die Brüsseler Blaupause der Zukunftskommission Landwirtschaft tagt in dieser Woche zum letzten Mal. Der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einberufene Strategiedialog Landwirtschaft, geleitet von Professor Peter Strohschneider, soll anschließend einen Abschlussbericht veröffentlichen. Die Europäischen Grünen haben keine großen Erwartungen an die Ergebnisse, betonte beispielsweise der niederländische Europaabgeordnete Bas Eickhout Mitte Mai. Die Inhalte des Abschlussberichts sind insofern interessant, als von der Leyen Ende April angekündigt hatte, die Ergebnisse des Strategiedialogs zum Programm der nächsten Amtszeit zu machen.
Von der Leyen werkelt derweil weiter an ihrer neuen Kommission. In dieser Woche will sie die ersten Kandidaten der EU-Mitgliedstaaten zum Vorstellungsgespräch treffen. Das Personaltableau soll dann Mitte September stehen. Weitgehend ignoriert haben die nationalen Regierungen bislang die Aufforderung der Kommissionspräsidentin, ihr jeweils einen männlichen und einen weiblichen Kandidaten vorzuschlagen – und so zeichnet sich ein kräftiger Männerüberschuss ab. Aber so leicht will sie sich nicht geschlagen geben: Wenn Frauen schon zahlenmäßig in der neuen Kommission unterrepräsentiert sind, sollen besonders einflussreiche Aufgabenbereiche eben an Kommissarinnen gehen.
Fernab vom Brüsseler Politikbetrieb, der in dieser Woche allmählich aus dem Sommerschlaf erwacht, hat sich unser Autor Kai Moll mit der Spekulation mit Ackerland beschäftigt. Im Interview mit dem ehemaligen Referatsleiter Bodenmarkt des BMEL, Jobst Jungehülsing, warnt dieser vor einer massiven Verteuerung landwirtschaftlicher Flächen. Im Gegensatz zum Nachbarland Frankreich müssen Share-Deals in Deutschland immer noch nicht angezeigt und genehmigt werden. Sie laufen unter dem Radar des Staates ab und sind eine willkommene Investitionsmöglichkeit zur Vermögensdiversifizierung.
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!
Herr Jungehülsing, die Kaufpreise für landwirtschaftliche Flächen steigen seit Jahren praktisch ungebremst. Wie kommt es dazu?
Die Kaufwerte für Agrarflächen in Deutschland sind seit 2005 ununterbrochen um insgesamt 280 Prozent gestiegen. Dadurch liegen die Gesamtrenditen aus Wertzuwachs und Verpachtung der Flächen für den Bodenkauf seitdem immer in der Nähe von zehn Prozent. Damit sind die Renditen höher, als wenn Sie in der gleichen Zeit in den DAX oder in Wohnimmobilien investiert hätten.
Das hat dazu geführt, dass Agrarimmobilien seit der Finanzkrise 2007 von Finanzinvestoren als lukrative Wertanlage betrachtet werden. Weil jedes Jahr relativ wenige Agrarimmobilien gehandelt werden, führt diese zusätzliche Nachfrage zu einem Preisschub, der im nächsten Jahr wieder zusätzliche Investoren anzieht, dem der nächste Preisschub folgt. Im Grunde können wir auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt perfekt das Herdenverhalten von Finanzinvestoren beobachten.
Der zweite Grund für die steigenden Bodenpreise ist die stetige Verknappung der Agrarflächen. Wir verlieren derzeit etwa 55 Hektar pro Tag allein für Siedlung und Verkehr. Dazu kommen Verluste durch Aufforstung und Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Seit 1992 haben wir in Deutschland über 1,4 Millionen Hektar Agrarfläche verloren. Diese ständige Abnahme eines ohnehin begrenzten Produktionsfaktors ist die perfekte Basis für Spekulation und Preisauftrieb.
Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Landwirte aus?
Die Kaufpreise lagen 2023 laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt bei 33.363 Euro pro Hektar. In den intensiv genutzten Agrarregionen sind die Preise aber noch viel höher. In der Goldenen Aue in Thüringen bezahlen Sie 40.000 Euro, in manchen Regionen in Nordrhein-Westfalen auch mal 80.000 Euro. Das sind Preise, die Landwirte aus den Erträgen nicht mehr erwirtschaften können.
Parallel zu den Kaufwerten sind natürlich auch die Pachten ständig angestiegen. In Gunstlagen liegen die Pachten heute weit über der üblichen landwirtschaftlichen Grundrente von 400 bis 500 Euro pro Hektar und Jahr, die der Landwirt erwirtschaften kann. Für die Landwirte ist es also betriebswirtschaftlich oft weder sinnvoll, neue Flächen zu pachten, noch zu kaufen. Damit wird in den meisten Regionen die Betriebsentwicklung verhindert. Laufende Betriebe können kaum noch erweitern und landwirtschaftliche Existenzgründungen sind ebenfalls kaum noch möglich.
Im Fokus der Kritik stehen oft die “Share-Deals”, die der Bodenspekulation das Tor öffnen. Was hat es damit auf sich?
Der Handel mit Agrarflächen wird in Deutschland seit langer Zeit von den Behörden kontrolliert, muss angezeigt und genehmigt werden. Auf Basis des Grundstücksverkehrsgesetzes kann der Staat beispielsweise einen Grundstücksverkauf untersagen, wenn der Verkaufspreis zu hoch ist. Bei einem Verkauf von landwirtschaftlicher Fläche haben zudem Interessenten aus der Landwirtschaft einen gesetzlichen Vorrang.
Das gilt aber nur für den Verkauf einzelner Grundstücke, beziehungsweise “Asset Deals”. Für Geschäfte unter juristischen Personen, die “Share-Deals”, gilt das nicht. Wenn also ein Finanzinvestor einen 4.000-Hektar-Betrieb oder gleich mehrere kauft, dann gehen die Agrarimmobilien, also auch das Ackerland, an den Käufer über, werden aber vom Grundstücksverkehrsgesetz nicht erfasst. Das ist ein Problem, weil der Staat hier weder die Preiskontrolle beziehungsweise die Spekulationsbremse, noch den Vorrang von Landwirten durchsetzen kann.
Kann man beziffern, wie stark die Anzahl von Share-Deals in den vergangenen Jahren gewachsen ist?
Das kann man leider nicht, weil es statistisch nicht erfasst wird. Agrarverwaltung und Agrarpolitik befinden sich hier in einem Blindflug. Man kann aber Frankreich zum Vergleich heranziehen. Dort müssen Share-Deals seit 2023 angezeigt und genehmigt werden. Gegebenenfalls können sie versagt werden. Die französischen Behörden gehen jetzt davon aus, dass etwa 37 Prozent des Bodenmarktes über Share-Deals laufen. Dabei muss man sehen, dass die Agrarstruktur in Frankreich ja noch eher durch Familienbetriebe geprägt ist. Für Ostdeutschland, wo juristische Personen von viel größeren Dimensionen eine Rolle spielen, gehe ich auch aufgrund der völlig fehlenden staatlichen Kontrolle davon aus, dass die Share-Deals einen Anteil von deutlich mehr als 37 Prozent haben.
In den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind in den vergangenen Monaten lange vorbereitete Agrarstrukturgesetze, die auch dem Problem der Share-Deals begegnen sollten, politisch gescheitert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Es gibt bereits seit 2015 die Empfehlung einer von der Agrarministerkonferenz eingesetzten Expertengruppe, dass die Share-Deals ins landwirtschaftliche Bodenrecht einbezogen werden sollen, damit es dort keinen rechtsfreien Raum gibt. Aber bisher hat kein Bundesland diese Empfehlung umgesetzt. Die geplanten Agrarstrukturgesetze wären auf jeden Fall ein Schritt nach vorn gewesen. Die Gesetzentwürfe waren ja auch schon in den parlamentarischen Verfahren. In Thüringen gab es Bedenken von Experten und Abgeordneten. In Sachsen und Brandenburg gab es nur kleinere Verbesserungsvorschläge, das waren solide Entwürfe.
Wie erklären Sie sich, dass die Gesetzesvorhaben dennoch gescheitert sind?
Ich sehe da zwei Gründe. Zum einen wird selbst im Agrarsektor weitgehend unterschätzt oder nicht verstanden, was auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt tatsächlich passiert. Das hat wiederum mit der Intransparenz zu tun, dass weder die Share-Deals, noch die Spekulation mit Agrarflächen, noch die Konzentration der Eigentumsflächen bei einigen wenigen sehr großen Marktteilnehmern, noch die Umgehung der Grunderwerbsteuer statistisch erfasst werden.
Zum anderen sind in den ostdeutschen Bundesländern eine ganze Reihe von Tochtergesellschaften von Agrarholdings aktiv, die beziehungsweise deren Muttergesellschaften in entsprechenden Lobbyverbänden organisiert sind. Und die kleine Zahl dieser Verbände lehnt die Gesetzentwürfe stets ab, egal, ob sie von einem CDU-, SPD-, Linken- oder Grünen-Agrarminister kommen. Im Ergebnis werden damit Freiräume für Spekulanten offengehalten, anstatt eine zukunftsgerichtete Agrarstruktur für die aktiven Landwirte und die Gesellschaft zu sichern.
Wo werden sich die Kaufpreise hinentwickeln, wenn es der Politik nicht gelingt, die Bremse zu ziehen?
Wenn die preistreibenden Effekte weiter ungebremst wirksam bleiben, gehe ich davon aus, dass wir in zehn Jahren noch einmal eine Verdreifachung, vielleicht sogar eine Vervierfachung haben werden.
Jobst Jungehülsing war bis Ende 2023 Referatsleiter Bodenmarkt im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
Lebensmittel mit Mindesthaltbarkeitsdatum, die in 48 Stunden ablaufen, sollen in Ungarn künftig nicht mehr in die Regale großer Supermarktketten gelangen. Das geht aus einer Notifizierung der ungarischen Regierung bei der EU-Kommission hervor, der zufolge das Gesetz XLVI von 2008 über die Lebensmittelkette und ihre amtliche Überwachung geändert werden soll. Betroffen wären Konzerne des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) mit einem Nettoumsatz von mindestens 100 Milliarden Forint (rund 254 Millionen Euro).
Vorgesehen ist die “Änderung bestimmter Rechtsakte, die miteinander verknüpft sind, um die Nahrungsmittelrettung wirksamer zu gestalten“, heißt es in dem Papier. Denn: Die Märkte sollen die entsprechenden Lebensmittel unter bestimmten Voraussetzungen kostenlos abgeben dürfen. Die Organisation Food Rescue Centre Nonprofit soll die Lebensmittelspenden abwickeln.
Die Pläne würden in dieser Ausarbeitung für den deutschen LEH einen unverhältnismäßigen Einschnitt in seine Geschäftstätigkeit bedeuten, fürchtet Antje Gerstein, Geschäftsführerin für Europapolitik und Nachhaltigkeit beim Handelsverband Deutschland. “Die in dem Gesetz vorgegebene 48-Stundenregelung kommt einer Enteignung gleich”, sagt sie.
Gerstein spricht auf Anfrage von Table.Briefings von einem “bekannten Muster der Wettbewerbsverzerrung”. Mit der vorgegebenen Grenze wären lediglich multinationale Unternehmen erfasst. Händler unterhalb dieser Grenze würden nicht unter die Regelung fallen, eine nachvollziehbare Begründung dafür gebe es nicht, kritisiert Gerstein. Das heißt: Ein deutscher LEH-Konzern wie Lidl, der großflächig in Ungarn operiert, wäre von der Änderung betroffen. Er wäre nicht das erste Mal, dass Orbáns Regierung ein Gesetz auf den Weg bringt, mit dem ausländische Einzelhändler systematisch aus dem Land gedrängt werden sollen.
Noch befinden sich die Gesetzesänderungen der ungarischen Regierung im Notifizierungsverfahren der EU. Dieses Verfahren soll verhindern, dass Handelshemmnisse im Binnenmarkt geschaffen werden, bevor sie tatsächlich entstehen. Die EU-Kommission prüft die Notifizierungen der Mitgliedstaaten entsprechend, andere EU-Länder können ebenfalls dazu Stellung nehmen. heu
Die wissenschaftlichen Schätzungen zu Fischbeständen, die der Regulierung der globalen und regionalen Fischerei zugrunde liegen, sind häufig zu optimistisch. Zu dieser Einschätzung kommt die Studie “Stock assessment models overstate sustainability of the world’s fisheries“, die am Donnerstag in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde.
Das Forscherteam unter Leitung des Marineökologen Graham Edgar von der Universität Tasmania analysierte öffentlich zugängliche Daten für 230 der weltweit größten Fischgründe. Dabei verglichen sie vorausblickende Prognosen mit später erfolgten Untersuchungen über den tatsächlichen Zustand der Fischpopulationen. Wie sich zeigte, waren die Prognosen besonders bei ohnehin überfischten Beständen viel zu optimistisch. Laut der Studie sind 85 Prozent mehr Bestände als bisher angenommen “kollabiert”, also auf weniger als ein Zehntel ihres historischen Maximums verkleinert.
Gegenüber dem Science Media Center sagten mehrere Forschende, dass die Studie bereits frühere Zweifel an den Prognosen erhärtet habe. Ein Grund für die mangelnde Aussagekraft der Prognosen sei ein Mangel an belastbaren Daten, die dann auf der Basis von Zeitreihen geschätzt würden. Modellierer müssten “auf weniger belastbare Werte zurückgreifen, die in der Vergangenheit funktioniert haben”, so Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. “Solche Praktiken können die Ergebnisse stark auf die Erwartungen der Modellierer beschränken.”
Dies betreffe insbesondere überfischte Bestände, die schwer zu beobachten seien. “Die Überbewertungen führten bei diesen zu so genannten Phantom-Erholungen: Sie wurden als erholt eingestuft, obwohl sie in Wirklichkeit weiter schrumpften”, sagte Froese. “Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre.”
Boris Worm von der Dalhousie University in Kanada empfahl, in Zukunft grundsätzlich pessimistische Prognosen für die Festlegung von Fangquoten heranzuziehen: “Also quasi ein Risikomanagement, wie es zum Beispiel auch Banken bei insolventen Kunden anwenden würden.” Überfischung sei besonders im Mittelmeer, in Westafrika und in Südasien ein Problem. Küstennahe Fischerei sei vielerorts bereits zusammengebrochen und werde gar nicht mehr erfasst. Die Studie warne nun aber davor, dass auch vermeintlich gut bewirtschaftete Meere in Europa schlechter dastehen könnten als gedacht. av
27. – 29.08.2024 / Brüssel
Plenarsitzung Strategischer Dialog zur Zukunft der EU-Landwirtschaft
Zum letzten Mal kommen die Teilnehmenden des Strategischen Dialogs über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU zur Plenarsitzung zusammen. Der Abschlussbericht des Stakeholder-Gremiums, auf dessen Basis die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein politisches Visionspapier erstellen will, wird zum Ende des Sommers erwartet. INFO
28.08.2024 – 13.00 Uhr / Berlin
Pressekonferenz Erntebericht 2024
Bundesminister Cem Özdemir stellt die amtlichen Zahlen zur Ernte vor und ordnet die Ergebnisse ein. INFO
28.08.2024 – 12.00 Uhr / Steigenberger Hotel Hamburg
Podiumsdiskussion Deutscher Fischereitag
Teilnehmende der Podiumsdiskussion des Wissenschaftlichen Beirates am 28.08. sind
Niclas Herbst, MdEP
Maja Kirchner, Eu-Kommission, DG Mare
Claudia Müller, Parlamentarische Staatssekretärin, BMEL
Dr. Cord Stoyke, Referatsleiter, ML Niedersachsen
Jürgen Peters, Bürgermeister Neuharlingersiel
Hilke Looden, Bürgermeisterin Krummhörn PROGRAMM
29.08.2024 – 08:30 – 17:00 Uhr / Hof Schlamann in Lengerich
Messe Agri Idea Sprout
Das Format integriert interaktive Open Sessions zu verschiedenen Themenfeldern wie Agrartechnologien, Energiesysteme, Kreislaufwirtschaft und alternative Geschäftsmodelle. Gepaart mit inspirierenden Keynotes und Networking-Möglichkeiten fördert die Agri Idea Sprout spannende Impulse und intensiviert den Austausch zwischen relevanten Stakeholdern. Ziel ist es, gemeinsam holistische Lösungsansätze zu entwickeln, um die Herausforderungen der Agrarwirtschaft anzugehen und neue Wege für nachhaltiges Wachstum und nachhaltige Entwicklung zu ebnen. INFO
04.09. – 06.09.2024 / Wir bauen Zukunft, Mecklenburg-Vorpommern
Festival Farm-Food-Climate Festival
Das Farm-Food-Climate Festival auf dem Gelände von “Wir bauen Zukunft” in Mecklenburg-Vorpommern bringt 250 Changemaker:innen und Akteur:innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammen, um die Ernährungs- und Landwirtschaft in eine lebenswerte Zukunft steuern.
Themenschwerpunkte: Verwaltungsstrukturen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft, zukunftsfähige Anbauformen und Betriebszweige, konstruktive und verbindende Narrative, Wertschaffung in resilienten Landschaften, Gestaltungskraft des Lebensmitteleinzelhandels, öffentlich und private Finanzmittel für die Transformation INFO
05.09.2024 – 11.00 Uhr / online
Podcast LZ Coffee Break Food Report 2025
Die Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler sieht in ihrem 12. Food Report Nachhaltigkeit als die zentrale Herausforderung für das gesamte Ernährungssystem. Mit innovativen Lösungen und Best Practices bietet sie den Unternehmen der Branche Anregungen für erfolgreiche Zukunftsstrategien. INFO & ANMELDUNG
05. – 08.09.2024 / Messe Wels, Österreich
Fachmesse AgroTier 2024
Die AgroTier ist die wichtigste und größte Fachmesse Österreichs rund um die Innenwirtschaft und Grünlandbewirtschaftung. Diese Fachmesse richtet sich somit fokussiert an alle Tierhalter und Gemischtbetriebe in Österreich und dem angrenzenden Bayern. INFO
12.09.2024 – 16.30 – 23.00 Uhr / Berlin
DBV Seminar Alles auf Start:Up!
Besuch von Gründer:innen aus verschiedenen Bereichen des Agrar- und Ernährungssektors in Berlin. In einer Gruppe von maximal 20 Teilnehmenden wird es einen interaktiven Austausch mit Startups der Food- und Agtechbranche geben. Dieser wird begleitet von der AHA und beinhaltet ein Kennenlernen der Haltung, Ideenfindung, Fallstricke und Herausforderungen von Gründungen durch einen persönlichen Austausch mit Startup-Gründerinnen und Gründern. ANMELDUNG
12.09.2024 / Köln
Forum EHI Handelsgastronomie Forum 2024
Im Mittelpunkt des EHI Handelsgastronomie Forum stehen aktuelle Marktdaten aus Sicht des Handels und der Konsumierenden, Best Practice-Beispiele aus der Handels- und Gastronomiebranche, sowie die neuesten Trends auf internationalen Märkten und in möglichen Wachstumsfeldern. Darüber hinaus werden Themen wie Künstliche Intelligenz, die neue EU-Verpackungsverordnung und Recruiting diskutiert. INFO
13.09. – 15.09.2024
Deutsche Waldtage 2024 Wald und Wissen
Unter dem Motto “Wald und Wissen” laden Forstleute, Waldbesitzer, sowie Vereine und Organisationen, die sich mit Wald befassen, bundesweit zu zahlreichen Veranstaltungen in die Wälder ein. Alle Menschen, denen der Wald am Herzen liegt, können diese besuchen und mit Waldakteuren ins Gespräch kommen. INFO
18.09.2024 / Amsterdam
Summit 25. European Foodservice Summit
Mehr als 200 Führungskräfte von Restaurantketten und Zulieferer aus über 20 Ländern werden Teil der Konferenz für die internationale professionelle Gastronomie sein. Im Rampenlicht stehen Referenten aus ganz Europa, die wertvolle Einblicke in verschiedene Märkte bieten. Internationale Vordenker und Branchenexperten werden aktuelle Marktforschungsergebnisse vorstellen und Geschäftsstrategien und Chancen diskutieren. INFO
23.09.2024 / Brüssel
Europäischer Rat Landwirtschaft und Fischerei
Die Tagesordnung erscheint eine Woche vor der Tagung. INFO
25.09.2024 / Düsseldorf
Summit LZ Food & Beverage Innovation Day
Wie etablieren sich neue Trends? Ernährungsgewohnheiten wandeln sich stetig und werden vor allem durch junge Konsumierende beeinflusst. Wie aus einem temporären Hype von heute langfristiger Erfolg im Markt entstehen kann, diskutieren wir exklusiv auf dem LZ Food & Beverage Innovation Day. INFO
29.09. – 06.10.2024 / deutschlandweit
Aktionswoche des BMEL Zu gut für die Tonne! 2024
Sei es in der Außer-Haus-Verpflegung, im Handel, an Schulen und Kitas, im landwirtschaftlichen Bereich oder im digitalen Raum: Für jede und jeden gibt es Mitmach-Möglichkeiten wie zum Beispiel Quizzen, Koch-Workshops, Schulprojekte und Schnippelparties. Bei der diesjährigen Aktionswoche vom 29. September bis 6. Oktober geht es um Tipps und Tricks rund um das Planen von Einkäufen, das Lagern von Lebensmitteln und die Resteverwertung. INFO
Lebensmittelzeitung: Lebensmittelkennzeichnung: Bericht der EU-Forschungsstelle zu Nachhaltigkeitslabels polarisiert
Der Bericht der EU-Forschungsstelle Joint Research Centre (JRC) zur Nachhaltigkeitskennzeichnung von Lebensmitteln stößt auf gemischte Reaktionen. Das JRC appelliert darin an die EU, einen Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme vorzuschlagen. Während einige Experten für verbindliche Kennzeichnungsregeln von Lebensmitteln plädieren, kritisieren andere die fehlende Datenbasis und sehen bestehende Labels wie das Bio-Siegel als ausreichend an. Auch die geplante Green-Claims-Richtlinie würde das Thema hinreichend abdecken, so die Kritiker. Die Diskussion dreht sich um die Frage, ob ein allgemeines Nachhaltigkeitslabel praktikabel wäre und wie die EU-Kommission das Thema weiter angehen sollte. Zum Artikel
agrarheute: Nochmal 700 Mio. Euro für ausstiegswillige Nutztierhalter genehmigt
Niederlande fördern Ausstieg aus der Nutztierhaltung: Die Niederlande planen eine weitere Reduzierung der Tierhaltung in und um Naturschutzgebiete. Hierfür hat die Europäische Kommission erneut ein großzügiges Unterstützungsprogramm der Regierung in Den Haag gebilligt. Nun stehen bis zu 700 Millionen Euro zur Verfügung, um Landwirte zu entschädigen, die sich dazu entschließen, ihre Tierhaltungsbetriebe in bestimmten Gebieten der Niederlande bis zum 1. Oktober 2029 freiwillig aufzugeben. Zum Artikel
topagrar: Greenpeace beklagt zu langsame Umstellung auf Tierwohlfleisch im Supermarkt
Langsame Fortschritte beim Tierwohl: Bereits 2019 erklärten alle großen Einzelhandelsketten, dass sie wegen des Fehlens einer staatlichen Kennzeichnung zum Tierwohl ihre Eigenmarken an der Fleischtheke freiwillig kennzeichnen würden. Einige Jahre später verpflichtete sich der Handel sogar, zunächst die Haltungsform 1 und bis 2030 auch die Haltungsform 2 nicht mehr zu führen. Seitdem überwacht Greenpeace die Veränderungen im Fleischangebot der Supermärkte und führt regelmäßige Befragungen durch. Die Umweltschutzorganisation stellt fest, dass es auf dem Weg zu mehr Tierwohl nur geringfügige Fortschritte gibt. Zum Artikel
Mit Ramona Pop hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) vor rund zwei Jahren eine prominente Vorständin bekommen. Pop, die den meisten Berlinern noch als Wirtschaftssenatorin und stellvertretende Bürgermeisterin der Hauptstadt (Bündnis 90/Die Grünen) ein Begriff sein dürfte, fand damals den Weg aus der Politik in die Verbändearbeit. Nach 20 Jahren in der Landespolitik habe sie “etwas Anderes, etwas Neues” machen wollen, erzählt die studierte Politikwissenschaftlerin.
Neu war das Thema Verbraucherschutz, für das Pop heute gemeinsam mit den gut 250 Mitarbeitenden des vzbv lobbyiert, zu Beginn in vielerlei Hinsicht. Da die Arbeit als Vorständin aber von Anfang an viel politisches Geschick erforderte, zehrte sie von den Erfahrungen aus der Zeit als Berufspolitikerin. Wenn man Lobbyarbeit mache, sei es wichtig, zu verstehen, welche Zwänge in der Politik vorherrschen – Haushaltszwänge, anstehende Wahlen, parteiinterne Verhandlungen, sagt Pop. “Das hilft, nachzuvollziehen, warum etwas passiert oder nicht und wie man für Verbraucherinnen und Verbraucher hier Denkanstöße setzt.”
Besonders viele Denkanstöße setzt Pop für den vzbv derzeit auch im Feld der Ernährungspolitik. “In meinem Lebenslauf gab es immer wieder Aufhänger für das Thema Ernährung und Lebensmittel“, schildert sie ihre Motivation. Derzeit beschäftigt die vzbv-Vorständin etwa der Nutri-Score, der auf europäischer Ebene schon vor einiger Zeit ins Stocken geraten ist. “Wir brauchen den Nutri-Score EU-weit verpflichtend”, sagt Pop. Der Nutri-Score mache nur Sinn, wenn er im gesamten Binnenmarkt für alle Produkte gelte. Sonst sei die Vergleichbarkeit am Supermarktregal nicht gegeben.
Ein besonders wichtiges Anliegen ist es Pop zudem derzeit, bei den hohen Lebensmittelpreisen gegenzusteuern, die für viele Verbraucher immer mehr zur Belastung werden. “Wir sehen, dass sich gesund und ausgewogen zu ernähren, auch in Deutschland immer stärker eine Frage des Geldbeutels wird”, sagt sie. In den letzten zwei Jahren hätten sie deshalb daran gearbeitet, die Lebensmittelpreissteigerungen ins politische Bewusstsein zu rücken.
Auch der vzbv und die Verbraucherzentralen haben im Feld der Ernährungspolitik “eine lange Tradition”, berichtet Pop. Der vzbv verantwortet etwa bereits seit vielen Jahren gemeinsam mit den Verbraucherzentralen das Projekt Lebensmittelklarheit – ein Portal, das aufzeige, wie Verbraucher bei Lebensmitteln getäuscht werden. Die Verbraucherzentrale Hamburg mache viel zu den Themen Mogelpackung, Falschangaben, Zutatenlisten. In der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen läuft ein Projekt zur Ernährungsarmut.
Die aktuelle Bundesregierung habe sich beim Thema Ernährung in ihrem Koalitionsvertrag einiges vorgenommen, sagt Pop. Das Thema Werberegulierungen für ungesunde Lebensmittel für Kinder und Jugendliche zum Beispiel, wo die vzbv-Vorständin “noch Nachholbedarf für Deutschland” sieht. Mit Blick auf die stockenden Verhandlungen der Ampel-Fraktionen beim Kinderlebensmittel-Werbegesetz fordert sie, “dass das nun endlich angegangen wird”.
Endlich angegangen werden müsse ihrer Meinung nach auch die Anpassung der Mehrwertsteuer in Deutschland. Als Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft unterstützt Pop für den vzbv eine Mehrwertsteuererhöhung auf Fleisch. Im Gegenzug müsse die Steuer für gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte abgesenkt oder ganz abgeschafft werden, fordert Pop. “Damit der Warenkorb gerade in diesen Zeiten ausgeglichen ist.”
Auch die Verbraucher, das zeigten Umfragen und Erhebungen, seien durchaus bereit, mehr Geld für Tierschutz auszugeben, lässt Pop wissen. Das Geld, das darüber hinaus eingenommen werde, müsse jedoch denjenigen zugutekommen, die die Tierhaltung in ihren Ställen wirklich verbessern. “Verbraucherinnen und Verbraucher wollen, dass das Geld dann auch dort ankommt, wo es für nachweislich mehr Tierwohl sorgt”, sagt die vzbv-Vorständin. Das Zeitfenster, das es politisch für Mehrwertsteueranpassungen gegeben habe, scheine sich langsam zu schließen, glaubt sie.
Kritik übt Pop hier auch an der Ampel, “weil ewig koalitionsintern gerungen wird”. Die Verbände sieht sie als Leidtragende der Dauerauseinandersetzung der Regierungsparteien. Sie müssten immer ganz schnell springen, wenn dann mal Eckpunkte festgehalten werden. Insbesondere kleinere Verbände schafften das häufig nicht, womit am Ende wichtige Stimmen im Prozess fehlten. “Das ist nicht das, was wir unter einer vernünftigen Einbindung von Verbänden verstehen”, sagt Pop.
Ein anderes Thema, das Pop und den vzbv derzeit umtreibt: die Green Claims Directive, die auf europäischer Ebene noch nicht beschlossen ist. Sie würde Unternehmen verpflichten, Werbeaussagen wie “aus nachhaltigen Rohstoffen” oder “bienenfreundlich” nachzuweisen, bevor sie sie auf den Markt bringen, erläutert Pop. “Es braucht eine Regulierung, die Greenwashing verhindert und Klagen gegen irreführende Werbung erleichtert”, sagt die vzbv-Vorständin.
Dass der vzbv, der als Verein mit vielen Mitgliedsverbänden organisiert ist, sich auch um Rechtsdurchsetzung kümmert, ist Pop besonders wichtig. “Wir sind nicht nur ein Lobbyverband, sondern wir dürfen auch klagen für Verbraucherinnen und Verbraucher.” Mit der Einführung der neuen Sammelklage habe sich deutlich etwas verbessert, so die vzbv-Vorständin. “Wir können wirklich direkt auf Entschädigung klagen, wenn wir sehen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher um ihr Recht gebracht werden.”
Die Ernährungsbranche hat Pop in den vergangen zwei Jahren als “eine stark vermachtete Branche” kennengelernt, in der es um viel Geld geht und darum, “günstig zu produzieren und möglichst gewinnbringend zu verkaufen”. Es seien harte Auseinandersetzungen, die sie dort führten. Entmutigen lässt sich Pop hierbei jedoch nicht. Denn: “Wir kämpfen für Verbraucherinnen und Verbraucher und ihre Rechte, und das ist etwas Gutes.” Merle Heusmann
die Brüsseler Blaupause der Zukunftskommission Landwirtschaft tagt in dieser Woche zum letzten Mal. Der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einberufene Strategiedialog Landwirtschaft, geleitet von Professor Peter Strohschneider, soll anschließend einen Abschlussbericht veröffentlichen. Die Europäischen Grünen haben keine großen Erwartungen an die Ergebnisse, betonte beispielsweise der niederländische Europaabgeordnete Bas Eickhout Mitte Mai. Die Inhalte des Abschlussberichts sind insofern interessant, als von der Leyen Ende April angekündigt hatte, die Ergebnisse des Strategiedialogs zum Programm der nächsten Amtszeit zu machen.
Von der Leyen werkelt derweil weiter an ihrer neuen Kommission. In dieser Woche will sie die ersten Kandidaten der EU-Mitgliedstaaten zum Vorstellungsgespräch treffen. Das Personaltableau soll dann Mitte September stehen. Weitgehend ignoriert haben die nationalen Regierungen bislang die Aufforderung der Kommissionspräsidentin, ihr jeweils einen männlichen und einen weiblichen Kandidaten vorzuschlagen – und so zeichnet sich ein kräftiger Männerüberschuss ab. Aber so leicht will sie sich nicht geschlagen geben: Wenn Frauen schon zahlenmäßig in der neuen Kommission unterrepräsentiert sind, sollen besonders einflussreiche Aufgabenbereiche eben an Kommissarinnen gehen.
Fernab vom Brüsseler Politikbetrieb, der in dieser Woche allmählich aus dem Sommerschlaf erwacht, hat sich unser Autor Kai Moll mit der Spekulation mit Ackerland beschäftigt. Im Interview mit dem ehemaligen Referatsleiter Bodenmarkt des BMEL, Jobst Jungehülsing, warnt dieser vor einer massiven Verteuerung landwirtschaftlicher Flächen. Im Gegensatz zum Nachbarland Frankreich müssen Share-Deals in Deutschland immer noch nicht angezeigt und genehmigt werden. Sie laufen unter dem Radar des Staates ab und sind eine willkommene Investitionsmöglichkeit zur Vermögensdiversifizierung.
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!
Herr Jungehülsing, die Kaufpreise für landwirtschaftliche Flächen steigen seit Jahren praktisch ungebremst. Wie kommt es dazu?
Die Kaufwerte für Agrarflächen in Deutschland sind seit 2005 ununterbrochen um insgesamt 280 Prozent gestiegen. Dadurch liegen die Gesamtrenditen aus Wertzuwachs und Verpachtung der Flächen für den Bodenkauf seitdem immer in der Nähe von zehn Prozent. Damit sind die Renditen höher, als wenn Sie in der gleichen Zeit in den DAX oder in Wohnimmobilien investiert hätten.
Das hat dazu geführt, dass Agrarimmobilien seit der Finanzkrise 2007 von Finanzinvestoren als lukrative Wertanlage betrachtet werden. Weil jedes Jahr relativ wenige Agrarimmobilien gehandelt werden, führt diese zusätzliche Nachfrage zu einem Preisschub, der im nächsten Jahr wieder zusätzliche Investoren anzieht, dem der nächste Preisschub folgt. Im Grunde können wir auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt perfekt das Herdenverhalten von Finanzinvestoren beobachten.
Der zweite Grund für die steigenden Bodenpreise ist die stetige Verknappung der Agrarflächen. Wir verlieren derzeit etwa 55 Hektar pro Tag allein für Siedlung und Verkehr. Dazu kommen Verluste durch Aufforstung und Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Seit 1992 haben wir in Deutschland über 1,4 Millionen Hektar Agrarfläche verloren. Diese ständige Abnahme eines ohnehin begrenzten Produktionsfaktors ist die perfekte Basis für Spekulation und Preisauftrieb.
Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Landwirte aus?
Die Kaufpreise lagen 2023 laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt bei 33.363 Euro pro Hektar. In den intensiv genutzten Agrarregionen sind die Preise aber noch viel höher. In der Goldenen Aue in Thüringen bezahlen Sie 40.000 Euro, in manchen Regionen in Nordrhein-Westfalen auch mal 80.000 Euro. Das sind Preise, die Landwirte aus den Erträgen nicht mehr erwirtschaften können.
Parallel zu den Kaufwerten sind natürlich auch die Pachten ständig angestiegen. In Gunstlagen liegen die Pachten heute weit über der üblichen landwirtschaftlichen Grundrente von 400 bis 500 Euro pro Hektar und Jahr, die der Landwirt erwirtschaften kann. Für die Landwirte ist es also betriebswirtschaftlich oft weder sinnvoll, neue Flächen zu pachten, noch zu kaufen. Damit wird in den meisten Regionen die Betriebsentwicklung verhindert. Laufende Betriebe können kaum noch erweitern und landwirtschaftliche Existenzgründungen sind ebenfalls kaum noch möglich.
Im Fokus der Kritik stehen oft die “Share-Deals”, die der Bodenspekulation das Tor öffnen. Was hat es damit auf sich?
Der Handel mit Agrarflächen wird in Deutschland seit langer Zeit von den Behörden kontrolliert, muss angezeigt und genehmigt werden. Auf Basis des Grundstücksverkehrsgesetzes kann der Staat beispielsweise einen Grundstücksverkauf untersagen, wenn der Verkaufspreis zu hoch ist. Bei einem Verkauf von landwirtschaftlicher Fläche haben zudem Interessenten aus der Landwirtschaft einen gesetzlichen Vorrang.
Das gilt aber nur für den Verkauf einzelner Grundstücke, beziehungsweise “Asset Deals”. Für Geschäfte unter juristischen Personen, die “Share-Deals”, gilt das nicht. Wenn also ein Finanzinvestor einen 4.000-Hektar-Betrieb oder gleich mehrere kauft, dann gehen die Agrarimmobilien, also auch das Ackerland, an den Käufer über, werden aber vom Grundstücksverkehrsgesetz nicht erfasst. Das ist ein Problem, weil der Staat hier weder die Preiskontrolle beziehungsweise die Spekulationsbremse, noch den Vorrang von Landwirten durchsetzen kann.
Kann man beziffern, wie stark die Anzahl von Share-Deals in den vergangenen Jahren gewachsen ist?
Das kann man leider nicht, weil es statistisch nicht erfasst wird. Agrarverwaltung und Agrarpolitik befinden sich hier in einem Blindflug. Man kann aber Frankreich zum Vergleich heranziehen. Dort müssen Share-Deals seit 2023 angezeigt und genehmigt werden. Gegebenenfalls können sie versagt werden. Die französischen Behörden gehen jetzt davon aus, dass etwa 37 Prozent des Bodenmarktes über Share-Deals laufen. Dabei muss man sehen, dass die Agrarstruktur in Frankreich ja noch eher durch Familienbetriebe geprägt ist. Für Ostdeutschland, wo juristische Personen von viel größeren Dimensionen eine Rolle spielen, gehe ich auch aufgrund der völlig fehlenden staatlichen Kontrolle davon aus, dass die Share-Deals einen Anteil von deutlich mehr als 37 Prozent haben.
In den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind in den vergangenen Monaten lange vorbereitete Agrarstrukturgesetze, die auch dem Problem der Share-Deals begegnen sollten, politisch gescheitert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Es gibt bereits seit 2015 die Empfehlung einer von der Agrarministerkonferenz eingesetzten Expertengruppe, dass die Share-Deals ins landwirtschaftliche Bodenrecht einbezogen werden sollen, damit es dort keinen rechtsfreien Raum gibt. Aber bisher hat kein Bundesland diese Empfehlung umgesetzt. Die geplanten Agrarstrukturgesetze wären auf jeden Fall ein Schritt nach vorn gewesen. Die Gesetzentwürfe waren ja auch schon in den parlamentarischen Verfahren. In Thüringen gab es Bedenken von Experten und Abgeordneten. In Sachsen und Brandenburg gab es nur kleinere Verbesserungsvorschläge, das waren solide Entwürfe.
Wie erklären Sie sich, dass die Gesetzesvorhaben dennoch gescheitert sind?
Ich sehe da zwei Gründe. Zum einen wird selbst im Agrarsektor weitgehend unterschätzt oder nicht verstanden, was auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt tatsächlich passiert. Das hat wiederum mit der Intransparenz zu tun, dass weder die Share-Deals, noch die Spekulation mit Agrarflächen, noch die Konzentration der Eigentumsflächen bei einigen wenigen sehr großen Marktteilnehmern, noch die Umgehung der Grunderwerbsteuer statistisch erfasst werden.
Zum anderen sind in den ostdeutschen Bundesländern eine ganze Reihe von Tochtergesellschaften von Agrarholdings aktiv, die beziehungsweise deren Muttergesellschaften in entsprechenden Lobbyverbänden organisiert sind. Und die kleine Zahl dieser Verbände lehnt die Gesetzentwürfe stets ab, egal, ob sie von einem CDU-, SPD-, Linken- oder Grünen-Agrarminister kommen. Im Ergebnis werden damit Freiräume für Spekulanten offengehalten, anstatt eine zukunftsgerichtete Agrarstruktur für die aktiven Landwirte und die Gesellschaft zu sichern.
Wo werden sich die Kaufpreise hinentwickeln, wenn es der Politik nicht gelingt, die Bremse zu ziehen?
Wenn die preistreibenden Effekte weiter ungebremst wirksam bleiben, gehe ich davon aus, dass wir in zehn Jahren noch einmal eine Verdreifachung, vielleicht sogar eine Vervierfachung haben werden.
Jobst Jungehülsing war bis Ende 2023 Referatsleiter Bodenmarkt im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
Lebensmittel mit Mindesthaltbarkeitsdatum, die in 48 Stunden ablaufen, sollen in Ungarn künftig nicht mehr in die Regale großer Supermarktketten gelangen. Das geht aus einer Notifizierung der ungarischen Regierung bei der EU-Kommission hervor, der zufolge das Gesetz XLVI von 2008 über die Lebensmittelkette und ihre amtliche Überwachung geändert werden soll. Betroffen wären Konzerne des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) mit einem Nettoumsatz von mindestens 100 Milliarden Forint (rund 254 Millionen Euro).
Vorgesehen ist die “Änderung bestimmter Rechtsakte, die miteinander verknüpft sind, um die Nahrungsmittelrettung wirksamer zu gestalten“, heißt es in dem Papier. Denn: Die Märkte sollen die entsprechenden Lebensmittel unter bestimmten Voraussetzungen kostenlos abgeben dürfen. Die Organisation Food Rescue Centre Nonprofit soll die Lebensmittelspenden abwickeln.
Die Pläne würden in dieser Ausarbeitung für den deutschen LEH einen unverhältnismäßigen Einschnitt in seine Geschäftstätigkeit bedeuten, fürchtet Antje Gerstein, Geschäftsführerin für Europapolitik und Nachhaltigkeit beim Handelsverband Deutschland. “Die in dem Gesetz vorgegebene 48-Stundenregelung kommt einer Enteignung gleich”, sagt sie.
Gerstein spricht auf Anfrage von Table.Briefings von einem “bekannten Muster der Wettbewerbsverzerrung”. Mit der vorgegebenen Grenze wären lediglich multinationale Unternehmen erfasst. Händler unterhalb dieser Grenze würden nicht unter die Regelung fallen, eine nachvollziehbare Begründung dafür gebe es nicht, kritisiert Gerstein. Das heißt: Ein deutscher LEH-Konzern wie Lidl, der großflächig in Ungarn operiert, wäre von der Änderung betroffen. Er wäre nicht das erste Mal, dass Orbáns Regierung ein Gesetz auf den Weg bringt, mit dem ausländische Einzelhändler systematisch aus dem Land gedrängt werden sollen.
Noch befinden sich die Gesetzesänderungen der ungarischen Regierung im Notifizierungsverfahren der EU. Dieses Verfahren soll verhindern, dass Handelshemmnisse im Binnenmarkt geschaffen werden, bevor sie tatsächlich entstehen. Die EU-Kommission prüft die Notifizierungen der Mitgliedstaaten entsprechend, andere EU-Länder können ebenfalls dazu Stellung nehmen. heu
Die wissenschaftlichen Schätzungen zu Fischbeständen, die der Regulierung der globalen und regionalen Fischerei zugrunde liegen, sind häufig zu optimistisch. Zu dieser Einschätzung kommt die Studie “Stock assessment models overstate sustainability of the world’s fisheries“, die am Donnerstag in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde.
Das Forscherteam unter Leitung des Marineökologen Graham Edgar von der Universität Tasmania analysierte öffentlich zugängliche Daten für 230 der weltweit größten Fischgründe. Dabei verglichen sie vorausblickende Prognosen mit später erfolgten Untersuchungen über den tatsächlichen Zustand der Fischpopulationen. Wie sich zeigte, waren die Prognosen besonders bei ohnehin überfischten Beständen viel zu optimistisch. Laut der Studie sind 85 Prozent mehr Bestände als bisher angenommen “kollabiert”, also auf weniger als ein Zehntel ihres historischen Maximums verkleinert.
Gegenüber dem Science Media Center sagten mehrere Forschende, dass die Studie bereits frühere Zweifel an den Prognosen erhärtet habe. Ein Grund für die mangelnde Aussagekraft der Prognosen sei ein Mangel an belastbaren Daten, die dann auf der Basis von Zeitreihen geschätzt würden. Modellierer müssten “auf weniger belastbare Werte zurückgreifen, die in der Vergangenheit funktioniert haben”, so Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. “Solche Praktiken können die Ergebnisse stark auf die Erwartungen der Modellierer beschränken.”
Dies betreffe insbesondere überfischte Bestände, die schwer zu beobachten seien. “Die Überbewertungen führten bei diesen zu so genannten Phantom-Erholungen: Sie wurden als erholt eingestuft, obwohl sie in Wirklichkeit weiter schrumpften”, sagte Froese. “Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre.”
Boris Worm von der Dalhousie University in Kanada empfahl, in Zukunft grundsätzlich pessimistische Prognosen für die Festlegung von Fangquoten heranzuziehen: “Also quasi ein Risikomanagement, wie es zum Beispiel auch Banken bei insolventen Kunden anwenden würden.” Überfischung sei besonders im Mittelmeer, in Westafrika und in Südasien ein Problem. Küstennahe Fischerei sei vielerorts bereits zusammengebrochen und werde gar nicht mehr erfasst. Die Studie warne nun aber davor, dass auch vermeintlich gut bewirtschaftete Meere in Europa schlechter dastehen könnten als gedacht. av
27. – 29.08.2024 / Brüssel
Plenarsitzung Strategischer Dialog zur Zukunft der EU-Landwirtschaft
Zum letzten Mal kommen die Teilnehmenden des Strategischen Dialogs über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU zur Plenarsitzung zusammen. Der Abschlussbericht des Stakeholder-Gremiums, auf dessen Basis die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein politisches Visionspapier erstellen will, wird zum Ende des Sommers erwartet. INFO
28.08.2024 – 13.00 Uhr / Berlin
Pressekonferenz Erntebericht 2024
Bundesminister Cem Özdemir stellt die amtlichen Zahlen zur Ernte vor und ordnet die Ergebnisse ein. INFO
28.08.2024 – 12.00 Uhr / Steigenberger Hotel Hamburg
Podiumsdiskussion Deutscher Fischereitag
Teilnehmende der Podiumsdiskussion des Wissenschaftlichen Beirates am 28.08. sind
Niclas Herbst, MdEP
Maja Kirchner, Eu-Kommission, DG Mare
Claudia Müller, Parlamentarische Staatssekretärin, BMEL
Dr. Cord Stoyke, Referatsleiter, ML Niedersachsen
Jürgen Peters, Bürgermeister Neuharlingersiel
Hilke Looden, Bürgermeisterin Krummhörn PROGRAMM
29.08.2024 – 08:30 – 17:00 Uhr / Hof Schlamann in Lengerich
Messe Agri Idea Sprout
Das Format integriert interaktive Open Sessions zu verschiedenen Themenfeldern wie Agrartechnologien, Energiesysteme, Kreislaufwirtschaft und alternative Geschäftsmodelle. Gepaart mit inspirierenden Keynotes und Networking-Möglichkeiten fördert die Agri Idea Sprout spannende Impulse und intensiviert den Austausch zwischen relevanten Stakeholdern. Ziel ist es, gemeinsam holistische Lösungsansätze zu entwickeln, um die Herausforderungen der Agrarwirtschaft anzugehen und neue Wege für nachhaltiges Wachstum und nachhaltige Entwicklung zu ebnen. INFO
04.09. – 06.09.2024 / Wir bauen Zukunft, Mecklenburg-Vorpommern
Festival Farm-Food-Climate Festival
Das Farm-Food-Climate Festival auf dem Gelände von “Wir bauen Zukunft” in Mecklenburg-Vorpommern bringt 250 Changemaker:innen und Akteur:innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammen, um die Ernährungs- und Landwirtschaft in eine lebenswerte Zukunft steuern.
Themenschwerpunkte: Verwaltungsstrukturen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft, zukunftsfähige Anbauformen und Betriebszweige, konstruktive und verbindende Narrative, Wertschaffung in resilienten Landschaften, Gestaltungskraft des Lebensmitteleinzelhandels, öffentlich und private Finanzmittel für die Transformation INFO
05.09.2024 – 11.00 Uhr / online
Podcast LZ Coffee Break Food Report 2025
Die Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler sieht in ihrem 12. Food Report Nachhaltigkeit als die zentrale Herausforderung für das gesamte Ernährungssystem. Mit innovativen Lösungen und Best Practices bietet sie den Unternehmen der Branche Anregungen für erfolgreiche Zukunftsstrategien. INFO & ANMELDUNG
05. – 08.09.2024 / Messe Wels, Österreich
Fachmesse AgroTier 2024
Die AgroTier ist die wichtigste und größte Fachmesse Österreichs rund um die Innenwirtschaft und Grünlandbewirtschaftung. Diese Fachmesse richtet sich somit fokussiert an alle Tierhalter und Gemischtbetriebe in Österreich und dem angrenzenden Bayern. INFO
12.09.2024 – 16.30 – 23.00 Uhr / Berlin
DBV Seminar Alles auf Start:Up!
Besuch von Gründer:innen aus verschiedenen Bereichen des Agrar- und Ernährungssektors in Berlin. In einer Gruppe von maximal 20 Teilnehmenden wird es einen interaktiven Austausch mit Startups der Food- und Agtechbranche geben. Dieser wird begleitet von der AHA und beinhaltet ein Kennenlernen der Haltung, Ideenfindung, Fallstricke und Herausforderungen von Gründungen durch einen persönlichen Austausch mit Startup-Gründerinnen und Gründern. ANMELDUNG
12.09.2024 / Köln
Forum EHI Handelsgastronomie Forum 2024
Im Mittelpunkt des EHI Handelsgastronomie Forum stehen aktuelle Marktdaten aus Sicht des Handels und der Konsumierenden, Best Practice-Beispiele aus der Handels- und Gastronomiebranche, sowie die neuesten Trends auf internationalen Märkten und in möglichen Wachstumsfeldern. Darüber hinaus werden Themen wie Künstliche Intelligenz, die neue EU-Verpackungsverordnung und Recruiting diskutiert. INFO
13.09. – 15.09.2024
Deutsche Waldtage 2024 Wald und Wissen
Unter dem Motto “Wald und Wissen” laden Forstleute, Waldbesitzer, sowie Vereine und Organisationen, die sich mit Wald befassen, bundesweit zu zahlreichen Veranstaltungen in die Wälder ein. Alle Menschen, denen der Wald am Herzen liegt, können diese besuchen und mit Waldakteuren ins Gespräch kommen. INFO
18.09.2024 / Amsterdam
Summit 25. European Foodservice Summit
Mehr als 200 Führungskräfte von Restaurantketten und Zulieferer aus über 20 Ländern werden Teil der Konferenz für die internationale professionelle Gastronomie sein. Im Rampenlicht stehen Referenten aus ganz Europa, die wertvolle Einblicke in verschiedene Märkte bieten. Internationale Vordenker und Branchenexperten werden aktuelle Marktforschungsergebnisse vorstellen und Geschäftsstrategien und Chancen diskutieren. INFO
23.09.2024 / Brüssel
Europäischer Rat Landwirtschaft und Fischerei
Die Tagesordnung erscheint eine Woche vor der Tagung. INFO
25.09.2024 / Düsseldorf
Summit LZ Food & Beverage Innovation Day
Wie etablieren sich neue Trends? Ernährungsgewohnheiten wandeln sich stetig und werden vor allem durch junge Konsumierende beeinflusst. Wie aus einem temporären Hype von heute langfristiger Erfolg im Markt entstehen kann, diskutieren wir exklusiv auf dem LZ Food & Beverage Innovation Day. INFO
29.09. – 06.10.2024 / deutschlandweit
Aktionswoche des BMEL Zu gut für die Tonne! 2024
Sei es in der Außer-Haus-Verpflegung, im Handel, an Schulen und Kitas, im landwirtschaftlichen Bereich oder im digitalen Raum: Für jede und jeden gibt es Mitmach-Möglichkeiten wie zum Beispiel Quizzen, Koch-Workshops, Schulprojekte und Schnippelparties. Bei der diesjährigen Aktionswoche vom 29. September bis 6. Oktober geht es um Tipps und Tricks rund um das Planen von Einkäufen, das Lagern von Lebensmitteln und die Resteverwertung. INFO
Lebensmittelzeitung: Lebensmittelkennzeichnung: Bericht der EU-Forschungsstelle zu Nachhaltigkeitslabels polarisiert
Der Bericht der EU-Forschungsstelle Joint Research Centre (JRC) zur Nachhaltigkeitskennzeichnung von Lebensmitteln stößt auf gemischte Reaktionen. Das JRC appelliert darin an die EU, einen Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme vorzuschlagen. Während einige Experten für verbindliche Kennzeichnungsregeln von Lebensmitteln plädieren, kritisieren andere die fehlende Datenbasis und sehen bestehende Labels wie das Bio-Siegel als ausreichend an. Auch die geplante Green-Claims-Richtlinie würde das Thema hinreichend abdecken, so die Kritiker. Die Diskussion dreht sich um die Frage, ob ein allgemeines Nachhaltigkeitslabel praktikabel wäre und wie die EU-Kommission das Thema weiter angehen sollte. Zum Artikel
agrarheute: Nochmal 700 Mio. Euro für ausstiegswillige Nutztierhalter genehmigt
Niederlande fördern Ausstieg aus der Nutztierhaltung: Die Niederlande planen eine weitere Reduzierung der Tierhaltung in und um Naturschutzgebiete. Hierfür hat die Europäische Kommission erneut ein großzügiges Unterstützungsprogramm der Regierung in Den Haag gebilligt. Nun stehen bis zu 700 Millionen Euro zur Verfügung, um Landwirte zu entschädigen, die sich dazu entschließen, ihre Tierhaltungsbetriebe in bestimmten Gebieten der Niederlande bis zum 1. Oktober 2029 freiwillig aufzugeben. Zum Artikel
topagrar: Greenpeace beklagt zu langsame Umstellung auf Tierwohlfleisch im Supermarkt
Langsame Fortschritte beim Tierwohl: Bereits 2019 erklärten alle großen Einzelhandelsketten, dass sie wegen des Fehlens einer staatlichen Kennzeichnung zum Tierwohl ihre Eigenmarken an der Fleischtheke freiwillig kennzeichnen würden. Einige Jahre später verpflichtete sich der Handel sogar, zunächst die Haltungsform 1 und bis 2030 auch die Haltungsform 2 nicht mehr zu führen. Seitdem überwacht Greenpeace die Veränderungen im Fleischangebot der Supermärkte und führt regelmäßige Befragungen durch. Die Umweltschutzorganisation stellt fest, dass es auf dem Weg zu mehr Tierwohl nur geringfügige Fortschritte gibt. Zum Artikel
Mit Ramona Pop hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) vor rund zwei Jahren eine prominente Vorständin bekommen. Pop, die den meisten Berlinern noch als Wirtschaftssenatorin und stellvertretende Bürgermeisterin der Hauptstadt (Bündnis 90/Die Grünen) ein Begriff sein dürfte, fand damals den Weg aus der Politik in die Verbändearbeit. Nach 20 Jahren in der Landespolitik habe sie “etwas Anderes, etwas Neues” machen wollen, erzählt die studierte Politikwissenschaftlerin.
Neu war das Thema Verbraucherschutz, für das Pop heute gemeinsam mit den gut 250 Mitarbeitenden des vzbv lobbyiert, zu Beginn in vielerlei Hinsicht. Da die Arbeit als Vorständin aber von Anfang an viel politisches Geschick erforderte, zehrte sie von den Erfahrungen aus der Zeit als Berufspolitikerin. Wenn man Lobbyarbeit mache, sei es wichtig, zu verstehen, welche Zwänge in der Politik vorherrschen – Haushaltszwänge, anstehende Wahlen, parteiinterne Verhandlungen, sagt Pop. “Das hilft, nachzuvollziehen, warum etwas passiert oder nicht und wie man für Verbraucherinnen und Verbraucher hier Denkanstöße setzt.”
Besonders viele Denkanstöße setzt Pop für den vzbv derzeit auch im Feld der Ernährungspolitik. “In meinem Lebenslauf gab es immer wieder Aufhänger für das Thema Ernährung und Lebensmittel“, schildert sie ihre Motivation. Derzeit beschäftigt die vzbv-Vorständin etwa der Nutri-Score, der auf europäischer Ebene schon vor einiger Zeit ins Stocken geraten ist. “Wir brauchen den Nutri-Score EU-weit verpflichtend”, sagt Pop. Der Nutri-Score mache nur Sinn, wenn er im gesamten Binnenmarkt für alle Produkte gelte. Sonst sei die Vergleichbarkeit am Supermarktregal nicht gegeben.
Ein besonders wichtiges Anliegen ist es Pop zudem derzeit, bei den hohen Lebensmittelpreisen gegenzusteuern, die für viele Verbraucher immer mehr zur Belastung werden. “Wir sehen, dass sich gesund und ausgewogen zu ernähren, auch in Deutschland immer stärker eine Frage des Geldbeutels wird”, sagt sie. In den letzten zwei Jahren hätten sie deshalb daran gearbeitet, die Lebensmittelpreissteigerungen ins politische Bewusstsein zu rücken.
Auch der vzbv und die Verbraucherzentralen haben im Feld der Ernährungspolitik “eine lange Tradition”, berichtet Pop. Der vzbv verantwortet etwa bereits seit vielen Jahren gemeinsam mit den Verbraucherzentralen das Projekt Lebensmittelklarheit – ein Portal, das aufzeige, wie Verbraucher bei Lebensmitteln getäuscht werden. Die Verbraucherzentrale Hamburg mache viel zu den Themen Mogelpackung, Falschangaben, Zutatenlisten. In der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen läuft ein Projekt zur Ernährungsarmut.
Die aktuelle Bundesregierung habe sich beim Thema Ernährung in ihrem Koalitionsvertrag einiges vorgenommen, sagt Pop. Das Thema Werberegulierungen für ungesunde Lebensmittel für Kinder und Jugendliche zum Beispiel, wo die vzbv-Vorständin “noch Nachholbedarf für Deutschland” sieht. Mit Blick auf die stockenden Verhandlungen der Ampel-Fraktionen beim Kinderlebensmittel-Werbegesetz fordert sie, “dass das nun endlich angegangen wird”.
Endlich angegangen werden müsse ihrer Meinung nach auch die Anpassung der Mehrwertsteuer in Deutschland. Als Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft unterstützt Pop für den vzbv eine Mehrwertsteuererhöhung auf Fleisch. Im Gegenzug müsse die Steuer für gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte abgesenkt oder ganz abgeschafft werden, fordert Pop. “Damit der Warenkorb gerade in diesen Zeiten ausgeglichen ist.”
Auch die Verbraucher, das zeigten Umfragen und Erhebungen, seien durchaus bereit, mehr Geld für Tierschutz auszugeben, lässt Pop wissen. Das Geld, das darüber hinaus eingenommen werde, müsse jedoch denjenigen zugutekommen, die die Tierhaltung in ihren Ställen wirklich verbessern. “Verbraucherinnen und Verbraucher wollen, dass das Geld dann auch dort ankommt, wo es für nachweislich mehr Tierwohl sorgt”, sagt die vzbv-Vorständin. Das Zeitfenster, das es politisch für Mehrwertsteueranpassungen gegeben habe, scheine sich langsam zu schließen, glaubt sie.
Kritik übt Pop hier auch an der Ampel, “weil ewig koalitionsintern gerungen wird”. Die Verbände sieht sie als Leidtragende der Dauerauseinandersetzung der Regierungsparteien. Sie müssten immer ganz schnell springen, wenn dann mal Eckpunkte festgehalten werden. Insbesondere kleinere Verbände schafften das häufig nicht, womit am Ende wichtige Stimmen im Prozess fehlten. “Das ist nicht das, was wir unter einer vernünftigen Einbindung von Verbänden verstehen”, sagt Pop.
Ein anderes Thema, das Pop und den vzbv derzeit umtreibt: die Green Claims Directive, die auf europäischer Ebene noch nicht beschlossen ist. Sie würde Unternehmen verpflichten, Werbeaussagen wie “aus nachhaltigen Rohstoffen” oder “bienenfreundlich” nachzuweisen, bevor sie sie auf den Markt bringen, erläutert Pop. “Es braucht eine Regulierung, die Greenwashing verhindert und Klagen gegen irreführende Werbung erleichtert”, sagt die vzbv-Vorständin.
Dass der vzbv, der als Verein mit vielen Mitgliedsverbänden organisiert ist, sich auch um Rechtsdurchsetzung kümmert, ist Pop besonders wichtig. “Wir sind nicht nur ein Lobbyverband, sondern wir dürfen auch klagen für Verbraucherinnen und Verbraucher.” Mit der Einführung der neuen Sammelklage habe sich deutlich etwas verbessert, so die vzbv-Vorständin. “Wir können wirklich direkt auf Entschädigung klagen, wenn wir sehen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher um ihr Recht gebracht werden.”
Die Ernährungsbranche hat Pop in den vergangen zwei Jahren als “eine stark vermachtete Branche” kennengelernt, in der es um viel Geld geht und darum, “günstig zu produzieren und möglichst gewinnbringend zu verkaufen”. Es seien harte Auseinandersetzungen, die sie dort führten. Entmutigen lässt sich Pop hierbei jedoch nicht. Denn: “Wir kämpfen für Verbraucherinnen und Verbraucher und ihre Rechte, und das ist etwas Gutes.” Merle Heusmann