschiedlich stark betroffen. Insbesondere Brandenburg sei sehr trockenheitsanfällig, hieß es aus dem BMEL. Dort und im Saarland erwartet das Ministerium so denn auch die stärksten Rückgänge bei der Getreideernte.
Buchstäblich im Regen stehen lassen, will Özdemir die Landwirte aber nicht. “Das neue Normal der Wetterextreme verlangt ein neues Normal des Regierens”, so Özdemir. Es müsse jetzt in eine klimafeste Landwirtschaft investiert werden. Als Instrumente in diesem Prozess nannte der Bundeslandwirtschaftsminister unter anderem die Nationale Wasserstrategie, die sein Ministerium im März auf den Weg gebracht hat und ein millionenschweres Humusprojekt, das das BMEL fördert. “Der diesjährige Regensommer zeigt das andere Gesicht der Klima- und Naturkrise, die unsere Lebensmittelproduktion schon heute vor große Herausforderungen stellt”, kommentierte NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger den Erntebericht. Es sei deshalb wichtig, die landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland naturverträglich zu nutzen und damit widerstandsfähiger gegen die Folgen der Klimakrise wie Dürren und Starkregen zu machen. heu
Hohe Erwartungen werden an Maroš Šefčovič gestellt, der nach dem Abschied von Frans Timmermans künftig die Zuständigkeit für den Green Deal übernimmt. Wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche verkündete, werde sein Fokus weniger auf neuen Gesetzesvorschlägen liegen als auf der Umsetzung der beschlossenen Vorhaben und dem Dialog mit Industrie, Bauern und Waldbesitzern.
“Wir erwarten, dass Kommissar Šefčovič den Auftrag von Kommissionspräsidentin von der Leyen ernst nimmt, jetzt den intensiven Dialog mit Landwirten und Waldbesitzern aufzunehmen”, sagt Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. Šefčovič müsse beispielsweise die Kommissionsvorschläge zur Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln noch einmal anpassen, um Landwirtschaft in ganz Europa weiterhin möglich zu machen, fordert Hemmerling.
Das Portfolio für den Green Deal gehe mit Šefčovič auf einen erfahrenen Kommissar über, kommentiert Raphael Weyland vom Naturschutzbund Deutschland. “Die bereits von der Kommission vorgelegten Gesetzesvorschläge, die noch nicht verabschiedet worden sind, muss die Kommission in den Trilogen zum Erfolg bringen, ohne dass das – aus Wissenschaftssicht ohnehin häufig nicht ausreichende – Ambitionsniveau leidet”, so Weyland weiter. Hierzu zähle unter anderem das “Nature Restoration Law” oder die Verordnung zur Reduktion von Pestiziden (SUR). Bei diesen besonders strittigen Vorhaben soll Šefčovič vermitteln. Es sei an der Zeit, den Fokus auf die Umsetzung der beschlossenen Regeln zu legen, so von der Leyen.
Der 57-jährige Diplomat Šefčovič absolviert bereits seine dritte Amtszeit in der Brüsseler Behörde. Seine guten Kontakte in die anderen EU-Institutionen könnten helfen, die Triloge zu schwierigen Dossiers wie Renaturierungsgesetz und Pestizidverordnung zu moderieren. Šefčovič wird zunächst, wie bislang Timmermans, als Exekutiv-Vizepräsident den Green Deal in der Kommission koordinieren.
Für Timmermans Nachfolge als EU-Klimakommissar wurde der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra vorgeschlagen. Der Christdemokrat ist bislang nicht durch seine Klimapolitik aufgefallen, bringt aber als ehemaliger Finanzminister der Niederlande die nötige Erfahrung mit, sich in die internationalen Klimaverhandlungen und Fragen zu Klimafinanzierung einzubringen. Seine Hauptaufgabe als Kommissar in den kommenden Monaten dürfte sein, die EU bei der UN-Klimakonferenz in Dubai (COP28) am Verhandlungstisch zu vertreten. has
Aus den Reihen von SPD und Grünen kommt der Vorschlag, den Mehrwertsteuersatz auf Milchersatzprodukte zu senken. Diese sollten künftig wie Kuhmilch mit 7 statt 19 Prozent besteuert werden, so trage man geänderten Ernährungsgewohnheiten Rechnung. “Ich kann mir sehr gut vorstellen, die Mehrwertsteuer auf Milchersatzprodukte bereits kurzfristig im Rahmen der anstehenden Verhandlungen zum Jahressteuergesetz zum 1. Januar 2024 auf sieben Prozent zu reduzieren”, sagte der Steuerexperte Tim Klüssendorf aus der SPD-Bundestagsfraktion der Zeitung “Welt am Sonntag”. Eine Anpassung der unterschiedlichen Sätze bei Grundnahrungsmitteln, wie bei Hafer- oder Sojadrinks, sei lange überfällig.
Unterstützung erhielt der SPD-Politiker vom Grünen-Abgeordneten Bruno Hönel: “Mit dem Wandel der Ernährungsgewohnheiten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist beispielsweise Pflanzen-Milch für viele eine alltägliche Alternative zu Kuhmilch geworden. Zudem ist sie klimafreundlicher“, sagte Hönel. Die steuerliche Ungleichbehandlung stoße daher zu Recht auf Unverständnis und sei inhaltlich schwer aufrechtzuerhalten. Die Verwirklichung sei jedoch “abhängig von den Haushaltsspielräumen”. dpa
Der russische Angriff auf die Ukraine hält nach den Worten von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir die Preise für viele Nahrungsmittel hoch. “Die Lebensmittelpreise bleiben ein Inflationstreiber”, sagt Özdemir und fügt hinzu: “Ganz besonders dort, wo die Produktionskosten hoch sind durch teure Energie und Betriebsmittel.” Dem Ministerium zufolge haben sich die Preise für Agrarprodukte zwar wieder normalisiert. Allerdings blieben die Kosten für Betriebsmittel wie Diesel, Dünger und Pflanzenschutzmittel über dem Vorkriegsniveau. Die höheren Kosten entlang der Wertschöpfungskette wiederum verteuerten Lebensmittel für die Verbraucher.
“Wir unterstützen die Landwirtschaft deshalb dabei, sich unabhängiger von synthetischem Dünger oder Pflanzenschutzmittel zu machen”, sagt Özdemir. “Zentral ist dabei eine Agrarförderung, die das Schützen und Nutzen im Fokus hat.” Auch weniger Tiere besser zu halten und Pflanzen nachhaltig zu schützen, müsse sich für die Höfe auszahlen. “Denn letztendlich ist es doch eine einfache Rechnung: In eine klimafeste Landwirtschaft zu investieren, macht uns unabhängiger von volatilen Weltmärkten und ist sinnvoller und günstiger als Schäden auszugleichen”, sagte der Minister.
Im Juli sind die Preise für Nahrungsmittel in Deutschland um durchschnittlich 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen. Die gesamte Inflationsrate liegt mit 6,2 Prozent dagegen deutlich niedriger. Vor allem mussten die Verbraucher spürbar mehr für Zucker, Marmelade, Honig und andere Süßwaren (+18,9 Prozent) bezahlen. Merklich teurer binnen Jahresfrist wurden auch Brot und Getreideerzeugnisse (+16,6 Prozent), Gemüse (+15,7 Prozent), sowie Fisch, Fischwaren und Meeresfrüchte (+14,1 Prozent). Reuters
Als im Juni zum fünften Mal der Zugabe-Preis der Körber-Stiftung verliehen wurde, war Titus Bahner einer der drei Preisträger. Der mit jeweils 60.000 Euro dotierte Preis würdigt “Sozialunternehmer:innen 60 plus” für ihre “innovativen und gesellschaftlich relevanten Gründungen“.
Im Fall des 62-jährigen Bahner ist das die Kulturland-Genossenschaft mit Sitz im wendländischen Hitzacker, die er 2014 gemeinsam mit anderen aus der Taufe gehoben hat. Ihr Ziel: möglichst viel Agrarland der grassierenden Bodenspekulation zu entziehen. Dazu kauft sie Acker-, Weide- und Waldflächen auf und stellt sie ökologisch wirtschaftenden Betrieben und neuen Projekten zur Verfügung.
Auf seiner Website hat Bahner sehr eindringlich beschrieben, was ihn zu seinem Engagement bewegt. “Meine innere Uhrzeit ist sozusagen fünf nach zwölf. Die Katastrophe liegt schon hinter uns. Jetzt geht es darum, etwas Neues aufzubauen, neue Strukturen. Die alte Welt sorgt für sich selbst. Aber die neue entsteht nur durch unser Zutun.”
Im Gespräch mit Table.Media betont Bahner, wie wichtig es für ihn ist, sich auf die Zukunft zu konzentrieren. “Ich habe mich davon verabschiedet zu glauben, ich hätte den Hebel in der Hand, um irgendwie die Welt zu retten”, sagt er. Selbstermächtigung bedeutet für ihn, “sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf das, was nach vorne geht“. Auch wenn ihm bewusst sei, “dass es ziemlich schwierig ist, etwas in die Welt zu setzen, was wirklich trägt”.
Dabei stört ihn weder, dass er nun eine Art Seniorenpreis verliehen bekommen hat, noch dass die Kulturland-Genossenschaft von der Jury mit dem hippen Begriff Start-up gelabelt wurde. Schließlich seien die vielfältigen Erfahrungen eines bewegten Lebens wichtig, um seine Arbeit heute gut zu machen. Auch klinge Start-up für ihn “ein bisschen wild und ein bisschen garagenmäßig, auch ehrenamtlich”. Und so sei es auch gewesen, als sie vor neun Jahren mit zehn Leuten angefangen hätten.
Mittlerweile zählt die bundesweit tätige Kulturland-Genossenschaft über 1.500 Mitglieder. Ihre 594 Hektar Land werden von 33 Partnerbetrieben bewirtschaftet. Die Bandbreite ist groß und reicht von der Kommune Schafhof oder dem Luzernhof in der Region Freiburg über den Landkulturhof Klein Trebbow in Mecklenburg-Vorpommern bis zur Ackerilla, einem Gemüseanbaubetrieb in Sehlis bei Leipzig. Viele von ihnen sind Projekte der Solidarischen Landwirtschaft. Das Prinzip: Mehrere Privathaushalte tragen die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebes. Im Gegenzug erhalten sie dessen Erträge.
Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Bahner hat zunächst Volkswirtschaftslehre und dann Landwirtschaft studiert. Aufgewachsen ist er nicht auf einem Bauernhof, sondern in einer Heidelberger Arztfamilie. Doch schon als Jugendlicher beschäftigte ihn die Frage, “warum die Menschen mit der Erde so umgehen, als hätten sie noch eine zweite im Kofferraum”.
Dazu kam “eine große Liebe zu den wilden Tieren und Pflanzen”. Das trägt bis heute und hat ihn mit Anfang 30 schließlich ins Wendland geführt. “Die Elbe vor der Haustür, Rotmilan, Kranich, Seeadler, der Weißstorch. Und eine bunte Gemeinschaft der unterschiedlichsten Menschen, mit denen sich das wunderbar leben lässt.” Seine Brötchen verdient er seit 1996 als selbstständiger Berater und Projektentwickler im ländlichen Raum in Norddeutschland und im europäischen Ausland.
Es hätte auch anders kommen können. Denn nach der Schule zog es Bahner zunächst als Straßenmusikant in die weite Welt. Eine Karriere als Berufsmusiker wäre wohl möglich gewesen, wurde dann aber verworfen. Stattdessen saß er “oft genug mit dem Akkordeon auf den Gleisen” und machte Musik für den Anti-Atom-Widerstand. Und auch heute noch ist ihm die Musik sehr wichtig: “Das ist der Ausgleich, der oft zu kurz kommt.” Bei der diesjährigen Kulturellen Landpartie, dem Großereignis im ansonsten eher strukturschwachen Wendland, hat es Bahner mit seiner Band Djervani immerhin auf fünf Auftritte gebracht. “Weltmusik mit Widerstandsgedanken”, schrieb die lokale Elbe-Jeetzel-Zeitung einmal. Passt irgendwie. Carsten Hübner