Table.Briefing: Agrifood

Kurswechsel bei SUR + Sanktionierung russischer Agrarprodukte + Ernährungsstrategie unter Beschuss

Liebe Leserin, lieber Leser,

bei seinem Rundgang über die Grüne Woche räumte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor Fachleuten ein, dass es “viel zu viel Bürokratie” im landwirtschaftlichen Sektor gebe. “Das ist leider ein Satz, den sehr viele schon sehr oft und sehr lange gesprochen haben, ohne dass es dann hinterher tatsächlich spürbare Konsequenzen gegeben hat”, meinte er. Das solle sich nun ändern. Er versprach, Landwirten in puncto Entbürokratisierung entgegenzukommen.

Scholz sagte, die Bundesregierung habe sich vorgenommen, mit landwirtschaftlichen Vertretern darüber zu diskutieren, “was wir an pragmatischen Dingen unternehmen können, um die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Unternehmen zu erleichtern und ihnen eine gute ökonomische Zukunft zu ermöglichen”. Weiter meinte er: “Wir sind noch weit weg von dem Zustand, den wir uns für die Landwirtschaft der Zukunft vorstellen.”

Der Sektor stehe unmittelbar vor einer Transformation, sagte der Kanzler weiter. Allerdings müsse dieser Prozess “behutsam geschehen und immer mit dem Blick auf die Machbarkeit”. Er wolle nicht, dass die Landwirtschaft sich darauf beschränkt, die Landschaft zu pflegen, betonte er. Von der geplanten Kürzung von Agrardiesel-Vergünstigungen rückte er aber nicht ab.

Der brandenburgische Landesbauernverband will in dieser Woche erneut gegen die geplante Abschaffung von Steuerentlastungen beim Agrardiesel protestieren. Das Vorstandsmitglied des Verbandes, Lars Schmidt, sagte am Montag, Brandenburger Landwirte wollten an diesem Freitag mit Traktoren vor die Bundesparteizentralen in Berlin fahren.

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Henrike Schirmacher
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Analyse

Mit einem Trick versucht Belgien, die EU-Pestizidverordnung doch noch durchzubekommen

Wenige Monate vor Ende der EU-Legislaturperiode sind weiterhin zahlreiche Gesetzesvorhaben offen. In der Agrar- und Ernährungspolitik zeichnet sich ab, dass viele Vorhaben nicht mehr rechtzeitig vor der Wahl verabschiedet werden können. Um EU-Gesetze noch vor der Europawahl Anfang Juni zu beschließen, müssen im Regelfall die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament bis zum 9. Februar abgeschlossen sein. Andernfalls können die Gesetzestexte nicht mehr bis zur letzten Sitzungswoche im Parlament (22. bis 25. April) finalisiert werden.

Einzige Ausnahme ist das gestraffte Corrigendum-Verfahren, das genutzt werden kann, wenn die Einigung zu einem besonders wichtigen Dossier zu spät kommt. Für die Verhandlungen ist in diesem Fall bis Ende März Zeit, für welche Vorhaben diese Verlängerung infrage kommt, ist aber noch nicht entschieden. Gibt es kein Ergebnis vor den Wahlen, muss das nächste Europaparlament das Gesetz beschließen. Das kann den Gesetzgebungsprozess um rund ein Jahr verzögern. Vielen Dossiers aus dem Agrar- und Ernährungsbereich dürfte dieses Schicksal blühen.

Kaum Chancen für Gentechnik und Tiertransporte

Bei diesen Dossiers werden politische Einigungen rechtzeitig vor der Europawahl schwierig:

  • Neue Züchtungstechniken: Zum Vorschlag einer Lockerung des EU-Gentechnikrechts konnten sich bisher weder Mitgliedstaaten noch Parlament auf ihre Verhandlungsposition einigen. Im Parlament stimmt der Umweltausschuss am Mittwoch hierüber ab, das Thema bleibt jedoch umstritten. Vertreter grüner und linker Parteien sehen durch eine kürzlich veröffentlichte kritische Stellungnahme der französischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (ANSES) die wissenschaftliche Grundlage des Kommissionsvorschlags infrage gestellt. Die nationalen Minister befassen sich frühestens im Februar wieder mit dem Thema, in der Zwischenzeit wird auf Arbeitsebene nach Kompromissen gesucht.
  • Tiertransporte: Ihren Vorschlag für strengere Regeln beim Transport lebender Tiere legte die Kommission – anstelle einer eigentlich lange angekündigten umfassenden Tierschutzreform – erst Anfang Dezember vor. Das Dossier hatte damit von Anfang an de facto keine Chance, vor der Wahl fertiggestellt zu werden. Parlament und Mitgliedstaaten haben die Arbeit daran noch nicht einmal begonnen.
  • Ebenfalls noch ganz am Anfang des Prozesses stehen die Saatgutverordnung, die Richtlinie zur Bodenüberwachung und der Vorschlag zum Forstmonitoring. Hier beginnt gerade erst die Ausarbeitung der jeweiligen Positionen von Rat und Parlament, eine Einigung vor der Wahl ist damit faktisch ausgeschlossen.
  • Schon näher am Ziel ist die Verpackungsverordnung. Hier haben die Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und Parlament begonnen, diese gelten jedoch als schwierig und könnten sich damit länger hinziehen.

Belgier wollen Pestizid-Verordnung retten

Eine überraschende Wendung gibt es derweil bei der Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR). Diese galt als gestorben, nachdem das EU-Parlament den Vorschlag und weitere Verhandlungen dazu im November abgelehnt hatte. Aber die belgische EU-Ratspräsidentschaft will das Projekt offenbar noch nicht aufgeben und setzt auf eine ungewöhnliche Strategie: Dem Vernehmen nach wollen die Belgier das Dossier aufspalten. Weniger strittige Teile sollen so dem Parlament schmackhaft gemacht werden. Das soll beispielsweise die Förderung des integrierten Pflanzenschutzes umfassen.

Umstrittene Punkte wie die Ausweisung sensibler Gebiete oder bindende nationale Reduktionsziele sollen erst einmal vertagt werden. Der Vorschlag würde dadurch deutlich entschärft. Für eine Verabschiedung vor dem Ende der Frist am 9. Februar kommt der Einsatz Belgiens zu spät. Denn der neue Kompromissvorschlag wird diese Woche erst einmal auf Arbeitsebene verhandelt, auf der Agenda der Minister steht das Thema frühestens wieder Ende Februar. Wegen der hohen politischen Bedeutung des Dossiers hofft man jedoch auf eine Fristverlängerung durch das Corrigendum-Verfahren.

Für einzelne Dossiers gibt es noch Hoffnung

Erfolgsaussichten haben nur wenige Vorschläge mit Relevanz für den Agrar- und Ernährungsbereich:

  • Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ist ausverhandelt. Der Umweltausschuss des Parlaments hat dem Kompromiss bereits zugestimmt, nun muss er noch in einer Plenarsitzung verabschiedet werden.
  • Zu Änderungen der sogenannten Frühstücksverordnungen – mehrere Verordnungen über Lebensmittel wie Honig oder Marmeladen – sollen kommende Woche die Gespräche zwischen Parlament und Mitgliedstaaten beginnen. Sie könnten auch schon kommende Woche finalisiert werden. Das Thema gilt als wenig umstritten, es wird ein rascher Abschluss der Verhandlungen erwartet.
  • Auch zur Zertifizierung von CO₂-Senken haben die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament in der vergangenen Woche begonnen. Dabei geht es unter anderem um landwirtschaftliche Praktiken, die zur Bindung von CO₂ beitragen. Eine rechtzeitige Einigung gilt als möglich.

Kein Prinzip der Diskontinuität in der EU

Auf EU-Ebene gibt es nicht das Prinzip der Diskontinuität, wie etwa im Bundestag. Die Verhandlungen über Gesetzesvorhaben, bei denen es noch keine politische Einigung gibt, müssen also auf EU-Ebene nicht nach den Wahlen komplett neu aufgerollt werden. Sie können vielmehr in der neuen Wahlperiode wieder aufgegriffen werden. Voraussetzung dafür sind Beschlüsse der neuen Kommission und des neuen Parlaments. Es kommt dabei aber zu Verzögerungen. Die Verhandlungen zwischen den Co-Gesetzgebern beginnen erst wieder, sobald die neue Kommission ins Amt gekommen ist – das heißt frühestens im November. Zudem sagen Umfragen für die Wahlen eine Verschiebung der Sitzverteilung nach rechts voraus. Das dürfte den Appetit des Parlaments auf neue Umwelt- oder Tierschutzvorgaben noch einmal schmälern.

  • EU-Gentechnik
  • EU-Gentechnikrecht
  • Europäische Kommission
  • Europäischer Rat
  • Europäisches Parlament
  • Europawahlen 2024
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News

Baltische Staaten fordern Sanktionen auf russische Agrarprodukte

In einem Papier, das die EU-Agrarminister bei ihrem Treffen am heutigen Dienstag diskutieren, rufen Litauen, Lettland und Estland die EU dazu auf, Sanktionen auf die Einfuhr russischer Agrarprodukte und Lebensmittel zu prüfen. Umsatz und Exportzölle durch den Export von Agrarprodukten stärkten die russische Wirtschaft und trügen zur Finanzierung der Angriffe auf die Ukraine bei, so die Argumentation der drei Länder, die als enge Verbündete Kiews gelten. Der Agrarhandel dürfe “nicht länger die Taschen des brutalen russischen Regimes füllen”, fordern sie. Aktuell fallen diese Agrarrohstoffe und Lebensmittel, ebenso wie Dünger, nicht unter die Sanktionen, die die EU wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine gegen Moskau verhängt hat.

Hintergrund ist, dass die Maßnahmen nicht die globale Lebensmittelversorgung gefährden oder Lebensmittelpreise in die Höhe treiben sollen. Das Thema ist auch diplomatisch brisant, denn Russland hat seit dem Start der EU-Sanktionen immer wieder das Narrativ verbreitet, diese würden den Zugang zu bezahlbaren Nahrungsmitteln für Staaten des Globalen Südens verschlechtern. Die baltischen Staaten schlagen vor, solchen Vorwürfen aus dem Weg zu gehen, indem lediglich russische Einfuhren in die EU mit Sanktionen belegt werden, während Moskau weiterhin in Drittstaaten exportieren könnte. Letztlich entscheiden müssten über den Vorschlag der Balten jedoch die Staats- und Regierungschefs, die Anfang Februar zu einem Sondergipfel zur Ukraine zusammenkommen.

Agrarminister sprechen über Handel und Strategiedialog

Auf der Agenda der 27 Agrarminister stehen auch die Handelserleichterungen, die die EU der Ukraine zur Unterstützung aktuell übergangsweise gewährt. Es wird erwartet, dass die EU-Kommission in dieser Woche eine Verlängerung der Maßnahmen um ein Jahr vorschlägt. Die Maßnahme ist jedoch umstritten, Kritiker befürchten die Verdrängung europäischer Erzeuger vom Markt. Zudem geht es bei dem Treffen um den Start des Strategiedialogs Landwirtschaft sowie um den Vorschlag für einen europäischen Rechtsrahmen zum Forstmonitoring. jd

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  • China-Sanktionen
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  • Ukraine

Verbände kritisieren Ernährungsstrategie

Lange wurde gerungen, nun hat das Bundeskabinett die Ernährungsstrategie “Gutes Essen für Deutschland” verabschiedet. Das Papier umfasst 90 ernährungspolitische Maßnahmen, die bereits laufen oder noch angegangen werden sollen – darunter Ziele gegen Lebensmittelverschwendung und Qualitätsstandards für Gemeinschaftsverpflegung. In der Branche erzeugt das Papier, das die Regierung bereits im Koalitionsvertrag angekündigt hatte, jedoch ein verhaltenes Echo.

Einer der zentralen Punkte der Strategie, die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) federführend erarbeitet hat, ist die pflanzenbetonte Ernährung. Die bestehende Eiweißpflanzenstrategie will die Bundesregierung zu einer “Proteinstrategie für Deutschland” weiterentwickeln, die vorhandene Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz voranbringen. Dabei bleiben die geplanten Reduktionsziele jedoch unverbindlich.  

Umwelt- und Verbraucherschützer fordern rechtliche und finanzielle Ausgestaltung

Genau diese Unverbindlichkeit der Strategie bemängelt unter anderem die Umweltorganisation WWF. Völlig unklar sei, wie zentrale Vorhaben der Strategie wie zum Beispiel im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung rechtlich umgesetzt werden sollen. Und: “Es fehlen konkrete Aussagen, wie der Bund die geplanten Maßnahmen mitfinanzieren will”, so Elisa Kollenda, Referentin für nachhaltige Ernährung beim WWF Deutschland. Kritisch sieht der WWF auch, dass die Bundesregierung zwar die Ernährungsumgebung verändern wolle, dabei aber wesentliche Bereiche – wie etwa Supermärkte und Restaurants – ausspare und bei der Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln vage bleibe.

In eine ähnliche Kerbe schlägt die Verbraucherorganisation Foodwatch mit ihrer Kritik an der Ernährungsstrategie. “Für dieses wohlklingende, aber weitgehend folgenlose Papier hat die Ampel-Koalition also die Hälfte ihrer Legislaturperiode gebraucht?”, fragt sich Luise Molling von Foodwatch. In dem Papier fänden sich zwar viele hehre Ziele, aber kaum wirkungsvolle Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung diese auch erreichen könne, meint Molling. Anstatt nur abstrakte Zukunftsvisionen zu entwerfen, solle die Bundesregierung jetzt “konkrete Maßnahmen ergreifen, die sie selbst zügig umsetzen kann und die eine gesündere Ernährung effektiv befördern würden”, fordert Molling.

Konkrete Maßnahmen wünscht sich auch der Agrarwissenschaftler Harald Grethe, einer der Direktoren des Thinktanks Agora Agrar. Bei einer Veranstaltung der Grünen Bundestagsfraktion zum Thema “Ernährung sichern” forderte er Ende vergangener Woche außerdem, die Ernährungsstrategie mit entsprechendem Budget zu unterlegen.

Ernährungswirtschaft sieht keine Notwendigkeit

Das Deutsche Tiefkühlinstitut (dti) sieht dafür keine Notwendigkeit. Laut dti-Chefin Sabine Eichner könnten sich bereits alle Menschen in Deutschland gesund, ausgewogen und nachhaltig ernähren. Eichner fordert vielmehr eine ernährungspolitische Strategie für die gesamte Wertschöpfungskette, die auch die Perspektive der Produzenten miteinbeziehe.

Der Lebensmittelverband Deutschland hält es derweil für richtig, weder einzelne Lebensmittel noch damit verbundene Lebenswirklichkeiten zu diskreditieren. “Wenn die Forderung erhoben wird, dass wir mehr pflanzenbetont, mehr saisonal, regional und generell mehr nachhaltig essen sollten, dann sollte zunächst ein gemeinsames, wissenschaftlich fundiertes Verständnis darüber geschaffen werden, was wie nachhaltig ist und welche Dimensionen und Aspekte hier berücksichtigt werden müssen”, fordert Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands. heu

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  • Ernährungspolitik
  • Ernährungsstrategie
  • Gemeinschaftsverpflegung

CO₂-Preis kostet Bauern dieses Jahr knapp 250 Millionen Euro

Neben dem Abbau von Steuervorteilen für Agrardiesel kommen auf Bauern dieses Jahr nach Regierungsangaben rund 247 Millionen Euro Kosten für den steigenden CO₂-Preis zu. Die Zahl nannte das Wirtschaftsministerium auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Dietmar Bartsch. Für 2025 beziffert das Ministerium die Summe des CO₂-Preises beim Agrardiesel bereits auf 302 Millionen Euro. 2023 waren es 164 Millionen Euro. Bartsch forderte, die Belastung zu berücksichtigen und die Steuervorteile für Agrardiesel zu erhalten.

CO₂-Preis steigt jährlich

Bereits die Vorgängerregierung hatte beschlossen, dass die Verschmutzung durch Kohlendioxid, die beim Verbrennen von Diesel und anderen fossilen Treibstoffen entsteht, im Sinne des Klimaschutzes jährlich teurer werden soll. Die Ampel-Regierung setzt dies fort. So ist der Preis je Tonne CO₂ von bisher 30 Euro auf 45 Euro gestiegen; nächstes Jahr soll er auf 55 Euro angehoben werden. Das trifft alle, die mit Verbrennermotoren fahren.

Laut Ministerium lag der CO₂-Preisanteil je Liter Diesel – unabhängig vom Verwendungszweck – 2023 bei 8,0 Cent; in diesem Jahr sind es 12 Cent und 2025 dann 14,7 Cent, jeweils ohne Mehrwertsteuer. Bei Landwirten fällt das ins Gewicht, weil Maschinen oft viel Treibstoff verbrauchen. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums wird von insgesamt zwei Milliarden Liter Agrardiesel pro Jahr ausgegangen.

Bartsch: Bundesregierung blendet Zusatzbelastung aus

Bartsch sagte: “Dass die Bauern in diesem Jahr 247 Millionen Euro für den CO₂-Preis zusätzlich auf ihren Agrardiesel bezahlen müssen, blendet die Bundesregierung offenbar völlig aus.” Wer den Bauern dazu ihre Steuervorteile auf Agrardiesel nehme, habe die Situation vieler Höfe nicht verstanden. “Unterm Strich – mit CO₂-Preis, ohne Agrardieselvergünstigung – geht es um eine Mehrbelastung für die Landwirte von über 700 Millionen Euro“, rechnete Bartsch vor. Das sei inakzeptabel.

Tausende Bauern hatten in den vergangenen Tagen gegen den Abbau der Steuervorteile für Agrardiesel demonstriert. dpa

  • Agrarpolitik
  • Bauernproteste
  • Landwirtschaft

Breiter Appell aus der Wissenschaft für Neuregulierung der Grünen Gentechnik

35 Nobelpreisträger und mehr als 1.200 europäische Wissenschaftler haben in einem offenen Brief an die Mitglieder des Europäischen Parlaments appelliert, bei der in dieser Woche bevorstehenden Abstimmung im Umweltausschuss die Neuregulierung der Neuen Genomischen Techniken (NGT) zu unterstützen.

Die Unterzeichner fordern die EU-Parlamentarier auf, einem Vorschlag der EU-Kommission zu diesem Thema zuzustimmen. Dieser soll es ermöglichen, bestimmte gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel in der Europäischen Union künftig einfacher erforschen und ohne spezielle Kennzeichnung verkaufen zu können. Entsprechende Lockerungen hatte die Behörde Anfang Juli in Brüssel vorgeschlagen.

“Reflexhafte Anti-Wissenschafts-Lobbyisten in der Brüsseler Blase”

In dem Brief warnen die Wissenschaftler vor Ideologie und Dogmatismus. “Wir fordern Sie auf, sich mit der überwältigenden Mehrheit der Landwirte und echten Experten auseinanderzusetzen und nicht mit den reflexhaften Anti-Wissenschafts-Lobbyisten in der Brüsseler Blase”, heißt es in dem Schreiben. “Wir fordern Sie auf, die unbestreitbaren wissenschaftlichen Beweise für NGTs zu berücksichtigen und Entscheidungen zu treffen, die den Interessen der Europäischen Union und ihrer Bürger entsprechen.”

Der Vorschlag der EU-Kommission betrifft den Einsatz von Genomeditierungsmethoden. Die Unterzeichner des offenen Briefs argumentieren, Crispr-Cas9 habe in der Pflanzenzüchtung das Potenzial, den Einsatz von Pestiziden und Dünger in der Landwirtschaft drastisch zu reduzieren und gleichzeitig die Ernährungssicherheit durch das Schaffen klimaresistenter Pflanzensorten zu erhöhen.

Verzicht auf NGT könnte Europa 300 Milliarden Euro kosten

Für den Fall, dass das Potenzial der NGT nicht ausgeschöpft wird, warnen sie vor erheblichen Folgekosten. Insgesamt könnte eine falsche Weichenstellung die europäische Wirtschaft jährlich 300 Milliarden Euro kosten. Dabei berufen sie sich auf eine Analyse des Breakthrough Institute und der Alliance for Science.

Das Plädoyer wurde unter anderem von den Crispr-Entdeckerinnen und Nobelpreisträgerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna unterzeichnet. Zu den Unterzeichnern gehören auch die deutsche Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard und die Pflanzenforscher Nicolaus von Wirén und Holger Puchta. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger begrüßte das Statement auf Plattformen wie LinkedIn. In Wahrheit gebe es kein gutes Argument gegen die Zulassung der neuen Züchtungstechniken.

In Deutschland machen sich vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Leopoldina stark für eine wissenschaftsbasierte Regulierung neuer genomischer Techniken und hatten diese Haltung zuletzt in einem Ad-hoc-Statement im Oktober bekräftigt. Allerdings wird das Zeitfenster für eine finale Einigung vor der Europawahl im Juni immer enger. abg

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Presseschau

Führungsstreit bei BayWa: Aufsichtsratschef Lutz tritt wegen Compliance-Verstoß zurück FAZ
“Wir haben es satt”-Bündnis demonstriert in Berlin für ökologische Agrarreform und Tierwohlabgabe AgE
Bauernproteste: Wie die Tierwohlabgabe finanzielle Lücken schließen könnte FAZ
Ex-Agrarminister Jochen Borchert im Interview: “Die Tierwohlabgabe wäre ein gangbarer Weg” Lebensmittelzeitung
Interview: Michaela Kaniber (CDU) und Anton Hofreiter (Grüne) diskutieren über Bauernproteste und Agrarsubventionen Die Zeit
Die “Retterin der Bauern”: Julia Klöckners fragwürdige Position bei den Bauernprotesten Tagesspiegel
Berliner Agrarministerkonferenz: 65 Staaten wollen nachhaltigen Agrarsektor fördern agrarzeitung
Konjunkturbaromenter Agribusiness: Schlechte Aussichten für die Agrar- und Ernährungsindustrie agrarzeitung
Parteichef der französischen “Alliance Rurale” will “Landfraktion” im nächsten EU-Parlament gründen Euractiv
Tschechiens Landwirtschaftskammer fordert Abschaffung der EU-Agrarpolitik Euractiv
Europäisches Parlament verbietet Werbe-Begriffe “klimaneutral” und “klimapositiv” FAZ
Ingmar Jung (CDU) wird neuer Landwirtschaftsminister Hessens agrarheute
Studie: Landfrauenverband warnt vor Altersarmut bei Frauen auf dem Land agrarheute
AGDW-Präsident Andreas Bitter im Interview: “Das neue Waldgesetz schadet den Waldeigentümern” top agrar
Ex-Agrarministerin Renate Künast (Grüne) im Interview: “Gesunde Ernährung gehört heutzutage zu den Hausaufgaben einer Regierung” Tagesspiegel
Urteil: Deutsche Umwelthilfe muss zu Insektizid-Klage geladen werden agrarheute
McDonald’s schließt sich Initiative Tierwohl an AgE
Tierhaltungslogo des Handels wird an staatliches Haltungslogo angepasst Lebensmittelzeitung
Die reichsten Bauern sind Investoren und keine Landwirte agrarheute

Termine

23.01.2024 – 10.00 Uhr / Europa-Gebäude Brüssel
Tagung Rat für Landwirtschaft und Fischerei der Europäischen Union
Der belgische Vorsitz wird sein Arbeitsprogramm für das anstehende Halbjahr in den Bereichen Landwirtschaft und Fischerei vorstellen. Auf der Grundlage von Informationen, die vom Exekutiv-Vizepräsidenten der Kommission Šefčovič vorgestellt werden, wird der Rat eine öffentliche Aussprache über den von der Kommission eingeleiteten strategischen Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft in Europa führen. Der Rat wird außerdem im Rahmen einer öffentlichen Sitzung einen ersten Gedankenaustausch über die vorgeschlagene Verordnung über einen Monitoringrahmen für widerstandsfähige europäische Wälder führen. TAGESORDNUNG

23.01.2024 – 14.30 – 16.30 Uhr / CityCube Berlin
Kongress “Kraftstoffe der Zukunft 2024” Erneuerbare Antriebsenergie für die Land – und Forstwirtschaft
Unter dem Motto: “Kraftstoffe der Zukunft 2024 – Navigator für nachhaltige Mobilität” wird der
21. Internationale Fachkongress für Erneuerbare Mobilität “Kraftstoffe der Zukunft”, vom
22. bis 23. Januar 2024 erneut im CityCube Berlin stattfinden. Am 23.01. wird in der Session 6D über das Thema Biofuels in der Land- und Forstwirtschaft diskutiert.
PROGRAMM

23.01. – 26.01.2024 / Essen
Messe IPM ESSEN
Die Weltleitmesse des Gartenbaus – der Treffpunkt der grünen Branche.
Hier präsentieren Aussteller aus aller Welt ihre innovativen Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Pflanzen, Technik, Floristik und Ausstattung. Keine andere Messe bietet so viel Pflanzenvielfalt und so viele Pflanzenneuheiten. Klimawandel und Nachhaltigkeit sind hier die bestimmenden Themen.
INFO

24.01. – 25.01.2024 / Berlin
Forum 17. Zukunftsforum Ländliche Entwicklung
Unter dem Motto “Land.schöpft.Wert. – Starke ländliche Regionen” wird sich das Zukunftsforum 2024 dem Thema Regionaler Wertschöpfung widmen. Bundesminister Cem Özdemir wird die Veranstaltung am 24. Januar 2024 auf dem Berliner Messegelände eröffnen. INFO

25.01.2024 – 10.00 Uhr / Audimax der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Hochschultagung Diversität im Agrar- und Ernährungssektor
Auf der Tagesordnung stehen Impulsvorträge von Landwirtschaftsminister Werner Schwarz und Umweltminister Tobias Goldschmidt und eine anschließende Diskussionsrunde. Als Plenarredner werden Professor Jens Dauber, Leiter des Thühnen-Instituts für Biodiversität und Remco Stam, Professor für Phytopathologie von der Uni Kiel vortragen. INFO & PROGRAMM

28.01. – 31.01.2024 / Köln
Messe ISM Cologne
Die Internationale Süßwarenmesse versammelt das “Who is Who” der Branche und lebt sein Versprechen als Innovations- und Trendplattform voll aus. Hier treffen sich die wichtigsten Süßwaren- und Snack-Exporteure aus der ganzen Welt, um die neuesten Entwicklungen zu erkunden und neue Geschäftsmöglichkeiten zu finden. INFO & ANMELDUNG

02.02.2024 / Berlin
1041. Sitzung des Bundesrates
Top 2: 2/24 Gesetz zur Änderung des Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Gesetzes und des Tierarzneimittelgesetzes
Top 8: 8/24 Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 184 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 2001 über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft
Top 13: 628/23 Entschließung des Bundesrates: Tierschutz stärken – Onlinehandel mit Wirbeltieren stärker reglementieren
Top 14: 638/23 Entschließung des Bundesrates zum Schutz der bäuerlichen Rinderhaltung
Top 32: 586/23 Agrarpolitischer Bericht der Bundesregierung 2023
Top 39: 660/23 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Monitoringrahmen für widerstandsfähige europäische Wälder
Top 40: 679/23 Verordnung zur Änderung der GAP-Ausnahmen-Verordnung und zur Entfristung der Verordnungen über außergewöhnliche Anpassungsbeihilfen für Erzeuger in bestimmten Agrarsektoren
Top 41: 680/23 Verordnung zur Neuordnung der Vorschriften über die Verbringung von Lebensmitteln und Futtermitteln in die Europäische Union
TAGESORDNUNG

07.02. – 09.02.2024 / Messe Berlin
Messe Fruit Logistica
Auf der FRUIT LOGISTICA finden Sie das komplette Angebot an Produkten, Dienstleistungen und technischen Lösungen – ob bei der Entwicklung von Saatgütern, Früchten und Gemüse oder bei Verpackung und Automatisierung. Die Messe bildet das gesamte Spektrum der Wertschöpfungskette ab – vom Erzeuger zum Verbraucher. INFO & ANMELDUNG

Standpunkt

Mayet über Landwirtschaft im Klimawandel: Nur mit Agrarökologie haben wir eine Zukunft

Von Mariam Mayet
Mariam Mayet, Direktorin des African Centre for Biodiversity (ACB).

Es gibt einen breiten globalen Konsens darüber, dass das globale Ernährungssystem die Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt ist. Wenn wir unsere Ernährungssysteme nicht in Angriff nehmen, wird sich dieser Verlust beschleunigen. Auch die Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen wird schneller voranschreiten. Das gefährdet die Fähigkeit des Planeten, die menschliche Bevölkerung zu erhalten.

Allein in den vergangenen 50 Jahren sind die Populationen der Wirbeltiere um fast 70 Prozent geschrumpft. Rund eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Allein die Landwirtschaft verbraucht 80 Prozent des weltweit geförderten Süßwassers, und 80 Prozent der weltweiten Agrarflächen werden für die Aufzucht von Tieren genutzt, wobei Zuchtgeflügel 70 Prozent aller Vogelarten ausmacht und Wildvögel nur 30 Prozent. Die Rote Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN) listet die Landwirtschaft als Hauptbedrohung für 24.000 der 28.000 bisher bewerteten Arten auf. Zugleich ist die Überfischung der größte Treiber für den Verlust der biologischen Vielfalt in den Ökosystemen der Ozeane.

Ernährungssystem verursacht 21 bis 37 Prozent der globalen Emissionen

Das globale Lebensmittelregime der Industrieunternehmen trägt enorm zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei. Emissionen entstehen durch die Art und Weise, wie Lebensmittel produziert werden, wie sie weiterverarbeitet, verpackt, verschifft, für Biokraftstoffe und als Tierfutter verwendet werden. Auch übermäßiger Konsum und Lebensmittelverschwendung tragen zu den hohen Emissionen bei. Laut dem Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) über Klimawandel und Landsysteme aus dem Jahr 2019 emittiert das Ernährungssystem weltweit zwischen 21 und 37 Prozent der Gesamtemissionen pro Jahr. Darüber hinaus ist es ein völlig ungerechtes System in seinen Auswirkungen auf Landwirte, Landarbeiter, ländliche Gemeinden, Verbraucher, Lebensmittelarbeiter sowie die städtischen und ländlichen armen Gemeinden.

Die Antwort der Agrarindustrie auf die Klima- und Umweltkrise ist die lautstarke Förderung der klimafreundlichen Landwirtschaft (Climate-Smart Agriculture, CSA), einer von der Agrarindustrie geführten Vision einer hochtechnologischen, hoch überwachten und datengesteuerten “Landwirtschaft ohne Bauern”. Zu den größten Promotern von CSA gehören Bayer, McDonald’s und Walmart.

Einen Schub erhielt CSA mit dem Start der Agriculture Innovation Mission for Climate (AIM4C) im Jahr 2021 auf der COP26 der UN-Klimarahmenkonvention in Glasgow. Ihre Befürworter behaupten, sie könnten industrielle Düngemittel, Pestizide und Herbizide “effizienter” einsetzen.

Falsche Klimalösung Climate-Smart Agriculture

Diese Petrochemikalien sind zerstörerisch für lokale Ökosysteme und Gemeinschaften. Ihre Verwendung ist mit einem enormen Energieverbrauch verbunden, und ebenso mit riskantem und patentiertem gentechnisch veränderten oder gen-editierten Saatgut und der Datenerfassung für die Feldrobotik. Sie tragen auch erheblich zu den gesamten landwirtschaftlichen Kohlendioxidemissionen bei: Im Jahr 2018 verursachten sie 1.250 Millionen Tonnen CO₂, was etwa 21,5 Prozent der jährlichen direkten Emissionen aus der Landwirtschaft entspricht. Zum Vergleich: Die weltweiten Emissionen der kommerziellen Luftfahrt beliefen sich im selben Jahr auf 900 Millionen Tonnen CO₂.

CSA gehört zu einer Reihe von falschen Klimalösungen, die angeboten werden und keinen nennenswerten Beitrag zur langfristigen Emissionsreduzierung leisten. Darüber hinaus sind sie von Natur aus nicht nachhaltig und verfestigen weiterhin globale Ungleichheiten.

Agrarökologie ist die Alternative

Weltweit setzt sich eine wachsende Bewegung für die Agrarökologie als leistungsstarke Klimalösung und Alternative zum industriellen Ernährungssystem ein. Diese Bewegung besteht aus landwirtschaftlichen Gemeinschaften und Basisgruppen, und sie wird von einer beeindruckenden Gruppe von Akademikern und Forschenden unterstützt.

Agrarökologie ist eine Praxis, Wissenschaft und Bewegung. Sie verwendet ökologische und soziale Konzepte und Prinzipien, wenn sie nachhaltige landwirtschaftliche Ökosysteme gestaltet und managt. Sie impliziert die Dezentralisierung und Demokratisierung der Lebensmittelproduktion – und vor allem eine drastische Reduzierung der Treibhausgasemissionen.

Weniger Emissionen, weniger Petrochemie, gesündere Natur

Durch die Agrarökologie können bis 2050 Emissionen in Höhe von 490 Gigatonnen CO₂ eingespart werden. Weitere Vorteile, die sich bereits in der Praxis zeigen, sind:

  • die Wiederherstellung der Bodengesundheit,
  • ein niedrigerer Wasserverbrauch,
  • weniger Produktion und Transport von petrochemischen Düngemitteln,
  • die Integration von Viehzucht und Aquakultur in die Forstwirtschaft,
  • eine niedrigere Entwaldung,
  • weniger Lebensmittelabfälle durch Ernteausfälle und
  • ein Bedarf an kürzerem Transport und kürzerer Lagerung von Lebensmitteln.

Veränderungen in der globalen, regionalen und nationalen Politik und Finanzierung, die die Agrarökologie unterstützen, werden einen großen Beitrag dazu leisten, den Würgegriff katastrophaler marktbasierter Lösungen zu durchbrechen und mehrere Ziele in den Bereichen Klimawandel, Ökologie, Ernährung und soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Wenn wir eine Zukunft auf diesem Planeten haben wollen, sind solche Veränderungen unabdingbar.

Mariam Mayet ist Exekutivdirektorin des African Centre for Biodiversity (ACB) in Johannesburg, Südafrika.

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  • Klimaanpassung
  • Landwirtschaft
  • Lebensmittelverschwendung
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Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    bei seinem Rundgang über die Grüne Woche räumte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor Fachleuten ein, dass es “viel zu viel Bürokratie” im landwirtschaftlichen Sektor gebe. “Das ist leider ein Satz, den sehr viele schon sehr oft und sehr lange gesprochen haben, ohne dass es dann hinterher tatsächlich spürbare Konsequenzen gegeben hat”, meinte er. Das solle sich nun ändern. Er versprach, Landwirten in puncto Entbürokratisierung entgegenzukommen.

    Scholz sagte, die Bundesregierung habe sich vorgenommen, mit landwirtschaftlichen Vertretern darüber zu diskutieren, “was wir an pragmatischen Dingen unternehmen können, um die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Unternehmen zu erleichtern und ihnen eine gute ökonomische Zukunft zu ermöglichen”. Weiter meinte er: “Wir sind noch weit weg von dem Zustand, den wir uns für die Landwirtschaft der Zukunft vorstellen.”

    Der Sektor stehe unmittelbar vor einer Transformation, sagte der Kanzler weiter. Allerdings müsse dieser Prozess “behutsam geschehen und immer mit dem Blick auf die Machbarkeit”. Er wolle nicht, dass die Landwirtschaft sich darauf beschränkt, die Landschaft zu pflegen, betonte er. Von der geplanten Kürzung von Agrardiesel-Vergünstigungen rückte er aber nicht ab.

    Der brandenburgische Landesbauernverband will in dieser Woche erneut gegen die geplante Abschaffung von Steuerentlastungen beim Agrardiesel protestieren. Das Vorstandsmitglied des Verbandes, Lars Schmidt, sagte am Montag, Brandenburger Landwirte wollten an diesem Freitag mit Traktoren vor die Bundesparteizentralen in Berlin fahren.

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    Henrike Schirmacher
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    Mit einem Trick versucht Belgien, die EU-Pestizidverordnung doch noch durchzubekommen

    Wenige Monate vor Ende der EU-Legislaturperiode sind weiterhin zahlreiche Gesetzesvorhaben offen. In der Agrar- und Ernährungspolitik zeichnet sich ab, dass viele Vorhaben nicht mehr rechtzeitig vor der Wahl verabschiedet werden können. Um EU-Gesetze noch vor der Europawahl Anfang Juni zu beschließen, müssen im Regelfall die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament bis zum 9. Februar abgeschlossen sein. Andernfalls können die Gesetzestexte nicht mehr bis zur letzten Sitzungswoche im Parlament (22. bis 25. April) finalisiert werden.

    Einzige Ausnahme ist das gestraffte Corrigendum-Verfahren, das genutzt werden kann, wenn die Einigung zu einem besonders wichtigen Dossier zu spät kommt. Für die Verhandlungen ist in diesem Fall bis Ende März Zeit, für welche Vorhaben diese Verlängerung infrage kommt, ist aber noch nicht entschieden. Gibt es kein Ergebnis vor den Wahlen, muss das nächste Europaparlament das Gesetz beschließen. Das kann den Gesetzgebungsprozess um rund ein Jahr verzögern. Vielen Dossiers aus dem Agrar- und Ernährungsbereich dürfte dieses Schicksal blühen.

    Kaum Chancen für Gentechnik und Tiertransporte

    Bei diesen Dossiers werden politische Einigungen rechtzeitig vor der Europawahl schwierig:

    • Neue Züchtungstechniken: Zum Vorschlag einer Lockerung des EU-Gentechnikrechts konnten sich bisher weder Mitgliedstaaten noch Parlament auf ihre Verhandlungsposition einigen. Im Parlament stimmt der Umweltausschuss am Mittwoch hierüber ab, das Thema bleibt jedoch umstritten. Vertreter grüner und linker Parteien sehen durch eine kürzlich veröffentlichte kritische Stellungnahme der französischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (ANSES) die wissenschaftliche Grundlage des Kommissionsvorschlags infrage gestellt. Die nationalen Minister befassen sich frühestens im Februar wieder mit dem Thema, in der Zwischenzeit wird auf Arbeitsebene nach Kompromissen gesucht.
    • Tiertransporte: Ihren Vorschlag für strengere Regeln beim Transport lebender Tiere legte die Kommission – anstelle einer eigentlich lange angekündigten umfassenden Tierschutzreform – erst Anfang Dezember vor. Das Dossier hatte damit von Anfang an de facto keine Chance, vor der Wahl fertiggestellt zu werden. Parlament und Mitgliedstaaten haben die Arbeit daran noch nicht einmal begonnen.
    • Ebenfalls noch ganz am Anfang des Prozesses stehen die Saatgutverordnung, die Richtlinie zur Bodenüberwachung und der Vorschlag zum Forstmonitoring. Hier beginnt gerade erst die Ausarbeitung der jeweiligen Positionen von Rat und Parlament, eine Einigung vor der Wahl ist damit faktisch ausgeschlossen.
    • Schon näher am Ziel ist die Verpackungsverordnung. Hier haben die Verhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und Parlament begonnen, diese gelten jedoch als schwierig und könnten sich damit länger hinziehen.

    Belgier wollen Pestizid-Verordnung retten

    Eine überraschende Wendung gibt es derweil bei der Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR). Diese galt als gestorben, nachdem das EU-Parlament den Vorschlag und weitere Verhandlungen dazu im November abgelehnt hatte. Aber die belgische EU-Ratspräsidentschaft will das Projekt offenbar noch nicht aufgeben und setzt auf eine ungewöhnliche Strategie: Dem Vernehmen nach wollen die Belgier das Dossier aufspalten. Weniger strittige Teile sollen so dem Parlament schmackhaft gemacht werden. Das soll beispielsweise die Förderung des integrierten Pflanzenschutzes umfassen.

    Umstrittene Punkte wie die Ausweisung sensibler Gebiete oder bindende nationale Reduktionsziele sollen erst einmal vertagt werden. Der Vorschlag würde dadurch deutlich entschärft. Für eine Verabschiedung vor dem Ende der Frist am 9. Februar kommt der Einsatz Belgiens zu spät. Denn der neue Kompromissvorschlag wird diese Woche erst einmal auf Arbeitsebene verhandelt, auf der Agenda der Minister steht das Thema frühestens wieder Ende Februar. Wegen der hohen politischen Bedeutung des Dossiers hofft man jedoch auf eine Fristverlängerung durch das Corrigendum-Verfahren.

    Für einzelne Dossiers gibt es noch Hoffnung

    Erfolgsaussichten haben nur wenige Vorschläge mit Relevanz für den Agrar- und Ernährungsbereich:

    • Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ist ausverhandelt. Der Umweltausschuss des Parlaments hat dem Kompromiss bereits zugestimmt, nun muss er noch in einer Plenarsitzung verabschiedet werden.
    • Zu Änderungen der sogenannten Frühstücksverordnungen – mehrere Verordnungen über Lebensmittel wie Honig oder Marmeladen – sollen kommende Woche die Gespräche zwischen Parlament und Mitgliedstaaten beginnen. Sie könnten auch schon kommende Woche finalisiert werden. Das Thema gilt als wenig umstritten, es wird ein rascher Abschluss der Verhandlungen erwartet.
    • Auch zur Zertifizierung von CO₂-Senken haben die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament in der vergangenen Woche begonnen. Dabei geht es unter anderem um landwirtschaftliche Praktiken, die zur Bindung von CO₂ beitragen. Eine rechtzeitige Einigung gilt als möglich.

    Kein Prinzip der Diskontinuität in der EU

    Auf EU-Ebene gibt es nicht das Prinzip der Diskontinuität, wie etwa im Bundestag. Die Verhandlungen über Gesetzesvorhaben, bei denen es noch keine politische Einigung gibt, müssen also auf EU-Ebene nicht nach den Wahlen komplett neu aufgerollt werden. Sie können vielmehr in der neuen Wahlperiode wieder aufgegriffen werden. Voraussetzung dafür sind Beschlüsse der neuen Kommission und des neuen Parlaments. Es kommt dabei aber zu Verzögerungen. Die Verhandlungen zwischen den Co-Gesetzgebern beginnen erst wieder, sobald die neue Kommission ins Amt gekommen ist – das heißt frühestens im November. Zudem sagen Umfragen für die Wahlen eine Verschiebung der Sitzverteilung nach rechts voraus. Das dürfte den Appetit des Parlaments auf neue Umwelt- oder Tierschutzvorgaben noch einmal schmälern.

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    News

    Baltische Staaten fordern Sanktionen auf russische Agrarprodukte

    In einem Papier, das die EU-Agrarminister bei ihrem Treffen am heutigen Dienstag diskutieren, rufen Litauen, Lettland und Estland die EU dazu auf, Sanktionen auf die Einfuhr russischer Agrarprodukte und Lebensmittel zu prüfen. Umsatz und Exportzölle durch den Export von Agrarprodukten stärkten die russische Wirtschaft und trügen zur Finanzierung der Angriffe auf die Ukraine bei, so die Argumentation der drei Länder, die als enge Verbündete Kiews gelten. Der Agrarhandel dürfe “nicht länger die Taschen des brutalen russischen Regimes füllen”, fordern sie. Aktuell fallen diese Agrarrohstoffe und Lebensmittel, ebenso wie Dünger, nicht unter die Sanktionen, die die EU wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine gegen Moskau verhängt hat.

    Hintergrund ist, dass die Maßnahmen nicht die globale Lebensmittelversorgung gefährden oder Lebensmittelpreise in die Höhe treiben sollen. Das Thema ist auch diplomatisch brisant, denn Russland hat seit dem Start der EU-Sanktionen immer wieder das Narrativ verbreitet, diese würden den Zugang zu bezahlbaren Nahrungsmitteln für Staaten des Globalen Südens verschlechtern. Die baltischen Staaten schlagen vor, solchen Vorwürfen aus dem Weg zu gehen, indem lediglich russische Einfuhren in die EU mit Sanktionen belegt werden, während Moskau weiterhin in Drittstaaten exportieren könnte. Letztlich entscheiden müssten über den Vorschlag der Balten jedoch die Staats- und Regierungschefs, die Anfang Februar zu einem Sondergipfel zur Ukraine zusammenkommen.

    Agrarminister sprechen über Handel und Strategiedialog

    Auf der Agenda der 27 Agrarminister stehen auch die Handelserleichterungen, die die EU der Ukraine zur Unterstützung aktuell übergangsweise gewährt. Es wird erwartet, dass die EU-Kommission in dieser Woche eine Verlängerung der Maßnahmen um ein Jahr vorschlägt. Die Maßnahme ist jedoch umstritten, Kritiker befürchten die Verdrängung europäischer Erzeuger vom Markt. Zudem geht es bei dem Treffen um den Start des Strategiedialogs Landwirtschaft sowie um den Vorschlag für einen europäischen Rechtsrahmen zum Forstmonitoring. jd

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    Verbände kritisieren Ernährungsstrategie

    Lange wurde gerungen, nun hat das Bundeskabinett die Ernährungsstrategie “Gutes Essen für Deutschland” verabschiedet. Das Papier umfasst 90 ernährungspolitische Maßnahmen, die bereits laufen oder noch angegangen werden sollen – darunter Ziele gegen Lebensmittelverschwendung und Qualitätsstandards für Gemeinschaftsverpflegung. In der Branche erzeugt das Papier, das die Regierung bereits im Koalitionsvertrag angekündigt hatte, jedoch ein verhaltenes Echo.

    Einer der zentralen Punkte der Strategie, die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) federführend erarbeitet hat, ist die pflanzenbetonte Ernährung. Die bestehende Eiweißpflanzenstrategie will die Bundesregierung zu einer “Proteinstrategie für Deutschland” weiterentwickeln, die vorhandene Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz voranbringen. Dabei bleiben die geplanten Reduktionsziele jedoch unverbindlich.  

    Umwelt- und Verbraucherschützer fordern rechtliche und finanzielle Ausgestaltung

    Genau diese Unverbindlichkeit der Strategie bemängelt unter anderem die Umweltorganisation WWF. Völlig unklar sei, wie zentrale Vorhaben der Strategie wie zum Beispiel im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung rechtlich umgesetzt werden sollen. Und: “Es fehlen konkrete Aussagen, wie der Bund die geplanten Maßnahmen mitfinanzieren will”, so Elisa Kollenda, Referentin für nachhaltige Ernährung beim WWF Deutschland. Kritisch sieht der WWF auch, dass die Bundesregierung zwar die Ernährungsumgebung verändern wolle, dabei aber wesentliche Bereiche – wie etwa Supermärkte und Restaurants – ausspare und bei der Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln vage bleibe.

    In eine ähnliche Kerbe schlägt die Verbraucherorganisation Foodwatch mit ihrer Kritik an der Ernährungsstrategie. “Für dieses wohlklingende, aber weitgehend folgenlose Papier hat die Ampel-Koalition also die Hälfte ihrer Legislaturperiode gebraucht?”, fragt sich Luise Molling von Foodwatch. In dem Papier fänden sich zwar viele hehre Ziele, aber kaum wirkungsvolle Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung diese auch erreichen könne, meint Molling. Anstatt nur abstrakte Zukunftsvisionen zu entwerfen, solle die Bundesregierung jetzt “konkrete Maßnahmen ergreifen, die sie selbst zügig umsetzen kann und die eine gesündere Ernährung effektiv befördern würden”, fordert Molling.

    Konkrete Maßnahmen wünscht sich auch der Agrarwissenschaftler Harald Grethe, einer der Direktoren des Thinktanks Agora Agrar. Bei einer Veranstaltung der Grünen Bundestagsfraktion zum Thema “Ernährung sichern” forderte er Ende vergangener Woche außerdem, die Ernährungsstrategie mit entsprechendem Budget zu unterlegen.

    Ernährungswirtschaft sieht keine Notwendigkeit

    Das Deutsche Tiefkühlinstitut (dti) sieht dafür keine Notwendigkeit. Laut dti-Chefin Sabine Eichner könnten sich bereits alle Menschen in Deutschland gesund, ausgewogen und nachhaltig ernähren. Eichner fordert vielmehr eine ernährungspolitische Strategie für die gesamte Wertschöpfungskette, die auch die Perspektive der Produzenten miteinbeziehe.

    Der Lebensmittelverband Deutschland hält es derweil für richtig, weder einzelne Lebensmittel noch damit verbundene Lebenswirklichkeiten zu diskreditieren. “Wenn die Forderung erhoben wird, dass wir mehr pflanzenbetont, mehr saisonal, regional und generell mehr nachhaltig essen sollten, dann sollte zunächst ein gemeinsames, wissenschaftlich fundiertes Verständnis darüber geschaffen werden, was wie nachhaltig ist und welche Dimensionen und Aspekte hier berücksichtigt werden müssen”, fordert Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands. heu

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    CO₂-Preis kostet Bauern dieses Jahr knapp 250 Millionen Euro

    Neben dem Abbau von Steuervorteilen für Agrardiesel kommen auf Bauern dieses Jahr nach Regierungsangaben rund 247 Millionen Euro Kosten für den steigenden CO₂-Preis zu. Die Zahl nannte das Wirtschaftsministerium auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Dietmar Bartsch. Für 2025 beziffert das Ministerium die Summe des CO₂-Preises beim Agrardiesel bereits auf 302 Millionen Euro. 2023 waren es 164 Millionen Euro. Bartsch forderte, die Belastung zu berücksichtigen und die Steuervorteile für Agrardiesel zu erhalten.

    CO₂-Preis steigt jährlich

    Bereits die Vorgängerregierung hatte beschlossen, dass die Verschmutzung durch Kohlendioxid, die beim Verbrennen von Diesel und anderen fossilen Treibstoffen entsteht, im Sinne des Klimaschutzes jährlich teurer werden soll. Die Ampel-Regierung setzt dies fort. So ist der Preis je Tonne CO₂ von bisher 30 Euro auf 45 Euro gestiegen; nächstes Jahr soll er auf 55 Euro angehoben werden. Das trifft alle, die mit Verbrennermotoren fahren.

    Laut Ministerium lag der CO₂-Preisanteil je Liter Diesel – unabhängig vom Verwendungszweck – 2023 bei 8,0 Cent; in diesem Jahr sind es 12 Cent und 2025 dann 14,7 Cent, jeweils ohne Mehrwertsteuer. Bei Landwirten fällt das ins Gewicht, weil Maschinen oft viel Treibstoff verbrauchen. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums wird von insgesamt zwei Milliarden Liter Agrardiesel pro Jahr ausgegangen.

    Bartsch: Bundesregierung blendet Zusatzbelastung aus

    Bartsch sagte: “Dass die Bauern in diesem Jahr 247 Millionen Euro für den CO₂-Preis zusätzlich auf ihren Agrardiesel bezahlen müssen, blendet die Bundesregierung offenbar völlig aus.” Wer den Bauern dazu ihre Steuervorteile auf Agrardiesel nehme, habe die Situation vieler Höfe nicht verstanden. “Unterm Strich – mit CO₂-Preis, ohne Agrardieselvergünstigung – geht es um eine Mehrbelastung für die Landwirte von über 700 Millionen Euro“, rechnete Bartsch vor. Das sei inakzeptabel.

    Tausende Bauern hatten in den vergangenen Tagen gegen den Abbau der Steuervorteile für Agrardiesel demonstriert. dpa

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    • Bauernproteste
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    Breiter Appell aus der Wissenschaft für Neuregulierung der Grünen Gentechnik

    35 Nobelpreisträger und mehr als 1.200 europäische Wissenschaftler haben in einem offenen Brief an die Mitglieder des Europäischen Parlaments appelliert, bei der in dieser Woche bevorstehenden Abstimmung im Umweltausschuss die Neuregulierung der Neuen Genomischen Techniken (NGT) zu unterstützen.

    Die Unterzeichner fordern die EU-Parlamentarier auf, einem Vorschlag der EU-Kommission zu diesem Thema zuzustimmen. Dieser soll es ermöglichen, bestimmte gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel in der Europäischen Union künftig einfacher erforschen und ohne spezielle Kennzeichnung verkaufen zu können. Entsprechende Lockerungen hatte die Behörde Anfang Juli in Brüssel vorgeschlagen.

    “Reflexhafte Anti-Wissenschafts-Lobbyisten in der Brüsseler Blase”

    In dem Brief warnen die Wissenschaftler vor Ideologie und Dogmatismus. “Wir fordern Sie auf, sich mit der überwältigenden Mehrheit der Landwirte und echten Experten auseinanderzusetzen und nicht mit den reflexhaften Anti-Wissenschafts-Lobbyisten in der Brüsseler Blase”, heißt es in dem Schreiben. “Wir fordern Sie auf, die unbestreitbaren wissenschaftlichen Beweise für NGTs zu berücksichtigen und Entscheidungen zu treffen, die den Interessen der Europäischen Union und ihrer Bürger entsprechen.”

    Der Vorschlag der EU-Kommission betrifft den Einsatz von Genomeditierungsmethoden. Die Unterzeichner des offenen Briefs argumentieren, Crispr-Cas9 habe in der Pflanzenzüchtung das Potenzial, den Einsatz von Pestiziden und Dünger in der Landwirtschaft drastisch zu reduzieren und gleichzeitig die Ernährungssicherheit durch das Schaffen klimaresistenter Pflanzensorten zu erhöhen.

    Verzicht auf NGT könnte Europa 300 Milliarden Euro kosten

    Für den Fall, dass das Potenzial der NGT nicht ausgeschöpft wird, warnen sie vor erheblichen Folgekosten. Insgesamt könnte eine falsche Weichenstellung die europäische Wirtschaft jährlich 300 Milliarden Euro kosten. Dabei berufen sie sich auf eine Analyse des Breakthrough Institute und der Alliance for Science.

    Das Plädoyer wurde unter anderem von den Crispr-Entdeckerinnen und Nobelpreisträgerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna unterzeichnet. Zu den Unterzeichnern gehören auch die deutsche Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard und die Pflanzenforscher Nicolaus von Wirén und Holger Puchta. Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger begrüßte das Statement auf Plattformen wie LinkedIn. In Wahrheit gebe es kein gutes Argument gegen die Zulassung der neuen Züchtungstechniken.

    In Deutschland machen sich vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Leopoldina stark für eine wissenschaftsbasierte Regulierung neuer genomischer Techniken und hatten diese Haltung zuletzt in einem Ad-hoc-Statement im Oktober bekräftigt. Allerdings wird das Zeitfenster für eine finale Einigung vor der Europawahl im Juni immer enger. abg

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    Presseschau

    Führungsstreit bei BayWa: Aufsichtsratschef Lutz tritt wegen Compliance-Verstoß zurück FAZ
    “Wir haben es satt”-Bündnis demonstriert in Berlin für ökologische Agrarreform und Tierwohlabgabe AgE
    Bauernproteste: Wie die Tierwohlabgabe finanzielle Lücken schließen könnte FAZ
    Ex-Agrarminister Jochen Borchert im Interview: “Die Tierwohlabgabe wäre ein gangbarer Weg” Lebensmittelzeitung
    Interview: Michaela Kaniber (CDU) und Anton Hofreiter (Grüne) diskutieren über Bauernproteste und Agrarsubventionen Die Zeit
    Die “Retterin der Bauern”: Julia Klöckners fragwürdige Position bei den Bauernprotesten Tagesspiegel
    Berliner Agrarministerkonferenz: 65 Staaten wollen nachhaltigen Agrarsektor fördern agrarzeitung
    Konjunkturbaromenter Agribusiness: Schlechte Aussichten für die Agrar- und Ernährungsindustrie agrarzeitung
    Parteichef der französischen “Alliance Rurale” will “Landfraktion” im nächsten EU-Parlament gründen Euractiv
    Tschechiens Landwirtschaftskammer fordert Abschaffung der EU-Agrarpolitik Euractiv
    Europäisches Parlament verbietet Werbe-Begriffe “klimaneutral” und “klimapositiv” FAZ
    Ingmar Jung (CDU) wird neuer Landwirtschaftsminister Hessens agrarheute
    Studie: Landfrauenverband warnt vor Altersarmut bei Frauen auf dem Land agrarheute
    AGDW-Präsident Andreas Bitter im Interview: “Das neue Waldgesetz schadet den Waldeigentümern” top agrar
    Ex-Agrarministerin Renate Künast (Grüne) im Interview: “Gesunde Ernährung gehört heutzutage zu den Hausaufgaben einer Regierung” Tagesspiegel
    Urteil: Deutsche Umwelthilfe muss zu Insektizid-Klage geladen werden agrarheute
    McDonald’s schließt sich Initiative Tierwohl an AgE
    Tierhaltungslogo des Handels wird an staatliches Haltungslogo angepasst Lebensmittelzeitung
    Die reichsten Bauern sind Investoren und keine Landwirte agrarheute

    Termine

    23.01.2024 – 10.00 Uhr / Europa-Gebäude Brüssel
    Tagung Rat für Landwirtschaft und Fischerei der Europäischen Union
    Der belgische Vorsitz wird sein Arbeitsprogramm für das anstehende Halbjahr in den Bereichen Landwirtschaft und Fischerei vorstellen. Auf der Grundlage von Informationen, die vom Exekutiv-Vizepräsidenten der Kommission Šefčovič vorgestellt werden, wird der Rat eine öffentliche Aussprache über den von der Kommission eingeleiteten strategischen Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft in Europa führen. Der Rat wird außerdem im Rahmen einer öffentlichen Sitzung einen ersten Gedankenaustausch über die vorgeschlagene Verordnung über einen Monitoringrahmen für widerstandsfähige europäische Wälder führen. TAGESORDNUNG

    23.01.2024 – 14.30 – 16.30 Uhr / CityCube Berlin
    Kongress “Kraftstoffe der Zukunft 2024” Erneuerbare Antriebsenergie für die Land – und Forstwirtschaft
    Unter dem Motto: “Kraftstoffe der Zukunft 2024 – Navigator für nachhaltige Mobilität” wird der
    21. Internationale Fachkongress für Erneuerbare Mobilität “Kraftstoffe der Zukunft”, vom
    22. bis 23. Januar 2024 erneut im CityCube Berlin stattfinden. Am 23.01. wird in der Session 6D über das Thema Biofuels in der Land- und Forstwirtschaft diskutiert.
    PROGRAMM

    23.01. – 26.01.2024 / Essen
    Messe IPM ESSEN
    Die Weltleitmesse des Gartenbaus – der Treffpunkt der grünen Branche.
    Hier präsentieren Aussteller aus aller Welt ihre innovativen Produkte und Dienstleistungen in den Bereichen Pflanzen, Technik, Floristik und Ausstattung. Keine andere Messe bietet so viel Pflanzenvielfalt und so viele Pflanzenneuheiten. Klimawandel und Nachhaltigkeit sind hier die bestimmenden Themen.
    INFO

    24.01. – 25.01.2024 / Berlin
    Forum 17. Zukunftsforum Ländliche Entwicklung
    Unter dem Motto “Land.schöpft.Wert. – Starke ländliche Regionen” wird sich das Zukunftsforum 2024 dem Thema Regionaler Wertschöpfung widmen. Bundesminister Cem Özdemir wird die Veranstaltung am 24. Januar 2024 auf dem Berliner Messegelände eröffnen. INFO

    25.01.2024 – 10.00 Uhr / Audimax der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
    Hochschultagung Diversität im Agrar- und Ernährungssektor
    Auf der Tagesordnung stehen Impulsvorträge von Landwirtschaftsminister Werner Schwarz und Umweltminister Tobias Goldschmidt und eine anschließende Diskussionsrunde. Als Plenarredner werden Professor Jens Dauber, Leiter des Thühnen-Instituts für Biodiversität und Remco Stam, Professor für Phytopathologie von der Uni Kiel vortragen. INFO & PROGRAMM

    28.01. – 31.01.2024 / Köln
    Messe ISM Cologne
    Die Internationale Süßwarenmesse versammelt das “Who is Who” der Branche und lebt sein Versprechen als Innovations- und Trendplattform voll aus. Hier treffen sich die wichtigsten Süßwaren- und Snack-Exporteure aus der ganzen Welt, um die neuesten Entwicklungen zu erkunden und neue Geschäftsmöglichkeiten zu finden. INFO & ANMELDUNG

    02.02.2024 / Berlin
    1041. Sitzung des Bundesrates
    Top 2: 2/24 Gesetz zur Änderung des Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Gesetzes und des Tierarzneimittelgesetzes
    Top 8: 8/24 Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 184 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 2001 über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft
    Top 13: 628/23 Entschließung des Bundesrates: Tierschutz stärken – Onlinehandel mit Wirbeltieren stärker reglementieren
    Top 14: 638/23 Entschließung des Bundesrates zum Schutz der bäuerlichen Rinderhaltung
    Top 32: 586/23 Agrarpolitischer Bericht der Bundesregierung 2023
    Top 39: 660/23 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Monitoringrahmen für widerstandsfähige europäische Wälder
    Top 40: 679/23 Verordnung zur Änderung der GAP-Ausnahmen-Verordnung und zur Entfristung der Verordnungen über außergewöhnliche Anpassungsbeihilfen für Erzeuger in bestimmten Agrarsektoren
    Top 41: 680/23 Verordnung zur Neuordnung der Vorschriften über die Verbringung von Lebensmitteln und Futtermitteln in die Europäische Union
    TAGESORDNUNG

    07.02. – 09.02.2024 / Messe Berlin
    Messe Fruit Logistica
    Auf der FRUIT LOGISTICA finden Sie das komplette Angebot an Produkten, Dienstleistungen und technischen Lösungen – ob bei der Entwicklung von Saatgütern, Früchten und Gemüse oder bei Verpackung und Automatisierung. Die Messe bildet das gesamte Spektrum der Wertschöpfungskette ab – vom Erzeuger zum Verbraucher. INFO & ANMELDUNG

    Standpunkt

    Mayet über Landwirtschaft im Klimawandel: Nur mit Agrarökologie haben wir eine Zukunft

    Von Mariam Mayet
    Mariam Mayet, Direktorin des African Centre for Biodiversity (ACB).

    Es gibt einen breiten globalen Konsens darüber, dass das globale Ernährungssystem die Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt ist. Wenn wir unsere Ernährungssysteme nicht in Angriff nehmen, wird sich dieser Verlust beschleunigen. Auch die Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen wird schneller voranschreiten. Das gefährdet die Fähigkeit des Planeten, die menschliche Bevölkerung zu erhalten.

    Allein in den vergangenen 50 Jahren sind die Populationen der Wirbeltiere um fast 70 Prozent geschrumpft. Rund eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Allein die Landwirtschaft verbraucht 80 Prozent des weltweit geförderten Süßwassers, und 80 Prozent der weltweiten Agrarflächen werden für die Aufzucht von Tieren genutzt, wobei Zuchtgeflügel 70 Prozent aller Vogelarten ausmacht und Wildvögel nur 30 Prozent. Die Rote Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN) listet die Landwirtschaft als Hauptbedrohung für 24.000 der 28.000 bisher bewerteten Arten auf. Zugleich ist die Überfischung der größte Treiber für den Verlust der biologischen Vielfalt in den Ökosystemen der Ozeane.

    Ernährungssystem verursacht 21 bis 37 Prozent der globalen Emissionen

    Das globale Lebensmittelregime der Industrieunternehmen trägt enorm zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei. Emissionen entstehen durch die Art und Weise, wie Lebensmittel produziert werden, wie sie weiterverarbeitet, verpackt, verschifft, für Biokraftstoffe und als Tierfutter verwendet werden. Auch übermäßiger Konsum und Lebensmittelverschwendung tragen zu den hohen Emissionen bei. Laut dem Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) über Klimawandel und Landsysteme aus dem Jahr 2019 emittiert das Ernährungssystem weltweit zwischen 21 und 37 Prozent der Gesamtemissionen pro Jahr. Darüber hinaus ist es ein völlig ungerechtes System in seinen Auswirkungen auf Landwirte, Landarbeiter, ländliche Gemeinden, Verbraucher, Lebensmittelarbeiter sowie die städtischen und ländlichen armen Gemeinden.

    Die Antwort der Agrarindustrie auf die Klima- und Umweltkrise ist die lautstarke Förderung der klimafreundlichen Landwirtschaft (Climate-Smart Agriculture, CSA), einer von der Agrarindustrie geführten Vision einer hochtechnologischen, hoch überwachten und datengesteuerten “Landwirtschaft ohne Bauern”. Zu den größten Promotern von CSA gehören Bayer, McDonald’s und Walmart.

    Einen Schub erhielt CSA mit dem Start der Agriculture Innovation Mission for Climate (AIM4C) im Jahr 2021 auf der COP26 der UN-Klimarahmenkonvention in Glasgow. Ihre Befürworter behaupten, sie könnten industrielle Düngemittel, Pestizide und Herbizide “effizienter” einsetzen.

    Falsche Klimalösung Climate-Smart Agriculture

    Diese Petrochemikalien sind zerstörerisch für lokale Ökosysteme und Gemeinschaften. Ihre Verwendung ist mit einem enormen Energieverbrauch verbunden, und ebenso mit riskantem und patentiertem gentechnisch veränderten oder gen-editierten Saatgut und der Datenerfassung für die Feldrobotik. Sie tragen auch erheblich zu den gesamten landwirtschaftlichen Kohlendioxidemissionen bei: Im Jahr 2018 verursachten sie 1.250 Millionen Tonnen CO₂, was etwa 21,5 Prozent der jährlichen direkten Emissionen aus der Landwirtschaft entspricht. Zum Vergleich: Die weltweiten Emissionen der kommerziellen Luftfahrt beliefen sich im selben Jahr auf 900 Millionen Tonnen CO₂.

    CSA gehört zu einer Reihe von falschen Klimalösungen, die angeboten werden und keinen nennenswerten Beitrag zur langfristigen Emissionsreduzierung leisten. Darüber hinaus sind sie von Natur aus nicht nachhaltig und verfestigen weiterhin globale Ungleichheiten.

    Agrarökologie ist die Alternative

    Weltweit setzt sich eine wachsende Bewegung für die Agrarökologie als leistungsstarke Klimalösung und Alternative zum industriellen Ernährungssystem ein. Diese Bewegung besteht aus landwirtschaftlichen Gemeinschaften und Basisgruppen, und sie wird von einer beeindruckenden Gruppe von Akademikern und Forschenden unterstützt.

    Agrarökologie ist eine Praxis, Wissenschaft und Bewegung. Sie verwendet ökologische und soziale Konzepte und Prinzipien, wenn sie nachhaltige landwirtschaftliche Ökosysteme gestaltet und managt. Sie impliziert die Dezentralisierung und Demokratisierung der Lebensmittelproduktion – und vor allem eine drastische Reduzierung der Treibhausgasemissionen.

    Weniger Emissionen, weniger Petrochemie, gesündere Natur

    Durch die Agrarökologie können bis 2050 Emissionen in Höhe von 490 Gigatonnen CO₂ eingespart werden. Weitere Vorteile, die sich bereits in der Praxis zeigen, sind:

    • die Wiederherstellung der Bodengesundheit,
    • ein niedrigerer Wasserverbrauch,
    • weniger Produktion und Transport von petrochemischen Düngemitteln,
    • die Integration von Viehzucht und Aquakultur in die Forstwirtschaft,
    • eine niedrigere Entwaldung,
    • weniger Lebensmittelabfälle durch Ernteausfälle und
    • ein Bedarf an kürzerem Transport und kürzerer Lagerung von Lebensmitteln.

    Veränderungen in der globalen, regionalen und nationalen Politik und Finanzierung, die die Agrarökologie unterstützen, werden einen großen Beitrag dazu leisten, den Würgegriff katastrophaler marktbasierter Lösungen zu durchbrechen und mehrere Ziele in den Bereichen Klimawandel, Ökologie, Ernährung und soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Wenn wir eine Zukunft auf diesem Planeten haben wollen, sind solche Veränderungen unabdingbar.

    Mariam Mayet ist Exekutivdirektorin des African Centre for Biodiversity (ACB) in Johannesburg, Südafrika.

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