Table.Briefing: Agrifood

Bayer-Lobbyist kritisiert Hohepriester der Agrarökologie + von der Leyen wertet Wolf als Gefahr + Wojciechowski für Transportzuschüsse bei Getreide

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Schutzstatus des Wolfes gilt in Deutschland längst als umstritten. Der Frust von Weidetierhaltern und Jägern zwingt nun auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Stellungnahme. “Die Konzentration von Wolfsrudeln in einigen europäischen Regionen ist zu einer echten Gefahr für Nutztiere und potenziell auch für Menschen geworden”, sagte die Kommissionspräsidentin zu Wochenbeginn.

Mehr noch: Die Brüsseler Behörde könnte am vermeintlich “schlechten Erhaltungszustand” des Raubtieres rütteln. Dies würde das Töten von Wölfen erleichtern, um deren Verbreitung zu regulieren.

Befürworter eines aktiven Wolfsmanagements müssen sich aber offenbar weiterhin in Geduld üben. Zunächst will die Kommission zusätzliche Daten aus den EU-Mitgliedstaaten sammeln. Bis zum 22. September können beispielsweise lokale Gemeinden, Wissenschaftler und Parteien Zahlen zu Wolfspopulationen und deren Auswirkungen an eine eigens dafür eingerichtete E-Mail-Adresse schicken: ec-wolf-data-collection@ec.europa.eu. Eine erste Datensammlung zum Wolf hatte die EU-Kommission bereits im April gestartet. Diese Daten lieferten jedoch “noch immer kein vollständiges Bild, das der Kommission die Planung weiterer Maßnahmen ermöglicht”, teilte die Behörde am Montag mit.

Indes dreht sich offenbar auch im politischen Berlin der Wind gegen den Wolf. “Abschüsse von Wölfen müssen schneller möglich sein”, bekräftigte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) gerade gegenüber der Welt. Sie kündigte an, Ende September konkrete Vorschläge für ein effizienteres Wolfsmanagement vorlegen zu wollen. Das dürfte allerdings sowohl rechtlich als auch politisch kein leichtes Unterfangen werden. Die FDP-Bundestagsfraktion hat vergangene Woche zwar ein Gutachten mit einem Vorschlag für ein rechtskonformes Vorgehen veröffentlicht, wie meine Kollegin Annette Bruhns schreibt. Doch Überzeugungsarbeit dürfte bei der Bundestagsfraktion der Grünen zu leisten sein.

Die Bevölkerung in Deutschland ist bei der Frage uneins, wie die Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Civey im Auftrag von Table.Media zeigen. Die Deutschen tendieren aber eher dazu, den strengen Schutz des Wolfes für richtig zu halten (47 Prozent) – im Vergleich zu 39 Prozent, die ihn als falsch erachten. Eher die Anhängerschaft der Grünen und der Linken befürworten den strengen Schutz. Am wenigsten sprechen sich die Wählerschaften der Union sowie der FDP dafür aus.

Ob und wann sich das Kabinett mit dem Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel für Kinder befasst, ist weiterhin offen. Zwar beruft sich die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch auf interne Kreise und verkündet zu Wochenbeginn, dass das Thema inzwischen “beim Kanzler persönlich” liege – und damit kurz vor der Entscheidung stehe. Doch laut Bundeskanzleramt dauerten lediglich die “internen Abstimmungen” unter Federführung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) an, teilte ein Sprecher Table.Media mit.

Am Mittwoch findet darüber hinaus die erste Lesung zum Etatentwurf des BMEL im Bundestag statt. Im Vorfeld erneuert der Deutsche Bauernverband (DBV) seine Kritik an geplanten Kürzungen zulasten der Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK). Der Posten soll im Jahr 2024 um 293 Millionen Euro schrumpfen. “Das ist inakzeptabel und muss vom Bundestag korrigiert werden”, so der stellvertretende DBV-Generalsekretär Udo Hemmerling.

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher
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Analyse

“Afrika soll nicht von Agrarökologen bevormundet werden”

Matthias Berninger, Leiter Public Affairs und Nachhaltigkeit bei Bayer

Herr Berninger, NGOs werfen Bayer vor, in Afrika Pflanzenschutzmittel zu verkaufen, die in der EU verboten sind. Was ist an den Vorwürfen dran?

Solche Vorwürfe suggerieren, dass Brüssel die globalen Standards für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln festgelegt. Das ist mitnichten so. Die EU ist nicht die einzige Instanz für Zulassungsstandards in der Welt. Wir haben uns aber auch selbst hohe Standards gesetzt. Schon vor meiner Zeit hat sich Bayer das Produktportfolio angeschaut und verkauft bereits seit 2012 keine Pflanzenschutzmittel mehr, die von der Weltgesundheitsorganisation als besonders toxisch, in der Gefahrenkategorie Tox 1, eingestuft werden. Im nächsten Schritt haben wir gesagt, dass wir nur noch Wirkstoffe vertreiben, die in mindestens einem OECD-Land zugelassen sind. Seit 2019 vermarkten wir in Entwicklungsländern außerdem nur noch Pflanzenschutzprodukte, die den risikobasierten regulatorischen Anforderungen renommierter internationaler Zulassungsbehörden entsprechen. Dazu zählen die USA, Kanada, Brasilien, die EU, Australien, Neuseeland, Japan und China.

Was mögen Sie an den EU-Standards nicht?

Ich habe gar nichts gegen sie. Nur sind nicht alle Produkte, die wir in der Welt verkaufen, auch für die EU relevant. Wenn wir in Afrika Wirkstoffe für Bananen oder Cassava vertreiben, warum sollten wir für diese eine EU-Zulassung beantragen?

Sind diese Produkte in den afrikanischen Ländern zugelassen?

Selbstverständlich. Bei Bayer müssen sie wie gesagt in mindestens einem OECD-Land zugelassen sein. Und dann haben die afrikanischen Regierungen ihre eigenen Zulassungen. Die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus.

Auch die Heinrich-Böll-Stiftung wirft Bayer vor, ein Drittel des Umsatzes mit giftigen Produkten zu erzielen.

Manche NGOs wollen flächendeckend Agrarökologie für Afrika einführen. Das ist eine ideologisch geprägte Forderung, deren Ergebnis Sie in Sri Lanka sehen können. Die Hohenpriester der Agrarökologie von der NGO Ifoam haben dort ein flächendeckendes Verbot von Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln erreicht. Die Konsequenz war, dass innerhalb eines Jahres erst die Landwirtschaft, dann die Wirtschaft und schließlich die Regierung zusammengebrochen sind. Die NGOs, die uns kritisieren, haben nie die Verantwortung dafür übernommen, welche gefährliche Folgen ihre Vorschläge haben.

Viele NGOs zweifeln die Notwendigkeit von Pflanzenschutz und Düngemitteln generell an.

Das Problem ist vielmehr, dass in Afrika die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft seit Jahren hinter dem Bevölkerungswachstum hinterherhinkt. Das gleichen die Länder durch den Import von Nahrungsmitteln aus. Aber die Aufgabe muss doch sein, die Produktivitätslücke in der afrikanischen Landwirtschaft zu schließen. Wir brauchen Pflanzenschutzmittel, um die Effizienz in der Landwirtschaft zu verbessern.

Und das ist nur mit Pflanzenschutz zu erreichen?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, denken Sie zum Beispiel an das Potenzial der Gen-Editierung. Wir haben mit dieser Technologie die Chance, Pflanzen viel widerstandfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels und gegen Krankheiten zu machen. Das wiederum würde den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren. Die Hohenpriester der Agrarökologie sollten auch bedenken: Ohne Pflanzenschutz steigt der Flächenverbrauch in der Landwirtschaft – und der geht in Afrika besonders stark zu Lasten der Waldflächen. Deshalb müssen wir die Leistungsfähigkeit der afrikanischen Agrarproduktion mit Know-how, Saatgut, Agrarchemie und digitalen Lösungen erhöhen. Sonst lässt sich die Ernährung in Afrika nicht sichern. Der russische Überfall auf die Ukraine hat schmerzhaft klargemacht, dass Afrika nicht von Getreide-Importen aus Russland abhängig sein sollte. Die Vereinten Nationen haben die Sorge, dass wir uns von dem Nachhaltigkeitsziel, den Hunger in der Welt bis 2030 zu überwinden, verabschieden müssen. Ich will mich nicht damit abfinden.

Gefährden Ihre Produkte nicht auch die Gesundheit der Farmer und Plantagenarbeiter?

Unsere Produktpalette zählt zu den sichersten im Agrarbereich. Die Bauern und Bäuerinnen – viele in Afrika sind ja Bäuerinnen – brauchen Pflanzenschutzmittel, die ihnen bei ihren spezifischen Problemen helfen und es ihnen ermöglichen, eine höhere Produktivität zu erreichen. Erinnern Sie sich an die Wüstenheuschrecke, die sich auf verheerende Weise in ganz Ostafrika breit gemacht hatte? Ohne unsere Produkte, die wir zum Beispiel in Lyon hergestellt haben, hätte diese Plage nicht erfolgreich bekämpft werden können. Aber es ist richtig: Pflanzenschutzmittel sind natürlich für verschiedene Organismen giftig. Entscheidend ist, dass diese Produkte sachgerecht und nach den Anwendungshinweisen verwendet werden. Dazu führen wir jährlich weiter über eine Million von Trainings mit Landwirten durch.

Aus Afrika kommt oft der Vorwurf, dass die Chemiekonzerne zu wenige Produkte anbieten, die an Afrika angepasst sind, und dass die Produkte zu teuer sind.

Wir wollen den Zugang zu modernen, innovativen Produkten verbessern. Zudem kann die Gen-Editierung entscheidend helfen, zum Beispiel den Bedarf an Fungiziden zu reduzieren. Das gilt für Bananen, die bisher nicht im Fokus der Forschung standen. Wir arbeiten intensiv an der Verbesserung von Bananen und von Cassava, zwei wichtigen Grundnahrungsmitteln in Afrika. Wenn der Anbau von Bananen und Cassava effizienter wird, verbessert sich die Ernährungslage in Afrika entscheidend. Es geht doch darum: Will ich Afrika Zugang zu modernen Agrarinnovationen ermöglichen? Oder möchte ich Afrika mit einer Ideologie der Agrarökologie bevormunden, die am Ende zwei Nachteile hat? Sie funktioniert nicht, und sie wird auch nicht akzeptiert werden. Gehen wir letzten Weg, würde der europäische Einfluss in Afrika noch weiter zurückgehen. Ich will nicht, dass Afrika zum Spielball russischer Getreidepolitik wird. Der bessere Weg ist doch, den Zugang zu Innovationen zu verbessern.

Der ehemalige Grünen-Politiker Matthias Berninger leitet seit 2019 den Bereich Public Affairs und Nachhaltigkeit von Bayer und lebt in Washington. Von 2001 bis 2005 war Berninger unter Renate Künast Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.

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Problemfall Wolf: Wie die FDP der Ampel Druck macht

Den Schweden reicht es mit den Wölfen. Schon gut vor einem Jahr, als die Population mehr als 400 Exemplare erreicht hatte und die Zahl Schafrisse mehr als 300, beschloss das schwedische Parlament: Die Zahl der Wölfe wird halbiert.

Die 10,4 Millionen Schweden leben auf 447.435 Quadratkilometer, die 83 Millionen Bürger hierzulande auf 357.600 Quadratkilometern. Die genaue Anzahl der Wölfe in Deutschland ist unbekannt, Schätzungen liegen zwischen 1500 und 2300 Tieren. 4366 Schafe, Ziegen und andere Nutztiere wurden 2022 gerissen oder verletzt; die Ausgleichszahlungen an die geschädigten Tierhalter kosteten die Bundesländer laut t-online seit Mitte 2022 rund 667.000 Euro.

Deutschland hat ein Wolfsproblem. Die Ampelregierung versprach deshalb schon im Koalitionsvertrag: “Unser Ziel ist es, das Zusammenleben von Weidetieren, Menschen und Wolf so gut zu gestalten, dass trotz noch steigender Wolfspopulation möglichst wenige Konflikte auftreten.” Man wolle den Bundesländern “europarechtskonform ein regional differenziertes Bestandsmanagement” ermöglichen.

Anfang Juli wurde die Koalitions-AG Wolf ergebnislos beendet

Die Legislaturperiode ist halb vorbei, und das Versprechen noch nicht eingelöst. Weder hat die federführende Umweltministerin Steffi Lemke einen Managementplan vorgelegt, noch die auf Betreiben der FDP eingerichtete Arbeitsgruppe Wolf eine Lösung gefunden. Anfang Juli wurde diese Koalitions-AG ergebnislos aufgelöst. Die teilnehmende FDP-MdB Ulrike Harzer sprach enttäuscht davon, der Prozess sei immer wieder “bewusst verzögert” worden.

Vor einer Woche nun hat ihre Fraktion ein “Rechtsgutachten zu den Möglichkeiten der Einführung des Bestandsmanagements für den Wolf” vorgelegt. Autor ist der Jenaer Verfassungswissenschaftler Michael Brenner. Er hat die europarechtlichen Vorgaben genau studiert und kommt auf 42 Seiten zum Ergebnis: Die Nationalstaaten dürfen mehr regeln, als Deutschland es derzeit tut. So sei es den Mitgliedsstaaten erlaubt, einen “gesellschaftlich akzeptierten Bestand” als Zielgröße zu definieren. Das Wolfsmanagement selbst könnte sowohl im Naturschutzrecht als auch im Jagdrecht verankert werden.

An eine derartige Zielgröße seien allerdings Auflagen geknüpft: Sie darf einen “günstigen Erhaltungszustand” für Wölfe nicht unterschreiten, weder regional noch überregional. Bei der Entnahme von Wölfen darf deren Sozialstruktur nicht gefährdet werden; es dürften also “nicht alle Leitwölfe” getötet werden, wie Brenner betont. Abschüsse könnten immer nur punktuell mit Vorgaben erlaubt werden – etwa, dass andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Zudem sollte es einen Bestandspflegeplan gegeben, der jährlich überprüft wird.

Als Vorbild könnte das Rotwildmanagement im Schönbuch dienen

Voraussetzung sei, dass zunächst der Ist-Zustand der Wolfspopulation sowohl regional wie auch grenzüberschreitend erhoben wird. Tatsächlich sind die Zahlen der Länder und des Bundes dazu ungenau, weil hierzulande Wölfe vorwiegend in Rudeln gezählt werden, deren Größe variieren kann. Als Ziel könne dann ein “Akzeptanz- und Entnahmekorridor” formuliert werden, wobei die Expertise von Wildtierbiologen gefragt sei. Als Vorbild nennt Brenner das Rotwildmanagement im baden-württembergischen Naturpark Schönbuch.

Die FDP will auf Basis des Gutachtens nun einen Gesetzesvorschlag machen, kündigte Fraktionsvize Carina Konrad an – falls die Umweltministerin von den Grünen nicht schneller sei. Für Konrad ist das, was die Weidetiere durch die Angriffe der Wölfe durchmachen müssen “Tierquälerei”, sie spricht von einem “elendigen Verrecken” – das auch deren Haltern erheblich zusetze. Lemke ihrerseits hat erst jüngst dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil Vorschläge für den September versprochen, um Wolfsabschüsse praktikabler zu machen. Weil forderte bei dem Treffen mit Verweis auf den Koalitionsvertrag das angekündigte “regional differenzierte Bestandsmanagement” an. In Weils Bundesland leben mehr Wölfe als in Schweden: 500.

Just nach dem Treffen zwischen Weil und Lemke kam es in Niedersachsen zu einer großen Wolfs-Attacke: In der Nacht zum Sonntag wurde bei einem mutmaßlichen Angriff durch ein ganzes Rudel 55 Schafe getötet oder tödlich verletzt. Die Hälfte der gesamten Schafsherde – und das, obwohl diese von einem wolfsabweisenden Schutzzaun umgeben war.

Erstmals nimmt ein Grüner die Bundesregierung in die Pflicht

Nun nimmt erstmals auch ein Grüner die Bundesregierung in Sachen Wolf in die Pflicht. Christian Meyer, der niedersächsische Umweltminister, beklagte vor einer Woche gegenüber dem NDR, es könne nicht sein, dass man wochenlang abwarten müsse, um einen “Problemwolf” mithilfe von DNA-Proben zu identifizieren. Angesichts des Desasters vom Wochenende verlangte Meyer schnelle, unbürokratisch erteilbare Abschussgenehmigungen – und zwar durchaus auch mal gleich für mehrere Wölfe.

In Bayern preschte Ministerpräsident Markus Söder bereits im April vor. Sobald ein Wolf ein Nutztier getötet habe, ist es seitdem laut bayerischer Wolfsverordnung möglich, den Übeltäter abzuschießen – auch ohne vorherige DNA-Identifikation. Der BUND Naturschutz hat gegen die Verordnung Klage erhoben. Und auch Schwedens radikaler Weg, warnt der Jurist Brenner, sei womöglich europarechtlich nicht konform.

Brenner empfahl, die EU-Kommission zu drängen, den Schutzstatus des Wolfs zu ändern. Eine solche Lockerung hatte eine Mehrheit im EU-Parlament bereits Ende November 2022 eingefordert. Die deutsche Umweltministerin erteilte freilich im Februar diesem Plan eine Absage – mit Hinweis auf die weltweite Krise der biologischen Vielfalt.

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“Mehr Effizienz durch digitale Anwendungen und verbesserte Landtechnik”

Johannes Schätzl, SPD-Politiker

Wie wird sich die Landwirtschaft Ihrer Meinung nach bis 2050 verändern?

Unsere Landwirtschaft wird sich bis 2050 deutlich verändern. Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein und Regionalität spielen schon jetzt eine immer größere Rolle, wobei der Fokus auf regenerativen Anbaumethoden liegen wird. Digitale Anwendungen und verbesserte Landtechnik werden dazu dienen, die Effizienz und Ressourcennutzung zu verbessern. Das kann zum Beispiel durch Precision Farming und den Einsatz von verbesserter Datenanalyse und KI geschehen. Wir werden zudem einen Wandel in der landwirtschaftlichen Energiewirtschaft erleben. Ich denke hier insbesondere an eine verbesserte Reststoffnutzung in Biogasanlagen und die doppelte Nutzung von Flächen durch Agri-PV-Anlagen.

Was erwarten Sie von grüner Gentechnik?

Die Debatte rund um die Neuen Genomischen Techniken (NGT) wird vor dem Hintergrund des Vorschlags der EU-Kommission zu einem neuen Rechtsrahmen für NGT-Pflanzen derzeit intensiv geführt. Mir persönlich ist es wichtig, diese Diskussion auf Basis von Aspekten der Selbstbestimmung und mit einem ausgewogenen Blick auf Chancen und Risiken zu führen. Die Techniken bieten zwar präzisere Eingriffsmöglichkeiten in das Genom einer Pflanze, allerdings brauchen wir auch eine umfassende Folgenabschätzung hinsichtlich der Sicherheit für Verbraucher und der Auswirkungen auf die Umwelt. Die Landwirtschaft steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die über die genetische Modifikation von Pflanzen hinausgehen. Die grüne Gentechnik kann ein Werkzeug sein, um diese Herausforderungen anzugehen, aber es bedarf eines umfassenden und integrierten Ansatzes, um nachhaltige Lösungen zu finden.

Seit 2021 ist Johannes Schätzl SPD-Abgeordneter für den Wahlkreis Passau. Der studierte Informatiker ist Mitglied im Ausschuss für Digitales und im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Zudem gehört er dem Beirat der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen und dem Beirat Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG) an.

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News

Ukrainisches Getreide: EU-Kommissar für Transportbeihilfen

EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat sich im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments unklar zum Importverbot für ukrainisches Getreide in die direkten Anrainerstaaten geäußert. Er persönlich sei dafür, dass das bis zum 15. September befristete Importverbot nach Polen, Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien verlängert werde. Er spreche hier aber nicht für die Kommission, fügte der Kommissar aus Polen hinzu. Es wird damit gerechnet, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Handelskommissar Valdis Dombrovskis an einer Lösung arbeiten, um die Importverbote auslaufen zu lassen.

Außerdem schlug der Kommissar vor, Transportbeihilfen in Höhe von 30 Euro je Tonne bei ukrainischem Getreide zu zahlen, das über eine EU-Grenze die Ukraine verlässt. Transportbeihilfen fordert Norbert Lins (CDU), Chef des Agrarausschusses, seit Monaten. Er verlangt aber, dass die Transportbeihilfen vorrangig für ukrainisches Brotgetreide gezahlt werden, das in Länder des globalen Süden geht, wo es dringend gebraucht werde. mgr

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Agrarsektor: EU-Abgeordnete fordern Anreize für Handel mit negativen Emissionszertifikaten

Geht es nach den Mitgliedern des Agrarausschusses des Europäischen Parlaments (AGRI), dann sollen negative Emissionszertifikate im Landwirtschaftssektor der EU in Zukunft gehandelt und vergütet werden. Das ergibt sich aus der Stellungnahme des Ausschusses zum Vorschlag der Europäischen Kommission zu einem Rechtsrahmen für die Zertifizierung von Treibhausgas-Senkleistungen. In ihren Änderungsvorschlägen sprechen sich die Abgeordneten unter anderem für Anreize einer Bepreisung zugunsten der Landwirte aus. Die Stellungnahme, die die Abgeordneten vergangene Woche angenommen haben, geht damit über den Vorschlag der EU-Kommission vom vergangenen Jahr hinaus.

Der Kommission schwebt ein kontrollierter Zertifikatehandel vor. Dafür hat die Behörde einen Rechtsrahmen auf den Weg gebracht, der in den vergangenen Monaten bereits hitzig diskutiert wurde. Dem Kommissionsvorschlag zufolge kommt eine Zertifizierung grundsätzlich dann infrage, wenn vier Qualitätsrichtlinien erfüllt werden:

  • Quantifizierung: Die Maßnahmen zur Erhöhung der CO₂-Speicherung im Boden müssen einen klar messbaren Effekt haben.
  • Additionalität: Die Maßnahmen müssen über die bestehenden Verfahren und Vorgaben hinausgehen und eine zusätzliche Speicherung ermöglichen.
  • Langfristigkeit: Die Zertifikate sind an langfristige Verträge geknüpft, um eine möglichst dauerhafte Speicherung zu gewährleisten.
  • Nachhaltigkeit: Die Maßnahmen müssen Co-Benefits erbringen, etwa für Wasserqualität oder Artenvielfalt.

Was in dem Vorschlag der Kommission bislang nicht geklärt wurde, ist die Frage, ob und wie genau die negativen Emissionszertifikate gehandelt oder vergütet werden sollen. Der Vorschlag sieht lediglich einen freiwilligen Finanzierungsmechanismus vor.

Die Stellungnahme des Agrarausschusses zum Kommissionsvorschlag ist nun die erste Bewertung, die aus dem Parlament vorliegt. Eine weitere Stellungnahme kann der Energieausschuss einbringen. Federführend in der Sache ist jedoch der Umweltausschuss. Über dessen vollständigen Bericht könnte das Parlament bereits Anfang Oktober entscheiden. Im Anschluss daran werden die Trilogverhandlungen beginnen. heu

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Manfred Weber: “Von der Leyen soll Lage der Bauern ansprechen”

Manfred Weber (CSU), EVP-Partei- und Fraktionschef, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Bedingungen für ihre Rede zur Lage der Union (SOTEU) gestellt. “Angesichts der hohen Nahrungsmittelpreise erwarte ich, dass die Lage der Bauern in der SOTEU-Rede vorkommt”, sagte Weber im Interview mit Table.Media. Jetzt müsse es darum gehen, den Bauern die Nahrungsmittelproduktion zu erlauben. “Die von der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU verordnete Stilllegung von vier Prozent der Fläche muss temporär ausgesetzt werden”, forderte Weber. Die Inflation sei inzwischen durch die Nahrungsmittelpreise getrieben. “Wir müssen mehr Produktion auf den Flächen zulassen und so einen Beitrag gegen die Inflation leisten. Das ist auch eine soziale Frage.”

Der oder die amtierende Kommissionspräsidentin hält die Rede zur Lage der Union (SOTEU) immer in der ersten Sitzungswoche des Europaparlaments nach der Sommerpause in Straßburg. Diesmal findet die SOTEU-Rede mit anschließender Aussprache am 13. September statt.

Außerdem kündigte Weber, der auch CSU-Vize ist, im Interview an, die EVP werde gegen ein weiteres Gesetzesvorhaben des Green Deal Widerstand leisten: “Der vorliegende Text für die Pestizidverordnung ist so nicht zustimmungsfähig.” Gerade vor dem Hintergrund der massiv gestiegenen Nahrungsmittelpreise müsse im Ausschuss der Vorschlag so abgeändert werden, dass er zur Realität passt. Fall das nicht geschehe, werde die EVP nicht zustimmen. Vor der Sommerpause hatte die EVP, die auch die politische Heimat von der Leyens (CDU) ist, bereits gegen das Renaturierungsgesetz gestimmt.

Das ganze Interview mit EVP-Fraktionschef Manfred Weber finden Sie hier. mgr

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  • SOTEU

BMEL will in Milchlieferverträge eingreifen

Die Diskussion um staatliche Vorgaben für die Gestaltung der Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeugern und ihren Molkereien bekommt neue Nahrung. Bei der Konferenz des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zur Zukunft der Milchviehhaltung in Berlin am Donnerstag (31.08.) bekräftigte Staatssekretärin Silvia Bender das Ziel, die Stellung der Erzeuger in der Wertschöpfungskette zu stärken. “Ein Puzzleteil” dabei werde sein, die EU-rechtlichen Möglichkeiten von Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) zu nutzen. Danach können Molkereien und Milchlieferanten verpflichtet werden, eine Beziehung zwischen einer bestimmten Liefermenge und dem Preis für diese Lieferung zu vereinbaren. Bender räumte ein, dass ein Großteil der Molkereigenossenschaften in der Zwischenzeit auf freiwilliger Basis Vereinbarungen mit ihren Lieferanten getroffen habe. Diese Unternehmen würden von etwaigen Regelungen nicht tangiert, soweit sie den Ansprüchen gerecht würden.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im BMEL, Dr. Ophelia Nick, kündigte in ihrem Schlusswort an, man werde “entsprechende Maßnahmen, die uns das EU-Recht ermöglicht”, mit den Koalitionspartnern erörtern. Die Gestaltung der Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien werde dabei “ein Schwerpunkt” sein. Ein weiteres wichtiges Anliegen sei es, die Markttransparenz zu erhöhen.

Pro und Contra

In den Diskussionen auf der Konferenz löste die Ankündigung ein unterschiedliches Echo aus. Unterstützung signalisierte das Vorstandsmitglied vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Hubert Heigl, sowie die Landwirtin und Mitglied im Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM), Kirsten Wosnitza. Man müsse bestehende Möglichkeiten nutzen, dass die Erzeuger “kostendeckende Preise” erzielen. Demgegenüber widersprach der Vorstandsvorsitzende der Molkerei Hochwald, Detlef Latka, der Auffassung, mit zusätzlichen staatlichen Regulierungen ließe sich der Milchmarkt verbessern. Die Wiederauflage einer solchen Diskussion sei nichts weiter als “neuer Wein alten Schläuchen”.

Der Milchpräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Karsten Schmal, hatte bereits im Vorfeld vor übertriebenen Erwartungen an die Anwendung von GMO-Artikel 148 gewarnt, die nicht zu erfüllen seien. Der Sprecher der Interessengemeinschaft Genossenschaftliche Milchwirtschaft (IGM), Peter Manderfeld, erinnerte an die Ergebnisse einer früheren Befragung der IGM-Mitgliedsunternehmen. Von mehr als 20 000 Milcherzeugern habe sich eine deutliche Mehrheit gegen staatliche Eingriffe in die Lieferbeziehungen ausgesprochen. AgE/rm

  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
  • Lebensmittelindustrie
  • Lieferketten
  • Milchviehhaltung

EU-Kommission will Fang von Lachs und Hering in Ostsee beschränken

Wegen des schlechten ökologischen Zustands der Ostsee will die EU-Kommission den Fang von Lachs und Hering vorerst beschränken. “Wir müssen alle Maßnahmen ergreifen, damit sich die Fischer vor Ort wieder auf gesunde Fischbestände verlassen können, um ihren Lebensunterhalt zu sichern”, sagte der zuständige EU-Kommissar Virginijus Sinkevičius kürzlich bei der Vorstellung eines Vorschlags für die Fangquoten im kommenden Jahr. Er sei über die Verschlechterung des Ökosystems in der Ostsee zunehmend besorgt.

Konkret soll die Lachsfischerei im Hauptbecken des Meeres um 15 Prozent sinken. Die Heringsfänge im Rigaischen Meerbusen müssen dem Vorschlag zufolge um 20 Prozent verringert werden. Im Finnischen Meerbusen dagegen dürfte sogar mehr Lachs gefangen werden: Die EU-Kommission schlug vor, die Fangmöglichkeiten für Lachs dort um 7 Prozent zu erhöhen. Für andere Sorten wie Dorsch oder Scholle werden die Fangquoten später mitgeteilt.

Mit dem Vorschlag der Brüsseler Behörde werden sich nun die Regierungen der Mitgliedstaaten befassen. Endgültig festgelegt werden die Fangquoten für 2024 bei einem Ministertreffen am 23. und 24. Oktober. dpa

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  • Europäische Kommission

Presseschau

Interview: Cem Özdemir (BMEL) zu gesunder Ernährung, grüner Gentechnik und sozialer Ernährungspolitik DER SPIEGEL
Deutscher Import von russischem Dünger wirft moralische und ökologische Bedenken auf Die Zeit
Urteile des LG Mannheim gegen Zuckerkartellanten: Edeka fordert Rückzahlung in Millionenhöhe von diversen Süßwaren- und Gebäckherstellern Lebensmittelzeitung
Schlechte Getreideernte 2023: das Potenzial von Agroforst Die Zeit
Nachhaltige Landwirtschaft durch “land sparing”: das Potenzial der Intensivierung des Ackerbaus Der Standard
Öko-Versuchsprojekt in Hessen: Wissenschaftler experimentieren mit Fruchtfolge zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit Die Zeit

Heads

Nanda Bergstein – Wandel durch Unternehmertum

Nanda Bergstein, Chief Sustainability & Innovation Officer im Start-up Camm

Ursprünglich wollte sie nach ihrer Kündigung bei Tchibo eine Auszeit nehmen. Zumindest für zwei, drei Monate. 14 Jahre lang war sie in dem Hamburger Unternehmen tätig, zuletzt als Direktorin Unternehmensverantwortung, da wäre es nicht verkehrt gewesen, die bewegte Zeit mal sacken zu lassen. Aber dann packte Nanda Bergstein doch wieder der Ehrgeiz. Sie sah, was in ihrem neuen Job alles zu tun ist, legte ohne Pause los und ist jetzt wieder viel unterwegs: fast jede Woche irgendwo in Deutschland oder Europa, alleine nach Spanien geht’s dreimal im Monat.  

Camm heißt ihr neuer Arbeitgeber, das Start-up wurde 2019 von dem schwäbischen Unternehmer Christoph Bertsch gegründet und hat sich vorgenommen, die Verpackung neu zu erfinden. Der Clou: Als Basis dient ein Granulat, das sich in unterschiedliche Formen bringen lässt, etwa als eine Art Hartplastik oder als Folie für Papier – und bei hohen Temperaturen und unter Zusatz von Wasser wieder auflöst. Danach können die Fasern ins Altpapier. 

Grüne Lieferkette ab 2025

Bei Aussagen zur Rezeptur hält sich Nanda Bergstein bedeckt. Die sei geheim. Nur so viel: Die größte Zutat ist PVOH, ein synthetisches, fossiles Polymer. Aber, so verspricht sie: “Wir bauen gerade eine Lieferkette auf, um PVOH aus Abfall- und Wertstoffen der Agrarproduktion in großen Mengen fertigen zu können.” Bereits heute sei Camm, wie sie das Material nennt, frei von Mikroplastik und komme ohne schädliche Ewigkeitschemikalien aus. Ab 2025 soll es komplett erneuerbar erhältlich sein, mit bis zu 30.000 Tonnen rechne sie für das Jahr. Schon bei Tchibo hatte sie versucht, die verwendeten Verpackungen möglichst umweltfreundlich zu machen. “Eine Lösung, die so nachhaltig ist und die man gleichzeitig skalieren kann, habe ich zuvor aber noch nicht gesehen.” 

Den gesellschaftlichen Wandel voranbringen, vor allem in und durch Unternehmen, dieser Gedanke treibt sie schon seit langer Zeit an. Nachdem sie in Schrobenhausen aufgewachsen war, zwischen Ingolstadt und München, studierte sie Internationale Beziehungen und setzte einen Master in Development und Globalization drauf. Die Kombination aus VWL und Menschenrechten interessierte sie, insbesondere die Frauenrechte, weshalb sie in Indien, der Heimat ihrer Mutter, zwischenzeitlich für eine NGO arbeitete.  

Interdisziplinäres Lernen statt KPI

Damals, Anfang der 2000er-Jahre, war Nachhaltigkeit keine Selbstverständlichkeit im Curriculum. Im Gegenteil, man musste sich seine Nischen gezielt suchen, anders als heute. Nanda Bergstein würde mit derzeitigen Studierenden aber nicht tauschen wollen. “Während die Lehre des Nachhaltigkeitsmanagements inzwischen stark verschult und von Kennziffern geprägt ist, konnte ich wirklich interdisziplinär lernen und kritische Ansätze aus den Sozialwissenschaften und anderen Fächern kennenlernen”, sagt sie.  

Rückblickend wirkt es so, als ob das den Grundstein für ihre weitere Karriere gelegt hat. Sie ging nach Hamburg, fing bei der Nachhaltigkeitsberatung Systain an und wechselte keine drei Jahre später zu Tchibo. Der Grund: “Ich wollte ins Zentrum der Macht.” Dorthin, wo der größte Hebel ist. Zu dem Zeitpunkt musste der Kaffeeröster gerade einen externen Schock verarbeiten. Weil in einer Zulieferfabrik in Bangladesch die Arbeiterinnen und Arbeiter unter miserablen Bedingungen und niedrigen Löhnen leiden mussten und eine NGO Tchibo öffentlichkeitswirksam für die Zustände anprangerte, begann das Unternehmen, eine neue Abteilung für Unternehmensverantwortung aufzubauen. Bergstein wurde Teil des Teams, fing mit Kaffee an, etablierte ein Programm, um die Sozialstandards zu verbessern, und übertrug das später auf den Non-Food-Bereich. In den Jahren darauf verkleinerte sie die Zahl der Lieferanten, verbesserte die Beziehungen zu ihnen, initiierte Trainings in Fabriken, setzte sich für Tarifverhandlungen in den Herkunftsländern ein, förderte Abkommen zu Brandschutz und Arbeitssicherheit. 

Sie wollte mehr Verantwortung übernehmen

Wenn sie davon erzählt, spricht sie von “Transformations- und Kulturarbeit”, von der Notwendigkeit von “Top-Down”- und “Bottom-up”-Ansätzen, von einer fortwährenden Moderation der Prozesse sowie der Suche nach dem Ausgleich der Interessen zwischen den Mitarbeitenden und der Geschäftsführung. “Integration” sei ein Schlüsselwort. Alles zusammen denken und diesem Vorhaben Taten folgen lassen, darauf komme es an. Tchibos bis heute gültiger Konsum-Slogan “Jeden Tag eine neue Welt” kann streng genommen nicht nachhaltig sein. Nanda Bergstein gelang es trotzdem, sich bei Kritikern einen guten Ruf zu erarbeiten.  

Bei Camm wird sie auf der Website wieder als “Chief Sustainability & Innovation Officer” vorgestellt. Tatsächlich aber, so sagt sie, führe sie das Geschäft, zusammen mit dem Gründer, und das sei einer der Gründe gewesen, weshalb sie im Frühjahr 2022 zu dem Newcomer gewechselt ist. Zuvor war sie Teil eines etablierten Konzerns und für einen Bereich zuständig –“hier lerne ich gerade, für alles verantwortlich zu sein”. Auch für die Gewinne und Verluste und somit für die Gehälter der fast 50 Mitarbeitenden. “Mein Respekt für Unternehmer ist sehr gewachsen.” 

Und zu verändern gibt es bei Camm auch einiges. Bevor sie zu dem Start-up stieß, hat es in Spanien eine Produktion sowie eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung akquiriert. Durch und durch nachhaltig waren die noch nicht. Daran arbeitet Nanda Bergstein jetzt. Von innen heraus. Marc Winkelmann

  • Unternehmensverantwortung

Agrifood.Table Redaktion

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der Schutzstatus des Wolfes gilt in Deutschland längst als umstritten. Der Frust von Weidetierhaltern und Jägern zwingt nun auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Stellungnahme. “Die Konzentration von Wolfsrudeln in einigen europäischen Regionen ist zu einer echten Gefahr für Nutztiere und potenziell auch für Menschen geworden”, sagte die Kommissionspräsidentin zu Wochenbeginn.

    Mehr noch: Die Brüsseler Behörde könnte am vermeintlich “schlechten Erhaltungszustand” des Raubtieres rütteln. Dies würde das Töten von Wölfen erleichtern, um deren Verbreitung zu regulieren.

    Befürworter eines aktiven Wolfsmanagements müssen sich aber offenbar weiterhin in Geduld üben. Zunächst will die Kommission zusätzliche Daten aus den EU-Mitgliedstaaten sammeln. Bis zum 22. September können beispielsweise lokale Gemeinden, Wissenschaftler und Parteien Zahlen zu Wolfspopulationen und deren Auswirkungen an eine eigens dafür eingerichtete E-Mail-Adresse schicken: ec-wolf-data-collection@ec.europa.eu. Eine erste Datensammlung zum Wolf hatte die EU-Kommission bereits im April gestartet. Diese Daten lieferten jedoch “noch immer kein vollständiges Bild, das der Kommission die Planung weiterer Maßnahmen ermöglicht”, teilte die Behörde am Montag mit.

    Indes dreht sich offenbar auch im politischen Berlin der Wind gegen den Wolf. “Abschüsse von Wölfen müssen schneller möglich sein”, bekräftigte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) gerade gegenüber der Welt. Sie kündigte an, Ende September konkrete Vorschläge für ein effizienteres Wolfsmanagement vorlegen zu wollen. Das dürfte allerdings sowohl rechtlich als auch politisch kein leichtes Unterfangen werden. Die FDP-Bundestagsfraktion hat vergangene Woche zwar ein Gutachten mit einem Vorschlag für ein rechtskonformes Vorgehen veröffentlicht, wie meine Kollegin Annette Bruhns schreibt. Doch Überzeugungsarbeit dürfte bei der Bundestagsfraktion der Grünen zu leisten sein.

    Die Bevölkerung in Deutschland ist bei der Frage uneins, wie die Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens Civey im Auftrag von Table.Media zeigen. Die Deutschen tendieren aber eher dazu, den strengen Schutz des Wolfes für richtig zu halten (47 Prozent) – im Vergleich zu 39 Prozent, die ihn als falsch erachten. Eher die Anhängerschaft der Grünen und der Linken befürworten den strengen Schutz. Am wenigsten sprechen sich die Wählerschaften der Union sowie der FDP dafür aus.

    Ob und wann sich das Kabinett mit dem Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel für Kinder befasst, ist weiterhin offen. Zwar beruft sich die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch auf interne Kreise und verkündet zu Wochenbeginn, dass das Thema inzwischen “beim Kanzler persönlich” liege – und damit kurz vor der Entscheidung stehe. Doch laut Bundeskanzleramt dauerten lediglich die “internen Abstimmungen” unter Federführung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) an, teilte ein Sprecher Table.Media mit.

    Am Mittwoch findet darüber hinaus die erste Lesung zum Etatentwurf des BMEL im Bundestag statt. Im Vorfeld erneuert der Deutsche Bauernverband (DBV) seine Kritik an geplanten Kürzungen zulasten der Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK). Der Posten soll im Jahr 2024 um 293 Millionen Euro schrumpfen. “Das ist inakzeptabel und muss vom Bundestag korrigiert werden”, so der stellvertretende DBV-Generalsekretär Udo Hemmerling.

    Ihre
    Henrike Schirmacher
    Bild von Henrike  Schirmacher
    • Wolf

    Analyse

    “Afrika soll nicht von Agrarökologen bevormundet werden”

    Matthias Berninger, Leiter Public Affairs und Nachhaltigkeit bei Bayer

    Herr Berninger, NGOs werfen Bayer vor, in Afrika Pflanzenschutzmittel zu verkaufen, die in der EU verboten sind. Was ist an den Vorwürfen dran?

    Solche Vorwürfe suggerieren, dass Brüssel die globalen Standards für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln festgelegt. Das ist mitnichten so. Die EU ist nicht die einzige Instanz für Zulassungsstandards in der Welt. Wir haben uns aber auch selbst hohe Standards gesetzt. Schon vor meiner Zeit hat sich Bayer das Produktportfolio angeschaut und verkauft bereits seit 2012 keine Pflanzenschutzmittel mehr, die von der Weltgesundheitsorganisation als besonders toxisch, in der Gefahrenkategorie Tox 1, eingestuft werden. Im nächsten Schritt haben wir gesagt, dass wir nur noch Wirkstoffe vertreiben, die in mindestens einem OECD-Land zugelassen sind. Seit 2019 vermarkten wir in Entwicklungsländern außerdem nur noch Pflanzenschutzprodukte, die den risikobasierten regulatorischen Anforderungen renommierter internationaler Zulassungsbehörden entsprechen. Dazu zählen die USA, Kanada, Brasilien, die EU, Australien, Neuseeland, Japan und China.

    Was mögen Sie an den EU-Standards nicht?

    Ich habe gar nichts gegen sie. Nur sind nicht alle Produkte, die wir in der Welt verkaufen, auch für die EU relevant. Wenn wir in Afrika Wirkstoffe für Bananen oder Cassava vertreiben, warum sollten wir für diese eine EU-Zulassung beantragen?

    Sind diese Produkte in den afrikanischen Ländern zugelassen?

    Selbstverständlich. Bei Bayer müssen sie wie gesagt in mindestens einem OECD-Land zugelassen sein. Und dann haben die afrikanischen Regierungen ihre eigenen Zulassungen. Die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus.

    Auch die Heinrich-Böll-Stiftung wirft Bayer vor, ein Drittel des Umsatzes mit giftigen Produkten zu erzielen.

    Manche NGOs wollen flächendeckend Agrarökologie für Afrika einführen. Das ist eine ideologisch geprägte Forderung, deren Ergebnis Sie in Sri Lanka sehen können. Die Hohenpriester der Agrarökologie von der NGO Ifoam haben dort ein flächendeckendes Verbot von Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln erreicht. Die Konsequenz war, dass innerhalb eines Jahres erst die Landwirtschaft, dann die Wirtschaft und schließlich die Regierung zusammengebrochen sind. Die NGOs, die uns kritisieren, haben nie die Verantwortung dafür übernommen, welche gefährliche Folgen ihre Vorschläge haben.

    Viele NGOs zweifeln die Notwendigkeit von Pflanzenschutz und Düngemitteln generell an.

    Das Problem ist vielmehr, dass in Afrika die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft seit Jahren hinter dem Bevölkerungswachstum hinterherhinkt. Das gleichen die Länder durch den Import von Nahrungsmitteln aus. Aber die Aufgabe muss doch sein, die Produktivitätslücke in der afrikanischen Landwirtschaft zu schließen. Wir brauchen Pflanzenschutzmittel, um die Effizienz in der Landwirtschaft zu verbessern.

    Und das ist nur mit Pflanzenschutz zu erreichen?

    Es gibt verschiedene Möglichkeiten, denken Sie zum Beispiel an das Potenzial der Gen-Editierung. Wir haben mit dieser Technologie die Chance, Pflanzen viel widerstandfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels und gegen Krankheiten zu machen. Das wiederum würde den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren. Die Hohenpriester der Agrarökologie sollten auch bedenken: Ohne Pflanzenschutz steigt der Flächenverbrauch in der Landwirtschaft – und der geht in Afrika besonders stark zu Lasten der Waldflächen. Deshalb müssen wir die Leistungsfähigkeit der afrikanischen Agrarproduktion mit Know-how, Saatgut, Agrarchemie und digitalen Lösungen erhöhen. Sonst lässt sich die Ernährung in Afrika nicht sichern. Der russische Überfall auf die Ukraine hat schmerzhaft klargemacht, dass Afrika nicht von Getreide-Importen aus Russland abhängig sein sollte. Die Vereinten Nationen haben die Sorge, dass wir uns von dem Nachhaltigkeitsziel, den Hunger in der Welt bis 2030 zu überwinden, verabschieden müssen. Ich will mich nicht damit abfinden.

    Gefährden Ihre Produkte nicht auch die Gesundheit der Farmer und Plantagenarbeiter?

    Unsere Produktpalette zählt zu den sichersten im Agrarbereich. Die Bauern und Bäuerinnen – viele in Afrika sind ja Bäuerinnen – brauchen Pflanzenschutzmittel, die ihnen bei ihren spezifischen Problemen helfen und es ihnen ermöglichen, eine höhere Produktivität zu erreichen. Erinnern Sie sich an die Wüstenheuschrecke, die sich auf verheerende Weise in ganz Ostafrika breit gemacht hatte? Ohne unsere Produkte, die wir zum Beispiel in Lyon hergestellt haben, hätte diese Plage nicht erfolgreich bekämpft werden können. Aber es ist richtig: Pflanzenschutzmittel sind natürlich für verschiedene Organismen giftig. Entscheidend ist, dass diese Produkte sachgerecht und nach den Anwendungshinweisen verwendet werden. Dazu führen wir jährlich weiter über eine Million von Trainings mit Landwirten durch.

    Aus Afrika kommt oft der Vorwurf, dass die Chemiekonzerne zu wenige Produkte anbieten, die an Afrika angepasst sind, und dass die Produkte zu teuer sind.

    Wir wollen den Zugang zu modernen, innovativen Produkten verbessern. Zudem kann die Gen-Editierung entscheidend helfen, zum Beispiel den Bedarf an Fungiziden zu reduzieren. Das gilt für Bananen, die bisher nicht im Fokus der Forschung standen. Wir arbeiten intensiv an der Verbesserung von Bananen und von Cassava, zwei wichtigen Grundnahrungsmitteln in Afrika. Wenn der Anbau von Bananen und Cassava effizienter wird, verbessert sich die Ernährungslage in Afrika entscheidend. Es geht doch darum: Will ich Afrika Zugang zu modernen Agrarinnovationen ermöglichen? Oder möchte ich Afrika mit einer Ideologie der Agrarökologie bevormunden, die am Ende zwei Nachteile hat? Sie funktioniert nicht, und sie wird auch nicht akzeptiert werden. Gehen wir letzten Weg, würde der europäische Einfluss in Afrika noch weiter zurückgehen. Ich will nicht, dass Afrika zum Spielball russischer Getreidepolitik wird. Der bessere Weg ist doch, den Zugang zu Innovationen zu verbessern.

    Der ehemalige Grünen-Politiker Matthias Berninger leitet seit 2019 den Bereich Public Affairs und Nachhaltigkeit von Bayer und lebt in Washington. Von 2001 bis 2005 war Berninger unter Renate Künast Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.

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    • Pflanzenschutz

    Problemfall Wolf: Wie die FDP der Ampel Druck macht

    Den Schweden reicht es mit den Wölfen. Schon gut vor einem Jahr, als die Population mehr als 400 Exemplare erreicht hatte und die Zahl Schafrisse mehr als 300, beschloss das schwedische Parlament: Die Zahl der Wölfe wird halbiert.

    Die 10,4 Millionen Schweden leben auf 447.435 Quadratkilometer, die 83 Millionen Bürger hierzulande auf 357.600 Quadratkilometern. Die genaue Anzahl der Wölfe in Deutschland ist unbekannt, Schätzungen liegen zwischen 1500 und 2300 Tieren. 4366 Schafe, Ziegen und andere Nutztiere wurden 2022 gerissen oder verletzt; die Ausgleichszahlungen an die geschädigten Tierhalter kosteten die Bundesländer laut t-online seit Mitte 2022 rund 667.000 Euro.

    Deutschland hat ein Wolfsproblem. Die Ampelregierung versprach deshalb schon im Koalitionsvertrag: “Unser Ziel ist es, das Zusammenleben von Weidetieren, Menschen und Wolf so gut zu gestalten, dass trotz noch steigender Wolfspopulation möglichst wenige Konflikte auftreten.” Man wolle den Bundesländern “europarechtskonform ein regional differenziertes Bestandsmanagement” ermöglichen.

    Anfang Juli wurde die Koalitions-AG Wolf ergebnislos beendet

    Die Legislaturperiode ist halb vorbei, und das Versprechen noch nicht eingelöst. Weder hat die federführende Umweltministerin Steffi Lemke einen Managementplan vorgelegt, noch die auf Betreiben der FDP eingerichtete Arbeitsgruppe Wolf eine Lösung gefunden. Anfang Juli wurde diese Koalitions-AG ergebnislos aufgelöst. Die teilnehmende FDP-MdB Ulrike Harzer sprach enttäuscht davon, der Prozess sei immer wieder “bewusst verzögert” worden.

    Vor einer Woche nun hat ihre Fraktion ein “Rechtsgutachten zu den Möglichkeiten der Einführung des Bestandsmanagements für den Wolf” vorgelegt. Autor ist der Jenaer Verfassungswissenschaftler Michael Brenner. Er hat die europarechtlichen Vorgaben genau studiert und kommt auf 42 Seiten zum Ergebnis: Die Nationalstaaten dürfen mehr regeln, als Deutschland es derzeit tut. So sei es den Mitgliedsstaaten erlaubt, einen “gesellschaftlich akzeptierten Bestand” als Zielgröße zu definieren. Das Wolfsmanagement selbst könnte sowohl im Naturschutzrecht als auch im Jagdrecht verankert werden.

    An eine derartige Zielgröße seien allerdings Auflagen geknüpft: Sie darf einen “günstigen Erhaltungszustand” für Wölfe nicht unterschreiten, weder regional noch überregional. Bei der Entnahme von Wölfen darf deren Sozialstruktur nicht gefährdet werden; es dürften also “nicht alle Leitwölfe” getötet werden, wie Brenner betont. Abschüsse könnten immer nur punktuell mit Vorgaben erlaubt werden – etwa, dass andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Zudem sollte es einen Bestandspflegeplan gegeben, der jährlich überprüft wird.

    Als Vorbild könnte das Rotwildmanagement im Schönbuch dienen

    Voraussetzung sei, dass zunächst der Ist-Zustand der Wolfspopulation sowohl regional wie auch grenzüberschreitend erhoben wird. Tatsächlich sind die Zahlen der Länder und des Bundes dazu ungenau, weil hierzulande Wölfe vorwiegend in Rudeln gezählt werden, deren Größe variieren kann. Als Ziel könne dann ein “Akzeptanz- und Entnahmekorridor” formuliert werden, wobei die Expertise von Wildtierbiologen gefragt sei. Als Vorbild nennt Brenner das Rotwildmanagement im baden-württembergischen Naturpark Schönbuch.

    Die FDP will auf Basis des Gutachtens nun einen Gesetzesvorschlag machen, kündigte Fraktionsvize Carina Konrad an – falls die Umweltministerin von den Grünen nicht schneller sei. Für Konrad ist das, was die Weidetiere durch die Angriffe der Wölfe durchmachen müssen “Tierquälerei”, sie spricht von einem “elendigen Verrecken” – das auch deren Haltern erheblich zusetze. Lemke ihrerseits hat erst jüngst dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil Vorschläge für den September versprochen, um Wolfsabschüsse praktikabler zu machen. Weil forderte bei dem Treffen mit Verweis auf den Koalitionsvertrag das angekündigte “regional differenzierte Bestandsmanagement” an. In Weils Bundesland leben mehr Wölfe als in Schweden: 500.

    Just nach dem Treffen zwischen Weil und Lemke kam es in Niedersachsen zu einer großen Wolfs-Attacke: In der Nacht zum Sonntag wurde bei einem mutmaßlichen Angriff durch ein ganzes Rudel 55 Schafe getötet oder tödlich verletzt. Die Hälfte der gesamten Schafsherde – und das, obwohl diese von einem wolfsabweisenden Schutzzaun umgeben war.

    Erstmals nimmt ein Grüner die Bundesregierung in die Pflicht

    Nun nimmt erstmals auch ein Grüner die Bundesregierung in Sachen Wolf in die Pflicht. Christian Meyer, der niedersächsische Umweltminister, beklagte vor einer Woche gegenüber dem NDR, es könne nicht sein, dass man wochenlang abwarten müsse, um einen “Problemwolf” mithilfe von DNA-Proben zu identifizieren. Angesichts des Desasters vom Wochenende verlangte Meyer schnelle, unbürokratisch erteilbare Abschussgenehmigungen – und zwar durchaus auch mal gleich für mehrere Wölfe.

    In Bayern preschte Ministerpräsident Markus Söder bereits im April vor. Sobald ein Wolf ein Nutztier getötet habe, ist es seitdem laut bayerischer Wolfsverordnung möglich, den Übeltäter abzuschießen – auch ohne vorherige DNA-Identifikation. Der BUND Naturschutz hat gegen die Verordnung Klage erhoben. Und auch Schwedens radikaler Weg, warnt der Jurist Brenner, sei womöglich europarechtlich nicht konform.

    Brenner empfahl, die EU-Kommission zu drängen, den Schutzstatus des Wolfs zu ändern. Eine solche Lockerung hatte eine Mehrheit im EU-Parlament bereits Ende November 2022 eingefordert. Die deutsche Umweltministerin erteilte freilich im Februar diesem Plan eine Absage – mit Hinweis auf die weltweite Krise der biologischen Vielfalt.

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    “Mehr Effizienz durch digitale Anwendungen und verbesserte Landtechnik”

    Johannes Schätzl, SPD-Politiker

    Wie wird sich die Landwirtschaft Ihrer Meinung nach bis 2050 verändern?

    Unsere Landwirtschaft wird sich bis 2050 deutlich verändern. Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein und Regionalität spielen schon jetzt eine immer größere Rolle, wobei der Fokus auf regenerativen Anbaumethoden liegen wird. Digitale Anwendungen und verbesserte Landtechnik werden dazu dienen, die Effizienz und Ressourcennutzung zu verbessern. Das kann zum Beispiel durch Precision Farming und den Einsatz von verbesserter Datenanalyse und KI geschehen. Wir werden zudem einen Wandel in der landwirtschaftlichen Energiewirtschaft erleben. Ich denke hier insbesondere an eine verbesserte Reststoffnutzung in Biogasanlagen und die doppelte Nutzung von Flächen durch Agri-PV-Anlagen.

    Was erwarten Sie von grüner Gentechnik?

    Die Debatte rund um die Neuen Genomischen Techniken (NGT) wird vor dem Hintergrund des Vorschlags der EU-Kommission zu einem neuen Rechtsrahmen für NGT-Pflanzen derzeit intensiv geführt. Mir persönlich ist es wichtig, diese Diskussion auf Basis von Aspekten der Selbstbestimmung und mit einem ausgewogenen Blick auf Chancen und Risiken zu führen. Die Techniken bieten zwar präzisere Eingriffsmöglichkeiten in das Genom einer Pflanze, allerdings brauchen wir auch eine umfassende Folgenabschätzung hinsichtlich der Sicherheit für Verbraucher und der Auswirkungen auf die Umwelt. Die Landwirtschaft steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die über die genetische Modifikation von Pflanzen hinausgehen. Die grüne Gentechnik kann ein Werkzeug sein, um diese Herausforderungen anzugehen, aber es bedarf eines umfassenden und integrierten Ansatzes, um nachhaltige Lösungen zu finden.

    Seit 2021 ist Johannes Schätzl SPD-Abgeordneter für den Wahlkreis Passau. Der studierte Informatiker ist Mitglied im Ausschuss für Digitales und im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Zudem gehört er dem Beirat der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen und dem Beirat Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG) an.

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    • Grüne Gentechnik
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    Ukrainisches Getreide: EU-Kommissar für Transportbeihilfen

    EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat sich im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments unklar zum Importverbot für ukrainisches Getreide in die direkten Anrainerstaaten geäußert. Er persönlich sei dafür, dass das bis zum 15. September befristete Importverbot nach Polen, Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien verlängert werde. Er spreche hier aber nicht für die Kommission, fügte der Kommissar aus Polen hinzu. Es wird damit gerechnet, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Handelskommissar Valdis Dombrovskis an einer Lösung arbeiten, um die Importverbote auslaufen zu lassen.

    Außerdem schlug der Kommissar vor, Transportbeihilfen in Höhe von 30 Euro je Tonne bei ukrainischem Getreide zu zahlen, das über eine EU-Grenze die Ukraine verlässt. Transportbeihilfen fordert Norbert Lins (CDU), Chef des Agrarausschusses, seit Monaten. Er verlangt aber, dass die Transportbeihilfen vorrangig für ukrainisches Brotgetreide gezahlt werden, das in Länder des globalen Süden geht, wo es dringend gebraucht werde. mgr

    • Europäische Kommission
    • Gemeinsame Agrarpolitik
    • Ukraine

    Agrarsektor: EU-Abgeordnete fordern Anreize für Handel mit negativen Emissionszertifikaten

    Geht es nach den Mitgliedern des Agrarausschusses des Europäischen Parlaments (AGRI), dann sollen negative Emissionszertifikate im Landwirtschaftssektor der EU in Zukunft gehandelt und vergütet werden. Das ergibt sich aus der Stellungnahme des Ausschusses zum Vorschlag der Europäischen Kommission zu einem Rechtsrahmen für die Zertifizierung von Treibhausgas-Senkleistungen. In ihren Änderungsvorschlägen sprechen sich die Abgeordneten unter anderem für Anreize einer Bepreisung zugunsten der Landwirte aus. Die Stellungnahme, die die Abgeordneten vergangene Woche angenommen haben, geht damit über den Vorschlag der EU-Kommission vom vergangenen Jahr hinaus.

    Der Kommission schwebt ein kontrollierter Zertifikatehandel vor. Dafür hat die Behörde einen Rechtsrahmen auf den Weg gebracht, der in den vergangenen Monaten bereits hitzig diskutiert wurde. Dem Kommissionsvorschlag zufolge kommt eine Zertifizierung grundsätzlich dann infrage, wenn vier Qualitätsrichtlinien erfüllt werden:

    • Quantifizierung: Die Maßnahmen zur Erhöhung der CO₂-Speicherung im Boden müssen einen klar messbaren Effekt haben.
    • Additionalität: Die Maßnahmen müssen über die bestehenden Verfahren und Vorgaben hinausgehen und eine zusätzliche Speicherung ermöglichen.
    • Langfristigkeit: Die Zertifikate sind an langfristige Verträge geknüpft, um eine möglichst dauerhafte Speicherung zu gewährleisten.
    • Nachhaltigkeit: Die Maßnahmen müssen Co-Benefits erbringen, etwa für Wasserqualität oder Artenvielfalt.

    Was in dem Vorschlag der Kommission bislang nicht geklärt wurde, ist die Frage, ob und wie genau die negativen Emissionszertifikate gehandelt oder vergütet werden sollen. Der Vorschlag sieht lediglich einen freiwilligen Finanzierungsmechanismus vor.

    Die Stellungnahme des Agrarausschusses zum Kommissionsvorschlag ist nun die erste Bewertung, die aus dem Parlament vorliegt. Eine weitere Stellungnahme kann der Energieausschuss einbringen. Federführend in der Sache ist jedoch der Umweltausschuss. Über dessen vollständigen Bericht könnte das Parlament bereits Anfang Oktober entscheiden. Im Anschluss daran werden die Trilogverhandlungen beginnen. heu

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    Manfred Weber: “Von der Leyen soll Lage der Bauern ansprechen”

    Manfred Weber (CSU), EVP-Partei- und Fraktionschef, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Bedingungen für ihre Rede zur Lage der Union (SOTEU) gestellt. “Angesichts der hohen Nahrungsmittelpreise erwarte ich, dass die Lage der Bauern in der SOTEU-Rede vorkommt”, sagte Weber im Interview mit Table.Media. Jetzt müsse es darum gehen, den Bauern die Nahrungsmittelproduktion zu erlauben. “Die von der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU verordnete Stilllegung von vier Prozent der Fläche muss temporär ausgesetzt werden”, forderte Weber. Die Inflation sei inzwischen durch die Nahrungsmittelpreise getrieben. “Wir müssen mehr Produktion auf den Flächen zulassen und so einen Beitrag gegen die Inflation leisten. Das ist auch eine soziale Frage.”

    Der oder die amtierende Kommissionspräsidentin hält die Rede zur Lage der Union (SOTEU) immer in der ersten Sitzungswoche des Europaparlaments nach der Sommerpause in Straßburg. Diesmal findet die SOTEU-Rede mit anschließender Aussprache am 13. September statt.

    Außerdem kündigte Weber, der auch CSU-Vize ist, im Interview an, die EVP werde gegen ein weiteres Gesetzesvorhaben des Green Deal Widerstand leisten: “Der vorliegende Text für die Pestizidverordnung ist so nicht zustimmungsfähig.” Gerade vor dem Hintergrund der massiv gestiegenen Nahrungsmittelpreise müsse im Ausschuss der Vorschlag so abgeändert werden, dass er zur Realität passt. Fall das nicht geschehe, werde die EVP nicht zustimmen. Vor der Sommerpause hatte die EVP, die auch die politische Heimat von der Leyens (CDU) ist, bereits gegen das Renaturierungsgesetz gestimmt.

    Das ganze Interview mit EVP-Fraktionschef Manfred Weber finden Sie hier. mgr

    • EU
    • Klima & Umwelt
    • SOTEU

    BMEL will in Milchlieferverträge eingreifen

    Die Diskussion um staatliche Vorgaben für die Gestaltung der Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeugern und ihren Molkereien bekommt neue Nahrung. Bei der Konferenz des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) zur Zukunft der Milchviehhaltung in Berlin am Donnerstag (31.08.) bekräftigte Staatssekretärin Silvia Bender das Ziel, die Stellung der Erzeuger in der Wertschöpfungskette zu stärken. “Ein Puzzleteil” dabei werde sein, die EU-rechtlichen Möglichkeiten von Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) zu nutzen. Danach können Molkereien und Milchlieferanten verpflichtet werden, eine Beziehung zwischen einer bestimmten Liefermenge und dem Preis für diese Lieferung zu vereinbaren. Bender räumte ein, dass ein Großteil der Molkereigenossenschaften in der Zwischenzeit auf freiwilliger Basis Vereinbarungen mit ihren Lieferanten getroffen habe. Diese Unternehmen würden von etwaigen Regelungen nicht tangiert, soweit sie den Ansprüchen gerecht würden.

    Die Parlamentarische Staatssekretärin im BMEL, Dr. Ophelia Nick, kündigte in ihrem Schlusswort an, man werde “entsprechende Maßnahmen, die uns das EU-Recht ermöglicht”, mit den Koalitionspartnern erörtern. Die Gestaltung der Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien werde dabei “ein Schwerpunkt” sein. Ein weiteres wichtiges Anliegen sei es, die Markttransparenz zu erhöhen.

    Pro und Contra

    In den Diskussionen auf der Konferenz löste die Ankündigung ein unterschiedliches Echo aus. Unterstützung signalisierte das Vorstandsmitglied vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Hubert Heigl, sowie die Landwirtin und Mitglied im Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM), Kirsten Wosnitza. Man müsse bestehende Möglichkeiten nutzen, dass die Erzeuger “kostendeckende Preise” erzielen. Demgegenüber widersprach der Vorstandsvorsitzende der Molkerei Hochwald, Detlef Latka, der Auffassung, mit zusätzlichen staatlichen Regulierungen ließe sich der Milchmarkt verbessern. Die Wiederauflage einer solchen Diskussion sei nichts weiter als “neuer Wein alten Schläuchen”.

    Der Milchpräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Karsten Schmal, hatte bereits im Vorfeld vor übertriebenen Erwartungen an die Anwendung von GMO-Artikel 148 gewarnt, die nicht zu erfüllen seien. Der Sprecher der Interessengemeinschaft Genossenschaftliche Milchwirtschaft (IGM), Peter Manderfeld, erinnerte an die Ergebnisse einer früheren Befragung der IGM-Mitgliedsunternehmen. Von mehr als 20 000 Milcherzeugern habe sich eine deutliche Mehrheit gegen staatliche Eingriffe in die Lieferbeziehungen ausgesprochen. AgE/rm

    • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
    • Lebensmittelindustrie
    • Lieferketten
    • Milchviehhaltung

    EU-Kommission will Fang von Lachs und Hering in Ostsee beschränken

    Wegen des schlechten ökologischen Zustands der Ostsee will die EU-Kommission den Fang von Lachs und Hering vorerst beschränken. “Wir müssen alle Maßnahmen ergreifen, damit sich die Fischer vor Ort wieder auf gesunde Fischbestände verlassen können, um ihren Lebensunterhalt zu sichern”, sagte der zuständige EU-Kommissar Virginijus Sinkevičius kürzlich bei der Vorstellung eines Vorschlags für die Fangquoten im kommenden Jahr. Er sei über die Verschlechterung des Ökosystems in der Ostsee zunehmend besorgt.

    Konkret soll die Lachsfischerei im Hauptbecken des Meeres um 15 Prozent sinken. Die Heringsfänge im Rigaischen Meerbusen müssen dem Vorschlag zufolge um 20 Prozent verringert werden. Im Finnischen Meerbusen dagegen dürfte sogar mehr Lachs gefangen werden: Die EU-Kommission schlug vor, die Fangmöglichkeiten für Lachs dort um 7 Prozent zu erhöhen. Für andere Sorten wie Dorsch oder Scholle werden die Fangquoten später mitgeteilt.

    Mit dem Vorschlag der Brüsseler Behörde werden sich nun die Regierungen der Mitgliedstaaten befassen. Endgültig festgelegt werden die Fangquoten für 2024 bei einem Ministertreffen am 23. und 24. Oktober. dpa

    • Biodiversität
    • Europäische Kommission

    Presseschau

    Interview: Cem Özdemir (BMEL) zu gesunder Ernährung, grüner Gentechnik und sozialer Ernährungspolitik DER SPIEGEL
    Deutscher Import von russischem Dünger wirft moralische und ökologische Bedenken auf Die Zeit
    Urteile des LG Mannheim gegen Zuckerkartellanten: Edeka fordert Rückzahlung in Millionenhöhe von diversen Süßwaren- und Gebäckherstellern Lebensmittelzeitung
    Schlechte Getreideernte 2023: das Potenzial von Agroforst Die Zeit
    Nachhaltige Landwirtschaft durch “land sparing”: das Potenzial der Intensivierung des Ackerbaus Der Standard
    Öko-Versuchsprojekt in Hessen: Wissenschaftler experimentieren mit Fruchtfolge zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit Die Zeit

    Heads

    Nanda Bergstein – Wandel durch Unternehmertum

    Nanda Bergstein, Chief Sustainability & Innovation Officer im Start-up Camm

    Ursprünglich wollte sie nach ihrer Kündigung bei Tchibo eine Auszeit nehmen. Zumindest für zwei, drei Monate. 14 Jahre lang war sie in dem Hamburger Unternehmen tätig, zuletzt als Direktorin Unternehmensverantwortung, da wäre es nicht verkehrt gewesen, die bewegte Zeit mal sacken zu lassen. Aber dann packte Nanda Bergstein doch wieder der Ehrgeiz. Sie sah, was in ihrem neuen Job alles zu tun ist, legte ohne Pause los und ist jetzt wieder viel unterwegs: fast jede Woche irgendwo in Deutschland oder Europa, alleine nach Spanien geht’s dreimal im Monat.  

    Camm heißt ihr neuer Arbeitgeber, das Start-up wurde 2019 von dem schwäbischen Unternehmer Christoph Bertsch gegründet und hat sich vorgenommen, die Verpackung neu zu erfinden. Der Clou: Als Basis dient ein Granulat, das sich in unterschiedliche Formen bringen lässt, etwa als eine Art Hartplastik oder als Folie für Papier – und bei hohen Temperaturen und unter Zusatz von Wasser wieder auflöst. Danach können die Fasern ins Altpapier. 

    Grüne Lieferkette ab 2025

    Bei Aussagen zur Rezeptur hält sich Nanda Bergstein bedeckt. Die sei geheim. Nur so viel: Die größte Zutat ist PVOH, ein synthetisches, fossiles Polymer. Aber, so verspricht sie: “Wir bauen gerade eine Lieferkette auf, um PVOH aus Abfall- und Wertstoffen der Agrarproduktion in großen Mengen fertigen zu können.” Bereits heute sei Camm, wie sie das Material nennt, frei von Mikroplastik und komme ohne schädliche Ewigkeitschemikalien aus. Ab 2025 soll es komplett erneuerbar erhältlich sein, mit bis zu 30.000 Tonnen rechne sie für das Jahr. Schon bei Tchibo hatte sie versucht, die verwendeten Verpackungen möglichst umweltfreundlich zu machen. “Eine Lösung, die so nachhaltig ist und die man gleichzeitig skalieren kann, habe ich zuvor aber noch nicht gesehen.” 

    Den gesellschaftlichen Wandel voranbringen, vor allem in und durch Unternehmen, dieser Gedanke treibt sie schon seit langer Zeit an. Nachdem sie in Schrobenhausen aufgewachsen war, zwischen Ingolstadt und München, studierte sie Internationale Beziehungen und setzte einen Master in Development und Globalization drauf. Die Kombination aus VWL und Menschenrechten interessierte sie, insbesondere die Frauenrechte, weshalb sie in Indien, der Heimat ihrer Mutter, zwischenzeitlich für eine NGO arbeitete.  

    Interdisziplinäres Lernen statt KPI

    Damals, Anfang der 2000er-Jahre, war Nachhaltigkeit keine Selbstverständlichkeit im Curriculum. Im Gegenteil, man musste sich seine Nischen gezielt suchen, anders als heute. Nanda Bergstein würde mit derzeitigen Studierenden aber nicht tauschen wollen. “Während die Lehre des Nachhaltigkeitsmanagements inzwischen stark verschult und von Kennziffern geprägt ist, konnte ich wirklich interdisziplinär lernen und kritische Ansätze aus den Sozialwissenschaften und anderen Fächern kennenlernen”, sagt sie.  

    Rückblickend wirkt es so, als ob das den Grundstein für ihre weitere Karriere gelegt hat. Sie ging nach Hamburg, fing bei der Nachhaltigkeitsberatung Systain an und wechselte keine drei Jahre später zu Tchibo. Der Grund: “Ich wollte ins Zentrum der Macht.” Dorthin, wo der größte Hebel ist. Zu dem Zeitpunkt musste der Kaffeeröster gerade einen externen Schock verarbeiten. Weil in einer Zulieferfabrik in Bangladesch die Arbeiterinnen und Arbeiter unter miserablen Bedingungen und niedrigen Löhnen leiden mussten und eine NGO Tchibo öffentlichkeitswirksam für die Zustände anprangerte, begann das Unternehmen, eine neue Abteilung für Unternehmensverantwortung aufzubauen. Bergstein wurde Teil des Teams, fing mit Kaffee an, etablierte ein Programm, um die Sozialstandards zu verbessern, und übertrug das später auf den Non-Food-Bereich. In den Jahren darauf verkleinerte sie die Zahl der Lieferanten, verbesserte die Beziehungen zu ihnen, initiierte Trainings in Fabriken, setzte sich für Tarifverhandlungen in den Herkunftsländern ein, förderte Abkommen zu Brandschutz und Arbeitssicherheit. 

    Sie wollte mehr Verantwortung übernehmen

    Wenn sie davon erzählt, spricht sie von “Transformations- und Kulturarbeit”, von der Notwendigkeit von “Top-Down”- und “Bottom-up”-Ansätzen, von einer fortwährenden Moderation der Prozesse sowie der Suche nach dem Ausgleich der Interessen zwischen den Mitarbeitenden und der Geschäftsführung. “Integration” sei ein Schlüsselwort. Alles zusammen denken und diesem Vorhaben Taten folgen lassen, darauf komme es an. Tchibos bis heute gültiger Konsum-Slogan “Jeden Tag eine neue Welt” kann streng genommen nicht nachhaltig sein. Nanda Bergstein gelang es trotzdem, sich bei Kritikern einen guten Ruf zu erarbeiten.  

    Bei Camm wird sie auf der Website wieder als “Chief Sustainability & Innovation Officer” vorgestellt. Tatsächlich aber, so sagt sie, führe sie das Geschäft, zusammen mit dem Gründer, und das sei einer der Gründe gewesen, weshalb sie im Frühjahr 2022 zu dem Newcomer gewechselt ist. Zuvor war sie Teil eines etablierten Konzerns und für einen Bereich zuständig –“hier lerne ich gerade, für alles verantwortlich zu sein”. Auch für die Gewinne und Verluste und somit für die Gehälter der fast 50 Mitarbeitenden. “Mein Respekt für Unternehmer ist sehr gewachsen.” 

    Und zu verändern gibt es bei Camm auch einiges. Bevor sie zu dem Start-up stieß, hat es in Spanien eine Produktion sowie eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung akquiriert. Durch und durch nachhaltig waren die noch nicht. Daran arbeitet Nanda Bergstein jetzt. Von innen heraus. Marc Winkelmann

    • Unternehmensverantwortung

    Agrifood.Table Redaktion

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