Table.Briefing: Agrifood

Cem Özdemir kritisiert Verhalten der Union + GLÖZ zur Herbstaussaat + Prämien für Eco-Schemes

Liebe Leserin, lieber Leser,

zwischen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und der Union herrscht kein eitel Sonnenschein. Im Interview kritisiert der Grünen-Politiker das Verhalten der Union mit Blick auf die Zukunft der Landwirtschaft. Eigentlich sei es Konsens in Deutschland und in der EU, dass sich die Landwirtschaft klima- und krisenfreundlich aufstellen müsse, sagt Özdemir. Es wundere ihn, was da nun seitens der Union in Brüssel passiere. “Da verneinen CDU und CSU plötzlich die Kompromisse, die sie selbst mitverhandelt hatten, und attackieren ihre eigene Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die aus gutem Grunde den Green Deal vorantreibt. Das sind durchschaubare Wahlkampfmanöver”, so der Minister. Wer die Folgen der Klimakrise, Bodenprobleme und Wassermangel ignoriere, sei kein Freund der Bauern. 

Analog dazu will Deutschland seinen Landwirten mehr EU-Geld für Umwelt- und Klimaschutz zahlen und die Förderbedingungen vereinfachen. Aktuell verhandelt das Bundeslandwirtschaftsministerium mit der EU-Kommission über die Öko-Regelungen. Die Brüsseler Behörde wird die Vorschläge voraussichtlich annehmen, schreibt meine Kollegin Merle Heusmann.

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher
  • Biodiversität
  • Klima & Umwelt

Analyse

Cem Özdemir zur Gentechnik: “Ich warne vor alten Schwarz-Weiß-Debatten”

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir

Herr Özdemir, die Landwirtschaft ist schon jetzt unmittelbar vom Klimawandel betroffen und muss sich in den kommenden Jahrzehnten vor Wetterextremen schützen. Tun Sie als Bundeslandwirtschaftsminister genug, damit das sowohl kurz- als auch langfristig gelingt?

Cem Özdemir: Wenige Wirtschaftsbereiche spüren die Klimakrise und ihre Folgen so unmittelbar wie die Landwirtschaft. Während gerade einige – sei es im Netz, im Fernsehen, aber auch in der Politik – gegen jede Evidenz so tun, als wären die klimatischen Bedingungen total normal, weil es ja früher auch schon mal heiß gewesen sei, muss man die Landwirtinnen und Landwirte nicht davon überzeugen, dass die Klimakrise massive Auswirkungen auf unser Leben hat und auch das Wirtschaften verändert. In manchen Regionen regnet es kaum noch, Wasser ist ein knappes und kostbares Gut – da verdorrt das Getreide am Halm. Und anderswo schwemmen Starkregenfälle ganze Ernten weg. Da geht es ganz konkret um die Ernten von heute, morgen und um die in 20, 30 und 50 Jahren.

Dennoch gibt es jetzt einige Stimmen, die meinen, dass es angesichts der Folgen des Ukraine-Krieges weniger Einschränkungen bräuchte und man nicht starr an Klimaschutzzielen festhalten dürfte.

Wer jetzt im politischen Raum davon spricht, dass es den Green Deal nicht mehr bräuchte, wer hinter die gemeinsam ausgehandelten Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft zurückfallen und am liebsten alte Gräben zwischen Naturschutz und Landwirtschaft aufbrechen möchte, dem sage ich, das wird nicht gelingen. Ich fühle mich einer Politik verpflichtet, die mühsam ausgehandelte und gemeinsam erreichte Kompromisse umsetzen will, statt wieder in Extreme zurückzufallen. Wir müssen die Klimakrise bekämpfen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Landwirtschaft sich krisenfest aufstellt und auch anpassen kann.

Was meinen Sie mit dem Anpassen?

Eine Politik der Vernunft schützt nicht nur, sondern sorgt vor, etwa indem wir klimaangepasste Sorten nutzen oder Anbautechniken anwenden, die die Resilienz stärken. In Brandenburg kommen etwa Kichererbsen mit der Trockenheit gut zurecht, und solche Ansätze unterstützen wir mit unserer Eiweißpflanzenstrategie. Schließlich heben wir auch die Potentiale der Landwirtschaft als Klimaschützer. Nehmen Sie den Humusaufbau. Jedes Prozent mehr Humus bedeutet auch mehr Kohlenstoffspeicher im Boden. Hier investieren wir viele Millionen in konkrete Projekte und die praxisrelevante Forschung.

“Wir nutzen zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren”

Ist damit beim Klimaschutz in der Landwirtschaft das Ende der Fahnenstange erreicht?

Die Landwirtschaft hat ihre Sektorziele aktuell erreicht und das ist eine große Leistung. Gerade die Bäuerinnen und Bauern haben ein Interesse daran und ein Recht darauf, dass auch andere Bereiche beim Klimaschutz liefern. Mir geht es darum, dass wir dazu beitragen, die Landwirtschaft auch langfristig krisenfest zu machen. Ein großer Hebel liegt in der Tierhaltung, die fast 70 Prozent der Emissionen im Agrarsektor ausmacht. Ich will ganz klar sagen: Wenn Landwirtschaft nachhaltig sein soll, brauchen wir Tierhaltung in Deutschland. Deshalb müssen wir sie zukunftsfest aufstellen. Das ist auch eine Ressourcen- und Verteilungsfrage, mehr als die Hälfte des Getreides landet nicht bei uns auf dem Teller, sondern im Trog. Wir nutzen also zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren. Gleichzeitig geht der Fleischkonsum in Deutschland zurück. Da docke ich an mit meinem Prinzip “weniger Tiere besser halten”. Dafür ist mein verpflichtendes, staatliches Tierhaltungskennzeichen, das gerade final beschlossen wurde, ein zentraler Baustein. Und wir werden die Landwirte fördern, die ihren Tieren eben mehr Platz geben.

Sind Sie mit Blick auf die laufende hiesige Ernte froh darüber, dass Landwirte und Landwirtinnen in Deutschland in diesem Jahr noch nicht dazu gezwungen worden sind, Flächen brach liegen zu lassen und weniger Weizen anzubauen?

Ich nehme bei der Ernte verhaltenen Optimismus wahr. Aber in die Glaskugel zu schauen, das gehört auf den Jahrmarkt und nicht in ein Ministerium. Wie gut unsere Kornspeicher am Ende des Sommers gefüllt sein werden, das hängt letztendlich stark vom Wetter ab. Und das Wetter fährt wegen der Klimakrise immer öfter Achterbahn. Wir müssen deshalb alles dransetzen, dass die Landwirtschaft sich klima- und krisenfest aufstellen kann. Wie schon angesprochen war das eigentlich Konsens in Deutschland und in der EU – und da wundert es mich schon, was da gerade seitens der Union in Brüssel passiert. Da verneinen CDU und CSU plötzlich die Kompromisse, die sie selbst mitverhandelt hatten, und attackieren ihre eigene Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die aus gutem Grunde den Green Deal vorantreibt. Das sind durchschaubare Wahlkampfmanöver. Wer die Folgen der Klimakrise, Bodenprobleme und Wassermangel ignoriert, ist wahrlich kein Freund der Bauern.

“All das Leid ist Putin bekanntlich vollkommen egal”

Der russische Präsident Wladimir Putin hat kürzlich das Getreideabkommen zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über die Schwarzmeerhäfen gestoppt. Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, fordert vor diesem Hintergrund einen “Krisenstab für Ernährungssicherheit.” Sind Sie ebenfalls alarmiert?

Ich war letzte Woche in Rom beim UN-Sondergipfel zum Thema Ernährungssysteme und diskutierte dort über die Folgen des russischen Angriffskrieges für die globale Ernährungssicherheit. Putin benutzt den Hunger als Waffe. Das beobachten wir seit Beginn des Krieges. Die Folgen für die Menschen und all das Leid sind ihm dabei bekanntlich vollkommen egal. Russlands einseitiges Aufkünden des Getreideabkommens heizt bestehende Hungersnöte auf der Welt an. Ukrainisches Getreide gelangt nun nicht mehr dorthin, wo Menschen ums Überleben kämpfen, etwa in Afrika. Das World Food Programme hatte beispielsweise mit Unterstützung der Bundesregierung ukrainisches Getreide nach Äthiopien gebracht. Das wird es nun erstmal nicht mehr geben. Andererseits hat Getreide aus der Ukraine mitgeholfen, dass sich die Weltmarktpreise etwa für Weizen normalisieren, und sich die Ärmsten dieser Welt Brot leisten können.

Was tut die Bundesregierung?

Es zahlt sich deshalb aus, dass die EU schon früh aktiv wurde, damit ukrainisches Getreide über Schienen und Straßen zu anderen europäischen Seehäfen kommt. Gerade, weil auf Putin kein Verlass ist, müssen dauerhafte Alternativrouten etabliert werden. Da braucht es weitere Anstrengungen auch seitens der EU und ich würde mich natürlich freuen, wenn auch die CDU ihre guten Drähte nach Brüssel nutzen würde, um da in diesem Sinne zu unterstützen.

“Europäische Ziele für die Pestizidreduktion liegen im Interesse der deutschen Landwirtschaft”

Eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln, wie sie die EU-Kommission plant, würde Ihrem gesteckten Ziel, den Ökolandbau in Deutschland auszubauen, Rückenwind verleihen. Welche Position zur “Sustainable Use Regulation” (SUR) vertreten Sie vor diesem Hintergrund im Rat der EU-Mitgliedstaaten?

Ich unterstütze die Einsparziele und eine gemeinsame Regelung, aber sage auch: Es muss auch machbar sein und darf diejenigen, die schon vorangegangen sind, nicht nachträglich bestrafen. Es nützt nichts, wenn wir in Europa virtuelle Einsparziele haben, an die sich keiner hält. Es ist auch im Interesse der deutschen Landwirtschaft, dass wir europäische Ziele für die Reduktion von Pestiziden definieren. Denn das schafft ein level playing field in Europa. Gerade weil wir uns in vielen Fragen in Deutschland schon früh auf den Weg gemacht haben, ist es für uns von Vorteil, wenn die Reduktionsziele auch für andere gelten. Also: Unterstützung zum Ziel der SUR. Aber die Regelung braucht dringend Anpassungen, die auf unsere spezifischen Voraussetzungen in Deutschland eingehen. Das ist die Frage des Referenzjahres für die Reduktionsziele. Das ist auch eine Frage des bürokratischen Umfangs und natürlich geht es auch um die Definition von sensiblen Gebieten. Sonderkulturen müssen weiterhin möglich sein. Es kann ja niemand ernsthaft ein Interesse daran haben, wenn bei uns der Wein- und Obstanbau zurückgeht. Ich halte es aber für einigungsfähig -guten Willen aller Beteiligten in der EU vorausgesetzt.

“Mir ist Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, wichtig”

Darüber hinaus verspricht sich ein Teil der Agrarbranche über die Lockerung des EU-Gentechnikrechts, den Einsatz von Pestiziden reduzieren zu können. Die Biobranche fürchtet hingegen um ihr Versprechen der Gentechnikfreiheit. Könnte dies das Öko-Ausbauziel in Deutschland gefährden?

Auch viele konventionelle Betriebe werben mit der Gentechnikfreiheit. Das ist ein milliardenschwerer und funktionierender Markt, das bestreiten ja weder Gegner noch Befürworter. Ich rate auch bei diesem Thema, nicht auf diejenigen zu hören, die auch hier am liebsten in alte Schwarz-Weiß-Debatten zurückfallen wollen, weil das die Welt so schön einfach macht. Auf der einen Seite diejenigen, die pauschal alles verteufeln, auf der anderen Seite die anderen, die darin die großen Heilsversprechen sehen. Daher freue ich mich, dass es viele gibt, die sehr pragmatisch diskutieren. Mein Haus ist innerhalb der Bundesregierung federführend und für uns sind bei einer gemeinsamen Positionsfindung zwei Aspekte bei der Neuregelung zentral: Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, sowie Patentfreiheit. Unsere Land- und Lebensmittelwirtschaft, egal ob konventionell oder ökologisch, darf durch neue Regeln nicht in ihrer wirtschaftlichen Substanz gefährdet werden. Kurz: Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können. Das muss für die gesamte Wertschöpfungskette gelten.

“Es ist nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist”


Noch ein anderes Thema zum Schluss: Nach einer Untersuchung vom Max Rubner-Institut (MRI) sind besonders zuckerhaltige Kindergetränke sogar noch zuckriger geworden. Wollen Sie da regulativ eingreifen, analog zu den Plänen für ein Verbot von gesundheitsschädlicher Kinderwerbung?

Es ist völlig absurd, dass gerade in einigen an Kinder gerichteten Lebensmitteln der Zuckergehalt weiter steigt. Getränke sind da nur ein Beispiel, wie das Monitoring des MRI ergeben hat. Es gibt Frühstückscerealien für Kinder, die bestehen zur Hälfte aus Zucker! Bis zu zwei Millionen Kinder und Jugendliche leiden in Deutschland unter Übergewicht oder Adipositas. Das ist auch eine Frage der Chancengerechtigkeit. In anderen Ländern, etwa Großbritannien, wurde der Zuckergehalt teils drastisch gesenkt – und die Menschen haben die Produkte dann trotzdem gekauft. Es ist also nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist. Mir geht es darum, dass jedes Kind die Chance hat, gesund aufzuwachsen. Einen Beitrag dazu erfüllen wir jetzt durch mehr Kinderschutz in der Werbung. Alle drei Ampelparteien haben sich darauf geeinigt, dass es an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt nicht mehr geben soll. Diesen Auftrag nehme ich ernst.

  • Getreideabkommen
  • Klima & Umwelt
  • Pestizide-Verordnung
  • SUR

Fruchtwechsel und Zwangsbrache: Artenschutz hat jetzt Vorrang

Landwirte und Landwirtinnen müssen die Standards für die Erhaltung von Flächen in “gutem landwirtschaftlichem und ökologischem Zustand” (GLÖZ) 7 und 8 voraussichtlich wie geplant diesen Herbst umsetzen. Eine ganze Reihe von EU-Mitgliedstaaten will, dass die Ausnahmen zur Stilllegung und zum Fruchtwechsel innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verlängert werden. Ein Vorstoß Rumäniens erhielt beim Treffen der EU-Agrarminister in der vergangenen Woche viel Zuspruch. Um die Verluste der Landwirte aufgrund des Ukraine-Krieges und der Inflation auszugleichen, müssten Sonderregeln weitergehen, argumentierte Rumänien. Der Krieg dauere an, daher sollten es auch die Ausnahmen. Dennoch erteilte Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski der Forderung Rumäniens eine Absage.

“Es ist richtig, die Ausnahmen nicht zu verlängern”, kommentiert der Agrarökonom Matin Qaim von der Universität Bonn die Aussage Wojciechowskis. Üppige weltweite Ernteprognosen und niedrigere globale Getreidepreise machen in diesem Jahr den Unterschied. “Die Preise für Weizen lagen letztes Jahr kurz nach Russlands Angriff über 300 Euro pro Tonne und nahmen Kurs auf 400 Euro pro Tonne”, so der Göttinger Agrarökonom Stephan von Cramon-Taubadel. “Niemand konnte damals wissen, wo das endet.”

Wissenschaftler fordern mehr Engagement für Biodiversität

Für Cramon-Taubadel bleibt es trotzdem ein “Dilemma”. Kurzfristig entlaste eine höhere Getreideproduktion in der EU das globale Preisniveau und reduziere die Zahl der Hungernden. Langfristig könne aber “nur” eine nachhaltige Landwirtschaft – mit mehr Klima- und Artenschutz – und eine gerechtere Verteilung Versorgungssicherheit gewährleisten.

Wojciechowski argumentierte, dass man die Glaubwürdigkeit der GAP im Zuge des grünen Übergangs der Landwirtschaft auch im Auge behalten müsse. Denn die Situation sei jetzt eine andere als im vergangenen Jahr, als man sich um die kurzfristigen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit sorgte. Jetzt mache man sich langfristige Gedanken über einen Preisverfall durch die Einfuhren von Getreide aus der Ukraine. Zudem wies Wojciechowski darauf hin, dass für eine Verlängerung der Ausnahmeregeln die Einbeziehung des EU-Parlaments als Co-Gesetzgeber nötig sei. Für Änderungen am Grundrechtsakt brauche es ein vollständiges Gesetzgebungsverfahren, bestätigt eine Kommissionssprecherin.

Insgesamt 14 Staaten unterstützten eine Verlängerung, darunter Italien, Bulgarien, Griechenland und Schweden. Frankreich äußerte Verständnis für diese Position, schlug sich aber nicht eindeutig auf die Seite der Länder.

Deutschland lehnt Verlängerung ab

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir war der einzige EU-Minister, der sich offen gegen den Antrag Rumäniens stellte. Somit hielt er Wort, dass er nur befristete Ausnahmen unterstütze. Özdemir wies als Begründung auf den “dramatischen Rückgang der Biodiversität” hin. Die derzeitige Situation zeige vielmehr die Dringlichkeit, die Anpassung an den Klimawandel sowie die Biodiversität voranzutreiben. Zudem stünde die Verlässlichkeit der EU-Regeln infrage, wenn sie je nach Witterungsbedingungen immer wieder angepasst würden.

Bislang bauen Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland laut Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) noch auf etwa 380.000 Hektar Stoppelweizen an. Damit könnten bis zu 3,4 Millionen Tonnen mehr Weizen erzeugt werden, hieß es vonseiten des BMEL im vergangenen Jahr zur Begründung für die Ausnahmeregelung. Wenn im Herbst GLÖZ 7 verpflichtend gilt, entfallen diese Mengen.

Mit der Ausnahme von GLÖZ 8 standen etwa 100.000 bis 180.000 Hektar Acker in diesem Jahr weiterhin für die Getreideproduktion zur Verfügung. Damit könnten etwa 600.000 bis 1 Millionen Tonnen Getreide zusätzlich produziert werden, gab das BMEL im vergangenen Jahr bekannt. Mit der Umsetzung der verpflichtenden Maßnahme entfallen diese Mengen ab 2024.

Die EU-Kommission hatte im Herbst vergangenen Jahres als Reaktion auf den Krieg und die drohende weltweite Lebensmittelknappheit für 2023 Ausnahmen von zwei Auflagen gewährt, die erst Anfang des Jahres durch die GAP-Reform in Kraft getreten wären. Zum einen müssen Betriebe in diesem Jahr noch keine jährlichen Fruchtwechsel vornehmen oder Zwischenfrüchte aussähen (GLÖZ 7). Zum anderen wurde vorerst auf die verpflichtende 4-prozentige Stilllegung von Ackerflächen verzichtet (GLÖZ 8).

Die derzeit gültigen Ausnahmeregelungen laufen noch bis Ende 2023. Jedoch fällt die diesjährige Herbstaussaat laut Bundeslandwirtschaftsministerium bereits in das Antragsjahr für GAP-Förderungen für 2024.

  • Biodiversität
  • EU
  • Gemeinsame Agrarpolitik

Öko-Regelungen in der GAP: Mehr Geld, weniger Hürden

Wenn die Referenten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in diesen Tagen mit Vertretern der EU-Kommission zusammenkommen, haben sie eines ganz sicher dabei – Änderungsvorschläge für die Ausgestaltung der Öko-Regelungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Auf eine ganze Reihe von Anpassungen in der 1. Säule der GAP, in der unter anderem Förderregeln für den Verzicht auf Pestizide und den Anbau vielfältiger Kulturen verankert sind, haben sich Bund und Länder verständigt.

Das BMEL wird diese nun in Brüssel vorlegen, wenn es dort den deutschen GAP-Strategieplan für 2024 mit der EU-Kommission verhandelt. Eine Sprecherin des BMEL geht davon aus, dass die Kommission die deutschen Änderungsvorschläge genehmigen wird, die neben Prämienerhöhungen auch vereinfachte Förderbedingungen für die Landwirte in Deutschland vorsehen.

Landwirte rufen Fördermittel für Öko-Regelungen zu wenig ab

Anpassungen bei den sogenannten Eco Schemes waren notwendig geworden, weil die Mittel zur Finanzierung von Umweltleistungen innerhalb der GAP von den Landwirten bislang weniger abgerufen wurden als erwartet. Deutschland hat sieben Eco Schemes definiert, die für die Landwirte seit Jahresbeginn freiwillig sind. Um Anreize zu schaffen, wird die Umsetzung entsprechend honoriert.

Insgesamt stehen der Bundesrepublik etwa eine Milliarde Euro pro Jahr für die Öko-Regelungen zur Verfügung. Laut BMEL hätten deutsche Betriebe 2023 aber nur 61 Prozent des Geldes – rund 600 Millionen Euro – aus dem Topf beantragt.

Bund und Länder einigen sich auf Anpassungen

Um das Geld noch in der zweijährigen “Lernphase” der neuen GAP-Förderperiode – also noch vor Ende 2024 – voll auszuschöpfen, brauche es deshalb “dringend Nachbesserungen”, erklärte Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Werner Schwarz. Er sitzt der Agrarministerkonferenz derzeit vor, deren Mitglieder sich in einem Umlaufbeschluss auf Vorschläge zur Anpassung der Öko-Regelungen verständigt hatten. Diese decken sich mit den Änderungsvorschlägen, die das BMEL vergangene Woche vorgelegt hat:

  • Öko-Regelung 1a (Brache): Einstiegshürden werden gesenkt, Betriebe können bereits mit bis zu einem Hektar einsteigen – und das auch dann, wenn diese Fläche die 6-prozentige Obergrenze übersteigen würde.
  • Öko-Regelung 1b (Blühstreifen/-flächen): Für Blühstreifen und Blühflächen gilt eine Mindestgröße von 0,1 Hektar, begünstigungsfähig sind maximal 3 Hektar, weitere Größenvorgaben entfallen.
  • Öko-Regelung 2 (Anbau vielfältiger Kulturen): Anhebung der Prämienhöhe von 45 auf 60 Euro je Hektar.
  • Öko-Regelung 3 (Agroforst): Anhebung der Prämienhöhe von 60 auf 200 Euro je Hektar Gehölzfläche.
  • Öko-Regelung 4 (Extensivierung Dauergrünland): Die Vorgabe, dass der Viehbesatz an bis zu 40 Tagen unterschritten werden darf, entfällt. Maßgeblich soll der RGV-Bestand im Jahresdurchschnitt sein. Für das Pflugverbot wird eine Bagatellregelung wie bei der Konditionalität vorgesehen (500qm/ Betrieb/ Jahr/ Region).
  • Öko-Regelung 6 (Verzicht auf Pflanzenschutzmitteleinsatz): Anhebung der Prämienhöhe für Ackerland und Dauerkulturen von 130 auf 150 Euro pro Hektar.

Bauernverband und NABU halten Änderungsvorschläge für unzureichend

Der Deutsche Bauernverband (DBV) beschreibt diese Änderungsvorschläge von Bund und Ländern als “zu zaghaft”. Wie DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken mitteilte, sei zu erwarten, dass die Fördermittel auch im Jahr 2024 nicht ausreichend beantragt und abgerufen würden. “Insbesondere für Betriebe mit Dauergrünland und Tierhaltung sowie für den Gemüse-, Obst- und Weinbau gibt es aktuell leider noch zu wenige Ansätze von Bund und Ländern für praktikable Verbesserungen”, sagte Krüsken. Es brauche deshalb weitere Nachbesserungen für die kommenden Jahre.

Auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der seit Monaten fordert, die Öko-Regelungen anzupassen, sieht nur “minimale Änderungen” in den Vorschlägen. “Wichtig ist jetzt, dass es nicht in erster Linie darum gehen sollte, möglichst viele der Gelder zu verteilen. Denn die Öko-Regelungen sind auf ökologische Ziele und Wirkungen ausgerichtet und müssen diese auch erreichen”, sagte NABU-Sprecherin Laura Henningson. Sie moniert zudem, dass die Änderungsvorschläge keine neue Öko-Regelung für Grünlandbetriebe mit Weidetierhaltung vorsähen, die durch die GAP-Reform benachteiligt würden.

Forderungen nach weiteren Anpassungen im nächsten Jahr

Ganz ähnlich sieht das Hubert Heigl, Naturland-Präsident und Vorstand Landwirtschaft im Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Bei den Grünland-Maßnahmen müssten Bund und Länder spätestens im kommenden Jahr noch mal ran, so Heigl. Seine Kritik an der GAP führt aber noch weiter. “Die neue GAP ist schon gescheitert, noch bevor die Umsetzung richtig begonnen hat.” Die GAP sei zu kompliziert in der Umsetzung, zu unattraktiv in der Förderung und zu wenig wirksam für die Umwelt, kritisierte der Naturland-Präsident.

Bevor die Landwirte in Deutschland nun überhaupt von den Prämienerhöhungen und vereinfachten Förderbedingungen bei den Öko-Regelungen im nächsten Jahr profitieren können, muss die EU-Kommission diese noch genehmigen. Auch für Schleswig-Holsteins Ressortchef Werner Schwarz steht dabei schon jetzt fest, dass die Kriterien im kommenden Jahr einer weiteren kritischen Prüfung unterzogen werden müssen. “Diese Änderungen können nur der Anfang sein”, sagte Schwarz.

  • Eco Schemes

“Die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte muss sinken”

Franziska Kersten, SPD-Politikerin
  • Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?

Wir müssen Landwirtschaftspolitik noch stärker an den Erfordernissen des Klima- und Umweltschutzes ausrichten. Um die Leistungen der Landwirtinnen und Landwirte angemessen zu honorieren, sehe ich in der nächsten Förderperiode der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik großes Potenzial bei der Einführung der Gemeinwohlprämie. Eine effizientere Nutzung von Flächen gelingt beispielsweise mit der Installation von Agri-Photovoltaik-Anlagen vor allem im Obst- und Gemüseanbau. Nicht zuletzt müssen wir dafür sorgen, dass auch in Zukunft ausreichend Wasser für die Landwirtschaft verfügbar ist. In der zukünftigen Wasserstrategie der Bundesregierung muss die Landwirtschaft und damit die Ernährungssicherheit eine zentrale Rolle spielen.

  • Wie wird sich die Landwirtschaft Ihrer Meinung nach bis 2050 verändern?

In den nächsten Jahrzehnten werden wir einen Strukturwandel in der Landwirtschaft erleben. Einerseits, fernab von Ballungszentren, werden große Betriebe effizient und möglichst nachhaltig große Mengen an Grundnahrungsmitteln produzieren. Andererseits, im Umland großer Städte, werden Spezialisten über die Direktvermarktung zur lokalen Wertschöpfung beitragen. Durch neue technische Entwicklungen werden sowohl Dünge- als auch Pflanzenschutzmittel viel gezielter eingesetzt werden können. Agrarrobotik hilft künftig dabei, den Arbeitsaufwand zu reduzieren.

  • Müssen wir unsere Essgewohnheiten ändern?

Die Bundesregierung sollte mit der nationalen Ernährungsstrategie grundsätzlich gesunde und ressourcenschonende Ernährung fördern. Das umfasst aus meiner Sicht die Ausweitung des vorzugsweise regionalen pflanzlichen Angebots in der Gemeinschaftsverpflegung und finanzielle Unterstützung für Landwirte, die auf Obst- und Gemüseproduktion umstellen wollen. Der Staat sollte darüber hinaus ein Preissignal setzen: durch die Senkung oder gar Abschaffung der Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte. Einkommensschwache Haushalte sollten wir bei einer gesunden Ernährung ebenfalls unterstützen.

Franziska Kersten ist direkt gewählte Abgeordnete für den Wahlkreis Börde/Jerichower Land, Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sowie im Unterausschuss Globale Gesundheit. Ihr Themenschwerpunkt liegt auf der Verbindung von Klima- und Naturschutz in der Landwirtschaft.

  • Agri-PV
  • Franziska Kersten
  • Gemeinschaftsverpflegung
  • Klima & Umwelt

News

Pestizide: Länder vermissen Antworten der Kommission

Zahlreiche EU-Agrarminister zeigten sich enttäuscht von der zusätzlichen Folgenabschätzung der EU-Kommission zum Vorschlag für die Reduzierung umweltschädlicher Pestizide (SUR) in der Landwirtschaft. Das machten sie vergangene Woche beim EU-Agrarrat deutlich. Die Kommission hatte die Zusatzstudie auf Bitten der Mitgliedsländer vorgelegt, um die Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche und die Nahrungsmittelproduktion dazustellen.

Die Sorgen seien durch die erweiterte Folgenabschätzung nicht vollständig zerstreut worden, sagte der tschechische Minister. Ungarn kritisierte, dass die Kommission weiterhin keinerlei Zahlen vorlege, wie groß die Ertragseinbußen durch die Verordnung voraussichtlich sein würden. Ein Großteil der Länder unterstützte dennoch die Ziele des Kommissionsvorschlags zur SUR.

Die Kommission will mit der Pestizide-Verordnung den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbieren sowie ökologisch besonders bedenkliche Pestizide sollen komplett untersagt werden.

Özdemir zufrieden mit zusätzlicher Folgenabschätzung

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) betonte, dass die Kommission mit der zusätzlichen Studie alle Fragen des Rates beantwortet habe. “Weitere sinnlose Verzögerungen der Verhandlungen zur SUR sind aus unserer Sicht nicht zu rechtfertigen.” Özdemir forderte, dass die Kernpunkte bei den nächsten technischen Beratungen der 27 EU-Staaten behandelt werden. Auch Frankreich unterstützte die rasche Fortsetzung der Verhandlungen.

Ungarn, Polen, Rumänien und Tschechien kritisierten generell, dass die Kommission verbindliche nationale Reduktionsziele für Pestizide vorschreiben will. Andere sehen die Intention der Kommission kritisch, die Pestizid-Regulierung EU-weit zu harmonisieren.

Özdemir wiederholte die Kritik an der Kommissionsdefinition von ökologisch sensiblen Gebieten. Deutschland hat große Flächen als solche ausgewiesen, die gleichzeitig agrar- oder forstwirtschaftlich genutzt werden. Das strikte Einsatzverbot von Pestiziden auf diesen Flächen will Deutschland durch eine Änderung der Definition verhindern, da dies beispielsweise den Wein- und Obstanbau beeinträchtigen würde. luk

  • Biodiversität
  • Pestizide
  • Pestizide-Verordnung
  • SUR
  • Umweltschutz

Glyphosat: EFSA weist auf Datenlücken hin

Bereits am 6. Juli hat die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA eine positive Risikoeinschätzung für die Verlängerung von Glyphosat abgegeben. Kürzlich hat sie die Schlussfolgerungen veröffentlicht. Daraus wird ersichtlich: Obwohl es laut EFSA keine kritischen Problembereiche gibt, die einen Verbot des umstrittenen Herbizids rechtfertigen, macht die Behörde einige Datenlücken geltend.

Diese betreffen insbesondere:

  • die Bewertung möglicher Verunreinigungen von Glyphosat, etwa solche, die Schäden an den Chromosomen verursachen könnten;
  • die Einschätzung bezüglich der ernährungsbedingten Gefahren von Glyphosat;
  • die Bewertung der Risiken des Herbizids für Wasserpflanzen (sogenannte Makrophyten)
  • das Fehlen von Neurotoxizitätsstudien (DNT-Studien). Hier macht die EFSA geltend, dass die Antragsteller weder solche Studien selbst vorgenommen haben, noch auf die DNT-Effekte von Glyphosat eingehen, die in öffentlichen Studien festgestellt wurden;
  • die Bewertung, ab wann Glyphosat giftig für Amphibien ist.

Wie am 6. Juli bereits angekündigt, bestätigt die EFSA in ihrem Peer-Review die Giftigkeit des Herbizids für Säugetiere, und zwar bei 12 der 23 vorgeschlagenen Anwendungen des Herbizids.

Negative Auswirkungen auf Biodiversität nicht ausgeschlossen

Die Schlussfolgerungen der EFSA gehen insbesondere auf die Risiken von Glyphosat für die Biodiversität ein. Laut den Wissenschaftlern lassen sich diese nicht ausreichend beurteilen. Das deutet allerdings auch auf Unzulänglichkeiten im Untersuchungsverfahren hin. Antragsteller müssen nämlich keine Studien einreichen, die einen Biodiversitätsverlust betreffen, der indirekt durch einen Pestizideinsatz verursacht wird – etwa durch ein Verschwinden von Unkrautflächen, in die sich unter anderem Insekten einnisten.

So schreiben die Autoren beispielsweise: “Für Bienen wurden keine einschlägigen Studien vorgelegt, die sich mit den indirekten Auswirkungen der Beseitigung von Unkraut und der Verringerung der floralen Ressourcen beschäftigen”. Und weiter: “Mögliche negative Auswirkungen auf Nicht-Zielarten, Lebensräume und Ökosysteme können nicht ausgeschlossen werden.”

Auch über die Auswirkungen von Glyphosat auf Mikrobiome kann sich die EFSA nicht äußern. Es gebe “keine international vereinbarten Leitlinien für die Risikobewertung des Mikrobioms im Bereich der Pestizide”. Weitere Forschung sei nötig, um die Auswirkungen von Glyphosat und anderen Pestiziden auf Mikrobiome zu verstehen.

Die Zulassung für Glyphosat läuft am 15. Dezember aus. Im September will die Kommission den Mitgliedsstaaten einen Durchführungsbeschluss im Sinne einer Verlängerung des Herbizids unterbreiten. Dieser muss in der Komitologie-Prozedur mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden. cw

  • Biodiversität
  • Glyphosat
  • Glyphosat-Verlängerung
  • Umweltschutz

Deutsche Umwelthilfe klagt gegen Zulassung eines Glyphosat-Herbizids

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat mit Unterstützung von foodwatch Klage gegen die Zulassung eines glyphosathaltigen Herbizids vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig eingereicht. Konkret geht es um das Totalherbizid Roundup PowerFlex, das zum US-Hersteller Monsanto gehört.

Die DUH erklärt, dass glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel wie Roundup PowerFlex nahezu alle wildwachsenden Pflanzen auf Äckern vernichten und damit der Artenvielfalt extrem schaden. Zudem gelange der Wirkstoff in erheblichem Ausmaß in Böden und Gewässer und werde selbst in der Luft gemessen.

Die DUH verwies auch auf die jüngsten Erkenntnisse eines schwedischen Forscherteams, wonach Chemiekonzerne im Zulassungsverfahren einige Studien zur Risikobewertung nicht vorgelegt hatten. Darunter war auch eine Studie zu einem speziellen Glyphosat-Salz, die nach Ansicht des Forscherteams auch für das Zulassungsverfahren von Glyphosat hätte relevant sein können. Die DUH vertritt deshalb die Ansicht, dass die Zulassung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln auf einer unvollständigen Datengrundlage beruhe. Diese Erkenntnisse erfordern aus Sicht der DUH eine Überprüfung der bestehenden Zulassungen glyphosathaltiger Mittel und im Ergebnis die “vollständige Aufhebung” der Zulassung. ag

Discounter Penny verlangt “wahre Preise” für neun Produkte

Der Discounter Penny verlangt seit gestern für neun seiner mehr als 3.000 Produkte eine Woche lang die “wahren Preise” – also den Betrag, der unter Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden eigentlich berechnet werden müsste. Die Produkte – von Käse bis Wiener Würstchen – werden dadurch um bis zu 94 Prozent teurer, wie die Handelskette mitteilte. Die Mehreinnahmen will die zur Rewe-Gruppe gehörende Kette für ein Projekt zum Klimaschutz und zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum spenden.

Der Händler will mit dem Schritt mehr Bewusstsein für die Umweltbelastungen durch die Lebensmittelproduktion schaffen. “Wir sehen, dass viele unserer Kundinnen und Kunden unter den unverändert hohen Lebensmittelpreisen leiden. Dennoch müssen wir uns der unbequemen Botschaft stellen, dass die Preise unserer Lebensmittel, die entlang der Lieferkette anfallen, die Umweltfolgekosten nicht widerspiegeln”, beschrieb Penny-Manager Stefan Görgens den Hintergrund der Aktion.

Berechnet wurden die “wahren Preise”, bei denen neben den üblichen Herstellungskosten auch die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf Boden, Klima, Wasser und Gesundheit einbezogen werden, von Wissenschaftlern der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald.

Maasdamer Käse etwa verteuerte sich dadurch um 94 Prozent, Wiener Würstchen um 88 Prozent. Deutlich geringer fiel die Steigerung mit nur fünf Prozent bei einem veganen Schnitzel aus. dpa

Presseschau

Steigende Inflation bei Lebensmittelpreisen: Machen Unternehmen versteckte Gewinne? Süddeutsche Zeitung
Maximilian Tönnies: “Wir wollen das Thema Nachhaltigkeit stärker in die Unternehmensführung einbringen” FAZ
Historiker Prof. Ewald Frie zum Wandel in der Landwirtschaft: “Die Bauer sind nicht einfach nur Opfer” AgE
Bayer rechnet mit Milliardenverlusten wegen Glyphosat-Einbruch Handelsblatt
Geplante Glyphosat-Zulassung auf EU-Ebene sorgt für nationale Kritik Agrarheute
Zulassung neuer genomischer Techniken (NGT): Mehrheit des EU-Agrarrats stimmt Kommissionsvorschlag zu Agrarzeitung
Rindervirus in Spanien: Experten raten zu erhöhter Wachsamkeit Elite Magazin
Massiver Ernterückgang bei Hopfen: Größter Hopfenproduzent auf der Suche nach hitzeresistenten Pflanzen FAZ

Standpunkt

EU-Lieferkettengesetz: Worauf Einkäufer jetzt achten müssen

Von Jan-Hendrik Sohn
Manager Jan-Hendrik Sohn geht davon aus, dass auch kleinere Unternehmen ihre Lieferketten künftig auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße überwachen müssen.

Anfang Juni verabschiedete das EU-Parlament die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), sie ist ein bedeutender Schritt hin zu einem umfassenden Europäischen Lieferkettengesetz. Nach Abschluss des Trilogs, in dem das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission eine gemeinsame Position erarbeitet haben, muss das Gesetz innerhalb von fünf Jahren von allen EU-Mitgliedern in nationales Recht überführt werden.

Der Umfang und die Ausgestaltung des Gesetzes sind zwar noch nicht final definiert. Ich gehe jedoch davon aus, dass das 2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) weiter verschärft wird. Es könnte künftig auch kleinere Unternehmen dazu verpflichten, ihre gesamten Lieferketten auf potenzielle Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße zu überwachen. Zusätzlich wird von den Organisationen gefordert, ihre Geschäftsmodelle so anzupassen, dass sie aktiv zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen, das Pariser Klimaabkommen unterstützen und bis 2050 klimaneutral operieren.

Unternehmen haben großen Nachholbedarf

Der Schlüssel zur Umsetzung liegt in mehreren Punkten. Zum einen muss die Beschaffung digitalisiert werden. Dazu braucht es robuste Due-Diligence- und Reporting-Prozesse sowie eine möglichst automatisierte Überprüfung und Anpassung von Neu- und Bestandsverträgen mit Lieferanten. Doch am wichtigsten sind die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern und die Implementierung von Risikomanagement- und Feedbackprozessen – und genau hier haben viele Unternehmen großen Nachholbedarf. Derzeit dürfen viele Lieferanten aus vertraglichen Gründen keine Informationen über die Zusammenarbeit mit Sub-Lieferanten liefern. Man sollte also Bestandsverträge prüfen und sicherstellen, dass Neuverträge die entsprechenden Vereinbarungen bereits enthalten. 

Die Beispiele zeigen: Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Ohne Modernisierung des Einkaufs und umfassende IT-Unterstützung ist der geforderte hohe Grad an Transparenz und Prozesssicherheit nicht realisierbar. Die Investitionen lassen sich nicht pauschal beziffern, denn sie hängen von individuellen Parametern ab. Dazu gehören Unternehmensgröße, IT-Reifegrad und die Anzahl der Lieferanten. Eine Studie der Hamburger Stiftung für Unternehmensethik hat ermittelt, dass allein für Lizenzen zwischen 25.000 und 200.000 Euro anfallen. Hinzu kommen Kosten für entsprechend ausgebildetes Fachpersonal. Aber mit Blick auf die veränderten Anforderungen der Kunden kann man sagen, dass sich die Investitionen lohnen. 

Und: Die Übergangsphase gibt Organisationen genügend Zeit, sich vorzubereiten. Sie sollten jedoch zügig starten, ihre Prozesse analysieren und eine Bestandsaufnahme durchführen – und erst dann die nächsten Schritte gehen. Denn nur wenn klar ist, wo Lücken sind, können Einkaufsorganisationen einen Anforderungskatalog für passende Software- und Datenanbieter erstellen.

Bedarf prüfen – Business Case definieren

Bei der Wahl der Software sollte man darauf achten, dass neben den Kern-Features für Einkauf, Vertragsmanagement und Rechnungslegung auch alle für die Umsetzung des Lieferkettengesetzes benötigten Funktionalitäten zur Verfügung stehen. Dazu gehören die Integration externer Datenquellen, die Analyse und Bewertung von CSR-Risiken inklusive automatischer Reporting-Funktionen sowie Tools zur nahtlosen Kommunikation mit Lieferanten. Außerdem sollte man prüfen, ob die Module vollständig miteinander integriert sind – und sich auch in Kombination mit den eingesetzten ERP-Systemen betreiben lassen. Technisch ist das Lieferkettengesetz bereits vollständig abbildbar. 

Da der Einkauf selbst bei Unternehmen gleicher Branchen sehr unterschiedlich sein kann, sollten Entscheider Business-Cases definieren und deren Umsetzung durch die jeweils infrage kommenden Einkaufslösungen strukturiert bewerten. Wovon ich dringend abrate, ist ein bloßes Ausprobieren solcher Lösungen, ohne dem Anbieter vorher einen konkreten Use-Case zu liefern. Diese Herangehensweise bringt den Einkauf meist keinen Schritt weiter, denn sie ermöglicht allenfalls eine Bewertung der grafischen Benutzeroberfläche – die integrierten Funktionalitäten zur Umsetzung des Lieferkettengesetzes im eigenen Hause lassen sich sonst nicht zuverlässig prüfen.

Neue Art von Beziehungen aufbauen

Doch selbst die beste Lösung kann noch nicht alle Herausforderungen lösen: Sollte das EU-Lieferkettengesetz wie geplant auf internationale Sub-Lieferanten und deren Partner ausgedehnt werden, stehen insbesondere Organisationen mit komplexen internationalen Lieferketten vor einem noch ungelösten Problem: Sie müssen Verantwortung für die Geschäftspraktiken von Partnern übernehmen, die sie heute noch gar nicht kennen. Dies hat in den meisten Fällen vertragliche Gründe: Viele Sub-Lieferanten sind zum Stillschweigen verpflichtet und dürfen gegenüber Dritten nicht über ihre Geschäftsbeziehungen sprechen. Die beste digitale Einkaufslösung nützt also ausgesprochen wenig, wenn Lieferanten und deren Partner keinen Einblick in ihre Lieferketten gewähren. Vollständige Transparenz erfordert deshalb den Aufbau vertrauensvoller Partnerschaften, offene Kommunikation und die längst überfällige Abkehr vom reinen Kostenfokus im Einkauf. Dies bedeutet nichts weniger als eine ganz neue Art von Lieferantenbeziehungen, die sich in den meisten Unternehmen erst noch etablieren muss.

Mein Fazit: Das Europäische Lieferkettengesetz ist kein Grund zur Panik. Es ist vielmehr ein Aufruf an Unternehmen, ihre Verantwortung in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards ernst zu nehmen. Zugleich ist es eine Gelegenheit, die Effizienz und Robustheit des eigenen Einkaufs zu verbessern, anders mit Problemen umzugehen und gleichzeitig das Vertrauen von Kunden, Partnern und Stakeholdern zu stärken. Außerdem liegt der Schwerpunkt des Gesetzes eher auf Prävention und nicht auf Bestrafung – das sollten Entscheider und Kritiker stets im Hinterkopf behalten.

Jan-Hendrik Sohn ist Regional Vice President Sales DACH & CEE bei Ivalua. Das Unternehmen bietet digitale Tools für die Beschaffung und das Management von Lieferketten an. Zuvor war der Manager unter anderem bei Capgemini Procurement Services, im Vertrieb von Oventis und SynerTrade sowie als Senior Account Director bei dem US-Unternehmen Tradeshift tätig.

  • Einkauf
  • EU
  • Lieferketten
  • Lieferkettengesetz

Heads

Maria Noichl – Für die Agrarpolitik nach Brüssel

Maria Noichl, Mitglied im Europäischen Parlament für die SPD, sitzt in den Ausschüssen für Landwirtschaft und für die Rechte von Frauen.

Maria Noichl ist eine Quereinsteigerin im Brüsseler Betrieb. Geplant hat sie ihre Karriere als Europapolitikerin nicht. Und dennoch ist die 56-Jährige mittlerweile eine einflussreiche Abgeordnete für die Landwirtschaft und die Rechte von Frauen geworden. 

Noichl wuchs in Aising bei Rosenheim auf, ihr Vater war Gemeinderat bei der CSU. “Er war typisch bayerisch, ein liebenswerter Strauß-Verschnitt”, sagt Noichl im Gespräch. Mit 17 Jahren wurde Noichl unverheiratet schwanger. Dafür wurde sie im konservativen Bayern geächtet. “Im kirchlichen Jugendchor gab es eine Sondersitzung, in der es hieß: Wenn so etwas noch einmal passiert, wird der Chor aufgelöst.” Kurze Zeit später trat Noichl aus der katholischen Kirche aus, gläubig ist sie bis heute. 

“Immer wieder mit Brüssel telefoniert”

Zur SPD kam Noichl über einen offenen Gesprächskreis der SPD-Frauen in Rosenheim. “Ich war fasziniert, wie die gesprochen haben, wie die argumentiert haben und wie sie Probleme benannt haben”, sagt Noichl. “Das war so ganz anders als ich es von zu Hause kannte.” 1991 trat sie in die SPD ein, wurde Stadträtin in Rosenheim. 2008 bis 2013 war sie Abgeordnete im Bayerischen Landtag. Seit 2018 ist Noichl Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen.

Noichl hat nach der Geburt ihres zweiten Sohnes das Fachabitur über den zweiten Bildungsweg nachgeholt, wurde Fachlehrerin für Ernährung und Gestaltung. Deswegen ging sie im Landtag in den Ausschuss für Ernährung, der gleichzeitig auch der Landwirtschaftsausschuss ist. “In den fünf Jahren im Landtag habe ich immer wieder mit Brüssel telefoniert”, sagt sie. “Ich hatte mir nicht vorgenommen, europäische Politik zu machen, aber in der Zeit wurde mir klar: Der Agrar-Bär steppt in Brüssel.” 2014 wurde sie erstmals ins EP gewählt.

Soziale Konditionalität der GAP

In der aktuellen Agrarreform hat Noichl für einen Coup gesorgt. Sie wollte die Zahlungen an Landwirte an soziale Mindeststandards koppeln, die sogenannte soziale Konditionalität einführen. “Mir ging es darum, faire Arbeitgeber:innen in der Landwirtschaft vor Dumping zu schützen”, sagt Noichl. “Ich habe einen Änderungsantrag geschrieben, der mit dummem Lachen im Ausschuss abgelehnt wurde.” Auch von ihrer eigenen Fraktion. Im Plenum brachte sie den Antrag erneut ein, hier fand er eine knappe Zustimmung, ab 2025 gilt der Mechanismus EU-weit. “Das ist mein größter Erfolg.”

Anfang Juni hat sie den europäischen Dachverband für Landschaftspflege, Landcare Europe, mitgegründet. Ziel des Vereins ist, Landwirten eine zweite Einnahmequelle neben dem Produktverkauf zu generieren. Als “Öko-Dienstleister” sollen Landwirt:innen auch für Umweltschutz auf den Flächen finanziert werden. “Ich stelle mir das vor wie eine Preisliste im Restaurant, dass Landwirt:innen wissen, wie viel Geld sie für welches Projekt bekommen.”

Dann wäre es eine betriebswirtschaftliche Entscheidung, ob Landwirt:innen beispielsweise ein weiteres Rapsfeld anlegen oder ein Feldlerchenprojekt unterstützen. Dafür müsse die Gesellschaft bereit sein, zu zahlen. “Der Gesellschaft ist es auch wert, dass der Marktplatz schön gepflastert wird”, sagt Noichl. “Dann kann es uns auch wert sein, wenn Landwirt:innen mehr für Biodiversität und Klimaschutz tun.” Tom Schmidtgen

  • EU

Agrifood.Table Redaktion

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    zwischen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und der Union herrscht kein eitel Sonnenschein. Im Interview kritisiert der Grünen-Politiker das Verhalten der Union mit Blick auf die Zukunft der Landwirtschaft. Eigentlich sei es Konsens in Deutschland und in der EU, dass sich die Landwirtschaft klima- und krisenfreundlich aufstellen müsse, sagt Özdemir. Es wundere ihn, was da nun seitens der Union in Brüssel passiere. “Da verneinen CDU und CSU plötzlich die Kompromisse, die sie selbst mitverhandelt hatten, und attackieren ihre eigene Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die aus gutem Grunde den Green Deal vorantreibt. Das sind durchschaubare Wahlkampfmanöver”, so der Minister. Wer die Folgen der Klimakrise, Bodenprobleme und Wassermangel ignoriere, sei kein Freund der Bauern. 

    Analog dazu will Deutschland seinen Landwirten mehr EU-Geld für Umwelt- und Klimaschutz zahlen und die Förderbedingungen vereinfachen. Aktuell verhandelt das Bundeslandwirtschaftsministerium mit der EU-Kommission über die Öko-Regelungen. Die Brüsseler Behörde wird die Vorschläge voraussichtlich annehmen, schreibt meine Kollegin Merle Heusmann.

    Ihre
    Henrike Schirmacher
    Bild von Henrike  Schirmacher
    • Biodiversität
    • Klima & Umwelt

    Analyse

    Cem Özdemir zur Gentechnik: “Ich warne vor alten Schwarz-Weiß-Debatten”

    Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir

    Herr Özdemir, die Landwirtschaft ist schon jetzt unmittelbar vom Klimawandel betroffen und muss sich in den kommenden Jahrzehnten vor Wetterextremen schützen. Tun Sie als Bundeslandwirtschaftsminister genug, damit das sowohl kurz- als auch langfristig gelingt?

    Cem Özdemir: Wenige Wirtschaftsbereiche spüren die Klimakrise und ihre Folgen so unmittelbar wie die Landwirtschaft. Während gerade einige – sei es im Netz, im Fernsehen, aber auch in der Politik – gegen jede Evidenz so tun, als wären die klimatischen Bedingungen total normal, weil es ja früher auch schon mal heiß gewesen sei, muss man die Landwirtinnen und Landwirte nicht davon überzeugen, dass die Klimakrise massive Auswirkungen auf unser Leben hat und auch das Wirtschaften verändert. In manchen Regionen regnet es kaum noch, Wasser ist ein knappes und kostbares Gut – da verdorrt das Getreide am Halm. Und anderswo schwemmen Starkregenfälle ganze Ernten weg. Da geht es ganz konkret um die Ernten von heute, morgen und um die in 20, 30 und 50 Jahren.

    Dennoch gibt es jetzt einige Stimmen, die meinen, dass es angesichts der Folgen des Ukraine-Krieges weniger Einschränkungen bräuchte und man nicht starr an Klimaschutzzielen festhalten dürfte.

    Wer jetzt im politischen Raum davon spricht, dass es den Green Deal nicht mehr bräuchte, wer hinter die gemeinsam ausgehandelten Ergebnisse der Zukunftskommission Landwirtschaft zurückfallen und am liebsten alte Gräben zwischen Naturschutz und Landwirtschaft aufbrechen möchte, dem sage ich, das wird nicht gelingen. Ich fühle mich einer Politik verpflichtet, die mühsam ausgehandelte und gemeinsam erreichte Kompromisse umsetzen will, statt wieder in Extreme zurückzufallen. Wir müssen die Klimakrise bekämpfen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Landwirtschaft sich krisenfest aufstellt und auch anpassen kann.

    Was meinen Sie mit dem Anpassen?

    Eine Politik der Vernunft schützt nicht nur, sondern sorgt vor, etwa indem wir klimaangepasste Sorten nutzen oder Anbautechniken anwenden, die die Resilienz stärken. In Brandenburg kommen etwa Kichererbsen mit der Trockenheit gut zurecht, und solche Ansätze unterstützen wir mit unserer Eiweißpflanzenstrategie. Schließlich heben wir auch die Potentiale der Landwirtschaft als Klimaschützer. Nehmen Sie den Humusaufbau. Jedes Prozent mehr Humus bedeutet auch mehr Kohlenstoffspeicher im Boden. Hier investieren wir viele Millionen in konkrete Projekte und die praxisrelevante Forschung.

    “Wir nutzen zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren”

    Ist damit beim Klimaschutz in der Landwirtschaft das Ende der Fahnenstange erreicht?

    Die Landwirtschaft hat ihre Sektorziele aktuell erreicht und das ist eine große Leistung. Gerade die Bäuerinnen und Bauern haben ein Interesse daran und ein Recht darauf, dass auch andere Bereiche beim Klimaschutz liefern. Mir geht es darum, dass wir dazu beitragen, die Landwirtschaft auch langfristig krisenfest zu machen. Ein großer Hebel liegt in der Tierhaltung, die fast 70 Prozent der Emissionen im Agrarsektor ausmacht. Ich will ganz klar sagen: Wenn Landwirtschaft nachhaltig sein soll, brauchen wir Tierhaltung in Deutschland. Deshalb müssen wir sie zukunftsfest aufstellen. Das ist auch eine Ressourcen- und Verteilungsfrage, mehr als die Hälfte des Getreides landet nicht bei uns auf dem Teller, sondern im Trog. Wir nutzen also zu viel Fläche für die Versorgung von Tieren. Gleichzeitig geht der Fleischkonsum in Deutschland zurück. Da docke ich an mit meinem Prinzip “weniger Tiere besser halten”. Dafür ist mein verpflichtendes, staatliches Tierhaltungskennzeichen, das gerade final beschlossen wurde, ein zentraler Baustein. Und wir werden die Landwirte fördern, die ihren Tieren eben mehr Platz geben.

    Sind Sie mit Blick auf die laufende hiesige Ernte froh darüber, dass Landwirte und Landwirtinnen in Deutschland in diesem Jahr noch nicht dazu gezwungen worden sind, Flächen brach liegen zu lassen und weniger Weizen anzubauen?

    Ich nehme bei der Ernte verhaltenen Optimismus wahr. Aber in die Glaskugel zu schauen, das gehört auf den Jahrmarkt und nicht in ein Ministerium. Wie gut unsere Kornspeicher am Ende des Sommers gefüllt sein werden, das hängt letztendlich stark vom Wetter ab. Und das Wetter fährt wegen der Klimakrise immer öfter Achterbahn. Wir müssen deshalb alles dransetzen, dass die Landwirtschaft sich klima- und krisenfest aufstellen kann. Wie schon angesprochen war das eigentlich Konsens in Deutschland und in der EU – und da wundert es mich schon, was da gerade seitens der Union in Brüssel passiert. Da verneinen CDU und CSU plötzlich die Kompromisse, die sie selbst mitverhandelt hatten, und attackieren ihre eigene Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die aus gutem Grunde den Green Deal vorantreibt. Das sind durchschaubare Wahlkampfmanöver. Wer die Folgen der Klimakrise, Bodenprobleme und Wassermangel ignoriert, ist wahrlich kein Freund der Bauern.

    “All das Leid ist Putin bekanntlich vollkommen egal”

    Der russische Präsident Wladimir Putin hat kürzlich das Getreideabkommen zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über die Schwarzmeerhäfen gestoppt. Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, fordert vor diesem Hintergrund einen “Krisenstab für Ernährungssicherheit.” Sind Sie ebenfalls alarmiert?

    Ich war letzte Woche in Rom beim UN-Sondergipfel zum Thema Ernährungssysteme und diskutierte dort über die Folgen des russischen Angriffskrieges für die globale Ernährungssicherheit. Putin benutzt den Hunger als Waffe. Das beobachten wir seit Beginn des Krieges. Die Folgen für die Menschen und all das Leid sind ihm dabei bekanntlich vollkommen egal. Russlands einseitiges Aufkünden des Getreideabkommens heizt bestehende Hungersnöte auf der Welt an. Ukrainisches Getreide gelangt nun nicht mehr dorthin, wo Menschen ums Überleben kämpfen, etwa in Afrika. Das World Food Programme hatte beispielsweise mit Unterstützung der Bundesregierung ukrainisches Getreide nach Äthiopien gebracht. Das wird es nun erstmal nicht mehr geben. Andererseits hat Getreide aus der Ukraine mitgeholfen, dass sich die Weltmarktpreise etwa für Weizen normalisieren, und sich die Ärmsten dieser Welt Brot leisten können.

    Was tut die Bundesregierung?

    Es zahlt sich deshalb aus, dass die EU schon früh aktiv wurde, damit ukrainisches Getreide über Schienen und Straßen zu anderen europäischen Seehäfen kommt. Gerade, weil auf Putin kein Verlass ist, müssen dauerhafte Alternativrouten etabliert werden. Da braucht es weitere Anstrengungen auch seitens der EU und ich würde mich natürlich freuen, wenn auch die CDU ihre guten Drähte nach Brüssel nutzen würde, um da in diesem Sinne zu unterstützen.

    “Europäische Ziele für die Pestizidreduktion liegen im Interesse der deutschen Landwirtschaft”

    Eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln, wie sie die EU-Kommission plant, würde Ihrem gesteckten Ziel, den Ökolandbau in Deutschland auszubauen, Rückenwind verleihen. Welche Position zur “Sustainable Use Regulation” (SUR) vertreten Sie vor diesem Hintergrund im Rat der EU-Mitgliedstaaten?

    Ich unterstütze die Einsparziele und eine gemeinsame Regelung, aber sage auch: Es muss auch machbar sein und darf diejenigen, die schon vorangegangen sind, nicht nachträglich bestrafen. Es nützt nichts, wenn wir in Europa virtuelle Einsparziele haben, an die sich keiner hält. Es ist auch im Interesse der deutschen Landwirtschaft, dass wir europäische Ziele für die Reduktion von Pestiziden definieren. Denn das schafft ein level playing field in Europa. Gerade weil wir uns in vielen Fragen in Deutschland schon früh auf den Weg gemacht haben, ist es für uns von Vorteil, wenn die Reduktionsziele auch für andere gelten. Also: Unterstützung zum Ziel der SUR. Aber die Regelung braucht dringend Anpassungen, die auf unsere spezifischen Voraussetzungen in Deutschland eingehen. Das ist die Frage des Referenzjahres für die Reduktionsziele. Das ist auch eine Frage des bürokratischen Umfangs und natürlich geht es auch um die Definition von sensiblen Gebieten. Sonderkulturen müssen weiterhin möglich sein. Es kann ja niemand ernsthaft ein Interesse daran haben, wenn bei uns der Wein- und Obstanbau zurückgeht. Ich halte es aber für einigungsfähig -guten Willen aller Beteiligten in der EU vorausgesetzt.

    “Mir ist Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, wichtig”

    Darüber hinaus verspricht sich ein Teil der Agrarbranche über die Lockerung des EU-Gentechnikrechts, den Einsatz von Pestiziden reduzieren zu können. Die Biobranche fürchtet hingegen um ihr Versprechen der Gentechnikfreiheit. Könnte dies das Öko-Ausbauziel in Deutschland gefährden?

    Auch viele konventionelle Betriebe werben mit der Gentechnikfreiheit. Das ist ein milliardenschwerer und funktionierender Markt, das bestreiten ja weder Gegner noch Befürworter. Ich rate auch bei diesem Thema, nicht auf diejenigen zu hören, die auch hier am liebsten in alte Schwarz-Weiß-Debatten zurückfallen wollen, weil das die Welt so schön einfach macht. Auf der einen Seite diejenigen, die pauschal alles verteufeln, auf der anderen Seite die anderen, die darin die großen Heilsversprechen sehen. Daher freue ich mich, dass es viele gibt, die sehr pragmatisch diskutieren. Mein Haus ist innerhalb der Bundesregierung federführend und für uns sind bei einer gemeinsamen Positionsfindung zwei Aspekte bei der Neuregelung zentral: Koexistenz zwischen denen, die mit und denen, die ohne Agrogentechnik arbeiten wollen, sowie Patentfreiheit. Unsere Land- und Lebensmittelwirtschaft, egal ob konventionell oder ökologisch, darf durch neue Regeln nicht in ihrer wirtschaftlichen Substanz gefährdet werden. Kurz: Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können. Das muss für die gesamte Wertschöpfungskette gelten.

    “Es ist nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist”


    Noch ein anderes Thema zum Schluss: Nach einer Untersuchung vom Max Rubner-Institut (MRI) sind besonders zuckerhaltige Kindergetränke sogar noch zuckriger geworden. Wollen Sie da regulativ eingreifen, analog zu den Plänen für ein Verbot von gesundheitsschädlicher Kinderwerbung?

    Es ist völlig absurd, dass gerade in einigen an Kinder gerichteten Lebensmitteln der Zuckergehalt weiter steigt. Getränke sind da nur ein Beispiel, wie das Monitoring des MRI ergeben hat. Es gibt Frühstückscerealien für Kinder, die bestehen zur Hälfte aus Zucker! Bis zu zwei Millionen Kinder und Jugendliche leiden in Deutschland unter Übergewicht oder Adipositas. Das ist auch eine Frage der Chancengerechtigkeit. In anderen Ländern, etwa Großbritannien, wurde der Zuckergehalt teils drastisch gesenkt – und die Menschen haben die Produkte dann trotzdem gekauft. Es ist also nicht gottgegeben, wie viel Zucker enthalten ist. Mir geht es darum, dass jedes Kind die Chance hat, gesund aufzuwachsen. Einen Beitrag dazu erfüllen wir jetzt durch mehr Kinderschutz in der Werbung. Alle drei Ampelparteien haben sich darauf geeinigt, dass es an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt nicht mehr geben soll. Diesen Auftrag nehme ich ernst.

    • Getreideabkommen
    • Klima & Umwelt
    • Pestizide-Verordnung
    • SUR

    Fruchtwechsel und Zwangsbrache: Artenschutz hat jetzt Vorrang

    Landwirte und Landwirtinnen müssen die Standards für die Erhaltung von Flächen in “gutem landwirtschaftlichem und ökologischem Zustand” (GLÖZ) 7 und 8 voraussichtlich wie geplant diesen Herbst umsetzen. Eine ganze Reihe von EU-Mitgliedstaaten will, dass die Ausnahmen zur Stilllegung und zum Fruchtwechsel innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verlängert werden. Ein Vorstoß Rumäniens erhielt beim Treffen der EU-Agrarminister in der vergangenen Woche viel Zuspruch. Um die Verluste der Landwirte aufgrund des Ukraine-Krieges und der Inflation auszugleichen, müssten Sonderregeln weitergehen, argumentierte Rumänien. Der Krieg dauere an, daher sollten es auch die Ausnahmen. Dennoch erteilte Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski der Forderung Rumäniens eine Absage.

    “Es ist richtig, die Ausnahmen nicht zu verlängern”, kommentiert der Agrarökonom Matin Qaim von der Universität Bonn die Aussage Wojciechowskis. Üppige weltweite Ernteprognosen und niedrigere globale Getreidepreise machen in diesem Jahr den Unterschied. “Die Preise für Weizen lagen letztes Jahr kurz nach Russlands Angriff über 300 Euro pro Tonne und nahmen Kurs auf 400 Euro pro Tonne”, so der Göttinger Agrarökonom Stephan von Cramon-Taubadel. “Niemand konnte damals wissen, wo das endet.”

    Wissenschaftler fordern mehr Engagement für Biodiversität

    Für Cramon-Taubadel bleibt es trotzdem ein “Dilemma”. Kurzfristig entlaste eine höhere Getreideproduktion in der EU das globale Preisniveau und reduziere die Zahl der Hungernden. Langfristig könne aber “nur” eine nachhaltige Landwirtschaft – mit mehr Klima- und Artenschutz – und eine gerechtere Verteilung Versorgungssicherheit gewährleisten.

    Wojciechowski argumentierte, dass man die Glaubwürdigkeit der GAP im Zuge des grünen Übergangs der Landwirtschaft auch im Auge behalten müsse. Denn die Situation sei jetzt eine andere als im vergangenen Jahr, als man sich um die kurzfristigen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit sorgte. Jetzt mache man sich langfristige Gedanken über einen Preisverfall durch die Einfuhren von Getreide aus der Ukraine. Zudem wies Wojciechowski darauf hin, dass für eine Verlängerung der Ausnahmeregeln die Einbeziehung des EU-Parlaments als Co-Gesetzgeber nötig sei. Für Änderungen am Grundrechtsakt brauche es ein vollständiges Gesetzgebungsverfahren, bestätigt eine Kommissionssprecherin.

    Insgesamt 14 Staaten unterstützten eine Verlängerung, darunter Italien, Bulgarien, Griechenland und Schweden. Frankreich äußerte Verständnis für diese Position, schlug sich aber nicht eindeutig auf die Seite der Länder.

    Deutschland lehnt Verlängerung ab

    Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir war der einzige EU-Minister, der sich offen gegen den Antrag Rumäniens stellte. Somit hielt er Wort, dass er nur befristete Ausnahmen unterstütze. Özdemir wies als Begründung auf den “dramatischen Rückgang der Biodiversität” hin. Die derzeitige Situation zeige vielmehr die Dringlichkeit, die Anpassung an den Klimawandel sowie die Biodiversität voranzutreiben. Zudem stünde die Verlässlichkeit der EU-Regeln infrage, wenn sie je nach Witterungsbedingungen immer wieder angepasst würden.

    Bislang bauen Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland laut Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) noch auf etwa 380.000 Hektar Stoppelweizen an. Damit könnten bis zu 3,4 Millionen Tonnen mehr Weizen erzeugt werden, hieß es vonseiten des BMEL im vergangenen Jahr zur Begründung für die Ausnahmeregelung. Wenn im Herbst GLÖZ 7 verpflichtend gilt, entfallen diese Mengen.

    Mit der Ausnahme von GLÖZ 8 standen etwa 100.000 bis 180.000 Hektar Acker in diesem Jahr weiterhin für die Getreideproduktion zur Verfügung. Damit könnten etwa 600.000 bis 1 Millionen Tonnen Getreide zusätzlich produziert werden, gab das BMEL im vergangenen Jahr bekannt. Mit der Umsetzung der verpflichtenden Maßnahme entfallen diese Mengen ab 2024.

    Die EU-Kommission hatte im Herbst vergangenen Jahres als Reaktion auf den Krieg und die drohende weltweite Lebensmittelknappheit für 2023 Ausnahmen von zwei Auflagen gewährt, die erst Anfang des Jahres durch die GAP-Reform in Kraft getreten wären. Zum einen müssen Betriebe in diesem Jahr noch keine jährlichen Fruchtwechsel vornehmen oder Zwischenfrüchte aussähen (GLÖZ 7). Zum anderen wurde vorerst auf die verpflichtende 4-prozentige Stilllegung von Ackerflächen verzichtet (GLÖZ 8).

    Die derzeit gültigen Ausnahmeregelungen laufen noch bis Ende 2023. Jedoch fällt die diesjährige Herbstaussaat laut Bundeslandwirtschaftsministerium bereits in das Antragsjahr für GAP-Förderungen für 2024.

    • Biodiversität
    • EU
    • Gemeinsame Agrarpolitik

    Öko-Regelungen in der GAP: Mehr Geld, weniger Hürden

    Wenn die Referenten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in diesen Tagen mit Vertretern der EU-Kommission zusammenkommen, haben sie eines ganz sicher dabei – Änderungsvorschläge für die Ausgestaltung der Öko-Regelungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Auf eine ganze Reihe von Anpassungen in der 1. Säule der GAP, in der unter anderem Förderregeln für den Verzicht auf Pestizide und den Anbau vielfältiger Kulturen verankert sind, haben sich Bund und Länder verständigt.

    Das BMEL wird diese nun in Brüssel vorlegen, wenn es dort den deutschen GAP-Strategieplan für 2024 mit der EU-Kommission verhandelt. Eine Sprecherin des BMEL geht davon aus, dass die Kommission die deutschen Änderungsvorschläge genehmigen wird, die neben Prämienerhöhungen auch vereinfachte Förderbedingungen für die Landwirte in Deutschland vorsehen.

    Landwirte rufen Fördermittel für Öko-Regelungen zu wenig ab

    Anpassungen bei den sogenannten Eco Schemes waren notwendig geworden, weil die Mittel zur Finanzierung von Umweltleistungen innerhalb der GAP von den Landwirten bislang weniger abgerufen wurden als erwartet. Deutschland hat sieben Eco Schemes definiert, die für die Landwirte seit Jahresbeginn freiwillig sind. Um Anreize zu schaffen, wird die Umsetzung entsprechend honoriert.

    Insgesamt stehen der Bundesrepublik etwa eine Milliarde Euro pro Jahr für die Öko-Regelungen zur Verfügung. Laut BMEL hätten deutsche Betriebe 2023 aber nur 61 Prozent des Geldes – rund 600 Millionen Euro – aus dem Topf beantragt.

    Bund und Länder einigen sich auf Anpassungen

    Um das Geld noch in der zweijährigen “Lernphase” der neuen GAP-Förderperiode – also noch vor Ende 2024 – voll auszuschöpfen, brauche es deshalb “dringend Nachbesserungen”, erklärte Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Werner Schwarz. Er sitzt der Agrarministerkonferenz derzeit vor, deren Mitglieder sich in einem Umlaufbeschluss auf Vorschläge zur Anpassung der Öko-Regelungen verständigt hatten. Diese decken sich mit den Änderungsvorschlägen, die das BMEL vergangene Woche vorgelegt hat:

    • Öko-Regelung 1a (Brache): Einstiegshürden werden gesenkt, Betriebe können bereits mit bis zu einem Hektar einsteigen – und das auch dann, wenn diese Fläche die 6-prozentige Obergrenze übersteigen würde.
    • Öko-Regelung 1b (Blühstreifen/-flächen): Für Blühstreifen und Blühflächen gilt eine Mindestgröße von 0,1 Hektar, begünstigungsfähig sind maximal 3 Hektar, weitere Größenvorgaben entfallen.
    • Öko-Regelung 2 (Anbau vielfältiger Kulturen): Anhebung der Prämienhöhe von 45 auf 60 Euro je Hektar.
    • Öko-Regelung 3 (Agroforst): Anhebung der Prämienhöhe von 60 auf 200 Euro je Hektar Gehölzfläche.
    • Öko-Regelung 4 (Extensivierung Dauergrünland): Die Vorgabe, dass der Viehbesatz an bis zu 40 Tagen unterschritten werden darf, entfällt. Maßgeblich soll der RGV-Bestand im Jahresdurchschnitt sein. Für das Pflugverbot wird eine Bagatellregelung wie bei der Konditionalität vorgesehen (500qm/ Betrieb/ Jahr/ Region).
    • Öko-Regelung 6 (Verzicht auf Pflanzenschutzmitteleinsatz): Anhebung der Prämienhöhe für Ackerland und Dauerkulturen von 130 auf 150 Euro pro Hektar.

    Bauernverband und NABU halten Änderungsvorschläge für unzureichend

    Der Deutsche Bauernverband (DBV) beschreibt diese Änderungsvorschläge von Bund und Ländern als “zu zaghaft”. Wie DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken mitteilte, sei zu erwarten, dass die Fördermittel auch im Jahr 2024 nicht ausreichend beantragt und abgerufen würden. “Insbesondere für Betriebe mit Dauergrünland und Tierhaltung sowie für den Gemüse-, Obst- und Weinbau gibt es aktuell leider noch zu wenige Ansätze von Bund und Ländern für praktikable Verbesserungen”, sagte Krüsken. Es brauche deshalb weitere Nachbesserungen für die kommenden Jahre.

    Auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der seit Monaten fordert, die Öko-Regelungen anzupassen, sieht nur “minimale Änderungen” in den Vorschlägen. “Wichtig ist jetzt, dass es nicht in erster Linie darum gehen sollte, möglichst viele der Gelder zu verteilen. Denn die Öko-Regelungen sind auf ökologische Ziele und Wirkungen ausgerichtet und müssen diese auch erreichen”, sagte NABU-Sprecherin Laura Henningson. Sie moniert zudem, dass die Änderungsvorschläge keine neue Öko-Regelung für Grünlandbetriebe mit Weidetierhaltung vorsähen, die durch die GAP-Reform benachteiligt würden.

    Forderungen nach weiteren Anpassungen im nächsten Jahr

    Ganz ähnlich sieht das Hubert Heigl, Naturland-Präsident und Vorstand Landwirtschaft im Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Bei den Grünland-Maßnahmen müssten Bund und Länder spätestens im kommenden Jahr noch mal ran, so Heigl. Seine Kritik an der GAP führt aber noch weiter. “Die neue GAP ist schon gescheitert, noch bevor die Umsetzung richtig begonnen hat.” Die GAP sei zu kompliziert in der Umsetzung, zu unattraktiv in der Förderung und zu wenig wirksam für die Umwelt, kritisierte der Naturland-Präsident.

    Bevor die Landwirte in Deutschland nun überhaupt von den Prämienerhöhungen und vereinfachten Förderbedingungen bei den Öko-Regelungen im nächsten Jahr profitieren können, muss die EU-Kommission diese noch genehmigen. Auch für Schleswig-Holsteins Ressortchef Werner Schwarz steht dabei schon jetzt fest, dass die Kriterien im kommenden Jahr einer weiteren kritischen Prüfung unterzogen werden müssen. “Diese Änderungen können nur der Anfang sein”, sagte Schwarz.

    • Eco Schemes

    “Die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte muss sinken”

    Franziska Kersten, SPD-Politikerin
    • Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?

    Wir müssen Landwirtschaftspolitik noch stärker an den Erfordernissen des Klima- und Umweltschutzes ausrichten. Um die Leistungen der Landwirtinnen und Landwirte angemessen zu honorieren, sehe ich in der nächsten Förderperiode der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik großes Potenzial bei der Einführung der Gemeinwohlprämie. Eine effizientere Nutzung von Flächen gelingt beispielsweise mit der Installation von Agri-Photovoltaik-Anlagen vor allem im Obst- und Gemüseanbau. Nicht zuletzt müssen wir dafür sorgen, dass auch in Zukunft ausreichend Wasser für die Landwirtschaft verfügbar ist. In der zukünftigen Wasserstrategie der Bundesregierung muss die Landwirtschaft und damit die Ernährungssicherheit eine zentrale Rolle spielen.

    • Wie wird sich die Landwirtschaft Ihrer Meinung nach bis 2050 verändern?

    In den nächsten Jahrzehnten werden wir einen Strukturwandel in der Landwirtschaft erleben. Einerseits, fernab von Ballungszentren, werden große Betriebe effizient und möglichst nachhaltig große Mengen an Grundnahrungsmitteln produzieren. Andererseits, im Umland großer Städte, werden Spezialisten über die Direktvermarktung zur lokalen Wertschöpfung beitragen. Durch neue technische Entwicklungen werden sowohl Dünge- als auch Pflanzenschutzmittel viel gezielter eingesetzt werden können. Agrarrobotik hilft künftig dabei, den Arbeitsaufwand zu reduzieren.

    • Müssen wir unsere Essgewohnheiten ändern?

    Die Bundesregierung sollte mit der nationalen Ernährungsstrategie grundsätzlich gesunde und ressourcenschonende Ernährung fördern. Das umfasst aus meiner Sicht die Ausweitung des vorzugsweise regionalen pflanzlichen Angebots in der Gemeinschaftsverpflegung und finanzielle Unterstützung für Landwirte, die auf Obst- und Gemüseproduktion umstellen wollen. Der Staat sollte darüber hinaus ein Preissignal setzen: durch die Senkung oder gar Abschaffung der Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte. Einkommensschwache Haushalte sollten wir bei einer gesunden Ernährung ebenfalls unterstützen.

    Franziska Kersten ist direkt gewählte Abgeordnete für den Wahlkreis Börde/Jerichower Land, Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sowie im Unterausschuss Globale Gesundheit. Ihr Themenschwerpunkt liegt auf der Verbindung von Klima- und Naturschutz in der Landwirtschaft.

    • Agri-PV
    • Franziska Kersten
    • Gemeinschaftsverpflegung
    • Klima & Umwelt

    News

    Pestizide: Länder vermissen Antworten der Kommission

    Zahlreiche EU-Agrarminister zeigten sich enttäuscht von der zusätzlichen Folgenabschätzung der EU-Kommission zum Vorschlag für die Reduzierung umweltschädlicher Pestizide (SUR) in der Landwirtschaft. Das machten sie vergangene Woche beim EU-Agrarrat deutlich. Die Kommission hatte die Zusatzstudie auf Bitten der Mitgliedsländer vorgelegt, um die Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche und die Nahrungsmittelproduktion dazustellen.

    Die Sorgen seien durch die erweiterte Folgenabschätzung nicht vollständig zerstreut worden, sagte der tschechische Minister. Ungarn kritisierte, dass die Kommission weiterhin keinerlei Zahlen vorlege, wie groß die Ertragseinbußen durch die Verordnung voraussichtlich sein würden. Ein Großteil der Länder unterstützte dennoch die Ziele des Kommissionsvorschlags zur SUR.

    Die Kommission will mit der Pestizide-Verordnung den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbieren sowie ökologisch besonders bedenkliche Pestizide sollen komplett untersagt werden.

    Özdemir zufrieden mit zusätzlicher Folgenabschätzung

    Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) betonte, dass die Kommission mit der zusätzlichen Studie alle Fragen des Rates beantwortet habe. “Weitere sinnlose Verzögerungen der Verhandlungen zur SUR sind aus unserer Sicht nicht zu rechtfertigen.” Özdemir forderte, dass die Kernpunkte bei den nächsten technischen Beratungen der 27 EU-Staaten behandelt werden. Auch Frankreich unterstützte die rasche Fortsetzung der Verhandlungen.

    Ungarn, Polen, Rumänien und Tschechien kritisierten generell, dass die Kommission verbindliche nationale Reduktionsziele für Pestizide vorschreiben will. Andere sehen die Intention der Kommission kritisch, die Pestizid-Regulierung EU-weit zu harmonisieren.

    Özdemir wiederholte die Kritik an der Kommissionsdefinition von ökologisch sensiblen Gebieten. Deutschland hat große Flächen als solche ausgewiesen, die gleichzeitig agrar- oder forstwirtschaftlich genutzt werden. Das strikte Einsatzverbot von Pestiziden auf diesen Flächen will Deutschland durch eine Änderung der Definition verhindern, da dies beispielsweise den Wein- und Obstanbau beeinträchtigen würde. luk

    • Biodiversität
    • Pestizide
    • Pestizide-Verordnung
    • SUR
    • Umweltschutz

    Glyphosat: EFSA weist auf Datenlücken hin

    Bereits am 6. Juli hat die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA eine positive Risikoeinschätzung für die Verlängerung von Glyphosat abgegeben. Kürzlich hat sie die Schlussfolgerungen veröffentlicht. Daraus wird ersichtlich: Obwohl es laut EFSA keine kritischen Problembereiche gibt, die einen Verbot des umstrittenen Herbizids rechtfertigen, macht die Behörde einige Datenlücken geltend.

    Diese betreffen insbesondere:

    • die Bewertung möglicher Verunreinigungen von Glyphosat, etwa solche, die Schäden an den Chromosomen verursachen könnten;
    • die Einschätzung bezüglich der ernährungsbedingten Gefahren von Glyphosat;
    • die Bewertung der Risiken des Herbizids für Wasserpflanzen (sogenannte Makrophyten)
    • das Fehlen von Neurotoxizitätsstudien (DNT-Studien). Hier macht die EFSA geltend, dass die Antragsteller weder solche Studien selbst vorgenommen haben, noch auf die DNT-Effekte von Glyphosat eingehen, die in öffentlichen Studien festgestellt wurden;
    • die Bewertung, ab wann Glyphosat giftig für Amphibien ist.

    Wie am 6. Juli bereits angekündigt, bestätigt die EFSA in ihrem Peer-Review die Giftigkeit des Herbizids für Säugetiere, und zwar bei 12 der 23 vorgeschlagenen Anwendungen des Herbizids.

    Negative Auswirkungen auf Biodiversität nicht ausgeschlossen

    Die Schlussfolgerungen der EFSA gehen insbesondere auf die Risiken von Glyphosat für die Biodiversität ein. Laut den Wissenschaftlern lassen sich diese nicht ausreichend beurteilen. Das deutet allerdings auch auf Unzulänglichkeiten im Untersuchungsverfahren hin. Antragsteller müssen nämlich keine Studien einreichen, die einen Biodiversitätsverlust betreffen, der indirekt durch einen Pestizideinsatz verursacht wird – etwa durch ein Verschwinden von Unkrautflächen, in die sich unter anderem Insekten einnisten.

    So schreiben die Autoren beispielsweise: “Für Bienen wurden keine einschlägigen Studien vorgelegt, die sich mit den indirekten Auswirkungen der Beseitigung von Unkraut und der Verringerung der floralen Ressourcen beschäftigen”. Und weiter: “Mögliche negative Auswirkungen auf Nicht-Zielarten, Lebensräume und Ökosysteme können nicht ausgeschlossen werden.”

    Auch über die Auswirkungen von Glyphosat auf Mikrobiome kann sich die EFSA nicht äußern. Es gebe “keine international vereinbarten Leitlinien für die Risikobewertung des Mikrobioms im Bereich der Pestizide”. Weitere Forschung sei nötig, um die Auswirkungen von Glyphosat und anderen Pestiziden auf Mikrobiome zu verstehen.

    Die Zulassung für Glyphosat läuft am 15. Dezember aus. Im September will die Kommission den Mitgliedsstaaten einen Durchführungsbeschluss im Sinne einer Verlängerung des Herbizids unterbreiten. Dieser muss in der Komitologie-Prozedur mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden. cw

    • Biodiversität
    • Glyphosat
    • Glyphosat-Verlängerung
    • Umweltschutz

    Deutsche Umwelthilfe klagt gegen Zulassung eines Glyphosat-Herbizids

    Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat mit Unterstützung von foodwatch Klage gegen die Zulassung eines glyphosathaltigen Herbizids vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig eingereicht. Konkret geht es um das Totalherbizid Roundup PowerFlex, das zum US-Hersteller Monsanto gehört.

    Die DUH erklärt, dass glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel wie Roundup PowerFlex nahezu alle wildwachsenden Pflanzen auf Äckern vernichten und damit der Artenvielfalt extrem schaden. Zudem gelange der Wirkstoff in erheblichem Ausmaß in Böden und Gewässer und werde selbst in der Luft gemessen.

    Die DUH verwies auch auf die jüngsten Erkenntnisse eines schwedischen Forscherteams, wonach Chemiekonzerne im Zulassungsverfahren einige Studien zur Risikobewertung nicht vorgelegt hatten. Darunter war auch eine Studie zu einem speziellen Glyphosat-Salz, die nach Ansicht des Forscherteams auch für das Zulassungsverfahren von Glyphosat hätte relevant sein können. Die DUH vertritt deshalb die Ansicht, dass die Zulassung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln auf einer unvollständigen Datengrundlage beruhe. Diese Erkenntnisse erfordern aus Sicht der DUH eine Überprüfung der bestehenden Zulassungen glyphosathaltiger Mittel und im Ergebnis die “vollständige Aufhebung” der Zulassung. ag

    Discounter Penny verlangt “wahre Preise” für neun Produkte

    Der Discounter Penny verlangt seit gestern für neun seiner mehr als 3.000 Produkte eine Woche lang die “wahren Preise” – also den Betrag, der unter Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden eigentlich berechnet werden müsste. Die Produkte – von Käse bis Wiener Würstchen – werden dadurch um bis zu 94 Prozent teurer, wie die Handelskette mitteilte. Die Mehreinnahmen will die zur Rewe-Gruppe gehörende Kette für ein Projekt zum Klimaschutz und zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum spenden.

    Der Händler will mit dem Schritt mehr Bewusstsein für die Umweltbelastungen durch die Lebensmittelproduktion schaffen. “Wir sehen, dass viele unserer Kundinnen und Kunden unter den unverändert hohen Lebensmittelpreisen leiden. Dennoch müssen wir uns der unbequemen Botschaft stellen, dass die Preise unserer Lebensmittel, die entlang der Lieferkette anfallen, die Umweltfolgekosten nicht widerspiegeln”, beschrieb Penny-Manager Stefan Görgens den Hintergrund der Aktion.

    Berechnet wurden die “wahren Preise”, bei denen neben den üblichen Herstellungskosten auch die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf Boden, Klima, Wasser und Gesundheit einbezogen werden, von Wissenschaftlern der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald.

    Maasdamer Käse etwa verteuerte sich dadurch um 94 Prozent, Wiener Würstchen um 88 Prozent. Deutlich geringer fiel die Steigerung mit nur fünf Prozent bei einem veganen Schnitzel aus. dpa

    Presseschau

    Steigende Inflation bei Lebensmittelpreisen: Machen Unternehmen versteckte Gewinne? Süddeutsche Zeitung
    Maximilian Tönnies: “Wir wollen das Thema Nachhaltigkeit stärker in die Unternehmensführung einbringen” FAZ
    Historiker Prof. Ewald Frie zum Wandel in der Landwirtschaft: “Die Bauer sind nicht einfach nur Opfer” AgE
    Bayer rechnet mit Milliardenverlusten wegen Glyphosat-Einbruch Handelsblatt
    Geplante Glyphosat-Zulassung auf EU-Ebene sorgt für nationale Kritik Agrarheute
    Zulassung neuer genomischer Techniken (NGT): Mehrheit des EU-Agrarrats stimmt Kommissionsvorschlag zu Agrarzeitung
    Rindervirus in Spanien: Experten raten zu erhöhter Wachsamkeit Elite Magazin
    Massiver Ernterückgang bei Hopfen: Größter Hopfenproduzent auf der Suche nach hitzeresistenten Pflanzen FAZ

    Standpunkt

    EU-Lieferkettengesetz: Worauf Einkäufer jetzt achten müssen

    Von Jan-Hendrik Sohn
    Manager Jan-Hendrik Sohn geht davon aus, dass auch kleinere Unternehmen ihre Lieferketten künftig auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße überwachen müssen.

    Anfang Juni verabschiedete das EU-Parlament die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), sie ist ein bedeutender Schritt hin zu einem umfassenden Europäischen Lieferkettengesetz. Nach Abschluss des Trilogs, in dem das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission eine gemeinsame Position erarbeitet haben, muss das Gesetz innerhalb von fünf Jahren von allen EU-Mitgliedern in nationales Recht überführt werden.

    Der Umfang und die Ausgestaltung des Gesetzes sind zwar noch nicht final definiert. Ich gehe jedoch davon aus, dass das 2023 in Kraft getretene deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) weiter verschärft wird. Es könnte künftig auch kleinere Unternehmen dazu verpflichten, ihre gesamten Lieferketten auf potenzielle Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße zu überwachen. Zusätzlich wird von den Organisationen gefordert, ihre Geschäftsmodelle so anzupassen, dass sie aktiv zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen, das Pariser Klimaabkommen unterstützen und bis 2050 klimaneutral operieren.

    Unternehmen haben großen Nachholbedarf

    Der Schlüssel zur Umsetzung liegt in mehreren Punkten. Zum einen muss die Beschaffung digitalisiert werden. Dazu braucht es robuste Due-Diligence- und Reporting-Prozesse sowie eine möglichst automatisierte Überprüfung und Anpassung von Neu- und Bestandsverträgen mit Lieferanten. Doch am wichtigsten sind die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern und die Implementierung von Risikomanagement- und Feedbackprozessen – und genau hier haben viele Unternehmen großen Nachholbedarf. Derzeit dürfen viele Lieferanten aus vertraglichen Gründen keine Informationen über die Zusammenarbeit mit Sub-Lieferanten liefern. Man sollte also Bestandsverträge prüfen und sicherstellen, dass Neuverträge die entsprechenden Vereinbarungen bereits enthalten. 

    Die Beispiele zeigen: Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Ohne Modernisierung des Einkaufs und umfassende IT-Unterstützung ist der geforderte hohe Grad an Transparenz und Prozesssicherheit nicht realisierbar. Die Investitionen lassen sich nicht pauschal beziffern, denn sie hängen von individuellen Parametern ab. Dazu gehören Unternehmensgröße, IT-Reifegrad und die Anzahl der Lieferanten. Eine Studie der Hamburger Stiftung für Unternehmensethik hat ermittelt, dass allein für Lizenzen zwischen 25.000 und 200.000 Euro anfallen. Hinzu kommen Kosten für entsprechend ausgebildetes Fachpersonal. Aber mit Blick auf die veränderten Anforderungen der Kunden kann man sagen, dass sich die Investitionen lohnen. 

    Und: Die Übergangsphase gibt Organisationen genügend Zeit, sich vorzubereiten. Sie sollten jedoch zügig starten, ihre Prozesse analysieren und eine Bestandsaufnahme durchführen – und erst dann die nächsten Schritte gehen. Denn nur wenn klar ist, wo Lücken sind, können Einkaufsorganisationen einen Anforderungskatalog für passende Software- und Datenanbieter erstellen.

    Bedarf prüfen – Business Case definieren

    Bei der Wahl der Software sollte man darauf achten, dass neben den Kern-Features für Einkauf, Vertragsmanagement und Rechnungslegung auch alle für die Umsetzung des Lieferkettengesetzes benötigten Funktionalitäten zur Verfügung stehen. Dazu gehören die Integration externer Datenquellen, die Analyse und Bewertung von CSR-Risiken inklusive automatischer Reporting-Funktionen sowie Tools zur nahtlosen Kommunikation mit Lieferanten. Außerdem sollte man prüfen, ob die Module vollständig miteinander integriert sind – und sich auch in Kombination mit den eingesetzten ERP-Systemen betreiben lassen. Technisch ist das Lieferkettengesetz bereits vollständig abbildbar. 

    Da der Einkauf selbst bei Unternehmen gleicher Branchen sehr unterschiedlich sein kann, sollten Entscheider Business-Cases definieren und deren Umsetzung durch die jeweils infrage kommenden Einkaufslösungen strukturiert bewerten. Wovon ich dringend abrate, ist ein bloßes Ausprobieren solcher Lösungen, ohne dem Anbieter vorher einen konkreten Use-Case zu liefern. Diese Herangehensweise bringt den Einkauf meist keinen Schritt weiter, denn sie ermöglicht allenfalls eine Bewertung der grafischen Benutzeroberfläche – die integrierten Funktionalitäten zur Umsetzung des Lieferkettengesetzes im eigenen Hause lassen sich sonst nicht zuverlässig prüfen.

    Neue Art von Beziehungen aufbauen

    Doch selbst die beste Lösung kann noch nicht alle Herausforderungen lösen: Sollte das EU-Lieferkettengesetz wie geplant auf internationale Sub-Lieferanten und deren Partner ausgedehnt werden, stehen insbesondere Organisationen mit komplexen internationalen Lieferketten vor einem noch ungelösten Problem: Sie müssen Verantwortung für die Geschäftspraktiken von Partnern übernehmen, die sie heute noch gar nicht kennen. Dies hat in den meisten Fällen vertragliche Gründe: Viele Sub-Lieferanten sind zum Stillschweigen verpflichtet und dürfen gegenüber Dritten nicht über ihre Geschäftsbeziehungen sprechen. Die beste digitale Einkaufslösung nützt also ausgesprochen wenig, wenn Lieferanten und deren Partner keinen Einblick in ihre Lieferketten gewähren. Vollständige Transparenz erfordert deshalb den Aufbau vertrauensvoller Partnerschaften, offene Kommunikation und die längst überfällige Abkehr vom reinen Kostenfokus im Einkauf. Dies bedeutet nichts weniger als eine ganz neue Art von Lieferantenbeziehungen, die sich in den meisten Unternehmen erst noch etablieren muss.

    Mein Fazit: Das Europäische Lieferkettengesetz ist kein Grund zur Panik. Es ist vielmehr ein Aufruf an Unternehmen, ihre Verantwortung in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards ernst zu nehmen. Zugleich ist es eine Gelegenheit, die Effizienz und Robustheit des eigenen Einkaufs zu verbessern, anders mit Problemen umzugehen und gleichzeitig das Vertrauen von Kunden, Partnern und Stakeholdern zu stärken. Außerdem liegt der Schwerpunkt des Gesetzes eher auf Prävention und nicht auf Bestrafung – das sollten Entscheider und Kritiker stets im Hinterkopf behalten.

    Jan-Hendrik Sohn ist Regional Vice President Sales DACH & CEE bei Ivalua. Das Unternehmen bietet digitale Tools für die Beschaffung und das Management von Lieferketten an. Zuvor war der Manager unter anderem bei Capgemini Procurement Services, im Vertrieb von Oventis und SynerTrade sowie als Senior Account Director bei dem US-Unternehmen Tradeshift tätig.

    • Einkauf
    • EU
    • Lieferketten
    • Lieferkettengesetz

    Heads

    Maria Noichl – Für die Agrarpolitik nach Brüssel

    Maria Noichl, Mitglied im Europäischen Parlament für die SPD, sitzt in den Ausschüssen für Landwirtschaft und für die Rechte von Frauen.

    Maria Noichl ist eine Quereinsteigerin im Brüsseler Betrieb. Geplant hat sie ihre Karriere als Europapolitikerin nicht. Und dennoch ist die 56-Jährige mittlerweile eine einflussreiche Abgeordnete für die Landwirtschaft und die Rechte von Frauen geworden. 

    Noichl wuchs in Aising bei Rosenheim auf, ihr Vater war Gemeinderat bei der CSU. “Er war typisch bayerisch, ein liebenswerter Strauß-Verschnitt”, sagt Noichl im Gespräch. Mit 17 Jahren wurde Noichl unverheiratet schwanger. Dafür wurde sie im konservativen Bayern geächtet. “Im kirchlichen Jugendchor gab es eine Sondersitzung, in der es hieß: Wenn so etwas noch einmal passiert, wird der Chor aufgelöst.” Kurze Zeit später trat Noichl aus der katholischen Kirche aus, gläubig ist sie bis heute. 

    “Immer wieder mit Brüssel telefoniert”

    Zur SPD kam Noichl über einen offenen Gesprächskreis der SPD-Frauen in Rosenheim. “Ich war fasziniert, wie die gesprochen haben, wie die argumentiert haben und wie sie Probleme benannt haben”, sagt Noichl. “Das war so ganz anders als ich es von zu Hause kannte.” 1991 trat sie in die SPD ein, wurde Stadträtin in Rosenheim. 2008 bis 2013 war sie Abgeordnete im Bayerischen Landtag. Seit 2018 ist Noichl Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen.

    Noichl hat nach der Geburt ihres zweiten Sohnes das Fachabitur über den zweiten Bildungsweg nachgeholt, wurde Fachlehrerin für Ernährung und Gestaltung. Deswegen ging sie im Landtag in den Ausschuss für Ernährung, der gleichzeitig auch der Landwirtschaftsausschuss ist. “In den fünf Jahren im Landtag habe ich immer wieder mit Brüssel telefoniert”, sagt sie. “Ich hatte mir nicht vorgenommen, europäische Politik zu machen, aber in der Zeit wurde mir klar: Der Agrar-Bär steppt in Brüssel.” 2014 wurde sie erstmals ins EP gewählt.

    Soziale Konditionalität der GAP

    In der aktuellen Agrarreform hat Noichl für einen Coup gesorgt. Sie wollte die Zahlungen an Landwirte an soziale Mindeststandards koppeln, die sogenannte soziale Konditionalität einführen. “Mir ging es darum, faire Arbeitgeber:innen in der Landwirtschaft vor Dumping zu schützen”, sagt Noichl. “Ich habe einen Änderungsantrag geschrieben, der mit dummem Lachen im Ausschuss abgelehnt wurde.” Auch von ihrer eigenen Fraktion. Im Plenum brachte sie den Antrag erneut ein, hier fand er eine knappe Zustimmung, ab 2025 gilt der Mechanismus EU-weit. “Das ist mein größter Erfolg.”

    Anfang Juni hat sie den europäischen Dachverband für Landschaftspflege, Landcare Europe, mitgegründet. Ziel des Vereins ist, Landwirten eine zweite Einnahmequelle neben dem Produktverkauf zu generieren. Als “Öko-Dienstleister” sollen Landwirt:innen auch für Umweltschutz auf den Flächen finanziert werden. “Ich stelle mir das vor wie eine Preisliste im Restaurant, dass Landwirt:innen wissen, wie viel Geld sie für welches Projekt bekommen.”

    Dann wäre es eine betriebswirtschaftliche Entscheidung, ob Landwirt:innen beispielsweise ein weiteres Rapsfeld anlegen oder ein Feldlerchenprojekt unterstützen. Dafür müsse die Gesellschaft bereit sein, zu zahlen. “Der Gesellschaft ist es auch wert, dass der Marktplatz schön gepflastert wird”, sagt Noichl. “Dann kann es uns auch wert sein, wenn Landwirt:innen mehr für Biodiversität und Klimaschutz tun.” Tom Schmidtgen

    • EU

    Agrifood.Table Redaktion

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen