Table.Briefing: Agrifood

Exklusiv: Gutachten zur Ernährungsarmut in Deutschland + Gentechnik: Noch keine Position im Rat + COP28 zu Ernährungssystemen

Liebe Leserin, lieber Leser,

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher

die europäischen Agrarminister haben sich am Montag nicht zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts positioniert. Eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten pocht auf Änderungen am Vorschlag der Brüsseler Behörde und hat Bedenken, die Anwendung der Bio-Technologie in der Pflanzenzüchtung zu erleichtern. Die Verhandlungen müssen folglich in 2024 von der belgischen Ratspräsidentschaft fortgeführt werden.

Die Grünen und Bio-Verbände sehen die fehlende Zustimmung für den Vorschlag der EU-Kommission als Etappensieg. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte im Anschluss des Treffens in Brüssel: “Wir brauchen Regeln für die Koexistenz mit dem gentechnikfreien Bio-Landbau, damit ein funktionierender, milliardenschwerer Markt nicht zerstört wird.” Darüber hinaus teilte sein Ressort mit, sich für eine Kennzeichnung entlang der gesamten Wertschöpfungskette einzusetzen.

Im Interview mit Table.Media erläutert der Rechtswissenschaftler Hans-Georg Dederer von der Universität Passau, dass der Vorschlag der EU-Kommission Koexistenz prinzipiell ermögliche. Allerdings schließt dies privatautonome Absprachen zwischen Öko-Verbänden, Bio-Landwirten und deren Abnehmern aus.

Analyse

Deutsche Ernährungspolitik verstößt gegen Menschenrechte

5,73 Euro pro Tag für Essen und Getränke sieht das Bürgergeld für einen Erwachsenen vor – zu wenig, wie es jetzt in einem Gutachten heißt. Der Regelsatz reiche nicht aus, um gesunde Lebensmittel zu finanzieren und verstoße damit gegen das Menschenrecht auf angemessene Nahrung. Zu diesem Schluss kommen die Rechtsanwälte André Horenburg und Dr. Johannes Franke von der Hamburger Kanzlei Günther im Auftrag der Linken im Bundestag.

Die noch unveröffentlichte Expertise liegt Table.Media exklusiv vor. Auf 23 Seiten erläutern die Juristen, weshalb das Bürgergeld ihrer Auffassung nach gegen den völkerrechtlich bindenden Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz: UN-Sozialpakt) verstößt – einen der grundlegenden Menschenrechtsverträge. Er legt den Vertragsstaaten eine “Gewährleistungspflicht” auf: Sie müssten ihren Bevölkerungen soweit möglich garantieren, dass sie sich nicht nur eine sattmachende Ernährung leisten können, sondern auch die für ein gesundes Leben und eine gesunde Entwicklung von Kindern nötige “Mischung von Nährstoffen”.

Ernährungsarmut seit Jahren Thema wissenschaftlicher Studien

Zuletzt haben wissenschaftliche Publikationen infrage gestellt, ob Deutschland dieser Pflicht nachkommt:

  • Bereits 2020 beschrieb der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) des BMEL “armutsbedingte Mangelernährung und teils auch Hunger” in Deutschland – und sah darin ein erhebliches Entwicklungsrisiko für Kinder. Ein Problem aus WBAE-Sicht: Lebensmittel wie Obst und Gemüse, die reich an Vitaminen und Mineralstoffen sind, sind teurer als kaloriendichte Produkte wie Nudeln.
  • 2021 berechneten Forscher von der Charité und der Universität Potsdam die Kosten einer Ernährung nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Ihr Fazit: Hartz IV und auch der damalige Mindestlohn “reichen nicht aus, um einen gesunden Lebensstil zu gewährleisten”.
  • 2022 bestätigten Wissenschaftler der Universität Bonn und der Charité, dass die Sozialleistung “nicht ausreicht, um die realen Kosten [einer gängigen Ernährung] zu decken”.
  • Im März 2023 legte der WBAE mit einer ausführlichen Stellungnahme nach. In Deutschland seien rund drei Millionen Menschen “durch materielle Ernährungsarmut gefährdet”, heißt es darin – auch weil das Bürgergeld zu niedrig sei.

Politisches Handeln blieb bislang aus

Mit diesen Publikationen, die die Rekord-Preissteigerungen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine noch nicht einmal berücksichtigen, argumentiert auch die von der Linksfraktion beauftragte Kanzlei. Wegen der Inflation der Lebensmittelpreise bedeute auch die vergangene sowie die für 2024 geplante Erhöhung des Bürgergeldes “keine reale Kaufkraftsteigerung”. Den Juristen zufolge könnten Betroffene eine Individualbeschwerde gegen die Höhe des Bürgergelds beim UN-Sozialausschuss einreichen. Zuvor müssten sie jedoch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht durchlaufen haben.

Vor fast genau einem Jahr hatte Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) das Problem so deutlich wie noch kein anderes Mitglied der Bundesregierung anerkannt: “Auch in einem reichen Land wie Deutschland gibt es Ernährungsarmut“, schrieb er im Dezember 2022 in einem Gastbeitrag für die Welt. Politisch gefolgt war daraus jedoch nichts. Özdemir kündigte an, soziale Aspekte zum Schwerpunkt der geplanten Ernährungsstrategie der Bundesregierung zu machen. Ob dies gelingt, erscheint nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts jedoch unwahrscheinlicher denn je. Immerhin haben Vertreter der FDP das Bürgergeld schnell als eine der ersten Möglichkeiten für Einsparungen auserkoren. Zudem stritt das SPD-geführte und für das Bürgergeld zuständige Bundesarbeitsministerium in der Vergangenheit stets ab, dass der Regelsatz für eine gesunde Ernährung nicht ausreichen könnte. Mehr Dynamik könnte deshalb vom “Bürgerrat Ernährung” ausgehen: Der hatte bei seiner Auftaktveranstaltung die “Bezahlbarkeit von Lebensmitteln” zu einem von drei Themenfeldern ausgewählt.

Gutachter kritisieren Berechnungsgrundlage des Regelsatzes

Das Rechtsgutachten der Kanzlei Günther bemängelt bereits das Verfahren, mit dem die Bürgergeld-Sätze festgelegt werden. “Die Finanzierung einer gesunden Ernährung wird bei der Berechnung des Bürgergelds schon methodisch nicht einmal angestrebt”, heißt es darin. Tatsächlich wird im Regelsatz nicht berücksichtigt, wie viel eine gesunde Ernährung kostet. Die für Lebensmittel vorgesehenen Beträge errechnen sich stattdessen aus einer stichprobenhaften Erhebung der tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte – ohne zu prüfen, ob dies für einen gesunden Einkauf reicht. Ziel der Berechnung sei eher “eine Gleichstellung in der Mangelernährung”, heißt es in dem Gutachten.

Die Linken-Abgeordnete Ina Latendorf, bis zur Auflösung ihrer Fraktion in der vergangenen Woche deren ernährungspolitische Sprecherin, warf der Bundesregierung vor, das “universelle Menschenrecht auf angemessene Ernährung” nicht ernstzunehmen. “Das Gutachten bestätigt unsere Forderungen, die tatsächlichen Kosten für eine gesunde Ernährung zu ermitteln, die Regelsätze entsprechend anzupassen und letztlich die Ernährungspolitik grundlegend zu ändern”, so Latendorf.

  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
  • Bürgergeld
  • Bürgerrat Ernährung
  • Ernährung
  • Ernährungspolitik
  • Menschenrechte
Translation missing.

EU-Gentechnikrecht: Die Folgen der Abwehrhaltung für die Biobranche

Die EU-Kommission plant, das EU-Gentechnikrecht zu liberalisieren. Dafür definiert die Brüsseler Behörde zwei Kategorien von Nutzpflanzen, die mittels biotechnologischer Verfahren wie der Genschere CRISPR/Cas entstehen können: NGT-1 und NGT-2, NGT ist die Abkürzung für neue genomische Techniken. Nutzpflanzen der ersten Kategorie (NGT-1) sollen künftig nicht mehr unter das EU-Gentechnikrecht fallen. Vorausgesetzt, die Erbgutänderung entspricht der von konventionell gezüchteten Nutzpflanzen. Bei Nutzpflanzen der zweiten Kategorie (NGT-2) wird angenommen, dass die technisch induzierte Erbgutänderung nicht der von konventionell gezüchteten Nutzpflanzen entsprechen kann. NGT-2 sollten deshalb als GVO-reguliert werden, schlägt die EU-Kommission vor. Genauso wie NGT-1 dürfen sie kein artfremdes Material enthalten.

Die Biobranche spricht sich vehement gegen eine Deregulierung des EU-Rechts aus. “Die Gentechnik-Industrie will uns jetzt ihr Wirtschaftsmodell aufzwingen – das darf eine Bundesregierung mit Ziel 30 Prozent Bio nicht zulassen”, sagt Tina Andres, Vorsitzende des Bund für ökologische Lebensmittelwirtschaft. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) setzt sich deshalb für Regeln für die Koexistenz und eine Kennzeichnung entlang der gesamten Wertschöpfungskette ein, “damit ein funktionierender, milliardenschwerer Markt nicht zerstört wird”, sagt der Ressortchef. Eine Kennzeichnung fordert auch die Rewe-Group. “Nur so können Wahlmöglichkeit und eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung auch zukünftig gewährleistet werden”, sagt Daniela Büchel, Mitglied des Vorstands, zu Table.Media.

Rechtswissenschaftler: “Ökolandwirte können NGT-Saatgut vermeiden”

Gegen eine Koexistenz verschiedener Produktlinien spricht aus Sicht des Rechtswissenschaftlers Hans-Georg Dederer im Vorschlag der EU-Kommission allerdings nichts. “Saatgut muss entsprechend deklariert sein. NGT-1-Saatgut mit dem Hinweis ‘Kat. 1 NGT’. Für NGT-2-Saatgut gelten die üblichen GVO-Kennzeichnungsvorschriften”, sagt Dederer im Interview mit Table.Media. Öko-Landwirte könnten die Verwendung von NGT-Saatgut deswegen vermeiden und dem GVO-Verwendungsverbot der EU-Öko-Verordnung entsprechen.

Probleme für Ökolandwirte könnten sich nur daraus ergeben, dass NGT-Spuren in ihre Ernten eingetragen werden. Das gilt vor allem für solche Ökobauern, die sich an strengere Vorgaben halten müssen, als es die EU-Öko-Verordnung vorgibt. Nach der EU-Öko-Verordnung ergeben sich “prinzipiell keine Probleme”, sagt Dederer. “Die Ernte darf auch dann als ‘Öko’- gekennzeichnet und so verkauft werden, wenn sich NGT-1-Spuren in der Ernte befinden.” Das gelte selbst dann, wenn die Spuren oberhalb des Schwellenwerts von 0,9 Prozent liegen, weil das GVO-Recht nach den Plänen der EU-Kommission nicht auf NGT-1 anwendbar sein wird. Gleiches gelte für die in Deutschland zugelassene “ohne Gentechnik”-Kennzeichnung von Lebensmitteln, so Dederer weiter.

Kosten und Haftungsrisiken entstehen infolge privatrechtlicher Absprachen

Denkbar wären Rechtsstreitigkeiten aufgrund privatautonom vereinbarter Reinheitsstandards, erläutert Dederer. Zum Beispiel könnte ein Öko-Landwirt gegenüber seinem Abnehmer die Einhaltung von Standards versprechen, die ein Verband des Öko-Landbaus vorgibt. Meint der Abnehmer, NGT-Spuren in der Ernte des Ökolandwirts gefunden zu haben, könnte es sein, dass er die Abnahme der Ernte als nicht vertragsgemäß verweigert.

“Die Biobranche schafft sich mit ihrer Abwehrhaltung Probleme, die sich aus wissenschaftlicher Sicht nicht begründen lassen”, meint Dederer. “Das Risikoprofil von NGT-1-Pflanzen liegt unter dem Risikoprofil von Pflanzen aus klassischer Mutagenese”, sagt der Rechtswissenschaftler. Aus wissenschaftlicher Sicht sei die Gleichstellung von NGT-1-Pflanzen mit konventionell gezüchteten Pflanzen die einzig richtige Schlussfolgerung.

Die Kommission habe sich in ihrem Entwurf nur aus politischen Gründen dafür entschieden, dass NGT-1-Pflanzen unter das GVO-Verwendungsverbot der EU-Öko-Verordnung fallen sollen. Um getrennte Produktlinien, mit und ohne NGT-1, zu ermöglichen, habe sie die Kennzeichnung von Saatgut als “Kat. 1 NGT” vorgesehen. Auf dieser Grundlage könne der Landwirt sein Saatgut auswählen. Anschließend könne er die Information, dass er weder GVO- noch NGT-1-Saatgut verwendet hat, an Abnehmer weitergeben, meint Dederer.

  • EU-Öko-Verordnung
  • NGT

Ernährungssysteme im Klimawandel

Darum geht es:

Zum ersten Mal bei einer UN-Klimakonferenz spielen in Dubai auch Lebensmitteln und Ernährungssysteme (Food Systems) eine wichtige Rolle. Es gibt beispielsweise einen Food Pavillon und der Thementag zu “Food, Agriculture and Water” bringt das Thema ebenfalls auf die Tagesagenda der COP28. In den Verhandlungen wird das Thema von zwei Seiten betrachtet. Zum einen geht es um die Bekämpfung von Hunger und um Ernährungssicherheit in Zeiten des Klimawandels. Zum anderen wird diskutiert, wie der Konsum von Fleisch und Milchprodukten reduziert werden kann, da diese pro Kilo und Kalorie weit mehr Emissionen verursachen als pflanzliche Nahrungsmittel. Die COP bietet in diesem Jahr hauptsächlich veganes Catering an.

Deshalb ist das Thema wichtig:

Ernährungssysteme tragen zu einem Drittel der globalen Treibhausgasemissionen bei. Rund zwei Drittel dieser Emissionen stammen aus der Herstellung tierischer Produkte, während sie nur 19 Prozent der Kalorien und 41 Prozent des Eiweißes der gesamten weltweit hergestellten Nahrungsmittel enthalten. Einer der wichtigsten Aspekte sind dabei Landnutzungsänderungen und Abholzungen. Zudem trägt industrielle Landwirtschaft zum Biodiversitätsverlust bei.

Bisher spielt Ernährungsumstellung als Treiber des Klimawandels bei politischen Maßnahmen eine untergeordnete Rolle: Während mehr als 100 Länder Landwirtschaft in ihre NDCs aufgenommen haben, findet sich nur in fünf NDCs Konsum als Thema. Diese fünf Länder sind Entwicklungsländer mit relativ geringen Treibhausgasemissionen aus der Ernährung. Gleichzeitig hat der Klimawandel große Auswirkungen auf den Anbau von Lebensmitteln: Dürren und andere Faktoren bringen zunehmend Ernährungsunsicherheit. Durch den Krieg in der Ukraine hat das Thema Ernährungsunsicherheit in internationalen Diskussionen an Gewicht gewonnen – und steht nun für viele Staaten auf der Prioritätenliste, weit vor der Umstellung von Ernährungssystemen.

Das sind die Details:

Die VAE forderten die Länder auf, eine Erklärung zu Sustainable Agriculture, Resilient Food Systems and Climate Action zu unterschreiben.

In der Erklärung werden die Staaten dazu aufgefordert, Ernährungs- und Landwirtschaftssysteme in verschiedene Klimaschutzmaßnahmen einzubinden. Nämlich in:

  • ihre nationalen Klimaziele (NDCs)
  • National Adaptation Plans (NAPs)
  • National Biodiversity Strategies and Action Plans (NBSAPs).

Die Deklaration ist kein offizielles Verhandlungsdokument der COP. Es gibt jedoch auch einen Verhandlungsprozess zu Ernährung und Klima: die Sharm el-Sheikh Joint Work on Implementation of Climate Action on Agriculture and Food Security (SSJW). Die SSJW ist der offizielle Mechanismus, der Ernährung und Landwirtschaft in den UNFCCC einbringt. Der Prozess der SSJW soll vier Jahre dauern, wurde auf der COP27 ins Leben gerufen und ist die Fortsetzung der vorherigen Koronivia Joint Work on Agriculture.

Schon allein der Name zeigt, dass inzwischen mehr Bewusstsein für die Komplexität von Ernährungs- und Klimaschutzfragen vorhanden ist. Das Arbeitsprogramm erkennt die Priorität an, die Ernährungssicherheit zu gewährleisten und Hunger zu beenden. Es nennt aber auch die besondere Anfälligkeit der Nahrungsmittelproduktionssysteme für die Auswirkungen des Klimawandels. Außerdem unterstreicht es die Rolle der Landwirte, einschließlich der Kleinbauern und Hirten, als Schlüsselakteure des Wandels und erkennt an, dass Lösungen kontextspezifisch sind und den nationalen Gegebenheiten Rechnung tragen müssen.

Als Ergebnis der COP28 wird vor allem ein dreijähriger Arbeitsplan für die SSJW ausgearbeitet.

Diese Kritik gibt es:

Ende Oktober hatten rund 85 NGOs wie der WWF, The Food Systems Partnership und die Food and Land Use Coaltion in einem offenen Brief gefordert, die Relevanz von Ernährungssystemen für das Klima und das Pariser Abkommen anzuerkennen. Sie kritisieren insbesondere, dass es bisher keinen ganzheitlichen Ansatz zu Ernährung in der SSJW gibt.

Das Arbeitsprogramm soll zudem folgende Schlüsselelemente beinhalten:

  • “Natur-positive” Lebensmittelproduktion,
  • gesunde und nachhaltige Ernährung,
  • Lösungen für Lebensmittelabfall und -verschwendung vorschlagen, denn rund 17 Prozent der Nahrungsmittel werden verschwendet.

Die NGOs fordern auch, dass Ernährungssysteme bereits vor der COP30 großflächig Einzug in nationale Klimaschutzpolitik und langfristige Planung erhalten.

Regelmäßig wird zudem moniert, dass Konsumfragen im Ernährungskontext bisher nicht genügend thematisiert werden und es zu wenig Maßnahmen gibt, die tatsächlich Verhaltens- und Ernährungsmuster verändern.

Das kann ein Ergebnis der COP28 sein:

Ein konkreter Output und auch Erfolg liegt bereits darin, dass es die Erklärung zu Landwirtschaft und Ernährung gibt. 134 Länder haben sie unterschrieben, zusammen decken sie 75 Prozent der Emissionen aus der Lebensmittelherstellung ab. Umweltorganisationen begrüßten die Erklärung. Sie könne zusätzliche Finanzmittel für nachhaltige Ernährungssysteme bringen. Außerdem kann sie dazu beitragen, Lösungsansätze für nachhaltige und klimafreundliche Ernährung sichtbar machen.

Gleichzeitig wird das Arbeitsprogramm SSJW weiter vorangetrieben und diskutiert. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass es in dieser Hinsicht große Fortschritte gibt, da Ergebnisse aus diesem Prozess erst 2026 auf der COP31 erwartet werden.  

  • Agrarpolitik
  • COP28
  • COP30
  • COP31
  • Ernährung
  • Gesundheit
  • Klima & Umwelt
  • Landwirtschaft
  • Nachhaltige Ernährungssysteme
  • UNFCCC

News

Milliarden für Landwirtschaft und Ernährung

Mehr als drei Milliarden US-Dollar wurden seit Beginn der COP für den Landwirtschafts- und Ernährungssektor versprochen. Diese Zählung beinhaltet nicht alle Gelder, die in den Sektor fließen könnten. So hatte beispielsweise die öffentlich-private Partnerschaft Africa and Middle East SAFE Initiative weitere zehn Milliarden versprochen. Die sollen unter anderem aus privatem Kapital gehebelt werden. SAFE steht für Scale-up Agriculture and Food Systems for Economic Development und die Milliarden sollen unter anderem im Ernährungssicherheit und Lebensgrundlagen im ländlichen Raum fließen. Die Initiative wird vom Global Green Growth Institute koordiniert.

Die Herausforderungen für Ernährung und Klimawandel sind groß: Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind in den letzten drei Jahrzehnten 3,8 Billionen Dollar an Ernte- und Viehverlusten durch Katastrophen wie Überschwemmungen und Dürren entstanden. Um Ernährungssicherheit zu erhalten, ist Forschung in klimaresistente Pflanzen notwendig. Zusätzlich sollen auch die hohen Emissionen in dem Sektor gesenkt werden.

Aus Analysen der Climate Policy Initiative geht hervor, dass es bisher eine große Finanzierungslücke für den Bereich Agri-Food gibt. Während 2021-2022 mehr als 500 Milliarden US-Dollar in die Transformation von Energiesysteme flossen, gingen im selben Zeitraum nur 43 Milliarden in den Bereich Landwirtschaft, Landnutzungsänderung, Wälder und Fischerei. kul

  • COP28
  • Ernährung
  • Ernährungssicherheit
  • Landwirtschaft

Die Ziele der ukrainischen Landwirtschaft: Die Lieferketten stabil halten und neue Lieferwege schaffen

Die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Landwirtschaft in der Ukraine sind erheblich. Daran ließen die Darstellungen von Mykola Melnyk aus dem ukrainischen Agrarministerium kürzlich auf einer Veranstaltung im Rahmen der Landtechnik-Messe Agritechnica in Hannover keine Zweifel. So sei die Erzeugung von Getreide in der Ukraine aktuell im Vergleich zum Jahr 2021 vor der Invasion Russlands um schätzungsweise 34 Prozent zurückgegangen, erläuterte Melnyk. Auch die Produktion von Ölsaaten sei kriegsbedingt um 11 Prozent gesunken, während die Erzeugung von Fleisch ein Minus von 16 Prozent verzeichne. “Wir hatten ehrgeizige Pläne für die Entwicklung der Landwirtschaft”, sagte Melnyk. Vor dem Krieg habe die Zielmarke für die Getreideerzeugung bei 100 Millionen Tonnen gelegen.

Nun sei die landwirtschaftliche Nutzfläche vermint und kriegsbedingt um 25 Prozent reduziert. Sein Land lege natürlich Priorität auf die Beseitigung von Kriegsschäden, würde den Agrarsektor aber trotzdem weiterentwickeln. Mit Blick auf den möglichen EU-Beitritt der Ukraine sagte Melnyk, dass die Ukraine die Bioproduktion ausbaue: “Wir sehen, dass die Nachfrage der EU-Bürger nach Bioprodukten hoch ist, deshalb entwickeln wir diesen Bereich weiter.” Der Krieg habe den Ausbau der Ökolandwirtschaft zwar gebremst, “aber wir betrachten dieses Marktsegment weiter als aussichtsreich”, so Melnyk.

Lieferketten stabil halten

Überhaupt habe die ukrainische Landwirtschaft einige Erneuerungen vorangetrieben, führte der Vertreter des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums aus. Im Jahr 2021, vor dem russischen Angriffskrieg, sei der Bodenmarkt liberalisiert worden: “Auch juristische Personen dürfen Land erwerben, das ist eine gute Nachricht für Investoren.” Melnyk machte deutlich, dass er fest an die weitere Perspektive der Landwirtschaft nach dem Krieg glaube: “Wir werden alle Flächen zurückgewinnen.”

Aktuell gelte es, die Lieferketten stabil zu halten und neue Lieferwege zu schaffen: “Die Exportwege haben sich stark verändert. Seit Ausbruch des Krieges exportieren wir unsere Erzeugnisse über die Donau und die Häfen an der Grenze zu Rumänien.” Das Agrarministerium sei bemüht, für resiliente Lieferketten zu sorgen, betont Melnyk. Seit dem russischen Angriffskrieg ist der Export von ukrainischen Agrarrohstoffen über die Schwarzmeerhäfen stark beeinträchtigt. Dies ist umso mehr der Fall, seitdem Russland im Sommer seine Unterstützung für einen geschützten Exportkorridor für Getreide über das Schwarze Meer aufgekündigt hat.

40 Prozent der Anpassungen im Agrarsektor

Mit Blick auf einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine hatte der stellvertretende ukrainische Agrarminister Taras Vysotskyi in einem Grußwort zur Veranstaltung auf der Agritechnica betont, dass ein Beitritt zur EU für den Agrarsektor seines Landes “viele Möglichkeiten und Herausforderungen” bereithalte: “Etwa 40 Prozent der Anpassungen, die die Ukraine für eine EU-Mitgliedschaft leisten muss, müssen im Agrarsektor erfolgen”, so Vysotskyi. Die ukrainische Landwirtschaft würde die “Erfahrungen der EU im Bereich nachhaltige Entwicklung” benötigen, unterstrich der stellvertretende Minister. Dies sei zum Beispiel bei den Themen Treibhausgas-Emissionen und Nitrate der Fall. Aber auch Vysotskyi ließ keinen Zweifel daran, dass zunächst die Beseitigung der Kriegsschäden im Vordergrund stünde.

Anna Danyliak, Expertin für Agrarökologie bei der ukrainischen NGO EcoAction, stellte eine Umfrage unter Landwirten zu den Perspektiven eines EU-Beitritts für die ukrainische Agrarwirtschaft vor. Demnach beurteilte die Mehrheit der Landwirtinnen und Landwirte in der Ukraine eine mögliche Mitgliedschaft in der EU positiv, weil sie für sich “keinen anderen Entwicklungspfad” sehen würden. Positiv bewerteten die Befragungsteilnehmer vor allem den Zugang zu europäischen Vertriebskanälen für ihre Erzeugnisse sowie eine erwartete Erhöhung der Qualitäts- und Umweltstandards und den Zugang zu neuen Technologien.

Allerdings gibt es auch Befürchtungen, so Danyliak: Diese betreffen vor allem eine Erhöhung von Auflagen und Regularien. Zudem befürchteten manche Landwirte, dass die Ukraine innerhalb der EU in die Rolle eines Lieferanten für günstige Rohstoffe und Massenware rutschen könnte, da ihre Erzeugnisse noch nicht von Beginn an alle EU-Qualitätsstandards erfüllen könnten. Dabei würden sich die Landwirte vor allem einen Mehrwert für ihre Erzeugnisse und bessere Preise erhoffen. pio

  • EU-Beitritt
  • EU-Erweiterung
  • Landwirtschaft
  • Ukraine
  • Ukraine-Krieg

Agrarpolitik wird nur geringe Bedeutung beigemessen

Die Agrarpolitik spielt für die Entscheider in Deutschland nahezu keine Rolle. Bei der Frage, wo die Bundesregierung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode größere Anstrengungen unternehmen sollte, landet das Thema abgeschlagen auf dem letzten Platz. Mehr als ein Viertel der Entscheiderinnen und Entscheider misst der Agrarpolitik eher geringe oder sogar geringe Bedeutung bei. Zugleich sehen hier gerade einmal 15 Prozent eine Relevanz oder hohe Relevanz – bei keinem anderen Thema ist dieser Wert niedriger.

Das geht aus einer exklusiven Umfrage von Table.Media hervor, an der über 3.000 hochrangige Interessensvertretende teilgenommen haben. Sie sind im Transparenzregister des Deutschen Bundestags registriert und kommen zum überwiegenden Teil aus Unternehmen, Verbänden sowie Nichtregierungsorganisationen oder aus der Wissenschaft und der Verwaltung. Sie verteilen sich auf Branchen wie den Automobil- oder Energiesektor, die Bau- oder Digitalwirtschaft sowie Gewerkschaften und Umweltverbände.

Agrarpolitik auch in Zukunft nebensächlich

Selbst in der strittigen Frage nach dem Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft sehen nur gut zwölf Prozent ein hohes Streitpotenzial für die Ampelregierung in den nächsten zwei Jahren. Zum Vergleich: Bei der Gebäudeenergie rechnet rund ein Drittel mit Zwist, bei der Verschuldung sind es sogar rund 60 Prozent.

Und auch in Zukunft werden Landwirtschafts- und Ernährungspolitik nach Einschätzung der Entscheiderinnen und Entscheider kaum ins Gewicht fallen. Für knapp 56 Prozent von ihnen wird das Thema bei der nächsten Bundestagswahl eher geringen oder sogar geringen Einfluss auf die Wahlentscheidung der Menschen haben. Könnte die Agrarpolitik aber umgekehrt einen wirklich hohen Einfluss auf die nächste Bundestagswahl haben? Das glauben gerade einmal zwei Prozent der Befragten. löh

  • Agrarpolitik

Presseschau

DBV-Situationsbericht: Einkommen deutlich gestiegen, Investitionen für 2023/24 fehlen agrarheute
Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz: Kanzleramt will Kompromiss ausloten Lebensmittelzeitung
Ukraine-Krieg: Bundesregierung hält Risiko von Marktverwerfungen für gering AgE
Neuer Agrar-Sekretär Argentiniens will Exporthindernisse abschaffen AgE
Überschwemmte Ernte führt europaweit zu Kartoffelengpässen Zeit
Wie der LEH beim Umbau der Tierhaltung an Einfluss gewinnt top agrar
Studie: Optimiertes Weizensaatgut reicht für resiliente Landwirtschaft nicht aus FAZ
Studie: Intensive Nutzung von Glyphosat in Nordamerika führt zu mehr Unkraut-Resistenz Spiegel
Interview: Bill Anderson will Bayer aus der Krise führen Handelsblatt
Wie sich der Landmaschinenhersteller Grimme als globaler Marktführer etabliert hat FAZ
The majority of Africa’s population remain unable to afford a healthy diet The Washington Post

Termine

12.12.2023 – 14.00 – 15.00 / online
Seminar Agri PV – Landwirtschaft und Energieerzeugung Hand in Hand
Die Bundesregierung hat der Agri-PV im Solarpakt 1 eine wesentliche Rolle zugewiesen, um den Ausbau deutlich zu beschleunigen. Dies zeigt sich auch an den neuen Zahlen der Deutschen Energieagentur (DENA), die das Agri-PV-Potenzial in Deutschland bis 2025 bei 1 GW sieht. Um sich als Kommune positionieren zu können, ist eine fundierte Wissensgrundlage über den aktuellen technischen und planungsrechtlichen Stand unerlässlich. ANMELDUNG

13.12.2023- 11.00- 13.00 Uhr / Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700
Öffentliche Anhörung Anhörung zur EU-Verpackungsverordnung
Antrag der Fraktion der CDU/CSU: “Auswirkungen der EU-Verpackungsverordnung beachten – Mit bürokratiearmen, kosteneffizienten und innovativen Regeln mehr Ressourceneffizienz erreichen” INFOS & ANMELDUNG

14.12.2023 – 18.00 Uhr / Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund In Berlin
Vorträge Auftakt Veranstaltung Aller.Land: zusammen gestalten. Strukturen stärken.
Anfang 2024 starten bis zu 100 ländliche Regionen Deutschlands in die Förderung, um vor Ort neue Ideen der Beteiligung zu entwickeln und zu erproben. In Kulturvorhaben und künstlerischen Projekten, in Zusammenarbeit von Vereinen und Institutionen sowie im Dialog mit der lokalen Politik und den Kommunen. Das gemeinsame Ziel: Gegenwart und Zukunft vor Ort zusammen gestalten und Demokratie stärken. INFOS & ANMELDUNG

14.12.2023 / Landesvertretung Baden-Württemberg
Diskussion Strategiedialog Landwirtschaft BW
2022 hat die Landesregierung den Strategiedialog Landwirtschaft initiiert. Wie können wir komplexe Themenfelder anpacken und welchen Beitrag kann der Strategiedialog Landwirtschaft in Baden-Württemberg leisten? Darüber diskutieren Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Prof. Maja Göpel. INFOS

14.12.2023 – 9.00 – 16.00 Uhr / online
DiWenkLa Konferenz “Digitalisierung hautnah: Praxiserfahrungen und Potenziale in der kleinstrukturierten Landwirtschaft”
Auf der Winterkonferenz werden aktuelle Herausforderungen kleinstrukturierter landwirtschaftlicher Betriebe beleuchtet und digitale Techniken gezeigt, die sich als praxistauglich erweisen. Zum Programm gehören aktuelle Beiträge zu praxisrelevanten Ergebnissen aus Forschung und Wissenschaft. Eingeladen sind Vertreter aus Industrie, Verwaltung, Praxis, Beratung, Lehre und Forschung.  INFOS & ANMELDUNG

15.12.2023 – 9.30 Uhr / Berlin
1040. Sitzung des Bundesrates Vorschlag zur Änderung der Verordnung über Maßnahmen zum Schutz vor Pflanzenschädlingen
TOP 42: 574/23 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/2031. Es geht unter anderem um befristete Ausnahmen von Einfuhrverboten für Pflanzen mit hohem Risiko und bestimmte Berichtspflichten für abgegrenzte Gebiete und Erhebungen über Schädlinge INFOS

15.12.2023 – 12.00 Uhr / online
Webinar Table Media: Bauer sucht Geld und bekommt AgrarOLkG
Was verhindert faire Preise in der Ernährungslieferkette – was kann ein grünes Ministerium tun gegen rote Zahlen – was lernt das AgrarOLkG vom Dumpingverbot in Spanien und wer sagt es den Big Four? Diskutieren Sie mit Staatssekretärin Silvia Bender, Reinhild Benning, Dr. Franziska Kersten und Landwirt Elmar Hannen. INFO & ANMELDUNG

17.01.2024 – 19.00 Uhr / Vertretung des Landes Hessen in Berlin
Podiumsdiskussion Klimabilanz im LEH: Jetzt kommt’s auf die Bauern an!
Welchen Einfluss hat die Wertschöpfungskette Lebensmittel auf die Klimaziele? Welche Strategien gibt es, um die Bilanz zu verbessern? Bietet das Thema Klima für Bauern neue Einkommenschancen? INFOS & ANMELDUNG

17.01. – 20.01.2024 / Berlin
Konferenz 16. Global Forum for Food and Agriculture – Ernährungssysteme der Zukunft: Gemeinsam für eine Welt ohne Hunger
Um die Ernährungssysteme für unsere Zukunft fit zu machen und die Agenda 2030 umzusetzen, sind enorme Anstrengungen erforderlich. Der internationalen Gemeinschaft – uns allen – bleiben nur noch sieben Jahre, um die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu erreichen. Laut den jüngsten Zahlen hungert jedoch jeder zehnte Mensch auf dieser Erde. Mehr als zwei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten. INFOS

19.01. – 28.01.2024 / Messe Berlin
Messe Grüne Woche
Die internationale Leitmesse für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau. Aussteller aus aller Welt präsentieren an zehn Veranstaltungstagen ein umfangreiches Produktangebot. Zudem gibt die Grüne Woche aktuellen gesellschaftlichen Fragen wie Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und nachhaltige Landnutzung eine Bühne. Infos

Standpunkt

Grüne Ambitionen, graue Realität: Die Halbzeitbilanz von Cem Özdemir

Chris Methmann
Chris Methmann, Geschäftsführer Foodwatch Deutschland

Jetzt passiert wenigstens mal etwas! Mit diesem Eindruck startete Cem Özdemir vor rund zwei Jahren als Bundesernährungsminister. Nach 16 bleiernen Unions-Jahren wehte mit dem prominenten Grünen-Gesicht endlich frischer Wind durchs BMEL – so der Eindruck. Doch die bisherige Bilanz ernüchtert.

Schon der Koalitionsvertrag scheute im Agrar- und Ernährungskapitel große Ambitionen. Und jüngst attestierte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung dem Agrarressort zur Halbzeit wenig Fortschritt. Dass auch foodwatch enttäuscht ist, kann daher kaum überraschen. Die Frage ist: Warum geht es auch unter Cem Özdemir kaum voran? Drei Gründe:

Erstens geht in der Agrar- und Ernährungspolitik wenig ohne die Zustimmung der anderen EU-Länder. Das betrifft selbst vermeintlich harmlose Vorhaben wie Özdemirs Prestige-Projekt: die Tierhaltungskennzeichnung. Auf Fleischverpackungen informiert sie lediglich über Unterschiede der bestehenden Haltungsformen – in wenig auffälligem Schwarzweiß. Schon eine leicht wertende, farbliche Kennzeichnung etwa in Ampelfarben hätte in Konflikt mit EU-Recht geraten können. Dabei zeigt die Forschung, dass ein Farbcode viel stärker lenken würde.

Einflussreiche Lobbys blockieren Gesetzesvorhaben

Zweitens blockieren bei nationalen Gesetzesvorhaben einflussreiche Lobbys. Prominentestes Beispiel: das Kinderlebensmittel-Werbegesetz. Cem Özdemir wollte endlich Schluss machen mit dem Kuschelkurs seiner Vorgänger:innen mit der Lebensmittelindustrie und junge Menschen besser vor Junkfood-Werbung schützen. Ein richtiger Vorstoß, der von Kinderärzt:innen, Krankenkassen, medizinischen Fachorganisationen und Verbraucherschützer:innen seit Langem gefordert wird. Doch seit fast einem Jahr geht es nicht voran; die FDP verweigert faktisch die Ressortabstimmung. Der Grund: Die Junkfood- und Werbelobby fährt seit Monaten eine massive, teils irreführende Kampagne.

Drittens scheint die Ernährungs- und Agrarpolitik nicht (mehr) prioritär für die Grünen zu sein. Für kaum ein Thema geht der grüne Agrarminister mal in den Konflikt, riskiert Streit in der Koalition oder macht in Brüssel mit politischen Initiativen von sich reden.

Özdemir bringt sich nicht genug auf EU-Ebene ein

Glyphosat-Verbot? Obwohl im Koalitionsvertrag noch klipp und klar ein Verbot bis Ende 2023 versprochen war, enthielt sich das Bundesernährungsministerium in der entscheidenden Abstimmung in Brüssel, um keinen Ärger mit dem Koalitionspartner FDP zu riskieren – und machte so den Weg frei, dass die EU-Kommission im Alleingang die weitere Zulassung beschließen konnte.

Weniger Pestizide? Die sogenannte “Sustainable Use Regulation”, die den Einsatz von Ackergiften in Europa halbieren sollte, scheiterte kürzlich im Europaparlament – nachdem Agrar- und Pestizidlobby zuvor zwei Jahre lang das Vorhaben der EU-Kommission bekämpft hatten. Gab es zu dem Scheitern dieses wichtigen EU-Projekts eigentlich aus dem Bundesagrarministerium mehr als ein bedauerliches Achselzucken? Im Gegenteil: Schon im Vorfeld hatte sich Özdemir eher für Ausnahmen für deutsche Weinbauern eingesetzt als für die eigentliche Pestizid-Reduktion.

Verpflichtende Nährwertkennzeichnung? Noch immer können Hersteller die Lebensmittelampel Nutri-Score nur auf rein freiwilliger Basis auf ihre Produkte drucken. Eine verpflichtende Kennzeichnung von Zucker, Fett, Salz wäre nur mit einer europaweiten Regelung möglich. Schon längst hätte die Europäische Kommission einen Vorschlag vorlegen sollen. Doch seit rund einem Jahr liegt das Thema in Brüssel auf Eis. Und der deutsche Ernährungsminister? Setzt er sich für den Nutri-Score ein? Auch hier nur dröhnendes Schweigen und Achselzucken.

Übrig bleibt vor allem das grüne “Bio-Boom”-Märchen: Das Ministerium preist seine Bio-Strategie, die bis 2030 einen Bio-Anteil von 30 Prozent in Deutschland erreichen soll. Damit tut er niemandem weh. Doch konkrete Schritte, wie dieses ambitionierte Ziel erreicht werden soll, fehlen. Stattdessen: Imagekampagnen und Plakate, mit denen für Bio geworben werden soll. Ein Déjà-vu: Schon Anfang der 2000er versprach die erste grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast 20 Prozent Bio-Fläche bis 2010 – bis heute sind es gerade mal rund elf Prozent.

Es mag sein, dass sich Cem Özdemir so für die Nachfolge von Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg empfiehlt. Am Anspruch der Agrar- und Ernährungswende wird er mit dieser zahnlosen Politik aber scheitern.

Dr. Chris Methmann ist Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, die sich aus Spenden finanziert. Der Verein kritisiert Praktiken der Lebensmittelwirtschaft, die er für verbraucherfeindlich hält. 

  • Agrarpolitik
  • Ampel-Koalition
  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
  • Cem Özdemir
  • Ernährungspolitik
  • Nutri-Score
  • SUR

Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Ihre
    Henrike Schirmacher
    Bild von Henrike  Schirmacher

    die europäischen Agrarminister haben sich am Montag nicht zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts positioniert. Eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten pocht auf Änderungen am Vorschlag der Brüsseler Behörde und hat Bedenken, die Anwendung der Bio-Technologie in der Pflanzenzüchtung zu erleichtern. Die Verhandlungen müssen folglich in 2024 von der belgischen Ratspräsidentschaft fortgeführt werden.

    Die Grünen und Bio-Verbände sehen die fehlende Zustimmung für den Vorschlag der EU-Kommission als Etappensieg. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte im Anschluss des Treffens in Brüssel: “Wir brauchen Regeln für die Koexistenz mit dem gentechnikfreien Bio-Landbau, damit ein funktionierender, milliardenschwerer Markt nicht zerstört wird.” Darüber hinaus teilte sein Ressort mit, sich für eine Kennzeichnung entlang der gesamten Wertschöpfungskette einzusetzen.

    Im Interview mit Table.Media erläutert der Rechtswissenschaftler Hans-Georg Dederer von der Universität Passau, dass der Vorschlag der EU-Kommission Koexistenz prinzipiell ermögliche. Allerdings schließt dies privatautonome Absprachen zwischen Öko-Verbänden, Bio-Landwirten und deren Abnehmern aus.

    Analyse

    Deutsche Ernährungspolitik verstößt gegen Menschenrechte

    5,73 Euro pro Tag für Essen und Getränke sieht das Bürgergeld für einen Erwachsenen vor – zu wenig, wie es jetzt in einem Gutachten heißt. Der Regelsatz reiche nicht aus, um gesunde Lebensmittel zu finanzieren und verstoße damit gegen das Menschenrecht auf angemessene Nahrung. Zu diesem Schluss kommen die Rechtsanwälte André Horenburg und Dr. Johannes Franke von der Hamburger Kanzlei Günther im Auftrag der Linken im Bundestag.

    Die noch unveröffentlichte Expertise liegt Table.Media exklusiv vor. Auf 23 Seiten erläutern die Juristen, weshalb das Bürgergeld ihrer Auffassung nach gegen den völkerrechtlich bindenden Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz: UN-Sozialpakt) verstößt – einen der grundlegenden Menschenrechtsverträge. Er legt den Vertragsstaaten eine “Gewährleistungspflicht” auf: Sie müssten ihren Bevölkerungen soweit möglich garantieren, dass sie sich nicht nur eine sattmachende Ernährung leisten können, sondern auch die für ein gesundes Leben und eine gesunde Entwicklung von Kindern nötige “Mischung von Nährstoffen”.

    Ernährungsarmut seit Jahren Thema wissenschaftlicher Studien

    Zuletzt haben wissenschaftliche Publikationen infrage gestellt, ob Deutschland dieser Pflicht nachkommt:

    • Bereits 2020 beschrieb der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) des BMEL “armutsbedingte Mangelernährung und teils auch Hunger” in Deutschland – und sah darin ein erhebliches Entwicklungsrisiko für Kinder. Ein Problem aus WBAE-Sicht: Lebensmittel wie Obst und Gemüse, die reich an Vitaminen und Mineralstoffen sind, sind teurer als kaloriendichte Produkte wie Nudeln.
    • 2021 berechneten Forscher von der Charité und der Universität Potsdam die Kosten einer Ernährung nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Ihr Fazit: Hartz IV und auch der damalige Mindestlohn “reichen nicht aus, um einen gesunden Lebensstil zu gewährleisten”.
    • 2022 bestätigten Wissenschaftler der Universität Bonn und der Charité, dass die Sozialleistung “nicht ausreicht, um die realen Kosten [einer gängigen Ernährung] zu decken”.
    • Im März 2023 legte der WBAE mit einer ausführlichen Stellungnahme nach. In Deutschland seien rund drei Millionen Menschen “durch materielle Ernährungsarmut gefährdet”, heißt es darin – auch weil das Bürgergeld zu niedrig sei.

    Politisches Handeln blieb bislang aus

    Mit diesen Publikationen, die die Rekord-Preissteigerungen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine noch nicht einmal berücksichtigen, argumentiert auch die von der Linksfraktion beauftragte Kanzlei. Wegen der Inflation der Lebensmittelpreise bedeute auch die vergangene sowie die für 2024 geplante Erhöhung des Bürgergeldes “keine reale Kaufkraftsteigerung”. Den Juristen zufolge könnten Betroffene eine Individualbeschwerde gegen die Höhe des Bürgergelds beim UN-Sozialausschuss einreichen. Zuvor müssten sie jedoch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht durchlaufen haben.

    Vor fast genau einem Jahr hatte Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) das Problem so deutlich wie noch kein anderes Mitglied der Bundesregierung anerkannt: “Auch in einem reichen Land wie Deutschland gibt es Ernährungsarmut“, schrieb er im Dezember 2022 in einem Gastbeitrag für die Welt. Politisch gefolgt war daraus jedoch nichts. Özdemir kündigte an, soziale Aspekte zum Schwerpunkt der geplanten Ernährungsstrategie der Bundesregierung zu machen. Ob dies gelingt, erscheint nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts jedoch unwahrscheinlicher denn je. Immerhin haben Vertreter der FDP das Bürgergeld schnell als eine der ersten Möglichkeiten für Einsparungen auserkoren. Zudem stritt das SPD-geführte und für das Bürgergeld zuständige Bundesarbeitsministerium in der Vergangenheit stets ab, dass der Regelsatz für eine gesunde Ernährung nicht ausreichen könnte. Mehr Dynamik könnte deshalb vom “Bürgerrat Ernährung” ausgehen: Der hatte bei seiner Auftaktveranstaltung die “Bezahlbarkeit von Lebensmitteln” zu einem von drei Themenfeldern ausgewählt.

    Gutachter kritisieren Berechnungsgrundlage des Regelsatzes

    Das Rechtsgutachten der Kanzlei Günther bemängelt bereits das Verfahren, mit dem die Bürgergeld-Sätze festgelegt werden. “Die Finanzierung einer gesunden Ernährung wird bei der Berechnung des Bürgergelds schon methodisch nicht einmal angestrebt”, heißt es darin. Tatsächlich wird im Regelsatz nicht berücksichtigt, wie viel eine gesunde Ernährung kostet. Die für Lebensmittel vorgesehenen Beträge errechnen sich stattdessen aus einer stichprobenhaften Erhebung der tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte – ohne zu prüfen, ob dies für einen gesunden Einkauf reicht. Ziel der Berechnung sei eher “eine Gleichstellung in der Mangelernährung”, heißt es in dem Gutachten.

    Die Linken-Abgeordnete Ina Latendorf, bis zur Auflösung ihrer Fraktion in der vergangenen Woche deren ernährungspolitische Sprecherin, warf der Bundesregierung vor, das “universelle Menschenrecht auf angemessene Ernährung” nicht ernstzunehmen. “Das Gutachten bestätigt unsere Forderungen, die tatsächlichen Kosten für eine gesunde Ernährung zu ermitteln, die Regelsätze entsprechend anzupassen und letztlich die Ernährungspolitik grundlegend zu ändern”, so Latendorf.

    • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
    • Bürgergeld
    • Bürgerrat Ernährung
    • Ernährung
    • Ernährungspolitik
    • Menschenrechte
    Translation missing.

    EU-Gentechnikrecht: Die Folgen der Abwehrhaltung für die Biobranche

    Die EU-Kommission plant, das EU-Gentechnikrecht zu liberalisieren. Dafür definiert die Brüsseler Behörde zwei Kategorien von Nutzpflanzen, die mittels biotechnologischer Verfahren wie der Genschere CRISPR/Cas entstehen können: NGT-1 und NGT-2, NGT ist die Abkürzung für neue genomische Techniken. Nutzpflanzen der ersten Kategorie (NGT-1) sollen künftig nicht mehr unter das EU-Gentechnikrecht fallen. Vorausgesetzt, die Erbgutänderung entspricht der von konventionell gezüchteten Nutzpflanzen. Bei Nutzpflanzen der zweiten Kategorie (NGT-2) wird angenommen, dass die technisch induzierte Erbgutänderung nicht der von konventionell gezüchteten Nutzpflanzen entsprechen kann. NGT-2 sollten deshalb als GVO-reguliert werden, schlägt die EU-Kommission vor. Genauso wie NGT-1 dürfen sie kein artfremdes Material enthalten.

    Die Biobranche spricht sich vehement gegen eine Deregulierung des EU-Rechts aus. “Die Gentechnik-Industrie will uns jetzt ihr Wirtschaftsmodell aufzwingen – das darf eine Bundesregierung mit Ziel 30 Prozent Bio nicht zulassen”, sagt Tina Andres, Vorsitzende des Bund für ökologische Lebensmittelwirtschaft. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) setzt sich deshalb für Regeln für die Koexistenz und eine Kennzeichnung entlang der gesamten Wertschöpfungskette ein, “damit ein funktionierender, milliardenschwerer Markt nicht zerstört wird”, sagt der Ressortchef. Eine Kennzeichnung fordert auch die Rewe-Group. “Nur so können Wahlmöglichkeit und eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung auch zukünftig gewährleistet werden”, sagt Daniela Büchel, Mitglied des Vorstands, zu Table.Media.

    Rechtswissenschaftler: “Ökolandwirte können NGT-Saatgut vermeiden”

    Gegen eine Koexistenz verschiedener Produktlinien spricht aus Sicht des Rechtswissenschaftlers Hans-Georg Dederer im Vorschlag der EU-Kommission allerdings nichts. “Saatgut muss entsprechend deklariert sein. NGT-1-Saatgut mit dem Hinweis ‘Kat. 1 NGT’. Für NGT-2-Saatgut gelten die üblichen GVO-Kennzeichnungsvorschriften”, sagt Dederer im Interview mit Table.Media. Öko-Landwirte könnten die Verwendung von NGT-Saatgut deswegen vermeiden und dem GVO-Verwendungsverbot der EU-Öko-Verordnung entsprechen.

    Probleme für Ökolandwirte könnten sich nur daraus ergeben, dass NGT-Spuren in ihre Ernten eingetragen werden. Das gilt vor allem für solche Ökobauern, die sich an strengere Vorgaben halten müssen, als es die EU-Öko-Verordnung vorgibt. Nach der EU-Öko-Verordnung ergeben sich “prinzipiell keine Probleme”, sagt Dederer. “Die Ernte darf auch dann als ‘Öko’- gekennzeichnet und so verkauft werden, wenn sich NGT-1-Spuren in der Ernte befinden.” Das gelte selbst dann, wenn die Spuren oberhalb des Schwellenwerts von 0,9 Prozent liegen, weil das GVO-Recht nach den Plänen der EU-Kommission nicht auf NGT-1 anwendbar sein wird. Gleiches gelte für die in Deutschland zugelassene “ohne Gentechnik”-Kennzeichnung von Lebensmitteln, so Dederer weiter.

    Kosten und Haftungsrisiken entstehen infolge privatrechtlicher Absprachen

    Denkbar wären Rechtsstreitigkeiten aufgrund privatautonom vereinbarter Reinheitsstandards, erläutert Dederer. Zum Beispiel könnte ein Öko-Landwirt gegenüber seinem Abnehmer die Einhaltung von Standards versprechen, die ein Verband des Öko-Landbaus vorgibt. Meint der Abnehmer, NGT-Spuren in der Ernte des Ökolandwirts gefunden zu haben, könnte es sein, dass er die Abnahme der Ernte als nicht vertragsgemäß verweigert.

    “Die Biobranche schafft sich mit ihrer Abwehrhaltung Probleme, die sich aus wissenschaftlicher Sicht nicht begründen lassen”, meint Dederer. “Das Risikoprofil von NGT-1-Pflanzen liegt unter dem Risikoprofil von Pflanzen aus klassischer Mutagenese”, sagt der Rechtswissenschaftler. Aus wissenschaftlicher Sicht sei die Gleichstellung von NGT-1-Pflanzen mit konventionell gezüchteten Pflanzen die einzig richtige Schlussfolgerung.

    Die Kommission habe sich in ihrem Entwurf nur aus politischen Gründen dafür entschieden, dass NGT-1-Pflanzen unter das GVO-Verwendungsverbot der EU-Öko-Verordnung fallen sollen. Um getrennte Produktlinien, mit und ohne NGT-1, zu ermöglichen, habe sie die Kennzeichnung von Saatgut als “Kat. 1 NGT” vorgesehen. Auf dieser Grundlage könne der Landwirt sein Saatgut auswählen. Anschließend könne er die Information, dass er weder GVO- noch NGT-1-Saatgut verwendet hat, an Abnehmer weitergeben, meint Dederer.

    • EU-Öko-Verordnung
    • NGT

    Ernährungssysteme im Klimawandel

    Darum geht es:

    Zum ersten Mal bei einer UN-Klimakonferenz spielen in Dubai auch Lebensmitteln und Ernährungssysteme (Food Systems) eine wichtige Rolle. Es gibt beispielsweise einen Food Pavillon und der Thementag zu “Food, Agriculture and Water” bringt das Thema ebenfalls auf die Tagesagenda der COP28. In den Verhandlungen wird das Thema von zwei Seiten betrachtet. Zum einen geht es um die Bekämpfung von Hunger und um Ernährungssicherheit in Zeiten des Klimawandels. Zum anderen wird diskutiert, wie der Konsum von Fleisch und Milchprodukten reduziert werden kann, da diese pro Kilo und Kalorie weit mehr Emissionen verursachen als pflanzliche Nahrungsmittel. Die COP bietet in diesem Jahr hauptsächlich veganes Catering an.

    Deshalb ist das Thema wichtig:

    Ernährungssysteme tragen zu einem Drittel der globalen Treibhausgasemissionen bei. Rund zwei Drittel dieser Emissionen stammen aus der Herstellung tierischer Produkte, während sie nur 19 Prozent der Kalorien und 41 Prozent des Eiweißes der gesamten weltweit hergestellten Nahrungsmittel enthalten. Einer der wichtigsten Aspekte sind dabei Landnutzungsänderungen und Abholzungen. Zudem trägt industrielle Landwirtschaft zum Biodiversitätsverlust bei.

    Bisher spielt Ernährungsumstellung als Treiber des Klimawandels bei politischen Maßnahmen eine untergeordnete Rolle: Während mehr als 100 Länder Landwirtschaft in ihre NDCs aufgenommen haben, findet sich nur in fünf NDCs Konsum als Thema. Diese fünf Länder sind Entwicklungsländer mit relativ geringen Treibhausgasemissionen aus der Ernährung. Gleichzeitig hat der Klimawandel große Auswirkungen auf den Anbau von Lebensmitteln: Dürren und andere Faktoren bringen zunehmend Ernährungsunsicherheit. Durch den Krieg in der Ukraine hat das Thema Ernährungsunsicherheit in internationalen Diskussionen an Gewicht gewonnen – und steht nun für viele Staaten auf der Prioritätenliste, weit vor der Umstellung von Ernährungssystemen.

    Das sind die Details:

    Die VAE forderten die Länder auf, eine Erklärung zu Sustainable Agriculture, Resilient Food Systems and Climate Action zu unterschreiben.

    In der Erklärung werden die Staaten dazu aufgefordert, Ernährungs- und Landwirtschaftssysteme in verschiedene Klimaschutzmaßnahmen einzubinden. Nämlich in:

    • ihre nationalen Klimaziele (NDCs)
    • National Adaptation Plans (NAPs)
    • National Biodiversity Strategies and Action Plans (NBSAPs).

    Die Deklaration ist kein offizielles Verhandlungsdokument der COP. Es gibt jedoch auch einen Verhandlungsprozess zu Ernährung und Klima: die Sharm el-Sheikh Joint Work on Implementation of Climate Action on Agriculture and Food Security (SSJW). Die SSJW ist der offizielle Mechanismus, der Ernährung und Landwirtschaft in den UNFCCC einbringt. Der Prozess der SSJW soll vier Jahre dauern, wurde auf der COP27 ins Leben gerufen und ist die Fortsetzung der vorherigen Koronivia Joint Work on Agriculture.

    Schon allein der Name zeigt, dass inzwischen mehr Bewusstsein für die Komplexität von Ernährungs- und Klimaschutzfragen vorhanden ist. Das Arbeitsprogramm erkennt die Priorität an, die Ernährungssicherheit zu gewährleisten und Hunger zu beenden. Es nennt aber auch die besondere Anfälligkeit der Nahrungsmittelproduktionssysteme für die Auswirkungen des Klimawandels. Außerdem unterstreicht es die Rolle der Landwirte, einschließlich der Kleinbauern und Hirten, als Schlüsselakteure des Wandels und erkennt an, dass Lösungen kontextspezifisch sind und den nationalen Gegebenheiten Rechnung tragen müssen.

    Als Ergebnis der COP28 wird vor allem ein dreijähriger Arbeitsplan für die SSJW ausgearbeitet.

    Diese Kritik gibt es:

    Ende Oktober hatten rund 85 NGOs wie der WWF, The Food Systems Partnership und die Food and Land Use Coaltion in einem offenen Brief gefordert, die Relevanz von Ernährungssystemen für das Klima und das Pariser Abkommen anzuerkennen. Sie kritisieren insbesondere, dass es bisher keinen ganzheitlichen Ansatz zu Ernährung in der SSJW gibt.

    Das Arbeitsprogramm soll zudem folgende Schlüsselelemente beinhalten:

    • “Natur-positive” Lebensmittelproduktion,
    • gesunde und nachhaltige Ernährung,
    • Lösungen für Lebensmittelabfall und -verschwendung vorschlagen, denn rund 17 Prozent der Nahrungsmittel werden verschwendet.

    Die NGOs fordern auch, dass Ernährungssysteme bereits vor der COP30 großflächig Einzug in nationale Klimaschutzpolitik und langfristige Planung erhalten.

    Regelmäßig wird zudem moniert, dass Konsumfragen im Ernährungskontext bisher nicht genügend thematisiert werden und es zu wenig Maßnahmen gibt, die tatsächlich Verhaltens- und Ernährungsmuster verändern.

    Das kann ein Ergebnis der COP28 sein:

    Ein konkreter Output und auch Erfolg liegt bereits darin, dass es die Erklärung zu Landwirtschaft und Ernährung gibt. 134 Länder haben sie unterschrieben, zusammen decken sie 75 Prozent der Emissionen aus der Lebensmittelherstellung ab. Umweltorganisationen begrüßten die Erklärung. Sie könne zusätzliche Finanzmittel für nachhaltige Ernährungssysteme bringen. Außerdem kann sie dazu beitragen, Lösungsansätze für nachhaltige und klimafreundliche Ernährung sichtbar machen.

    Gleichzeitig wird das Arbeitsprogramm SSJW weiter vorangetrieben und diskutiert. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass es in dieser Hinsicht große Fortschritte gibt, da Ergebnisse aus diesem Prozess erst 2026 auf der COP31 erwartet werden.  

    • Agrarpolitik
    • COP28
    • COP30
    • COP31
    • Ernährung
    • Gesundheit
    • Klima & Umwelt
    • Landwirtschaft
    • Nachhaltige Ernährungssysteme
    • UNFCCC

    News

    Milliarden für Landwirtschaft und Ernährung

    Mehr als drei Milliarden US-Dollar wurden seit Beginn der COP für den Landwirtschafts- und Ernährungssektor versprochen. Diese Zählung beinhaltet nicht alle Gelder, die in den Sektor fließen könnten. So hatte beispielsweise die öffentlich-private Partnerschaft Africa and Middle East SAFE Initiative weitere zehn Milliarden versprochen. Die sollen unter anderem aus privatem Kapital gehebelt werden. SAFE steht für Scale-up Agriculture and Food Systems for Economic Development und die Milliarden sollen unter anderem im Ernährungssicherheit und Lebensgrundlagen im ländlichen Raum fließen. Die Initiative wird vom Global Green Growth Institute koordiniert.

    Die Herausforderungen für Ernährung und Klimawandel sind groß: Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind in den letzten drei Jahrzehnten 3,8 Billionen Dollar an Ernte- und Viehverlusten durch Katastrophen wie Überschwemmungen und Dürren entstanden. Um Ernährungssicherheit zu erhalten, ist Forschung in klimaresistente Pflanzen notwendig. Zusätzlich sollen auch die hohen Emissionen in dem Sektor gesenkt werden.

    Aus Analysen der Climate Policy Initiative geht hervor, dass es bisher eine große Finanzierungslücke für den Bereich Agri-Food gibt. Während 2021-2022 mehr als 500 Milliarden US-Dollar in die Transformation von Energiesysteme flossen, gingen im selben Zeitraum nur 43 Milliarden in den Bereich Landwirtschaft, Landnutzungsänderung, Wälder und Fischerei. kul

    • COP28
    • Ernährung
    • Ernährungssicherheit
    • Landwirtschaft

    Die Ziele der ukrainischen Landwirtschaft: Die Lieferketten stabil halten und neue Lieferwege schaffen

    Die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Landwirtschaft in der Ukraine sind erheblich. Daran ließen die Darstellungen von Mykola Melnyk aus dem ukrainischen Agrarministerium kürzlich auf einer Veranstaltung im Rahmen der Landtechnik-Messe Agritechnica in Hannover keine Zweifel. So sei die Erzeugung von Getreide in der Ukraine aktuell im Vergleich zum Jahr 2021 vor der Invasion Russlands um schätzungsweise 34 Prozent zurückgegangen, erläuterte Melnyk. Auch die Produktion von Ölsaaten sei kriegsbedingt um 11 Prozent gesunken, während die Erzeugung von Fleisch ein Minus von 16 Prozent verzeichne. “Wir hatten ehrgeizige Pläne für die Entwicklung der Landwirtschaft”, sagte Melnyk. Vor dem Krieg habe die Zielmarke für die Getreideerzeugung bei 100 Millionen Tonnen gelegen.

    Nun sei die landwirtschaftliche Nutzfläche vermint und kriegsbedingt um 25 Prozent reduziert. Sein Land lege natürlich Priorität auf die Beseitigung von Kriegsschäden, würde den Agrarsektor aber trotzdem weiterentwickeln. Mit Blick auf den möglichen EU-Beitritt der Ukraine sagte Melnyk, dass die Ukraine die Bioproduktion ausbaue: “Wir sehen, dass die Nachfrage der EU-Bürger nach Bioprodukten hoch ist, deshalb entwickeln wir diesen Bereich weiter.” Der Krieg habe den Ausbau der Ökolandwirtschaft zwar gebremst, “aber wir betrachten dieses Marktsegment weiter als aussichtsreich”, so Melnyk.

    Lieferketten stabil halten

    Überhaupt habe die ukrainische Landwirtschaft einige Erneuerungen vorangetrieben, führte der Vertreter des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums aus. Im Jahr 2021, vor dem russischen Angriffskrieg, sei der Bodenmarkt liberalisiert worden: “Auch juristische Personen dürfen Land erwerben, das ist eine gute Nachricht für Investoren.” Melnyk machte deutlich, dass er fest an die weitere Perspektive der Landwirtschaft nach dem Krieg glaube: “Wir werden alle Flächen zurückgewinnen.”

    Aktuell gelte es, die Lieferketten stabil zu halten und neue Lieferwege zu schaffen: “Die Exportwege haben sich stark verändert. Seit Ausbruch des Krieges exportieren wir unsere Erzeugnisse über die Donau und die Häfen an der Grenze zu Rumänien.” Das Agrarministerium sei bemüht, für resiliente Lieferketten zu sorgen, betont Melnyk. Seit dem russischen Angriffskrieg ist der Export von ukrainischen Agrarrohstoffen über die Schwarzmeerhäfen stark beeinträchtigt. Dies ist umso mehr der Fall, seitdem Russland im Sommer seine Unterstützung für einen geschützten Exportkorridor für Getreide über das Schwarze Meer aufgekündigt hat.

    40 Prozent der Anpassungen im Agrarsektor

    Mit Blick auf einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine hatte der stellvertretende ukrainische Agrarminister Taras Vysotskyi in einem Grußwort zur Veranstaltung auf der Agritechnica betont, dass ein Beitritt zur EU für den Agrarsektor seines Landes “viele Möglichkeiten und Herausforderungen” bereithalte: “Etwa 40 Prozent der Anpassungen, die die Ukraine für eine EU-Mitgliedschaft leisten muss, müssen im Agrarsektor erfolgen”, so Vysotskyi. Die ukrainische Landwirtschaft würde die “Erfahrungen der EU im Bereich nachhaltige Entwicklung” benötigen, unterstrich der stellvertretende Minister. Dies sei zum Beispiel bei den Themen Treibhausgas-Emissionen und Nitrate der Fall. Aber auch Vysotskyi ließ keinen Zweifel daran, dass zunächst die Beseitigung der Kriegsschäden im Vordergrund stünde.

    Anna Danyliak, Expertin für Agrarökologie bei der ukrainischen NGO EcoAction, stellte eine Umfrage unter Landwirten zu den Perspektiven eines EU-Beitritts für die ukrainische Agrarwirtschaft vor. Demnach beurteilte die Mehrheit der Landwirtinnen und Landwirte in der Ukraine eine mögliche Mitgliedschaft in der EU positiv, weil sie für sich “keinen anderen Entwicklungspfad” sehen würden. Positiv bewerteten die Befragungsteilnehmer vor allem den Zugang zu europäischen Vertriebskanälen für ihre Erzeugnisse sowie eine erwartete Erhöhung der Qualitäts- und Umweltstandards und den Zugang zu neuen Technologien.

    Allerdings gibt es auch Befürchtungen, so Danyliak: Diese betreffen vor allem eine Erhöhung von Auflagen und Regularien. Zudem befürchteten manche Landwirte, dass die Ukraine innerhalb der EU in die Rolle eines Lieferanten für günstige Rohstoffe und Massenware rutschen könnte, da ihre Erzeugnisse noch nicht von Beginn an alle EU-Qualitätsstandards erfüllen könnten. Dabei würden sich die Landwirte vor allem einen Mehrwert für ihre Erzeugnisse und bessere Preise erhoffen. pio

    • EU-Beitritt
    • EU-Erweiterung
    • Landwirtschaft
    • Ukraine
    • Ukraine-Krieg

    Agrarpolitik wird nur geringe Bedeutung beigemessen

    Die Agrarpolitik spielt für die Entscheider in Deutschland nahezu keine Rolle. Bei der Frage, wo die Bundesregierung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode größere Anstrengungen unternehmen sollte, landet das Thema abgeschlagen auf dem letzten Platz. Mehr als ein Viertel der Entscheiderinnen und Entscheider misst der Agrarpolitik eher geringe oder sogar geringe Bedeutung bei. Zugleich sehen hier gerade einmal 15 Prozent eine Relevanz oder hohe Relevanz – bei keinem anderen Thema ist dieser Wert niedriger.

    Das geht aus einer exklusiven Umfrage von Table.Media hervor, an der über 3.000 hochrangige Interessensvertretende teilgenommen haben. Sie sind im Transparenzregister des Deutschen Bundestags registriert und kommen zum überwiegenden Teil aus Unternehmen, Verbänden sowie Nichtregierungsorganisationen oder aus der Wissenschaft und der Verwaltung. Sie verteilen sich auf Branchen wie den Automobil- oder Energiesektor, die Bau- oder Digitalwirtschaft sowie Gewerkschaften und Umweltverbände.

    Agrarpolitik auch in Zukunft nebensächlich

    Selbst in der strittigen Frage nach dem Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft sehen nur gut zwölf Prozent ein hohes Streitpotenzial für die Ampelregierung in den nächsten zwei Jahren. Zum Vergleich: Bei der Gebäudeenergie rechnet rund ein Drittel mit Zwist, bei der Verschuldung sind es sogar rund 60 Prozent.

    Und auch in Zukunft werden Landwirtschafts- und Ernährungspolitik nach Einschätzung der Entscheiderinnen und Entscheider kaum ins Gewicht fallen. Für knapp 56 Prozent von ihnen wird das Thema bei der nächsten Bundestagswahl eher geringen oder sogar geringen Einfluss auf die Wahlentscheidung der Menschen haben. Könnte die Agrarpolitik aber umgekehrt einen wirklich hohen Einfluss auf die nächste Bundestagswahl haben? Das glauben gerade einmal zwei Prozent der Befragten. löh

    • Agrarpolitik

    Presseschau

    DBV-Situationsbericht: Einkommen deutlich gestiegen, Investitionen für 2023/24 fehlen agrarheute
    Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz: Kanzleramt will Kompromiss ausloten Lebensmittelzeitung
    Ukraine-Krieg: Bundesregierung hält Risiko von Marktverwerfungen für gering AgE
    Neuer Agrar-Sekretär Argentiniens will Exporthindernisse abschaffen AgE
    Überschwemmte Ernte führt europaweit zu Kartoffelengpässen Zeit
    Wie der LEH beim Umbau der Tierhaltung an Einfluss gewinnt top agrar
    Studie: Optimiertes Weizensaatgut reicht für resiliente Landwirtschaft nicht aus FAZ
    Studie: Intensive Nutzung von Glyphosat in Nordamerika führt zu mehr Unkraut-Resistenz Spiegel
    Interview: Bill Anderson will Bayer aus der Krise führen Handelsblatt
    Wie sich der Landmaschinenhersteller Grimme als globaler Marktführer etabliert hat FAZ
    The majority of Africa’s population remain unable to afford a healthy diet The Washington Post

    Termine

    12.12.2023 – 14.00 – 15.00 / online
    Seminar Agri PV – Landwirtschaft und Energieerzeugung Hand in Hand
    Die Bundesregierung hat der Agri-PV im Solarpakt 1 eine wesentliche Rolle zugewiesen, um den Ausbau deutlich zu beschleunigen. Dies zeigt sich auch an den neuen Zahlen der Deutschen Energieagentur (DENA), die das Agri-PV-Potenzial in Deutschland bis 2025 bei 1 GW sieht. Um sich als Kommune positionieren zu können, ist eine fundierte Wissensgrundlage über den aktuellen technischen und planungsrechtlichen Stand unerlässlich. ANMELDUNG

    13.12.2023- 11.00- 13.00 Uhr / Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700
    Öffentliche Anhörung Anhörung zur EU-Verpackungsverordnung
    Antrag der Fraktion der CDU/CSU: “Auswirkungen der EU-Verpackungsverordnung beachten – Mit bürokratiearmen, kosteneffizienten und innovativen Regeln mehr Ressourceneffizienz erreichen” INFOS & ANMELDUNG

    14.12.2023 – 18.00 Uhr / Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund In Berlin
    Vorträge Auftakt Veranstaltung Aller.Land: zusammen gestalten. Strukturen stärken.
    Anfang 2024 starten bis zu 100 ländliche Regionen Deutschlands in die Förderung, um vor Ort neue Ideen der Beteiligung zu entwickeln und zu erproben. In Kulturvorhaben und künstlerischen Projekten, in Zusammenarbeit von Vereinen und Institutionen sowie im Dialog mit der lokalen Politik und den Kommunen. Das gemeinsame Ziel: Gegenwart und Zukunft vor Ort zusammen gestalten und Demokratie stärken. INFOS & ANMELDUNG

    14.12.2023 / Landesvertretung Baden-Württemberg
    Diskussion Strategiedialog Landwirtschaft BW
    2022 hat die Landesregierung den Strategiedialog Landwirtschaft initiiert. Wie können wir komplexe Themenfelder anpacken und welchen Beitrag kann der Strategiedialog Landwirtschaft in Baden-Württemberg leisten? Darüber diskutieren Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Prof. Maja Göpel. INFOS

    14.12.2023 – 9.00 – 16.00 Uhr / online
    DiWenkLa Konferenz “Digitalisierung hautnah: Praxiserfahrungen und Potenziale in der kleinstrukturierten Landwirtschaft”
    Auf der Winterkonferenz werden aktuelle Herausforderungen kleinstrukturierter landwirtschaftlicher Betriebe beleuchtet und digitale Techniken gezeigt, die sich als praxistauglich erweisen. Zum Programm gehören aktuelle Beiträge zu praxisrelevanten Ergebnissen aus Forschung und Wissenschaft. Eingeladen sind Vertreter aus Industrie, Verwaltung, Praxis, Beratung, Lehre und Forschung.  INFOS & ANMELDUNG

    15.12.2023 – 9.30 Uhr / Berlin
    1040. Sitzung des Bundesrates Vorschlag zur Änderung der Verordnung über Maßnahmen zum Schutz vor Pflanzenschädlingen
    TOP 42: 574/23 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/2031. Es geht unter anderem um befristete Ausnahmen von Einfuhrverboten für Pflanzen mit hohem Risiko und bestimmte Berichtspflichten für abgegrenzte Gebiete und Erhebungen über Schädlinge INFOS

    15.12.2023 – 12.00 Uhr / online
    Webinar Table Media: Bauer sucht Geld und bekommt AgrarOLkG
    Was verhindert faire Preise in der Ernährungslieferkette – was kann ein grünes Ministerium tun gegen rote Zahlen – was lernt das AgrarOLkG vom Dumpingverbot in Spanien und wer sagt es den Big Four? Diskutieren Sie mit Staatssekretärin Silvia Bender, Reinhild Benning, Dr. Franziska Kersten und Landwirt Elmar Hannen. INFO & ANMELDUNG

    17.01.2024 – 19.00 Uhr / Vertretung des Landes Hessen in Berlin
    Podiumsdiskussion Klimabilanz im LEH: Jetzt kommt’s auf die Bauern an!
    Welchen Einfluss hat die Wertschöpfungskette Lebensmittel auf die Klimaziele? Welche Strategien gibt es, um die Bilanz zu verbessern? Bietet das Thema Klima für Bauern neue Einkommenschancen? INFOS & ANMELDUNG

    17.01. – 20.01.2024 / Berlin
    Konferenz 16. Global Forum for Food and Agriculture – Ernährungssysteme der Zukunft: Gemeinsam für eine Welt ohne Hunger
    Um die Ernährungssysteme für unsere Zukunft fit zu machen und die Agenda 2030 umzusetzen, sind enorme Anstrengungen erforderlich. Der internationalen Gemeinschaft – uns allen – bleiben nur noch sieben Jahre, um die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu erreichen. Laut den jüngsten Zahlen hungert jedoch jeder zehnte Mensch auf dieser Erde. Mehr als zwei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten. INFOS

    19.01. – 28.01.2024 / Messe Berlin
    Messe Grüne Woche
    Die internationale Leitmesse für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau. Aussteller aus aller Welt präsentieren an zehn Veranstaltungstagen ein umfangreiches Produktangebot. Zudem gibt die Grüne Woche aktuellen gesellschaftlichen Fragen wie Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und nachhaltige Landnutzung eine Bühne. Infos

    Standpunkt

    Grüne Ambitionen, graue Realität: Die Halbzeitbilanz von Cem Özdemir

    Chris Methmann
    Chris Methmann, Geschäftsführer Foodwatch Deutschland

    Jetzt passiert wenigstens mal etwas! Mit diesem Eindruck startete Cem Özdemir vor rund zwei Jahren als Bundesernährungsminister. Nach 16 bleiernen Unions-Jahren wehte mit dem prominenten Grünen-Gesicht endlich frischer Wind durchs BMEL – so der Eindruck. Doch die bisherige Bilanz ernüchtert.

    Schon der Koalitionsvertrag scheute im Agrar- und Ernährungskapitel große Ambitionen. Und jüngst attestierte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung dem Agrarressort zur Halbzeit wenig Fortschritt. Dass auch foodwatch enttäuscht ist, kann daher kaum überraschen. Die Frage ist: Warum geht es auch unter Cem Özdemir kaum voran? Drei Gründe:

    Erstens geht in der Agrar- und Ernährungspolitik wenig ohne die Zustimmung der anderen EU-Länder. Das betrifft selbst vermeintlich harmlose Vorhaben wie Özdemirs Prestige-Projekt: die Tierhaltungskennzeichnung. Auf Fleischverpackungen informiert sie lediglich über Unterschiede der bestehenden Haltungsformen – in wenig auffälligem Schwarzweiß. Schon eine leicht wertende, farbliche Kennzeichnung etwa in Ampelfarben hätte in Konflikt mit EU-Recht geraten können. Dabei zeigt die Forschung, dass ein Farbcode viel stärker lenken würde.

    Einflussreiche Lobbys blockieren Gesetzesvorhaben

    Zweitens blockieren bei nationalen Gesetzesvorhaben einflussreiche Lobbys. Prominentestes Beispiel: das Kinderlebensmittel-Werbegesetz. Cem Özdemir wollte endlich Schluss machen mit dem Kuschelkurs seiner Vorgänger:innen mit der Lebensmittelindustrie und junge Menschen besser vor Junkfood-Werbung schützen. Ein richtiger Vorstoß, der von Kinderärzt:innen, Krankenkassen, medizinischen Fachorganisationen und Verbraucherschützer:innen seit Langem gefordert wird. Doch seit fast einem Jahr geht es nicht voran; die FDP verweigert faktisch die Ressortabstimmung. Der Grund: Die Junkfood- und Werbelobby fährt seit Monaten eine massive, teils irreführende Kampagne.

    Drittens scheint die Ernährungs- und Agrarpolitik nicht (mehr) prioritär für die Grünen zu sein. Für kaum ein Thema geht der grüne Agrarminister mal in den Konflikt, riskiert Streit in der Koalition oder macht in Brüssel mit politischen Initiativen von sich reden.

    Özdemir bringt sich nicht genug auf EU-Ebene ein

    Glyphosat-Verbot? Obwohl im Koalitionsvertrag noch klipp und klar ein Verbot bis Ende 2023 versprochen war, enthielt sich das Bundesernährungsministerium in der entscheidenden Abstimmung in Brüssel, um keinen Ärger mit dem Koalitionspartner FDP zu riskieren – und machte so den Weg frei, dass die EU-Kommission im Alleingang die weitere Zulassung beschließen konnte.

    Weniger Pestizide? Die sogenannte “Sustainable Use Regulation”, die den Einsatz von Ackergiften in Europa halbieren sollte, scheiterte kürzlich im Europaparlament – nachdem Agrar- und Pestizidlobby zuvor zwei Jahre lang das Vorhaben der EU-Kommission bekämpft hatten. Gab es zu dem Scheitern dieses wichtigen EU-Projekts eigentlich aus dem Bundesagrarministerium mehr als ein bedauerliches Achselzucken? Im Gegenteil: Schon im Vorfeld hatte sich Özdemir eher für Ausnahmen für deutsche Weinbauern eingesetzt als für die eigentliche Pestizid-Reduktion.

    Verpflichtende Nährwertkennzeichnung? Noch immer können Hersteller die Lebensmittelampel Nutri-Score nur auf rein freiwilliger Basis auf ihre Produkte drucken. Eine verpflichtende Kennzeichnung von Zucker, Fett, Salz wäre nur mit einer europaweiten Regelung möglich. Schon längst hätte die Europäische Kommission einen Vorschlag vorlegen sollen. Doch seit rund einem Jahr liegt das Thema in Brüssel auf Eis. Und der deutsche Ernährungsminister? Setzt er sich für den Nutri-Score ein? Auch hier nur dröhnendes Schweigen und Achselzucken.

    Übrig bleibt vor allem das grüne “Bio-Boom”-Märchen: Das Ministerium preist seine Bio-Strategie, die bis 2030 einen Bio-Anteil von 30 Prozent in Deutschland erreichen soll. Damit tut er niemandem weh. Doch konkrete Schritte, wie dieses ambitionierte Ziel erreicht werden soll, fehlen. Stattdessen: Imagekampagnen und Plakate, mit denen für Bio geworben werden soll. Ein Déjà-vu: Schon Anfang der 2000er versprach die erste grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast 20 Prozent Bio-Fläche bis 2010 – bis heute sind es gerade mal rund elf Prozent.

    Es mag sein, dass sich Cem Özdemir so für die Nachfolge von Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg empfiehlt. Am Anspruch der Agrar- und Ernährungswende wird er mit dieser zahnlosen Politik aber scheitern.

    Dr. Chris Methmann ist Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, die sich aus Spenden finanziert. Der Verein kritisiert Praktiken der Lebensmittelwirtschaft, die er für verbraucherfeindlich hält. 

    • Agrarpolitik
    • Ampel-Koalition
    • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
    • Cem Özdemir
    • Ernährungspolitik
    • Nutri-Score
    • SUR

    Agrifood.Table Redaktion

    AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen