Table.Briefing: Agrifood

Exklusiv: Gutachten zur Finanzierung von kostenlosem Schulessen + Reaktionen auf neue AGRI-Vorsitzende

Liebe Leserin, lieber Leser,

“Es gibt ein paar soziale Geschenke im Bildungsbereich, über die wir reden müssen”, sagte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), kürzlich im Podcast Table.Today. Wegner stellt das kostenlose Mittagessen, das das Land Berlin seit einigen Jahren allen Grundschülern anbietet, für Kinder aus Haushalten mit höheren Einkommen infrage: “Ist es der richtige Weg, dass die Kinder des Regierenden Bürgermeisters kostenlos Schulessen bekommen?”

In der Bundespolitik wird das kostenlose Schulessen kontrovers diskutiert. Kostenübernahme allein reiche nicht aus, um die Qualität der Verpflegung von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, sagte Stephanie Wunder vom Thinktank Agora Agrar im Mai in einem Fachgespräch im Bundestag. Auch Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung müssten beachtet und Küchenmitarbeitende entsprechend geschult werden.

Die rund 12,7 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschlands Kindertagesstätten und Schulen sollten kostenlos zu Mittag essen dürfen, war eine Empfehlung des Bürgerrats Ernährung. “Die Folgen einer schlechten Ernährung im Kindesalter schleppen Menschen ein Leben lang mit sich herum. Das verursacht zudem hohe Folgekosten im Gesundheitssystem”, meint auch die Bundestagsabgeordnete Ina Latendorf (Die Linke) zu Table.Briefings. Im Auftrag ihrer Partei hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ein Gutachten erstellt, das uns exklusiv vorliegt. Die Details hat unser Autor Martin Rücker aufgeschrieben.

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Henrike Schirmacher
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Analyse

Gutachten: Was der Bund tun könnte, um ein kostenloses Schulessen zu bezahlen

Als “Investition in die Zukunft” hatte der “Bürgerrat Ernährung” Anfang Januar seine wichtigste Forderung tituliert: ein “kostenfreies Mittagessen für alle Kinder bundesweit an Kitas und Schulen”. Offen blieb bis heute, wer diese Investition tätigen würde. Die Empfehlungen des per Zufallslos zusammengestellten Gremiums richten sich an die Bundespolitik – Kitas und Schulen liegen formal jedoch in der politischen Zuständigkeit von Ländern und Kommunen.

Im Auftrag der Partei Die Linke ist der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags nun der Frage nachgegangen, ob sich der Bund dennoch an der Finanzierung eines kostenlosen Mittagessens beteiligen könnte. Das 23 Seiten lange und noch unveröffentlichte Gutachten liegt Table.Briefings exklusiv vor. Das Fazit: Es ist schwierig, aber nicht unmöglich.

Länder und Kommunen für Finanzierung verantwortlich

Die Parlamentswissenschaftler verorten die “Verwaltungskompetenz” für die Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen eindeutig bei den Ländern. Aufgrund des grundgesetzlichen Konnexitätsprinzips liege bei ihnen daher auch die “Finanzierungskompetenz”. Spielraum für eine Ausnahme von diesem Grundsatz erkennt der Wissenschaftliche Dienst nicht: Es sei kein zwingender Grund erkennbar, weshalb ein kostenfreies Essen nur durch den Bund ermöglicht werden könne. “Für die konkrete Ausgestaltung und Finanzierung der Kindertagesbetreuung in Kitas sowie der Mittagsverpflegung an Schulen sind […] nach bestehender Rechtslage die Länder und Kommunen zuständig”, heißt es in dem Gutachten. Das Grundgesetz sehe keine Möglichkeit für eine “direkte Beteiligung” des Bundes an den Ausgaben vor. Der Bundestag könnte also nicht einfach beschließen, Mittel aus dem Bundeshaushalt an die Länder zu verteilen, damit diese ein kostenloses Essen für alle Kinder finanzieren.

Dennoch sieht der Wissenschaftliche Dienst drei Optionen:

  • Mit der höchsten Hürde verbunden wäre eine Änderung des Grundgesetzes. Sie könnte eine Beteiligung des Bundes an den Kosten der Mittagessen beispielsweise in Form von Finanzhilfen für die Länder ausdrücklich vorsehen. Beschließen müsste dies der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit – politisch erscheint dies derzeit wenig realistisch.
  • “Rechtlich zulässig” wäre laut Gutachten auch eine Änderung des Finanzausgleichsgesetzes (FAG). So könnten die Länder zulasten des Bundes einen größeren Anteil an den Mehrwertsteuereinnahmen erhalten, um damit ein kostenloses Essen zu bezahlen. Auf diesem Weg hat sich der Bund zuletzt bereits indirekt an den Kosten für das Aktionsprogramm “Aufholen nach Corona” sowie für die Kindertagesbetreuung (“Gute-Kita-Gesetz”) beteiligt. Bund und Länder hatten dazu vertragliche Handlungskonzepte vereinbart.
  • Wohl am einfachsten umsetzbar wären Finanzhilfen des Bundes für Investitionen der Länder und Kommunen in die Infrastruktur, also zum Beispiel in die Küchen und Kantinen der Einrichtungen. Die laufenden Kosten für ein kostenloses Mittagessen, wie vom Bürgerrat gefordert, würde dies aber nicht abdecken.

Auf Anfrage wollte sich Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) dazu nicht positionieren. Das BMEL verwies auf “die Verantwortung von Ländern und Kommunen” sowie des Finanzministeriums für Finanzierungsfragen. Die Linke drängt dagegen auf eine Initiative. “Es ist an der Zeit, dass sich die Bundesregierung endlich ernsthaft mit den Vorschlägen des Bürgerrates auseinandersetzt”, verlangte die Abgeordnete Ina Latendorf im Gespräch mit Table.Briefings. “Die Folgen einer schlechten Ernährung im Kindesalter schleppen Menschen ein Leben lang mit sich herum. Das verursacht zudem hohe Folgekosten im Gesundheitssystem.”

Nur fünf Bundesländer haben DGE-Standards verpflichtend eingeführt

Appelle aus der Bundespolitik, eine gesunde Schul- und Kitaverpflegung zu garantieren, gibt es seit langem. Die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) “müssen Grundlage jedes Speiseplans in Schule und Kita sein”, forderte bereits vor Jahren die damalige Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) – nicht ohne zu betonen, dass dafür “die Länder verantwortlich” seien. Doch bis heute haben nach Angaben des Nationalen Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule des BMEL nur fünf Bundesländer die DGE-Standards verpflichtend eingeführt.

Bei der Idee, das Essen nicht nur gesund, sondern für die Eltern auch kostenlos zu machen, geht es Befürwortern um ein stigmatisierungsfreies Angebot, von dem armutsbetroffene Kinder zwar besonders, darüber hinaus aber auch alle anderen Kinder profitieren sollen. Erfahrungen aus Brasilien, Finnland und vor allem Schweden, wo das Schulessen bereits seit Jahrzehnten kostenfrei ist, liefern die Blaupause. Eine Langzeitstudie aus Schweden ergab: Schüler, die die gesunde Verpflegung regelmäßig annehmen, leben als Erwachsene gesünder, erreichen einen höheren Bildungsstand und folglich ein um drei Prozent höheres Lebenseinkommen als andere, die als Kinder nicht gesund gegessen haben. Für die USA haben Ökonomen 2021 errechnet, dass der Staat mit jedem Dollar Investition in ein gesundes Schulessen zwei Doller zurückerhält, vor allem durch niedrigere Gesundheitskosten.

Ernährungsstrategie umfasst kein kostenloses Schulessen

Ein Problem dabei: Der Benefit entsteht nicht in denselben Haushalten, aus denen zunächst die Ausgaben gestemmt werden müssen. Und die wären nicht gering: 2020 kalkulierte der Wissenschaftliche Beirat des BMEL, dass dem Staat durch beitragsfreie Kita- und Schulessen zusätzliche Kosten von 5,5 Milliarden Euro pro Jahr entstünden. Der Trend geht in Deutschland daher eher in eine andere Richtung. So bietet das Land Berlin als Vorreiter seit einigen Jahren allen Grundschülern ein kostenloses Mittagessen an – vor wenigen Tagen jedoch stellte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) dies mit Blick auf die Haushaltslage wieder infrage.

In ihrer Mitte Januar verabschiedeten Ernährungsstrategie hatte die Ampel-Koalition im Bund erklärt, dass die DGE-Standards in Kitas und Schulen bis 2030 verbindlich sein sollten – ohne ein Konzept vorzulegen, wie dies politisch erreicht werden kann. Ziele in Bezug auf ein kostenloses Schulessen setzte sich die Bundesregierung nicht. Vereinbart ist nur eine “Machbarkeitsstudie”, mit der “ein krisensicheres, nationales Ernährungsprogramm (für Kita- und Schulverpflegung) geprüft werden” solle – Details dazu fehlen bisher. Aus Sicht von Linken-Politikerin Latendorf kann sich der Bund angesichts der Erkenntnisse aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes nicht länger mit einem Verweis auf die Zuständigkeit der Länder zurückziehen, sondern muss selbst aktiv werden: “Mit ein bisschen politischem Willen wäre es möglich”, sagte sie.

  • Bürgerrat
  • Bürgerrat Ernährung
  • Ernährung
  • Ernährungspolitik
  • Ernährungssicherheit
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CSRD-Gesetz: Worauf sich die Regierung geeinigt hat

Die Bundesregierung hat am Mittwoch ihren Gesetzentwurf zur Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) beschlossen. In der letzten Kabinettssitzung vor der Sommerpause ist die Fassung ohne Aussprache beschlossen worden. Sie sieht insbesondere vor, dass  

  • ausschließlich Wirtschaftsprüfer CSRD-Berichte testieren und technische Sachverständige damit nicht beauftragt werden dürfen; 
  • Unternehmen, die auch auf Grundlage des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) Berichtspflichten haben, nur nach dem CSRD-Gesetz – und nicht doppelt – berichten müssen;  
  • LkSG-Berichte für das Geschäftsjahr 2023 erst bis zum 31. Dezember 2025 eingereicht werden müssen; 
  • die Pflicht zur Erstellung eines Prüfungsberichts zum Nachhaltigkeitsbericht gestrichen wurde. 

Die EU hatte die Richtlinie als Teil ihres Green Deals Ende 2022 verabschiedet. Sie weitet die Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung aus und verschärft sie. In der EU geht man von rund 50.000 Firmen aus, die in den kommenden Jahren CSRD-Reports veröffentlichen müssen, allein in Deutschland werden es laut Bundesregierung 14.600 sein. Die Hoffnung der Initiatoren ist, dass die neuen Transparenzanforderungen zu einer intensiveren Beschäftigung mit ökologischen und sozialen Risiken führen und etwa der Treibhausgasausstoß der Wirtschaft sinkt.  

Keine Wahlfreiheit bei Prüfern 

Bei der deutschen Umsetzung war seit Veröffentlichung des Referentenentwurfs im März vor allem die Frage umstritten, wer die CSRD-Berichte prüfen darf. Während die EU eine Wahlfreiheit ermöglicht, entschied sich das Bundesjustizministerium für eine Beschränkung auf Wirtschaftsprüfer. Weil CSRD-Berichte an die Finanzberichterstattung angepasst werden sollen, seien insbesondere Wirtschaftsprüfer für diese Aufgabe geeignet, so die Begründung. Technische Sachverständige von TÜV, Dekra oder der Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung für Qualitätssicherungssysteme (DQS) sollten demnach außen vor bleiben.  

In der Verbändeanhörung regte sich dagegen Widerstand. Vertreter von kleinen und mittelständischen Unternehmen wiesen darauf hin, dass es so zu einer unwirtschaftlichen Verknappung und damit Benachteiligung gegenüber Konzernen kommen würde. Auch große Verbände wandten sich gegen die Regelung, allerdings mit wenig Erfolg. Der jetzige Gesetzentwurf hält in Paragraph 324e daran fest, dass die Testierung Wirtschaftsprüfern vorbehalten bleiben soll.  

Schnelle Verabschiedung im Parlament gefordert 

Zur Begründung erklärte das Justizministerium, dass etwaige Prüfer Anforderungen unterliegen, die den Anforderungen an Wirtschaftsprüfer gleichwertig sind, etwa hinsichtlich ihrer Ausbildung, Qualitätssicherungssysteme, Haftung und Aufsicht. Und: “In Deutschland gibt es bislang keine derart gleichwertigen rechtlichen Anforderungen für Umweltgutachter oder andere unabhängige Erbringer von Bestätigungsdienstleistungen.” Eine Ausweitung der Zulassung sei deshalb “nach gegenwärtiger Rechtslage nicht möglich”. 

Maik Beermann, Leiter Außen- und Regierungsbeziehungen bei Dekra, will das nicht hinnehmen. “Wir setzen jetzt auf das parlamentarische Verfahren”, sagte er zu Table.Briefings. Tanja Gönner, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), kritisierte die Entscheidung der Regierung als eine “vertane Chance”. Weiter: “Durch eine Wahl zwischen Wirtschaftsprüfern und unabhängigen Dritten ließen sich Kapazitätsengpässe und hohe Kosten bei der externen Prüfung vermeiden.” Dass sich die Regierung nun auf einen Entwurf geeinigt hat, begrüßte sie hingegen. Das sei ein “positives Signal”. Nun müsse das Gesetz “zeitnah” im Bundestag verabschiedet werden, um Unternehmen Rechts- und Planungssicherheit zu geben. 

Deutschland hängt bei der Umsetzung hinterher 

Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, äußerte sich ähnlich. Es sei gut, dass “wir direkt nach der Sommerpause mit den parlamentarischen Beratungen im Bundestag beginnen können. Dieser Kabinettsbeschluss ist lange überfällig.” 

Ursprünglich hatte die Regierung geplant, den Gesetzentwurf bereits vor zwei Monaten zu verabschieden, nahm das Vorhaben dann aber kurzfristig wieder von der Agenda. Grund dafür waren die zahlreichen Statements aus der Verbändeanhörung sowie die notwendige Abstimmung der verschiedenen Ministerien über Details des Entwurfs. Dass das Gesetz jetzt beschlossen wird, kam für eine Reihe von Beobachtern in Verbänden, Fraktionen und Unternehmen überraschend. Noch am Dienstagabend hatte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums auf Anfrage von Table.Briefings erklärt, keine Aussage darüber machen zu können, ob der Referentenentwurf auf die Tagesordnung kommen würde.  

Im europäischen Vergleich gehört Deutschland bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zu den Nachzüglern. Nur sechs andere Regierungen hatten bis zum Stichtag 6. Juli 2024 weder parlamentarische Konsultationen abgehalten noch einen Gesetzentwurf präsentiert; an diesem Tag lief die von der EU vorgegebene Frist von 18 Monaten für die Umsetzung ab. In elf Ländern ist die CSRD bereits in ein nationales Gesetz überführt worden. 

Bundesjustizministerium geht von höheren Kosten aus

Von Enthusiasmus kann im zuständigen Bundesjustizministerium ohnehin kaum die Rede sein. In einer Pressemitteilung machte Minister Marco Buschmann seinen Unwillen deutlich. “Deutschland setzt die CSR-Richtlinie um, dazu sind wir nach EU-Recht verpflichtet. Unternehmen sollten künftig zusammen mit ihrem Jahresabschluss detailliert über ihren Umgang mit sozialen und ökologischen Herausforderungen berichten. Es ist kein Geheimnis, dass ich darüber nicht glücklich bin.” Die neuen Regelungen würden eine “drastische Mehrbelastung für die Unternehmen” bedeuten – das Umsetzungsgesetz wolle die Mehrbelastung “so minimalinvasiv und bürokratiearm wie möglich” gestalten. 

Bei den Kosten, die aus dem Gesetz resultieren, korrigierte das Ministerium die Annahmen aus dem vorigen Referentenentwurf leicht nach oben. Für die Wirtschaft erwartet es einen einmaligen Erfüllungsaufwand in Höhe von rund 847 Millionen Euro. Der jährliche Aufwand liege ab dem Jahr 2028 bei rund 1,58 Milliarden Euro als Bürokosten aus Informationspflichten. 

Der BDI wies darauf hin, dass dies “nahezu die Hälfte der Entlastungswirkung des gerade verabschiedeten Wachstumschancengesetzes” entspreche. Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sagte zu dem einmaligen Erfüllungsaufwand: “Das wären rechnerisch ungefähr 58.000 Euro pro Unternehmen. Für den Versicherungssektor rechnen wir aber im Schnitt mit vier- bis achtmal höheren Kosten. Für große Versicherungsgruppen liegen die Kosten sogar eher im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich.” 

  • Berichtspflichten
  • CSRD
  • Green Deal
  • Nachhaltigkeitsberichterstattung
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News

AGRI-Vorsitz: Geteiltes Echo auf Wahl von EKR-Frau Vrecionová

Dass mit Veronika Vrecionová nun eine Politikerin der nationalkonservativen Fraktion EKR dem EU-Agrarausschuss vorsitzt, bewerten deutsche EU-Agrarpolitiker unterschiedlich. Kritik kommt aus dem linken Flügel. Statt die Zeichen auf eine “zukunftsbejahende, enkeltaugliche” Agrarpolitik zu stellen, sitze mit Vrecionová “ein Stoppschild auf dem Platz der Vorsitzenden“, sagt die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl zu Table.Briefings. Die Tschechin ist die erste Frau an der Spitze des Ausschusses. Doch nicht nur im Agrarbereich, auch bei Abstimmungen zur Gleichstellung von Frauen sei Vrecionová bisher vor allem dadurch aufgefallen, dass sie Renationalisierung fordere und auf die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verweise, meint Noichl.

Der Grünen-Abgeordnete Martin Häusling nimmt derweil vor allem die Rolle der Europäischen Volkspartei in den Blick. Letztere hatte im parlamentsinternen Verteilungsverfahren zunächst den AGRI-Vorsitz für sich reklamiert, diesen letztlich aber im Tausch für den Chefposten im Innenausschuss (LIBE) der EKR angeboten, wohl um dort einen zu großen Einfluss der Rechten auf Migrationsfragen zu verhindern. “Mein Erstaunen war groß, dass die EVP den Vorsitz abgegeben hat“, meint Häusling. Zwar sei Vrecionová eher eine moderate Vertreterin der EKR, er hätte sich aber gewünscht, dass eine proeuropäische Fraktion den Ausschussvorsitz übernimmt.

Optimistisch blickt der bisherige Ausschussvorsitzende Norbert Lins (CDU), der nun zu einem von Vrecionovás Stellvertretern gewählt wurde, auf die künftige Zusammenarbeit. Die Tschechin schätze er im Agrarausschuss als “moderate Kollegin” ein, die sich in der vergangenen Legislaturperiode als Agrarsprecherin ihrer Fraktion “fachlich kompetent und kompromissbereit” in den Gesetzgebungsprozess eingebracht habe.

Vrecionová für Käfigverbot und neue Züchtungstechniken

Vrecionová war am Dienstag bei der konstituierenden Sitzung des Agrarausschusses mit 31 von 49 Stimmen zur Vorsitzenden gewählt worden. Zum Antritt versprach sie nicht nur, sich für kleine Betriebe und Bürokratieabbau einzusetzen, sondern betonte auch, die Gemeinsame Agrarpolitik müsse sich auf den Beitrittsprozess der Ukraine einstellen. Anders als manch andere Vertreter ihrer Fraktion hat sie sich auch in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, die Ukraine über den Agrarhandel zu unterstützen. Argumente, dass billiges ukrainisches Getreide den europäischen Markt überschwemmen würde, seien “Fehlinformationen”, sagte sie in einer Parlamentsdebatte im März.

Persönlich wolle sie sich vor allem auf Tierschutzthemen fokussieren, sagte Vrecionová nach ihrer Wahl. Noch im Frühjahr forderte sie von der EU-Kommission, ein Verbot der Käfighaltung ins Arbeitsprogramm für 2025 aufzunehmen. Neben ihrer bisherigen Tätigkeit als Agrarsprecherin arbeitete die Tschechin in der vergangenen Legislaturperiode unter anderem die Stellungnahme des Agrarausschusses zur Reform des EU-Gentechnikrechts aus und setzte sich für eine weitreichende Deregulierung neuer Gentechniken ein. jd

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GAP-Lockerungen: Warum die EU-Kommission jetzt mit einer Beschwerde konfrontiert ist

Zwei Umweltschutzorganisationen haben bei der Europäischen Bürgerbeauftragten Beschwerde gegen das Schnellverfahren eingelegt, mit dem die EU-Kommission Anfang des Jahres Entlastungen infolge der Bauernproteste auf den Weg gebracht hatte. Die Brüsseler Behörde hatte damals ohne vorherige Folgenabschätzung oder vollumfängliche Verbändebeteiligung Lockerungen bei Umweltauflagen innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgelegt.

Die Kommission begründete das mit der “Dringlichkeit” der Lage. Die NGOs ClientEarth und BildLife Europe überzeugt das nicht. “Änderungen an bedeutenden Gesetzen wie diesem brauchen Jahre, um verabschiedet zu werden – dagegen dauerte es hier nur Wochen”, bemängelt ClientEarth-Anwältin Sarah Martin. Ein solches “Notverfahren” sei bisher sonst nur in Fällen wie der Covid-19-Pandemie oder dem Ukraine-Krieg zur Anwendung gekommen. Dass es bei den GAP-Lockerungen zum Einsatz kam, sei “undemokratisch” und verstoße gegen EU-Recht, argumentieren die Organisationen.

Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly ist unter anderem dafür zuständig, die Einhaltung der guten Verwaltungspraxis durch die EU-Institutionen zu überwachen. Sie prüft Beschwerden, kann Untersuchungen durchführen und Institutionen gegebenenfalls öffentlich ermahnen, fällt aber keine juristischen Urteile. Mit einer Rückmeldung zur Beschwerde der NGOs wird in den kommenden sechs bis 18 Monaten gerechnet. jd

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  • Gemeinsame Agrarpolitik

Kartellverfahren gegen Delivery Hero: Warum die EU-Kommission ein breiteres Problem befürchtet

Dem Essenslieferdienst Delivery Hero drohen hohe Strafen, nachdem die Europäische Kommission diese Woche eine kartellrechtliche Untersuchung gegen das Unternehmen eingeleitet hat. Dabei geht es um mutmaßliche Absprachen zwischen dem Unternehmen mit Sitz in Berlin und dem spanischen Lieferdienst Glovo. Delivery Hero verweist in einer Mitteilung an seine Investoren darauf, bereits vor mehreren Wochen 400 Millionen Euro für mögliche Strafzahlungen zurückgestellt zu haben. Man kooperiere vollumfänglich mit der Kommission, heißt es.

Die Brüsseler Behörde hegt den Verdacht, dass sich vor der Übernahme von Glovo durch Delivery Hero 2022 beide Unternehmen Märkte untereinander geografisch aufgeteilt und sensible Geschäftsinformationen ausgetauscht haben. So zum Beispiel zu Preisen, Kosten oder Geschäftsstrategien. Zudem könnten beide vereinbart haben, gegenseitig keine Mitarbeitenden abzuwerben. 2022 und 2023 hatte die Kommission unangekündigte Durchsuchungen bei beiden Firmen durchgeführt. Ob sich der Verdacht juristisch erhärtet, wird die formelle Untersuchung zeigen.

Lieferdienste im Fokus der Wettbewerbshüter

Derweil betont die Kommission auch, über diesen konkreten Fall hinaus die Wettbewerbssituation im Bereich der Online-Lebensmittellieferdienste besonders genau im Blick zu behalten. Es sei “ein schnell wachsender Sektor, in dem wir den Wettbewerb schützen müssen”, sagt Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.

Aus Sicht der Brüsseler Behörde besteht in einem solchen “jungen und dynamischen” Markt das Risiko, dass Absprachen zum Beispiel über die Marktaufteilung zu einer “versteckten Marktkonsolidierung” und damit zu erhöhten Verbraucherpreisen führen. jd

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UN Report: Hunger numbers stubbornly high for three consecutive years as global crises deepen

Die Zahl der hungernden Menschen stagniert seit drei Jahren bei 733 Millionen, heißt es im Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Damit hungert einer von elf Menschen weltweit. Der Hunger ist jedoch ungleich verteilt: In Afrika betrifft er jeden Fünften. Faktoren wie anhaltende Inflation, Konflikte, Klimawandel und Wirtschaftskrisen tragen zur Ernährungsunsicherheit bei. Paradoxerweise nimmt gleichzeitig auch die Zahl der Übergewichtigen weltweit zu: 2012 waren 12,1 Prozent der Menschen krankhaft fettleibig, aktuell betrifft dies 15,8 Prozent der Erwachsenen. Prognosen zufolge wird die Zahl fettleibiger Erwachsener bis 2030 auf über 1,2 Milliarden steigen. FAO-Generaldirektor Dr. Qu Dongyu fordert einen grundlegenden Wandel der globalen Agrar- und Ernährungssysteme. Nur so sei Ernährungssicherheit für alle Menschen erreichbar. Zum Bericht

Studie: Beyond the cow: Consumer perceptions and information impact on acceptance of precision fermentation-produced cheese in Germany

Laut einer Studie der Universität Göttingen sind Verbraucher und Verbraucherinnen bereit, Käse zu probieren und zu kaufen, der durch Präzisionsfermentation hergestellt wurde. Bei dem biotechnologischen Verfahren werden Milchprodukte ohne den Einsatz von Kühen hergestellt. Stattdessen werden Bakterien, Hefen oder Pilze eingesetzt, um vertraute Geschmacksrichtungen und Texturen zu erzeugen. Ziel ist eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion durch nährstoffreiche Proteine mit geringem Ressourcenverbrauch. Die Ergebnisse der Umfrage unter rund 2.000 Teilnehmenden deuten darauf hin, dass eine sorgfältige Kommunikation für die Akzeptanz von tierfreiem Käse entscheidend ist. Generell ist die Bereitschaft, das Produkt zu probieren, groß, wenn Umwelt- und Qualitätsvorteile hervorgehoben werden, wohingegen sich die Bereitschaft leicht verringert, wenn gentechnische Veränderungen zur Produktgewinnung erwähnt werden. Kuhfreie Käse-Produkte sind in den USA bereits auf dem Markt, die Zulassung in Deutschland und der Europäischen Union steht noch aus. Die Technologie als solche ist nicht neu – sie wird bereits bei der Herstellung von Medikamenten wie Insulin eingesetzt. Zur Studie

Africanews: Drought wreaks havoc on Morocco’s cereal harvest

Die Getreideernte in Marokko wird durch anhaltende Trockenheit stark beeinträchtigt: Der diesjährige Weizenertrag wird nach Schätzungen des marokkanischen Landwirtschaftsministeriums im Vergleich zum Vorjahr um 43 Prozent zurückgehen. Dies entspricht einer Menge von 31,2 Millionen Zentnern. Die Anbaufläche für die wichtigsten Getreidesorten sei ebenfalls zurückgegangen, sie habe sich um 33 Prozent verringert. In einigen Regionen könne aufgrund von schwerem Wassermangel überhaupt kein Getreide mehr angebaut werden. Landwirte berichten von drastischen Ertragseinbußen. Durch die geringe Getreideernte wird erwartet, dass Marokko seine Weizenimporte bis Ende des Jahres um 19 Prozent erhöhen wird. Zum Artikel

Lebensmittelzeitung: Scholz nennt Mindestlohn “zentrale Herausforderung”

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Handelsblatt: Baywa bekommt Kapitalspritze – und kassiert die Jahresprognose ein

Der Agrar- und Baustoffhändler Baywa erhält finanzielle Unterstützung durch seine Eigentümer in Form eines Darlehens von 50 bis 60 Millionen Euro, um mehr Zeit für die Bewältigung seiner Schuldenkrise zu gewinnen. Trotz dieser Kapitalspritze bleiben die grundlegenden Probleme bestehen. Aufgrund hoher Schulden und der Zinswende verzeichnete Baywa im ersten Halbjahr 2023 einen Umsatzrückgang von 12,6 auf 10,7 Milliarden Euro. Angesichts möglicher Wertminderungen und Umstrukturierungen im Zuge der Krise kassierte der Vorstand daher die Gewinnprognose für 2024 ein und plant, Anteile der Tochtergesellschaft Baywa Re zu verkaufen, um die finanzielle Situation zu stabilisieren. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) versucht bereits, die Interessen von enttäuschten Anlegern zu bündeln. “Viele Landwirte sind dort gleichzeitig Kunden und Aktionäre. Nicht selten ist die Baywa-Aktie wichtiger Teil der Altersvorsorge”, sagt DSW-Geschäftsführerin Daniela Bergdolt. Die Anleihegläubiger bräuchten “eine starke gemeinsame Vertretung, damit sie im Zuge der nun stattfindenden Sanierung nicht die Leidtragenden sind”. Zum Artikel

World Grain: Streit um gentechnisch veränderten Mais zwischen USA und Mexiko könnte bald enden

Mexikos Präsidialdekret zum Verbot von gentechnisch verändertem Mais aus dem Jahr 2020, das sich auf die Bedrohung einheimischer Sorten und der menschlichen Gesundheit beruft, betrifft Maisimporte aus den USA im Wert von jährlich rund fünf Milliarden US-Dollar. Die USA haben laut Botschafter Doug McKalip überzeugende Argumente gegen das von Mexiko vorgeschlagene Verbot von gentechnisch verändertem Mais im Rahmen des USMCA (United States-Mexico-Canada Agreement) vorgelegt. Der Streit, der von der National Corn Growers Association (NCGA) initiiert und vom US-Handelsbeauftragten (USTR) unterstützt wurde, soll im Herbst entschieden werden. Die neu gewählte mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum könnte den Ausgang des Disputs beeinflussen. US-Handelsverbände hoffen, dass sie den Handelsstreit beenden kann, der unter dem derzeitigen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador begann. Zum Artikel

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Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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    “Es gibt ein paar soziale Geschenke im Bildungsbereich, über die wir reden müssen”, sagte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), kürzlich im Podcast Table.Today. Wegner stellt das kostenlose Mittagessen, das das Land Berlin seit einigen Jahren allen Grundschülern anbietet, für Kinder aus Haushalten mit höheren Einkommen infrage: “Ist es der richtige Weg, dass die Kinder des Regierenden Bürgermeisters kostenlos Schulessen bekommen?”

    In der Bundespolitik wird das kostenlose Schulessen kontrovers diskutiert. Kostenübernahme allein reiche nicht aus, um die Qualität der Verpflegung von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, sagte Stephanie Wunder vom Thinktank Agora Agrar im Mai in einem Fachgespräch im Bundestag. Auch Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung müssten beachtet und Küchenmitarbeitende entsprechend geschult werden.

    Die rund 12,7 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschlands Kindertagesstätten und Schulen sollten kostenlos zu Mittag essen dürfen, war eine Empfehlung des Bürgerrats Ernährung. “Die Folgen einer schlechten Ernährung im Kindesalter schleppen Menschen ein Leben lang mit sich herum. Das verursacht zudem hohe Folgekosten im Gesundheitssystem”, meint auch die Bundestagsabgeordnete Ina Latendorf (Die Linke) zu Table.Briefings. Im Auftrag ihrer Partei hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ein Gutachten erstellt, das uns exklusiv vorliegt. Die Details hat unser Autor Martin Rücker aufgeschrieben.

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    Henrike Schirmacher
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    Gutachten: Was der Bund tun könnte, um ein kostenloses Schulessen zu bezahlen

    Als “Investition in die Zukunft” hatte der “Bürgerrat Ernährung” Anfang Januar seine wichtigste Forderung tituliert: ein “kostenfreies Mittagessen für alle Kinder bundesweit an Kitas und Schulen”. Offen blieb bis heute, wer diese Investition tätigen würde. Die Empfehlungen des per Zufallslos zusammengestellten Gremiums richten sich an die Bundespolitik – Kitas und Schulen liegen formal jedoch in der politischen Zuständigkeit von Ländern und Kommunen.

    Im Auftrag der Partei Die Linke ist der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags nun der Frage nachgegangen, ob sich der Bund dennoch an der Finanzierung eines kostenlosen Mittagessens beteiligen könnte. Das 23 Seiten lange und noch unveröffentlichte Gutachten liegt Table.Briefings exklusiv vor. Das Fazit: Es ist schwierig, aber nicht unmöglich.

    Länder und Kommunen für Finanzierung verantwortlich

    Die Parlamentswissenschaftler verorten die “Verwaltungskompetenz” für die Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen eindeutig bei den Ländern. Aufgrund des grundgesetzlichen Konnexitätsprinzips liege bei ihnen daher auch die “Finanzierungskompetenz”. Spielraum für eine Ausnahme von diesem Grundsatz erkennt der Wissenschaftliche Dienst nicht: Es sei kein zwingender Grund erkennbar, weshalb ein kostenfreies Essen nur durch den Bund ermöglicht werden könne. “Für die konkrete Ausgestaltung und Finanzierung der Kindertagesbetreuung in Kitas sowie der Mittagsverpflegung an Schulen sind […] nach bestehender Rechtslage die Länder und Kommunen zuständig”, heißt es in dem Gutachten. Das Grundgesetz sehe keine Möglichkeit für eine “direkte Beteiligung” des Bundes an den Ausgaben vor. Der Bundestag könnte also nicht einfach beschließen, Mittel aus dem Bundeshaushalt an die Länder zu verteilen, damit diese ein kostenloses Essen für alle Kinder finanzieren.

    Dennoch sieht der Wissenschaftliche Dienst drei Optionen:

    • Mit der höchsten Hürde verbunden wäre eine Änderung des Grundgesetzes. Sie könnte eine Beteiligung des Bundes an den Kosten der Mittagessen beispielsweise in Form von Finanzhilfen für die Länder ausdrücklich vorsehen. Beschließen müsste dies der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit – politisch erscheint dies derzeit wenig realistisch.
    • “Rechtlich zulässig” wäre laut Gutachten auch eine Änderung des Finanzausgleichsgesetzes (FAG). So könnten die Länder zulasten des Bundes einen größeren Anteil an den Mehrwertsteuereinnahmen erhalten, um damit ein kostenloses Essen zu bezahlen. Auf diesem Weg hat sich der Bund zuletzt bereits indirekt an den Kosten für das Aktionsprogramm “Aufholen nach Corona” sowie für die Kindertagesbetreuung (“Gute-Kita-Gesetz”) beteiligt. Bund und Länder hatten dazu vertragliche Handlungskonzepte vereinbart.
    • Wohl am einfachsten umsetzbar wären Finanzhilfen des Bundes für Investitionen der Länder und Kommunen in die Infrastruktur, also zum Beispiel in die Küchen und Kantinen der Einrichtungen. Die laufenden Kosten für ein kostenloses Mittagessen, wie vom Bürgerrat gefordert, würde dies aber nicht abdecken.

    Auf Anfrage wollte sich Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) dazu nicht positionieren. Das BMEL verwies auf “die Verantwortung von Ländern und Kommunen” sowie des Finanzministeriums für Finanzierungsfragen. Die Linke drängt dagegen auf eine Initiative. “Es ist an der Zeit, dass sich die Bundesregierung endlich ernsthaft mit den Vorschlägen des Bürgerrates auseinandersetzt”, verlangte die Abgeordnete Ina Latendorf im Gespräch mit Table.Briefings. “Die Folgen einer schlechten Ernährung im Kindesalter schleppen Menschen ein Leben lang mit sich herum. Das verursacht zudem hohe Folgekosten im Gesundheitssystem.”

    Nur fünf Bundesländer haben DGE-Standards verpflichtend eingeführt

    Appelle aus der Bundespolitik, eine gesunde Schul- und Kitaverpflegung zu garantieren, gibt es seit langem. Die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) “müssen Grundlage jedes Speiseplans in Schule und Kita sein”, forderte bereits vor Jahren die damalige Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) – nicht ohne zu betonen, dass dafür “die Länder verantwortlich” seien. Doch bis heute haben nach Angaben des Nationalen Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule des BMEL nur fünf Bundesländer die DGE-Standards verpflichtend eingeführt.

    Bei der Idee, das Essen nicht nur gesund, sondern für die Eltern auch kostenlos zu machen, geht es Befürwortern um ein stigmatisierungsfreies Angebot, von dem armutsbetroffene Kinder zwar besonders, darüber hinaus aber auch alle anderen Kinder profitieren sollen. Erfahrungen aus Brasilien, Finnland und vor allem Schweden, wo das Schulessen bereits seit Jahrzehnten kostenfrei ist, liefern die Blaupause. Eine Langzeitstudie aus Schweden ergab: Schüler, die die gesunde Verpflegung regelmäßig annehmen, leben als Erwachsene gesünder, erreichen einen höheren Bildungsstand und folglich ein um drei Prozent höheres Lebenseinkommen als andere, die als Kinder nicht gesund gegessen haben. Für die USA haben Ökonomen 2021 errechnet, dass der Staat mit jedem Dollar Investition in ein gesundes Schulessen zwei Doller zurückerhält, vor allem durch niedrigere Gesundheitskosten.

    Ernährungsstrategie umfasst kein kostenloses Schulessen

    Ein Problem dabei: Der Benefit entsteht nicht in denselben Haushalten, aus denen zunächst die Ausgaben gestemmt werden müssen. Und die wären nicht gering: 2020 kalkulierte der Wissenschaftliche Beirat des BMEL, dass dem Staat durch beitragsfreie Kita- und Schulessen zusätzliche Kosten von 5,5 Milliarden Euro pro Jahr entstünden. Der Trend geht in Deutschland daher eher in eine andere Richtung. So bietet das Land Berlin als Vorreiter seit einigen Jahren allen Grundschülern ein kostenloses Mittagessen an – vor wenigen Tagen jedoch stellte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) dies mit Blick auf die Haushaltslage wieder infrage.

    In ihrer Mitte Januar verabschiedeten Ernährungsstrategie hatte die Ampel-Koalition im Bund erklärt, dass die DGE-Standards in Kitas und Schulen bis 2030 verbindlich sein sollten – ohne ein Konzept vorzulegen, wie dies politisch erreicht werden kann. Ziele in Bezug auf ein kostenloses Schulessen setzte sich die Bundesregierung nicht. Vereinbart ist nur eine “Machbarkeitsstudie”, mit der “ein krisensicheres, nationales Ernährungsprogramm (für Kita- und Schulverpflegung) geprüft werden” solle – Details dazu fehlen bisher. Aus Sicht von Linken-Politikerin Latendorf kann sich der Bund angesichts der Erkenntnisse aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes nicht länger mit einem Verweis auf die Zuständigkeit der Länder zurückziehen, sondern muss selbst aktiv werden: “Mit ein bisschen politischem Willen wäre es möglich”, sagte sie.

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    CSRD-Gesetz: Worauf sich die Regierung geeinigt hat

    Die Bundesregierung hat am Mittwoch ihren Gesetzentwurf zur Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) beschlossen. In der letzten Kabinettssitzung vor der Sommerpause ist die Fassung ohne Aussprache beschlossen worden. Sie sieht insbesondere vor, dass  

    • ausschließlich Wirtschaftsprüfer CSRD-Berichte testieren und technische Sachverständige damit nicht beauftragt werden dürfen; 
    • Unternehmen, die auch auf Grundlage des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) Berichtspflichten haben, nur nach dem CSRD-Gesetz – und nicht doppelt – berichten müssen;  
    • LkSG-Berichte für das Geschäftsjahr 2023 erst bis zum 31. Dezember 2025 eingereicht werden müssen; 
    • die Pflicht zur Erstellung eines Prüfungsberichts zum Nachhaltigkeitsbericht gestrichen wurde. 

    Die EU hatte die Richtlinie als Teil ihres Green Deals Ende 2022 verabschiedet. Sie weitet die Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung aus und verschärft sie. In der EU geht man von rund 50.000 Firmen aus, die in den kommenden Jahren CSRD-Reports veröffentlichen müssen, allein in Deutschland werden es laut Bundesregierung 14.600 sein. Die Hoffnung der Initiatoren ist, dass die neuen Transparenzanforderungen zu einer intensiveren Beschäftigung mit ökologischen und sozialen Risiken führen und etwa der Treibhausgasausstoß der Wirtschaft sinkt.  

    Keine Wahlfreiheit bei Prüfern 

    Bei der deutschen Umsetzung war seit Veröffentlichung des Referentenentwurfs im März vor allem die Frage umstritten, wer die CSRD-Berichte prüfen darf. Während die EU eine Wahlfreiheit ermöglicht, entschied sich das Bundesjustizministerium für eine Beschränkung auf Wirtschaftsprüfer. Weil CSRD-Berichte an die Finanzberichterstattung angepasst werden sollen, seien insbesondere Wirtschaftsprüfer für diese Aufgabe geeignet, so die Begründung. Technische Sachverständige von TÜV, Dekra oder der Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung für Qualitätssicherungssysteme (DQS) sollten demnach außen vor bleiben.  

    In der Verbändeanhörung regte sich dagegen Widerstand. Vertreter von kleinen und mittelständischen Unternehmen wiesen darauf hin, dass es so zu einer unwirtschaftlichen Verknappung und damit Benachteiligung gegenüber Konzernen kommen würde. Auch große Verbände wandten sich gegen die Regelung, allerdings mit wenig Erfolg. Der jetzige Gesetzentwurf hält in Paragraph 324e daran fest, dass die Testierung Wirtschaftsprüfern vorbehalten bleiben soll.  

    Schnelle Verabschiedung im Parlament gefordert 

    Zur Begründung erklärte das Justizministerium, dass etwaige Prüfer Anforderungen unterliegen, die den Anforderungen an Wirtschaftsprüfer gleichwertig sind, etwa hinsichtlich ihrer Ausbildung, Qualitätssicherungssysteme, Haftung und Aufsicht. Und: “In Deutschland gibt es bislang keine derart gleichwertigen rechtlichen Anforderungen für Umweltgutachter oder andere unabhängige Erbringer von Bestätigungsdienstleistungen.” Eine Ausweitung der Zulassung sei deshalb “nach gegenwärtiger Rechtslage nicht möglich”. 

    Maik Beermann, Leiter Außen- und Regierungsbeziehungen bei Dekra, will das nicht hinnehmen. “Wir setzen jetzt auf das parlamentarische Verfahren”, sagte er zu Table.Briefings. Tanja Gönner, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), kritisierte die Entscheidung der Regierung als eine “vertane Chance”. Weiter: “Durch eine Wahl zwischen Wirtschaftsprüfern und unabhängigen Dritten ließen sich Kapazitätsengpässe und hohe Kosten bei der externen Prüfung vermeiden.” Dass sich die Regierung nun auf einen Entwurf geeinigt hat, begrüßte sie hingegen. Das sei ein “positives Signal”. Nun müsse das Gesetz “zeitnah” im Bundestag verabschiedet werden, um Unternehmen Rechts- und Planungssicherheit zu geben. 

    Deutschland hängt bei der Umsetzung hinterher 

    Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, äußerte sich ähnlich. Es sei gut, dass “wir direkt nach der Sommerpause mit den parlamentarischen Beratungen im Bundestag beginnen können. Dieser Kabinettsbeschluss ist lange überfällig.” 

    Ursprünglich hatte die Regierung geplant, den Gesetzentwurf bereits vor zwei Monaten zu verabschieden, nahm das Vorhaben dann aber kurzfristig wieder von der Agenda. Grund dafür waren die zahlreichen Statements aus der Verbändeanhörung sowie die notwendige Abstimmung der verschiedenen Ministerien über Details des Entwurfs. Dass das Gesetz jetzt beschlossen wird, kam für eine Reihe von Beobachtern in Verbänden, Fraktionen und Unternehmen überraschend. Noch am Dienstagabend hatte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums auf Anfrage von Table.Briefings erklärt, keine Aussage darüber machen zu können, ob der Referentenentwurf auf die Tagesordnung kommen würde.  

    Im europäischen Vergleich gehört Deutschland bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zu den Nachzüglern. Nur sechs andere Regierungen hatten bis zum Stichtag 6. Juli 2024 weder parlamentarische Konsultationen abgehalten noch einen Gesetzentwurf präsentiert; an diesem Tag lief die von der EU vorgegebene Frist von 18 Monaten für die Umsetzung ab. In elf Ländern ist die CSRD bereits in ein nationales Gesetz überführt worden. 

    Bundesjustizministerium geht von höheren Kosten aus

    Von Enthusiasmus kann im zuständigen Bundesjustizministerium ohnehin kaum die Rede sein. In einer Pressemitteilung machte Minister Marco Buschmann seinen Unwillen deutlich. “Deutschland setzt die CSR-Richtlinie um, dazu sind wir nach EU-Recht verpflichtet. Unternehmen sollten künftig zusammen mit ihrem Jahresabschluss detailliert über ihren Umgang mit sozialen und ökologischen Herausforderungen berichten. Es ist kein Geheimnis, dass ich darüber nicht glücklich bin.” Die neuen Regelungen würden eine “drastische Mehrbelastung für die Unternehmen” bedeuten – das Umsetzungsgesetz wolle die Mehrbelastung “so minimalinvasiv und bürokratiearm wie möglich” gestalten. 

    Bei den Kosten, die aus dem Gesetz resultieren, korrigierte das Ministerium die Annahmen aus dem vorigen Referentenentwurf leicht nach oben. Für die Wirtschaft erwartet es einen einmaligen Erfüllungsaufwand in Höhe von rund 847 Millionen Euro. Der jährliche Aufwand liege ab dem Jahr 2028 bei rund 1,58 Milliarden Euro als Bürokosten aus Informationspflichten. 

    Der BDI wies darauf hin, dass dies “nahezu die Hälfte der Entlastungswirkung des gerade verabschiedeten Wachstumschancengesetzes” entspreche. Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sagte zu dem einmaligen Erfüllungsaufwand: “Das wären rechnerisch ungefähr 58.000 Euro pro Unternehmen. Für den Versicherungssektor rechnen wir aber im Schnitt mit vier- bis achtmal höheren Kosten. Für große Versicherungsgruppen liegen die Kosten sogar eher im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich.” 

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    AGRI-Vorsitz: Geteiltes Echo auf Wahl von EKR-Frau Vrecionová

    Dass mit Veronika Vrecionová nun eine Politikerin der nationalkonservativen Fraktion EKR dem EU-Agrarausschuss vorsitzt, bewerten deutsche EU-Agrarpolitiker unterschiedlich. Kritik kommt aus dem linken Flügel. Statt die Zeichen auf eine “zukunftsbejahende, enkeltaugliche” Agrarpolitik zu stellen, sitze mit Vrecionová “ein Stoppschild auf dem Platz der Vorsitzenden“, sagt die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl zu Table.Briefings. Die Tschechin ist die erste Frau an der Spitze des Ausschusses. Doch nicht nur im Agrarbereich, auch bei Abstimmungen zur Gleichstellung von Frauen sei Vrecionová bisher vor allem dadurch aufgefallen, dass sie Renationalisierung fordere und auf die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verweise, meint Noichl.

    Der Grünen-Abgeordnete Martin Häusling nimmt derweil vor allem die Rolle der Europäischen Volkspartei in den Blick. Letztere hatte im parlamentsinternen Verteilungsverfahren zunächst den AGRI-Vorsitz für sich reklamiert, diesen letztlich aber im Tausch für den Chefposten im Innenausschuss (LIBE) der EKR angeboten, wohl um dort einen zu großen Einfluss der Rechten auf Migrationsfragen zu verhindern. “Mein Erstaunen war groß, dass die EVP den Vorsitz abgegeben hat“, meint Häusling. Zwar sei Vrecionová eher eine moderate Vertreterin der EKR, er hätte sich aber gewünscht, dass eine proeuropäische Fraktion den Ausschussvorsitz übernimmt.

    Optimistisch blickt der bisherige Ausschussvorsitzende Norbert Lins (CDU), der nun zu einem von Vrecionovás Stellvertretern gewählt wurde, auf die künftige Zusammenarbeit. Die Tschechin schätze er im Agrarausschuss als “moderate Kollegin” ein, die sich in der vergangenen Legislaturperiode als Agrarsprecherin ihrer Fraktion “fachlich kompetent und kompromissbereit” in den Gesetzgebungsprozess eingebracht habe.

    Vrecionová für Käfigverbot und neue Züchtungstechniken

    Vrecionová war am Dienstag bei der konstituierenden Sitzung des Agrarausschusses mit 31 von 49 Stimmen zur Vorsitzenden gewählt worden. Zum Antritt versprach sie nicht nur, sich für kleine Betriebe und Bürokratieabbau einzusetzen, sondern betonte auch, die Gemeinsame Agrarpolitik müsse sich auf den Beitrittsprozess der Ukraine einstellen. Anders als manch andere Vertreter ihrer Fraktion hat sie sich auch in der Vergangenheit dafür ausgesprochen, die Ukraine über den Agrarhandel zu unterstützen. Argumente, dass billiges ukrainisches Getreide den europäischen Markt überschwemmen würde, seien “Fehlinformationen”, sagte sie in einer Parlamentsdebatte im März.

    Persönlich wolle sie sich vor allem auf Tierschutzthemen fokussieren, sagte Vrecionová nach ihrer Wahl. Noch im Frühjahr forderte sie von der EU-Kommission, ein Verbot der Käfighaltung ins Arbeitsprogramm für 2025 aufzunehmen. Neben ihrer bisherigen Tätigkeit als Agrarsprecherin arbeitete die Tschechin in der vergangenen Legislaturperiode unter anderem die Stellungnahme des Agrarausschusses zur Reform des EU-Gentechnikrechts aus und setzte sich für eine weitreichende Deregulierung neuer Gentechniken ein. jd

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    GAP-Lockerungen: Warum die EU-Kommission jetzt mit einer Beschwerde konfrontiert ist

    Zwei Umweltschutzorganisationen haben bei der Europäischen Bürgerbeauftragten Beschwerde gegen das Schnellverfahren eingelegt, mit dem die EU-Kommission Anfang des Jahres Entlastungen infolge der Bauernproteste auf den Weg gebracht hatte. Die Brüsseler Behörde hatte damals ohne vorherige Folgenabschätzung oder vollumfängliche Verbändebeteiligung Lockerungen bei Umweltauflagen innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgelegt.

    Die Kommission begründete das mit der “Dringlichkeit” der Lage. Die NGOs ClientEarth und BildLife Europe überzeugt das nicht. “Änderungen an bedeutenden Gesetzen wie diesem brauchen Jahre, um verabschiedet zu werden – dagegen dauerte es hier nur Wochen”, bemängelt ClientEarth-Anwältin Sarah Martin. Ein solches “Notverfahren” sei bisher sonst nur in Fällen wie der Covid-19-Pandemie oder dem Ukraine-Krieg zur Anwendung gekommen. Dass es bei den GAP-Lockerungen zum Einsatz kam, sei “undemokratisch” und verstoße gegen EU-Recht, argumentieren die Organisationen.

    Die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly ist unter anderem dafür zuständig, die Einhaltung der guten Verwaltungspraxis durch die EU-Institutionen zu überwachen. Sie prüft Beschwerden, kann Untersuchungen durchführen und Institutionen gegebenenfalls öffentlich ermahnen, fällt aber keine juristischen Urteile. Mit einer Rückmeldung zur Beschwerde der NGOs wird in den kommenden sechs bis 18 Monaten gerechnet. jd

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    Kartellverfahren gegen Delivery Hero: Warum die EU-Kommission ein breiteres Problem befürchtet

    Dem Essenslieferdienst Delivery Hero drohen hohe Strafen, nachdem die Europäische Kommission diese Woche eine kartellrechtliche Untersuchung gegen das Unternehmen eingeleitet hat. Dabei geht es um mutmaßliche Absprachen zwischen dem Unternehmen mit Sitz in Berlin und dem spanischen Lieferdienst Glovo. Delivery Hero verweist in einer Mitteilung an seine Investoren darauf, bereits vor mehreren Wochen 400 Millionen Euro für mögliche Strafzahlungen zurückgestellt zu haben. Man kooperiere vollumfänglich mit der Kommission, heißt es.

    Die Brüsseler Behörde hegt den Verdacht, dass sich vor der Übernahme von Glovo durch Delivery Hero 2022 beide Unternehmen Märkte untereinander geografisch aufgeteilt und sensible Geschäftsinformationen ausgetauscht haben. So zum Beispiel zu Preisen, Kosten oder Geschäftsstrategien. Zudem könnten beide vereinbart haben, gegenseitig keine Mitarbeitenden abzuwerben. 2022 und 2023 hatte die Kommission unangekündigte Durchsuchungen bei beiden Firmen durchgeführt. Ob sich der Verdacht juristisch erhärtet, wird die formelle Untersuchung zeigen.

    Lieferdienste im Fokus der Wettbewerbshüter

    Derweil betont die Kommission auch, über diesen konkreten Fall hinaus die Wettbewerbssituation im Bereich der Online-Lebensmittellieferdienste besonders genau im Blick zu behalten. Es sei “ein schnell wachsender Sektor, in dem wir den Wettbewerb schützen müssen”, sagt Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.

    Aus Sicht der Brüsseler Behörde besteht in einem solchen “jungen und dynamischen” Markt das Risiko, dass Absprachen zum Beispiel über die Marktaufteilung zu einer “versteckten Marktkonsolidierung” und damit zu erhöhten Verbraucherpreisen führen. jd

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    Must Reads

    UN Report: Hunger numbers stubbornly high for three consecutive years as global crises deepen

    Die Zahl der hungernden Menschen stagniert seit drei Jahren bei 733 Millionen, heißt es im Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Damit hungert einer von elf Menschen weltweit. Der Hunger ist jedoch ungleich verteilt: In Afrika betrifft er jeden Fünften. Faktoren wie anhaltende Inflation, Konflikte, Klimawandel und Wirtschaftskrisen tragen zur Ernährungsunsicherheit bei. Paradoxerweise nimmt gleichzeitig auch die Zahl der Übergewichtigen weltweit zu: 2012 waren 12,1 Prozent der Menschen krankhaft fettleibig, aktuell betrifft dies 15,8 Prozent der Erwachsenen. Prognosen zufolge wird die Zahl fettleibiger Erwachsener bis 2030 auf über 1,2 Milliarden steigen. FAO-Generaldirektor Dr. Qu Dongyu fordert einen grundlegenden Wandel der globalen Agrar- und Ernährungssysteme. Nur so sei Ernährungssicherheit für alle Menschen erreichbar. Zum Bericht

    Studie: Beyond the cow: Consumer perceptions and information impact on acceptance of precision fermentation-produced cheese in Germany

    Laut einer Studie der Universität Göttingen sind Verbraucher und Verbraucherinnen bereit, Käse zu probieren und zu kaufen, der durch Präzisionsfermentation hergestellt wurde. Bei dem biotechnologischen Verfahren werden Milchprodukte ohne den Einsatz von Kühen hergestellt. Stattdessen werden Bakterien, Hefen oder Pilze eingesetzt, um vertraute Geschmacksrichtungen und Texturen zu erzeugen. Ziel ist eine nachhaltigere Lebensmittelproduktion durch nährstoffreiche Proteine mit geringem Ressourcenverbrauch. Die Ergebnisse der Umfrage unter rund 2.000 Teilnehmenden deuten darauf hin, dass eine sorgfältige Kommunikation für die Akzeptanz von tierfreiem Käse entscheidend ist. Generell ist die Bereitschaft, das Produkt zu probieren, groß, wenn Umwelt- und Qualitätsvorteile hervorgehoben werden, wohingegen sich die Bereitschaft leicht verringert, wenn gentechnische Veränderungen zur Produktgewinnung erwähnt werden. Kuhfreie Käse-Produkte sind in den USA bereits auf dem Markt, die Zulassung in Deutschland und der Europäischen Union steht noch aus. Die Technologie als solche ist nicht neu – sie wird bereits bei der Herstellung von Medikamenten wie Insulin eingesetzt. Zur Studie

    Africanews: Drought wreaks havoc on Morocco’s cereal harvest

    Die Getreideernte in Marokko wird durch anhaltende Trockenheit stark beeinträchtigt: Der diesjährige Weizenertrag wird nach Schätzungen des marokkanischen Landwirtschaftsministeriums im Vergleich zum Vorjahr um 43 Prozent zurückgehen. Dies entspricht einer Menge von 31,2 Millionen Zentnern. Die Anbaufläche für die wichtigsten Getreidesorten sei ebenfalls zurückgegangen, sie habe sich um 33 Prozent verringert. In einigen Regionen könne aufgrund von schwerem Wassermangel überhaupt kein Getreide mehr angebaut werden. Landwirte berichten von drastischen Ertragseinbußen. Durch die geringe Getreideernte wird erwartet, dass Marokko seine Weizenimporte bis Ende des Jahres um 19 Prozent erhöhen wird. Zum Artikel

    Lebensmittelzeitung: Scholz nennt Mindestlohn “zentrale Herausforderung”

    Bundeskanzler Olaf Scholz hält an seinem Ziel von 15 Euro Mindestlohn fest. In Deutschland werde im unteren Bereich zu wenig verdient, äußerte Scholz in einer Pressekonferenz. Das schade der Produktivität. Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) wies Scholz’ Forderungen mit scharfen Worten zurück. Der Kanzler würde den Mindestlohn zum wiederholten Mal zu Wahlkampfzwecken missbrauchen, empört sich BGA-Präsident Dirk Jandura. Auch die Opposition übt Kritik an Scholz’ Forderung. Es sei zu beobachten, dass Importe aus Ländern mit einem geringeren Mindestlohn Obst und Gemüse aus Deutschland verdrängten, so CDU-Agrarpolitiker Albert Stegemann gegenüber der LZ. Discounter Lidl ist in der Debatte einen Schritt voraus: Ab September bezahlt der Schwarz-Discounter seinen Mitarbeitenden mindestens 15 Euro pro Stunde. Zum Artikel

    Handelsblatt: Baywa bekommt Kapitalspritze – und kassiert die Jahresprognose ein

    Der Agrar- und Baustoffhändler Baywa erhält finanzielle Unterstützung durch seine Eigentümer in Form eines Darlehens von 50 bis 60 Millionen Euro, um mehr Zeit für die Bewältigung seiner Schuldenkrise zu gewinnen. Trotz dieser Kapitalspritze bleiben die grundlegenden Probleme bestehen. Aufgrund hoher Schulden und der Zinswende verzeichnete Baywa im ersten Halbjahr 2023 einen Umsatzrückgang von 12,6 auf 10,7 Milliarden Euro. Angesichts möglicher Wertminderungen und Umstrukturierungen im Zuge der Krise kassierte der Vorstand daher die Gewinnprognose für 2024 ein und plant, Anteile der Tochtergesellschaft Baywa Re zu verkaufen, um die finanzielle Situation zu stabilisieren. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) versucht bereits, die Interessen von enttäuschten Anlegern zu bündeln. “Viele Landwirte sind dort gleichzeitig Kunden und Aktionäre. Nicht selten ist die Baywa-Aktie wichtiger Teil der Altersvorsorge”, sagt DSW-Geschäftsführerin Daniela Bergdolt. Die Anleihegläubiger bräuchten “eine starke gemeinsame Vertretung, damit sie im Zuge der nun stattfindenden Sanierung nicht die Leidtragenden sind”. Zum Artikel

    World Grain: Streit um gentechnisch veränderten Mais zwischen USA und Mexiko könnte bald enden

    Mexikos Präsidialdekret zum Verbot von gentechnisch verändertem Mais aus dem Jahr 2020, das sich auf die Bedrohung einheimischer Sorten und der menschlichen Gesundheit beruft, betrifft Maisimporte aus den USA im Wert von jährlich rund fünf Milliarden US-Dollar. Die USA haben laut Botschafter Doug McKalip überzeugende Argumente gegen das von Mexiko vorgeschlagene Verbot von gentechnisch verändertem Mais im Rahmen des USMCA (United States-Mexico-Canada Agreement) vorgelegt. Der Streit, der von der National Corn Growers Association (NCGA) initiiert und vom US-Handelsbeauftragten (USTR) unterstützt wurde, soll im Herbst entschieden werden. Die neu gewählte mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum könnte den Ausgang des Disputs beeinflussen. US-Handelsverbände hoffen, dass sie den Handelsstreit beenden kann, der unter dem derzeitigen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador begann. Zum Artikel

    Mehr von Table.Briefings

    Security.Table: Wie sich die Machtverhältnisse im Schwarzen Meer ändern

    Russische Händler exportieren 90 Prozent des Getreides über das Schwarze Meer. Ein Ziel des Kriegs war es, der Ukraine die globale Position im Lebensmittelhandel streitig zu machen. Inzwischen muss Moskau um seine Flotte bangen, denn der Ukraine ist es gelungen, Russlands Vorherrschaft im Schwarzen Meer zu schwächen und die Exportkapazitäten für Getreide wieder zu erhöhen. Vor dem Februar 2022 exportierte das Land über das Schwarze Meer 6,5 Millionen Tonnen Getreide monatlich, jetzt sind es mehr als 5,2 Millionen. Die Exportmenge ist 2023/2024 gestiegen und lag um rund 3,17 Prozent höher als im Vorjahr. Das Niveau von vor 2022 ist aber noch nicht wieder erreicht. Zum Artikel

    Climate.Table: Marcin Korolec: Europa braucht einen Fonds für grüne industrielle Entwicklung

    Die frisch wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlägt die Schaffung eines Europäischen Fonds für industrielle Entwicklung (EIDF) vor, um Schlüsseltechnologien und die Energiewende zu fördern. Marcin Korolec, Leiter des Green Economy Institute in Warschau, erläutert gegenüber Table.Briefings, wie dieser Fond umgesetzt werden könnte. Es sei wichtig, trotz des politischen Drucks durch die extreme Rechte und die Konkurrenz aus den USA und China die Klimaziele nicht zu vernachlässigen. Korolec zufolge sollte der EIDF durch gemeinsame Schulden finanziert und einfach zugänglich gemacht werden, wobei Mittel nach dem Bedarf und der Größe der Industrien der Mitgliedstaaten verteilt werden sollen. Ziel des Fonds sei es, die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken und Energieunabhängigkeit zu erreichen. Zum Artikel

    Agrifood.Table Redaktion

    AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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