Table.Briefing: Agrifood

Lins kritisiert Wojciechowski + Ökolandbau: Zweifel am 25-Prozent-Ziel der EU + Agri-PV im Kabinett

Liebe Leserin, lieber Leser,

am morgigen Mittwoch (16.08.) wird das Bundeskabinett voraussichtlich das Solarpaket 1 verabschieden. Im uns vorliegenden Gesetzentwurf sind Änderungen für die Förderung von Agri-Photovoltaik vorgesehen, wie meine Kollegin Merle Heusmann schreibt.

“Not amused” zeigen sich verarbeitende und erzeugende Industrie über die Ankündigung von Aldi und Lidl, Eigenmarken-Milch deutlich früher als bislang vorgesehen – nämlich bereits ab kommendem Frühjahr 2024 – auf die Haltungsform 3 und 4 des freiwilligen Kennzeichnungssystems des Lebensmitteleinzelhandels umzustellen.

Schlechte Nachrichten für Umwelt, Landwirtschaft und vor allem Wasserorganismen hat das Umweltbundesamt (UBA) zu Wochenbeginn verkündet. Viele Kleingewässer in Deutschland seien durch den landwirtschaftlichen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln stark verschmutzt, wie eine vom UBA in Auftrag gegebene Studie des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig zeigt.

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Ihre
Henrike Schirmacher
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Analyse

Norbert Lins (CDU): “Die EU muss Transportzuschüsse für ukrainische Getreideexporte zahlen”

Norbert Lins (CDU), Chef des Agrarausschusses im Europaparlament.

Herr Lins, Moskau hat das Getreideabkommen aufgekündigt und bombardiert die Logistik für den Getreideexport der Ukraine. Wie läuft der Export der Ernte?

Norbert Lins: Sehr stockend. Wichtig ist, dass die EU jetzt der Ukraine eine Perspektive gibt und alle möglichen Grenzübergänge öffnet und Logistikinfrastruktur für den Abtransport zur Verfügung stellt.

Im vergangenen Jahr war es gelungen, über die EU 33 Millionen Tonnen ukrainisches Getreide auszuführen. Um welche Mengen geht es dieses Mal?

Die Schätzungen belaufen sich auf 50 Millionen Tonnen von ukrainischem Getreide, das in der Saison 2023/24 zur Ausfuhr bereitstehen würde. Insgesamt sind im vergangenen Jahr über 60 Millionen Tonnen ausgeführt worden, ein Großteil über die Schwarzmeerhäfen und besagte 33 Millionen Tonnen über das EU-Festland. In diesem Jahr dürften die ukrainische Ernte etwas niedriger sein. Gründe sind die Verminung der Felder, Treibstoff- und Düngermangel.

Wie sind die Prognosen?

Im letzten Jahr betrug die Ernte etwa 58 Millionen Tonnen, hinzu kamen Restbestände aus dem Vorjahr. Nun geht man von einer Ernte von knapp 50 Millionen Tonnen in der Ukraine aus. Das sind Schätzungen, die Ernte ist noch nicht abgeschlossen. Gerste ist eingefahren, Weizen läuft gerade, Mais kommt erst im Herbst. Die Prognosen für Mais sind daher am unsichersten. Man kann damit rechnen, dass in dieser Saison 20 Prozent weniger Getreide aus der Ukraine kommt. 

Die Destination entscheidet

Ist es realistisch, diese Mengen ohne Transport über das Schwarzmeer zu exportieren?

Ich halte es für möglich, wenn die EU und die Kommission sich endlich stärker engagieren.

Was ist nötig?

Der Transport über Land ist teurer, weil die Strecken länger sind. Der Transport per Lastwagen kostet am meisten, aber auch der Zug ist deutlich teurer als das Schiff. Die EU sollte Logistikzuschüsse gewähren, damit die Transportkosten für die Unternehmen heruntergehen. Der Agrarkommissar hat sich diesen Vorschlag des Agrarausschusses kürzlich zu eigen gemacht, was ich ausdrücklich begrüße.

Wie soll das funktionieren?

Die Getreidehändler müssten vorweisen, wohin das Getreide gehen soll. Zum Beispiel: Destination Polen wäre nicht ok, weil es dort einen Überschuss gibt. Destination Spanien etwa, wo Futtergetreide in diesem Jahr gebraucht wird, wäre ok. Dafür würde es Logistikzuschüsse geben. Anhand der Kalkulation und dem Weltmarktpreis wird deutlich, wie hoch der Transportzuschuss sein muss, damit der Händler wettbewerbsfähig wird.

“Handlungsbedarf auch bei Ölsaaten”

Soll es Zuschüsse für alle Getreidedeals aus der Ukraine geben?

Es muss Priorität der EU sein, ukrainischen Brotweizen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu machen. Wenn Russland Brotweizen etwa in Länder wie Tunesien oder Ägypten exportiert, können russische Händler bessere Preise machen als ukrainische Händler, die den aufwendigeren Transport über Land bezahlen müssen. Da ist die Sache am eindeutigsten. Ich sehe aber auch Handlungsbedarf für die EU bei Ölsaaten, also Raps und Sonnenblumen, sowohl für Drittmärkte als auch für den EU-Markt.

Warum?

Gerade bei Futtergetreide sind Lieferanten aus Südamerika Konkurrenten auf dem EU-Markt für Händler von ukrainischem Getreide. Spanien braucht, zumal in diesem Jahr, große Mengen Futtergetreide. Wenn der Transport auf dem Landweg ukrainisches Getreide verteuert, ist Soja aus Südamerika häufig günstiger. Das sollte ausgeglichen werden.

Lins sieht “Tatenlosigkeit” bei Wojciechowski

Preisverzerrungen auf den EU-Märkten befürchten Sie nicht?

Es bedarf einer sorgfältigen Abwägung, Beobachtung der Entwicklungen und Organisation der Logistikhilfen. Es geht ausdrücklich nicht darum, den EU-Markt zu fluten und hier die Preise in den Keller zu bringen. Der Drittmarkt ist im Fokus: Die EU sollte sich nicht damit abfinden, dass Russland den Vorteil der Direktverschiffung über das Schwarzmeer dafür nutzen kann, das Geschäft mit Brotweizen zu dominieren.

Wie hat Agrarkommissar Janusz Wojciechowski die Krise bisher gemanagt?

Das Krisenmanagement des polnischen Landwirtschaftskommissars ist mangelhaft. Er hat sich am Anfang des Krieges für die Solidarity Lanes eingesetzt. Als er Gegenwind aus seinem Heimatland spürte, hat er aber beigedreht. Seine Tatenlosigkeit hat dazu beigetragen, dass die Lage in den Anrainerstaaten so schlimm wurde und ukrainische Agrarprodukte dort in großen Mengen verblieben. Dies hatte zur Folge, dass Polen und die vier anderen Nachbarstaaten der Ukraine im Mai den Importstopp für ihre Länder erwirkten. Wenn der Kommissar früher den Weg frei gemacht hätte für Logistikhilfen, die der Ausschuss schon lange fordert, wäre es gar nicht so weit gekommen.

Wie kann die Kommission den Weg frei machen für Logistikhilfen?

Das Geld dafür ist derzeit nicht verfügbar. Es gibt auch keine Schätzungen, wie teuer die Logistikhilfen wären. Die Kommission muss jetzt eine Initiative dafür ergreifen. Es bedarf des politischen Willens. Ich fordere den deutschen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) auf, eine Koalition der Willigen zu schmieden. Er sollte jetzt Gleichgesinnte unter den Mitgliedstaaten suchen und den Stein ins Rollen bringen. Es ist in unserem Interesse, die Ernährungssituation auf der Welt zu stabilisieren. Dazu würde das ukrainische Getreide beitragen. Die Kosten für Europa werden höher sein, sollte die EU nicht handeln. Wir haben erlebt, wie Putin auf dem jüngsten Gipfel in Petersburg Weizen verschenkt hat. Wir müssen verhindern, dass die ärmsten Länder komplett von Russland abhängig werden. 

Kommission soll GAP-Ausnahmen verlängern

Ist mit Preisanstiegen zu rechnen?

Man muss mit höheren Preisen für Brotweizen rechnen. Die Qualitäten des Brotweizens leiden darunter, dass es in diesem Jahr erst zu trocken war und jetzt zu nass ist. Es wird dadurch deutlich mehr Futterweizen vorhanden sein. Der Handel erwartet mindestens zwölf Prozent Proteingehalt bei Brotweizen. Ab 14 Prozent spricht man von Eliteweizen. Die Preisspanne zwischen Brot- und Futterweizen dürfte also auseinandergehen. Bei Mais wird nach wie vor eine gute Ernte erwartet.

Wen träfen Preissteigerungen?

Es trifft besonders die Länder, die auf Brotweizenimporte angewiesen sind. Es trifft aber auch die EU, weil bei uns Weltmarktpreise gezahlt werden. Im Mai 2022 hatten wir Höchstpreise von 430 Euro je Tonne Weizen, im Augenblick liegt der Preis bei 220 Euro. Eine moderate Steigerung wäre also verkraftbar.

Welche Rolle spielt die EU beim Brotweizen?

Die EU exportiert deutlich mehr Brotweizen als die Ukraine. Es müsste jetzt auch darum gehen, den EU-Export von Getreide zu sichern. Die Kommission sollte für die nächste Ernte ein Signal setzen und die befristete Außerkraftsetzung der Regeln für Flächenstilllegung und Fruchtfolge noch einmal verlängern. Diese Maßnahme hat dazu beigetragen, dass die Ernte in der EU dieses Jahr nicht geringer ausfällt als 2022, vielleicht gibt es sogar ein Plus von bis zu drei Prozent.  

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Ökologische Landwirtschaft: Wie sinnvoll ist das 25-Prozent-Ziel?

Bereits vor über zwei Jahren stellte die EU-Kommission ihren Aktionsplan für die Entwicklung ökologischer Erzeugung vor. Das Ziel: Produktion und Konsum von Bioprodukten steigern und bis 2030 mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch bewirtschaften. Mehr Biodiversität, Tierschutz und höhere Einkommen für Landwirtinnen und Landwirte versprach sich die Kommission seinerzeit von ihren Plänen.

Die Kommission begründete das anvisierte 25-Prozent-Ziel damit, dass es nachgewiesenerweise erreichbar sei. Im März 2021 betrug der Anteil der Biolandwirtschaft in der EU laut Kommission zwar nur rund 9 Prozent. Manche Mitgliedstaaten wiesen demnach aber schon 2021 einen Anteil von über 25 Prozent auf, andere jedoch nur 0,5 Prozent.

Ziele schon jetzt fast außer Reichweite

Durch Informationskampagnen, Umfragen und Datenerhebungen will die Kommission den Konsum von Bioprodukten ankurbeln, durch Forschung und Innovation soll die Produktion gesteigert werden. Ob das reicht, um das 25-Prozent-Ziel zu erreichen, ist fraglich. Mit der aktuellen jährlichen Steigungsrate der biologisch bewirtschafteten Agrarfläche würde 2030 EU-weit gerade einmal ein Anteil von etwa 16 Prozent erreicht werden. Das bedeutet, um das EU-Ziel zu erreichen, müsste sich die jährliche Umstellungsrate fast verdoppeln und die ökologisch bestellte Fläche im Vergleich zu heute nahezu verdreifachen.

Angesichts stagnierender Absatzzahlen von Bioprodukten durch die Inflation und gestiegene Lebensmittelpreise erscheint ein solches Wachstum unrealistisch. Bei Umfragen geben viele EU-Bürger zwar ein hohes Interesse an Bioprodukten an, das Kaufverhalten spricht aber eine andere Sprache, immerhin sind Bioprodukte in der Regel deutlich teurer.

Noch deutlicher wird das hohe Ambitionsniveau der europäischen Ökolandbauziele am Beispiel von Deutschland. Die Bundesregierung hat sich noch höhere Ziele gesteckt und will bis 2030 sogar 30 Prozent Ökolandbau erreichen. 11,2 Prozent der Landwirtschaftsfläche Deutschlands werden aktuell ökologisch bewirtschaftet. Die jährliche Umstellungsrate liegt derzeit bei 3,7 Prozent, sie müsste jedoch über 12 Prozent liegen, um das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel zu erreichen.

Welche Rolle spielt die GAP?

Die bisherigen Bemühungen scheinen also nicht ausreichend und die meisten nationalen Strategiepläne zur Umsetzung der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) sind ebenfalls nicht auf das Ziel ausgerichtet. Dabei hatte die Kommission die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, die Entwicklung nationaler Ökolandbau-Aktionspläne in ihre GAP-Strategiepläne zu integrieren. Auch der deutsche GAP-Strategieplan sieht lediglich vor, neue durch die Öko-Regelungen der GAP entstandene finanzielle Spielräume auch für den Ausbau des ökologischen Landbaus zu nutzen.

Grünen-Agrarpolitiker und EU-Abgeordneter Martin Häusling begrüßt die anvisierte Ökologisierung der Landwirtschaft zwar, bezeichnet die Kommissionspläne, die sogenannten Eco-Schemes der GAP zur Unterstützung des Ökolandbaus zu benutzen, jedoch als “Trickkiste”. Der Biolandbau dürfe durch die allgemeine Bioförderung an vielen Programmen der GAP gar nicht teilnehmen, sagt er. Die Kommission beteuert, die Direktzahlungen durch die Eco-Schemes der GAP würden Umstellung und Beibehaltung von Ökolandbau unterstützen. Häusling hat da Zweifel, da die Mindestanforderungen für die Eco-Schemes und den Ökolandbau nicht vergleichbar seien. “Ein bisschen weniger Pestizid- und Mineraldüngereinsatz sind absolut nicht gleichzusetzen mit dem Boden- und Ökosystem-fördernden Ansatz des Ökolandbaus.”

Biolandbau vs. Selbstversorgung

Die nächste Frage lautet, wieviel Sinn ergibt das Ziel von 25 Prozent Biolandwirtschaft aus Sicht der Ernährungssicherheit. Die Ertragsunterschiede zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft sind teils immens. Und die EU strebt einen möglichst hohen Selbstversorgungsgrad durch europäische Agrarprodukte an, was durch 25 Prozent Bio und den geringeren Ertrag erschwert werden könnte. Deshalb warnt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV): “Bei einer großflächigen Umstellung ist davon auszugehen, dass der Import von preisgünstigen Lebensmitteln aus dem nicht-europäischen Ausland noch weiter zunehmen würde.” Das gelte auch für Öko-Produkte, so Krüsken.

Norbert Lins (CDU), Vorsitzende des Agrarausschusses im EU-Parlament, geht ebenfalls davon aus, dass eine vollständige Umstellung auf Bio negative Auswirkungen auf den Selbstversorgungsgrad hätte. “Wir müssen weg von der Debatte bio oder nicht-bio und hin zu einer realistischeren und an den jeweiligen Standort noch besser angepassten Landwirtschaft.”

Grünen-Politiker Häusling hält das für eine “Erzählung der Industrie”. “Die intensive konventionelle Landwirtschaft bringt zwar kurzfristig höhere Erträge, führt aber aufgrund von Bodenverarmung und Übernutzung von Ökosystem langfristig zu schwindenden Ernten und zu hohen soziale Kosten.” Zwar liege die Ertragsdifferenz zwischen der biologischen und konventionellen Bewirtschaftung durchschnittlich über alle Kulturen hinweg bei etwa 16 Prozent. Doch Häusling plädiert für eine weitreichende Änderung der Flächennutzung sowie des Umgangs mit Lebensmitteln: weniger Getreide in den Futtertrog, mehr für die menschliche Ernährung, weniger Fläche für die Produktion von Agrotreibstoffen und weniger Lebensmittelabfälle.

Wer soll so viel Bio kaufen?

Schlussendlich stellt sich noch die Frage, ob größere Mengen an Bioprodukten überhaupt verkauft werden könnten. Für Krüsken vom DBV ist klar: Das entscheidet der Markt. “Sollten die Verbraucher im entsprechenden Maß zu Öko-Produkten greifen, werden sich die Landwirte dem Verbraucherverhalten anpassen.” Derzeit sehe man allerdings eher den gegenteiligen Trend, wie bei allen Produkten, die sich über Regionalität oder höhere Standards definierten, sagt Krüsken. “Die Inflationsdebatte treibt die Preisorientierung der Verbraucher.”

CDU-Mann Lins argumentiert ähnlich: “Eine Umstellung auf bio ohne den entsprechenden Markt und Kunden, die bereit sind, dafür tiefer in die Tasche zu greifen, bringt weder dem Landwirt etwas noch bringt es uns dem 25%-Ziel näher.” Häusling sieht dagegen insbesondere die Kommission in der Verantwortung. Es fehle noch immer an Aufklärungskampagnen sowie an Geldern für die Forschung. Von den 48 Millionen Euro an EU-Forschungsgeldern für nachhaltige Landwirtschaft im Jahr 2023 würden nur rund 28 Millionen in die Forschung des Ökolandbaus gehen. “Und bei der Gießkannenvergabe von 290 Milliarden Euro allein für GAP-Direktzahlungen, größtenteils gekoppelt an die Anzahl der Hektare, sehe ich die EU deutlich in der Pflicht zum Umsteuern.”

  • Ökologische Landwirtschaft

Forscherin: Warum es für Klimaresilienz eine echte Agrarwende braucht

Professor Katharina Helming ist Co-Leiterin der AG Folgenabschätzung von Landnutzungsänderungen am Leipzig-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF).

Die Satellitenmission GRACE hat Daten gesammelt über die Veränderung der Wasservorräte. Erschütterndes Ergebnis: Deutschland hat demnach seit dem Jahr 2000 ein Fünftel seiner Wasservorräte eingebüßt. Wir gehören zu den Regionen mit den höchsten Wasserverlusten weltweit. Ist unsere Landwirtschaft darauf eingestellt?

Katharina Helming: Wir sind in der Landwirtschaft sehr besorgt um die schwindenden Wasservorräte! Denn dass unsere Böden Wasser speichern und es für die Pflanzen zur Verfügung stellen, ist unsere Lebensversicherung. Gerade hier im Norden Ostdeutschlands merken wir den Klimawandel. Die Frühjahrstrockenheit dehnt sich so aus, dass die Pflanzen im Zeitraum ihres größten Wasserbedarfs nicht ausreichend versorgt werden können. Hinzu kommt eine Veränderung der Niederschläge über das Jahr, sodass tiefere Schichten austrocknen. Dabei erwarten wir nicht so sehr eine Änderung der Gesamtwassermenge, sondern der Verteilung. Lange Trockenperioden im Frühjahr, kurze, starke Niederschläge, und mehr Regen im Winter: Solche Verschiebungen können dazu führen, dass die Pflanzen nicht ausreichend mit Wasser versorgt werden und sogar der Boden das Wasser nicht aufnehmen kann.

Weil der Boden so ausgetrocknet ist?

Stellen Sie sich vor, Sie müssten mit einem trockenen Schwamm Ihren Küchentisch abwischen: Das geht nicht. Sie müssen ihn erst anfeuchten. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Boden. Sein Porensystem macht ungefähr ein Drittel seines Gesamtvolumens aus. Sind diese Poren mit Wasser gefüllt, kann ein Kubikmeter Boden 300 Liter Wasser speichern. Das ist die Hälfte des Jahresniederschlags in Nord-Ostdeutschland. Wobei unsere sandigen Böden in Brandenburg weniger Wasser speichern können als etwa die in Schleswig-Holstein. Dort braucht man theoretisch nach der Saat im April bis zur Ernte keinen Regen mehr.

Wir reden also über regional sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Hilft da künstliche Bewässerung?

Nein, wir leben immer noch vom Regen. Land zu bewässern, rechnet sich noch nicht, das Wasser ist zu teuer, die Infrastruktur auch. Das lohnt sich nur für umsatzstarke Kulturen wie Kartoffeln oder Rüben. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Böden so zu bewirtschaften, dass sie mehr Wasser speichern. Das ist die beste Versicherung gegen die Folgen des Klimawandels. Aber das ist nicht so einfach.

Was müssen die Bauern tun?

Ackerbauliche Maschinen sind heute oft sehr schwer und verdichten den Boden. Denken Sie wieder an den Schwamm: Wenn Sie den zusammendrücken, nimmt er weniger Wasser auf. Feuchte Böden sind besonders empfindlich für Verdichtung. Deshalb entwickeln wir Vorhersagemethoden, die sagen, an welchen Tagen Äcker möglichst gar nicht befahren werden sollen. Am besten wären kleinere, leichtere Maschinen. Bisher waren die unrentabel, weil Sie damit weniger Fläche schaffen und ergo mehr Arbeitskraft brauchen. Doch da könnte die Digitalisierung helfen, autonom fahrende Maschinen. Dann könnten auch die Felder kleiner werden: Das wäre prima.

Besseres Mikroklima ist eins der Geheimnisse von Agroforstsystemen

Kleine Felder trotzen dem Klimawandel besser?

Ja, wenn sie räumlich gut angeordnet sind, kann man die Wasser- und Winderosion enorm verringern, Faktoren, durch die fruchtbarer Boden verloren geht: Das Wasser spült ihn vom Feld, der Wind verweht die Krume. Winderosion spielt auf Moorböden genauso wie auf leichten Sandböden eine große Rolle, Wassererosion ist verbreitet in Hanglagen und auf Böden mit einem hohen Schluffgehalt. Kleine Schläge, mit Hecken dazwischen, verringern die Erosionsanfälligkeit und verändern das Mikroklima positiv. Bei einem großen Feld verdunstet das Wasser auf großer Fläche, dann geht der Wind darüber und führt die gesamte Feuchtigkeit ab. Das bessere Mikroklima ist eins der Geheimnisse von Agroforstsystemen. Bis vor Kurzem gab es die hauptsächlich im globalen Süden; jetzt propagieren wir sie in Deutschland.

Für Agroforste – also Baumreihen auf Äckern – gibt es neuerdings Subventionen. Nur werden die bisher äußerst spärlich abgerufen. Warum?

Die Neugier ist groß, die Fragen aber auch: Welche Gehölze nehme ich, Obstbäume oder schnellwachsende Pappeln? Passen meine Maschinen durch die Reihen? Wirkt sich das System wirklich so günstig gegen Schädlinge aus, wie die Wissenschaft sagt? Wie langfristig wird die Förderung laufen? Wenn die Ernte den Verlust an Anbaufläche durch das Gehölz nicht ausgleicht: Hilft mir der Staat dann auch beim Rückbau? Eine andere Sorge: Werden in Zukunft die Agroforstflächen zu 100 Prozent als Acker gerechnet, oder fällt das Gehölz aus der flächengebundenen Förderung heraus?

Brauchen wir ein anderes Fördersystem, um die Landwirtschaft fit gegen den Klimawandel zu machen?

Ja. Wir müssen die Ökosystemleistungen fördern, die Landwirte erbringen. Wenn auf ihren Feldern “Rote Liste”-Arten wieder heimisch werden, die Biodiversität wächst, Regenwasser zum Hochwasserschutz gespeichert wird oder die Speicherung von organischem Kohlenstoff zum Klimaschutz beiträgt: Davon profitiert die ganze Gesellschaft.

Die derzeitige Flächenförderung durch die gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) belohnt ja schon Nachhaltigkeitsstandards wie Fruchtfolgen oder eine ganzjährige Bodenbedeckung.

Das sind aber nur die Basics. Das reicht nicht für die Agrarwende, die wir brauchen. Natürlich sollen die Landwirte produzieren und Nahrungsmittel bereitstellen. Gleichzeitig können sie aber bei geschickter Bewirtschaftung auch die Biodiversität fördern, die Bodengesundheit, die Wasserqualität. Das sollte gefördert werden, denn es sind Gemeinwohlleistungen, die uns allen zugutekommen. Dafür entwickeln wir Systeme, die einerseits dem Landwirt sagen, wo sich eine Hecke lohnt, und Software, die seine Maßnahmen messen kann. Zudem muss das Geld zuverlässig kommen. Es nutzt Landwirten nichts, wenn jeder Landwirtschaftsminister und jede EU-Kommissarin kurzfristige Programme auflegt. Viele Investitionen amortisieren sich erst nach 20 Jahren.

Deutschland hat sich in Brüssel noch nicht als Vorreiter hervorgetan

Die Ampelkoalition wollte ja weg von der Flächenförderung hin zu Gemeinwohlleistungen.

Ehrlich gesagt, hat sich Deutschland in Brüssel noch nicht als Vorreiter für die Agrarwende hervorgetan. Da muss mehr passieren.

Was können Sie der Landwirtschaft noch empfehlen, um klimaresilient zu werden?

Unsere Empfehlungen betreffen nicht nur die Landwirte. Mit der richtigen Art der Bodenbewirtschaftung können Landwirtinnen und Landwirte sogar dafür sorgen, dass bei anhaltenden Starkregen die Hochwassergefahr gesenkt wird, wie jetzt in Slowenien. Es macht einen riesigen Unterschied, ob auf einem Hektar 2000 oder 3000 Kubikmeter Wasser gespeichert können.

Worauf kommt es dabei an?

Das Wichtigste: Den Boden immer bedeckt halten! Und die Bedeckung möglichst nicht im Frühjahr mit Glyphosat wegspritzen. Man kann gut in Furchen zwischen den Stoppeln säen. Das hilft auch, falls es kurz nach der Aussaat sturzartig regnet. Vor allem kommt es auf gute Fruchtfolgen an. Je mehr und je diverser die angebauten Feldfrüchte sind, desto besser der Boden. Jede Kultur hat ihr eigenes Wurzelsystem. Raps zum Beispiel geht mit seinen Pfahlwurzeln ganz tief nach unten. Die Poren, die diese Kultur macht, speichern Wasser in der Tiefe. Oder Leguminosen, die sehr verzweigte Wurzelgeflechte bilden und den Unterboden gut ausbilden. Sie binden darüberhinaus in Kooperation mit den Bakterien Stickstoff und können organische Substanz einbringen, die wiederum die Poren stabilisiert. Am besten ist es, zwischen der Ernte und der nächsten Kultur noch Zwischenfrüchte anzubauen, wie Senf, Phacelia oder Lentilkraut. Diese bedecken den Boden, frieren im Winter ab und hinterlassen eine lockere Bodenstruktur für die Saat.

Das klingt nach einer Empfehlung für mehr Ökolandbau. Hilft das 30 Prozent Ziel Ökolandbau der Ampelkoalition?

Als Ziel ist das sicher gut. Eigentlich war die hohe Kunst der Landwirtschaft immer die Optimierung der Fruchtfolgen, um Krankheiten und Schädlinge zu verringern, das Bodenleben zu fördern und die Nährstoffe im Boden optimal zu nutzen. Diese Kunst müssen heute alle Landwirte beherrschen, egal ob konventionelle oder Öko-Bauern, damit unsere Ackerbausysteme dem Klimawandel standhalten.

Wir müssen auch mal Kichererbsen kochen, mit Buchweizen backen

Haben wir als Verbraucher einen Einfluss auf die Landwirtschaft?

Unbedingt! Wenn wir im Discounter immer nur das Billigste kaufen, schaden wir dem Planeten. Wir sollten nicht auf die Politik warten. Wir müssen viel weniger Fleisch kaufen – die Fleischproduktion verbraucht zehnmal mehr Wasser und Fläche als Getreide. Wir müssen uns diverser ernähren. Also mal Kichererbsen kochen, mit Buchweizen backen, oder erneuerbare Verpackungen nutzen. Das wächst alles schon bei uns im Norden, aber solange wir es nicht nachfragen, bekommen die Landwirte keine guten Preise, und die Wertschöpfungskette funktioniert nicht. Wenn die nächste Mühle für die Verarbeitung der Ernteprodukte 500 Kilometer weit entfernt ist, lohnt sich das finanziell nicht.

Brüssel setzt auf die Züchtung klimaresilienter Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken wie CrisprCas hergestellt werden.

Züchtung spielt natürlich eine Rolle. Wir brauchen Sorten, die besser angepasst sind an Trockenheit. Aber wir können damit nicht das Grundproblem lösen. Wir brauchen eine systemische Veränderung. Sonst helfen technische Schrauben wie neue Züchtungen oder autonome, leichte Maschinen nicht. Die Landwirte brauchen dabei vor Ort Entscheidungsfreiheit, denn Standortfaktoren spielen eine große Rolle. Nahrungsmittel anzubauen ist nicht dasselbe wie Schirme oder Schuhe zu fabrizieren.

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“Neue Züchtungstechnologien müssen nutzbar gemacht werden”

Christine Schneider, Abgeordnete im EU-Parlament (EVP)
  • Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?

Um die Ernährungssicherheit mittel- und langfristig in Deutschland und Europa zu gewährleisten, müssen wir unsere Betriebe im Wettbewerb mit Drittstaaten stärken. Dazu bedarf es Technologieoffenheit. Das geplante Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten und die Ausweitung der Flächenstilllegungen gefährden die Zukunft unserer Betriebe. Es müssen dringend neue Züchtungstechnologien zugelassen und nutzbar gemacht werden. Wir brauchen eine gezieltere Förderung der Digitalisierung, verbesserte Bedingungen bei der Erforschung alternativer Pflanzenschutzmethoden und eine optimierte Zulassung.

  • Was erwarten Sie von grüner Gentechnik?

Wir müssen klar zwischen Gentechnik und neuen Züchtungstechnologien unterscheiden. Während in der Gentechnik “fremdes” genetisches Material in die Pflanzenzelle integriert wird, werden bei den neuen Züchtungstechnologien Mutationen durchgeführt, die täglich in der Natur passieren können. Dadurch entstehen neue Arten auf naturgetreuere Weise, denn es wird lediglich der natürliche Prozess, der sich für gewöhnlich über Jahre bis Jahrzehnte hinzieht, beschleunigt. Ich sehe hier große Chancen, den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln zu reduzieren und widerstandsfähigere Pflanzen zu erhalten.

  • Müssen wir unsere Essgewohnheiten ändern?

Meiner Meinung nach ja. Wir können unsere landwirtschaftlichen Betriebe nur stärken, wenn wir uns zukünftig wieder auf saisonal und regional erzeugte Lebensmittel konzentrieren. Eine starke Landwirtschaft bedeutet aktiver Klimaschutz und Landschaftsschutz.

Christine Schneider ist seit 2019 Abgeordnete im EU-Parlament in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Sie ist Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI), im Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter (FEMM) und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI).

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News

Bundesregierung will Agri-PV stärker fördern

Die Bundesregierung treibt den Ausbau von Solaranlagen auf Freiflächen in Deutschland voran. Für Strom aus Agri-PV-Anlagen, die Energieerzeugung mit Obst- und Gemüseanbau oder Viehhaltung kombinieren, soll es künftig mehr Geld geben. Zudem will die Bundesregierung insbesondere die extensive Agri-PV – also Anlagen, die im Einklang mit landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz Strom produzieren – sowie die Biodiversitäts-PV stärker fördern. Das geht aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Solarpaket 1 hervor, der am morgigen Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll und Table.Media vorliegt.

Für Strom aus Agri-PV-Anlagen sollen ab dem kommenden Jahr demnach neue Höchstwerte gelten. Bonuszahlungen sieht der Gesetzentwurf zudem für die extensive Agri-PV vor. Für diese am Naturschutz orientierten Solaranlagen mit landwirtschaftlicher Nutzung enthält der Gesetzentwurf bereits Kriterien. So sollen Landwirte auf den Flächen beispielsweise auf den Einsatz von Herbiziden verzichten. Zudem sollen Blühstreifen im Umfang von fünf Prozent der Gesamtfläche vorhanden sein. Kriterien für die Biodiversitätssolaranlagen sind hingegen noch nicht weiter definiert. Hier ist eine Verordnungsermächtigung geplant. Das bedeutet: Genaue Anforderungen an diese Anlagen wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in den kommenden Monaten noch benennen müssen. Bis Ende März 2024 will die Bundesregierung die entsprechende Verordnung erlassen.

Das Solarpaket 1 soll grundsätzlich bürokratische Hürden beim Bau von Photovoltaik-Anlagen abbauen. Die für den Landwirtschaftssektor relevante Agri-PV könnte damit bereits deutlich stärker gefördert werden, als bislang angenommen. Zwar hatte das BMWK bereits in seiner Photovoltaik-Strategie angekündigt, die Agri-PV mit dem Solarpaket 1 fördern zu wollen, das Thema in einem Referentenentwurf von Ende Juni jedoch weitgehend ausgeklammert. Nach Abstimmungen zwischen dem BMWK, dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) in den vergangenen Wochen werden Maßnahmen zum Ausbau von Agri-PV nun doch Teil des Gesetzentwurfes, über den das Bundeskabinett morgen entscheidet.

Das Solarpaket 1 ist der erste Schritt, die im Mai veröffentliche Photovoltaik-Strategie in Gesetzestext zu gießen. Sollte das Bundeskabinett am morgigen Mittwoch grünes Licht für den überarbeiteten Gesetzentwurf zum “Solarpaket 1” geben, werden sich Bundesrat und Bundestag damit im Herbst befassen. heu

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  • Klima & Umwelt

Molkereien und Erzeuger kritisieren Discounter-Pläne für mehr Tierwohl

Die Ankündigung der beiden größten deutschen Discounter Aldi und Lidl, früher als geplant – bereits ab Frühjahr 2024 – Eigenmarken-Milch nur noch aus den höheren Haltungsformen 3 und 4 anzubieten, stößt auf Kritik in der verarbeitenden und erzeugenden Industrie. Ursprünglich sei im Rahmen der Brancheninitiative Tierwohl und dem Qualitätssicherungssystem QM+ vereinbart gewesen, bei einem breiten Produktsegment aus der Rinderhaltung auf die Haltungsform 2 umzustellen, sagt der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV), Bernhard Krüsken. “Nun setzt man gänzlich ohne Übergangszeiträume auf die Haltungsform 3, ohne Branchenvereinbarungen zur Vergütung dieser Tierwohlstandards und ohne Möglichkeit für viele Rinderhalter, diese Haltungsform kurzfristig auf ihren Betrieben zu realisieren”, so Krüsken weiter. Die beiden Discounter wollten erst im Jahr 2030 auf Haltungsform 3 und 4 bei ihren Eigenmarken für tierische Produkte umstellen, erreichen dieses Ziel bei Trinkmilch nach eigenen Angaben jetzt aber schon früher.

Vor allem Milchviehbetrieben mit Anbindehaltung in Süddeutschland werden dadurch Daumenschrauben angelegt. Die Entscheidung des Discounters führe – und zwar ohne politische Legitimation und in der Regel zusätzlich zu vielen anderen Vorgaben und Vorschriften – zu gravierenden Folgen, moniert der bayerische Bauernverband. Von rund 24.000 Milchviehbetrieben in Bayern hielten etwa 12.000 ihre Tiere in Anbindehaltung, der größte Teil davon in ganzjähriger Anbindehaltung. Bayern sei somit besonders betroffen, so der BBV.

Wenn das die beiden größten deutschen Discounter vorhaben, entstünde “neuer Kostendruck” bei Molkereien, sagt der Hauptgeschäftsführer des Milchindustrieverband (MIV), Eckhard Heuser. Für Molkereien stiegen die Logistikkosten, weil die Ware nach Haltungsstandards sortiert werden müsse. Zudem forderten Landwirte berechtigterweise einen finanziellen Aufschlag für steigende Produktionskosten, so Heuser weiter.

Regionalität konterkariert freien Warenaustausch

Kritisch wertet der MIV zudem, dass Aldi neben den höheren Haltungsformen konsequent auf Trinkmilch aus deutscher Herkunft setzen will. Dies konterkariere den freien Warenaustausch im europäischen Binnenmarkt, sagt Heuser. Vor allem Molkereien an der Landesgrenze bezögen Rohstoff aus dem Ausland. Aber es werde auch Rohstoff, beispielsweise nach Italien, exportiert. Entsprechend stiegen auch hier die Logistikkosten, weil die Ware nach Herkunftsland sortiert werden müsse.

Der DBV bezeichnet die Ansage, auf Milch aus Deutschland zu setzen, als geschicktes Marketingmanöver von Aldi. Deutsche Milch fließe nur zu knapp 13 Prozent in die Trinkmilchherstellung – “ohne eine konsequente Ausweitung auf andere Produkte betreibt Aldi statt eines echten Wechsels lediglich Augenwischerei”, so Krüsken weiter.

Lidl: Ab 2024 nur noch Stufe 3 bei frischem Rindfleisch

Lidl kündigte darüber hinaus an, zwischen Oktober 2023 und Frühjahr 2024 sein gesamtes Angebot an frischem Rindfleisch mindestens auf die Stufe 3 umzustellen.

Die vierstufige Haltungsformkennzeichnung ist ein freiwilliges Kennzeichnungssystem, das ein Großteil des deutschen Lebensmitteleinzelhandels seit 2019 für tierische Produkte der Eigenmarken nutzt. Dabei zeigen die vier Stufen – 1: Stallhaltung, 2: Stallhaltung plus, 3: Außenklima und 4: Premium – den Verbrauchern das Tierwohl-Niveau bei der Haltung.

Laut Aldi liege der Umsatzanteil von Trinkmilch aus höheren Haltungsformen beim Discounter bereits bei mehr als 60 Prozent. Die Ankündigung umfasst weder Markenartikel noch internationale Spezialitäten. has/dpa

  • Lebensmittelkennzeichnung

Verschmutzung von Kleingewässern vor allem durch Landwirtschaft

Viele Kleingewässer in Deutschland sind durch den landwirtschaftlichen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln stark verschmutzt. Das zeigt eine am Montag veröffentlichte Studie des Umweltbundesamtes (UBA). Demnach überschritten die gemessenen Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in 80 Prozent der untersuchten Bäche die festgelegten Grenzwerte, teilte das Amt mit Sitz in Dessau-Roßlau am Montag mit.

“Das Kleingewässermonitoring zeigt deutlich, dass unsere Gewässer nicht ausreichend vor Belastungen, insbesondere durch Pflanzenschutzmittelrückstände, geschützt sind”, sagte UBA-Präsident Dirk Messner. Die Pestizide wirkten sich einzeln und als Mischung schädlich auf die Gewässerökologie aus.

Für die Studie haben Forscherinnen und Forscher vom Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig den Angaben zufolge über 100 Gewässerabschnitte mit einem landwirtschaftlich geprägten ⁠Einzugsgebiet untersucht. Sie waren den Angaben zufolge in der Regel weniger als 30 Quadratkilometer groß. Zudem wurden zum ersten Mal auch Anwendungsdaten landwirtschaftlicher Betriebe an zehn Messstellen ausgewertet. Die Messstellen lagen demnach in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen.

Je stärker der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, desto stärker die Belastung

Das Ergebnis: Je mehr Pflanzenschutzmittel auf den umgebenden Äckern eingesetzt wurden, desto stärker waren die Gewässer mit deren Rückständen belastet. Dies habe unter anderem Einfluss auf den Lebensraum zahlreicher Tiere und Pflanzen. So waren die Lebensgemeinschaften von Insekten in vier von fünf untersuchten Bächen nur in einem mäßigen bis schlechten Zustand, hieß es. Gleichzeitig gelange das Wasser der Kleingewässer auch in größere Gewässer, die teilweise auch zur Trinkwassergewinnung genutzt werden.

Ein wesentlicher Teil der Pflanzenschutzmittel gelange durch Niederschläge in die Gewässer, so das Umweltbundesamt. Um zukünftig Schäden in Bereichen entlang von landwirtschaftlichen Flächen deutlich zu vermindern, könnten die Gewässer beispielsweise durch bewachsene mindestens 18 Meter breite Randstreifen geschützt werden, die den Abfluss reduzierten, hieß es. “Sie sollten überall eingerichtet werden, wo es möglich ist”, forderte Messner.

Bislang sind die Streifen nach Angaben des Deutschen Naturschutzbundes (Nabu) nur 5 bis 10 Meter breit. “Über Jahre hinweg werden Kleingewässer in ganz Deutschland unbemerkt mit hohen Mengen an Pflanzenschutzmitteln belastet. Erstmals wurde jetzt nachgewiesen, dass diese Belastung primär von landwirtschaftlichen Flächen ausgeht”, sagte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger. “Eine flächendeckende, digitale Einsatzdatenbank schafft mehr Transparenz und hilft, wichtige Rückschlüsse für Risikominderungsmaßnahmen, wie beispielsweise Gewässerrandstreifen, sowie deren Schutzwirkung zu ziehen.” dpa

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Extremes Wetter gefährdet Ernte in China

Die heftigen Regenfälle seit Ende Juli und Überflutungen in Teilen Chinas bedrohen wichtige Getreideanbaugebiete. Viele Flächen in den wichtigsten Anbaugebieten in den Provinzen Heilongjiang, Jilin and Liaoning wurden überflutet. In den drei Provinzen werden mehr als 20 Prozent des chinesischen Getreides angebaut, wie CNN berichtet. Schon im Mai hätte heftiger Niederschlag einen Teil der Ernten in der Provinz Henan zerstört und zum ersten Rückgang bei der Sommerweizen-Ernte seit sieben Jahren geführt. Die anschließende Hitzewelle habe den neuen Setzlingen zugesetzt und ihr Wachstum beeinträchtigt. Schon im vergangenen Sommer hatten Extremwetterereignisse Chinas Ernten beeinflusst.

Laut Wei Ke von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ist der Klimawandel wahrscheinlich mitverantwortlich für die aktuellen extremen Niederschläge. Die globale Erwärmung beschleunige den Wasserkreislauf und erhöhe die Niederschlagsmenge auf der ganzen Welt, so der stellvertretende Direktor des Forschungszentrums für Monsunsysteme gegenüber der chinesischen Zeitung Caixin. Bisher wurde in China bei Extremwetterereignissen sehr wenig über mögliche Verknüpfungen zum Klimawandel berichtet. Die Kommunistische Partei Chinas wolle ungern einräumen, dass sie gegen Naturgewalten machtlos ist, vermuten einige Beobachter. Auch in Indien, den USA, Kanada und Teilen der EU ist der Klimawandel ein Grund für schlechte Ernten, wie Agrifood.Table in einer Analyse zeigt. nib

  • China

Presseschau

Präsidenten von Naturland und Bioland: “Unsere Milchviehbetriebe brauchen einen Preis, mit dem sie rentabel wirtschaften können” Lebensmittelzeitung
Kritik am geplanten Süßigkeiten-Werbeverbot: “Bringt übergewichtigen Kindern nichts, dafür entsteht Rechtsunsicherheit für kleine Handwerksbetriebe” Lebensmittelzeitung
Deutscher Landwirt in der Ukraine: “Ich muss ehrlich sagen, ich bereue es angefangen zu haben da drüben” Die Zeit
Prof. Andreas Bitter zu geplanten GAK-Kürzungen: “eine Katastrophe für den Wald” AgE
Fleisch laut GfK-Umfrage wieder beliebter bei den Deutschen AgE

Heads

Milena Glimbovski – Aktivistin für Klima-Psychologie und Anpassung

Milena Glimbovski gehört bereits seit Jahren zu den bekanntesten Stimmen im deutschen Klima-Aktivismus. 2014, da war sie gerade mal 24, eröffnete sie “Original Unverpackt”, einen der ersten Unverpacktläden der Republik und wurde zu einer Vorreiterin der Zero-Waste-Bewegung. 2017 erschien ihr Buch “Ohne Wenn und Abfall”. Kurz darauf kürten der Berliner Senat und die Industrie- und Handelskammer sie zur Unternehmerin des Jahres. Im vergangenen Jahr musste Milena Glimbovski mit “Original Unverpackt” aufgrund der Umsatzeinbußen während der Pandemie zwar Insolvenz anmelden, den Laden im Berliner Bezirk Kreuzberg gibt es aber nach wie vor. Glimbovskis Idee wird dort von einer ehemaligen Mitarbeiterin fortgeführt.

Milena Glimbovski hat sich längst weitere Standbeine aufgebaut. So ist sie Verlagsgründerin – der von ihr und ihrem Partner entwickelte Kalender “Ein guter Plan” gewann zahlreiche Design- und Nachhaltigkeitspreise. Die Deutsche Welle bezeichnete sie als “Climate Hero”. Doch wenn Klimaheldinnentum auf Wirklichkeit trifft, tritt unweigerlich auch Ernüchterung ein. Die intensive Beschäftigung mit Klima- und Umweltthemen führte bei Milena Glimbovski zu Angst und Hilflosigkeit. “Ich habe mich erschlagen gefühlt. Nicht nur von den Nachrichten, sondern von dem, was man alles machen müsste”, sagt die heute 33-Jährige. “Ich konnte nicht verstehen, was eigentlich in den nächsten Jahren in Deutschland passieren wird. Das hat mir Angst gemacht, besonders vor fünf Jahren, als ich meinen Sohn bekommen habe.”

Mangelnde Vorsorge in Politik und Wirtschaft

Seitdem hat sie sich deshalb intensiv mit den Möglichkeiten der Anpassung an die Klimafolgen beschäftigt. Nun ist ihr Buch “Über Leben in der Klimakrise” erschienen. Sie kritisiert darin die mangelnde Vorsorgebereitschaft in Politik und Wirtschaft und benennt die strukturellen und sozialen Ebenen, auf denen Klimaanpassung notwendig ist. Die Liste ist lang: Hochwasserschutz, Trinkwasserversorgung, Meeresspiegelanstieg, Landwirtschaft, Energie, Katastrophenschutz, Stadtplanung, Migration. Zahlreiche Wirtschaftsbranchen müssen sich umstellen: Logistik, Bauindustrie, Tourismus und die Versicherungsbranche sind nur einige Beispiele. 

Bei näherem Hinsehen wird auch deutlich, dass die verschiedenen Bereiche miteinander in Konflikt geraten können, wie Glimbovski am Beispiel der Flutkatastrophe 2021 zeigt: “Viele Versicherungen sind so gestaltet, dass Menschen an der gleichen Stelle das gleiche Haus wieder bauen müssen, sonst zahlt die Versicherung nicht. Diese Menschen müssten aber an anderer Stelle neu bauen oder umziehen.” Es sei ein großes Problem, dass bestimmte Gegenden als gutes Bauland ausgewiesen werden, obwohl sie in einer Hochwassergefahrenlage lägen. “Da waren Wirtschaftsinteressen wichtiger als die Sicherheit der Menschen.”

Wie regenerative Landwirtschaft helfen könnte

Wasser ist, wenig überraschend, eines der Hauptthemen ihres Buchs. Neben einem besseren Hochwasserschutz mahnt sie grundlegende Veränderungen in der Landwirtschaft an, die auch in Deutschland seit Jahren unter massiver Dürre leidet. “Dort ist die Frage: Braucht die Landwirtschaft Wasser, um Lebensmittel herzustellen? Oder braucht sie Wasser zur Herstellung von Getreide, das in Biogasanlagen wandert oder für Tierfutter verwendet wird?”

Die Autorin spricht sich für eine regenerative Landwirtschaft aus, welche die Bio-Kriterien noch übersteigt und sich vor allem auf die Gesundheit von Böden und Pflanzen konzentriert. Das könne besonders in trockenen Zeiten helfen. Untersuchungen, wie zuletzt etwa der Boston Consulting Group und des Naturschutzbundes NABU, deuten darauf hin, dass eine Umstellung auf regenerative Landwirtschaft, die die Böden nicht auslaugt, nach sechs bis zehn Jahren zu bis zu 60 Prozent höheren Gewinnen führen kann. Risiken in den Lieferketten könnten in Dürrejahren um etwa die Hälfte reduziert werden, heißt es in der Studie. “Das ist ein langer und teurer Weg”, räumt Glimbovski ein. Die Alternative sei aber, Menschen verhungern zu lassen. “Wir haben gar keine andere Wahl, als die Landwirtschaft anzupassen, wenn wir uns in Zukunft sicher, fair, sozialverträglich und gesund ernähren wollen. Dafür müssen wir Böden, Wasser und Ökosysteme besser schützen.”

Psychische Bewältigung der Klimakrise

Neben allen technischen Seiten der Klimaanpassung verliert Milena Glimbovski aber auch eine weitere Maßnahme nicht aus dem Blick, die ihr anfangs selbst so schwergefallen ist: die emotionale und psychische Bewältigung der Klimakrise. “Die Psychologie ist mir deshalb so wichtig, weil ich in meiner Arbeit immer wieder gemerkt habe, wie mich das gelähmt hat.” Das Schreiben des Buchs, die Recherche, die Gespräche mit Expertinnen und Experten und das Verstehen, was da eigentlich psychologisch passiert, hätten ihr geholfen. “Ich muss eine Sache nicht kontrollieren, aber ich muss sie verstehen.” Sie konsumiere Klimanachrichten bewusst nur zu einer bestimmten Tageszeit. “Ich mache Pausen, ich rede mit Menschen darüber und habe Leute um mich, die das auch ernstnehmen. Es hilft, wenn man ein Gefühl von Gemeinschaft hat.”

Deshalb wünscht sich die Aktivistin, dass die realen Folgen stärker thematisiert werden. “Wir müssen jetzt über Klimaanpassung sprechen”, sagt sie. Aber bedeutet das, dass der Kampf gegen den Klimawandel schon verloren ist? Und es nun vor allem auf die Vorsorge ankommt? Einen solchen Fatalismus weist die Aktivistin von sich: “Beides ist eine Jahrhundertaufgabe.” Die Eindämmung ist wichtig, es zähle jede Kommastelle. “Aber ich bin auch Realistin und ich sehe: Die Klimakrise ist hier. Und wir müssen lernen, uns anzupassen.” Stefan Boes

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Agrifood.Table Redaktion

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    am morgigen Mittwoch (16.08.) wird das Bundeskabinett voraussichtlich das Solarpaket 1 verabschieden. Im uns vorliegenden Gesetzentwurf sind Änderungen für die Förderung von Agri-Photovoltaik vorgesehen, wie meine Kollegin Merle Heusmann schreibt.

    “Not amused” zeigen sich verarbeitende und erzeugende Industrie über die Ankündigung von Aldi und Lidl, Eigenmarken-Milch deutlich früher als bislang vorgesehen – nämlich bereits ab kommendem Frühjahr 2024 – auf die Haltungsform 3 und 4 des freiwilligen Kennzeichnungssystems des Lebensmitteleinzelhandels umzustellen.

    Schlechte Nachrichten für Umwelt, Landwirtschaft und vor allem Wasserorganismen hat das Umweltbundesamt (UBA) zu Wochenbeginn verkündet. Viele Kleingewässer in Deutschland seien durch den landwirtschaftlichen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln stark verschmutzt, wie eine vom UBA in Auftrag gegebene Studie des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig zeigt.

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    Ihre
    Henrike Schirmacher
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    Analyse

    Norbert Lins (CDU): “Die EU muss Transportzuschüsse für ukrainische Getreideexporte zahlen”

    Norbert Lins (CDU), Chef des Agrarausschusses im Europaparlament.

    Herr Lins, Moskau hat das Getreideabkommen aufgekündigt und bombardiert die Logistik für den Getreideexport der Ukraine. Wie läuft der Export der Ernte?

    Norbert Lins: Sehr stockend. Wichtig ist, dass die EU jetzt der Ukraine eine Perspektive gibt und alle möglichen Grenzübergänge öffnet und Logistikinfrastruktur für den Abtransport zur Verfügung stellt.

    Im vergangenen Jahr war es gelungen, über die EU 33 Millionen Tonnen ukrainisches Getreide auszuführen. Um welche Mengen geht es dieses Mal?

    Die Schätzungen belaufen sich auf 50 Millionen Tonnen von ukrainischem Getreide, das in der Saison 2023/24 zur Ausfuhr bereitstehen würde. Insgesamt sind im vergangenen Jahr über 60 Millionen Tonnen ausgeführt worden, ein Großteil über die Schwarzmeerhäfen und besagte 33 Millionen Tonnen über das EU-Festland. In diesem Jahr dürften die ukrainische Ernte etwas niedriger sein. Gründe sind die Verminung der Felder, Treibstoff- und Düngermangel.

    Wie sind die Prognosen?

    Im letzten Jahr betrug die Ernte etwa 58 Millionen Tonnen, hinzu kamen Restbestände aus dem Vorjahr. Nun geht man von einer Ernte von knapp 50 Millionen Tonnen in der Ukraine aus. Das sind Schätzungen, die Ernte ist noch nicht abgeschlossen. Gerste ist eingefahren, Weizen läuft gerade, Mais kommt erst im Herbst. Die Prognosen für Mais sind daher am unsichersten. Man kann damit rechnen, dass in dieser Saison 20 Prozent weniger Getreide aus der Ukraine kommt. 

    Die Destination entscheidet

    Ist es realistisch, diese Mengen ohne Transport über das Schwarzmeer zu exportieren?

    Ich halte es für möglich, wenn die EU und die Kommission sich endlich stärker engagieren.

    Was ist nötig?

    Der Transport über Land ist teurer, weil die Strecken länger sind. Der Transport per Lastwagen kostet am meisten, aber auch der Zug ist deutlich teurer als das Schiff. Die EU sollte Logistikzuschüsse gewähren, damit die Transportkosten für die Unternehmen heruntergehen. Der Agrarkommissar hat sich diesen Vorschlag des Agrarausschusses kürzlich zu eigen gemacht, was ich ausdrücklich begrüße.

    Wie soll das funktionieren?

    Die Getreidehändler müssten vorweisen, wohin das Getreide gehen soll. Zum Beispiel: Destination Polen wäre nicht ok, weil es dort einen Überschuss gibt. Destination Spanien etwa, wo Futtergetreide in diesem Jahr gebraucht wird, wäre ok. Dafür würde es Logistikzuschüsse geben. Anhand der Kalkulation und dem Weltmarktpreis wird deutlich, wie hoch der Transportzuschuss sein muss, damit der Händler wettbewerbsfähig wird.

    “Handlungsbedarf auch bei Ölsaaten”

    Soll es Zuschüsse für alle Getreidedeals aus der Ukraine geben?

    Es muss Priorität der EU sein, ukrainischen Brotweizen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu machen. Wenn Russland Brotweizen etwa in Länder wie Tunesien oder Ägypten exportiert, können russische Händler bessere Preise machen als ukrainische Händler, die den aufwendigeren Transport über Land bezahlen müssen. Da ist die Sache am eindeutigsten. Ich sehe aber auch Handlungsbedarf für die EU bei Ölsaaten, also Raps und Sonnenblumen, sowohl für Drittmärkte als auch für den EU-Markt.

    Warum?

    Gerade bei Futtergetreide sind Lieferanten aus Südamerika Konkurrenten auf dem EU-Markt für Händler von ukrainischem Getreide. Spanien braucht, zumal in diesem Jahr, große Mengen Futtergetreide. Wenn der Transport auf dem Landweg ukrainisches Getreide verteuert, ist Soja aus Südamerika häufig günstiger. Das sollte ausgeglichen werden.

    Lins sieht “Tatenlosigkeit” bei Wojciechowski

    Preisverzerrungen auf den EU-Märkten befürchten Sie nicht?

    Es bedarf einer sorgfältigen Abwägung, Beobachtung der Entwicklungen und Organisation der Logistikhilfen. Es geht ausdrücklich nicht darum, den EU-Markt zu fluten und hier die Preise in den Keller zu bringen. Der Drittmarkt ist im Fokus: Die EU sollte sich nicht damit abfinden, dass Russland den Vorteil der Direktverschiffung über das Schwarzmeer dafür nutzen kann, das Geschäft mit Brotweizen zu dominieren.

    Wie hat Agrarkommissar Janusz Wojciechowski die Krise bisher gemanagt?

    Das Krisenmanagement des polnischen Landwirtschaftskommissars ist mangelhaft. Er hat sich am Anfang des Krieges für die Solidarity Lanes eingesetzt. Als er Gegenwind aus seinem Heimatland spürte, hat er aber beigedreht. Seine Tatenlosigkeit hat dazu beigetragen, dass die Lage in den Anrainerstaaten so schlimm wurde und ukrainische Agrarprodukte dort in großen Mengen verblieben. Dies hatte zur Folge, dass Polen und die vier anderen Nachbarstaaten der Ukraine im Mai den Importstopp für ihre Länder erwirkten. Wenn der Kommissar früher den Weg frei gemacht hätte für Logistikhilfen, die der Ausschuss schon lange fordert, wäre es gar nicht so weit gekommen.

    Wie kann die Kommission den Weg frei machen für Logistikhilfen?

    Das Geld dafür ist derzeit nicht verfügbar. Es gibt auch keine Schätzungen, wie teuer die Logistikhilfen wären. Die Kommission muss jetzt eine Initiative dafür ergreifen. Es bedarf des politischen Willens. Ich fordere den deutschen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) auf, eine Koalition der Willigen zu schmieden. Er sollte jetzt Gleichgesinnte unter den Mitgliedstaaten suchen und den Stein ins Rollen bringen. Es ist in unserem Interesse, die Ernährungssituation auf der Welt zu stabilisieren. Dazu würde das ukrainische Getreide beitragen. Die Kosten für Europa werden höher sein, sollte die EU nicht handeln. Wir haben erlebt, wie Putin auf dem jüngsten Gipfel in Petersburg Weizen verschenkt hat. Wir müssen verhindern, dass die ärmsten Länder komplett von Russland abhängig werden. 

    Kommission soll GAP-Ausnahmen verlängern

    Ist mit Preisanstiegen zu rechnen?

    Man muss mit höheren Preisen für Brotweizen rechnen. Die Qualitäten des Brotweizens leiden darunter, dass es in diesem Jahr erst zu trocken war und jetzt zu nass ist. Es wird dadurch deutlich mehr Futterweizen vorhanden sein. Der Handel erwartet mindestens zwölf Prozent Proteingehalt bei Brotweizen. Ab 14 Prozent spricht man von Eliteweizen. Die Preisspanne zwischen Brot- und Futterweizen dürfte also auseinandergehen. Bei Mais wird nach wie vor eine gute Ernte erwartet.

    Wen träfen Preissteigerungen?

    Es trifft besonders die Länder, die auf Brotweizenimporte angewiesen sind. Es trifft aber auch die EU, weil bei uns Weltmarktpreise gezahlt werden. Im Mai 2022 hatten wir Höchstpreise von 430 Euro je Tonne Weizen, im Augenblick liegt der Preis bei 220 Euro. Eine moderate Steigerung wäre also verkraftbar.

    Welche Rolle spielt die EU beim Brotweizen?

    Die EU exportiert deutlich mehr Brotweizen als die Ukraine. Es müsste jetzt auch darum gehen, den EU-Export von Getreide zu sichern. Die Kommission sollte für die nächste Ernte ein Signal setzen und die befristete Außerkraftsetzung der Regeln für Flächenstilllegung und Fruchtfolge noch einmal verlängern. Diese Maßnahme hat dazu beigetragen, dass die Ernte in der EU dieses Jahr nicht geringer ausfällt als 2022, vielleicht gibt es sogar ein Plus von bis zu drei Prozent.  

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    Ökologische Landwirtschaft: Wie sinnvoll ist das 25-Prozent-Ziel?

    Bereits vor über zwei Jahren stellte die EU-Kommission ihren Aktionsplan für die Entwicklung ökologischer Erzeugung vor. Das Ziel: Produktion und Konsum von Bioprodukten steigern und bis 2030 mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch bewirtschaften. Mehr Biodiversität, Tierschutz und höhere Einkommen für Landwirtinnen und Landwirte versprach sich die Kommission seinerzeit von ihren Plänen.

    Die Kommission begründete das anvisierte 25-Prozent-Ziel damit, dass es nachgewiesenerweise erreichbar sei. Im März 2021 betrug der Anteil der Biolandwirtschaft in der EU laut Kommission zwar nur rund 9 Prozent. Manche Mitgliedstaaten wiesen demnach aber schon 2021 einen Anteil von über 25 Prozent auf, andere jedoch nur 0,5 Prozent.

    Ziele schon jetzt fast außer Reichweite

    Durch Informationskampagnen, Umfragen und Datenerhebungen will die Kommission den Konsum von Bioprodukten ankurbeln, durch Forschung und Innovation soll die Produktion gesteigert werden. Ob das reicht, um das 25-Prozent-Ziel zu erreichen, ist fraglich. Mit der aktuellen jährlichen Steigungsrate der biologisch bewirtschafteten Agrarfläche würde 2030 EU-weit gerade einmal ein Anteil von etwa 16 Prozent erreicht werden. Das bedeutet, um das EU-Ziel zu erreichen, müsste sich die jährliche Umstellungsrate fast verdoppeln und die ökologisch bestellte Fläche im Vergleich zu heute nahezu verdreifachen.

    Angesichts stagnierender Absatzzahlen von Bioprodukten durch die Inflation und gestiegene Lebensmittelpreise erscheint ein solches Wachstum unrealistisch. Bei Umfragen geben viele EU-Bürger zwar ein hohes Interesse an Bioprodukten an, das Kaufverhalten spricht aber eine andere Sprache, immerhin sind Bioprodukte in der Regel deutlich teurer.

    Noch deutlicher wird das hohe Ambitionsniveau der europäischen Ökolandbauziele am Beispiel von Deutschland. Die Bundesregierung hat sich noch höhere Ziele gesteckt und will bis 2030 sogar 30 Prozent Ökolandbau erreichen. 11,2 Prozent der Landwirtschaftsfläche Deutschlands werden aktuell ökologisch bewirtschaftet. Die jährliche Umstellungsrate liegt derzeit bei 3,7 Prozent, sie müsste jedoch über 12 Prozent liegen, um das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel zu erreichen.

    Welche Rolle spielt die GAP?

    Die bisherigen Bemühungen scheinen also nicht ausreichend und die meisten nationalen Strategiepläne zur Umsetzung der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) sind ebenfalls nicht auf das Ziel ausgerichtet. Dabei hatte die Kommission die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, die Entwicklung nationaler Ökolandbau-Aktionspläne in ihre GAP-Strategiepläne zu integrieren. Auch der deutsche GAP-Strategieplan sieht lediglich vor, neue durch die Öko-Regelungen der GAP entstandene finanzielle Spielräume auch für den Ausbau des ökologischen Landbaus zu nutzen.

    Grünen-Agrarpolitiker und EU-Abgeordneter Martin Häusling begrüßt die anvisierte Ökologisierung der Landwirtschaft zwar, bezeichnet die Kommissionspläne, die sogenannten Eco-Schemes der GAP zur Unterstützung des Ökolandbaus zu benutzen, jedoch als “Trickkiste”. Der Biolandbau dürfe durch die allgemeine Bioförderung an vielen Programmen der GAP gar nicht teilnehmen, sagt er. Die Kommission beteuert, die Direktzahlungen durch die Eco-Schemes der GAP würden Umstellung und Beibehaltung von Ökolandbau unterstützen. Häusling hat da Zweifel, da die Mindestanforderungen für die Eco-Schemes und den Ökolandbau nicht vergleichbar seien. “Ein bisschen weniger Pestizid- und Mineraldüngereinsatz sind absolut nicht gleichzusetzen mit dem Boden- und Ökosystem-fördernden Ansatz des Ökolandbaus.”

    Biolandbau vs. Selbstversorgung

    Die nächste Frage lautet, wieviel Sinn ergibt das Ziel von 25 Prozent Biolandwirtschaft aus Sicht der Ernährungssicherheit. Die Ertragsunterschiede zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft sind teils immens. Und die EU strebt einen möglichst hohen Selbstversorgungsgrad durch europäische Agrarprodukte an, was durch 25 Prozent Bio und den geringeren Ertrag erschwert werden könnte. Deshalb warnt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV): “Bei einer großflächigen Umstellung ist davon auszugehen, dass der Import von preisgünstigen Lebensmitteln aus dem nicht-europäischen Ausland noch weiter zunehmen würde.” Das gelte auch für Öko-Produkte, so Krüsken.

    Norbert Lins (CDU), Vorsitzende des Agrarausschusses im EU-Parlament, geht ebenfalls davon aus, dass eine vollständige Umstellung auf Bio negative Auswirkungen auf den Selbstversorgungsgrad hätte. “Wir müssen weg von der Debatte bio oder nicht-bio und hin zu einer realistischeren und an den jeweiligen Standort noch besser angepassten Landwirtschaft.”

    Grünen-Politiker Häusling hält das für eine “Erzählung der Industrie”. “Die intensive konventionelle Landwirtschaft bringt zwar kurzfristig höhere Erträge, führt aber aufgrund von Bodenverarmung und Übernutzung von Ökosystem langfristig zu schwindenden Ernten und zu hohen soziale Kosten.” Zwar liege die Ertragsdifferenz zwischen der biologischen und konventionellen Bewirtschaftung durchschnittlich über alle Kulturen hinweg bei etwa 16 Prozent. Doch Häusling plädiert für eine weitreichende Änderung der Flächennutzung sowie des Umgangs mit Lebensmitteln: weniger Getreide in den Futtertrog, mehr für die menschliche Ernährung, weniger Fläche für die Produktion von Agrotreibstoffen und weniger Lebensmittelabfälle.

    Wer soll so viel Bio kaufen?

    Schlussendlich stellt sich noch die Frage, ob größere Mengen an Bioprodukten überhaupt verkauft werden könnten. Für Krüsken vom DBV ist klar: Das entscheidet der Markt. “Sollten die Verbraucher im entsprechenden Maß zu Öko-Produkten greifen, werden sich die Landwirte dem Verbraucherverhalten anpassen.” Derzeit sehe man allerdings eher den gegenteiligen Trend, wie bei allen Produkten, die sich über Regionalität oder höhere Standards definierten, sagt Krüsken. “Die Inflationsdebatte treibt die Preisorientierung der Verbraucher.”

    CDU-Mann Lins argumentiert ähnlich: “Eine Umstellung auf bio ohne den entsprechenden Markt und Kunden, die bereit sind, dafür tiefer in die Tasche zu greifen, bringt weder dem Landwirt etwas noch bringt es uns dem 25%-Ziel näher.” Häusling sieht dagegen insbesondere die Kommission in der Verantwortung. Es fehle noch immer an Aufklärungskampagnen sowie an Geldern für die Forschung. Von den 48 Millionen Euro an EU-Forschungsgeldern für nachhaltige Landwirtschaft im Jahr 2023 würden nur rund 28 Millionen in die Forschung des Ökolandbaus gehen. “Und bei der Gießkannenvergabe von 290 Milliarden Euro allein für GAP-Direktzahlungen, größtenteils gekoppelt an die Anzahl der Hektare, sehe ich die EU deutlich in der Pflicht zum Umsteuern.”

    • Ökologische Landwirtschaft

    Forscherin: Warum es für Klimaresilienz eine echte Agrarwende braucht

    Professor Katharina Helming ist Co-Leiterin der AG Folgenabschätzung von Landnutzungsänderungen am Leipzig-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF).

    Die Satellitenmission GRACE hat Daten gesammelt über die Veränderung der Wasservorräte. Erschütterndes Ergebnis: Deutschland hat demnach seit dem Jahr 2000 ein Fünftel seiner Wasservorräte eingebüßt. Wir gehören zu den Regionen mit den höchsten Wasserverlusten weltweit. Ist unsere Landwirtschaft darauf eingestellt?

    Katharina Helming: Wir sind in der Landwirtschaft sehr besorgt um die schwindenden Wasservorräte! Denn dass unsere Böden Wasser speichern und es für die Pflanzen zur Verfügung stellen, ist unsere Lebensversicherung. Gerade hier im Norden Ostdeutschlands merken wir den Klimawandel. Die Frühjahrstrockenheit dehnt sich so aus, dass die Pflanzen im Zeitraum ihres größten Wasserbedarfs nicht ausreichend versorgt werden können. Hinzu kommt eine Veränderung der Niederschläge über das Jahr, sodass tiefere Schichten austrocknen. Dabei erwarten wir nicht so sehr eine Änderung der Gesamtwassermenge, sondern der Verteilung. Lange Trockenperioden im Frühjahr, kurze, starke Niederschläge, und mehr Regen im Winter: Solche Verschiebungen können dazu führen, dass die Pflanzen nicht ausreichend mit Wasser versorgt werden und sogar der Boden das Wasser nicht aufnehmen kann.

    Weil der Boden so ausgetrocknet ist?

    Stellen Sie sich vor, Sie müssten mit einem trockenen Schwamm Ihren Küchentisch abwischen: Das geht nicht. Sie müssen ihn erst anfeuchten. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Boden. Sein Porensystem macht ungefähr ein Drittel seines Gesamtvolumens aus. Sind diese Poren mit Wasser gefüllt, kann ein Kubikmeter Boden 300 Liter Wasser speichern. Das ist die Hälfte des Jahresniederschlags in Nord-Ostdeutschland. Wobei unsere sandigen Böden in Brandenburg weniger Wasser speichern können als etwa die in Schleswig-Holstein. Dort braucht man theoretisch nach der Saat im April bis zur Ernte keinen Regen mehr.

    Wir reden also über regional sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Hilft da künstliche Bewässerung?

    Nein, wir leben immer noch vom Regen. Land zu bewässern, rechnet sich noch nicht, das Wasser ist zu teuer, die Infrastruktur auch. Das lohnt sich nur für umsatzstarke Kulturen wie Kartoffeln oder Rüben. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Böden so zu bewirtschaften, dass sie mehr Wasser speichern. Das ist die beste Versicherung gegen die Folgen des Klimawandels. Aber das ist nicht so einfach.

    Was müssen die Bauern tun?

    Ackerbauliche Maschinen sind heute oft sehr schwer und verdichten den Boden. Denken Sie wieder an den Schwamm: Wenn Sie den zusammendrücken, nimmt er weniger Wasser auf. Feuchte Böden sind besonders empfindlich für Verdichtung. Deshalb entwickeln wir Vorhersagemethoden, die sagen, an welchen Tagen Äcker möglichst gar nicht befahren werden sollen. Am besten wären kleinere, leichtere Maschinen. Bisher waren die unrentabel, weil Sie damit weniger Fläche schaffen und ergo mehr Arbeitskraft brauchen. Doch da könnte die Digitalisierung helfen, autonom fahrende Maschinen. Dann könnten auch die Felder kleiner werden: Das wäre prima.

    Besseres Mikroklima ist eins der Geheimnisse von Agroforstsystemen

    Kleine Felder trotzen dem Klimawandel besser?

    Ja, wenn sie räumlich gut angeordnet sind, kann man die Wasser- und Winderosion enorm verringern, Faktoren, durch die fruchtbarer Boden verloren geht: Das Wasser spült ihn vom Feld, der Wind verweht die Krume. Winderosion spielt auf Moorböden genauso wie auf leichten Sandböden eine große Rolle, Wassererosion ist verbreitet in Hanglagen und auf Böden mit einem hohen Schluffgehalt. Kleine Schläge, mit Hecken dazwischen, verringern die Erosionsanfälligkeit und verändern das Mikroklima positiv. Bei einem großen Feld verdunstet das Wasser auf großer Fläche, dann geht der Wind darüber und führt die gesamte Feuchtigkeit ab. Das bessere Mikroklima ist eins der Geheimnisse von Agroforstsystemen. Bis vor Kurzem gab es die hauptsächlich im globalen Süden; jetzt propagieren wir sie in Deutschland.

    Für Agroforste – also Baumreihen auf Äckern – gibt es neuerdings Subventionen. Nur werden die bisher äußerst spärlich abgerufen. Warum?

    Die Neugier ist groß, die Fragen aber auch: Welche Gehölze nehme ich, Obstbäume oder schnellwachsende Pappeln? Passen meine Maschinen durch die Reihen? Wirkt sich das System wirklich so günstig gegen Schädlinge aus, wie die Wissenschaft sagt? Wie langfristig wird die Förderung laufen? Wenn die Ernte den Verlust an Anbaufläche durch das Gehölz nicht ausgleicht: Hilft mir der Staat dann auch beim Rückbau? Eine andere Sorge: Werden in Zukunft die Agroforstflächen zu 100 Prozent als Acker gerechnet, oder fällt das Gehölz aus der flächengebundenen Förderung heraus?

    Brauchen wir ein anderes Fördersystem, um die Landwirtschaft fit gegen den Klimawandel zu machen?

    Ja. Wir müssen die Ökosystemleistungen fördern, die Landwirte erbringen. Wenn auf ihren Feldern “Rote Liste”-Arten wieder heimisch werden, die Biodiversität wächst, Regenwasser zum Hochwasserschutz gespeichert wird oder die Speicherung von organischem Kohlenstoff zum Klimaschutz beiträgt: Davon profitiert die ganze Gesellschaft.

    Die derzeitige Flächenförderung durch die gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) belohnt ja schon Nachhaltigkeitsstandards wie Fruchtfolgen oder eine ganzjährige Bodenbedeckung.

    Das sind aber nur die Basics. Das reicht nicht für die Agrarwende, die wir brauchen. Natürlich sollen die Landwirte produzieren und Nahrungsmittel bereitstellen. Gleichzeitig können sie aber bei geschickter Bewirtschaftung auch die Biodiversität fördern, die Bodengesundheit, die Wasserqualität. Das sollte gefördert werden, denn es sind Gemeinwohlleistungen, die uns allen zugutekommen. Dafür entwickeln wir Systeme, die einerseits dem Landwirt sagen, wo sich eine Hecke lohnt, und Software, die seine Maßnahmen messen kann. Zudem muss das Geld zuverlässig kommen. Es nutzt Landwirten nichts, wenn jeder Landwirtschaftsminister und jede EU-Kommissarin kurzfristige Programme auflegt. Viele Investitionen amortisieren sich erst nach 20 Jahren.

    Deutschland hat sich in Brüssel noch nicht als Vorreiter hervorgetan

    Die Ampelkoalition wollte ja weg von der Flächenförderung hin zu Gemeinwohlleistungen.

    Ehrlich gesagt, hat sich Deutschland in Brüssel noch nicht als Vorreiter für die Agrarwende hervorgetan. Da muss mehr passieren.

    Was können Sie der Landwirtschaft noch empfehlen, um klimaresilient zu werden?

    Unsere Empfehlungen betreffen nicht nur die Landwirte. Mit der richtigen Art der Bodenbewirtschaftung können Landwirtinnen und Landwirte sogar dafür sorgen, dass bei anhaltenden Starkregen die Hochwassergefahr gesenkt wird, wie jetzt in Slowenien. Es macht einen riesigen Unterschied, ob auf einem Hektar 2000 oder 3000 Kubikmeter Wasser gespeichert können.

    Worauf kommt es dabei an?

    Das Wichtigste: Den Boden immer bedeckt halten! Und die Bedeckung möglichst nicht im Frühjahr mit Glyphosat wegspritzen. Man kann gut in Furchen zwischen den Stoppeln säen. Das hilft auch, falls es kurz nach der Aussaat sturzartig regnet. Vor allem kommt es auf gute Fruchtfolgen an. Je mehr und je diverser die angebauten Feldfrüchte sind, desto besser der Boden. Jede Kultur hat ihr eigenes Wurzelsystem. Raps zum Beispiel geht mit seinen Pfahlwurzeln ganz tief nach unten. Die Poren, die diese Kultur macht, speichern Wasser in der Tiefe. Oder Leguminosen, die sehr verzweigte Wurzelgeflechte bilden und den Unterboden gut ausbilden. Sie binden darüberhinaus in Kooperation mit den Bakterien Stickstoff und können organische Substanz einbringen, die wiederum die Poren stabilisiert. Am besten ist es, zwischen der Ernte und der nächsten Kultur noch Zwischenfrüchte anzubauen, wie Senf, Phacelia oder Lentilkraut. Diese bedecken den Boden, frieren im Winter ab und hinterlassen eine lockere Bodenstruktur für die Saat.

    Das klingt nach einer Empfehlung für mehr Ökolandbau. Hilft das 30 Prozent Ziel Ökolandbau der Ampelkoalition?

    Als Ziel ist das sicher gut. Eigentlich war die hohe Kunst der Landwirtschaft immer die Optimierung der Fruchtfolgen, um Krankheiten und Schädlinge zu verringern, das Bodenleben zu fördern und die Nährstoffe im Boden optimal zu nutzen. Diese Kunst müssen heute alle Landwirte beherrschen, egal ob konventionelle oder Öko-Bauern, damit unsere Ackerbausysteme dem Klimawandel standhalten.

    Wir müssen auch mal Kichererbsen kochen, mit Buchweizen backen

    Haben wir als Verbraucher einen Einfluss auf die Landwirtschaft?

    Unbedingt! Wenn wir im Discounter immer nur das Billigste kaufen, schaden wir dem Planeten. Wir sollten nicht auf die Politik warten. Wir müssen viel weniger Fleisch kaufen – die Fleischproduktion verbraucht zehnmal mehr Wasser und Fläche als Getreide. Wir müssen uns diverser ernähren. Also mal Kichererbsen kochen, mit Buchweizen backen, oder erneuerbare Verpackungen nutzen. Das wächst alles schon bei uns im Norden, aber solange wir es nicht nachfragen, bekommen die Landwirte keine guten Preise, und die Wertschöpfungskette funktioniert nicht. Wenn die nächste Mühle für die Verarbeitung der Ernteprodukte 500 Kilometer weit entfernt ist, lohnt sich das finanziell nicht.

    Brüssel setzt auf die Züchtung klimaresilienter Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken wie CrisprCas hergestellt werden.

    Züchtung spielt natürlich eine Rolle. Wir brauchen Sorten, die besser angepasst sind an Trockenheit. Aber wir können damit nicht das Grundproblem lösen. Wir brauchen eine systemische Veränderung. Sonst helfen technische Schrauben wie neue Züchtungen oder autonome, leichte Maschinen nicht. Die Landwirte brauchen dabei vor Ort Entscheidungsfreiheit, denn Standortfaktoren spielen eine große Rolle. Nahrungsmittel anzubauen ist nicht dasselbe wie Schirme oder Schuhe zu fabrizieren.

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    “Neue Züchtungstechnologien müssen nutzbar gemacht werden”

    Christine Schneider, Abgeordnete im EU-Parlament (EVP)
    • Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?

    Um die Ernährungssicherheit mittel- und langfristig in Deutschland und Europa zu gewährleisten, müssen wir unsere Betriebe im Wettbewerb mit Drittstaaten stärken. Dazu bedarf es Technologieoffenheit. Das geplante Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten und die Ausweitung der Flächenstilllegungen gefährden die Zukunft unserer Betriebe. Es müssen dringend neue Züchtungstechnologien zugelassen und nutzbar gemacht werden. Wir brauchen eine gezieltere Förderung der Digitalisierung, verbesserte Bedingungen bei der Erforschung alternativer Pflanzenschutzmethoden und eine optimierte Zulassung.

    • Was erwarten Sie von grüner Gentechnik?

    Wir müssen klar zwischen Gentechnik und neuen Züchtungstechnologien unterscheiden. Während in der Gentechnik “fremdes” genetisches Material in die Pflanzenzelle integriert wird, werden bei den neuen Züchtungstechnologien Mutationen durchgeführt, die täglich in der Natur passieren können. Dadurch entstehen neue Arten auf naturgetreuere Weise, denn es wird lediglich der natürliche Prozess, der sich für gewöhnlich über Jahre bis Jahrzehnte hinzieht, beschleunigt. Ich sehe hier große Chancen, den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln zu reduzieren und widerstandsfähigere Pflanzen zu erhalten.

    • Müssen wir unsere Essgewohnheiten ändern?

    Meiner Meinung nach ja. Wir können unsere landwirtschaftlichen Betriebe nur stärken, wenn wir uns zukünftig wieder auf saisonal und regional erzeugte Lebensmittel konzentrieren. Eine starke Landwirtschaft bedeutet aktiver Klimaschutz und Landschaftsschutz.

    Christine Schneider ist seit 2019 Abgeordnete im EU-Parlament in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). Sie ist Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI), im Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter (FEMM) und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI).

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    Bundesregierung will Agri-PV stärker fördern

    Die Bundesregierung treibt den Ausbau von Solaranlagen auf Freiflächen in Deutschland voran. Für Strom aus Agri-PV-Anlagen, die Energieerzeugung mit Obst- und Gemüseanbau oder Viehhaltung kombinieren, soll es künftig mehr Geld geben. Zudem will die Bundesregierung insbesondere die extensive Agri-PV – also Anlagen, die im Einklang mit landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz Strom produzieren – sowie die Biodiversitäts-PV stärker fördern. Das geht aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Solarpaket 1 hervor, der am morgigen Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll und Table.Media vorliegt.

    Für Strom aus Agri-PV-Anlagen sollen ab dem kommenden Jahr demnach neue Höchstwerte gelten. Bonuszahlungen sieht der Gesetzentwurf zudem für die extensive Agri-PV vor. Für diese am Naturschutz orientierten Solaranlagen mit landwirtschaftlicher Nutzung enthält der Gesetzentwurf bereits Kriterien. So sollen Landwirte auf den Flächen beispielsweise auf den Einsatz von Herbiziden verzichten. Zudem sollen Blühstreifen im Umfang von fünf Prozent der Gesamtfläche vorhanden sein. Kriterien für die Biodiversitätssolaranlagen sind hingegen noch nicht weiter definiert. Hier ist eine Verordnungsermächtigung geplant. Das bedeutet: Genaue Anforderungen an diese Anlagen wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in den kommenden Monaten noch benennen müssen. Bis Ende März 2024 will die Bundesregierung die entsprechende Verordnung erlassen.

    Das Solarpaket 1 soll grundsätzlich bürokratische Hürden beim Bau von Photovoltaik-Anlagen abbauen. Die für den Landwirtschaftssektor relevante Agri-PV könnte damit bereits deutlich stärker gefördert werden, als bislang angenommen. Zwar hatte das BMWK bereits in seiner Photovoltaik-Strategie angekündigt, die Agri-PV mit dem Solarpaket 1 fördern zu wollen, das Thema in einem Referentenentwurf von Ende Juni jedoch weitgehend ausgeklammert. Nach Abstimmungen zwischen dem BMWK, dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) in den vergangenen Wochen werden Maßnahmen zum Ausbau von Agri-PV nun doch Teil des Gesetzentwurfes, über den das Bundeskabinett morgen entscheidet.

    Das Solarpaket 1 ist der erste Schritt, die im Mai veröffentliche Photovoltaik-Strategie in Gesetzestext zu gießen. Sollte das Bundeskabinett am morgigen Mittwoch grünes Licht für den überarbeiteten Gesetzentwurf zum “Solarpaket 1” geben, werden sich Bundesrat und Bundestag damit im Herbst befassen. heu

    • Biodiversität
    • Klima & Umwelt

    Molkereien und Erzeuger kritisieren Discounter-Pläne für mehr Tierwohl

    Die Ankündigung der beiden größten deutschen Discounter Aldi und Lidl, früher als geplant – bereits ab Frühjahr 2024 – Eigenmarken-Milch nur noch aus den höheren Haltungsformen 3 und 4 anzubieten, stößt auf Kritik in der verarbeitenden und erzeugenden Industrie. Ursprünglich sei im Rahmen der Brancheninitiative Tierwohl und dem Qualitätssicherungssystem QM+ vereinbart gewesen, bei einem breiten Produktsegment aus der Rinderhaltung auf die Haltungsform 2 umzustellen, sagt der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV), Bernhard Krüsken. “Nun setzt man gänzlich ohne Übergangszeiträume auf die Haltungsform 3, ohne Branchenvereinbarungen zur Vergütung dieser Tierwohlstandards und ohne Möglichkeit für viele Rinderhalter, diese Haltungsform kurzfristig auf ihren Betrieben zu realisieren”, so Krüsken weiter. Die beiden Discounter wollten erst im Jahr 2030 auf Haltungsform 3 und 4 bei ihren Eigenmarken für tierische Produkte umstellen, erreichen dieses Ziel bei Trinkmilch nach eigenen Angaben jetzt aber schon früher.

    Vor allem Milchviehbetrieben mit Anbindehaltung in Süddeutschland werden dadurch Daumenschrauben angelegt. Die Entscheidung des Discounters führe – und zwar ohne politische Legitimation und in der Regel zusätzlich zu vielen anderen Vorgaben und Vorschriften – zu gravierenden Folgen, moniert der bayerische Bauernverband. Von rund 24.000 Milchviehbetrieben in Bayern hielten etwa 12.000 ihre Tiere in Anbindehaltung, der größte Teil davon in ganzjähriger Anbindehaltung. Bayern sei somit besonders betroffen, so der BBV.

    Wenn das die beiden größten deutschen Discounter vorhaben, entstünde “neuer Kostendruck” bei Molkereien, sagt der Hauptgeschäftsführer des Milchindustrieverband (MIV), Eckhard Heuser. Für Molkereien stiegen die Logistikkosten, weil die Ware nach Haltungsstandards sortiert werden müsse. Zudem forderten Landwirte berechtigterweise einen finanziellen Aufschlag für steigende Produktionskosten, so Heuser weiter.

    Regionalität konterkariert freien Warenaustausch

    Kritisch wertet der MIV zudem, dass Aldi neben den höheren Haltungsformen konsequent auf Trinkmilch aus deutscher Herkunft setzen will. Dies konterkariere den freien Warenaustausch im europäischen Binnenmarkt, sagt Heuser. Vor allem Molkereien an der Landesgrenze bezögen Rohstoff aus dem Ausland. Aber es werde auch Rohstoff, beispielsweise nach Italien, exportiert. Entsprechend stiegen auch hier die Logistikkosten, weil die Ware nach Herkunftsland sortiert werden müsse.

    Der DBV bezeichnet die Ansage, auf Milch aus Deutschland zu setzen, als geschicktes Marketingmanöver von Aldi. Deutsche Milch fließe nur zu knapp 13 Prozent in die Trinkmilchherstellung – “ohne eine konsequente Ausweitung auf andere Produkte betreibt Aldi statt eines echten Wechsels lediglich Augenwischerei”, so Krüsken weiter.

    Lidl: Ab 2024 nur noch Stufe 3 bei frischem Rindfleisch

    Lidl kündigte darüber hinaus an, zwischen Oktober 2023 und Frühjahr 2024 sein gesamtes Angebot an frischem Rindfleisch mindestens auf die Stufe 3 umzustellen.

    Die vierstufige Haltungsformkennzeichnung ist ein freiwilliges Kennzeichnungssystem, das ein Großteil des deutschen Lebensmitteleinzelhandels seit 2019 für tierische Produkte der Eigenmarken nutzt. Dabei zeigen die vier Stufen – 1: Stallhaltung, 2: Stallhaltung plus, 3: Außenklima und 4: Premium – den Verbrauchern das Tierwohl-Niveau bei der Haltung.

    Laut Aldi liege der Umsatzanteil von Trinkmilch aus höheren Haltungsformen beim Discounter bereits bei mehr als 60 Prozent. Die Ankündigung umfasst weder Markenartikel noch internationale Spezialitäten. has/dpa

    • Lebensmittelkennzeichnung

    Verschmutzung von Kleingewässern vor allem durch Landwirtschaft

    Viele Kleingewässer in Deutschland sind durch den landwirtschaftlichen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln stark verschmutzt. Das zeigt eine am Montag veröffentlichte Studie des Umweltbundesamtes (UBA). Demnach überschritten die gemessenen Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in 80 Prozent der untersuchten Bäche die festgelegten Grenzwerte, teilte das Amt mit Sitz in Dessau-Roßlau am Montag mit.

    “Das Kleingewässermonitoring zeigt deutlich, dass unsere Gewässer nicht ausreichend vor Belastungen, insbesondere durch Pflanzenschutzmittelrückstände, geschützt sind”, sagte UBA-Präsident Dirk Messner. Die Pestizide wirkten sich einzeln und als Mischung schädlich auf die Gewässerökologie aus.

    Für die Studie haben Forscherinnen und Forscher vom Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig den Angaben zufolge über 100 Gewässerabschnitte mit einem landwirtschaftlich geprägten ⁠Einzugsgebiet untersucht. Sie waren den Angaben zufolge in der Regel weniger als 30 Quadratkilometer groß. Zudem wurden zum ersten Mal auch Anwendungsdaten landwirtschaftlicher Betriebe an zehn Messstellen ausgewertet. Die Messstellen lagen demnach in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen.

    Je stärker der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, desto stärker die Belastung

    Das Ergebnis: Je mehr Pflanzenschutzmittel auf den umgebenden Äckern eingesetzt wurden, desto stärker waren die Gewässer mit deren Rückständen belastet. Dies habe unter anderem Einfluss auf den Lebensraum zahlreicher Tiere und Pflanzen. So waren die Lebensgemeinschaften von Insekten in vier von fünf untersuchten Bächen nur in einem mäßigen bis schlechten Zustand, hieß es. Gleichzeitig gelange das Wasser der Kleingewässer auch in größere Gewässer, die teilweise auch zur Trinkwassergewinnung genutzt werden.

    Ein wesentlicher Teil der Pflanzenschutzmittel gelange durch Niederschläge in die Gewässer, so das Umweltbundesamt. Um zukünftig Schäden in Bereichen entlang von landwirtschaftlichen Flächen deutlich zu vermindern, könnten die Gewässer beispielsweise durch bewachsene mindestens 18 Meter breite Randstreifen geschützt werden, die den Abfluss reduzierten, hieß es. “Sie sollten überall eingerichtet werden, wo es möglich ist”, forderte Messner.

    Bislang sind die Streifen nach Angaben des Deutschen Naturschutzbundes (Nabu) nur 5 bis 10 Meter breit. “Über Jahre hinweg werden Kleingewässer in ganz Deutschland unbemerkt mit hohen Mengen an Pflanzenschutzmitteln belastet. Erstmals wurde jetzt nachgewiesen, dass diese Belastung primär von landwirtschaftlichen Flächen ausgeht”, sagte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger. “Eine flächendeckende, digitale Einsatzdatenbank schafft mehr Transparenz und hilft, wichtige Rückschlüsse für Risikominderungsmaßnahmen, wie beispielsweise Gewässerrandstreifen, sowie deren Schutzwirkung zu ziehen.” dpa

    • Biodiversität
    • Klima & Umwelt

    Extremes Wetter gefährdet Ernte in China

    Die heftigen Regenfälle seit Ende Juli und Überflutungen in Teilen Chinas bedrohen wichtige Getreideanbaugebiete. Viele Flächen in den wichtigsten Anbaugebieten in den Provinzen Heilongjiang, Jilin and Liaoning wurden überflutet. In den drei Provinzen werden mehr als 20 Prozent des chinesischen Getreides angebaut, wie CNN berichtet. Schon im Mai hätte heftiger Niederschlag einen Teil der Ernten in der Provinz Henan zerstört und zum ersten Rückgang bei der Sommerweizen-Ernte seit sieben Jahren geführt. Die anschließende Hitzewelle habe den neuen Setzlingen zugesetzt und ihr Wachstum beeinträchtigt. Schon im vergangenen Sommer hatten Extremwetterereignisse Chinas Ernten beeinflusst.

    Laut Wei Ke von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ist der Klimawandel wahrscheinlich mitverantwortlich für die aktuellen extremen Niederschläge. Die globale Erwärmung beschleunige den Wasserkreislauf und erhöhe die Niederschlagsmenge auf der ganzen Welt, so der stellvertretende Direktor des Forschungszentrums für Monsunsysteme gegenüber der chinesischen Zeitung Caixin. Bisher wurde in China bei Extremwetterereignissen sehr wenig über mögliche Verknüpfungen zum Klimawandel berichtet. Die Kommunistische Partei Chinas wolle ungern einräumen, dass sie gegen Naturgewalten machtlos ist, vermuten einige Beobachter. Auch in Indien, den USA, Kanada und Teilen der EU ist der Klimawandel ein Grund für schlechte Ernten, wie Agrifood.Table in einer Analyse zeigt. nib

    • China

    Presseschau

    Präsidenten von Naturland und Bioland: “Unsere Milchviehbetriebe brauchen einen Preis, mit dem sie rentabel wirtschaften können” Lebensmittelzeitung
    Kritik am geplanten Süßigkeiten-Werbeverbot: “Bringt übergewichtigen Kindern nichts, dafür entsteht Rechtsunsicherheit für kleine Handwerksbetriebe” Lebensmittelzeitung
    Deutscher Landwirt in der Ukraine: “Ich muss ehrlich sagen, ich bereue es angefangen zu haben da drüben” Die Zeit
    Prof. Andreas Bitter zu geplanten GAK-Kürzungen: “eine Katastrophe für den Wald” AgE
    Fleisch laut GfK-Umfrage wieder beliebter bei den Deutschen AgE

    Heads

    Milena Glimbovski – Aktivistin für Klima-Psychologie und Anpassung

    Milena Glimbovski gehört bereits seit Jahren zu den bekanntesten Stimmen im deutschen Klima-Aktivismus. 2014, da war sie gerade mal 24, eröffnete sie “Original Unverpackt”, einen der ersten Unverpacktläden der Republik und wurde zu einer Vorreiterin der Zero-Waste-Bewegung. 2017 erschien ihr Buch “Ohne Wenn und Abfall”. Kurz darauf kürten der Berliner Senat und die Industrie- und Handelskammer sie zur Unternehmerin des Jahres. Im vergangenen Jahr musste Milena Glimbovski mit “Original Unverpackt” aufgrund der Umsatzeinbußen während der Pandemie zwar Insolvenz anmelden, den Laden im Berliner Bezirk Kreuzberg gibt es aber nach wie vor. Glimbovskis Idee wird dort von einer ehemaligen Mitarbeiterin fortgeführt.

    Milena Glimbovski hat sich längst weitere Standbeine aufgebaut. So ist sie Verlagsgründerin – der von ihr und ihrem Partner entwickelte Kalender “Ein guter Plan” gewann zahlreiche Design- und Nachhaltigkeitspreise. Die Deutsche Welle bezeichnete sie als “Climate Hero”. Doch wenn Klimaheldinnentum auf Wirklichkeit trifft, tritt unweigerlich auch Ernüchterung ein. Die intensive Beschäftigung mit Klima- und Umweltthemen führte bei Milena Glimbovski zu Angst und Hilflosigkeit. “Ich habe mich erschlagen gefühlt. Nicht nur von den Nachrichten, sondern von dem, was man alles machen müsste”, sagt die heute 33-Jährige. “Ich konnte nicht verstehen, was eigentlich in den nächsten Jahren in Deutschland passieren wird. Das hat mir Angst gemacht, besonders vor fünf Jahren, als ich meinen Sohn bekommen habe.”

    Mangelnde Vorsorge in Politik und Wirtschaft

    Seitdem hat sie sich deshalb intensiv mit den Möglichkeiten der Anpassung an die Klimafolgen beschäftigt. Nun ist ihr Buch “Über Leben in der Klimakrise” erschienen. Sie kritisiert darin die mangelnde Vorsorgebereitschaft in Politik und Wirtschaft und benennt die strukturellen und sozialen Ebenen, auf denen Klimaanpassung notwendig ist. Die Liste ist lang: Hochwasserschutz, Trinkwasserversorgung, Meeresspiegelanstieg, Landwirtschaft, Energie, Katastrophenschutz, Stadtplanung, Migration. Zahlreiche Wirtschaftsbranchen müssen sich umstellen: Logistik, Bauindustrie, Tourismus und die Versicherungsbranche sind nur einige Beispiele. 

    Bei näherem Hinsehen wird auch deutlich, dass die verschiedenen Bereiche miteinander in Konflikt geraten können, wie Glimbovski am Beispiel der Flutkatastrophe 2021 zeigt: “Viele Versicherungen sind so gestaltet, dass Menschen an der gleichen Stelle das gleiche Haus wieder bauen müssen, sonst zahlt die Versicherung nicht. Diese Menschen müssten aber an anderer Stelle neu bauen oder umziehen.” Es sei ein großes Problem, dass bestimmte Gegenden als gutes Bauland ausgewiesen werden, obwohl sie in einer Hochwassergefahrenlage lägen. “Da waren Wirtschaftsinteressen wichtiger als die Sicherheit der Menschen.”

    Wie regenerative Landwirtschaft helfen könnte

    Wasser ist, wenig überraschend, eines der Hauptthemen ihres Buchs. Neben einem besseren Hochwasserschutz mahnt sie grundlegende Veränderungen in der Landwirtschaft an, die auch in Deutschland seit Jahren unter massiver Dürre leidet. “Dort ist die Frage: Braucht die Landwirtschaft Wasser, um Lebensmittel herzustellen? Oder braucht sie Wasser zur Herstellung von Getreide, das in Biogasanlagen wandert oder für Tierfutter verwendet wird?”

    Die Autorin spricht sich für eine regenerative Landwirtschaft aus, welche die Bio-Kriterien noch übersteigt und sich vor allem auf die Gesundheit von Böden und Pflanzen konzentriert. Das könne besonders in trockenen Zeiten helfen. Untersuchungen, wie zuletzt etwa der Boston Consulting Group und des Naturschutzbundes NABU, deuten darauf hin, dass eine Umstellung auf regenerative Landwirtschaft, die die Böden nicht auslaugt, nach sechs bis zehn Jahren zu bis zu 60 Prozent höheren Gewinnen führen kann. Risiken in den Lieferketten könnten in Dürrejahren um etwa die Hälfte reduziert werden, heißt es in der Studie. “Das ist ein langer und teurer Weg”, räumt Glimbovski ein. Die Alternative sei aber, Menschen verhungern zu lassen. “Wir haben gar keine andere Wahl, als die Landwirtschaft anzupassen, wenn wir uns in Zukunft sicher, fair, sozialverträglich und gesund ernähren wollen. Dafür müssen wir Böden, Wasser und Ökosysteme besser schützen.”

    Psychische Bewältigung der Klimakrise

    Neben allen technischen Seiten der Klimaanpassung verliert Milena Glimbovski aber auch eine weitere Maßnahme nicht aus dem Blick, die ihr anfangs selbst so schwergefallen ist: die emotionale und psychische Bewältigung der Klimakrise. “Die Psychologie ist mir deshalb so wichtig, weil ich in meiner Arbeit immer wieder gemerkt habe, wie mich das gelähmt hat.” Das Schreiben des Buchs, die Recherche, die Gespräche mit Expertinnen und Experten und das Verstehen, was da eigentlich psychologisch passiert, hätten ihr geholfen. “Ich muss eine Sache nicht kontrollieren, aber ich muss sie verstehen.” Sie konsumiere Klimanachrichten bewusst nur zu einer bestimmten Tageszeit. “Ich mache Pausen, ich rede mit Menschen darüber und habe Leute um mich, die das auch ernstnehmen. Es hilft, wenn man ein Gefühl von Gemeinschaft hat.”

    Deshalb wünscht sich die Aktivistin, dass die realen Folgen stärker thematisiert werden. “Wir müssen jetzt über Klimaanpassung sprechen”, sagt sie. Aber bedeutet das, dass der Kampf gegen den Klimawandel schon verloren ist? Und es nun vor allem auf die Vorsorge ankommt? Einen solchen Fatalismus weist die Aktivistin von sich: “Beides ist eine Jahrhundertaufgabe.” Die Eindämmung ist wichtig, es zähle jede Kommastelle. “Aber ich bin auch Realistin und ich sehe: Die Klimakrise ist hier. Und wir müssen lernen, uns anzupassen.” Stefan Boes

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    Agrifood.Table Redaktion

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