Table.Briefing: Agrifood

Jahresrückblick + Parlament für Entschärfung bei Verpackungs-VO + Agrardiesel: Kaum Auswirkung auf Lebensmittelpreise

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein ereignisreiches Jahr in der Agrar- und Ernährungspolitik neigt sich dem Ende. In einem Jahresrückblick fassen wir einige der wichtigsten Ereignisse für Sie zusammen.

Zwischen Weihnachten und Neujahr hält Table.Media Sie über das aktuelle Geschehen auf dem Laufenden und sendet Ihnen dafür “100Headlines, den aktuellen News-Überblick für die Table.Media-Community”.

Die nächste Ausgabe des Agrifood.Table Professional Briefings erhalten Sie am 2.1.2024

Wir wünschen Ihnen erholsame Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher

Analyse

Niederlagen, Gerangel und ein holpriger Start: Das war das Jahr 2023 in der Agrarpolitik

Glyphosat: Niederlage für Özdemir und Lemke

Zu Amtsantritt kündigten die beiden Grünen Cem Özdemir und Steffi Lemke unisono an, für eine Mehrheit unter den EU-Mitgliedstaaten gegen eine erneute Zulassung des umstrittenen Wirkstoffs Glyphosat kämpfen zu wollen. Sie gaben sich optimistisch. Immerhin hatte sich die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel ab 2024 vom Markt zu nehmen. Bei einer geeinten Bundesregierung könne nicht viel schiefgehen, so ihr fester Glaube. Schließlich war das deutsche “Ja” für eine erneute Zulassung im Jahr 2017 das Zünglein an der Waage gewesen.

Im November dieses Jahres stand die Niederlage von Özdemir und Lemke fest. Glyphosat ist in der EU für weitere zehn Jahre zugelassen. Die EU-Kommission entschied, ohne lange zu fackeln, den Wirkstoff zuzulassen, nachdem es unter den EU-Mitgliedstaaten keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Vorschlag der Brüsseler Behörde für eine erneute Zulassung von Glyphosat gegeben hatte. Entgegen Özdemirs und Lemkes Hoffnung durfte sich Deutschland im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) der Europäischen Union nicht positionieren. Denn die Bundesregierung ist bei Glyphosat geteilter Meinung. Unterm Strich freut sich der kleinste Partner im Bunde: die FDP. Denn nach EU-Recht dürfen glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel in Deutschland weiterhin angewendet werden. Das befürworten die Freien Demokraten, weil die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit nach ihrer Risikobewertung empfohlen hatte, Glyphosat auf EU-Ebene erneut zuzulassen.

Gerangel um grüne Gentechnik

Im Juli dieses Jahres schlug die EU-Kommission eine Reform des EU-Gentechnikrechts zur Liberalisierung des Vertragswerks vor. Die Pläne der Brüsseler Behörde stoßen besonders in der Bio-Branche, die gentechnikfrei wirtschaften möchte, auf heftigen Gegenwind. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir stellt sich schützend vor sie. Sehr zum Unmut von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die in der Nutzung von biotechnologischen Verfahren für die Pflanzenzüchtung eine “riesige Chance” sieht.

Im EU-Agrarrat muss sich Deutschland aufgrund unterschiedlicher Haltungen in der Bundesregierung deshalb enthalten. Ob das EU-Recht gelockert wird, hängt im Wesentlichen davon ab, ob eine qualifizierte Mehrheit unter den EU-Mitgliedstaaten für den Vorschlag der EU-Kommission zustande kommt. Bislang sind die Bedenken jedoch zu groß.

Aus für die SUR

Besonders bitter für Grüne und Umweltschützer: Im November scheitert ein wesentlicher Baustein des europäischen Green Deals, die Sustainable Use Regulation, in der ersten Lesung im Europaparlament. Damit steht die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln vor dem Aus. Auch den Antrag von Berichterstatterin Sarah Wiener (Grüne), die Verordnung erneut im federführenden Umweltausschuss (ENVI) zu beraten, wies das Plenum zurück. Offiziell hat das Plenum keine Position gefunden und ist durch die Ablehnung einer weiteren Beratung im ENVI handlungsunfähig.

Es gilt als wahrscheinlich, dass die EU-Pestizide-Verordnung vor den Europawahlen keine große Rolle mehr spielen wird. Zwar könnte die EU-Kommission den Stein noch einmal ins Rollen bringen. Aber dafür müsste die Brüsseler Behörde einen neuen Entwurf vorlegen. Zu erwarten ist das nicht. Insbesondere EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) dürfte vor den Europawahlen kaum Interesse daran haben, die in der Agrarbranche umstrittene Reduktion von Pestiziden, aus eigener Kraft erneut auf die Agenda zu setzen.

GAP: Holpriger Start in die neue Förderperiode

Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP), deren aktuelle Förderperiode im Januar begonnen hatte, sorgte in den vergangenen Monaten immer wieder für Diskussionen in Deutschland. Um die neuen Öko-Regelungen für die Landwirte attraktiver zu machen, schlug das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Juli zunächst kleine Änderungen an den Förderbedingungen der GAP im kommenden Jahr vor. Noch weiter voraus blickte das Ministerium dann im Oktober, als es in einem Diskussionspapier die Ausgestaltung der GAP ab 2025 in den Blick nahm.

Das Papier zeigt auf, wie das BMEL das GAP-Direktzahlungsgesetz und die GAP-Verordnungen anpassen will und welche Änderungen es am GAP-Strategieplan in 2024 vorzunehmen gedenkt. Zusätzlich zu den bestehenden sieben Öko-Regelungen brachte das BMEL in diesem Zusammenhang zwei neue Öko-Regelungen ins Gespräch. Um die zu finanzieren, erwog das Ministerium Änderungen an den Modalitäten der GAP-Förderung in Deutschland. Während Umweltverbände die Vorschläge für sinnvoll hielten, war der Aufruhr innerhalb der Landwirtschaftslobby groß. Auch die von Bayern einberufene Sonder-Agrarministerkonferenz Ende November brachte bislang keine Einigung.

GAK: Bund kürzt Mittel für den ländlichen Raum

Hart gerungen wurde in den vergangenen Monaten um die Mittel für den ländlichen Raum in 2024. Bereits im Sommer wurde deutlich: Der Bund setzt den Rotstift bei der Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK) an, dem Hauptinstrument der Agrarstrukturförderung von Bund und Ländern. Als die angedachten Kürzungen in Höhe von 293 Millionen Euro publik wurden, war der Aufschrei deshalb groß. Für nicht ganz so dramatisch hielt indes der FDP-Haushaltspolitiker Frank Schäffler die Kürzungen. In einem Interview während der Haushaltsverhandlungen verwies Schäffler darauf, dass viele Bundesländer die GAK-Mittel ohnehin nicht ausgeschöpft hätten. Ihm zufolge hänge es deshalb auch von den Ländern ab, wie stark die Kürzungen den ländlichen Raum am Ende träfen.

Dennoch fürchteten viele Projekte um ihre Weiterfinanzierung. Mitte November hatte Ester Dilcher, Berichterstatterin der SPD für den Haushalt des BMEL, für sie alle eine gute Nachricht: Es sei in den Beratungen zum Haushalt 2024 des BMEL gelungen, die Kürzungen den Wünschen des BMEL folgend deutlich abzumildern. Die Mittel aus dem Bundeshaushalt 2024 würden gegenüber dem Haushaltsentwurf um insgesamt 66,75 Millionen Euro angehoben. Weniger Geld als in den Vorjahren wird im kommenden Jahr aber in jedem Fall fließen. Rund 840 Millionen Euro wird der Bund den Ländern in 2024 zur Verfügung stellen.

Ernährungsstrategie: Noch nicht mehr als ein Versprechen

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass das Bundeskabinett das Eckpunktepapier “Weg zur Ernährungsstrategie der Bundesregierung” beschlossen hat. Es enthält vor allem vage Absichtserklärungen, denen zufolge regionale Strukturen gefördert und Kantinenangebote gesünder und nachhaltiger werden sollen. Mit Blick auf die Strategie, die im Koalitionsvertrag für das Jahr 2023 angesetzt war, ist in den vergangenen Monaten weder etwas passiert noch bekannt geworden.

Die Erarbeitung der Strategie ist mit dem “transparenten Partizipationsprozess”, wie das BMEL ihn nennt, zu Jahresbeginn zwar weitergelaufen, in die Ressortabstimmung hat es die Strategie aber nicht wie geplant im Juni geschafft. Gelandet ist sie dort erst Mitte November. Das BMEL hat jetzt einen “zeitnahen” Beschluss der Bundesregierung angekündigt. Mit einer fertigen Ernährungsstrategie, wie sie für Jahresende angekündigt worden war, ist aber kaum noch zu rechnen.

In Brüssel sieht es nicht besser aus. Die EU-Kommission schiebt das Rahmenwerk für ein nachhaltiges europäisches Lebensmittelsystem auf die lange Bank.

Agri-PV: Gesetzliche Schritte in Richtung Massentauglichkeit

Dass Deutschland die Solarenergie ausbauen will, ist per se nicht neu. Dass dies auf landwirtschaftlich genutzten Flächen geschehen soll, hingegen schon. Die Weichen dafür hat die Bundesregierung mit dem Solarpaket 1 gestellt. Der Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett Mitte August verabschiedet hat, sieht neue Förderhöchstsätze und Bonuszahlungen beim Naturschutz für diesen Anlagentyp vor. Für viele Akteure im Landwirtschafts- und Energiesektor war das eine Überraschung. Hatten sie sich darauf eingestellt, in dem Gesetzentwurf kaum bis keine Bestimmungen zu Agri-PV zu finden, so waren sie nun überrascht, dass diese Solaranlagen darin plötzlich zu einem zentralen Thema geworden waren. Die Rechtsanwältin Alexandra Thiel las die neuen Förderhöchstsätze gar als ein Signal der Bundesregierung, die Agri-PV massentauglich machen zu wollen.

Im Oktober kam das Solarpaket 1 zur Lesung in den Bundestag. Die Bundestagsabgeordnete Anne Monika Spallek (Grüne) forderte in einem Interview in dem Zusammenhang, die landwirtschaftliche Produktion bei diesem Anlagentyp noch weiter zu forcieren. Dafür müsse die Definition von Agri-PV in der DIN SPEC angepasst werden.

Marktmacht des LEH: Unfaire Handelspraktiken existieren weiterhin

Das deutsche Gesetz gegen unfaire Handelspraktiken verfehlt seine Wirkung. Das zeigt der Evaluierungsbericht des BMEL rund zwei Jahre nach Inkrafttreten des Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLkG). Mit dessen Umsetzung verfolgt der Gesetzgeber eigentlich das Ziel, gerechte Beziehungen zwischen den Marktteilnehmenden entlang der Wertschöpfungskette Lebensmittel zu fördern.

Lieferanten des Lebensmitteleinzelhandels sind durch das Gesetz gegen unfaire Handelspraktiken (AgrarOLkG) aber noch nicht ausreichend vor der Übermacht der Supermarktketten geschützt. Der Bundestag will das Gesetz nun in einigen Punkten ändern.

Borchert-Kommission wirft das Handtuch

Das Gremium unter Leitung des CDU-Mannes und ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert gab im August seine Auflösung bekannt. Denn seine Forderung, die Ampelkoalition müsse deutlich mehr Fördergelder in den Umbau der Tierhaltung stecken, fand keinen Widerhall. Die Chancen auf Konsens im Ampel-Bündnis waren diesbezüglich nie groß.

Nach Empfehlungen der Borchert-Kommission gibt es drei Optionen, an der Ladentheke mehr Geld für tierische Produkte und den Stallumbau einzunehmen. Dazu zählen eine Sonderabgabe Tierwohl, eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte sowie eine Anhebung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf tierische Produkte von 7 auf 19 Prozent. Die Expertenkommission plädierte für eine mengenbezogene Tierwohlabgabe, die in Form einer Verbrauchssteuer umgesetzt werden könnte. Bereits mit Beginn der Legislatur kündigte die FDP allerdings an, dass es mit ihr in einem Regierungsbündnis keine Steuererhöhungen geben werde.

Streit um Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz

Im Februar präsentierte Özdemir seine Pläne für ein Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz. Monate später war der Ressortentwurf immer noch nicht vom Bundeskabinett verabschiedet. Grund: Für den Koalitionspartner FDP schießt der Entwurf über das grundsätzliche Ziel hinaus, die seit Jahren wachsende Anzahl von übergewichtigen Kindern durch die Einschränkung von Werbung für ungesunde Lebensmittel einzudämmen. Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel, wie beispielsweise Gummibärchen, sollten nur dann gelten, wenn sie sich zielgerichtet an Kinder wenden, meinen die Freien Demokraten. Özdemir hingegen will Fernsehwerbung für Lebensmittel mit zu hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt während bestimmter Zeitfenster, in denen besonders viele Kinder zuschauen, verbieten.

Putin kippt Getreideabkommen

Vom Krieg ohnehin schon gebeutelt, trifft der geplatzte Grain Deal die auf Export angewiesene ukrainische Landwirtschaft bis ins Mark. Im Juli verkündete der russische Präsident Wladmir Putin, dass er das Abkommen zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer nicht verlängern werde. Das Getreideabkommen galt seit Juli 2022 zwischen Russland und der Ukraine mit der Türkei und den Vereinten Nationen.

Seither versucht die EU, die Kapazitäten auf den alternativen Routen zu erhöhen. Dazu gehören: Transporte mit Schiffen, Güterzügen oder Lastwagen. Schnell umsetzen lassen sich die Infrastrukturprogramme aber nicht. Hinzu kommen andere Schwierigkeiten, wie etwa der Mangel an Getreidewaggons in Europa. Flüsse lassen sich auch nicht so schnell ausbaggern, um größere Transportschiffe einzusetzen, und auch die Zahl der Lastwagen, Lastwagenfahrer sowie der Straßenkapazitäten ist begrenzt. Russland blockiert also die effektivste Exportmöglichkeit der Ukraine und schneidet die Ukraine von Milliarden US-Dollar an Einnahmen ab.

  • AgrarOLkG
  • Agrarpolitik
  • Agri-PV
  • Cem Özdemir
  • EFSA
  • Ernährungspolitik
  • Ernährungsstrategie
  • EU-Gentechnik
  • EU-Gentechnikrecht
  • Getreideabkommen
  • Glyphosat
  • Grüne Gentechnik
  • KLWG
  • SUR
  • UTP-Richtlinie

Bafa-Präsident: “Kein Unternehmen muss sich wegen des Gesetzes aus einer Region zurückziehen”

Der studierte Mathematiker Safarik ist seit 2019 Chef des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.

Guten Tag, Herr Safarik.

Wenn Sie gestatten, würde ich unserem Gespräch gerne eine Botschaft vorwegschicken.

Gerne.
Jeder, der das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erfüllen will, kann es erfüllen. Auch, weil wir beim Bafa mit Augenmaß vorgehen.

Das bedeutet konkret?
Wenn wir überziehen und sich deswegen deutsche Unternehmen aus Märkten zurückziehen, sinkt bei uns der Wohlstand und Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Aber damit würden wir auch den Menschenrechten einen Bärendienst erweisen. Denn dann übernehmen das Geschäft Unternehmen aus Ländern, in denen teils die Menschenrechte mit den Füßen getreten werden. Unser Ziel ist es, mit den deutschen Unternehmen die Menschenrechtslage in deren globalen Lieferketten zu verbessern.

Wie hilft das Bafa Unternehmen konkret?
Wir haben einen umfassenden Frage- und Antwortkatalog veröffentlicht und Handreichungen zu wichtigen Themen wie Risikoanalyse oder der Zusammenarbeit von Unternehmen in der Lieferkette. Aktuell arbeiten wir an vier weiteren Handreichungen.

Sie sprechen von einem Lernprozess?
Unternehmen und das Bafa durchlaufen eine Lernkurve. Aber auf beiden Seiten arbeiten Menschen und Menschen machen Fehler. Wir helfen Unternehmen bei Fehlern. Aber dafür müssen sich Unternehmen helfen lassen. Ich bringe gerne in diesem Zusammenhang das Bild einer Schafherde. Die meisten hiesigen Unternehmen sind weiße Schafe, die werden mit uns kaum etwas zu tun haben. Es gibt einige graue Schafe. Denen helfen wir, die Farbe zu wechseln. Nur die schwarzen Schafe, die nicht wollen, dürfen uns fürchten.

Hat Ihre Behörde genügend Mitarbeiter für das Thema Lieferketten?
Wir haben 101 Stellen Planstellen für die Aufgabe. Davon sind aktuell 87 besetzt. Ein weiterer Schwung kommt Anfang des Jahres. Dann werden 100 Kolleginnen und Kollegen in dem Bereich arbeiten. Eine gute Personalausstattung ist wichtig, aber ebenso wichtig sind digitale Verfahren. Und natürlich gilt es, die passenden Profile zu finden, die sich für die Aufgabe eignen.

Welche Qualifikationen haben diese Beschäftigten?
Manche kommen aus der Steuer- oder Zollfahndung. Einige haben vorher in Brüssel gearbeitet. Einige kommen frisch von der Uni. Wir haben auch etliche, die vorher in den Einkaufsabteilungen von Unternehmen gearbeitet haben. Sie können deswegen gut einschätzen, was machbar ist.

Sie bauen auch eine Risikodatenbank auf?
Dort sammeln wir unterschiedliche Informationen aus verschiedenen Quellen. Die öffentlichen Quellen werden wir in den nächsten Tagen bekannt geben.

Wie viele LkSG-Beschwerden sind beim Bafa seit Anfang des Jahres eingegangen?
38 Beschwerden – in sechs Fällen haben wir Unternehmen kontaktiert. Bei einigen Fällen prüfen wir noch, ob wir Unternehmen kontaktieren werden. Aber bei der Mehrheit der Fälle haben wir die Vorgänge relativ schnell wieder geschlossen. Bei einem Teil fielen die adressierten Unternehmen nicht unter das LkSG. Bei anderen Unternehmen lag keine begründete Verletzung gemäß LkSG vor und stand auch nicht unmittelbar bevor.

Wie substantiell sind die Beschwerden?
Zu Einzelfällen äußere ich mich nicht. Aber gerade Fälle, die breit in den Medien diskutiert wurden, zeichnen sich nicht immer durch eine hohe Substanz aus, um das mal diplomatisch zu beurteilen. Wir arbeiten gut zusammen mit einer Reihe zivilgesellschaftlicher Akteure, denen es wirklich darum geht, die Menschenrechtslage zu verbessern oder Unternehmen besser zu befähigen. Andere Akteure missbrauchen das LkSG für Kampagnen. Es kam schon vor, dass zuerst die Presse über einen angeblich gestellten Antrag informiert wurde, bevor er bei uns einging. Häufig ist an solchen Anträgen nichts dran. 

Kann man den Rückschluss ziehen, dass die Beschwerden, denen Sie nachgehen, gar nicht in der Öffentlichkeit bekannt sind?
Das sage ich so nicht, sonst könnten sie Rückschlüsse daraus ziehen, welche Fälle ich meine.

In welcher Form wird das Bafa die Öffentlichkeit über die Beschwerden informieren?
Wir werden in einem jährlichen Rechenschaftsbericht aggregierte Informationen mitteilen.

Bekommen die Beschwerdeführenden von Ihnen Feedback?
Wenn jemand bei uns einen formalen Antrag stellt, der nicht anonym ist, dann bekommt er von uns eine Information. Bei Hinweisen ist es etwas anderes. Wenn wir einen Hinweis bekommen, ist es ja unser Ermessen, ob wir diesem Hinweis nachgehen. Ein Hinweisgeber bekommt von uns keine Rückmeldung, was wir getan haben.

Wie geht das Bafa mit substanziierten Beschwerden um?
Wir kontaktieren das Unternehmen und in Abhängigkeit von der Antwort entscheiden wir, ob wir weitere Maßnahmen ergreifen. Eskaliert es, dann könnten wir auch an das Werkstor anklopfen. Wir dürfen in die Bücher schauen. Aber wir nehmen keine Vorverurteilungen vor und agieren als neutraler Ermittler.

Wie war das im Fall der streikenden LKW-Fahrer in Gräfenhausen?
Bei dem ersten der beiden Streiks haben wir Unternehmen kontaktiert, ohne dass es die Presse erfuhr. Die Unternehmensantworten stellten uns zufrieden. Aber als dann eines der Logistikunternehmen bei dem zweiten Streik wieder auftauchte, haben wir intensiver nachgefragt, um das mal diplomatisch zu formulieren. Über unsere Auswertungen zum zweiten Streik insgesamt war ich erschrocken: Fünf Prozent aller LkSG-pflichtigen Unternehmen waren involviert. Fünf Prozent sind extrem viel, zumal sich dies nur auf die direkten Vertragspartner bezieht. Daher hatte ich als erste Reaktion darauf einen Krisengipfel mit Arbeitgebern, Verbänden, Gewerkschaft und Zivilgesellschaft aus der Transportbranche durchgeführt. 

Welche Faktoren für menschenrechtliche Risiken haben sie identifiziert?
Die Vergabe von Aufträgen an Sublieferanten und der Spotmarkt, über den kurzfristige Aufträge vergeben werden, haben ein hohes Risiko von menschenrechtlichen Verstößen. Möglicherweise gibt es weitere Risiken. Ende Januar, Anfang Februar treffen wir uns wieder.

Seit Anfang 2023 müssen LkSG-pflichtige Unternehmen einen Beschwerdemechanismus haben. Erfüllen sie die Anforderungen?
Wir haben etliche Unternehmen angeschrieben und gefragt, wie es ausschaut. Wir sehen Verbesserungsbedarf. Denn so ein Beschwerdemechanismus muss verständlich und adressatengerecht und gut auffindbar sein. Aber Betroffene können sich auch direkt bei unserer Behörde beschweren.

Kommt es vor, dass Beschäftigte aus den Zulieferketten deutscher Unternehmen sich bei ihnen melden?
Dazu äußere ich mich nicht.

Sind Situationen denkbar, in denen sich Unternehmen aus Regionen oder ganzen Ländern zurückziehen müssen, weil sich sonst die Anforderungen des LkSG nicht erfüllen würden?
Nein. Denn es geht immer um Befähigung vor Rückzug und eine Bemühenspflicht der Unternehmen, keine Erfolgspflicht. Manche Unternehmen ziehen sich aus anderen Gründen aus einem Markt zurück, verweisen aber zur Begründung auf das Gesetz.

Einige Wirtschaftsakteure halten das LkSG immer noch für einen großen Fehler der Politik.
Einige Institutionen kritisieren leider medial massiv das Gesetz und erzeugen damit viel Unruhe. Das bedauere ich. Ich wünschte mir, sie würden stattdessen ihren Mitgliedsunternehmen mehr bei der Umsetzung des Gesetzes helfen. So wie bei der Zivilgesellschaft unterscheide ich auch bei den Arbeitgeberverbänden. Mit manchen arbeiten wir gut zusammen, weil sie ihren Mitgliedern wirklich bei der Umsetzung des Gesetzes helfen. Aber es gibt auf der anderen Seite auch welche, die sich zwar freuen, dass sie in einer Demokratie leben, aber trotzdem Probleme damit haben, dass man in einer Demokratie Gesetze einhalten muss.

  • Bafa
  • Berichtspflichten
  • Lieferkettengesetz
  • Transformation

Kampf gegen Müllberge: Erster Trilog über EU-Verpackungsverordnung startet Anfang Januar

Direkt zu Beginn des neuen Jahres nehmen der Rat, die Kommission und das Parlament die Trilogverhandlungen über die EU-Verpackungsverordnung auf. Wegen der kontroversen Positionen zu dem Gesetz ist ungewiss, wie lang die Verhandlungen dauern werden. Die Verhandler streben eine Einigung vor dem Ende der Legislaturperiode an.

Das Parlament hatte im November seine Position angenommen, die den Kommissionsentwurf in vielen Bereichen deutlich abschwächt. Der Umweltrat, der Anfang der Woche seine allgemeine Ausrichtung beschlossen hat, hält die Ambitionen des Kommissionsentwurfs hingegen weitestgehend aufrecht.

Ratsposition in Teilen ambitionierter

“Der größte Knackpunkt in den Trilogverhandlungen wird mit Sicherheit die Frage sein, mit welchen Maßnahmen sich die Müllberge reduzieren lassen“, sagte Delara Burkhardt (S&D) Table.Media. Die Sozialdemokratin hat als Schattenberichterstatterin die Parlamentsposition mitverhandelt. “Das betrifft insbesondere die Verbote von unnötigen Einwegverpackungen, zum Beispiel beim Verzehr von Speisen und Getränken in Gaststätten, Mehrwegquoten für Getränke und Transportverpackungen und Vorgaben gegen übergroße Verpackungen, die mehr Luft als Produkt enthalten.”

Die EU-Umweltministerinnen hätten hier die Umweltambitionen des Kommissionsvorschlags zum Glück weitestgehend intakt gehalten, sagte Burkhardt. “Das lässt sich vom Europäischen Parlament leider nicht behaupten.” Eine rechte Mehrheit des Europäischen Parlaments habe fast jedem Lobbywunsch nachgegeben. “Zahlreiche Streichungen und Ausnahmeregeln lassen mich daran zweifeln, ob mit der Parlamentsposition die angestrebte Abfallreduktion überhaupt erreicht werden kann.” Burkhardt hofft deshalb, dass das finale Gesetz in den Bereichen Verpackungsminimierung und Mehrweg der Position des Rates näher sein wird.

Parlament streicht Verbote und fügt neue hinzu

Konkret geht es zum einen um Artikel 22, in dem die Kommission ein Verbot bestimmter Einwegverpackungsformate vorschlägt. Das sind etwa Plastikverpackungen für Getränke-Sixpacks, frisches Obst und Gemüse unter einem Gewicht von 1,5 Kilogramm und Einwegbehälter in der Gastronomie für Speisen zum Mitnehmen.

Das Parlament streicht in seiner Position mehrere dieser Verbote und fügt dafür andere Verbote ein. Das sind zum Beispiel Verbote von Einweg-Schrumpfverpackungen für Koffer und von unnötigen Sekundärverpackungen wie der Pappschachtel, die eine Zahnpastatube umhüllt. Es fügt eine Ausnahmeklausel hinzu für Unternehmen, die 85 Prozent der Einwegverpackungsabfälle für die stoffliche Verwertung sammeln und anhand einer Lebenszyklusanalyse nachweisen können, dass die Einwegverpackung umweltfreundlicher ist. Die Kommission soll außerdem nicht die Möglichkeit erhalten, über delegierte Rechtsakte neue Verbote hinzuzufügen.

Der Rat übernimmt in seiner Ausrichtung die Vorschläge der Kommission mit einigen Änderungen: Das Einwegverbot für Obst und Gemüse zum Beispiel soll nur für Plastikverpackungen gelten; die Kommission soll neue Verbote hinzufügen können, jedoch nur über das ordentliche Gesetzgebungsverfahren.

Kleinteilige Verhandlungen über Mehrwegquoten

Zum anderen geht es um Artikel 26 aus dem Kommissionsentwurf, der Mehrwegquoten für einige Verpackungsformate vorsieht. Das Parlament streicht die Quoten für den Take-away-Sektor und ergänzt weitreichende Ausnahmen für die anderen Sektoren. Diese machen den Artikel nahezu bedeutungslos.

Der Rat übernimmt die Vorschläge der Kommission und ergänzt etwa eine Ausnahme für Wein sowie die Möglichkeit für Unternehmen, sich zu dritt zusammenzutun, um die Mehrwegquoten für Getränke zu erreichen.

Hier warten also sehr kleinteilige Verhandlungen auf die drei EU-Institutionen. Eine Einigung über die beiden Artikel wird sehr schwer zu erreichen sein.

Erster Trilog am 10. Januar geplant

Nicht einfach wird darüber hinaus die Verhandlung über die chemischen Substanzen, die sich in Verpackungsmaterialien befinden dürfen. Das Parlament fordert ein Verbot von gesundheitsschädlichen Ewigkeitschemikalien (PFAS) und Bisphenol A in Verpackungen, die mit Lebensmitteln und damit auch mittelbar mit Menschen in Kontakt kommen. Der Rat fordert zunächst eine Untersuchung durch die Kommission, um diese Chemikalien möglicherweise in der Zukunft zu verbieten.

Die Trilogverhandlungen sollen im Januar beginnen. Nach Informationen von Table.Media ist das erste politische Treffen für den 10. Januar geplant, allerdings noch nicht offiziell bestätigt.

Mit Ausnahme der “rechten Seite des Europäischen Parlaments” seien sich alle drei Institutionen einig, dass sie die Verhandlungen schnell abschließen und noch vor den Europawahlen im Juni abstimmen wollen, berichtet Delara Burkhardt. “So schaffen wir schnell Planungssicherheit für die Unternehmen, die die ersten Ziele der Verordnung schon in wenigen Jahren erfüllen müssen.”

  • Handel
  • Verpackungen

News

Agrardiesel-Kürzung: Lebensmittelpreise dürften nur minimal steigen

Der Deutsche Bauernverband (DBV) lehnt den von der Bundesregierung angekündigten Wegfall der Agrardiesel-Subventionen mit der Begründung ab, dies würde auch die “Lebensmittel deutlich verteuern“. Konkrete Zahlen nennt der DBV aber weder in seiner Pressemitteilung noch auf Nachfrage. Auch das Landwirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage, über die Folgen der Streichung für die Lebensmittelpreise “können wir nicht spekulieren”. Anhand öffentlicher Daten lässt sich der potenzielle Preisanstieg für einzelne Produkte jedoch grob überschlagen. Ergebnis: Die Auswirkungen wären äußerst gering.

Die Produktion eines Kilogramms Weizen würde im Schnitt um 0,24 Cent teurer. Das ergibt sich aus folgenden Werten: Literaturangaben zufolge (z.B. hier) werden beim Weizenanbau je nach Bodenart, Anbaumethode und Feldgröße zwischen 33 und 120 Liter Diesel pro Hektar verbraucht; der Mittelwert liegt bei etwa 85 Liter. Auf einem Hektar werden laut DBV im Schnitt 7,6 Tonnen Weizen geerntet. Pro Kilogramm Weizen sind somit 0,012 Liter Diesel nötig. Wenn der Steuervorteil beim Agrardiesel, der bisher 21,5 Cent pro Liter beträgt, entfällt, wird die Produktion eines Kilogramms Weizen um 0,24 Cent teurer. Ein Kilogramm Weizenmehl, für das 1,3 Kilogramm Weizen benötigt werden, würde bei einer Weitergabe dieser Mehrkosten inklusive Mehrwertsteuer um rund einen Drittel-Cent teurer.

Mehrkosten sehr gering

Bei der Milch ist die Rechnung etwas komplizierter. Wenn man mit Zahlen aus einer Studie des Umweltbundesamts rechnet, kommt man für die Futterproduktion und die Fütterungstechnik zusammen auf einen Verbrauch von etwa 0,016 Liter Diesel pro Liter Milch. Der Wegfall der Agrardiesel-Vergünstigung würde die Herstellung eines Liters Milch somit um 0,38 Cent verteuern. Der Preisanstieg macht sowohl bei Mehl als auch beim Milch also jeweils weniger als ein halbes Prozent aus.

Diese Rechnung berücksichtigt nur den Agrardiesel. Die Wirkung des geplanten Wegfalls der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge ist schwerer zu berechnen, weil deren Anzahl und Nutzung stark variiert. Nachdem bei der Kfz-Steuer insgesamt etwa genau so viel gespart werden soll wie beim Agrardiesel, dürften die Mehrkosten über alle Betriebe hinweg ähnlich sein. Aber auch zusammengenommen lägen die Mehrkosten durch die Abschaffung der Subventionen damit noch bei weniger als einem Prozent. mkr

  • Bauernproteste
  • Deutscher Bauernverband
  • Landwirtschaft
  • Lebensmittel

EU-Kommission will Schutz von Wölfen lockern

Die Europäische Kommission will die strengen Schutzregeln für Wölfe lockern. Man schlage vor, den Status des Wolfs von “streng geschützt” auf “geschützt” herabzusenken, teilte die Brüsseler Behörde am Mittwoch mit.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte zu dem Vorstoß, die Rückkehr des Wolfs sei eine gute Nachricht für die Artenvielfalt in Europa. Die Dichte der Wolfsrudel in einigen europäischen Regionen sei inzwischen jedoch zu einer echten Gefahr geworden, insbesondere für die Nutztierhaltung.

“Wichtiger Schritt”

“Die lokalen Behörden fordern größere Flexibilität für das aktive Management kritischer Wolfspopulationen”, sagte sie. “Dies sollte auf europäischer Ebene erleichtert werden, und der von der Kommission heute eingeleitete Prozess ist ein wichtiger Schritt dahin.” Von der Leyen hatte Kommunen bereits zuvor aufgefordert, die derzeitigen Spielräume für den Abschuss von problematischen Wölfen mutig zu nutzen.

Die EU-Kommission hatte im September angekündigt, dass sie auf der Grundlage von neuen Daten entscheiden will, ob aus ihrer Sicht der Schutzstatus des Wolfs geändert werden sollte. Nun ist es an den Mitgliedstaaten, über den Vorschlag zu entscheiden. Sollte er angenommen werden, müsste er dann auch noch den anderen Vertragsparteien des sogenannten Berner Übereinkommens zur Zustimmung vorgelegt werden. Dieses soll in ganz Europa und darüber hinaus die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume sichern. dpa

  • Europäische Kommission
  • Europapolitik
  • Ursula von der Leyen
  • Wolf

Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    ein ereignisreiches Jahr in der Agrar- und Ernährungspolitik neigt sich dem Ende. In einem Jahresrückblick fassen wir einige der wichtigsten Ereignisse für Sie zusammen.

    Zwischen Weihnachten und Neujahr hält Table.Media Sie über das aktuelle Geschehen auf dem Laufenden und sendet Ihnen dafür “100Headlines, den aktuellen News-Überblick für die Table.Media-Community”.

    Die nächste Ausgabe des Agrifood.Table Professional Briefings erhalten Sie am 2.1.2024

    Wir wünschen Ihnen erholsame Feiertage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

    Ihre
    Henrike Schirmacher
    Bild von Henrike  Schirmacher

    Analyse

    Niederlagen, Gerangel und ein holpriger Start: Das war das Jahr 2023 in der Agrarpolitik

    Glyphosat: Niederlage für Özdemir und Lemke

    Zu Amtsantritt kündigten die beiden Grünen Cem Özdemir und Steffi Lemke unisono an, für eine Mehrheit unter den EU-Mitgliedstaaten gegen eine erneute Zulassung des umstrittenen Wirkstoffs Glyphosat kämpfen zu wollen. Sie gaben sich optimistisch. Immerhin hatte sich die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel ab 2024 vom Markt zu nehmen. Bei einer geeinten Bundesregierung könne nicht viel schiefgehen, so ihr fester Glaube. Schließlich war das deutsche “Ja” für eine erneute Zulassung im Jahr 2017 das Zünglein an der Waage gewesen.

    Im November dieses Jahres stand die Niederlage von Özdemir und Lemke fest. Glyphosat ist in der EU für weitere zehn Jahre zugelassen. Die EU-Kommission entschied, ohne lange zu fackeln, den Wirkstoff zuzulassen, nachdem es unter den EU-Mitgliedstaaten keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Vorschlag der Brüsseler Behörde für eine erneute Zulassung von Glyphosat gegeben hatte. Entgegen Özdemirs und Lemkes Hoffnung durfte sich Deutschland im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) der Europäischen Union nicht positionieren. Denn die Bundesregierung ist bei Glyphosat geteilter Meinung. Unterm Strich freut sich der kleinste Partner im Bunde: die FDP. Denn nach EU-Recht dürfen glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel in Deutschland weiterhin angewendet werden. Das befürworten die Freien Demokraten, weil die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit nach ihrer Risikobewertung empfohlen hatte, Glyphosat auf EU-Ebene erneut zuzulassen.

    Gerangel um grüne Gentechnik

    Im Juli dieses Jahres schlug die EU-Kommission eine Reform des EU-Gentechnikrechts zur Liberalisierung des Vertragswerks vor. Die Pläne der Brüsseler Behörde stoßen besonders in der Bio-Branche, die gentechnikfrei wirtschaften möchte, auf heftigen Gegenwind. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir stellt sich schützend vor sie. Sehr zum Unmut von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die in der Nutzung von biotechnologischen Verfahren für die Pflanzenzüchtung eine “riesige Chance” sieht.

    Im EU-Agrarrat muss sich Deutschland aufgrund unterschiedlicher Haltungen in der Bundesregierung deshalb enthalten. Ob das EU-Recht gelockert wird, hängt im Wesentlichen davon ab, ob eine qualifizierte Mehrheit unter den EU-Mitgliedstaaten für den Vorschlag der EU-Kommission zustande kommt. Bislang sind die Bedenken jedoch zu groß.

    Aus für die SUR

    Besonders bitter für Grüne und Umweltschützer: Im November scheitert ein wesentlicher Baustein des europäischen Green Deals, die Sustainable Use Regulation, in der ersten Lesung im Europaparlament. Damit steht die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln vor dem Aus. Auch den Antrag von Berichterstatterin Sarah Wiener (Grüne), die Verordnung erneut im federführenden Umweltausschuss (ENVI) zu beraten, wies das Plenum zurück. Offiziell hat das Plenum keine Position gefunden und ist durch die Ablehnung einer weiteren Beratung im ENVI handlungsunfähig.

    Es gilt als wahrscheinlich, dass die EU-Pestizide-Verordnung vor den Europawahlen keine große Rolle mehr spielen wird. Zwar könnte die EU-Kommission den Stein noch einmal ins Rollen bringen. Aber dafür müsste die Brüsseler Behörde einen neuen Entwurf vorlegen. Zu erwarten ist das nicht. Insbesondere EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) dürfte vor den Europawahlen kaum Interesse daran haben, die in der Agrarbranche umstrittene Reduktion von Pestiziden, aus eigener Kraft erneut auf die Agenda zu setzen.

    GAP: Holpriger Start in die neue Förderperiode

    Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP), deren aktuelle Förderperiode im Januar begonnen hatte, sorgte in den vergangenen Monaten immer wieder für Diskussionen in Deutschland. Um die neuen Öko-Regelungen für die Landwirte attraktiver zu machen, schlug das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Juli zunächst kleine Änderungen an den Förderbedingungen der GAP im kommenden Jahr vor. Noch weiter voraus blickte das Ministerium dann im Oktober, als es in einem Diskussionspapier die Ausgestaltung der GAP ab 2025 in den Blick nahm.

    Das Papier zeigt auf, wie das BMEL das GAP-Direktzahlungsgesetz und die GAP-Verordnungen anpassen will und welche Änderungen es am GAP-Strategieplan in 2024 vorzunehmen gedenkt. Zusätzlich zu den bestehenden sieben Öko-Regelungen brachte das BMEL in diesem Zusammenhang zwei neue Öko-Regelungen ins Gespräch. Um die zu finanzieren, erwog das Ministerium Änderungen an den Modalitäten der GAP-Förderung in Deutschland. Während Umweltverbände die Vorschläge für sinnvoll hielten, war der Aufruhr innerhalb der Landwirtschaftslobby groß. Auch die von Bayern einberufene Sonder-Agrarministerkonferenz Ende November brachte bislang keine Einigung.

    GAK: Bund kürzt Mittel für den ländlichen Raum

    Hart gerungen wurde in den vergangenen Monaten um die Mittel für den ländlichen Raum in 2024. Bereits im Sommer wurde deutlich: Der Bund setzt den Rotstift bei der Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK) an, dem Hauptinstrument der Agrarstrukturförderung von Bund und Ländern. Als die angedachten Kürzungen in Höhe von 293 Millionen Euro publik wurden, war der Aufschrei deshalb groß. Für nicht ganz so dramatisch hielt indes der FDP-Haushaltspolitiker Frank Schäffler die Kürzungen. In einem Interview während der Haushaltsverhandlungen verwies Schäffler darauf, dass viele Bundesländer die GAK-Mittel ohnehin nicht ausgeschöpft hätten. Ihm zufolge hänge es deshalb auch von den Ländern ab, wie stark die Kürzungen den ländlichen Raum am Ende träfen.

    Dennoch fürchteten viele Projekte um ihre Weiterfinanzierung. Mitte November hatte Ester Dilcher, Berichterstatterin der SPD für den Haushalt des BMEL, für sie alle eine gute Nachricht: Es sei in den Beratungen zum Haushalt 2024 des BMEL gelungen, die Kürzungen den Wünschen des BMEL folgend deutlich abzumildern. Die Mittel aus dem Bundeshaushalt 2024 würden gegenüber dem Haushaltsentwurf um insgesamt 66,75 Millionen Euro angehoben. Weniger Geld als in den Vorjahren wird im kommenden Jahr aber in jedem Fall fließen. Rund 840 Millionen Euro wird der Bund den Ländern in 2024 zur Verfügung stellen.

    Ernährungsstrategie: Noch nicht mehr als ein Versprechen

    Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass das Bundeskabinett das Eckpunktepapier “Weg zur Ernährungsstrategie der Bundesregierung” beschlossen hat. Es enthält vor allem vage Absichtserklärungen, denen zufolge regionale Strukturen gefördert und Kantinenangebote gesünder und nachhaltiger werden sollen. Mit Blick auf die Strategie, die im Koalitionsvertrag für das Jahr 2023 angesetzt war, ist in den vergangenen Monaten weder etwas passiert noch bekannt geworden.

    Die Erarbeitung der Strategie ist mit dem “transparenten Partizipationsprozess”, wie das BMEL ihn nennt, zu Jahresbeginn zwar weitergelaufen, in die Ressortabstimmung hat es die Strategie aber nicht wie geplant im Juni geschafft. Gelandet ist sie dort erst Mitte November. Das BMEL hat jetzt einen “zeitnahen” Beschluss der Bundesregierung angekündigt. Mit einer fertigen Ernährungsstrategie, wie sie für Jahresende angekündigt worden war, ist aber kaum noch zu rechnen.

    In Brüssel sieht es nicht besser aus. Die EU-Kommission schiebt das Rahmenwerk für ein nachhaltiges europäisches Lebensmittelsystem auf die lange Bank.

    Agri-PV: Gesetzliche Schritte in Richtung Massentauglichkeit

    Dass Deutschland die Solarenergie ausbauen will, ist per se nicht neu. Dass dies auf landwirtschaftlich genutzten Flächen geschehen soll, hingegen schon. Die Weichen dafür hat die Bundesregierung mit dem Solarpaket 1 gestellt. Der Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett Mitte August verabschiedet hat, sieht neue Förderhöchstsätze und Bonuszahlungen beim Naturschutz für diesen Anlagentyp vor. Für viele Akteure im Landwirtschafts- und Energiesektor war das eine Überraschung. Hatten sie sich darauf eingestellt, in dem Gesetzentwurf kaum bis keine Bestimmungen zu Agri-PV zu finden, so waren sie nun überrascht, dass diese Solaranlagen darin plötzlich zu einem zentralen Thema geworden waren. Die Rechtsanwältin Alexandra Thiel las die neuen Förderhöchstsätze gar als ein Signal der Bundesregierung, die Agri-PV massentauglich machen zu wollen.

    Im Oktober kam das Solarpaket 1 zur Lesung in den Bundestag. Die Bundestagsabgeordnete Anne Monika Spallek (Grüne) forderte in einem Interview in dem Zusammenhang, die landwirtschaftliche Produktion bei diesem Anlagentyp noch weiter zu forcieren. Dafür müsse die Definition von Agri-PV in der DIN SPEC angepasst werden.

    Marktmacht des LEH: Unfaire Handelspraktiken existieren weiterhin

    Das deutsche Gesetz gegen unfaire Handelspraktiken verfehlt seine Wirkung. Das zeigt der Evaluierungsbericht des BMEL rund zwei Jahre nach Inkrafttreten des Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLkG). Mit dessen Umsetzung verfolgt der Gesetzgeber eigentlich das Ziel, gerechte Beziehungen zwischen den Marktteilnehmenden entlang der Wertschöpfungskette Lebensmittel zu fördern.

    Lieferanten des Lebensmitteleinzelhandels sind durch das Gesetz gegen unfaire Handelspraktiken (AgrarOLkG) aber noch nicht ausreichend vor der Übermacht der Supermarktketten geschützt. Der Bundestag will das Gesetz nun in einigen Punkten ändern.

    Borchert-Kommission wirft das Handtuch

    Das Gremium unter Leitung des CDU-Mannes und ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert gab im August seine Auflösung bekannt. Denn seine Forderung, die Ampelkoalition müsse deutlich mehr Fördergelder in den Umbau der Tierhaltung stecken, fand keinen Widerhall. Die Chancen auf Konsens im Ampel-Bündnis waren diesbezüglich nie groß.

    Nach Empfehlungen der Borchert-Kommission gibt es drei Optionen, an der Ladentheke mehr Geld für tierische Produkte und den Stallumbau einzunehmen. Dazu zählen eine Sonderabgabe Tierwohl, eine Verbrauchssteuer auf tierische Produkte sowie eine Anhebung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf tierische Produkte von 7 auf 19 Prozent. Die Expertenkommission plädierte für eine mengenbezogene Tierwohlabgabe, die in Form einer Verbrauchssteuer umgesetzt werden könnte. Bereits mit Beginn der Legislatur kündigte die FDP allerdings an, dass es mit ihr in einem Regierungsbündnis keine Steuererhöhungen geben werde.

    Streit um Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz

    Im Februar präsentierte Özdemir seine Pläne für ein Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz. Monate später war der Ressortentwurf immer noch nicht vom Bundeskabinett verabschiedet. Grund: Für den Koalitionspartner FDP schießt der Entwurf über das grundsätzliche Ziel hinaus, die seit Jahren wachsende Anzahl von übergewichtigen Kindern durch die Einschränkung von Werbung für ungesunde Lebensmittel einzudämmen. Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel, wie beispielsweise Gummibärchen, sollten nur dann gelten, wenn sie sich zielgerichtet an Kinder wenden, meinen die Freien Demokraten. Özdemir hingegen will Fernsehwerbung für Lebensmittel mit zu hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt während bestimmter Zeitfenster, in denen besonders viele Kinder zuschauen, verbieten.

    Putin kippt Getreideabkommen

    Vom Krieg ohnehin schon gebeutelt, trifft der geplatzte Grain Deal die auf Export angewiesene ukrainische Landwirtschaft bis ins Mark. Im Juli verkündete der russische Präsident Wladmir Putin, dass er das Abkommen zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer nicht verlängern werde. Das Getreideabkommen galt seit Juli 2022 zwischen Russland und der Ukraine mit der Türkei und den Vereinten Nationen.

    Seither versucht die EU, die Kapazitäten auf den alternativen Routen zu erhöhen. Dazu gehören: Transporte mit Schiffen, Güterzügen oder Lastwagen. Schnell umsetzen lassen sich die Infrastrukturprogramme aber nicht. Hinzu kommen andere Schwierigkeiten, wie etwa der Mangel an Getreidewaggons in Europa. Flüsse lassen sich auch nicht so schnell ausbaggern, um größere Transportschiffe einzusetzen, und auch die Zahl der Lastwagen, Lastwagenfahrer sowie der Straßenkapazitäten ist begrenzt. Russland blockiert also die effektivste Exportmöglichkeit der Ukraine und schneidet die Ukraine von Milliarden US-Dollar an Einnahmen ab.

    • AgrarOLkG
    • Agrarpolitik
    • Agri-PV
    • Cem Özdemir
    • EFSA
    • Ernährungspolitik
    • Ernährungsstrategie
    • EU-Gentechnik
    • EU-Gentechnikrecht
    • Getreideabkommen
    • Glyphosat
    • Grüne Gentechnik
    • KLWG
    • SUR
    • UTP-Richtlinie

    Bafa-Präsident: “Kein Unternehmen muss sich wegen des Gesetzes aus einer Region zurückziehen”

    Der studierte Mathematiker Safarik ist seit 2019 Chef des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.

    Guten Tag, Herr Safarik.

    Wenn Sie gestatten, würde ich unserem Gespräch gerne eine Botschaft vorwegschicken.

    Gerne.
    Jeder, der das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erfüllen will, kann es erfüllen. Auch, weil wir beim Bafa mit Augenmaß vorgehen.

    Das bedeutet konkret?
    Wenn wir überziehen und sich deswegen deutsche Unternehmen aus Märkten zurückziehen, sinkt bei uns der Wohlstand und Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Aber damit würden wir auch den Menschenrechten einen Bärendienst erweisen. Denn dann übernehmen das Geschäft Unternehmen aus Ländern, in denen teils die Menschenrechte mit den Füßen getreten werden. Unser Ziel ist es, mit den deutschen Unternehmen die Menschenrechtslage in deren globalen Lieferketten zu verbessern.

    Wie hilft das Bafa Unternehmen konkret?
    Wir haben einen umfassenden Frage- und Antwortkatalog veröffentlicht und Handreichungen zu wichtigen Themen wie Risikoanalyse oder der Zusammenarbeit von Unternehmen in der Lieferkette. Aktuell arbeiten wir an vier weiteren Handreichungen.

    Sie sprechen von einem Lernprozess?
    Unternehmen und das Bafa durchlaufen eine Lernkurve. Aber auf beiden Seiten arbeiten Menschen und Menschen machen Fehler. Wir helfen Unternehmen bei Fehlern. Aber dafür müssen sich Unternehmen helfen lassen. Ich bringe gerne in diesem Zusammenhang das Bild einer Schafherde. Die meisten hiesigen Unternehmen sind weiße Schafe, die werden mit uns kaum etwas zu tun haben. Es gibt einige graue Schafe. Denen helfen wir, die Farbe zu wechseln. Nur die schwarzen Schafe, die nicht wollen, dürfen uns fürchten.

    Hat Ihre Behörde genügend Mitarbeiter für das Thema Lieferketten?
    Wir haben 101 Stellen Planstellen für die Aufgabe. Davon sind aktuell 87 besetzt. Ein weiterer Schwung kommt Anfang des Jahres. Dann werden 100 Kolleginnen und Kollegen in dem Bereich arbeiten. Eine gute Personalausstattung ist wichtig, aber ebenso wichtig sind digitale Verfahren. Und natürlich gilt es, die passenden Profile zu finden, die sich für die Aufgabe eignen.

    Welche Qualifikationen haben diese Beschäftigten?
    Manche kommen aus der Steuer- oder Zollfahndung. Einige haben vorher in Brüssel gearbeitet. Einige kommen frisch von der Uni. Wir haben auch etliche, die vorher in den Einkaufsabteilungen von Unternehmen gearbeitet haben. Sie können deswegen gut einschätzen, was machbar ist.

    Sie bauen auch eine Risikodatenbank auf?
    Dort sammeln wir unterschiedliche Informationen aus verschiedenen Quellen. Die öffentlichen Quellen werden wir in den nächsten Tagen bekannt geben.

    Wie viele LkSG-Beschwerden sind beim Bafa seit Anfang des Jahres eingegangen?
    38 Beschwerden – in sechs Fällen haben wir Unternehmen kontaktiert. Bei einigen Fällen prüfen wir noch, ob wir Unternehmen kontaktieren werden. Aber bei der Mehrheit der Fälle haben wir die Vorgänge relativ schnell wieder geschlossen. Bei einem Teil fielen die adressierten Unternehmen nicht unter das LkSG. Bei anderen Unternehmen lag keine begründete Verletzung gemäß LkSG vor und stand auch nicht unmittelbar bevor.

    Wie substantiell sind die Beschwerden?
    Zu Einzelfällen äußere ich mich nicht. Aber gerade Fälle, die breit in den Medien diskutiert wurden, zeichnen sich nicht immer durch eine hohe Substanz aus, um das mal diplomatisch zu beurteilen. Wir arbeiten gut zusammen mit einer Reihe zivilgesellschaftlicher Akteure, denen es wirklich darum geht, die Menschenrechtslage zu verbessern oder Unternehmen besser zu befähigen. Andere Akteure missbrauchen das LkSG für Kampagnen. Es kam schon vor, dass zuerst die Presse über einen angeblich gestellten Antrag informiert wurde, bevor er bei uns einging. Häufig ist an solchen Anträgen nichts dran. 

    Kann man den Rückschluss ziehen, dass die Beschwerden, denen Sie nachgehen, gar nicht in der Öffentlichkeit bekannt sind?
    Das sage ich so nicht, sonst könnten sie Rückschlüsse daraus ziehen, welche Fälle ich meine.

    In welcher Form wird das Bafa die Öffentlichkeit über die Beschwerden informieren?
    Wir werden in einem jährlichen Rechenschaftsbericht aggregierte Informationen mitteilen.

    Bekommen die Beschwerdeführenden von Ihnen Feedback?
    Wenn jemand bei uns einen formalen Antrag stellt, der nicht anonym ist, dann bekommt er von uns eine Information. Bei Hinweisen ist es etwas anderes. Wenn wir einen Hinweis bekommen, ist es ja unser Ermessen, ob wir diesem Hinweis nachgehen. Ein Hinweisgeber bekommt von uns keine Rückmeldung, was wir getan haben.

    Wie geht das Bafa mit substanziierten Beschwerden um?
    Wir kontaktieren das Unternehmen und in Abhängigkeit von der Antwort entscheiden wir, ob wir weitere Maßnahmen ergreifen. Eskaliert es, dann könnten wir auch an das Werkstor anklopfen. Wir dürfen in die Bücher schauen. Aber wir nehmen keine Vorverurteilungen vor und agieren als neutraler Ermittler.

    Wie war das im Fall der streikenden LKW-Fahrer in Gräfenhausen?
    Bei dem ersten der beiden Streiks haben wir Unternehmen kontaktiert, ohne dass es die Presse erfuhr. Die Unternehmensantworten stellten uns zufrieden. Aber als dann eines der Logistikunternehmen bei dem zweiten Streik wieder auftauchte, haben wir intensiver nachgefragt, um das mal diplomatisch zu formulieren. Über unsere Auswertungen zum zweiten Streik insgesamt war ich erschrocken: Fünf Prozent aller LkSG-pflichtigen Unternehmen waren involviert. Fünf Prozent sind extrem viel, zumal sich dies nur auf die direkten Vertragspartner bezieht. Daher hatte ich als erste Reaktion darauf einen Krisengipfel mit Arbeitgebern, Verbänden, Gewerkschaft und Zivilgesellschaft aus der Transportbranche durchgeführt. 

    Welche Faktoren für menschenrechtliche Risiken haben sie identifiziert?
    Die Vergabe von Aufträgen an Sublieferanten und der Spotmarkt, über den kurzfristige Aufträge vergeben werden, haben ein hohes Risiko von menschenrechtlichen Verstößen. Möglicherweise gibt es weitere Risiken. Ende Januar, Anfang Februar treffen wir uns wieder.

    Seit Anfang 2023 müssen LkSG-pflichtige Unternehmen einen Beschwerdemechanismus haben. Erfüllen sie die Anforderungen?
    Wir haben etliche Unternehmen angeschrieben und gefragt, wie es ausschaut. Wir sehen Verbesserungsbedarf. Denn so ein Beschwerdemechanismus muss verständlich und adressatengerecht und gut auffindbar sein. Aber Betroffene können sich auch direkt bei unserer Behörde beschweren.

    Kommt es vor, dass Beschäftigte aus den Zulieferketten deutscher Unternehmen sich bei ihnen melden?
    Dazu äußere ich mich nicht.

    Sind Situationen denkbar, in denen sich Unternehmen aus Regionen oder ganzen Ländern zurückziehen müssen, weil sich sonst die Anforderungen des LkSG nicht erfüllen würden?
    Nein. Denn es geht immer um Befähigung vor Rückzug und eine Bemühenspflicht der Unternehmen, keine Erfolgspflicht. Manche Unternehmen ziehen sich aus anderen Gründen aus einem Markt zurück, verweisen aber zur Begründung auf das Gesetz.

    Einige Wirtschaftsakteure halten das LkSG immer noch für einen großen Fehler der Politik.
    Einige Institutionen kritisieren leider medial massiv das Gesetz und erzeugen damit viel Unruhe. Das bedauere ich. Ich wünschte mir, sie würden stattdessen ihren Mitgliedsunternehmen mehr bei der Umsetzung des Gesetzes helfen. So wie bei der Zivilgesellschaft unterscheide ich auch bei den Arbeitgeberverbänden. Mit manchen arbeiten wir gut zusammen, weil sie ihren Mitgliedern wirklich bei der Umsetzung des Gesetzes helfen. Aber es gibt auf der anderen Seite auch welche, die sich zwar freuen, dass sie in einer Demokratie leben, aber trotzdem Probleme damit haben, dass man in einer Demokratie Gesetze einhalten muss.

    • Bafa
    • Berichtspflichten
    • Lieferkettengesetz
    • Transformation

    Kampf gegen Müllberge: Erster Trilog über EU-Verpackungsverordnung startet Anfang Januar

    Direkt zu Beginn des neuen Jahres nehmen der Rat, die Kommission und das Parlament die Trilogverhandlungen über die EU-Verpackungsverordnung auf. Wegen der kontroversen Positionen zu dem Gesetz ist ungewiss, wie lang die Verhandlungen dauern werden. Die Verhandler streben eine Einigung vor dem Ende der Legislaturperiode an.

    Das Parlament hatte im November seine Position angenommen, die den Kommissionsentwurf in vielen Bereichen deutlich abschwächt. Der Umweltrat, der Anfang der Woche seine allgemeine Ausrichtung beschlossen hat, hält die Ambitionen des Kommissionsentwurfs hingegen weitestgehend aufrecht.

    Ratsposition in Teilen ambitionierter

    “Der größte Knackpunkt in den Trilogverhandlungen wird mit Sicherheit die Frage sein, mit welchen Maßnahmen sich die Müllberge reduzieren lassen“, sagte Delara Burkhardt (S&D) Table.Media. Die Sozialdemokratin hat als Schattenberichterstatterin die Parlamentsposition mitverhandelt. “Das betrifft insbesondere die Verbote von unnötigen Einwegverpackungen, zum Beispiel beim Verzehr von Speisen und Getränken in Gaststätten, Mehrwegquoten für Getränke und Transportverpackungen und Vorgaben gegen übergroße Verpackungen, die mehr Luft als Produkt enthalten.”

    Die EU-Umweltministerinnen hätten hier die Umweltambitionen des Kommissionsvorschlags zum Glück weitestgehend intakt gehalten, sagte Burkhardt. “Das lässt sich vom Europäischen Parlament leider nicht behaupten.” Eine rechte Mehrheit des Europäischen Parlaments habe fast jedem Lobbywunsch nachgegeben. “Zahlreiche Streichungen und Ausnahmeregeln lassen mich daran zweifeln, ob mit der Parlamentsposition die angestrebte Abfallreduktion überhaupt erreicht werden kann.” Burkhardt hofft deshalb, dass das finale Gesetz in den Bereichen Verpackungsminimierung und Mehrweg der Position des Rates näher sein wird.

    Parlament streicht Verbote und fügt neue hinzu

    Konkret geht es zum einen um Artikel 22, in dem die Kommission ein Verbot bestimmter Einwegverpackungsformate vorschlägt. Das sind etwa Plastikverpackungen für Getränke-Sixpacks, frisches Obst und Gemüse unter einem Gewicht von 1,5 Kilogramm und Einwegbehälter in der Gastronomie für Speisen zum Mitnehmen.

    Das Parlament streicht in seiner Position mehrere dieser Verbote und fügt dafür andere Verbote ein. Das sind zum Beispiel Verbote von Einweg-Schrumpfverpackungen für Koffer und von unnötigen Sekundärverpackungen wie der Pappschachtel, die eine Zahnpastatube umhüllt. Es fügt eine Ausnahmeklausel hinzu für Unternehmen, die 85 Prozent der Einwegverpackungsabfälle für die stoffliche Verwertung sammeln und anhand einer Lebenszyklusanalyse nachweisen können, dass die Einwegverpackung umweltfreundlicher ist. Die Kommission soll außerdem nicht die Möglichkeit erhalten, über delegierte Rechtsakte neue Verbote hinzuzufügen.

    Der Rat übernimmt in seiner Ausrichtung die Vorschläge der Kommission mit einigen Änderungen: Das Einwegverbot für Obst und Gemüse zum Beispiel soll nur für Plastikverpackungen gelten; die Kommission soll neue Verbote hinzufügen können, jedoch nur über das ordentliche Gesetzgebungsverfahren.

    Kleinteilige Verhandlungen über Mehrwegquoten

    Zum anderen geht es um Artikel 26 aus dem Kommissionsentwurf, der Mehrwegquoten für einige Verpackungsformate vorsieht. Das Parlament streicht die Quoten für den Take-away-Sektor und ergänzt weitreichende Ausnahmen für die anderen Sektoren. Diese machen den Artikel nahezu bedeutungslos.

    Der Rat übernimmt die Vorschläge der Kommission und ergänzt etwa eine Ausnahme für Wein sowie die Möglichkeit für Unternehmen, sich zu dritt zusammenzutun, um die Mehrwegquoten für Getränke zu erreichen.

    Hier warten also sehr kleinteilige Verhandlungen auf die drei EU-Institutionen. Eine Einigung über die beiden Artikel wird sehr schwer zu erreichen sein.

    Erster Trilog am 10. Januar geplant

    Nicht einfach wird darüber hinaus die Verhandlung über die chemischen Substanzen, die sich in Verpackungsmaterialien befinden dürfen. Das Parlament fordert ein Verbot von gesundheitsschädlichen Ewigkeitschemikalien (PFAS) und Bisphenol A in Verpackungen, die mit Lebensmitteln und damit auch mittelbar mit Menschen in Kontakt kommen. Der Rat fordert zunächst eine Untersuchung durch die Kommission, um diese Chemikalien möglicherweise in der Zukunft zu verbieten.

    Die Trilogverhandlungen sollen im Januar beginnen. Nach Informationen von Table.Media ist das erste politische Treffen für den 10. Januar geplant, allerdings noch nicht offiziell bestätigt.

    Mit Ausnahme der “rechten Seite des Europäischen Parlaments” seien sich alle drei Institutionen einig, dass sie die Verhandlungen schnell abschließen und noch vor den Europawahlen im Juni abstimmen wollen, berichtet Delara Burkhardt. “So schaffen wir schnell Planungssicherheit für die Unternehmen, die die ersten Ziele der Verordnung schon in wenigen Jahren erfüllen müssen.”

    • Handel
    • Verpackungen

    News

    Agrardiesel-Kürzung: Lebensmittelpreise dürften nur minimal steigen

    Der Deutsche Bauernverband (DBV) lehnt den von der Bundesregierung angekündigten Wegfall der Agrardiesel-Subventionen mit der Begründung ab, dies würde auch die “Lebensmittel deutlich verteuern“. Konkrete Zahlen nennt der DBV aber weder in seiner Pressemitteilung noch auf Nachfrage. Auch das Landwirtschaftsministerium erklärt auf Anfrage, über die Folgen der Streichung für die Lebensmittelpreise “können wir nicht spekulieren”. Anhand öffentlicher Daten lässt sich der potenzielle Preisanstieg für einzelne Produkte jedoch grob überschlagen. Ergebnis: Die Auswirkungen wären äußerst gering.

    Die Produktion eines Kilogramms Weizen würde im Schnitt um 0,24 Cent teurer. Das ergibt sich aus folgenden Werten: Literaturangaben zufolge (z.B. hier) werden beim Weizenanbau je nach Bodenart, Anbaumethode und Feldgröße zwischen 33 und 120 Liter Diesel pro Hektar verbraucht; der Mittelwert liegt bei etwa 85 Liter. Auf einem Hektar werden laut DBV im Schnitt 7,6 Tonnen Weizen geerntet. Pro Kilogramm Weizen sind somit 0,012 Liter Diesel nötig. Wenn der Steuervorteil beim Agrardiesel, der bisher 21,5 Cent pro Liter beträgt, entfällt, wird die Produktion eines Kilogramms Weizen um 0,24 Cent teurer. Ein Kilogramm Weizenmehl, für das 1,3 Kilogramm Weizen benötigt werden, würde bei einer Weitergabe dieser Mehrkosten inklusive Mehrwertsteuer um rund einen Drittel-Cent teurer.

    Mehrkosten sehr gering

    Bei der Milch ist die Rechnung etwas komplizierter. Wenn man mit Zahlen aus einer Studie des Umweltbundesamts rechnet, kommt man für die Futterproduktion und die Fütterungstechnik zusammen auf einen Verbrauch von etwa 0,016 Liter Diesel pro Liter Milch. Der Wegfall der Agrardiesel-Vergünstigung würde die Herstellung eines Liters Milch somit um 0,38 Cent verteuern. Der Preisanstieg macht sowohl bei Mehl als auch beim Milch also jeweils weniger als ein halbes Prozent aus.

    Diese Rechnung berücksichtigt nur den Agrardiesel. Die Wirkung des geplanten Wegfalls der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge ist schwerer zu berechnen, weil deren Anzahl und Nutzung stark variiert. Nachdem bei der Kfz-Steuer insgesamt etwa genau so viel gespart werden soll wie beim Agrardiesel, dürften die Mehrkosten über alle Betriebe hinweg ähnlich sein. Aber auch zusammengenommen lägen die Mehrkosten durch die Abschaffung der Subventionen damit noch bei weniger als einem Prozent. mkr

    • Bauernproteste
    • Deutscher Bauernverband
    • Landwirtschaft
    • Lebensmittel

    EU-Kommission will Schutz von Wölfen lockern

    Die Europäische Kommission will die strengen Schutzregeln für Wölfe lockern. Man schlage vor, den Status des Wolfs von “streng geschützt” auf “geschützt” herabzusenken, teilte die Brüsseler Behörde am Mittwoch mit.

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte zu dem Vorstoß, die Rückkehr des Wolfs sei eine gute Nachricht für die Artenvielfalt in Europa. Die Dichte der Wolfsrudel in einigen europäischen Regionen sei inzwischen jedoch zu einer echten Gefahr geworden, insbesondere für die Nutztierhaltung.

    “Wichtiger Schritt”

    “Die lokalen Behörden fordern größere Flexibilität für das aktive Management kritischer Wolfspopulationen”, sagte sie. “Dies sollte auf europäischer Ebene erleichtert werden, und der von der Kommission heute eingeleitete Prozess ist ein wichtiger Schritt dahin.” Von der Leyen hatte Kommunen bereits zuvor aufgefordert, die derzeitigen Spielräume für den Abschuss von problematischen Wölfen mutig zu nutzen.

    Die EU-Kommission hatte im September angekündigt, dass sie auf der Grundlage von neuen Daten entscheiden will, ob aus ihrer Sicht der Schutzstatus des Wolfs geändert werden sollte. Nun ist es an den Mitgliedstaaten, über den Vorschlag zu entscheiden. Sollte er angenommen werden, müsste er dann auch noch den anderen Vertragsparteien des sogenannten Berner Übereinkommens zur Zustimmung vorgelegt werden. Dieses soll in ganz Europa und darüber hinaus die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume sichern. dpa

    • Europäische Kommission
    • Europapolitik
    • Ursula von der Leyen
    • Wolf

    Agrifood.Table Redaktion

    AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen