Table.Briefing: Agrifood

Interview: AMK-Vorsitzende zu Bauernprotesten + Ernährungsstrategie im Kabinett + Kompromisspapier der Ampelfraktion

Liebe Leserin, lieber Leser,

Haushaltskrise, Bauernproteste, Debatte um rechtsextreme Instrumentalisierung – in eine agrarpolitisch aufregendere Zeit hätte der Vorsitz der Agrarministerkonferenz (AMK) für Susanna Karawanskij (Linke) wohl kaum fallen können. Als einzige Linken-Politikerin in dem Gremium hat Thüringens Landwirtschaftsministerin das Ruder der AMK zum Jahresbeginn übernommen. Mit uns spricht sie über die Instrumentalisierung der Bauernproteste, den Haushaltskompromiss der Bundesregierung und darüber, was die Landwirte ihrer Meinung nach jetzt am dringendsten brauchen – Planungssicherheit. Die will sie als Vorsitzende der AMK in diesem Jahr politisch erringen.  

Ideen, wie Planungssicherheit geschaffen werden kann, hat der Sozialunternehmer Christian Hiß schon jetzt parat. Er schlägt vor, Landwirte jährlich mit durchschnittlich 1.000 Euro je Hektar zu kompensieren. Diese Summe entspreche laut Hiß den sogenannten Gemeinwohlleistungen, die Bauern erbringen. Mein Kollege Caspar Dohmen hat den Sozialunternehmer nach den Details gefragt.

Bei der Ernährungsstrategie der Bundesregierung tut sich etwas. Die bereits für das vergangene Jahr versprochene Strategie hatte es Mitte November zwar in die Ressortabstimmung geschafft, war dann aber nicht mehr wie angekündigt zum Jahresende von der Bundesregierung beschlossen worden. Das wird das Bundeskabinett heute nachholen. Vor dem Beschluss zeigen wir, was das BMEL den anderen Ministerien vorgeschlagen hat.

Außerdem hat sich die Ampelfraktion gestern auf ein Kompromisspapier für eine zukunftsfeste Landwirtschaft geeinigt, das Table.Media vorliegt. Darin bleibt diese zwar vage. Aber einige politische Vorhaben dürften durch die protestierenden Bauern ordentlich Rückenwind gewonnen haben, schreibt meine Kollegin Henrike Schirmacher.

Ihre
Merle Heusmann
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Interview

AMK-Chefin: “Ein angestautes Gefühl von zu geringer Wertschätzung innerhalb der Gesellschaft”

Thüringens Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij hat zum neuen Jahr den AMK-Vorsitz übernommen.

Proteste, Blockaden, Kundgebungen: So wie jetzt gerade haben die deutschen Landwirte ihrem Ärger schon lange nicht mehr Luft gemacht. Was macht die Bauern so wütend?

Also dieser Frust, der sich jetzt bei den Landwirtinnen und Landwirten Bahn bricht, ist natürlich nicht unmittelbar nur auf diese Kürzungen beim Agrardiesel zurückzuführen. Sondern das ist ein sehr, sehr lange angestauter Frust und ein angestautes Gefühl von zu geringer Wertschätzung innerhalb der Gesellschaft, was da deutlich wird. Und diese Unzufriedenheit, das gehört auch zur Wahrheit dazu, ist nicht nur auf die jetzige Regierung gemünzt, sondern ist bereits auch unter der Vorgängerregierung deutlich geworden. Der Transformationsprozess in der Landwirtschaft ist bislang nur bruchstückhaft angegangen worden.

Was genau ist da schiefgelaufen?

Wir haben eine Veränderung in der Finanzierung der Landwirtinnen und Landwirte. Wir kommen von einem System mit Agrarsubventionen und Direktzahlungen, die in der Vergangenheit Einkommensstütze hieß. Es war klar: Sichere und für alle zugängliche, kostengünstige Lebensmittel werden entsprechend gestützt, werden mitfinanziert von der Gemeinschaft, also auf der europäischen Ebene. Und das wandelt sich jetzt Stück für Stück hin zu Direktzahlungen, die mit Forderungen verknüpft sind – mit Öko-Regelungen, Auflagen – ohne dass eigentlich der Fahrplan und damit die Planbarkeit für die Landwirtinnen und Landwirte für die Zukunft klar ist. Mein Eindruck ist, wenn ich mit Landwirten und Landwirtinnen spreche, dass sie sich gar nicht verwehren, diesen Transformationsprozess mitzugehen, sondern dass sie auch ein Interesse daran haben. Aber sie möchten, dass das, was sie als Investition jetzt anfassen, auch in drei Jahren, in fünf Jahren, in zehn Jahren Bestand hat und sie entsprechend produzieren können und einen Absatz ihrer Produkte finden. Und daher kommt meines Erachtens der angestaute Frust. Wir müssen deshalb wieder hin zu einer Planungssicherheit für die Betriebe. Das ist der Schwerpunkt, den ich auch gerne in der Agrarministerkonferenz (AMK) setzen möchte.

Akteure aus dem rechtsextremen Spektrum haben in den vergangenen Tagen versucht, die Proteste zu instrumentalisieren. Was schlagen Sie als Linken-Politikerin und Thüringerin vor: Welche Antwort muss die Politik darauf finden?

Na ja, wenn man eine Veranstaltung angemeldet hat, ist es schon schwierig, das zu kontrollieren. Ich fand es gut, dass sich der Deutsche Bauernverband zügig positioniert hat und davon abgegrenzt hat. Er könnte es für meinen Geschmack noch stärker tun, das gebe ich ehrlich zu. Und er könnte sich auch mit demokratischen Kräften verbinden, die in dem Bereich aktiv sind. Wir haben in Thüringen zum Beispiel die Plattform Weltoffenes Thüringen. Die Überlegung wäre also, ob man nicht auch mit anderen demokratischen Kräften dort noch stärker in Erscheinung tritt, um zu zeigen, es geht um die Sache und es geht nicht um Umsturzfantasien von Antidemokraten. Aber wir haben es auch erlebt, dass der Bauernverband versucht hat, sich abzugrenzen. Natürlich sind diese rechtsextremistischen Akteure aber trotzdem da.

“Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, sich mit den Landesministern abzustimmen”

Inwiefern ist denn die Agrarministerkonferenz, der sie seit Jahresbeginn vorsitzen, jetzt auch mit den Forderungen der Landwirte befasst? 

Vergangene Woche hatten wir eine Sonderagrarministerkonferenz, bei der wir uns unter den Ländern verständigt haben und der Bund seinen Vorschlag zum Haushalt 2024 präsentiert hat. Es wäre vielleicht gut gewesen, das auch im Vorfeld schon miteinander zu besprechen. Das ist eine Stilfrage. Sicherlich werden die Proteste nun auch auf der Grünen Woche eine Rolle spielen – vor deren Hintergrund ja auch die Amtschef-Konferenz am 17. Januar stattfindet. Es gibt den Haushaltsvorschlag der Bundesregierung, der natürlich jetzt auch im Bundestag beschlossen werden muss. Das eine sind die Proteste und die konkreten Forderungen, die jetzt mit diesen Kürzungen zusammenhängen. Das andere ist es, Perspektiven, die die Landwirtinnen und Landwirte einfordern, zu bieten – und zwar nicht nur für den kommenden Haushalt, sondern für die nächsten Jahre.

Sie haben gerade angedeutet, dass Sie den Vorschlag, mit dem die Bundesregierung den Bauern entgegengekommen ist, gerne schon vorher gesehen hätten. Höre ich da Kritik?  

Na ja, die Kritik betrifft einmal die Stilfrage. Gleichzeitig wirkt die Kompromisslösung so inkonsequent. Also es ist nicht nachvollziehbar, warum der Agrardiesel mit dieser Stufenregelung doch hochbesteuert werden soll und gleichzeitig aber das Flugbenzin nicht. Das sind Inkonsistenzen, bei denen die Bundesregierung besser beraten wäre, nachvollziehbarer zu handeln. Beim Agrardiesel war die Idee, die Landwirtinnen und Landwirte von einer Besteuerung auszunehmen. Das war keine direkte Subventionierung. Warum aber nun beispielsweise Flugreisen über die Kerosinsteuer in Zukunft nicht besteuert werden und Nahrungsmittelproduktion schon, das ist nicht erklärbar. Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, sich mit den Landesministern abzustimmen – gerade was auch diese Kompromisslösung betrifft, die ja durchaus überraschend kam.

Um den demonstrierenden Bauern Zugeständnisse zu machen, hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir unter anderem den Rotstift beim Waldumbau angesetzt. Sie haben für Ihre Zeit als Vorsitzende der AMK angekündigt, darauf den Fokus legen zu wollen. Wie bewerten Sie es, dass die Bundesregierung nun ausgerechnet beim Waldumbau kürzen will?

Also ich verstehe ja die Not, einen Haushalt am Ende irgendwie aufstellen zu müssen. Und wenn man dann Einsparungen vollziehen muss, ist eben jeder Bereich betroffen. Bei dem, was darunter liegt – jetzt ganz konkret im landwirtschaftlichen Bereich – halte ich es für schwierig bis falsch, das Eine gegen das Andere auszuspielen. Ich kann Ihnen ein konkretes Beispiel geben, warum ich es für falsch halte, im forstlichen Bereich zu streichen. Thüringen ist einer der Hotspots, was die Borkenkäfer-Kalamitäten in den letzten Jahren betrifft. Mittlerweile geht es um eine Fläche von 110.000 Hektar, die bei uns dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen sind. Die Flächen müssen wieder aufgeforstet werden. Und diese Kalamität macht natürlich nicht an Landesgrenzen Halt. Wir haben mit dieser explodierenden Borkenkäfer-Kalamität zu tun, weil die Bäume dem Klimawandel nichts entgegenzusetzen haben. Wir müssen deshalb auch diesen Transformationsprozess weiterhin fördern.

“Dieses Vertrauen muss wieder geschaffen werden”

Und jenseits des Waldumbaus, wo werden Sie sonst noch Schwerpunkte setzen als AMK-Vorsitzende?

Ich hoffe, dass wir diesen Handlungsdruck dahingehend nutzen, dass wir vor allen Dingen Planungssicherheit für die Landwirtinnen und Landwirte schaffen. Also dieses Vertrauen muss wieder geschaffen werden, dass nicht gleich wieder alle Regelungen geändert werden oder neue zusätzliche Regelungen hinzukommen. Denn man darf nicht vergessen: Mit der neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) sind ja nicht nur neue Dokumentationspflichten, sondern auch ein großer Brocken an Digitalisierung eingeführt worden. Und es läuft noch nicht alles so rund, wie man sich das gerne vorstellt oder wie man sich das wünscht. Bei der GAP müssen wir also weiter miteinander diskutieren und verhandeln. Da gibt es sehr, sehr unterschiedliche Vorstellungen. Ein anderer großer Bestandteil ist die Tierwohlförderung. Beim Thema Stallumbauten muss klar sein, wohin die Reise geht, welche Förderkulisse zur Verfügung steht und welche Haltungsstufen dann auch in Zukunft vom Handel nachgefragt werden und wie gebaut werden kann. Das wird dann auch ein Schwerpunkt der Herbst-AMK im thüringischen Oberhof sein.

Gerade bei der GAP hatte sich die AMK bis zuletzt schwer damit getan, sich auf Anpassungen der Förderregelungen zu einigen. Sie sind zurzeit die einzige Linken-Politikerin in dem Gremium und nun dessen Vorsitzende. Wird das die Entscheidungsfindung der AMK nicht zusätzlich erschweren?

Nun, also so ein Vorsitz der AMK ist natürlich auch an eine gewisse moderative Rolle gebunden. Es geht darum, Kontakt zum Bundesminister zu halten. Man darf nicht vergessen, wie bunt die AMK mit Blick auf das Parteienspektrum besetzt ist. Wir haben das Einigkeitsprinzip, das heißt, alle Beschlusslagen werden im Konsens miteinander geführt. Also insofern ist es schon auch ein Austarieren und ein Moderieren, was dann das ganze Spektrum auch abbildet. Das ist so in der Agrarministerkonferenz.

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Christian Hiß: Bauern sollten für Gemeinwohlleistungen im Schnitt 1.000 Euro je Hektar erhalten

Christian Hiß ist Geschäftsführer der Firma Regionalwert Leistungen GmbH und war selbst lange als Gemüsebauer und Landwirt tätig.

Haben Sie die Bauernproteste überrascht?
Grundsätzlich überhaupt nicht. Schließlich kenne ich seit Jahrzehnten das Spannungsfeld von Rentabilität, landwirtschaftlicher Produktion und Betriebsführung, in dem sich die Bauern bewegen, aus eigener Erfahrung. Aber der Zeitpunkt und der Diesel als Auslöser und die Wucht des Protests haben mich überrascht. Tatsächlich benötigen die Landwirte aber eine wesentlich umfassendere Honorierung ihrer Arbeit als einen ermäßigten Steuersatz auf Diesel, was umgelegt auf Flächen etwa 25 Euro je Hektar sind. Sie brauchen meiner Ansicht nach sogar mehr als die 350 Euro, die sie heute im Schnitt durch die europäische Agrarpolitik an Subventionen bekommen.

Ginge es nach Ihnen, dann würden die Bauern für ihren Aufwand für das Gemeinwohl Geld erhalten. Wie passt das damit zusammen, dass die Landwirtschaft in immensem Umfang die Umwelt schädigt? Die Unternehmensberatung Boston Consulting veranschlagt diese negativen externen Effekte in Deutschland auf mindestens 90 Milliarden Euro jährlich.
Genau, umgelegt ungefähr 6.000 Euro je Hektar. Aber bei aller berechtigter Kritik, Bäuerinnen und Bauern investieren auf der anderen Seite schon immer einen gehörigen Aufwand in den Schutz der Ökosysteme und anderer Gemeingüter. Aber dieser Aufwand ist bisher in den betriebswirtschaftlichen Zahlen nicht sichtbar und wird deshalb als selbstverständlich hingenommen. Wir beziffern den betriebswirtschaftlichen Wert der Leistungen der Betriebe auf durchschnittlich 1.000 Euro je Hektar und Jahr. Der Wert variiert, weil er unter anderem von der Art der Bodennutzung abhängt. Bei Sonderkulturen wie dem Gemüsebau haben wir Gemeinwohlleistungen der Betriebe je Hektar von 5.000 bis 8.000 Euro berechnet. Die Leistung erfolgt dort konzentrierter, weil die Wertschöpfung, aber auch der Aufwand pro Hektar wesentlich höher ist als zum Beispiel bei Grünland.

1.000 Euro sollte jeder landwirtschaftliche Betrieb im Schnitt je Hektar von der Allgemeinheit erhalten, sagen Sie. Das ist eine Menge Geld.
Aber es wäre gerecht und angemessen. Denn die Landwirte investieren durchschnittlich eben in dem Umfang in die Gemeingüter, in dem sie beispielsweise die Ökosysteme erhalten oder die Versorgung mit Nahrungsmitteln sichern. Dafür sollten sie explizit und direkt bezahlt werden, sonst können die Betriebe diese Leistungen nicht mehr erbringen

Wie gehen Sie bei der Berechnung dieser Gemeinwohlleistungen vor?
Wichtig ist: Wir berechnen nicht den Wert der Ökosysteme und deren Leistungen an sich in Geld. Das funktioniert auch gar nicht. Man kann beispielsweise den Wert eines fruchtbaren Bodens oder eines Rotkehlchens und seinen Lebensraum nicht in Geld ausdrücken. Außerdem verbietet es sich aus ethischen Gründen. Aber ich kann den Preis für die Bereitstellung von Leistungen berechnen, die ein Betrieb zum Schutz des Rotkehlchens aufbringt, indem er beispielsweise eine Hecke pflanzt oder kleinräumiger wirtschaftet und Randstreifen anlegt. Das ist eine wirtschaftliche Tätigkeit, sie löst Aufwand und Kosten aus und wird damit automatisch eine betriebswirtschaftliche Größe. Wir definieren diese als betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Es geht uns im Grunde um die Erweiterung der Buchhaltung und betrieblichen Erfolgsrechnung mit Kennzahlen zum Schutze der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen auf der Ebene des Einzelbetriebes, das ist die entscheidende Neuheit.

Was zählt dabei zu Gemeinwohlleistungen?
Das ganze ESG-Spektrum, ökologische Aspekte wie Bodenfruchtbarkeit oder Artenerhalt genauso wie soziale Aspekte, beispielsweise die Ausbildung von Menschen oder die Bildungsarbeit über landwirtschaftliches Tun durch Führungen, und auch Kennzahlen zur wirtschaftlichen Souveränität. Das sind alles Maßnahmen, die Aufwand und Kosten verursachen, aber das langfristige Produktivvermögen erhalten. Bis heute werden sie in der Erfolgsrechnung als betriebswirtschaftliche Ineffizienzen betrachtet, was ein kolossaler Denkfehler ist und aus meiner Sicht die tiefer liegende Ursache für den Zorn der Bauern darstellt.

Wie ermitteln Sie den konkreten Geldwert der Leistungen eines Betriebes?
In einem aufwändigen Prozess über die vergangenen 15 Jahre haben wir gemeinsam mit einer Vielzahl von Bäuerinnen und Bauern ermittelt, was sie aufgrund ihrer Erfahrungen aufwenden würden, damit ihr Betrieb langfristig, das heißt nachhaltig produktiv bleibt. Aus diesem Erfahrungswissen und unter Zuhilfenahme von nationalen und internationalen Rahmenwerken haben wir 500 Leistungskennzahlen aus der ökologischen, sozialen und regionalökonomischen Dimension erstellt und einen Grad an Nachhaltigkeit von 100 Prozent definiert. Wir haben für alle gängigen Betriebszweige, wie Ackerbau, Nutztierhaltung, Gemüse- und Obstbau, sowie für den Weinbau und sogar die Waldwirtschaft Kennzahlen ausgearbeitet und in unsere Datenbank übertragen.

Sie hatten ein Pilotprojekt mit 50 Bauern in Niedersachsen, nun mit 1.000 Bauern bundesweit …
1.000 beteiligte Betriebe ist die Mindestgröße, damit wir danach verlässliche Aussagen über die Nachhaltigkeit und die Gemeinwohlleistungen von unterschiedlichen Gruppen von Betrieben machen können, etwa zu Betrieben verschiedener Größe oder Ausrichtung, also Viehhaltung, Waldwirtschaft, Ackerbau oder Gartenbau. Wir werden bei dem Projekt unter anderem auch vom Landwirtschaftsministerium Baden-Württemberg bei der Suche nach Betrieben, die mitmachen, unterstützt. Auch das Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Saarlandes hat mit uns ein erfolgreiches Pilotprojekt durchgeführt.

Wie ist die Resonanz der Bauern?
Bislang haben sich 350 Betriebe beteiligt, es werden jeden Tag mehr. Vor allem reagieren die Landwirte positiv auf ihr jeweiliges Ergebnis. Denn sie bekommen zum ersten Mal dokumentiert, welch gehörigen Beitrag für das Gemeinwohl sie leisten. Das stärkt das Selbstvertrauen der Bäuerinnen und Bauern. Das ist mir wichtig, denn das konkrete Sichtbarmachen ist die erste Stufe der Wertschätzung ihrer Arbeit. Zahlen sind greifbarer als warme Worte und ihre Forderung wird faktischer.

Welche Spannbreite sehen Sie in der Gruppe der konventionellen und Biobetriebe?
Die Betriebe bewegen sich zwischen 50 und 80 Prozent unseres Nachhaltigkeitsgrades. Das gilt für Biobetriebe und konventionelle Höfe. Es gibt eben nicht schwarz und weiß, jeder Betrieb erbringt Leistungen für das Gemeinwohl. Die Gruppe der Biobetriebe bewegt sich bisher zwischen einem Grad der Nachhaltigkeit von 60 bis 80 Prozent, bei den konventionellen sind es 50 bis 70 Prozent. Genaue Zahlen kann ich aber erst nach dem Abschluss des Projektes liefern. Wir können auch zeigen, dass der Nachhaltigkeitsgrad nicht von der Betriebsgröße abhängt.

Was würde das kosten?
Umgelegt auf jeden Bundesbürger jedes Jahr rund 200 Euro, wobei ich die 70 Euro für bereits aus Steuergeldern bezahlten EU-Ausgleichszahlungen davon abziehen würde. Das heißt, es bleiben 130 Euro, also rund 10 Euro pro Bundesbürger pro Monat. Diese Größenordnung halte ich für sozial vertretbar, zumal die Produkte am Markt dadurch etwas günstiger werden dürften, ohne einen Schaden anzurichten, wie es aktuell der Fall ist. Die eingangs erwähnten Schadenssummen werden immerhin auf circa 1.000 Euro pro Bundesbürger und Jahr beziffert. Schon die Zukunftskommission Landwirtschaft hat 2019 festgestellt, dass die Schadensvermeidung für die Volkswirtschaft wesentlich günstiger wäre als die Schadensbehebung. Die ZKL kommt übrigens zu einer ähnlichen Gesamtsumme wie wir.

Seit 15 Jahren entwickeln Sie ihren Ansatz – ist nun der Moment für die Umsetzung gekommen?
Selbst Bauernpräsident Joachim Rukwied redet ja im Zusammenhang mit der zukünftigen GAP von Vergütung für Gemeinwohlleistungen. Cem Özdemir redet über Gemeinwohlleistungen, Robert Habeck weist auf die Bedeutung der Landwirtschaft für das Gemeinwesen hin. Viele Kommentatoren sagen es und auch für die Liberalen wäre die Methode annehmbar, denn es werden erbrachte Leistungen bezahlt und keine Subventionen vergeben. Es liegt in der Luft. Wenn wir Glück haben in den nächsten Tagen und Wochen, kriegen wir es vielleicht hin, dass die Rolle der Bäuerinnen und Bauern für das Gemeinwohl mehr Menschen bewusst und anerkannt wird. Es braucht Lösungen für die grundlegenden Probleme der Landwirte. Unser Ansatz wäre eine Lösung, aber er ist noch zu wenig bekannt.

Wie weit die Idee in anderen Ländern bereits verfolgt wird, lesen Sie in der Langfassung.

  • Gemeinsamer Wohlstand
  • Landwirtschaft
  • Nachhaltigkeit

Analyse

Özdemirs Ernährungsstrategie im Kabinett: Höhere Standards in Kantinen und EU-weiter Beschluss für Nachhaltigkeitslabel gefordert

“Gutes Essen für Deutschland”: Unter diesem Motto steht die Ernährungsstrategie der Bundesregierung, die das Bundeskabinett am heutigen Mittwoch beschließen soll. Der Termin war überraschend vom 24. Januar vorgezogen worden. Viel Verbindliches wird das Strategiepapier nicht enthalten. Zu unterschiedlich sind die Positionen der Koalitionspartner, zu zersplittert die Zuständigkeiten zwischen unterschiedlichen Ministerien und staatlichen Ebenen. Table.Media liegt der 63-seitige Entwurf des Bundesagrarministeriums (BMEL) vom 10. November 2023 vor – es ist die Fassung, die Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) in die Ressortabstimmung mit den anderen Ministerien gegeben hat.

Über den vorgeschlagenen Maßnahmen steht eine “Vision”, die bereits zeigt: Für allzu viel Ambition ist in einer gemeinsamen Ampel-Strategie kein Platz. “Bis 2050 ist es für alle Menschen in Deutschland möglich und einfach, sich gut zu ernähren”, lautet die Zielsetzung. Mehr als ein Vierteljahrhundert Zeit also, um das Ernährungssystem gesundheitsfördernder, pflanzenbetonter und nachhaltiger zu machen – kurz: “auf Vorsorge anstatt auf Reparatur” auszurichten, wie es in der Strategie heißt.

Höhere Standards für Kantinen

Einen wesentlichen Hebel dafür sieht das BMEL in der Außer-Haus-Verpflegung: Bis 2030 sollen die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in der Gemeinschaftsverpflegung verbindlich werden. Zunächst durch Förder- und Modellprojekte, doch “auch regulatorische Maßnahmen werden geprüft”, heißt es im Entwurf. Die Möglichkeiten des Bundes sind jedoch begrenzt, zuständig für Pflicht-Vorgaben für Kitas und Schulen wären die Länder. Auch das Ziel, den Bio-Anteil in Gemeinschaftsküchen bis 2030 auf “mindestens 30 Prozent” zu steigern, bleibt vom guten Willen der Beteiligten abhängig.

Eines der großen Ziele der Strategie ist die pflanzenbetonte Ernährung. Gemeinschaftsküchen sollen vorangehen, doch dabei belässt es das BMEL nicht. Es will die bestehende Eiweißpflanzenstrategie zu einer “Proteinstrategie für Deutschland” weiterentwickeln und neben Hülsenfrüchten auch den Anbau und die Verwertung von Nüssen und Pilzen fördern. Eine “Innovationsförderung für Hersteller” soll pflanzliche Alternativen zu tierischen Lebensmitteln fördern. Kämen diese verstärkt in den Markt, verschärfe sich der Wettbewerb zwischen den Anbietern und die Preise für Verbraucher fielen, so die Hoffnung. Außerdem plädiert das BMEL dafür, dass mit dem EU-Schulprogramm auch der Absatz pflanzlicher Drinks subventioniert und die EU-Beihilfen für Gemüse und Obst an Schulen erhöht werden.

Kein deutschlandweites Nachhaltigkeitslabel

Eine ganze Reihe von Vorschlägen bezieht das BMEL auf die Kennzeichnung von Lebensmitteln:

  • Der Nutri-Score soll EU-weit verbindlich und auch als Label für Gerichte in Restaurants und Kantinen eingeführt werden.
  • Herkunftsangaben sollen auch für die Rohstoffe verarbeiteter Lebensmittel Pflicht sein. Auch dies obliegt zunächst der EU – doch falls eine Initiative aus Brüssel ausbleibe, will das BMEL “nationale Regelungen (…) auf den Weg bringen”.
  • Die vielen privaten Regionalitätssiegel sind dem Ministerium zu unübersichtlich. Ohne Details zu nennen, schlägt es vor, den “Regelungsspielraum” zu nutzen, um Transparenzstandards einzuführen oder die Auslobung von Regionalität enger zu bestimmen.
  • Ein nationales Nachhaltigkeitskennzeichen lehnt das BMEL dagegen ab und plädiert stattdessen für eine EU-einheitliche Lösung.

Damit weicht das Özdemir-Ministerium auch von den Vorstellungen des Bürgerrats Ernährung ab. Das vom Bundestag eingesetzte Gremium aus 160 gelosten Bürgern hatte am Sonntag die Forderung nach einem Kennzeichnen zu den Aspekten Klima, Tierwohl und Gesundheit als zweitwichtigste Empfehlung präsentiert. Ein reines Klimalabel sieht das BMEL in seinem Entwurf der Ernährungsstrategie zumindest “perspektivisch” vor – zuvor müssten jedoch Daten zu regionalen Bedingungen, Transportwege und die unterschiedlichen Produktionsweisen vorliegen. Im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sollen gesetzliche Maßnahmen geprüft werden, vor allem um Lebensmittelspenden leichter zu machen. Außerdem werde man in Zukunft die Verluste auch in der chemischen Industrie sowie in der Tierfutterproduktion erfassen.

Reduktionsziele für Zucker und Fett bleiben unverbindlich

Für eine gesündere Ernährung will das BMEL weiter an der bestehenden Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz schrauben. Was bisher erreicht wurde, beschreibt der Entwurf als zu wenig. Bis Ende 2024 sind daher neue Reduktionsziele geplant – die aber unverbindlich bleiben. Weitere Vorhaben würden die Ernährung stärker im Gesundheitswesen verankern, um die Prävention von Übergewicht, Mangelernährung und nicht-übertragbaren Krankheiten zu verbessern. Ein “verpflichtendes Screening auf Mangelernährung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen” ist erwünscht – die nötigen Entscheidungen erhofft sich das BMEL jedoch von der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen.

Wie von Özdemir schon im Vorfeld angekündigt, legt der Entwurf einen Schwerpunkt auf den sozialen Aspekt von Ernährung, der “in Deutschland zu lange ausgeblendet” worden sei. Eine “Frage der Gerechtigkeit” sei es, vor allem Kinder aus armutsbetroffenen Haushalten den “Zugang zu guter Ernährung” zu erleichtern. Wie, bleibt jedoch offen. Um die Zahl der von Ernährungsarmut Betroffenen, ihre Nährstoffversorgung und Gesundheitssituation besser zu erfassen, “prüft die Bundesregierung die Installation eines Monitorings“, heißt es in dem Entwurf. Zudem soll eine interministerielle Projektgruppe “effektive Maßnahmen” erarbeiten. Mit sozialpolitischen Ideen hält sich die Ernährungsstrategie indes zurück: In Bezug auf die Regelleistungen für Transferempfänger etwa verweist sie knapp auf das zuständige BMAS.

Steuerliche Maßnahmen bleiben außen vor

So ist auch interessant, was nicht in dem Entwurf steht. Fiskalische Maßnahmen (Zuckersteuer, Mehrwertsteuerreform) blieben ebenso außen vor wie das Thema Tierschutz in der Nutztierhaltung. Bei der Lebensmittelwerbung und der Bio-Förderung verweist er vor allem auf laufende Maßnahmen. Insgesamt überwiegen Absichtserklärungen, Prüfaufträge, Forschungsvorhaben sowie die Auflistung bereits bestehender Maßnahmen. Konkrete Pläne müssen aus der Strategie erst folgen.

Um dafür eine Struktur zu haben, schlägt das BMEL eine interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) “Nachhaltige und gesundheitsförderliche Ernährung” unter eigener Federführung vor. Zudem möchte das Ministerium Bund, Länder und Kommunen besser vernetzen – von 2025 an alle zwei Jahre auch mit einem “Deutschen Ernährungstag”.

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Kostenloses Essen an Schule und Kita: Was die Bürgerratforderung bedeutet

Für Eltern sind Diskussionen über Qualität und Preis des Mittagessens an Schule oder Kita ein Dauerbrenner. Nun hat der Bürgerrat Ernährung die politische Debatte dazu neu befeuert. Künftig sollen alle Kinder gesund und vor allem kostenlos verpflegt werden: So lautet die wichtigste von insgesamt neun Empfehlungen, die die 160 ausgelosten Bürger dem Bundestag am Sonntag mit auf den Weg gaben.

Aussagekräftige Studien zur Qualität der Mittagsverpflegung sind rar und liegen bereits länger zurück. 2014/2015 hatte die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) im Auftrag der Bundesregierung bundesweit 760 Schulspeisepläne analysiert. Zu viel Fleisch und Wurst, zu wenig Obst, Gemüse, Fisch und Vollkorn, so das Fazit. Eine zweite Untersuchung der HAW bemängelte, dass viele Kita-Mahlzeiten die empfohlenen Mengen für wichtige Nährstoffe unterschritten. Seit Jahren fordern Bundesernährungsminister unterschiedlicher Couleur daher unisono, dass die eigens für Gemeinschaftsküchen entwickelten Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) angewandt werden sollten.

Qualitätsstandards bisher kaum umgesetzt

Genau dafür trommelt auch der Bürgerrat: die DGE-Kriterien als “Mindeststandard”, dazu ein Bio-Anteil von mindestens 30 Prozent und idealerweise Lebensmittel aus regionaler und saisonaler Produktion. Ob diese Empfehlung die Chancen auf garantiert gesunde Mittagessen erhöht, ist offen. Denn die politische Zuständigkeit liegt nicht beim Bund, sondern bei den Bundesländern. Nur fünf jedoch – Berlin, Bremen, Hamburg, das Saarland und Thüringen – haben die DGE-Standards bisher verpflichtend eingeführt. Andere scheuen sich vor den Kosten und mehr wohl noch davor, die Kommunen und Einrichtungen mit Essensvorgaben zu behelligen.

Entsprechend folgenlos blieb alles, was der Bund bisher unternahm. CDU-Politikerin Julia Klöckner unterschrieb zum Ende ihrer Amtszeit als Bundesernährungsministerin sogar eine Verpflichtungserklärung im Zuge des deutschen Beitritts zu der von Finnland initiierten, internationalen “School Meals Coalition“. Das erklärte Ziel: gesundes Essen “jeden Tag für jedes Kind”. Einen Plan, diesen Anspruch in Deutschland umzusetzen, entwickelte Klöckner nicht. Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es nur vage, man wolle die DGE-Standards in der Gemeinschaftsverpflegung “etablieren“. Zur Umsetzung hat Ernährungsminister Cem Özdemir in den Eckpunkten seiner Ernährungsstrategie Fördermittel und einen Modellregionen-Wettbewerb angekündigt. Mehr ist scheinbar von Bundesseite nicht drin.

Berlin als Vorbild

Der Bürgerrat geht über den Ruf nach verbindlicher Qualität hinaus: Spätestens nach einer Übergangszeit von acht Jahren soll das Mittagessen für alle Kinder kostenlos sein, und zwar – um Stigmatisierung zu vermeiden – unabhängig vom Einkommen der Eltern. In Zeiten knapper Kassen legt das die Hürden für eine Umsetzung noch höher.

Doch es gibt bereits ein Vorbild – ausgerechnet die klamme Hauptstadt. Seit 2019 bietet Berlin allen Grundschülern (Klassenstufen 1 bis 6) ein kostenloses Essen. Berlin hat zudem einen Bio-Anteil von 50 Prozent vorgegeben und einen Festpreis von derzeit 4,36 Euro pro Essen bestimmt – Caterer konkurrieren bei Ausschreibungen damit nur noch um die Qualität, nicht mehr um den niedrigsten Preis. Was als Leuchtturmprojekt oft gelobt wird, hat auch seine Schwächen. Eine vom Senat beauftragte Untersuchung legt nahe, dass die Lebensmittelabfälle an Berliner Grundschulen deutlich höher liegen könnten als in anderen Bundesländern. Offenbar erfordert ein kostenloses Essen ein ausgeklügeltes Bestellsystem, damit keine Mahlzeiten bestellt und nicht abgeholt werden.

Nordische Länder machen gute Erfahrungen

Der Bürgerrat indes kann sich auch auf Daten aus anderen Ländern berufen:

  • Finnland und Schweden machen bereits seit Jahrzehnten positive Erfahrungen mit kostenlosen Mahlzeiten für Kinder an staatlichen Einrichtungen. Gerade in Schweden sind die Effekte des gesunden Angebots durch Langzeitstudien gut untersucht – und durchaus eindrucksvoll: Kinder, die während ihrer gesamten Schulzeit ein ausgewogenes Gratisessen erhalten hatten, waren als Erwachsene größer und gesünder. Sie erreichten zudem einen höheren Bildungsstand und ein um drei Prozent höheres Lebenseinkommen als Kinder, die das Schulessen nicht erhielten. Kinder aus armen Haushalten profitierten besonders.
  • In einem Ende 2021 publizierten Report der Rockefeller Foundation errechneten Ökonomen für die USA, dass der Staat für jeden US-Dollar Investition in das Schulessen zwei Dollar zurückerhält. Dahinter steckt die begründete Annahme, dass eine ausgewogene Mittagsverpflegung vor allem Kindern aus einkommensschwachen Familien zu einer gesünderen Entwicklung (und damit höheren Bildungschancen) verhilft und über alle Einkommensschichten hinweg ernährungsbedingten Krankheiten vorbeugen würde. Diese belasten auch das deutsche Gesundheitssystem mit Milliardensummen.

Lastenteilung zwischen Bund und Ländern schwierig

Das Problem bleibt aber: Mögliche Benefits für den Staat fallen nicht auf derselben staatlichen Ebene an, auf der die Kosten entstehen. Und die sind erstmal immens, wie der Wissenschaftliche Beirat des BMEL (WBAE) kalkuliert hat. In seinem Nachhaltigkeitsgutachten von 2020 forderte er ebenfalls eine beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung und rechnete vor, dass die laufenden Kosten bundesweit bei 10,2 Milliarden Euro lägen.

Knapp die Hälfte dieser Summe fiel bereits an, weil Länder und Kommunen das Essen vielerorts längst bezuschussen. 5,5 Milliarden Euro pro Jahr aber wären zusätzlich zu stemmen, hinzu kämen noch Investitionen in Küchen und Kantinen. Die Rechnung ist fast vier Jahre alt und damit sicher überholt – seither stiegen die Preise wie auch die bereits geleisteten staatlichen Zuschüsse. Eine Größenordnung aber zeigt sie auf. Geht es nach dem Bürgerrat, soll der Bund die Hälfte der Kosten tragen und dafür zum Beispiel auf geplante Kindergelderhöhungen verzichten.

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Bauernproteste: So will das Ampelbündnis die Zukunft der Landwirtschaft gestalten

Die Ampelfraktionen haben sich auf ein Papier für die Zukunft der Landwirtschaft geeinigt. Inhaltlich bleibt der Beschluss, der Table.Media vorliegt, aber vage. Andernfalls wäre dieser innerhalb der Fraktionen nicht zustimmungsfähig gewesen. Einen wesentlichen Erfolg können die protestierenden Bauern trotzdem verbuchen: Ihre Belange rutschen weiter nach oben auf der Agenda der Bundesregierung. Noch im ersten Quartal 2024 wolle der Bundestag “konkrete Vorhaben listen” und diese bis zum Sommer beschließen.

“Das Gespräch mit den Landwirtschaftsverbänden am Montag mündet jetzt in konkrete Arbeitsaufträge”, verkündeten die stellvertretenden Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen Matthias Miersch (SPD), Julia Verlinden (Grüne) und Carina Konrad (FDP) im Anschluss an die Verhandlungen. Sowohl die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft als auch, die der Borchert-Kommission sollen, eine zentrale Rolle spielen, um “bis zum Sommer ein Gesetzespaket zu entwickeln”, so die Miersch, Verlinden und Konrad weiter.

Tempo beim AgrarOLkG

Tempo soll jetzt beispielsweise bei der Weiterentwicklung des Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetzes (AgrarOLkG) als auch bei einem Verordnungsentwurf zur Gestaltung von Lieferbeziehungen im Milchmarkt gemacht werden, teilen gut informierte Kreise mit. In ihrer Einigung halten die Ampelfraktionen fest, dass Erzeuger “durch die große Konzentration im Lebensmittelmarkt eine schwächere Stellung in der Wertschöpfungskette haben und ihre Kosten häufig nicht direkt weitergeben können”. Zudem sei für “die seit 40 Jahren abnehmende Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe eine jahrzehntelange verfehlte Agrarpolitik ursächlich”. Die aktuellen Proteste seien auch Ausdruck dieser verfehlten Entwicklungen.

An sieben Stellschrauben will die Ampel laut ihrem Papier “im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel” zügig drehen, um die Landwirtschaft “zukunftsfest” zu machen.

  • Wie kann der Landwirtschaft durch Bürokratieabbau effizient und monetär geholfen werden? Im Rahmen sogenannter Praxis-Checks sollen sämtliche behördliche Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene einer Prüfung auf Effizienz und Wirksamkeit zugeführt werden.
  • Wie kann die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe in der Wertschöpfungskette unter anderem im Agrarorganisations- und Lieferkettengesetz gestärkt werden?
  • Wie kann eine verlässliche Finanzierung für die tierwohlgerechte Tierhaltung sichergestellt werden?
  • Wie kann den landwirtschaftlichen Betrieben vor dem Hintergrund von Flächenkonkurrenzen und Preisentwicklung der Zugang landwirtschaftlichen Nutzflächen erleichtert werden?
  • Wie kann der Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmitteln so gesichert werden, dass Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit gewährleistet sind?
  •  Wie kann die Einführung von alternativen Antrieben und Treibstoffen für landwirtschaftliche Maschinen unterstützt werden?
  • Welche allgemeinen steuerlichen Maßnahmen bieten sich an, um landwirtschaftliche Betriebe zu entlasten und resilienter zu machen?

Die Zeichen für eine Einigung bei der Tierwohlabgabe stehen ebenfalls gut. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wittert jedenfalls seine Chance, um das Konzept seines Ressorts für die Abgabe, das nach gut informierten Kreisen längst bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf dem Tisch liegen soll, durchsetzen zu können. Der Grünen-Politiker sagte am Dienstag in Berlin: Der seit langem diskutierte Tierwohlcent müsse jetzt kommen. Sein Ministerium und das Finanzministerium könnten ein Modell dafür schnell aufschreiben, so Özdemir weiter. Aber dazu brauche es jetzt ein “klares Bekenntnis” der gesamten Ampel und die Unterstützung der Opposition, sagte Özdemir. “Wer sich da vom Acker macht, zeigt der Landwirtschaft die rote Karte.” has

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Gesine Langlotz: “Dieser Beruf ist ein riesiges Abenteuer”

Gesine Langlotz (29) ist Baumwirtin und arbeitet als Ausbilderin an der Obstbaumschnittschule in Erfurt.

Bevor Gesine Langlotz über die Landwirtschaft und die aktuellen Proteste spricht, ist ihr eine Klarstellung wichtig: “‘Die Bauern gibt es nicht. Man muss ganz klar unterscheiden zwischen klein- und mittelständischen Betrieben und der Agrarindustrie.” Mit der Industrie hat die 29-jährige Thüringerin nicht viel am Hut. Auch deshalb engagiert sie sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Mitteldeutschland (AbL). Derzeit befindet sich die gelernte Baumwirtin im Übernahmeprozess eines eigenen Hofes in Thüringen. Dort will sie in Zukunft Obstbau und Agroforstwirtschaft betreiben.

Den großen Bruder der AbL, den mächtigen Deutschen Bauernverband (DBV), sieht sie mit gemischten Gefühlen. Er sei ein “komplexes, großes Schiff”. Einerseits lobt sie dessen Arbeit an der Basis. Die Beratungs- und Sozialleistungen für die Landwirte seien gut. Auch am Engagement der Regional- und Kreisverbände will sie nicht rütteln. Kritischer sieht sie hingegen die Verbandsspitze. “Grundsätzlich muss man sagen, dass dort oft agrarindustrielle Interessen vertreten werden”, sagt Langlotz. “Deshalb hat es auch immer wieder Austrittswellen gegeben.”

Die Rolle des DBV bei den Bauernprotesten sieht sie differenziert. Einerseits sei es gut gewesen, dass der Unmut und die Empörung der Bauern auf die Straße getragen wurden. Die teilweise Rücknahme der pauschalen Subventionskürzungen sei ein Erfolg. Aber sie hätte sich schon gewünscht, dass konkrete Inhalte eine größere Rolle gespielt hätten – etwa die Marktordnung und der Milchpreis, die Rolle des Lebensmitteleinzelhandels oder die aus ihrer Sicht dringend notwendigen Agrarstrukturgesetze.”Aber ich habe das Gefühl, dass der Bauernverband explizit darüber nicht reden will.”

Bei der AbL sieht das anders aus. Für den Landesverband Mitteldeutschland, der im Jahr 2009 gegründet wurde und die Bundesländer Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt umfasst, sind die Verzerrungen am Bodenmarkt und die Vergabe des öffentlichen Landes im Sinne des Gemeinwohls zentrale Themen.

“Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich der Pacht- und Kaufpreis von Ackerland rasant verteuert“, beklagt Langlotz. Verantwortlich dafür seien oft außerlandwirtschaftliche Investoren, die vor allem in Ostdeutschland riesige Flächen aufgekauft haben. “Heute kann sich keine normale Landwirtin und kein normaler Bauer mehr Land leisten, Gründerinnen und Junglandwirte schon gar nicht.”

Für Langlotz ist das ein wichtiger Grund, warum die Bauern so unter Druck stehen. Wie soll ich, fragt sie, nachhaltig und klimaangepasst wirtschaften, wenn ich diese riesigen Pachten oder einen überhöhten Kaufpreis zahlen muss und hoch verschuldet bin? Umso wichtiger seien Agrarstrukturgesetze, die diesen Ausverkauf verhindern. In Sachsen steht ein solches Gesetz derzeit kurz vor der Verabschiedung.

Landwirtschaft ist die Grundlage aller Dinge

Man merkt, dass ihr das Thema Boden besonders am Herzen liegt. Zusammen mit zwei Kolleginnen und dem Konzeptwerk Neue Ökonomie hat sie im April 2023 das Dossier “Gerechte Bodenpolitik” veröffentlicht. Auch am Bodenatlas 2024, der gerade vorgestellt wurde, hat sie mitgearbeitet. Der Beitrag trägt den Titel “Bodenausverkauf: Nur eine Ware?”.

Neben der Bodenpolitik müsse sich aber auch die Preispolitik dringend ändern, so Langlotz. Sie spricht von einer “Übermacht des Lebensmitteleinzelhandels”. Dessen “Preisdiktat” müsse gebrochen werden, um Preis- und Planungssicherheit für die Landwirte zu schaffen und dafür zu sorgen, dass mehr Gewinne bei den Erzeugern bleiben – und nicht vor allem in die Taschen der Lebensmittelindustrie und der Supermarktketten fließen.

Ein weiterer Punkt seien gezielte Investitionen in die Landwirtschaft. “Der Umbau kann nicht von den Höfen alleine geschultert werden”, ist sie sich sicher. Dafür brauche es Förderungen. “Aber diese Subventionen müssen gut gelenkt werden, damit sie auch wirklich bei den Höfen ankommen.”

Langlotz ist es wichtig, dass die Landwirtschaft nicht nur als Teil der Wirtschaft gesehen wird, sondern auch die entsprechende Wertschätzung erfährt. “Landwirtschaft ist die Grundlage aller Dinge. Wenn wir nichts zu essen haben, ist der Rest der Wirtschaft egal”, ist sie überzeugt. “Und die Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, müssen gut bezahlt werden”, genauso wie bei anderen Grundbedürfnissen wie in der Bildung oder der Gesundheit und Pflege.

“Eigentlich wünsche ich mir, dass alle Leute Lust haben, in der Landwirtschaft zu arbeiten, weil das ein toller Beruf ist.” Er sei vielfältig und herausfordernd, finde draußen und drinnen statt. Man müsse langfristig planen, aber auch immer wieder mit Notfällen umgehen. Zudem habe er mit Technik und Zahlen, mit Pflanzen, Menschen und Tieren zu tun. Außerdem sei man ständig dem Wetter ausgesetzt. “Eigentlich ist dieser Beruf ein riesiges Abenteuer“, sagt Langlotz. “Und ich hätte große Lust, mit mehr jungen Leuten auf dem Land zu arbeiten und zu leben. Aber dafür brauchen wir andere Verhältnisse.” Carsten Hübner

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Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Haushaltskrise, Bauernproteste, Debatte um rechtsextreme Instrumentalisierung – in eine agrarpolitisch aufregendere Zeit hätte der Vorsitz der Agrarministerkonferenz (AMK) für Susanna Karawanskij (Linke) wohl kaum fallen können. Als einzige Linken-Politikerin in dem Gremium hat Thüringens Landwirtschaftsministerin das Ruder der AMK zum Jahresbeginn übernommen. Mit uns spricht sie über die Instrumentalisierung der Bauernproteste, den Haushaltskompromiss der Bundesregierung und darüber, was die Landwirte ihrer Meinung nach jetzt am dringendsten brauchen – Planungssicherheit. Die will sie als Vorsitzende der AMK in diesem Jahr politisch erringen.  

    Ideen, wie Planungssicherheit geschaffen werden kann, hat der Sozialunternehmer Christian Hiß schon jetzt parat. Er schlägt vor, Landwirte jährlich mit durchschnittlich 1.000 Euro je Hektar zu kompensieren. Diese Summe entspreche laut Hiß den sogenannten Gemeinwohlleistungen, die Bauern erbringen. Mein Kollege Caspar Dohmen hat den Sozialunternehmer nach den Details gefragt.

    Bei der Ernährungsstrategie der Bundesregierung tut sich etwas. Die bereits für das vergangene Jahr versprochene Strategie hatte es Mitte November zwar in die Ressortabstimmung geschafft, war dann aber nicht mehr wie angekündigt zum Jahresende von der Bundesregierung beschlossen worden. Das wird das Bundeskabinett heute nachholen. Vor dem Beschluss zeigen wir, was das BMEL den anderen Ministerien vorgeschlagen hat.

    Außerdem hat sich die Ampelfraktion gestern auf ein Kompromisspapier für eine zukunftsfeste Landwirtschaft geeinigt, das Table.Media vorliegt. Darin bleibt diese zwar vage. Aber einige politische Vorhaben dürften durch die protestierenden Bauern ordentlich Rückenwind gewonnen haben, schreibt meine Kollegin Henrike Schirmacher.

    Ihre
    Merle Heusmann
    Bild von Merle  Heusmann

    Interview

    AMK-Chefin: “Ein angestautes Gefühl von zu geringer Wertschätzung innerhalb der Gesellschaft”

    Thüringens Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij hat zum neuen Jahr den AMK-Vorsitz übernommen.

    Proteste, Blockaden, Kundgebungen: So wie jetzt gerade haben die deutschen Landwirte ihrem Ärger schon lange nicht mehr Luft gemacht. Was macht die Bauern so wütend?

    Also dieser Frust, der sich jetzt bei den Landwirtinnen und Landwirten Bahn bricht, ist natürlich nicht unmittelbar nur auf diese Kürzungen beim Agrardiesel zurückzuführen. Sondern das ist ein sehr, sehr lange angestauter Frust und ein angestautes Gefühl von zu geringer Wertschätzung innerhalb der Gesellschaft, was da deutlich wird. Und diese Unzufriedenheit, das gehört auch zur Wahrheit dazu, ist nicht nur auf die jetzige Regierung gemünzt, sondern ist bereits auch unter der Vorgängerregierung deutlich geworden. Der Transformationsprozess in der Landwirtschaft ist bislang nur bruchstückhaft angegangen worden.

    Was genau ist da schiefgelaufen?

    Wir haben eine Veränderung in der Finanzierung der Landwirtinnen und Landwirte. Wir kommen von einem System mit Agrarsubventionen und Direktzahlungen, die in der Vergangenheit Einkommensstütze hieß. Es war klar: Sichere und für alle zugängliche, kostengünstige Lebensmittel werden entsprechend gestützt, werden mitfinanziert von der Gemeinschaft, also auf der europäischen Ebene. Und das wandelt sich jetzt Stück für Stück hin zu Direktzahlungen, die mit Forderungen verknüpft sind – mit Öko-Regelungen, Auflagen – ohne dass eigentlich der Fahrplan und damit die Planbarkeit für die Landwirtinnen und Landwirte für die Zukunft klar ist. Mein Eindruck ist, wenn ich mit Landwirten und Landwirtinnen spreche, dass sie sich gar nicht verwehren, diesen Transformationsprozess mitzugehen, sondern dass sie auch ein Interesse daran haben. Aber sie möchten, dass das, was sie als Investition jetzt anfassen, auch in drei Jahren, in fünf Jahren, in zehn Jahren Bestand hat und sie entsprechend produzieren können und einen Absatz ihrer Produkte finden. Und daher kommt meines Erachtens der angestaute Frust. Wir müssen deshalb wieder hin zu einer Planungssicherheit für die Betriebe. Das ist der Schwerpunkt, den ich auch gerne in der Agrarministerkonferenz (AMK) setzen möchte.

    Akteure aus dem rechtsextremen Spektrum haben in den vergangenen Tagen versucht, die Proteste zu instrumentalisieren. Was schlagen Sie als Linken-Politikerin und Thüringerin vor: Welche Antwort muss die Politik darauf finden?

    Na ja, wenn man eine Veranstaltung angemeldet hat, ist es schon schwierig, das zu kontrollieren. Ich fand es gut, dass sich der Deutsche Bauernverband zügig positioniert hat und davon abgegrenzt hat. Er könnte es für meinen Geschmack noch stärker tun, das gebe ich ehrlich zu. Und er könnte sich auch mit demokratischen Kräften verbinden, die in dem Bereich aktiv sind. Wir haben in Thüringen zum Beispiel die Plattform Weltoffenes Thüringen. Die Überlegung wäre also, ob man nicht auch mit anderen demokratischen Kräften dort noch stärker in Erscheinung tritt, um zu zeigen, es geht um die Sache und es geht nicht um Umsturzfantasien von Antidemokraten. Aber wir haben es auch erlebt, dass der Bauernverband versucht hat, sich abzugrenzen. Natürlich sind diese rechtsextremistischen Akteure aber trotzdem da.

    “Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, sich mit den Landesministern abzustimmen”

    Inwiefern ist denn die Agrarministerkonferenz, der sie seit Jahresbeginn vorsitzen, jetzt auch mit den Forderungen der Landwirte befasst? 

    Vergangene Woche hatten wir eine Sonderagrarministerkonferenz, bei der wir uns unter den Ländern verständigt haben und der Bund seinen Vorschlag zum Haushalt 2024 präsentiert hat. Es wäre vielleicht gut gewesen, das auch im Vorfeld schon miteinander zu besprechen. Das ist eine Stilfrage. Sicherlich werden die Proteste nun auch auf der Grünen Woche eine Rolle spielen – vor deren Hintergrund ja auch die Amtschef-Konferenz am 17. Januar stattfindet. Es gibt den Haushaltsvorschlag der Bundesregierung, der natürlich jetzt auch im Bundestag beschlossen werden muss. Das eine sind die Proteste und die konkreten Forderungen, die jetzt mit diesen Kürzungen zusammenhängen. Das andere ist es, Perspektiven, die die Landwirtinnen und Landwirte einfordern, zu bieten – und zwar nicht nur für den kommenden Haushalt, sondern für die nächsten Jahre.

    Sie haben gerade angedeutet, dass Sie den Vorschlag, mit dem die Bundesregierung den Bauern entgegengekommen ist, gerne schon vorher gesehen hätten. Höre ich da Kritik?  

    Na ja, die Kritik betrifft einmal die Stilfrage. Gleichzeitig wirkt die Kompromisslösung so inkonsequent. Also es ist nicht nachvollziehbar, warum der Agrardiesel mit dieser Stufenregelung doch hochbesteuert werden soll und gleichzeitig aber das Flugbenzin nicht. Das sind Inkonsistenzen, bei denen die Bundesregierung besser beraten wäre, nachvollziehbarer zu handeln. Beim Agrardiesel war die Idee, die Landwirtinnen und Landwirte von einer Besteuerung auszunehmen. Das war keine direkte Subventionierung. Warum aber nun beispielsweise Flugreisen über die Kerosinsteuer in Zukunft nicht besteuert werden und Nahrungsmittelproduktion schon, das ist nicht erklärbar. Die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, sich mit den Landesministern abzustimmen – gerade was auch diese Kompromisslösung betrifft, die ja durchaus überraschend kam.

    Um den demonstrierenden Bauern Zugeständnisse zu machen, hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir unter anderem den Rotstift beim Waldumbau angesetzt. Sie haben für Ihre Zeit als Vorsitzende der AMK angekündigt, darauf den Fokus legen zu wollen. Wie bewerten Sie es, dass die Bundesregierung nun ausgerechnet beim Waldumbau kürzen will?

    Also ich verstehe ja die Not, einen Haushalt am Ende irgendwie aufstellen zu müssen. Und wenn man dann Einsparungen vollziehen muss, ist eben jeder Bereich betroffen. Bei dem, was darunter liegt – jetzt ganz konkret im landwirtschaftlichen Bereich – halte ich es für schwierig bis falsch, das Eine gegen das Andere auszuspielen. Ich kann Ihnen ein konkretes Beispiel geben, warum ich es für falsch halte, im forstlichen Bereich zu streichen. Thüringen ist einer der Hotspots, was die Borkenkäfer-Kalamitäten in den letzten Jahren betrifft. Mittlerweile geht es um eine Fläche von 110.000 Hektar, die bei uns dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen sind. Die Flächen müssen wieder aufgeforstet werden. Und diese Kalamität macht natürlich nicht an Landesgrenzen Halt. Wir haben mit dieser explodierenden Borkenkäfer-Kalamität zu tun, weil die Bäume dem Klimawandel nichts entgegenzusetzen haben. Wir müssen deshalb auch diesen Transformationsprozess weiterhin fördern.

    “Dieses Vertrauen muss wieder geschaffen werden”

    Und jenseits des Waldumbaus, wo werden Sie sonst noch Schwerpunkte setzen als AMK-Vorsitzende?

    Ich hoffe, dass wir diesen Handlungsdruck dahingehend nutzen, dass wir vor allen Dingen Planungssicherheit für die Landwirtinnen und Landwirte schaffen. Also dieses Vertrauen muss wieder geschaffen werden, dass nicht gleich wieder alle Regelungen geändert werden oder neue zusätzliche Regelungen hinzukommen. Denn man darf nicht vergessen: Mit der neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) sind ja nicht nur neue Dokumentationspflichten, sondern auch ein großer Brocken an Digitalisierung eingeführt worden. Und es läuft noch nicht alles so rund, wie man sich das gerne vorstellt oder wie man sich das wünscht. Bei der GAP müssen wir also weiter miteinander diskutieren und verhandeln. Da gibt es sehr, sehr unterschiedliche Vorstellungen. Ein anderer großer Bestandteil ist die Tierwohlförderung. Beim Thema Stallumbauten muss klar sein, wohin die Reise geht, welche Förderkulisse zur Verfügung steht und welche Haltungsstufen dann auch in Zukunft vom Handel nachgefragt werden und wie gebaut werden kann. Das wird dann auch ein Schwerpunkt der Herbst-AMK im thüringischen Oberhof sein.

    Gerade bei der GAP hatte sich die AMK bis zuletzt schwer damit getan, sich auf Anpassungen der Förderregelungen zu einigen. Sie sind zurzeit die einzige Linken-Politikerin in dem Gremium und nun dessen Vorsitzende. Wird das die Entscheidungsfindung der AMK nicht zusätzlich erschweren?

    Nun, also so ein Vorsitz der AMK ist natürlich auch an eine gewisse moderative Rolle gebunden. Es geht darum, Kontakt zum Bundesminister zu halten. Man darf nicht vergessen, wie bunt die AMK mit Blick auf das Parteienspektrum besetzt ist. Wir haben das Einigkeitsprinzip, das heißt, alle Beschlusslagen werden im Konsens miteinander geführt. Also insofern ist es schon auch ein Austarieren und ein Moderieren, was dann das ganze Spektrum auch abbildet. Das ist so in der Agrarministerkonferenz.

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    Christian Hiß: Bauern sollten für Gemeinwohlleistungen im Schnitt 1.000 Euro je Hektar erhalten

    Christian Hiß ist Geschäftsführer der Firma Regionalwert Leistungen GmbH und war selbst lange als Gemüsebauer und Landwirt tätig.

    Haben Sie die Bauernproteste überrascht?
    Grundsätzlich überhaupt nicht. Schließlich kenne ich seit Jahrzehnten das Spannungsfeld von Rentabilität, landwirtschaftlicher Produktion und Betriebsführung, in dem sich die Bauern bewegen, aus eigener Erfahrung. Aber der Zeitpunkt und der Diesel als Auslöser und die Wucht des Protests haben mich überrascht. Tatsächlich benötigen die Landwirte aber eine wesentlich umfassendere Honorierung ihrer Arbeit als einen ermäßigten Steuersatz auf Diesel, was umgelegt auf Flächen etwa 25 Euro je Hektar sind. Sie brauchen meiner Ansicht nach sogar mehr als die 350 Euro, die sie heute im Schnitt durch die europäische Agrarpolitik an Subventionen bekommen.

    Ginge es nach Ihnen, dann würden die Bauern für ihren Aufwand für das Gemeinwohl Geld erhalten. Wie passt das damit zusammen, dass die Landwirtschaft in immensem Umfang die Umwelt schädigt? Die Unternehmensberatung Boston Consulting veranschlagt diese negativen externen Effekte in Deutschland auf mindestens 90 Milliarden Euro jährlich.
    Genau, umgelegt ungefähr 6.000 Euro je Hektar. Aber bei aller berechtigter Kritik, Bäuerinnen und Bauern investieren auf der anderen Seite schon immer einen gehörigen Aufwand in den Schutz der Ökosysteme und anderer Gemeingüter. Aber dieser Aufwand ist bisher in den betriebswirtschaftlichen Zahlen nicht sichtbar und wird deshalb als selbstverständlich hingenommen. Wir beziffern den betriebswirtschaftlichen Wert der Leistungen der Betriebe auf durchschnittlich 1.000 Euro je Hektar und Jahr. Der Wert variiert, weil er unter anderem von der Art der Bodennutzung abhängt. Bei Sonderkulturen wie dem Gemüsebau haben wir Gemeinwohlleistungen der Betriebe je Hektar von 5.000 bis 8.000 Euro berechnet. Die Leistung erfolgt dort konzentrierter, weil die Wertschöpfung, aber auch der Aufwand pro Hektar wesentlich höher ist als zum Beispiel bei Grünland.

    1.000 Euro sollte jeder landwirtschaftliche Betrieb im Schnitt je Hektar von der Allgemeinheit erhalten, sagen Sie. Das ist eine Menge Geld.
    Aber es wäre gerecht und angemessen. Denn die Landwirte investieren durchschnittlich eben in dem Umfang in die Gemeingüter, in dem sie beispielsweise die Ökosysteme erhalten oder die Versorgung mit Nahrungsmitteln sichern. Dafür sollten sie explizit und direkt bezahlt werden, sonst können die Betriebe diese Leistungen nicht mehr erbringen

    Wie gehen Sie bei der Berechnung dieser Gemeinwohlleistungen vor?
    Wichtig ist: Wir berechnen nicht den Wert der Ökosysteme und deren Leistungen an sich in Geld. Das funktioniert auch gar nicht. Man kann beispielsweise den Wert eines fruchtbaren Bodens oder eines Rotkehlchens und seinen Lebensraum nicht in Geld ausdrücken. Außerdem verbietet es sich aus ethischen Gründen. Aber ich kann den Preis für die Bereitstellung von Leistungen berechnen, die ein Betrieb zum Schutz des Rotkehlchens aufbringt, indem er beispielsweise eine Hecke pflanzt oder kleinräumiger wirtschaftet und Randstreifen anlegt. Das ist eine wirtschaftliche Tätigkeit, sie löst Aufwand und Kosten aus und wird damit automatisch eine betriebswirtschaftliche Größe. Wir definieren diese als betriebswirtschaftliche Kennzahlen. Es geht uns im Grunde um die Erweiterung der Buchhaltung und betrieblichen Erfolgsrechnung mit Kennzahlen zum Schutze der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen auf der Ebene des Einzelbetriebes, das ist die entscheidende Neuheit.

    Was zählt dabei zu Gemeinwohlleistungen?
    Das ganze ESG-Spektrum, ökologische Aspekte wie Bodenfruchtbarkeit oder Artenerhalt genauso wie soziale Aspekte, beispielsweise die Ausbildung von Menschen oder die Bildungsarbeit über landwirtschaftliches Tun durch Führungen, und auch Kennzahlen zur wirtschaftlichen Souveränität. Das sind alles Maßnahmen, die Aufwand und Kosten verursachen, aber das langfristige Produktivvermögen erhalten. Bis heute werden sie in der Erfolgsrechnung als betriebswirtschaftliche Ineffizienzen betrachtet, was ein kolossaler Denkfehler ist und aus meiner Sicht die tiefer liegende Ursache für den Zorn der Bauern darstellt.

    Wie ermitteln Sie den konkreten Geldwert der Leistungen eines Betriebes?
    In einem aufwändigen Prozess über die vergangenen 15 Jahre haben wir gemeinsam mit einer Vielzahl von Bäuerinnen und Bauern ermittelt, was sie aufgrund ihrer Erfahrungen aufwenden würden, damit ihr Betrieb langfristig, das heißt nachhaltig produktiv bleibt. Aus diesem Erfahrungswissen und unter Zuhilfenahme von nationalen und internationalen Rahmenwerken haben wir 500 Leistungskennzahlen aus der ökologischen, sozialen und regionalökonomischen Dimension erstellt und einen Grad an Nachhaltigkeit von 100 Prozent definiert. Wir haben für alle gängigen Betriebszweige, wie Ackerbau, Nutztierhaltung, Gemüse- und Obstbau, sowie für den Weinbau und sogar die Waldwirtschaft Kennzahlen ausgearbeitet und in unsere Datenbank übertragen.

    Sie hatten ein Pilotprojekt mit 50 Bauern in Niedersachsen, nun mit 1.000 Bauern bundesweit …
    1.000 beteiligte Betriebe ist die Mindestgröße, damit wir danach verlässliche Aussagen über die Nachhaltigkeit und die Gemeinwohlleistungen von unterschiedlichen Gruppen von Betrieben machen können, etwa zu Betrieben verschiedener Größe oder Ausrichtung, also Viehhaltung, Waldwirtschaft, Ackerbau oder Gartenbau. Wir werden bei dem Projekt unter anderem auch vom Landwirtschaftsministerium Baden-Württemberg bei der Suche nach Betrieben, die mitmachen, unterstützt. Auch das Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Saarlandes hat mit uns ein erfolgreiches Pilotprojekt durchgeführt.

    Wie ist die Resonanz der Bauern?
    Bislang haben sich 350 Betriebe beteiligt, es werden jeden Tag mehr. Vor allem reagieren die Landwirte positiv auf ihr jeweiliges Ergebnis. Denn sie bekommen zum ersten Mal dokumentiert, welch gehörigen Beitrag für das Gemeinwohl sie leisten. Das stärkt das Selbstvertrauen der Bäuerinnen und Bauern. Das ist mir wichtig, denn das konkrete Sichtbarmachen ist die erste Stufe der Wertschätzung ihrer Arbeit. Zahlen sind greifbarer als warme Worte und ihre Forderung wird faktischer.

    Welche Spannbreite sehen Sie in der Gruppe der konventionellen und Biobetriebe?
    Die Betriebe bewegen sich zwischen 50 und 80 Prozent unseres Nachhaltigkeitsgrades. Das gilt für Biobetriebe und konventionelle Höfe. Es gibt eben nicht schwarz und weiß, jeder Betrieb erbringt Leistungen für das Gemeinwohl. Die Gruppe der Biobetriebe bewegt sich bisher zwischen einem Grad der Nachhaltigkeit von 60 bis 80 Prozent, bei den konventionellen sind es 50 bis 70 Prozent. Genaue Zahlen kann ich aber erst nach dem Abschluss des Projektes liefern. Wir können auch zeigen, dass der Nachhaltigkeitsgrad nicht von der Betriebsgröße abhängt.

    Was würde das kosten?
    Umgelegt auf jeden Bundesbürger jedes Jahr rund 200 Euro, wobei ich die 70 Euro für bereits aus Steuergeldern bezahlten EU-Ausgleichszahlungen davon abziehen würde. Das heißt, es bleiben 130 Euro, also rund 10 Euro pro Bundesbürger pro Monat. Diese Größenordnung halte ich für sozial vertretbar, zumal die Produkte am Markt dadurch etwas günstiger werden dürften, ohne einen Schaden anzurichten, wie es aktuell der Fall ist. Die eingangs erwähnten Schadenssummen werden immerhin auf circa 1.000 Euro pro Bundesbürger und Jahr beziffert. Schon die Zukunftskommission Landwirtschaft hat 2019 festgestellt, dass die Schadensvermeidung für die Volkswirtschaft wesentlich günstiger wäre als die Schadensbehebung. Die ZKL kommt übrigens zu einer ähnlichen Gesamtsumme wie wir.

    Seit 15 Jahren entwickeln Sie ihren Ansatz – ist nun der Moment für die Umsetzung gekommen?
    Selbst Bauernpräsident Joachim Rukwied redet ja im Zusammenhang mit der zukünftigen GAP von Vergütung für Gemeinwohlleistungen. Cem Özdemir redet über Gemeinwohlleistungen, Robert Habeck weist auf die Bedeutung der Landwirtschaft für das Gemeinwesen hin. Viele Kommentatoren sagen es und auch für die Liberalen wäre die Methode annehmbar, denn es werden erbrachte Leistungen bezahlt und keine Subventionen vergeben. Es liegt in der Luft. Wenn wir Glück haben in den nächsten Tagen und Wochen, kriegen wir es vielleicht hin, dass die Rolle der Bäuerinnen und Bauern für das Gemeinwohl mehr Menschen bewusst und anerkannt wird. Es braucht Lösungen für die grundlegenden Probleme der Landwirte. Unser Ansatz wäre eine Lösung, aber er ist noch zu wenig bekannt.

    Wie weit die Idee in anderen Ländern bereits verfolgt wird, lesen Sie in der Langfassung.

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    Analyse

    Özdemirs Ernährungsstrategie im Kabinett: Höhere Standards in Kantinen und EU-weiter Beschluss für Nachhaltigkeitslabel gefordert

    “Gutes Essen für Deutschland”: Unter diesem Motto steht die Ernährungsstrategie der Bundesregierung, die das Bundeskabinett am heutigen Mittwoch beschließen soll. Der Termin war überraschend vom 24. Januar vorgezogen worden. Viel Verbindliches wird das Strategiepapier nicht enthalten. Zu unterschiedlich sind die Positionen der Koalitionspartner, zu zersplittert die Zuständigkeiten zwischen unterschiedlichen Ministerien und staatlichen Ebenen. Table.Media liegt der 63-seitige Entwurf des Bundesagrarministeriums (BMEL) vom 10. November 2023 vor – es ist die Fassung, die Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) in die Ressortabstimmung mit den anderen Ministerien gegeben hat.

    Über den vorgeschlagenen Maßnahmen steht eine “Vision”, die bereits zeigt: Für allzu viel Ambition ist in einer gemeinsamen Ampel-Strategie kein Platz. “Bis 2050 ist es für alle Menschen in Deutschland möglich und einfach, sich gut zu ernähren”, lautet die Zielsetzung. Mehr als ein Vierteljahrhundert Zeit also, um das Ernährungssystem gesundheitsfördernder, pflanzenbetonter und nachhaltiger zu machen – kurz: “auf Vorsorge anstatt auf Reparatur” auszurichten, wie es in der Strategie heißt.

    Höhere Standards für Kantinen

    Einen wesentlichen Hebel dafür sieht das BMEL in der Außer-Haus-Verpflegung: Bis 2030 sollen die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in der Gemeinschaftsverpflegung verbindlich werden. Zunächst durch Förder- und Modellprojekte, doch “auch regulatorische Maßnahmen werden geprüft”, heißt es im Entwurf. Die Möglichkeiten des Bundes sind jedoch begrenzt, zuständig für Pflicht-Vorgaben für Kitas und Schulen wären die Länder. Auch das Ziel, den Bio-Anteil in Gemeinschaftsküchen bis 2030 auf “mindestens 30 Prozent” zu steigern, bleibt vom guten Willen der Beteiligten abhängig.

    Eines der großen Ziele der Strategie ist die pflanzenbetonte Ernährung. Gemeinschaftsküchen sollen vorangehen, doch dabei belässt es das BMEL nicht. Es will die bestehende Eiweißpflanzenstrategie zu einer “Proteinstrategie für Deutschland” weiterentwickeln und neben Hülsenfrüchten auch den Anbau und die Verwertung von Nüssen und Pilzen fördern. Eine “Innovationsförderung für Hersteller” soll pflanzliche Alternativen zu tierischen Lebensmitteln fördern. Kämen diese verstärkt in den Markt, verschärfe sich der Wettbewerb zwischen den Anbietern und die Preise für Verbraucher fielen, so die Hoffnung. Außerdem plädiert das BMEL dafür, dass mit dem EU-Schulprogramm auch der Absatz pflanzlicher Drinks subventioniert und die EU-Beihilfen für Gemüse und Obst an Schulen erhöht werden.

    Kein deutschlandweites Nachhaltigkeitslabel

    Eine ganze Reihe von Vorschlägen bezieht das BMEL auf die Kennzeichnung von Lebensmitteln:

    • Der Nutri-Score soll EU-weit verbindlich und auch als Label für Gerichte in Restaurants und Kantinen eingeführt werden.
    • Herkunftsangaben sollen auch für die Rohstoffe verarbeiteter Lebensmittel Pflicht sein. Auch dies obliegt zunächst der EU – doch falls eine Initiative aus Brüssel ausbleibe, will das BMEL “nationale Regelungen (…) auf den Weg bringen”.
    • Die vielen privaten Regionalitätssiegel sind dem Ministerium zu unübersichtlich. Ohne Details zu nennen, schlägt es vor, den “Regelungsspielraum” zu nutzen, um Transparenzstandards einzuführen oder die Auslobung von Regionalität enger zu bestimmen.
    • Ein nationales Nachhaltigkeitskennzeichen lehnt das BMEL dagegen ab und plädiert stattdessen für eine EU-einheitliche Lösung.

    Damit weicht das Özdemir-Ministerium auch von den Vorstellungen des Bürgerrats Ernährung ab. Das vom Bundestag eingesetzte Gremium aus 160 gelosten Bürgern hatte am Sonntag die Forderung nach einem Kennzeichnen zu den Aspekten Klima, Tierwohl und Gesundheit als zweitwichtigste Empfehlung präsentiert. Ein reines Klimalabel sieht das BMEL in seinem Entwurf der Ernährungsstrategie zumindest “perspektivisch” vor – zuvor müssten jedoch Daten zu regionalen Bedingungen, Transportwege und die unterschiedlichen Produktionsweisen vorliegen. Im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sollen gesetzliche Maßnahmen geprüft werden, vor allem um Lebensmittelspenden leichter zu machen. Außerdem werde man in Zukunft die Verluste auch in der chemischen Industrie sowie in der Tierfutterproduktion erfassen.

    Reduktionsziele für Zucker und Fett bleiben unverbindlich

    Für eine gesündere Ernährung will das BMEL weiter an der bestehenden Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz schrauben. Was bisher erreicht wurde, beschreibt der Entwurf als zu wenig. Bis Ende 2024 sind daher neue Reduktionsziele geplant – die aber unverbindlich bleiben. Weitere Vorhaben würden die Ernährung stärker im Gesundheitswesen verankern, um die Prävention von Übergewicht, Mangelernährung und nicht-übertragbaren Krankheiten zu verbessern. Ein “verpflichtendes Screening auf Mangelernährung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen” ist erwünscht – die nötigen Entscheidungen erhofft sich das BMEL jedoch von der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen.

    Wie von Özdemir schon im Vorfeld angekündigt, legt der Entwurf einen Schwerpunkt auf den sozialen Aspekt von Ernährung, der “in Deutschland zu lange ausgeblendet” worden sei. Eine “Frage der Gerechtigkeit” sei es, vor allem Kinder aus armutsbetroffenen Haushalten den “Zugang zu guter Ernährung” zu erleichtern. Wie, bleibt jedoch offen. Um die Zahl der von Ernährungsarmut Betroffenen, ihre Nährstoffversorgung und Gesundheitssituation besser zu erfassen, “prüft die Bundesregierung die Installation eines Monitorings“, heißt es in dem Entwurf. Zudem soll eine interministerielle Projektgruppe “effektive Maßnahmen” erarbeiten. Mit sozialpolitischen Ideen hält sich die Ernährungsstrategie indes zurück: In Bezug auf die Regelleistungen für Transferempfänger etwa verweist sie knapp auf das zuständige BMAS.

    Steuerliche Maßnahmen bleiben außen vor

    So ist auch interessant, was nicht in dem Entwurf steht. Fiskalische Maßnahmen (Zuckersteuer, Mehrwertsteuerreform) blieben ebenso außen vor wie das Thema Tierschutz in der Nutztierhaltung. Bei der Lebensmittelwerbung und der Bio-Förderung verweist er vor allem auf laufende Maßnahmen. Insgesamt überwiegen Absichtserklärungen, Prüfaufträge, Forschungsvorhaben sowie die Auflistung bereits bestehender Maßnahmen. Konkrete Pläne müssen aus der Strategie erst folgen.

    Um dafür eine Struktur zu haben, schlägt das BMEL eine interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) “Nachhaltige und gesundheitsförderliche Ernährung” unter eigener Federführung vor. Zudem möchte das Ministerium Bund, Länder und Kommunen besser vernetzen – von 2025 an alle zwei Jahre auch mit einem “Deutschen Ernährungstag”.

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    Kostenloses Essen an Schule und Kita: Was die Bürgerratforderung bedeutet

    Für Eltern sind Diskussionen über Qualität und Preis des Mittagessens an Schule oder Kita ein Dauerbrenner. Nun hat der Bürgerrat Ernährung die politische Debatte dazu neu befeuert. Künftig sollen alle Kinder gesund und vor allem kostenlos verpflegt werden: So lautet die wichtigste von insgesamt neun Empfehlungen, die die 160 ausgelosten Bürger dem Bundestag am Sonntag mit auf den Weg gaben.

    Aussagekräftige Studien zur Qualität der Mittagsverpflegung sind rar und liegen bereits länger zurück. 2014/2015 hatte die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) im Auftrag der Bundesregierung bundesweit 760 Schulspeisepläne analysiert. Zu viel Fleisch und Wurst, zu wenig Obst, Gemüse, Fisch und Vollkorn, so das Fazit. Eine zweite Untersuchung der HAW bemängelte, dass viele Kita-Mahlzeiten die empfohlenen Mengen für wichtige Nährstoffe unterschritten. Seit Jahren fordern Bundesernährungsminister unterschiedlicher Couleur daher unisono, dass die eigens für Gemeinschaftsküchen entwickelten Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) angewandt werden sollten.

    Qualitätsstandards bisher kaum umgesetzt

    Genau dafür trommelt auch der Bürgerrat: die DGE-Kriterien als “Mindeststandard”, dazu ein Bio-Anteil von mindestens 30 Prozent und idealerweise Lebensmittel aus regionaler und saisonaler Produktion. Ob diese Empfehlung die Chancen auf garantiert gesunde Mittagessen erhöht, ist offen. Denn die politische Zuständigkeit liegt nicht beim Bund, sondern bei den Bundesländern. Nur fünf jedoch – Berlin, Bremen, Hamburg, das Saarland und Thüringen – haben die DGE-Standards bisher verpflichtend eingeführt. Andere scheuen sich vor den Kosten und mehr wohl noch davor, die Kommunen und Einrichtungen mit Essensvorgaben zu behelligen.

    Entsprechend folgenlos blieb alles, was der Bund bisher unternahm. CDU-Politikerin Julia Klöckner unterschrieb zum Ende ihrer Amtszeit als Bundesernährungsministerin sogar eine Verpflichtungserklärung im Zuge des deutschen Beitritts zu der von Finnland initiierten, internationalen “School Meals Coalition“. Das erklärte Ziel: gesundes Essen “jeden Tag für jedes Kind”. Einen Plan, diesen Anspruch in Deutschland umzusetzen, entwickelte Klöckner nicht. Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es nur vage, man wolle die DGE-Standards in der Gemeinschaftsverpflegung “etablieren“. Zur Umsetzung hat Ernährungsminister Cem Özdemir in den Eckpunkten seiner Ernährungsstrategie Fördermittel und einen Modellregionen-Wettbewerb angekündigt. Mehr ist scheinbar von Bundesseite nicht drin.

    Berlin als Vorbild

    Der Bürgerrat geht über den Ruf nach verbindlicher Qualität hinaus: Spätestens nach einer Übergangszeit von acht Jahren soll das Mittagessen für alle Kinder kostenlos sein, und zwar – um Stigmatisierung zu vermeiden – unabhängig vom Einkommen der Eltern. In Zeiten knapper Kassen legt das die Hürden für eine Umsetzung noch höher.

    Doch es gibt bereits ein Vorbild – ausgerechnet die klamme Hauptstadt. Seit 2019 bietet Berlin allen Grundschülern (Klassenstufen 1 bis 6) ein kostenloses Essen. Berlin hat zudem einen Bio-Anteil von 50 Prozent vorgegeben und einen Festpreis von derzeit 4,36 Euro pro Essen bestimmt – Caterer konkurrieren bei Ausschreibungen damit nur noch um die Qualität, nicht mehr um den niedrigsten Preis. Was als Leuchtturmprojekt oft gelobt wird, hat auch seine Schwächen. Eine vom Senat beauftragte Untersuchung legt nahe, dass die Lebensmittelabfälle an Berliner Grundschulen deutlich höher liegen könnten als in anderen Bundesländern. Offenbar erfordert ein kostenloses Essen ein ausgeklügeltes Bestellsystem, damit keine Mahlzeiten bestellt und nicht abgeholt werden.

    Nordische Länder machen gute Erfahrungen

    Der Bürgerrat indes kann sich auch auf Daten aus anderen Ländern berufen:

    • Finnland und Schweden machen bereits seit Jahrzehnten positive Erfahrungen mit kostenlosen Mahlzeiten für Kinder an staatlichen Einrichtungen. Gerade in Schweden sind die Effekte des gesunden Angebots durch Langzeitstudien gut untersucht – und durchaus eindrucksvoll: Kinder, die während ihrer gesamten Schulzeit ein ausgewogenes Gratisessen erhalten hatten, waren als Erwachsene größer und gesünder. Sie erreichten zudem einen höheren Bildungsstand und ein um drei Prozent höheres Lebenseinkommen als Kinder, die das Schulessen nicht erhielten. Kinder aus armen Haushalten profitierten besonders.
    • In einem Ende 2021 publizierten Report der Rockefeller Foundation errechneten Ökonomen für die USA, dass der Staat für jeden US-Dollar Investition in das Schulessen zwei Dollar zurückerhält. Dahinter steckt die begründete Annahme, dass eine ausgewogene Mittagsverpflegung vor allem Kindern aus einkommensschwachen Familien zu einer gesünderen Entwicklung (und damit höheren Bildungschancen) verhilft und über alle Einkommensschichten hinweg ernährungsbedingten Krankheiten vorbeugen würde. Diese belasten auch das deutsche Gesundheitssystem mit Milliardensummen.

    Lastenteilung zwischen Bund und Ländern schwierig

    Das Problem bleibt aber: Mögliche Benefits für den Staat fallen nicht auf derselben staatlichen Ebene an, auf der die Kosten entstehen. Und die sind erstmal immens, wie der Wissenschaftliche Beirat des BMEL (WBAE) kalkuliert hat. In seinem Nachhaltigkeitsgutachten von 2020 forderte er ebenfalls eine beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung und rechnete vor, dass die laufenden Kosten bundesweit bei 10,2 Milliarden Euro lägen.

    Knapp die Hälfte dieser Summe fiel bereits an, weil Länder und Kommunen das Essen vielerorts längst bezuschussen. 5,5 Milliarden Euro pro Jahr aber wären zusätzlich zu stemmen, hinzu kämen noch Investitionen in Küchen und Kantinen. Die Rechnung ist fast vier Jahre alt und damit sicher überholt – seither stiegen die Preise wie auch die bereits geleisteten staatlichen Zuschüsse. Eine Größenordnung aber zeigt sie auf. Geht es nach dem Bürgerrat, soll der Bund die Hälfte der Kosten tragen und dafür zum Beispiel auf geplante Kindergelderhöhungen verzichten.

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    Bauernproteste: So will das Ampelbündnis die Zukunft der Landwirtschaft gestalten

    Die Ampelfraktionen haben sich auf ein Papier für die Zukunft der Landwirtschaft geeinigt. Inhaltlich bleibt der Beschluss, der Table.Media vorliegt, aber vage. Andernfalls wäre dieser innerhalb der Fraktionen nicht zustimmungsfähig gewesen. Einen wesentlichen Erfolg können die protestierenden Bauern trotzdem verbuchen: Ihre Belange rutschen weiter nach oben auf der Agenda der Bundesregierung. Noch im ersten Quartal 2024 wolle der Bundestag “konkrete Vorhaben listen” und diese bis zum Sommer beschließen.

    “Das Gespräch mit den Landwirtschaftsverbänden am Montag mündet jetzt in konkrete Arbeitsaufträge”, verkündeten die stellvertretenden Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen Matthias Miersch (SPD), Julia Verlinden (Grüne) und Carina Konrad (FDP) im Anschluss an die Verhandlungen. Sowohl die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft als auch, die der Borchert-Kommission sollen, eine zentrale Rolle spielen, um “bis zum Sommer ein Gesetzespaket zu entwickeln”, so die Miersch, Verlinden und Konrad weiter.

    Tempo beim AgrarOLkG

    Tempo soll jetzt beispielsweise bei der Weiterentwicklung des Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetzes (AgrarOLkG) als auch bei einem Verordnungsentwurf zur Gestaltung von Lieferbeziehungen im Milchmarkt gemacht werden, teilen gut informierte Kreise mit. In ihrer Einigung halten die Ampelfraktionen fest, dass Erzeuger “durch die große Konzentration im Lebensmittelmarkt eine schwächere Stellung in der Wertschöpfungskette haben und ihre Kosten häufig nicht direkt weitergeben können”. Zudem sei für “die seit 40 Jahren abnehmende Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe eine jahrzehntelange verfehlte Agrarpolitik ursächlich”. Die aktuellen Proteste seien auch Ausdruck dieser verfehlten Entwicklungen.

    An sieben Stellschrauben will die Ampel laut ihrem Papier “im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel” zügig drehen, um die Landwirtschaft “zukunftsfest” zu machen.

    • Wie kann der Landwirtschaft durch Bürokratieabbau effizient und monetär geholfen werden? Im Rahmen sogenannter Praxis-Checks sollen sämtliche behördliche Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene einer Prüfung auf Effizienz und Wirksamkeit zugeführt werden.
    • Wie kann die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe in der Wertschöpfungskette unter anderem im Agrarorganisations- und Lieferkettengesetz gestärkt werden?
    • Wie kann eine verlässliche Finanzierung für die tierwohlgerechte Tierhaltung sichergestellt werden?
    • Wie kann den landwirtschaftlichen Betrieben vor dem Hintergrund von Flächenkonkurrenzen und Preisentwicklung der Zugang landwirtschaftlichen Nutzflächen erleichtert werden?
    • Wie kann der Zugang zu landwirtschaftlichen Produktionsmitteln so gesichert werden, dass Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit gewährleistet sind?
    •  Wie kann die Einführung von alternativen Antrieben und Treibstoffen für landwirtschaftliche Maschinen unterstützt werden?
    • Welche allgemeinen steuerlichen Maßnahmen bieten sich an, um landwirtschaftliche Betriebe zu entlasten und resilienter zu machen?

    Die Zeichen für eine Einigung bei der Tierwohlabgabe stehen ebenfalls gut. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wittert jedenfalls seine Chance, um das Konzept seines Ressorts für die Abgabe, das nach gut informierten Kreisen längst bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf dem Tisch liegen soll, durchsetzen zu können. Der Grünen-Politiker sagte am Dienstag in Berlin: Der seit langem diskutierte Tierwohlcent müsse jetzt kommen. Sein Ministerium und das Finanzministerium könnten ein Modell dafür schnell aufschreiben, so Özdemir weiter. Aber dazu brauche es jetzt ein “klares Bekenntnis” der gesamten Ampel und die Unterstützung der Opposition, sagte Özdemir. “Wer sich da vom Acker macht, zeigt der Landwirtschaft die rote Karte.” has

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    Gesine Langlotz: “Dieser Beruf ist ein riesiges Abenteuer”

    Gesine Langlotz (29) ist Baumwirtin und arbeitet als Ausbilderin an der Obstbaumschnittschule in Erfurt.

    Bevor Gesine Langlotz über die Landwirtschaft und die aktuellen Proteste spricht, ist ihr eine Klarstellung wichtig: “‘Die Bauern gibt es nicht. Man muss ganz klar unterscheiden zwischen klein- und mittelständischen Betrieben und der Agrarindustrie.” Mit der Industrie hat die 29-jährige Thüringerin nicht viel am Hut. Auch deshalb engagiert sie sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Mitteldeutschland (AbL). Derzeit befindet sich die gelernte Baumwirtin im Übernahmeprozess eines eigenen Hofes in Thüringen. Dort will sie in Zukunft Obstbau und Agroforstwirtschaft betreiben.

    Den großen Bruder der AbL, den mächtigen Deutschen Bauernverband (DBV), sieht sie mit gemischten Gefühlen. Er sei ein “komplexes, großes Schiff”. Einerseits lobt sie dessen Arbeit an der Basis. Die Beratungs- und Sozialleistungen für die Landwirte seien gut. Auch am Engagement der Regional- und Kreisverbände will sie nicht rütteln. Kritischer sieht sie hingegen die Verbandsspitze. “Grundsätzlich muss man sagen, dass dort oft agrarindustrielle Interessen vertreten werden”, sagt Langlotz. “Deshalb hat es auch immer wieder Austrittswellen gegeben.”

    Die Rolle des DBV bei den Bauernprotesten sieht sie differenziert. Einerseits sei es gut gewesen, dass der Unmut und die Empörung der Bauern auf die Straße getragen wurden. Die teilweise Rücknahme der pauschalen Subventionskürzungen sei ein Erfolg. Aber sie hätte sich schon gewünscht, dass konkrete Inhalte eine größere Rolle gespielt hätten – etwa die Marktordnung und der Milchpreis, die Rolle des Lebensmitteleinzelhandels oder die aus ihrer Sicht dringend notwendigen Agrarstrukturgesetze.”Aber ich habe das Gefühl, dass der Bauernverband explizit darüber nicht reden will.”

    Bei der AbL sieht das anders aus. Für den Landesverband Mitteldeutschland, der im Jahr 2009 gegründet wurde und die Bundesländer Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt umfasst, sind die Verzerrungen am Bodenmarkt und die Vergabe des öffentlichen Landes im Sinne des Gemeinwohls zentrale Themen.

    “Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich der Pacht- und Kaufpreis von Ackerland rasant verteuert“, beklagt Langlotz. Verantwortlich dafür seien oft außerlandwirtschaftliche Investoren, die vor allem in Ostdeutschland riesige Flächen aufgekauft haben. “Heute kann sich keine normale Landwirtin und kein normaler Bauer mehr Land leisten, Gründerinnen und Junglandwirte schon gar nicht.”

    Für Langlotz ist das ein wichtiger Grund, warum die Bauern so unter Druck stehen. Wie soll ich, fragt sie, nachhaltig und klimaangepasst wirtschaften, wenn ich diese riesigen Pachten oder einen überhöhten Kaufpreis zahlen muss und hoch verschuldet bin? Umso wichtiger seien Agrarstrukturgesetze, die diesen Ausverkauf verhindern. In Sachsen steht ein solches Gesetz derzeit kurz vor der Verabschiedung.

    Landwirtschaft ist die Grundlage aller Dinge

    Man merkt, dass ihr das Thema Boden besonders am Herzen liegt. Zusammen mit zwei Kolleginnen und dem Konzeptwerk Neue Ökonomie hat sie im April 2023 das Dossier “Gerechte Bodenpolitik” veröffentlicht. Auch am Bodenatlas 2024, der gerade vorgestellt wurde, hat sie mitgearbeitet. Der Beitrag trägt den Titel “Bodenausverkauf: Nur eine Ware?”.

    Neben der Bodenpolitik müsse sich aber auch die Preispolitik dringend ändern, so Langlotz. Sie spricht von einer “Übermacht des Lebensmitteleinzelhandels”. Dessen “Preisdiktat” müsse gebrochen werden, um Preis- und Planungssicherheit für die Landwirte zu schaffen und dafür zu sorgen, dass mehr Gewinne bei den Erzeugern bleiben – und nicht vor allem in die Taschen der Lebensmittelindustrie und der Supermarktketten fließen.

    Ein weiterer Punkt seien gezielte Investitionen in die Landwirtschaft. “Der Umbau kann nicht von den Höfen alleine geschultert werden”, ist sie sich sicher. Dafür brauche es Förderungen. “Aber diese Subventionen müssen gut gelenkt werden, damit sie auch wirklich bei den Höfen ankommen.”

    Langlotz ist es wichtig, dass die Landwirtschaft nicht nur als Teil der Wirtschaft gesehen wird, sondern auch die entsprechende Wertschätzung erfährt. “Landwirtschaft ist die Grundlage aller Dinge. Wenn wir nichts zu essen haben, ist der Rest der Wirtschaft egal”, ist sie überzeugt. “Und die Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, müssen gut bezahlt werden”, genauso wie bei anderen Grundbedürfnissen wie in der Bildung oder der Gesundheit und Pflege.

    “Eigentlich wünsche ich mir, dass alle Leute Lust haben, in der Landwirtschaft zu arbeiten, weil das ein toller Beruf ist.” Er sei vielfältig und herausfordernd, finde draußen und drinnen statt. Man müsse langfristig planen, aber auch immer wieder mit Notfällen umgehen. Zudem habe er mit Technik und Zahlen, mit Pflanzen, Menschen und Tieren zu tun. Außerdem sei man ständig dem Wetter ausgesetzt. “Eigentlich ist dieser Beruf ein riesiges Abenteuer“, sagt Langlotz. “Und ich hätte große Lust, mit mehr jungen Leuten auf dem Land zu arbeiten und zu leben. Aber dafür brauchen wir andere Verhältnisse.” Carsten Hübner

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    Agrifood.Table Redaktion

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