Table.Briefing: Agrifood

Niederlande bei Stickstoffkrise auf Konfrontationskurs mit Brüssel + NGOs kämpfen für Pestizid-Exportverbot

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Europawahlkampf geht in den Endspurt: Ab Donnerstag wird in den ersten EU-Ländern gewählt, am Sonntag dann in den restlichen 20 Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland. Deutliche Zugewinne sagt die jüngste Wahlprognose den beiden Rechtsaußen-Fraktionen EKR und ID voraus, verlieren dürften vor allem Grüne und Liberale. Damit würde sich agrar- und ernährungspolitisch das Kräfteverhältnis zugunsten derjenigen verschieben, die sich aus Brüssel weiterhin viel Geld für die Landwirtschaft, aber weniger Vorgaben wünschen, zum Beispiel zu Umwelt- und Klimaschutz.

Spannend wird auch, inwieweit sich die EVP unter Ursula von der Leyen auf eine Zusammenarbeit mit Teilen der rechten Fraktionen einlässt und diesen so zu weiterem Einfluss verhilft. Um Einfluss in der Brüsseler Agrarszene bemüht sich im Vorfeld der Wahl auch die ungarische Regierung unter Viktor Orbán: Ein von ihr finanzierter Thinktank ruft am heutigen Dienstag zu Bauernprotesten in Brüssel auf. Wie viele Landwirte bereit sind, mit dem als rechtspopulistisch geltenden Institut gemeinsame Sache zu machen, wird sich bei der Demonstration zeigen. Ein Protest linker und progressiver Agrar- und Umweltverbände war mit wenigen Hundert Teilnehmenden am vergangenen Wochenende recht klein geblieben.

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Julia Dahm
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Analyse

Sustainable Food Systems: Warum das Gesetz scheiterte und wie es weitergehen könnte

Ein Rahmengesetz zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen werde “Nachhaltigkeit in alle lebensmittelbezogenen Politikbereiche einbeziehen” und “die Verantwortung aller Akteure in der Lebensmittelkette in den Blick nehmen”. Diesen Anspruch setzte sich die Europäische Kommission 2020 kurz nach Amtsantritt in der Farm-to-Fork-Strategie.

Übrig geblieben ist davon vier Jahre später nichts: Obwohl die internen Vorbereitungen schon fortgeschritten waren, verschwand das Gesetz zu Sustainable Food Systems (SFS), das eigentlich für 2023 geplant war, im vergangenen Herbst von der Kommissionsagenda und wurde letztlich nie vorgelegt.

Bindende Nachhaltigkeitsziele besonders umstritten

Für, Isabel Paliotta, Policy Officer für Sustainable Food Systems beim Europäischen Umweltbüro (EEB), ist klar, warum das Gesetz nicht kam: Der Lobbydruck aus Agrar- und Ernährungsindustrie sei einfach zu groß geworden, sagt sie zu Table.Briefings. Aus Paliottas Sicht war dabei der Widerstand vor allem dagegen groß, wovon sich Umweltschützer besonders viel versprachen: die in der Farm-to-Fork-Strategie angedeutete Idee eines übergeordneten Rahmengesetzes mit bindenden Nachhaltigkeitszielen. NGOs erhofften sich ein Modell ähnlich dem EU-Klimaschutzgesetz, welches EU-weite Ziele zur CO₂-Reduktion setzt, zu denen die einzelnen Mitgliedstaaten und Politikbereiche beitragen müssen.

“Im ambitioniertesten Fall hätte das SFS-Gesetz quantitative Ziele vorgegeben, an die dann zum Beispiel die Gemeinsame Agrarpolitik hätte angepasst werden müssen”, erklärt Elisa Kollenda, WWF-Referentin für nachhaltige Ernährung. “Das hätten zum Beispiel konkrete Indikatoren für den Erhalt der Biodiversität sein können – etwa gemessen an einer Umkehr des Rückgangs bestäubender Insekten in der Agrarlandschaft.” Dass ein so weitreichendes Szenario für die Kommission ernsthaft in Betracht gekommen wäre, gilt als unwahrscheinlich. Auf dem Tisch lagen gut informierten Kreisen zufolge aber alternative Modelle, zum Beispiel nationale Strategiepläne zum Erreichen übergreifender Nachhaltigkeitsziele.

Kommission stellte Einzelmaßnahmen in den Vordergrund

Konkreter wurden die Pläne jedoch nie, auch nicht, wie Nachhaltigkeit überhaupt definiert worden wäre. Denn die Idee bindender Nachhaltigkeitsziele verschwand schon früh aus den Plänen und war bereits in der Anfang 2023 durchgesickerten Folgenabschätzung nicht mehr vorgesehen. Bevor die Kommission das gesamte Projekt fallen ließ, blieben vor allem Einzelmaßnahmen übrig: ein freiwilliges Nachhaltigkeitslabel für Lebensmittel oder EU-weite Regeln für nachhaltige öffentliche Beschaffung in der Gemeinschaftsverpflegung.

Für Paliotta ein Zeichen, dass gerade die ursprüngliche Idee eines Rahmengesetzes besonders wirksam gewesen wäre: “Plant man einen Ansatz, der das ganze System transformieren könnte, sträuben sich diejenigen, die derzeit profitieren, besonders stark”, argumentiert sie. Anders sieht es Kai Purnhagen, Professor für Lebensmittelrecht an der Universität Bayreuth. Das Scheitern des Gesetzes auf Lobbying zu schieben, greife zu kurz. Schuld trage auch die Europäische Kommission, die bereits in der Farm-to-Fork-Strategie das Thema falsch angegangen sei. “Das Vorhaben war einfach nicht durchdacht”, kritisiert er.

Vorhaben “nicht durchdacht”

Gerade die Idee eines bindenden Rahmengesetzes hätte nach Einschätzung Purnhagens mit dem bestehenden EU-Rechtssystem im Agrar- und Lebensmittelbereich zu stark gebrochen, um politisch tragfähig und rechtlich praktikabel zu sein. Nachhaltigkeit bindend im Lebensmittelrecht festzuschreiben, könne beispielsweise zu Zielkonflikten mit der Lebensmittelsicherheit führen, warnt er: “Zugespitzt formuliert könnte ein Lebensmittelhersteller sich gezwungen sehen, sein Produkt nachhaltiger zu gestalten, auch wenn es dadurch weniger sicher wird, zum Beispiel durch knapperes Verpackungsmaterial.” Sinnvoller ist aus Purnhagens Sicht, innerhalb des bestehenden Rechtssystems zu arbeiten.

Hier seien Nachhaltigkeitsprinzipien ohnehin angelegt – zum Beispiel im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (TFEU), der verlangt, die “Erfordernisse des Umweltschutzes” bei der Ausgestaltung aller EU-Politiken einzubeziehen. Statt neuer Gesetze müssten bestehende Verpflichtungen besser umgesetzt werden. Dass es hierbei derzeit in vielen Bereichen hake, zum Beispiel beim Tierwohl oder Nitratgrenzwerten, liege vor allem daran, dass die Durchsetzung europäischer Regeln im EU-System Sache der Mitgliedstaaten sei und von deren Kapazitäten und politischem Willen abhänge. “Dem beizukommen, ist nicht einfach, aber ein Mix aus privaten Anreizen, staatlicher Überwachung und der Nutzung neuer Technik, zum Beispiel Satellitenüberwachung, ist ein guter Ansatzpunkt”, so Purnhagen.

Lebensmittelbranche fordert mehr Investitionen

Umweltorganisationen sind dagegen weiter von der Notwendigkeit eines SFS-Gesetzes überzeugt und fordern von der Kommission, dieses nach der Europawahl wieder aufzugreifen. Große Hoffnungen machen sie sich aber nicht. “Am ehesten bestehen noch Chancen darauf, dass die nächste Kommission Pläne für Einzelmaßnahmen wie ein Nachhaltigkeitslabel oder Vorgaben für die öffentliche Beschaffung wieder hervorholt”, meint WWF-Referentin Kollenda.

Dass es in der nächsten Legislaturperiode doch noch ein Gesetz zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen geben soll, fordert derweil auch die Lebensmittelindustrie – stellt sich darunter aber etwas ganz anderes vor als die NGOs. Statt neuer Vorgaben erhofft sie sich vor allem Investitionsförderung. “Wir schätzen die Kosten für die Umstellung auf nachhaltige Lebensmittelsysteme auf 28 bis 35 Milliarden Euro jährlich, die Kosten, die durch Nichtstun entstehen, dagegen auf 50 Milliarden”, schreibt der EU-Dachverband der Lebensmittelindustrie, FoodDrinkEurope, auf Anfrage. Ein zukünftiges SFS-Gesetz müsse vor allem darauf ausgelegt sein, diese Investitionen zu mobilisieren.

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News

Niederlande: Was die neue Koalition für die EU-Agrarpolitik bedeutet

Nachdem sich die rechts-konservative Koalition in den Niederlanden vergangene Woche auf Dick Schoof als Regierungschef geeinigt hat, steht der Regierungsbildung nichts mehr im Weg. Stärkste Kraft in dem neuen Bündnis ist die Partei PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders. Agrarpolitisch trage der Koalitionsvertrag aber eindeutig den Stempel der Bauernpartei BBB, meint Jeroen Candel, außerordentlicher Professor für Politik und öffentliche Verwaltung an der niederländischen Universität Wageningen.

Die Partei, die 2019 aus heftigen Bauernprotesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung von Stickstoffemissionen hervorgegangen war, dürfte auch den neuen Agrarminister stellen, prognostiziert Candel. Für die Frage, wie sich das Land bei agrarpolitischen Entscheidungen in Brüssel positioniert, könnte das weitreichende Folgen haben: “Die Niederlande waren traditionell immer Teil einer ‘grünen’ Koalition und setzen sich mit den nordischen Ländern – manchmal Deutschland und früher Großbritannien – für ambitioniertere Umweltregeln ein”, so Candel. Das gelte auch für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), wo sich das Land für ambitionierte Reformen einsetzte.

Abrücken von Umweltschutz und Freihandel

All das dürfte sich aus Sicht des Experten nun ins Gegenteil verkehren. Die “grüne Koalition” in Brüssel dürfte damit weiter schrumpfen, nachdem sich bereits Schweden unter der aktuellen Regierung abgewandt habe. Im Koalitionsvertrag heißt es unter anderem: Nicht länger wolle man bei Umweltvorgaben für Landwirte über das europäische Mindestmaß hinausgehen. In Sachen Naturschutz wird der Wert bewirtschafteter Kulturlandschaften betont. Zuschüsse für Agrardiesel, die als klimaschädliche Subventionen seit Jahren abgeschafft seien, wolle die Koalition wieder einführen, hebt Candel hervor.

Auch in Handelsfragen zeichne sich eine Kehrtwende ab: Während die Niederlande traditionell als Befürworter des Freihandels gelten, spricht sich die neue Koalition für Spiegelklauseln aus und stellt sich gegen neue Freihandelskommen.

Bei Stickstoffkrise auf Konfrontationskurs mit Brüssel

Auf nationaler Ebene steht in der niederländischen Agrarpolitik weiter die Stickstoffkrise im Vordergrund. Auch hier bricht die neue Koalition mit dem bisherigen Ansatz. 2019 hatte das höchste Verwaltungsgericht des Landes geurteilt, dass die Niederlande wegen übermäßiger Stickstoffemissionen gegen die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie verstößt. Auch mit der EU-Nitratrichtlinie ist das Land nicht mehr in Einklang, seit die Europäische Kommission 2022 entschied, eine entsprechende Ausnahmeregelung zu beenden.

Beikommen wollte die scheidende Regierung dem Problem unter anderem durch ein freiwilliges Aufkaufprogramm für tierhaltende Betriebe, um die Viehdichte zu reduzieren. Das Programm ist zwar bisher kaum angelaufen, die neue Koalition will es aber gleich wieder einstampfen. “Sie setzt stattdessen auf einen Konfrontationskurs mit Brüssel“, erklärt Candel. Statt sich an EU-Regeln anzupassen, wolle man auf neue Ausnahmen hinwirken. Für einen vielversprechenden Ansatz hält der Politikwissenschaftler das nicht: Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die Kommission zustimme, wären die anderen Mitgliedstaaten dagegen, niederländischen Bauern durch gelockerte Regeln Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. jd

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EU-Kommission will Arbeitsgruppe gegen Betrug mit Biokraftstoffen einsetzen

Die Energieminister der EU haben am Donnerstag in Brüssel über einen Antrag von Deutschland, Frankreich und den Niederlanden beraten, mehr gegen den Betrug bei Nachhaltigkeitszertifikaten für bestimmte Biokraftstoffe zu tun. China flutet den europäischen Markt seit Monaten mit Treibstoff, der angeblich klimafreundlich aus Abfall- und Reststoffen hergestellt wurde. “Wir schlagen vor, dass die Zertifizierung der Nachhaltigkeit der in diesen Anlagen hergestellten Biokraftstoffe abgelehnt wird, wenn den Kontrolleuren der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten der Zugang zu den Anlagen verweigert wird”, schreiben die Staaten in einem an die Kommission gerichteten Papier, das Table.Briefings vorliegt.

Doch Energiekommissarin Kadri Simson kündigte beim Energierat am Donnerstag lediglich an, stärker auf die Durchsetzung der bestehenden Durchführungsverordnung für Zertifizierungen zu achten und eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Mitgliedstaaten einzusetzen. Eine neue Datenbank für Zertifizierungen, welche die Transparenz erhöhen soll, werde ab November auch für gasförmige Kraft- und Brennstoffe verfügbar sein.

Die Mengen des aus China importieren Treibstoffs, der angeblich aus Abfall- und Reststoffen hergestellt wurde, sind inzwischen so groß, dass sie ein Problem für den europäischen Binnenmarkt geworden sind. Europäischen Kontrolleuren gewährt die chinesische Regierung aber keinen Zugang zu den Produktionsstätten. ber, heu

  • China
  • Europäische Kommission
  • Kadri Simson
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Mercosur: Wie der Europaabgeordnete Lange den Abschluss des Abkommens erreichen will

Faire Wertschöpfungsketten hält der Europaabgeordnete Bernd Lange (SPD) für essenziell, um einen Abschluss des Mercosur-Abkommens zu erreichen. Von dem Handelsdeal verspricht sich die deutsche Industrie zusätzliche Milliardenexporte. Dazu fehlt jedoch bislang die Zustimmung Frankreichs. Für Lange ist das Abkommen eine der Prioritäten, an denen die EU-Kommission ihre Handelspolitik ausrichten sollte. Nach der Europawahl müsse etwas passieren, so Lange im Interview mit Table.Briefings. “Im nächsten Jahr muss der Deckel draufgemacht werden.”

Für faire Wertschöpfungsketten sorgen

Aus seiner Sicht könne ein Abschluss des Handelsabkommen erreicht werden, indem man intensive Gespräche mit den französischen Freunden suche. “Wir müssen schauen, wie die Landwirtschaftspolitik in Frankreich gestaltet wird und dann auch noch einmal auf die Wertschöpfungskette in der Landwirtschaft insgesamt.” Etwa solle die Gesetzgebung gegen unfaire Handelspraktiken nachgeschärft werden.

Verwerter und Händler von Agrarprodukten hätten “den Landwirten wirklich Daumenschrauben angesetzt“. Diese unfairen Praktiken seien zum Teil abgeschafft, dennoch müsse das Gesetz überarbeitet werden. Lange dazu: “Letztendlich muss die Wertschöpfungskette von der Milch über den Käse bis zum Verkauf fair gestaltet werden.” Dann sei auch die Skepsis gegenüber Freihandelsverträgen nicht mehr so groß, ist Lange überzeugt.

Flexiblere Umsetzung der Entwaldungsverordnung

Lange appelliert ebenfalls an die EU, die Entwaldungsverordnung vorsichtig umzusetzen. Der Ansatz solle flexibler und kooperativer sein. Etwa gäbe es drei verschiedene Risikoklassifizierungen. Diese könne man aber nicht flächendeckend auf ganze Länder anwenden. “Und wie kann man stärker die Instrumente unserer Partner in die Umsetzung einbinden?”, fragt sich der Europaabgeordnete. Viele Länder hätten aus eigenem Antrieb schon Karten erstellt, um die Entwaldung nachzuvollziehen. “Ich glaube, da kann man wirklich mehr kooperieren“, schließt Lange. jaa, kih

  • Entwaldung
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Exportverbot für gefährliche Pestizide: Wie NGOs den Druck auf die Bundesregierung erhöhen wollen

Ein Bündnis aus NGOs will den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Exportverbot für gefährliche Pestizide umzusetzen. Dazu wollen sie am Mittwoch einen Appell an Sylvia Bender, Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL), überreichen.

Das katholische Hilfswerk Misereor, die entwicklungspolitische Organisation INKOTA und das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) hatten den Appell “Giftexporte stoppen” initiiert, den nach Angaben der Organisatoren inzwischen mehr als 150.000 Menschen unterzeichnet haben. Vom Bundesjustizministerium (BMJ), so ein Mitorganisator, habe man trotz “vielfache(r) Anfragen” keine Antwort erhalten.

Deutsche Unternehmen exportieren weltweit Pflanzenschutzmittel, die in der EU aus Gründen des Gesundheitsschutzes verboten sind. Ein großer Teil davon geht in Länder des Globalen Südens. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) hat vor über einem Jahr angekündigt, diese Praxis zu beenden. Es kann sich dabei auf den Koalitionsvertrag berufen. Doch eine entsprechende Verordnung lässt bis heute auf sich warten, weil sich die Bundesregierung nicht einigen kann.

Blockade in der Ressortabstimmung

Markus Wolter, Experte für Landwirtschaft und Welternährung beim katholischen Entwicklungshilfswerk Misereor, geht im Gespräch mit Table.Briefings davon aus, dass es in der Ressortabstimmung zwischen den Ministerien hakt. “Das FDP-geführte Justizministerium blockiert das grün-geführte Landwirtschaftsministerium in dieser Sache.”

Als Begründung gebe das BMJ laut Wolter an, es sei fraglich, ob ein solches Verbot per Verordnung erlassen werden könne, so Wolter. “Außerdem lobbyieren große deutsche Chemieunternehmen wie Bayer und BASF intensiv gegen dieses Vorhaben.”

Bundesumweltministerin Steffi Lemke hatte bereits vergangenes Jahr im Interview mit Table.Briefings Exportverbote und klare Regelungen in globalen Lieferketten für den Umgang mit gesundheitsschädlichen Pestiziden gefordert.

Tödliche Folgen von Pestizidvergiftungen

Laut einer Studie des Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN) beträgt der Wert der deutschen Exporte von Pestiziden, die in der EU aus Gründen des Gesundheitsschutzes verboten sind, weniger als fünf Prozent des Gesamtumsatzes mit landwirtschaftlichen Pflanzenschutzmitteln. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Exportverbots wären also gering, erklärt PAN-Expertin Susan Haffmans auf Anfrage.

Gleichzeitig weist die Agraringenieurin auf die Gefahren hin, die mit dem Einsatz dieser Mittel verbunden sind. “Wir sprechen hier von Pestiziden, die unter anderem Kinder im Mutterleib schädigen, die Krebs erzeugen oder das Hormonsystem schädigen können.” Experten gehen davon aus, dass es weltweit jährlich zu rund 385 Millionen unbeabsichtigter Pestizidvergiftungen kommt. Mindestens 11.000 Menschen sterben an den Folgen. ch

  • Pestizide
  • Umweltschutz

Foodwatch-Umfrage: Mehrheit für Altersgrenze bei Energydrinks

Laut einer von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch in Auftrag gegebenen, repräsentativen Umfrage spricht sich eine deutliche Mehrheit für eine gesetzliche Altersbeschränkung beim Kauf von Energydrinks aus. Der Erhebung von Verian (ehemals Kantar/Emnid) zufolge befürworten neun von zehn Befragten bei diesen Produkten ein gesetzliches Mindestalter. Verian hatte für die Umfrage zwischen dem 8. und 14. Mai 2024 insgesamt 1.012 Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ab 14 Jahren befragt.

Mehr als die Hälfte von ihnen sprach sich für ein Mindestalter von 16 Jahren aus, knapp ein Drittel von 18 Jahren. 92 Prozent der Befragten halten den Konsum von Energydrinks für Kinder und Jugendliche für gesundheitsschädlich. “Die Bundesregierung muss die klaren Umfrageergebnisse als Auftrag verstehen und den Verkauf der süßen Wachmacher an Minderjährige gesetzlich verbieten“, fordert Luise Molling von Foodwatch.

Andere EU-Länder verbieten Verkauf von Energydrinks an Minderjährige bereits

Im EU-Ausland, etwa in Lettland oder Litauen, existieren seit Jahren gesetzliche Vorgaben in diesem Bereich. Auch in Polen gilt seit vergangenem Jahr – ähnlich wie bei alkoholhaltigen Getränken – beim Kauf von Energydrinks an Supermarktkassen und Getränkeautomaten die Ausweispflicht. 

In Deutschland hatten SPD-Gesundheitspolitiker bereits 2018 ein solches Verkaufsverbot von Energydrinks an Jugendliche unter 16 Jahren gefordert. Auch der Bürgerrat Ernährung hatte ein solches Verbot vor einigen Monaten als eine seiner Forderungen präsentiert. Die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, sagte dazu zuletzt: “Das ist die rein rechtlich am einfachsten umzusetzende Maßnahme und hat bei den Alkopops ja auch geklappt.” heu

  • Bürgerrat Ernährung
  • Ernährungspolitik
  • Gesundheit
  • Lebensmittel
  • Umfrage

Time.Table

04.06. – 05.06.2024 / Steigenberger Hotel am Kanzleramt
Kongress 16. Food Safety Kongress
Branchentreff im Bereich Lebensmittelsicherheit und -qualität, organisiert von: Lebensmittelverband Deutschland e.V., Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e. V. (BVE), Handelsverband Deutschland e.V. (HDE), Bundesverband des Deutschen Lebensmitteleinzelhandels e.V. und AFC Consulting Group AG. INFO & ANMELDUNG

05.06.2024 -17:30 – 23:00 Uhr / Botschaft der Föderativen Republik Brasilien, Wallstraße 57, 10179 Berlin
Parlamentarischen Abend 2024 des BBE Was ist für die Bioenergie in dieser Legislaturperiode noch zu erwarten?
Mit der Nationalen Biomassestrategie und der Kraftwerksstrategie stehen noch zwei energiepolitische Großprojekte auf der Agenda der Bundesregierung, die noch für reichlich Diskussionsbedarf sorgen werden. Nach inhaltlichen Impulsen aus Deutschland und dem Gastgeberland Brasilien wird als zentraler Programmpunkt eine moderierte Diskussionsrunde mit Fragen der Bioenergiebranche an die energiepolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen und Vertreter der Bundesregierung stattfinden. INFO & ANMELDUNG

04.06. – 05.06.2024 / Berlin
Konferenz “Politik gegen Hunger”- Konferenz
2024 feiern wir als Weltgemeinschaft einen wichtigen Meilenstein für die Umsetzung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung: Das 20-jährige Bestehen der “Freiwilligen Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssicherung”. Für uns ist das Anlass, auf Erfolge und Herausforderungen zurückzublicken und zu diskutieren, was wir in Zukunft zusammen erreichen wollen. INFO

07.06. -08.06.2024 / BMEL
Jugendpolitisches Forum Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie – Landwirtschaft und Ernährung zukunftsfest machen
Der Weg zu zukunftsfesten und resilienten Agrar- und Ernährungssystemen stellt uns alle vor vielfältige Herausforderungen. Dass die junge Generation bei dieser Transformation eine wichtige Rolle spielt, liegt auf der Hand. Junge Menschen fordern mit Recht mehr politische Teilhabe, transparente Entscheidungen der Politik und deren zügige Umsetzung. Darum lädt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zum zweiten Mal junge Menschen, die in der Land- und Ernährungswirtschaft etwas verändern wollen, in den Berliner Dienstsitz des BMEL zum Jugendpolitischen Forum ein. INFO & ANMELDUNG

09.06.2024 / Deutschland
Europawahl 2024 INFO

10.06. – 11.06.2024 / Union Halle, Frankfurt am Main
LZ Summit Verpackung & Nachhaltigkeit
Zwischen CSRD, Schutz der Biodiversität und PPWR: In der Branche gibt es viel zu tun, um den hohen Anforderungen der geplanten EU-Standards gerecht zu werden. Ob durch Digitalisierung, der Einführung neuer Mehrwegsysteme oder Programme gegen Lebensmittelverschwendung – Verpackungsindustrie und Lebensmittelsektor haben bereits zahlreiche spannende Lösungswege vorzuweisen, auf die es sich lohnt, ein Auge zu werfen. INFO & ANMELDUNG

11.06. – 13.06.2024 / Gut Brockhof, Erwitte/ Lippstadt, NRW
DLG-Feldtage 2024 “Wasserschonende Bewirtschaftung auf dem eigenen Betrieb”
Auf den DLG-Feldtagen präsentiert sich das BZL zum Thema resiliente Landwirtschaft und die Bedeutung von Wasser für den Pflanzenbau. Betrachtet werden dabei Prozesse der regenerativen Landwirtschaft wie beispielsweise eine vielfältige Fruchtfolge und die Nutzung von Zwischenfrüchten, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und zu fördern. Auch der effiziente Umgang mit Wasser in der Landwirtschaft spielt dabei eine Rolle. INFO & ANMELDUNG

14.06.2024 – 9.30 Uhr / Berlin
1045 Plenarsitzung Bundesrat
TOP 7: Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Hundeverordnung
TOP 23: Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung und zur Änderung der Fünften und Sechsten Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung
INFO

19.06.2024 / Berlin, Konferenzzentrum Mauerstraße 27
Deutscher Ernährungstag des BMEL Gesund und nachhaltig – Essen außer Haus und in Gemeinschaft
Das BMEL begleitet die Umsetzung der Ernährungsstrategie mit einer neuen Veranstaltungsreihe – dem Deutschen Ernährungstag – und lädt Sie zur diesjährigen Auftaktveranstaltung mit dem Themenschwerpunkt Außer-Haus- und Gemeinschaftsverpflegung ein. Es erwarten Sie lebendige Diskussionsrunden, Erfolgsgeschichten, informelle, inspirierende Gespräche sowie ein abendliches Get-together im Zentrum Berlins.  INFO & ANMELDUNG

Must Reads

Die Zeit: Discounter: Im Reich der Unersättlichen

Discounter wie Lidl produzieren zunehmend eigene Lebensmittel. Das führt zu einer Machtverschiebung im Lebensmittelmarkt, analysiert die Wochenzeitung Die Zeit. Große Discounter, allen voran Lidl, treten durch die Herstellung von Eigenmarken in eigenen Fabriken in Konkurrenz zu ihren Lieferanten. Hinzu kommt, dass Eigenmarken bevorzugt im Regal platziert werden können. Der Umsatz kann so auf das Vier- bis Zwölffache wachsen. Markenprodukte haben in einem solchen Szenario das Nachsehen. Auch der Einfluss auf die Landwirtschaft wächst durch vertikale Integration. Tierwohl-Trends zum Beispiel treiben Discounter oft deutlich schneller vorwärts, als die Politik dafür einen Rahmen setzt. Zum Artikel

Mercycorps: Farmers in Wartime: Promoting Adaptability and Resilience for Agriculture in Ukraine

Von kriegsbedingtem Arbeitskräftemangel sind in der ukrainischen Landwirtschaft laut einem neuen Bericht der humanitären Organisation Mercycorps die Sektoren Obst und Gemüse, Milchprodukte, Geflügel und Honig besonders betroffen. Investitionen zur Anpassung landwirtschaftlicher Maschinen an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen könnten diesen Mangel demnach abmildern. Eine weitere Maßnahme sind gezielte Investitionen in Bewässerungssysteme und das lokale Transportwesen. Zum Bericht

AGRA Europe: Gegen Russland und Belarus: EU-Strafzölle auf Getreide ab 1. Juli

Die EU verhängt ab dem 1. Juli Strafzölle auf Agrarimporte aus Russland und Belarus, um Einfuhren von Weizen, Mais und bestimmten Ölsaaten zu begrenzen. Diese Zölle sollen je nach Produkt entweder 95 Euro pro Tonne oder 50 Prozent des Warenwerts betragen. Zusätzlich werden Russland keine besonderen WTO-Getreidequoten mehr eingeräumt. Auch soll Belarus nicht als Transitland genutzt werden können, um die Zölle zu umgehen. Mit dieser Maßnahme will die EU einer Destabilisierung der Agrarmärkte zuvorkommen. Zum Artikel

Euractiv: NGO fordert von EU ein Verbot von schnell wachsenden Masthühnern

Die NGO Eurogroup for Animals fordert ein EU-weites Verbot von schnell wachsenden Masthühnern aus Tierschutzgründen. Schnell wachsende hybride Züchtungen zeigten gesundheitliche Probleme, wie zum Beispiel Laufschwierigkeiten, Aggressivität und eine höhere Sterblichkeit, argumentieren die Tierschützer. Die NGO plädiert für den Übergang zu langsam wachsenden Masthühnern und verweist auf erfolgreiche Beispiele in einigen EU-Ländern, wie den Niederlanden, wo es eine Präferenz für solche Züchtungen gebe. Vertreter der Geflügelindustrie warnen vor höheren Preisen und negativen Umweltfaktoren, etwa erhöhtem Wasserverbrauch und Treibhausgasemissionen, die in dem Fall nötig seien, um das aktuelle Produktionsniveau aufrechtzuerhalten. Zum Artikel

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Climate.Table: Dürren und Unwetter: Warum Trinkwasser aus Talsperren teurer wird

Unregelmäßige Niederschläge, ein höherer Wasserbedarf in Dürrezeiten und mehr Aufwand bei der Qualitätssicherung gehören zu den wachsenden Herausforderungen beim Management von Talsperren. Zwar ist die Trinkwasserversorgung in Deutschland gesichert, doch Aufwand und Kosten für die Anpassung an die Klimakrise dürften weiter steigen. Dabei ist aus Expertensicht zum einen nachhaltiges Wald- und Forstmanagement nötig: Wälder müssen widerstandsfähig aufgeforstet werden. Zum anderen gibt es auch beim Management der Talsperren Möglichkeiten zur Anpassung: Beispielsweise kann das Ökosystem der Seen stabilisiert werden, wenn nicht kaltes Wasser vom Grund der Stauseen abgeleitet wird, sondern stattdessen warmes Wasser von der Oberfläche. Die nötige Infrastruktur dafür gibt es aktuell noch nicht. Mehr

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Julia Adou: Gekommen, um zu bleiben

Julia Adou, bei Aldi Süd zuständig für Nachhaltigkeit.

Julia Adou und der blaue Discounter: Das bringt man nicht sofort zusammen. “Endlich wieder grillen”, wirbt Aldi Süd dieser Tage. Adou dagegen wirkt, als mache sie morgens um 6 Uhr Pilates und rühre nach 18 Uhr nichts Fettiges mehr an. Eine schlanke Mittvierzigerin mit smartem Kurzhaarschnitt und noch smarterer Zunge.

Die Bio-Branche bewundert und fürchtet Julia Adou. Aldi Süd, das größere der zwei Aldi-Imperien, ist in seinem Vertriebsgebiet Marktführer für Produkte aus ökologischem Anbau. Sie machen eigenen Angaben zufolge 16 Prozent des Standardsortiments aus. Zum Vergleich: Lidl hat sich zehn Prozent Bio-Anteil für 2025 zum Ziel gesetzt; musste Medienberichten zufolge aber zuletzt sogar einen Rückgang einräumen. Der Öko-Markt ist hart umkämpft, weil er zahlende Kundschaft in die Läden zieht. Aldi-Süd hat seine Bio-Umsätze seit 2020 um 30 Prozent gesteigert.

Das ist vor allem Adous Werk. Seit 16 Jahren leitet sie die Nachhaltigkeitsabteilung, heute arbeiten dort 40 Leute. Zuvor promovierte die Sozialpädagogin bei den Ford-Werken über “Corporate Volunteering”: gemeinwohlorientiertes Mitarbeiterengagement. Sie weiß aus Theorie und Praxis, wie man Menschen für sinnhaftes Handeln begeistert.

Bei den Öko-Marketingtagen auf Schloss Kirchberg an der Jagst ist es mucksmäuschenstill während ihres Vortrags. Aldi nimmt im Herbst 2023 zum ersten Mal an diesem alljährlichen Branchentreffen teil. Der Discounter kooperiert neuerdings mit Naturland, einem Verband, der Höfe und Produkte auf der ganzen Welt nach den hohen Anforderungen der deutschen Bio-Verbände zertifiziert.

Ein Bio-Warenkorb machte den Anfang

Ihren Werdegang bei Aldi beschreibt Adou als eine Reise. Als sie dort anfing, habe der Discounter schon erste Bio-Produkte geführt, vor allem Eier und Hackfleisch. Wie, habe sie gefragt, solle sich denn davon eine Familie ernähren? Es brauche doch wohl so etwas wie einen “Bio-Warenkorb”.

Die Einkäufer hätten abgewunken. Die meisten hätten Adous Einfluss sowieso lieber beschränkt. “Das hat man mir auch sehr schnell gesagt.” Aus Einkäufersicht gab es dafür gute Gründe: Das Discounter-Sortiment darf nur aus 1800 Basisartikeln bestehen. Und die müssen sich alle daran messen lassen, ob sie “drehen”, also ob pro Filiale pro Woche genug Stück verkauft werden. Sonst fliegen sie raus. Zu potenziellen Bio-Käufern hieß es: “Die fünf Prozent kommen sowieso nicht zu uns.”

Doch zur Aldi-Geschichte, so sagt es Adou, gehöre ja gerade, Luxusartikel wie Computer oder Champagner für alle erschwinglich zu machen. Wieso also nicht Bio für alle? Diese Argumentation verfing und führte zur ersten Bio-Eigenmarke: das Wort “Bio” als Smiley. “Und die Marktforschung hat uns dann glücklicherweise immer wieder gespiegelt, dass unser Bio-Smiley teilweise bekannter ist in der Bevölkerung als das EU-Bio-Siegel.”

Irgendwann hätten die Aldi-Süd-Filialen übers Jahr gesehen ganze 550 Bio-Produkte im Sortiment gehabt. Das sei dann auch den Entscheidern aufgefallen. Und habe zu Fragen geführt: Wie geht’s weiter? Welche Produkte brauchen Menschen, damit es sowohl ihnen als auch der Umwelt besser geht?

Wie erklärt man Bio möglichst einfach?

“Diese Fragen haben uns monatelang umgetrieben und gequält: Weil wir die Antworten ja ganz leicht, für jeden verständlich, erklären müssen.” Denn die Kundschaft seien keine Öko-Experten. Viele seien nie auf einem Bauernhof gewesen. Sie wüssten nicht, warum nicht-homogenisierte Milch “der Knaller” ist oder ein Joghurt aus nur drei Zutaten ein Qualitätsprodukt. Also: Wie erklärt man das, möglichst einfach?

“Jedes dieser Produkte stellt uns vor eine Erklärungsherausforderung”, sagt Adou. Dabei würden auch Aldi-Kunden inzwischen Fragen stellen nach der Herkunft, den Zutaten, der Regionalität, “sie wollen wissen, wie der Bauer und seine Freundin heißen”.

Ihre Leute, sagt sie, säßen nicht nur am Schreibtisch. Sie kontrollierten die gesamte Wertschöpfungskette, kämen auch mal unangemeldet auf einen Hof. Denn darum gehe es bei den Eigenmarken: Der Kunde soll sie erkennen und sich auf sie verlassen, ohne dafür viel lesen zu müssen.

Adous Team hat jetzt eine neue Marke kreiert, für die noch höhere Bio-Qualität der Naturland-zertifizierten Produkte. Eine Premium-Bio-Eigenmarke, sie heißt: “Nur Nur Natur”. “Weil das Thema Nachhaltigkeit bleibt. So wie ich gekommen bin, um zu bleiben.”

Für Nachhaltigkeitsprojekte von Naturland-Landwirten gibt es sogar Bares: Für jedes mit einem speziellen Bio-Diversitäts-Siegel verkaufte Produkt zahlt Aldi Süd in einen Fonds ein. Das wird an die Produzenten verteilt, wenn diese nachweisen, dass sie eine Hecke angelegt haben oder Kleegras tierwildschonend bewirtschaften. Viele in der Branche hoffen, dass das Projekt Nachahmer findet.

Julia Adou hat noch einiges vor. Baby- und Kinderprodukte etwa soll es nur noch in Bio-Qualität geben. Das sei ein Novum, denn: “Bisher hatte jedes Bio-Produkt eine konventionelle Schwester.” Das ist zugleich eine Kampfansage an die Drogeriemärkte, die mit Bio gute Schnitte machen.

Läuft es? “Ja und nein. Es läuft noch nicht so wie die klassischen Schnelldreher. Aber wir haben Geduld. Das hat man mir von ganz oben gesagt, und daran halte ich mich fest.” Adous Reise geht weiter, flankiert von “ganz viel” Marketing und Kommunikation. Sie sieht sich vor einer “Ernährungsbildungsaufgabe”. Auch bei der jungen Kundschaft. Die wisse zwar bereits viel über Trends wie vegan und regional – echte Nachhaltigkeit sei aber komplexer. Annette Bruhns

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Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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    Spannend wird auch, inwieweit sich die EVP unter Ursula von der Leyen auf eine Zusammenarbeit mit Teilen der rechten Fraktionen einlässt und diesen so zu weiterem Einfluss verhilft. Um Einfluss in der Brüsseler Agrarszene bemüht sich im Vorfeld der Wahl auch die ungarische Regierung unter Viktor Orbán: Ein von ihr finanzierter Thinktank ruft am heutigen Dienstag zu Bauernprotesten in Brüssel auf. Wie viele Landwirte bereit sind, mit dem als rechtspopulistisch geltenden Institut gemeinsame Sache zu machen, wird sich bei der Demonstration zeigen. Ein Protest linker und progressiver Agrar- und Umweltverbände war mit wenigen Hundert Teilnehmenden am vergangenen Wochenende recht klein geblieben.

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    Sustainable Food Systems: Warum das Gesetz scheiterte und wie es weitergehen könnte

    Ein Rahmengesetz zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen werde “Nachhaltigkeit in alle lebensmittelbezogenen Politikbereiche einbeziehen” und “die Verantwortung aller Akteure in der Lebensmittelkette in den Blick nehmen”. Diesen Anspruch setzte sich die Europäische Kommission 2020 kurz nach Amtsantritt in der Farm-to-Fork-Strategie.

    Übrig geblieben ist davon vier Jahre später nichts: Obwohl die internen Vorbereitungen schon fortgeschritten waren, verschwand das Gesetz zu Sustainable Food Systems (SFS), das eigentlich für 2023 geplant war, im vergangenen Herbst von der Kommissionsagenda und wurde letztlich nie vorgelegt.

    Bindende Nachhaltigkeitsziele besonders umstritten

    Für, Isabel Paliotta, Policy Officer für Sustainable Food Systems beim Europäischen Umweltbüro (EEB), ist klar, warum das Gesetz nicht kam: Der Lobbydruck aus Agrar- und Ernährungsindustrie sei einfach zu groß geworden, sagt sie zu Table.Briefings. Aus Paliottas Sicht war dabei der Widerstand vor allem dagegen groß, wovon sich Umweltschützer besonders viel versprachen: die in der Farm-to-Fork-Strategie angedeutete Idee eines übergeordneten Rahmengesetzes mit bindenden Nachhaltigkeitszielen. NGOs erhofften sich ein Modell ähnlich dem EU-Klimaschutzgesetz, welches EU-weite Ziele zur CO₂-Reduktion setzt, zu denen die einzelnen Mitgliedstaaten und Politikbereiche beitragen müssen.

    “Im ambitioniertesten Fall hätte das SFS-Gesetz quantitative Ziele vorgegeben, an die dann zum Beispiel die Gemeinsame Agrarpolitik hätte angepasst werden müssen”, erklärt Elisa Kollenda, WWF-Referentin für nachhaltige Ernährung. “Das hätten zum Beispiel konkrete Indikatoren für den Erhalt der Biodiversität sein können – etwa gemessen an einer Umkehr des Rückgangs bestäubender Insekten in der Agrarlandschaft.” Dass ein so weitreichendes Szenario für die Kommission ernsthaft in Betracht gekommen wäre, gilt als unwahrscheinlich. Auf dem Tisch lagen gut informierten Kreisen zufolge aber alternative Modelle, zum Beispiel nationale Strategiepläne zum Erreichen übergreifender Nachhaltigkeitsziele.

    Kommission stellte Einzelmaßnahmen in den Vordergrund

    Konkreter wurden die Pläne jedoch nie, auch nicht, wie Nachhaltigkeit überhaupt definiert worden wäre. Denn die Idee bindender Nachhaltigkeitsziele verschwand schon früh aus den Plänen und war bereits in der Anfang 2023 durchgesickerten Folgenabschätzung nicht mehr vorgesehen. Bevor die Kommission das gesamte Projekt fallen ließ, blieben vor allem Einzelmaßnahmen übrig: ein freiwilliges Nachhaltigkeitslabel für Lebensmittel oder EU-weite Regeln für nachhaltige öffentliche Beschaffung in der Gemeinschaftsverpflegung.

    Für Paliotta ein Zeichen, dass gerade die ursprüngliche Idee eines Rahmengesetzes besonders wirksam gewesen wäre: “Plant man einen Ansatz, der das ganze System transformieren könnte, sträuben sich diejenigen, die derzeit profitieren, besonders stark”, argumentiert sie. Anders sieht es Kai Purnhagen, Professor für Lebensmittelrecht an der Universität Bayreuth. Das Scheitern des Gesetzes auf Lobbying zu schieben, greife zu kurz. Schuld trage auch die Europäische Kommission, die bereits in der Farm-to-Fork-Strategie das Thema falsch angegangen sei. “Das Vorhaben war einfach nicht durchdacht”, kritisiert er.

    Vorhaben “nicht durchdacht”

    Gerade die Idee eines bindenden Rahmengesetzes hätte nach Einschätzung Purnhagens mit dem bestehenden EU-Rechtssystem im Agrar- und Lebensmittelbereich zu stark gebrochen, um politisch tragfähig und rechtlich praktikabel zu sein. Nachhaltigkeit bindend im Lebensmittelrecht festzuschreiben, könne beispielsweise zu Zielkonflikten mit der Lebensmittelsicherheit führen, warnt er: “Zugespitzt formuliert könnte ein Lebensmittelhersteller sich gezwungen sehen, sein Produkt nachhaltiger zu gestalten, auch wenn es dadurch weniger sicher wird, zum Beispiel durch knapperes Verpackungsmaterial.” Sinnvoller ist aus Purnhagens Sicht, innerhalb des bestehenden Rechtssystems zu arbeiten.

    Hier seien Nachhaltigkeitsprinzipien ohnehin angelegt – zum Beispiel im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (TFEU), der verlangt, die “Erfordernisse des Umweltschutzes” bei der Ausgestaltung aller EU-Politiken einzubeziehen. Statt neuer Gesetze müssten bestehende Verpflichtungen besser umgesetzt werden. Dass es hierbei derzeit in vielen Bereichen hake, zum Beispiel beim Tierwohl oder Nitratgrenzwerten, liege vor allem daran, dass die Durchsetzung europäischer Regeln im EU-System Sache der Mitgliedstaaten sei und von deren Kapazitäten und politischem Willen abhänge. “Dem beizukommen, ist nicht einfach, aber ein Mix aus privaten Anreizen, staatlicher Überwachung und der Nutzung neuer Technik, zum Beispiel Satellitenüberwachung, ist ein guter Ansatzpunkt”, so Purnhagen.

    Lebensmittelbranche fordert mehr Investitionen

    Umweltorganisationen sind dagegen weiter von der Notwendigkeit eines SFS-Gesetzes überzeugt und fordern von der Kommission, dieses nach der Europawahl wieder aufzugreifen. Große Hoffnungen machen sie sich aber nicht. “Am ehesten bestehen noch Chancen darauf, dass die nächste Kommission Pläne für Einzelmaßnahmen wie ein Nachhaltigkeitslabel oder Vorgaben für die öffentliche Beschaffung wieder hervorholt”, meint WWF-Referentin Kollenda.

    Dass es in der nächsten Legislaturperiode doch noch ein Gesetz zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen geben soll, fordert derweil auch die Lebensmittelindustrie – stellt sich darunter aber etwas ganz anderes vor als die NGOs. Statt neuer Vorgaben erhofft sie sich vor allem Investitionsförderung. “Wir schätzen die Kosten für die Umstellung auf nachhaltige Lebensmittelsysteme auf 28 bis 35 Milliarden Euro jährlich, die Kosten, die durch Nichtstun entstehen, dagegen auf 50 Milliarden”, schreibt der EU-Dachverband der Lebensmittelindustrie, FoodDrinkEurope, auf Anfrage. Ein zukünftiges SFS-Gesetz müsse vor allem darauf ausgelegt sein, diese Investitionen zu mobilisieren.

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    Niederlande: Was die neue Koalition für die EU-Agrarpolitik bedeutet

    Nachdem sich die rechts-konservative Koalition in den Niederlanden vergangene Woche auf Dick Schoof als Regierungschef geeinigt hat, steht der Regierungsbildung nichts mehr im Weg. Stärkste Kraft in dem neuen Bündnis ist die Partei PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders. Agrarpolitisch trage der Koalitionsvertrag aber eindeutig den Stempel der Bauernpartei BBB, meint Jeroen Candel, außerordentlicher Professor für Politik und öffentliche Verwaltung an der niederländischen Universität Wageningen.

    Die Partei, die 2019 aus heftigen Bauernprotesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung von Stickstoffemissionen hervorgegangen war, dürfte auch den neuen Agrarminister stellen, prognostiziert Candel. Für die Frage, wie sich das Land bei agrarpolitischen Entscheidungen in Brüssel positioniert, könnte das weitreichende Folgen haben: “Die Niederlande waren traditionell immer Teil einer ‘grünen’ Koalition und setzen sich mit den nordischen Ländern – manchmal Deutschland und früher Großbritannien – für ambitioniertere Umweltregeln ein”, so Candel. Das gelte auch für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), wo sich das Land für ambitionierte Reformen einsetzte.

    Abrücken von Umweltschutz und Freihandel

    All das dürfte sich aus Sicht des Experten nun ins Gegenteil verkehren. Die “grüne Koalition” in Brüssel dürfte damit weiter schrumpfen, nachdem sich bereits Schweden unter der aktuellen Regierung abgewandt habe. Im Koalitionsvertrag heißt es unter anderem: Nicht länger wolle man bei Umweltvorgaben für Landwirte über das europäische Mindestmaß hinausgehen. In Sachen Naturschutz wird der Wert bewirtschafteter Kulturlandschaften betont. Zuschüsse für Agrardiesel, die als klimaschädliche Subventionen seit Jahren abgeschafft seien, wolle die Koalition wieder einführen, hebt Candel hervor.

    Auch in Handelsfragen zeichne sich eine Kehrtwende ab: Während die Niederlande traditionell als Befürworter des Freihandels gelten, spricht sich die neue Koalition für Spiegelklauseln aus und stellt sich gegen neue Freihandelskommen.

    Bei Stickstoffkrise auf Konfrontationskurs mit Brüssel

    Auf nationaler Ebene steht in der niederländischen Agrarpolitik weiter die Stickstoffkrise im Vordergrund. Auch hier bricht die neue Koalition mit dem bisherigen Ansatz. 2019 hatte das höchste Verwaltungsgericht des Landes geurteilt, dass die Niederlande wegen übermäßiger Stickstoffemissionen gegen die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie verstößt. Auch mit der EU-Nitratrichtlinie ist das Land nicht mehr in Einklang, seit die Europäische Kommission 2022 entschied, eine entsprechende Ausnahmeregelung zu beenden.

    Beikommen wollte die scheidende Regierung dem Problem unter anderem durch ein freiwilliges Aufkaufprogramm für tierhaltende Betriebe, um die Viehdichte zu reduzieren. Das Programm ist zwar bisher kaum angelaufen, die neue Koalition will es aber gleich wieder einstampfen. “Sie setzt stattdessen auf einen Konfrontationskurs mit Brüssel“, erklärt Candel. Statt sich an EU-Regeln anzupassen, wolle man auf neue Ausnahmen hinwirken. Für einen vielversprechenden Ansatz hält der Politikwissenschaftler das nicht: Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die Kommission zustimme, wären die anderen Mitgliedstaaten dagegen, niederländischen Bauern durch gelockerte Regeln Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. jd

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    EU-Kommission will Arbeitsgruppe gegen Betrug mit Biokraftstoffen einsetzen

    Die Energieminister der EU haben am Donnerstag in Brüssel über einen Antrag von Deutschland, Frankreich und den Niederlanden beraten, mehr gegen den Betrug bei Nachhaltigkeitszertifikaten für bestimmte Biokraftstoffe zu tun. China flutet den europäischen Markt seit Monaten mit Treibstoff, der angeblich klimafreundlich aus Abfall- und Reststoffen hergestellt wurde. “Wir schlagen vor, dass die Zertifizierung der Nachhaltigkeit der in diesen Anlagen hergestellten Biokraftstoffe abgelehnt wird, wenn den Kontrolleuren der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten der Zugang zu den Anlagen verweigert wird”, schreiben die Staaten in einem an die Kommission gerichteten Papier, das Table.Briefings vorliegt.

    Doch Energiekommissarin Kadri Simson kündigte beim Energierat am Donnerstag lediglich an, stärker auf die Durchsetzung der bestehenden Durchführungsverordnung für Zertifizierungen zu achten und eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Mitgliedstaaten einzusetzen. Eine neue Datenbank für Zertifizierungen, welche die Transparenz erhöhen soll, werde ab November auch für gasförmige Kraft- und Brennstoffe verfügbar sein.

    Die Mengen des aus China importieren Treibstoffs, der angeblich aus Abfall- und Reststoffen hergestellt wurde, sind inzwischen so groß, dass sie ein Problem für den europäischen Binnenmarkt geworden sind. Europäischen Kontrolleuren gewährt die chinesische Regierung aber keinen Zugang zu den Produktionsstätten. ber, heu

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    Mercosur: Wie der Europaabgeordnete Lange den Abschluss des Abkommens erreichen will

    Faire Wertschöpfungsketten hält der Europaabgeordnete Bernd Lange (SPD) für essenziell, um einen Abschluss des Mercosur-Abkommens zu erreichen. Von dem Handelsdeal verspricht sich die deutsche Industrie zusätzliche Milliardenexporte. Dazu fehlt jedoch bislang die Zustimmung Frankreichs. Für Lange ist das Abkommen eine der Prioritäten, an denen die EU-Kommission ihre Handelspolitik ausrichten sollte. Nach der Europawahl müsse etwas passieren, so Lange im Interview mit Table.Briefings. “Im nächsten Jahr muss der Deckel draufgemacht werden.”

    Für faire Wertschöpfungsketten sorgen

    Aus seiner Sicht könne ein Abschluss des Handelsabkommen erreicht werden, indem man intensive Gespräche mit den französischen Freunden suche. “Wir müssen schauen, wie die Landwirtschaftspolitik in Frankreich gestaltet wird und dann auch noch einmal auf die Wertschöpfungskette in der Landwirtschaft insgesamt.” Etwa solle die Gesetzgebung gegen unfaire Handelspraktiken nachgeschärft werden.

    Verwerter und Händler von Agrarprodukten hätten “den Landwirten wirklich Daumenschrauben angesetzt“. Diese unfairen Praktiken seien zum Teil abgeschafft, dennoch müsse das Gesetz überarbeitet werden. Lange dazu: “Letztendlich muss die Wertschöpfungskette von der Milch über den Käse bis zum Verkauf fair gestaltet werden.” Dann sei auch die Skepsis gegenüber Freihandelsverträgen nicht mehr so groß, ist Lange überzeugt.

    Flexiblere Umsetzung der Entwaldungsverordnung

    Lange appelliert ebenfalls an die EU, die Entwaldungsverordnung vorsichtig umzusetzen. Der Ansatz solle flexibler und kooperativer sein. Etwa gäbe es drei verschiedene Risikoklassifizierungen. Diese könne man aber nicht flächendeckend auf ganze Länder anwenden. “Und wie kann man stärker die Instrumente unserer Partner in die Umsetzung einbinden?”, fragt sich der Europaabgeordnete. Viele Länder hätten aus eigenem Antrieb schon Karten erstellt, um die Entwaldung nachzuvollziehen. “Ich glaube, da kann man wirklich mehr kooperieren“, schließt Lange. jaa, kih

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    Exportverbot für gefährliche Pestizide: Wie NGOs den Druck auf die Bundesregierung erhöhen wollen

    Ein Bündnis aus NGOs will den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Exportverbot für gefährliche Pestizide umzusetzen. Dazu wollen sie am Mittwoch einen Appell an Sylvia Bender, Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL), überreichen.

    Das katholische Hilfswerk Misereor, die entwicklungspolitische Organisation INKOTA und das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) hatten den Appell “Giftexporte stoppen” initiiert, den nach Angaben der Organisatoren inzwischen mehr als 150.000 Menschen unterzeichnet haben. Vom Bundesjustizministerium (BMJ), so ein Mitorganisator, habe man trotz “vielfache(r) Anfragen” keine Antwort erhalten.

    Deutsche Unternehmen exportieren weltweit Pflanzenschutzmittel, die in der EU aus Gründen des Gesundheitsschutzes verboten sind. Ein großer Teil davon geht in Länder des Globalen Südens. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) hat vor über einem Jahr angekündigt, diese Praxis zu beenden. Es kann sich dabei auf den Koalitionsvertrag berufen. Doch eine entsprechende Verordnung lässt bis heute auf sich warten, weil sich die Bundesregierung nicht einigen kann.

    Blockade in der Ressortabstimmung

    Markus Wolter, Experte für Landwirtschaft und Welternährung beim katholischen Entwicklungshilfswerk Misereor, geht im Gespräch mit Table.Briefings davon aus, dass es in der Ressortabstimmung zwischen den Ministerien hakt. “Das FDP-geführte Justizministerium blockiert das grün-geführte Landwirtschaftsministerium in dieser Sache.”

    Als Begründung gebe das BMJ laut Wolter an, es sei fraglich, ob ein solches Verbot per Verordnung erlassen werden könne, so Wolter. “Außerdem lobbyieren große deutsche Chemieunternehmen wie Bayer und BASF intensiv gegen dieses Vorhaben.”

    Bundesumweltministerin Steffi Lemke hatte bereits vergangenes Jahr im Interview mit Table.Briefings Exportverbote und klare Regelungen in globalen Lieferketten für den Umgang mit gesundheitsschädlichen Pestiziden gefordert.

    Tödliche Folgen von Pestizidvergiftungen

    Laut einer Studie des Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN) beträgt der Wert der deutschen Exporte von Pestiziden, die in der EU aus Gründen des Gesundheitsschutzes verboten sind, weniger als fünf Prozent des Gesamtumsatzes mit landwirtschaftlichen Pflanzenschutzmitteln. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Exportverbots wären also gering, erklärt PAN-Expertin Susan Haffmans auf Anfrage.

    Gleichzeitig weist die Agraringenieurin auf die Gefahren hin, die mit dem Einsatz dieser Mittel verbunden sind. “Wir sprechen hier von Pestiziden, die unter anderem Kinder im Mutterleib schädigen, die Krebs erzeugen oder das Hormonsystem schädigen können.” Experten gehen davon aus, dass es weltweit jährlich zu rund 385 Millionen unbeabsichtigter Pestizidvergiftungen kommt. Mindestens 11.000 Menschen sterben an den Folgen. ch

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    • Umweltschutz

    Foodwatch-Umfrage: Mehrheit für Altersgrenze bei Energydrinks

    Laut einer von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch in Auftrag gegebenen, repräsentativen Umfrage spricht sich eine deutliche Mehrheit für eine gesetzliche Altersbeschränkung beim Kauf von Energydrinks aus. Der Erhebung von Verian (ehemals Kantar/Emnid) zufolge befürworten neun von zehn Befragten bei diesen Produkten ein gesetzliches Mindestalter. Verian hatte für die Umfrage zwischen dem 8. und 14. Mai 2024 insgesamt 1.012 Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ab 14 Jahren befragt.

    Mehr als die Hälfte von ihnen sprach sich für ein Mindestalter von 16 Jahren aus, knapp ein Drittel von 18 Jahren. 92 Prozent der Befragten halten den Konsum von Energydrinks für Kinder und Jugendliche für gesundheitsschädlich. “Die Bundesregierung muss die klaren Umfrageergebnisse als Auftrag verstehen und den Verkauf der süßen Wachmacher an Minderjährige gesetzlich verbieten“, fordert Luise Molling von Foodwatch.

    Andere EU-Länder verbieten Verkauf von Energydrinks an Minderjährige bereits

    Im EU-Ausland, etwa in Lettland oder Litauen, existieren seit Jahren gesetzliche Vorgaben in diesem Bereich. Auch in Polen gilt seit vergangenem Jahr – ähnlich wie bei alkoholhaltigen Getränken – beim Kauf von Energydrinks an Supermarktkassen und Getränkeautomaten die Ausweispflicht. 

    In Deutschland hatten SPD-Gesundheitspolitiker bereits 2018 ein solches Verkaufsverbot von Energydrinks an Jugendliche unter 16 Jahren gefordert. Auch der Bürgerrat Ernährung hatte ein solches Verbot vor einigen Monaten als eine seiner Forderungen präsentiert. Die ernährungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, sagte dazu zuletzt: “Das ist die rein rechtlich am einfachsten umzusetzende Maßnahme und hat bei den Alkopops ja auch geklappt.” heu

    • Bürgerrat Ernährung
    • Ernährungspolitik
    • Gesundheit
    • Lebensmittel
    • Umfrage

    Time.Table

    04.06. – 05.06.2024 / Steigenberger Hotel am Kanzleramt
    Kongress 16. Food Safety Kongress
    Branchentreff im Bereich Lebensmittelsicherheit und -qualität, organisiert von: Lebensmittelverband Deutschland e.V., Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e. V. (BVE), Handelsverband Deutschland e.V. (HDE), Bundesverband des Deutschen Lebensmitteleinzelhandels e.V. und AFC Consulting Group AG. INFO & ANMELDUNG

    05.06.2024 -17:30 – 23:00 Uhr / Botschaft der Föderativen Republik Brasilien, Wallstraße 57, 10179 Berlin
    Parlamentarischen Abend 2024 des BBE Was ist für die Bioenergie in dieser Legislaturperiode noch zu erwarten?
    Mit der Nationalen Biomassestrategie und der Kraftwerksstrategie stehen noch zwei energiepolitische Großprojekte auf der Agenda der Bundesregierung, die noch für reichlich Diskussionsbedarf sorgen werden. Nach inhaltlichen Impulsen aus Deutschland und dem Gastgeberland Brasilien wird als zentraler Programmpunkt eine moderierte Diskussionsrunde mit Fragen der Bioenergiebranche an die energiepolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen und Vertreter der Bundesregierung stattfinden. INFO & ANMELDUNG

    04.06. – 05.06.2024 / Berlin
    Konferenz “Politik gegen Hunger”- Konferenz
    2024 feiern wir als Weltgemeinschaft einen wichtigen Meilenstein für die Umsetzung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung: Das 20-jährige Bestehen der “Freiwilligen Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssicherung”. Für uns ist das Anlass, auf Erfolge und Herausforderungen zurückzublicken und zu diskutieren, was wir in Zukunft zusammen erreichen wollen. INFO

    07.06. -08.06.2024 / BMEL
    Jugendpolitisches Forum Weiterentwicklung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie – Landwirtschaft und Ernährung zukunftsfest machen
    Der Weg zu zukunftsfesten und resilienten Agrar- und Ernährungssystemen stellt uns alle vor vielfältige Herausforderungen. Dass die junge Generation bei dieser Transformation eine wichtige Rolle spielt, liegt auf der Hand. Junge Menschen fordern mit Recht mehr politische Teilhabe, transparente Entscheidungen der Politik und deren zügige Umsetzung. Darum lädt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zum zweiten Mal junge Menschen, die in der Land- und Ernährungswirtschaft etwas verändern wollen, in den Berliner Dienstsitz des BMEL zum Jugendpolitischen Forum ein. INFO & ANMELDUNG

    09.06.2024 / Deutschland
    Europawahl 2024 INFO

    10.06. – 11.06.2024 / Union Halle, Frankfurt am Main
    LZ Summit Verpackung & Nachhaltigkeit
    Zwischen CSRD, Schutz der Biodiversität und PPWR: In der Branche gibt es viel zu tun, um den hohen Anforderungen der geplanten EU-Standards gerecht zu werden. Ob durch Digitalisierung, der Einführung neuer Mehrwegsysteme oder Programme gegen Lebensmittelverschwendung – Verpackungsindustrie und Lebensmittelsektor haben bereits zahlreiche spannende Lösungswege vorzuweisen, auf die es sich lohnt, ein Auge zu werfen. INFO & ANMELDUNG

    11.06. – 13.06.2024 / Gut Brockhof, Erwitte/ Lippstadt, NRW
    DLG-Feldtage 2024 “Wasserschonende Bewirtschaftung auf dem eigenen Betrieb”
    Auf den DLG-Feldtagen präsentiert sich das BZL zum Thema resiliente Landwirtschaft und die Bedeutung von Wasser für den Pflanzenbau. Betrachtet werden dabei Prozesse der regenerativen Landwirtschaft wie beispielsweise eine vielfältige Fruchtfolge und die Nutzung von Zwischenfrüchten, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und zu fördern. Auch der effiziente Umgang mit Wasser in der Landwirtschaft spielt dabei eine Rolle. INFO & ANMELDUNG

    14.06.2024 – 9.30 Uhr / Berlin
    1045 Plenarsitzung Bundesrat
    TOP 7: Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Hundeverordnung
    TOP 23: Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung und zur Änderung der Fünften und Sechsten Verordnung zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung
    INFO

    19.06.2024 / Berlin, Konferenzzentrum Mauerstraße 27
    Deutscher Ernährungstag des BMEL Gesund und nachhaltig – Essen außer Haus und in Gemeinschaft
    Das BMEL begleitet die Umsetzung der Ernährungsstrategie mit einer neuen Veranstaltungsreihe – dem Deutschen Ernährungstag – und lädt Sie zur diesjährigen Auftaktveranstaltung mit dem Themenschwerpunkt Außer-Haus- und Gemeinschaftsverpflegung ein. Es erwarten Sie lebendige Diskussionsrunden, Erfolgsgeschichten, informelle, inspirierende Gespräche sowie ein abendliches Get-together im Zentrum Berlins.  INFO & ANMELDUNG

    Must Reads

    Die Zeit: Discounter: Im Reich der Unersättlichen

    Discounter wie Lidl produzieren zunehmend eigene Lebensmittel. Das führt zu einer Machtverschiebung im Lebensmittelmarkt, analysiert die Wochenzeitung Die Zeit. Große Discounter, allen voran Lidl, treten durch die Herstellung von Eigenmarken in eigenen Fabriken in Konkurrenz zu ihren Lieferanten. Hinzu kommt, dass Eigenmarken bevorzugt im Regal platziert werden können. Der Umsatz kann so auf das Vier- bis Zwölffache wachsen. Markenprodukte haben in einem solchen Szenario das Nachsehen. Auch der Einfluss auf die Landwirtschaft wächst durch vertikale Integration. Tierwohl-Trends zum Beispiel treiben Discounter oft deutlich schneller vorwärts, als die Politik dafür einen Rahmen setzt. Zum Artikel

    Mercycorps: Farmers in Wartime: Promoting Adaptability and Resilience for Agriculture in Ukraine

    Von kriegsbedingtem Arbeitskräftemangel sind in der ukrainischen Landwirtschaft laut einem neuen Bericht der humanitären Organisation Mercycorps die Sektoren Obst und Gemüse, Milchprodukte, Geflügel und Honig besonders betroffen. Investitionen zur Anpassung landwirtschaftlicher Maschinen an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen könnten diesen Mangel demnach abmildern. Eine weitere Maßnahme sind gezielte Investitionen in Bewässerungssysteme und das lokale Transportwesen. Zum Bericht

    AGRA Europe: Gegen Russland und Belarus: EU-Strafzölle auf Getreide ab 1. Juli

    Die EU verhängt ab dem 1. Juli Strafzölle auf Agrarimporte aus Russland und Belarus, um Einfuhren von Weizen, Mais und bestimmten Ölsaaten zu begrenzen. Diese Zölle sollen je nach Produkt entweder 95 Euro pro Tonne oder 50 Prozent des Warenwerts betragen. Zusätzlich werden Russland keine besonderen WTO-Getreidequoten mehr eingeräumt. Auch soll Belarus nicht als Transitland genutzt werden können, um die Zölle zu umgehen. Mit dieser Maßnahme will die EU einer Destabilisierung der Agrarmärkte zuvorkommen. Zum Artikel

    Euractiv: NGO fordert von EU ein Verbot von schnell wachsenden Masthühnern

    Die NGO Eurogroup for Animals fordert ein EU-weites Verbot von schnell wachsenden Masthühnern aus Tierschutzgründen. Schnell wachsende hybride Züchtungen zeigten gesundheitliche Probleme, wie zum Beispiel Laufschwierigkeiten, Aggressivität und eine höhere Sterblichkeit, argumentieren die Tierschützer. Die NGO plädiert für den Übergang zu langsam wachsenden Masthühnern und verweist auf erfolgreiche Beispiele in einigen EU-Ländern, wie den Niederlanden, wo es eine Präferenz für solche Züchtungen gebe. Vertreter der Geflügelindustrie warnen vor höheren Preisen und negativen Umweltfaktoren, etwa erhöhtem Wasserverbrauch und Treibhausgasemissionen, die in dem Fall nötig seien, um das aktuelle Produktionsniveau aufrechtzuerhalten. Zum Artikel

    Mehr von Table.Briefings

    Climate.Table: Dürren und Unwetter: Warum Trinkwasser aus Talsperren teurer wird

    Unregelmäßige Niederschläge, ein höherer Wasserbedarf in Dürrezeiten und mehr Aufwand bei der Qualitätssicherung gehören zu den wachsenden Herausforderungen beim Management von Talsperren. Zwar ist die Trinkwasserversorgung in Deutschland gesichert, doch Aufwand und Kosten für die Anpassung an die Klimakrise dürften weiter steigen. Dabei ist aus Expertensicht zum einen nachhaltiges Wald- und Forstmanagement nötig: Wälder müssen widerstandsfähig aufgeforstet werden. Zum anderen gibt es auch beim Management der Talsperren Möglichkeiten zur Anpassung: Beispielsweise kann das Ökosystem der Seen stabilisiert werden, wenn nicht kaltes Wasser vom Grund der Stauseen abgeleitet wird, sondern stattdessen warmes Wasser von der Oberfläche. Die nötige Infrastruktur dafür gibt es aktuell noch nicht. Mehr

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    Julia Adou: Gekommen, um zu bleiben

    Julia Adou, bei Aldi Süd zuständig für Nachhaltigkeit.

    Julia Adou und der blaue Discounter: Das bringt man nicht sofort zusammen. “Endlich wieder grillen”, wirbt Aldi Süd dieser Tage. Adou dagegen wirkt, als mache sie morgens um 6 Uhr Pilates und rühre nach 18 Uhr nichts Fettiges mehr an. Eine schlanke Mittvierzigerin mit smartem Kurzhaarschnitt und noch smarterer Zunge.

    Die Bio-Branche bewundert und fürchtet Julia Adou. Aldi Süd, das größere der zwei Aldi-Imperien, ist in seinem Vertriebsgebiet Marktführer für Produkte aus ökologischem Anbau. Sie machen eigenen Angaben zufolge 16 Prozent des Standardsortiments aus. Zum Vergleich: Lidl hat sich zehn Prozent Bio-Anteil für 2025 zum Ziel gesetzt; musste Medienberichten zufolge aber zuletzt sogar einen Rückgang einräumen. Der Öko-Markt ist hart umkämpft, weil er zahlende Kundschaft in die Läden zieht. Aldi-Süd hat seine Bio-Umsätze seit 2020 um 30 Prozent gesteigert.

    Das ist vor allem Adous Werk. Seit 16 Jahren leitet sie die Nachhaltigkeitsabteilung, heute arbeiten dort 40 Leute. Zuvor promovierte die Sozialpädagogin bei den Ford-Werken über “Corporate Volunteering”: gemeinwohlorientiertes Mitarbeiterengagement. Sie weiß aus Theorie und Praxis, wie man Menschen für sinnhaftes Handeln begeistert.

    Bei den Öko-Marketingtagen auf Schloss Kirchberg an der Jagst ist es mucksmäuschenstill während ihres Vortrags. Aldi nimmt im Herbst 2023 zum ersten Mal an diesem alljährlichen Branchentreffen teil. Der Discounter kooperiert neuerdings mit Naturland, einem Verband, der Höfe und Produkte auf der ganzen Welt nach den hohen Anforderungen der deutschen Bio-Verbände zertifiziert.

    Ein Bio-Warenkorb machte den Anfang

    Ihren Werdegang bei Aldi beschreibt Adou als eine Reise. Als sie dort anfing, habe der Discounter schon erste Bio-Produkte geführt, vor allem Eier und Hackfleisch. Wie, habe sie gefragt, solle sich denn davon eine Familie ernähren? Es brauche doch wohl so etwas wie einen “Bio-Warenkorb”.

    Die Einkäufer hätten abgewunken. Die meisten hätten Adous Einfluss sowieso lieber beschränkt. “Das hat man mir auch sehr schnell gesagt.” Aus Einkäufersicht gab es dafür gute Gründe: Das Discounter-Sortiment darf nur aus 1800 Basisartikeln bestehen. Und die müssen sich alle daran messen lassen, ob sie “drehen”, also ob pro Filiale pro Woche genug Stück verkauft werden. Sonst fliegen sie raus. Zu potenziellen Bio-Käufern hieß es: “Die fünf Prozent kommen sowieso nicht zu uns.”

    Doch zur Aldi-Geschichte, so sagt es Adou, gehöre ja gerade, Luxusartikel wie Computer oder Champagner für alle erschwinglich zu machen. Wieso also nicht Bio für alle? Diese Argumentation verfing und führte zur ersten Bio-Eigenmarke: das Wort “Bio” als Smiley. “Und die Marktforschung hat uns dann glücklicherweise immer wieder gespiegelt, dass unser Bio-Smiley teilweise bekannter ist in der Bevölkerung als das EU-Bio-Siegel.”

    Irgendwann hätten die Aldi-Süd-Filialen übers Jahr gesehen ganze 550 Bio-Produkte im Sortiment gehabt. Das sei dann auch den Entscheidern aufgefallen. Und habe zu Fragen geführt: Wie geht’s weiter? Welche Produkte brauchen Menschen, damit es sowohl ihnen als auch der Umwelt besser geht?

    Wie erklärt man Bio möglichst einfach?

    “Diese Fragen haben uns monatelang umgetrieben und gequält: Weil wir die Antworten ja ganz leicht, für jeden verständlich, erklären müssen.” Denn die Kundschaft seien keine Öko-Experten. Viele seien nie auf einem Bauernhof gewesen. Sie wüssten nicht, warum nicht-homogenisierte Milch “der Knaller” ist oder ein Joghurt aus nur drei Zutaten ein Qualitätsprodukt. Also: Wie erklärt man das, möglichst einfach?

    “Jedes dieser Produkte stellt uns vor eine Erklärungsherausforderung”, sagt Adou. Dabei würden auch Aldi-Kunden inzwischen Fragen stellen nach der Herkunft, den Zutaten, der Regionalität, “sie wollen wissen, wie der Bauer und seine Freundin heißen”.

    Ihre Leute, sagt sie, säßen nicht nur am Schreibtisch. Sie kontrollierten die gesamte Wertschöpfungskette, kämen auch mal unangemeldet auf einen Hof. Denn darum gehe es bei den Eigenmarken: Der Kunde soll sie erkennen und sich auf sie verlassen, ohne dafür viel lesen zu müssen.

    Adous Team hat jetzt eine neue Marke kreiert, für die noch höhere Bio-Qualität der Naturland-zertifizierten Produkte. Eine Premium-Bio-Eigenmarke, sie heißt: “Nur Nur Natur”. “Weil das Thema Nachhaltigkeit bleibt. So wie ich gekommen bin, um zu bleiben.”

    Für Nachhaltigkeitsprojekte von Naturland-Landwirten gibt es sogar Bares: Für jedes mit einem speziellen Bio-Diversitäts-Siegel verkaufte Produkt zahlt Aldi Süd in einen Fonds ein. Das wird an die Produzenten verteilt, wenn diese nachweisen, dass sie eine Hecke angelegt haben oder Kleegras tierwildschonend bewirtschaften. Viele in der Branche hoffen, dass das Projekt Nachahmer findet.

    Julia Adou hat noch einiges vor. Baby- und Kinderprodukte etwa soll es nur noch in Bio-Qualität geben. Das sei ein Novum, denn: “Bisher hatte jedes Bio-Produkt eine konventionelle Schwester.” Das ist zugleich eine Kampfansage an die Drogeriemärkte, die mit Bio gute Schnitte machen.

    Läuft es? “Ja und nein. Es läuft noch nicht so wie die klassischen Schnelldreher. Aber wir haben Geduld. Das hat man mir von ganz oben gesagt, und daran halte ich mich fest.” Adous Reise geht weiter, flankiert von “ganz viel” Marketing und Kommunikation. Sie sieht sich vor einer “Ernährungsbildungsaufgabe”. Auch bei der jungen Kundschaft. Die wisse zwar bereits viel über Trends wie vegan und regional – echte Nachhaltigkeit sei aber komplexer. Annette Bruhns

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    Agrifood.Table Redaktion

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