Table.Briefing: Agrifood

Bauerntag: Wie die Stimmung in Cottbus war + Katjes: Warum Klimawerbung irreführend ist

Liebe Leserin, lieber Leser,

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schlagen am Mittwochabend gemeinsam beim Bauerntag in Cottbus auf. Eine Rede hält der Kanzler nicht, er dreht eine Runde, pausiert an sämtlichen Foodtrucks und verkostet das regionale kulinarische Angebot. Stets ist er abgeschirmt von Sicherheitsleuten, trotzdem dicht umringt von Publikum und Fotografen.

Am nächsten Morgen tritt aber der Bundeslandwirtschaftsminister in der Messehalle in Cottbus auf die Bühne und hält eine Rede, für die er so gut wie keinen Applaus bekommt. Ein bestimmter Wortlaut bringt die bäuerliche Basis offenbar sehr auf. Er datiert auf Özdemirs Befragung im Bundestag zurück.

Mehr dazu lesen Sie in unserem Bericht zum Bauerntag in Cottbus. Wir wünschen eine erkenntnisreiche Lektüre!

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher

Analyse

Bauerntag: Özdemir wird seine Rechnung zur Agrardiesel-Kompensation vor dem Bauernverband verteidigen müssen

Buhrufe erntet Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zwar nicht beim Bauerntag in Cottbus. Aber Applaus bekommt er auch so gut wie keinen. Lediglich aus den vorderen Reihen. Dort sitzen die Grünen-Politikerinnen Renate Künast, Anne-Monika Spallek, der Grüne Karl Bär und weitere Vertreter der Ampel-Fraktionen. “Berufsklatscher”, kommentiert die bäuerliche Basis. Der Ressortchef muss am Donnerstag als Sündenbock für die aus Sicht der Bauern zahlreichen Versäumnisse der Ampel-Regierung herhalten. Für die Differenzierung muss Özdemir selbst sorgen.  

Stets habe er betont, dass der Plan zur Agrardiesel– und KfZ-Steuer falsch gewesen sei, weil ein Berufsstand dadurch “über Gebühr belastet” worden wäre. “Es ist aber auch nicht, nichts passiert”, so Özdemir zur Beibehaltung der KfZ-Steuerermäßigung und dem stufenweisen Auslaufen der Agrardiesel-Subvention. “Gekämpft” habe er, dass die Pläne zur Sustainable Use Regulation (SUR) “so nicht kommen”. “Wir haben die SUR aber auch nicht erfunden”, rief er in die Messehalle in Cottbus. Die umstrittene Dünge-Verordnung, die habe er “geerbt”. Das Problem sei von einer Regierung zur nächsten verschoben worden. “Was mit mir aber nicht funktioniert: Das Problem jetzt erneut auf die nächste Generation zu verschieben.” 

Die Bauern stören sich an Özdemirs Wortlaut in einer Bundestag-Befragung

Großer Unmut der Bauern datiert aber auf eine Befragung von Özdemir im Bundestag zurück. Er sagte, dass die Sparbeschlüsse der Ampel-Koalition “überkompensiert” würden und begründete dies mit der Abschaffung von GLÖZ 8, der Vergütung über die Öko-Regelung 1a, der steuerlichen Gewinnglättung und Maßnahmen zur Entbürokratisierung. “Sie haben den Kompass für die Realitäten verloren”, warf ihm DBV-Vorstandsmitglied Günther Felßner deshalb in Cottbus vor. Diese Konfrontation war im DBV-Vorstand abgesprochen.  

Bereits am Mittwoch kündigte DBV-Vorstandsmitglied Holger Hennies in Cottbus an, Özdemirs Aussage erfülle ihn mit einem “inneren, heiligen Zorn”. Er selbst habe nachgerechnet und komme zu dem Schluss, dass die Landwirtschaft durch die Politik der Ampel-Koalition nicht stärker entlastet, als sie durch die Abschaffung der Steuererleichterung für Agrardiesel belastet werde. Bei der Befragung im Bundestag hatte Özdemir im Wortlaut zu CDU-Agrarpolitiker Albert Stegemann gesagt: “Allein die Kompensation für GLÖZ 8 ist ein Zigfaches dessen. Ich kann es Ihnen gerne mit Heller und Cent nachrechnen, was beim Agrardiesel passiert. Ein Zigfaches dessen. Also, wenn sie da fair wären, würden sie zugeben, dass das, was die Landwirtschaft bekommt, wesentlich mehr ist.” 

DBV-Vizepräsident Holger Hennies will Özdemir das nicht durchgehen lassen

“Das kann man ihm so nicht durchgehen lassen”, sagte der niedersächsische Landvolk-Präsident Hennies vor den Bauern. Aber auch die FDP kommt nicht ganz unbescholten davon. DBV-Vize Torsten Krawczyk aus Sachsen sagte am Mittwoch, es habe ihn verletzt, als ein Spitzenpolitiker der Freien Demokraten das Agrarpaket der Ampel-Koalition als großen Wurf bezeichnet habe. “Man muss schon aufrecht, gerecht und bei der Wahrheit bleiben”, so Krawczyk. Anders als Özdemir wird dieser FDP-Mann aber weder beim Namen genannt noch vor Publikum auf der Bühne konfrontiert.

Krawczyk lobte CDU-Mann Jochen Borchert. Der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister habe als Leiter der Kommission für den Umbau der Nutztierhaltung Konflikte erkannt, Lösungen gefunden und sich dann die Frage gestellt, wie das Ganze bezahlt werden könne. Aktuell beobachte er lediglich einen “politischen Zirkus”. Dafür erntete Krawczyk langen Applaus.

Der frisch im Amt bestätigte Bauernpräsident Joachim Rukwied teilte die Meinung, dass das Agrarpaket der Ampel-Koalition “kein Entlastungspaket” sei. “Diese Botschaft ist in Berlin angekommen”, sagte Rukwied am Mittwoch. Anders als Felßner, der Özdemir am Donnerstag mit neuen Protesten drohte, wenn es zu keiner “echten Kompensation” komme, hielt sich Rukwied mit solchen Aussagen aber zurück.

  • Agrardiesel
  • Günther Felßner
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Ernährungsstrategie: Wie Özdemir daran scheiterte, die Ernährungsarmut de facto abzuschaffen

Mit weitreichenden Maßnahmen wollte Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) die Ernährungsarmut in Deutschland nahezu abschaffen – blitzte mit seinem Vorstoß jedoch am Bundessozialministerium (BMAS) von Minister Hubertus Heil (SPD) ab. Das geht aus einem E-Mail-Verkehr zwischen beiden Häusern hervor, der Table.Briefings vorliegt.

Am 7. Juni 2023 hatte das für Sozialpolitik zuständige Referat 724 im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) demnach um einen “fachlichen Austausch” mit dem BMAS gebeten. Özdemirs Beamte saßen zu dieser Zeit über ihrem Entwurf der Ernährungsstrategie. Offenbar in Erwartung schwieriger Debatten suchten sie mit dem Sozialministerium bereits vor dessen Fertigstellung das Gespräch. “Auch das Thema Ernährungsarmut soll in der Strategie behandelt und mit Maßnahmen unterfüttert werden”, schrieben sie an die BMAS-Kollegen. “Aus der beigefügten Anlage können Sie die Ziele und Maßnahmen ersehen, die aus Sicht des BMEL […] in die Ernährungsstrategie aufgenommen werden sollten.”

BMEL schlug konkrete Maßnahmen vor

Bereits das “Ziel” offenbart, wie ernst es Özdemir meinte: “Die Bundesregierung will die Zahl der Menschen, die von Ernährungsarmut betroffen sind, bis 2035 halbieren und bis 2050 um 95 Prozent reduzieren.” So steht es in dem dreiseitigen Anhang – nebst konkreten Maßnahmen:

  • Mit einem “Monitoring” sollte das BMAS “eine valide Datenlage” zur Zahl der von Ernährungsarmut Betroffenen sowie zu ihrem Gesundheitszustand schaffen.  
  • Eine neue Berechnungsmethode für staatliche Sozialleistungen wie das Bürgergeld sollte geprüft werden – um “künftig eine gesundheitsförderliche und nachhaltige Ernährung für alle Menschen zu ermöglichen”. Eine “Erhöhung der staatlichen Grundsicherungsleistungen” bis 2030 sollte den Einkauf auf Basis der neuen lebensmittelbezogenen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für Transferempfänger bezahlbar machen.
  • Das BMEL wollte ausloten, ob auch die “soziale Teilhabe im Ernährungsbereich” in die Berechnung der Sozialleistungen einfließen kann – Details nennt das Ministerium dazu nicht.
  • In einem Pilotprojekt sollten einkommensschwache Haushalte Gutscheine für Gemüse und Obst erhalten.

Ende 2022 hatte Özdemir als erster Bundesminister Ernährungsarmut als Problem in Deutschland bezeichnet. Mit seinen Vorschlägen hätte es erstmalig ein Regierungskonzept und eine Zielmarke gegeben. Hätte: Denn keine der genannten Maßnahmen schaffte es in die vom Bundeskabinett beschlossene Ernährungsstrategie.

Laut Schriftverkehr, den Table.Briefings im Zuge einer Informationsfreiheitsanfrage erhalten hat, kam es am 15. Juni 2023 zu einem auf zwei Stunden angesetzten Videogespräch zwischen den Fachleuten beider Ministerien. Ein Termin, zu dem es nach Angaben des BMEL kein Protokoll gibt. Fest steht nur: Das BMAS ließ die Kollegen abblitzen. Bereits der Entwurf der Ernährungsstrategie, den Özdemir am 10. November 2023 in die Ressortabstimmung gab, war weitaus weniger ambitioniert als der initiale Plan.

BMAS legte Widerspruch in Bezug auf verwendete Begriffe ein

Dennoch legten Heils Beamte Widerspruch ein, bereits in Bezug auf die verwendeten Begriffe. “Das BMAS lehnt die Definition von ‘Ernährungsarmut’ […] ausdrücklich ab”, antwortete das Referat Ga2 im BMAS, zuständig für Armuts- und Reichtumsfragen, am 30. November. Das BMEL hatte es im Entwurf als “materielle Ernährungsarmut” beschrieben, “wenn Menschen die finanziellen Mittel fehlen, um sich qualitativ oder quantitativ ausreichend ernähren zu können”. Ein BMAS-Beamter kommentierte dazu am Rande des BMEL-Entwurfs: “Es gibt Mindestsicherungsleistungen, die Armut verhindern.” Und wenn überhaupt, könne es nur “Armut”, aber keine Untergruppe von Armut geben. Mit dieser Begründung forderte das BMAS nicht nur, den Begriff “Ernährungsarmut” aus der Regierungsstrategie zu streichen. Es lehnte auch das vom BMEL vorgeschlagene Monitoring sowie eine “interministerielle Projektgruppe” ab, die “effektive Maßnahmen” gegen Ernährungsarmut erarbeiten soll.

Im Zentrum der Kontroverse stand zudem der Wissenschaftliche Beirat des BMEL (WBAE). Dieser war bereits 2020 zu dem Schluss gekommen, dass die Sozialleistungen nicht ausreichten, um eine gesunde Ernährung zu bezahlen. Zwei Studien von 2021 und 2022 bestätigten dies. 2023 legte der WBAE nach und nannte in Deutschland rund drei Millionen Menschen “durch materielle Ernährungsarmut gefährdet”. Mit dieser Expertise argumentierte auch das BMEL – und stieß bei Heils Fachleuten auf Widerstand. “Behauptung und Berechnung” des WBAE teile man “aus methodischen Gründen” nicht, bemerkte ein BMAS-Beamter. Allenfalls die Aussage, dass “ein geringer finanzieller Spielraum” auch aus Sicht der Wissenschaftler ein “Stressfaktor” sei, wollte das BMAS zugestehen – ein weitergehender Verweis auf den WBAE aber sei “nicht akzeptabel.”

Aus Armutsbetroffenen wurden “Personen mit geringem Einkommen”

Nach diesen Rückmeldungen war es das BMEL, das sich quer stellte. Es halte am Begriff “Ernährungsarmut” fest, teilte es dem BMAS mit, und kämpfte auch um die interministerielle Projektgruppe. Diese sei “schon ein Kompromiss” zu einer “ursprünglich vorgesehenen Task-Force”. So kam es im Dezember 2023 zu einem regen E-Mail- und Telefonaustausch. Im Ringen um Kompromisse wurden Özdemirs Pläne weiter abgeschwächt, sprachlich wie substanziell. Aus Armutsbetroffenen wurden “Personen mit geringem Einkommen”. Das konkrete “Monitoring” wich der Ankündigung, ein “Forschungskonzept” zu erarbeiten, aus dem später “Ansätze für ein Monitoring abzuleiten” seien. Studien, die die Sozialleistungen deutlich als zu gering einstuften, weisen laut finaler Strategie nur noch darauf hin, dass es für Transferempfänger “schwierig ist”, sich gesund zu ernähren. Und auch die interministerielle Projektgruppe soll es nicht geben: In dem Papier ist lediglich von der Absicht die Rede, zu einer anderen Arbeitsgruppe eine “Untergruppe Ernährungsarmut” einzurichten – dass diese auch “effektive Maßnahmen” erarbeiten soll, ist nicht mehr vorgesehen. Grundsätzlich erklärt sich das BMAS damit einverstanden, “Mangel- und Fehlernährung als Folge von Armut […] stärker in den Blick zu nehmen”. Konkrete Vorschläge unterbreitet es ausweislich des Schriftverkehrs nicht.

Ein Zugeständnis macht das BMAS, in dem es den Begriff “Ernährungsarmut” schließlich akzeptiert. Bei der Definition fehlt jedoch der Hinweis auf fehlendes Geld als Ursache. Stattdessen geht es abstrakt um einen “unzureichenden Zugang zu gesunder und nachhaltiger Ernährung” – und um “mangelnde Ernährungskompetenzen”. Ganz anders die Perspektive des Bundesumweltministeriums (BMUV). Im Zuge der Ressortabstimmung regte es an, zu formulieren: “Langfristiges Ziel ist es […], die Tafeln durch eine geeignete Ernährungs- und Sozialpolitik obsolet zu machen.” Nach der Kontroverse mit dem BMAS konnte das BMUV dafür aber nicht einmal mehr das BMEL begeistern.

  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
  • Cem Özdemir
  • Ernährung
  • Ernährungspolitik
  • Ernährungsstrategie
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BGH-Urteil: Warum Katjes-Werbung mit dem Begriff “klimaneutral” irreführend ist

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Werbung des Süßwarenherstellers Katjes mit dem Begriff “klimaneutral” für irreführend erklärt. Das Unternehmen darf seine Produkte also nicht mehr auf diese Weise vermarkten. Katjes hatte allerdings schon vor dem Urteil darauf verzichtet.

Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale dagegen, dass Katjes seine “Grün-Ohr-Hasen” mit dem Slogan bewirbt: “Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral.” Ihr Argument: Es bestehe die Gefahr, dass der Begriff so verstanden würde, als dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral sei. Deshalb brauche es zumindest die Ergänzung, dass Klimaneutralität durch Kompensation entstehe.

In seinem Urteil gibt der BGH der Wettbewerbszentrale nun recht. Der Begriff könne “sowohl im Sinne einer Reduktion von CO₂ im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO₂ verstanden werden”, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts. Gleichzeitig sei die Irreführungsgefahr bei umweltbezogener Werbung sehr groß, weshalb besonderer Aufklärungsbedarf bestünde.

“Klimaneutralitätssiegel sind unhaltbar”

Um “klimaneutral”-Siegel auf Produkten gibt es schon länger Streit. Der Vorwurf: Die Siegel würden den Verbraucher irreführen und suggerieren, dass bei der Produktion der Produkte keine Emissionen entstanden sind. “Klimaneutralitätssiegel sind unhaltbar”, sagt dazu Carsten Warnecke vom Thinktank New Climate Institute zu Table.Briefings. Die Siegel hätten keine Aussagekraft darüber, welche Anstrengungen Firmen zum Klimaschutz unternehmen, weil sie nichts über Emissionsreduzierung und Restemissionen aussagen. Stattdessen sollten Unternehmen ihre Bemühungen detaillierter und transparenter kommunizieren. Dass Katjes inzwischen – anders als die Konkurrenz – fast ausschließlich vegane Fruchtgummis produziere, sei sicher ein Schritt in die richtige Richtung, das Siegel “klimaneutral” dagegen nicht. Der Begriff ergebe für Staaten Sinn, die Restemissionen durch Kohlenstoffsenken ausgleichen könnten, für Produkte allerdings nicht, so Warnecke.

Ende 2023 haben etwa die Verbraucherzentralen Klimaaussagen auf 87 Produkten untersucht. Sie registrierten dabei eine Vielzahl von unterschiedlichen Siegeln und Formulierungen und kamen zu dem Ergebnis, dass eine “sichere Beurteilung der Aussagekraft und Zuverlässigkeit von Klimaaussagen durch Verbraucher:innen derzeit nahezu unmöglich” sei. “Wir müssen uns von der naiven Annahme verabschieden, dass freiwillige Initiativen zur Selbstregulierung für Klimaschutz sorgen”, meint Warnecke. “Stattdessen brauchen wir staatliche Regulierung”.

EU verbietet Werbung mit Klimaneutralität wegen Kompensation

Noch vor der Entscheidung im Katjes-Fall hatte die EU bereits Klarheit geschaffen: Ende März 2024 trat ein Gesetz gegen Greenwashing in Kraft, durch das irreführende Werbung mit Umweltversprechen verboten wird. Produkte, die Emissionen durch Kompensation ausgleichen, dürften dann beispielsweise nicht mehr als “klimaneutral”, “zertifiziert CO₂-neutral” oder “CO₂-positiv” bezeichnet werden. Die Staaten haben nun zwei Jahre Zeit, diese Regelung in nationales Recht umzusetzen. “Auf Produkten wird der Claim klimaneutral dann wohl nicht mehr verwendet werden”, meint Johanna Wurbs vom Umweltbundesamt zu Table.Briefings.

Mit der Green-Claims-Regelung der EU sollen Werbeaussagen außerdem in Zukunft vergleichbarer und zuverlässiger werden; über sie wird demnächst im EU-Parlament diskutiert. Agnes Sauter von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hofft, dass eine ambitionierte Fassung der Green-Claims-Regulierung verabschiedet wird. Insbesondere sei dafür wichtig, dass die ex ante Verifizierung von solchen Behauptungen realisiert werde. Das bedeutet, dass Claims vor Veröffentlichung von unabhängigen Prüfstellen gegengecheckt werden.

Gleichzeitig soll der Begriff Klimaneutralität an robuste Standards geknüpft werden. Dazu wurde Ende 2023 die ISO 14068-1 Norm zu “carbon neutrality” veröffentlicht. “Eine wichtige Richtlinie”, meint Wurbs. “Erstmals wird Klimaneutralität damit weltweit als Standard definiert”. Zwar sei die Diskussion innerhalb der EU auf Produktebene weitgehend beendet, auf Unternehmensebene gehe sie aber weiter. Für das Umweltbundesamt hat die Norm aber auch Schwächen. In einem Factsheet schreibt es beispielsweise, theoretisch könnten auch “Unternehmen mit hohen THG-Emissionen und Unternehmen mit einem auf fossiler Energienutzung basierenden Geschäftsmodell die Norm erfüllen”.

Der deutsche Gesetzgeber drücke sich – anders als die EU – davor, eine aktive Rolle einzunehmen, um diese Missstände anzugehen, meint Warnecke. Es entstehe der Eindruck, die Verbraucherschutzministerien überließen es Verbänden wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH), mit viel Aufwand und Ressourcen Klagen gegen Unternehmen zu führen, und schauten selbst nur zu.

Bisherige Entscheidungen zur Werbung mit Klimaneutralität

Gegen Katjes hat im aktuellen Fall aber nicht die DUH geklagt, sondern die Wettbewerbszentrale, die sich für fairen Wettbewerb einsetzt. Obwohl es inzwischen die neuen gesetzlichen Regelungen gibt, legte die Wettbewerbszentrale im Fall Katjes Revision vor dem BGH ein. “Wir wollen damit mehr Rechtssicherheit für die Werbung mit umweltbezogenen Begriffen schaffen”, erklärte Ulrike Gillner von der Wettbewerbszentrale vor dem Urteil im Gespräch mit Table.Briefings. Klimaneutralität sei ein unscharfer Begriff, daraus gehe nicht hervor, ob Unternehmen tatsächlich selbst Treibhausgase einsparen oder bloß Zertifikate kaufen.

Bisher hatten deutsche Gerichte zur Verwendung des Siegels “klimaneutral” unterschiedlich geurteilt. Im Juli 2023 entschied beispielsweise das Landgericht Karlsruhe, dass die Drogeriemarktkette “dm” bestimmte Seifen damit nicht bewerben darf. Im selben Monat hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf allerdings Katjes erlaubt, seine Produkte weiterhin mit dem Label “klimaneutral” anzupreisen. Aus Sicht des BGH zu Unrecht: Ein Unterschied zwischen den Fällen ist zwar, dass Katjes auf die Website des Zertifizierers Climate Partner verwiesen hat, wo sich die Kriterien zur Zertifizierung nachlesen lassen – während dieser Hinweis bei dm fehlte. Nach Auffassung des Gerichts muss “bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung” des Begriffs “klimaneutral” entscheidend ist.

Einsicht bei Unternehmen und Zertifizieren

“dm” hatte schon während des Verfahrens reagiert und erklärt, Produkte in Zukunft nicht mehr so bewerben zu wollen. Auch die Drogeriemarktkette Rossmann hatte sich schon Anfang 2023 entschieden, nicht mehr mit Klimaneutralität zu werben. “Das Label ist im Grunde tot“, hatte Geschäftsführer Raoul Roßmann damals der Zeit erklärt. Selbst der Zertifizierer Climate Partner scheint das so zu sehen: Er hat den Begriff “klimaneutral” inzwischen durch das Label “Finanzieller Klimabeitrag” ersetzt. Mitarbeit: Nicolas Heronymus

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News

Neue Gentechniken: Was das Scheitern der belgischen EU-Ratspräsidentschaft bedeutet

Nachdem die belgische EU-Ratspräsidentschaft es trotz intensiver Bemühungen nicht geschafft hat, unter den Mitgliedstaaten einen mehrheitsfähigen Kompromiss zur Deregulierung neuer Gentechniken zu finden, dürfte die Arbeit an dem Dossier auf absehbare Zeit deutlich schleppender vorangehen. Ungarn, das ab 1. Juli die Ratspräsidentschaft übernimmt, gilt als gentechnik-kritisch.

Man werde die Gespräche weiterführen, sagt ein Sprecher der ungarischen Präsidentschaft zu Table.Briefings, will sich aber nicht dazu bekennen, während der sechsmonatigen Amtszeit auch eine Einigung anzustreben. Auch Polen, das im Anschluss in der ersten Jahreshälfte 2025 den Ratsvorsitz innehaben wird, ist bisher nicht von dem Vorschlag überzeugt. Die scheidende belgische Ratspräsidentschaft hatte noch Anfang der Woche einen letzten Kompromissvorschlag vorbereitet, entschied sich aber letztlich, ihn nicht mehr den EU-Botschaftern vorzulegen, weil sich weiter nicht die nötige Mehrheit abzeichnete.

Der EU-Bauernverband Copa Cogeca reagierte mit Bedauern auf das Scheitern der Bemühungen Belgiens. Werde der Deregulierungsvorschlag nicht bald umgesetzt, würden Landwirte in der EU gegenüber Kollegen in Drittstaaten benachteiligt. Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) begrüßte die Verzögerung dagegen und sprach zum Start der ungarischen Präsidentschaft von einer Atempause zu dem Thema. jd

  • EU-Gentechnik
  • EU-Gentechnikrecht
  • Grüne Gentechnik
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Gemeinsame Agrarpolitik: Wie Bund und Länder Regeln zur Fruchtfolge vereinfachen wollen

Bund und Länder haben sich geeinigt, wie die von der EU erlaubten Lockerungen innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Deutschland umgesetzt werden sollen. Einen entsprechenden Beschluss verabschiedete die Agrarministerkonferenz (AMK) am Donnerstag im Umlaufverfahren.

Strittig war vor allem eine Lockerung der Regel zur Fruchtfolge (GLÖZ 7). Die von der EU vorgesehene Option, statt dem Fruchtwechsel auch Nutzpflanzenvielfalt zu erlauben, setzt die Bundesrepublik laut der Einigung nun nicht um. Die Fruchtfolgeregelung soll aber vereinfacht werden. Künftig soll gelten: Auf jedem Ackerschlag muss spätestens nach drei Jahren die Hauptkultur gewechselt werden. Bisher ist vorgeschrieben, jedes Jahr auf mindestens einem Drittel der Ackerfläche die Hauptfrucht zu wechseln. Damit entfielen “starre prozentuale Flächenangaben”, auch komplexe Sonderregelungen zu Zwischenfrüchten und Untersaaten fielen weg, erklären die Länder im AMK-Beschluss.

Vereinfachung vor allem für kleine Betriebe

Thünen-Wissenschaftler Norbert Röder sieht in der Änderung eine “leichte Vereinfachung”. Profitieren dürften vor allem kleinere Betriebe, die jedes Jahr nur sehr wenige Ackerkulturen, aber in kurzer Fruchtfolge anbauen. Gleichzeitig sei der Schaden für die Umwelt durch die Vereinfachung gering, weil auch die ursprüngliche Regelung ohnehin kaum Nutzen gebracht habe.

Vereinfacht werden sollen auch die Regeln zum Erhalt von Dauergrünland (GLÖZ 1), zur Bodenerosion (GLÖZ 5), und zur Bodenbedeckung (GLÖZ 6). So sollen keine festen Zeiträume mehr zur Mindestbodenbedeckung gelten, statt eines fixen Datums solle die “gute fachliche Praxis” zugrunde gelegt werden.

Um den Wegfall der vier Prozent Pflichtbrache auszugleichen, gibt es zusätzliche freiwillige Förderangebote: Über die Ökoregelung 1 können künftig Brachen von bis zu acht Prozent der Ackerfläche gefördert werden, statt wie bisher sechs. Und auch die Regeln für die Förderung von Blühstreifen, die Landwirte immer wieder als zu eng gefasst kritisiert hatten, werden flexibilisiert. Ziel bleibt es weiter, die Änderungen am GAP-Strategieplan für 2025 bis Mitte Juli bei der EU-Kommission einzureichen. jd

  • Bauernproteste
  • GAP
  • Gemeinsame Agrarpolitik

Must Reads

Lebensmittelzeitung: Dänemark führt Klimasteuer für die Landwirtschaft ein

Dänemark will als erstes Land der Welt eine Klimasteuer für die Landwirtschaft einführen. Darauf hat sich die Regierung in Kopenhagen verständigt. Die Steuer soll ab 2030 gelten. Bauern müssten dann für ihre CO₂-Emissionen zahlen, anfangs 40 Euro pro Tonne und 100 Euro ab 2035. Zusätzlich soll ab 2028 eine CO₂-Steuer auf Emissionen aus kohlenstoffreichen Tieflandböden erhoben werden. Ein Landwirtschaftsfonds von 5,4 Milliarden Euro soll Landwirte für Klimaleistungen entschädigen, etwa, wenn sie landwirtschaftliche Flächen aufforsten. Für das Jahr 2023 erwartet die Regierung durch diese Maßnahmen eine Reduktion der CO₂-Emissionen um mindestens 1,8 Millionen Tonnen. Zum Artikel

Der Spiegel: Soziologin über Stimmung in der Landwirtschaft: Wie zornig und rechts sind die Bauern, Frau Pieper?

Im Spiegel-Interview äußert sich die Agrarsoziologin Janna Luisa Pieper zum Rechtsruck in der Landwirtschaft. Trotz des beschlossenen Agrarpakets der Bundesregierung glaubt sie nicht, dass sich die Stimmung unter den Bauern beruhigt. Im Gegenteil: Pieper spricht von anhaltender Unzufriedenheit und Wut. Sie nennt existenzielle Ängste sowie einen Mangel an gesellschaftlicher Wertschätzung als zentrale Ursachen dafür, dass die Proteste auch in Zukunft nicht abreißen dürften. Die Anforderung, mehr Tierwohl, Biodiversität und Klimaschutz zu liefern, führe zu enormem Druck. Das erkläre den Rechtsruck im Agrarsektor allerdings nur in Teilen. Während der Bauernproteste seien über Social Media viele rechtsextreme Ideologien verbreitet worden. Es gäbe Verbindungen zwischen der “Querdenker”-Szene, der “Neuen Rechten” und landwirtschaftlichen Akteuren. Diese Netzwerke nutzten Social Media, um ihre Botschaften zu verbreiten und Unterstützung zu mobilisieren. Zum Interview

Reuters: Vandals destroy Italy’s first experimental rice field

In Italien wurde ein Testfeld mit genmodifiziertem Reis von Vandalen systematisch zerstört und damit die Ergebnisse von Forschungsarbeiten gefährdet. Das von der Universität Mailand durchgeführte Experiment sollte Erkenntnisse zur Verbesserung der Resistenz von Reis gegen Krankheitserreger bringen und so zur Reduktion umweltschädlicher Pestizide beitragen. Aufgrund der Schäden am Reisfeld müsste der Versuch im nächsten Jahr wiederholt werden, allerdings läuft die derzeitige Genehmigung Ende 2024 aus. In der Landwirtschaft sind jahrzehntelang keine gentechnischen Experimente genehmigt worden. Für die Forschung der Universität Mailand wurde ein italienisches Notstandsdekret genutzt, das im vergangenen Jahr zur Bekämpfung der Dürre erlassen worden war und das vorübergehend Feldversuche mit Pflanzen erlaubte, die mithilfe von neuen genomischen Techniken (NGT) gewonnen wurden. Zum Artikel

Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schlagen am Mittwochabend gemeinsam beim Bauerntag in Cottbus auf. Eine Rede hält der Kanzler nicht, er dreht eine Runde, pausiert an sämtlichen Foodtrucks und verkostet das regionale kulinarische Angebot. Stets ist er abgeschirmt von Sicherheitsleuten, trotzdem dicht umringt von Publikum und Fotografen.

    Am nächsten Morgen tritt aber der Bundeslandwirtschaftsminister in der Messehalle in Cottbus auf die Bühne und hält eine Rede, für die er so gut wie keinen Applaus bekommt. Ein bestimmter Wortlaut bringt die bäuerliche Basis offenbar sehr auf. Er datiert auf Özdemirs Befragung im Bundestag zurück.

    Mehr dazu lesen Sie in unserem Bericht zum Bauerntag in Cottbus. Wir wünschen eine erkenntnisreiche Lektüre!

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    Henrike Schirmacher
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    Bauerntag: Özdemir wird seine Rechnung zur Agrardiesel-Kompensation vor dem Bauernverband verteidigen müssen

    Buhrufe erntet Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zwar nicht beim Bauerntag in Cottbus. Aber Applaus bekommt er auch so gut wie keinen. Lediglich aus den vorderen Reihen. Dort sitzen die Grünen-Politikerinnen Renate Künast, Anne-Monika Spallek, der Grüne Karl Bär und weitere Vertreter der Ampel-Fraktionen. “Berufsklatscher”, kommentiert die bäuerliche Basis. Der Ressortchef muss am Donnerstag als Sündenbock für die aus Sicht der Bauern zahlreichen Versäumnisse der Ampel-Regierung herhalten. Für die Differenzierung muss Özdemir selbst sorgen.  

    Stets habe er betont, dass der Plan zur Agrardiesel– und KfZ-Steuer falsch gewesen sei, weil ein Berufsstand dadurch “über Gebühr belastet” worden wäre. “Es ist aber auch nicht, nichts passiert”, so Özdemir zur Beibehaltung der KfZ-Steuerermäßigung und dem stufenweisen Auslaufen der Agrardiesel-Subvention. “Gekämpft” habe er, dass die Pläne zur Sustainable Use Regulation (SUR) “so nicht kommen”. “Wir haben die SUR aber auch nicht erfunden”, rief er in die Messehalle in Cottbus. Die umstrittene Dünge-Verordnung, die habe er “geerbt”. Das Problem sei von einer Regierung zur nächsten verschoben worden. “Was mit mir aber nicht funktioniert: Das Problem jetzt erneut auf die nächste Generation zu verschieben.” 

    Die Bauern stören sich an Özdemirs Wortlaut in einer Bundestag-Befragung

    Großer Unmut der Bauern datiert aber auf eine Befragung von Özdemir im Bundestag zurück. Er sagte, dass die Sparbeschlüsse der Ampel-Koalition “überkompensiert” würden und begründete dies mit der Abschaffung von GLÖZ 8, der Vergütung über die Öko-Regelung 1a, der steuerlichen Gewinnglättung und Maßnahmen zur Entbürokratisierung. “Sie haben den Kompass für die Realitäten verloren”, warf ihm DBV-Vorstandsmitglied Günther Felßner deshalb in Cottbus vor. Diese Konfrontation war im DBV-Vorstand abgesprochen.  

    Bereits am Mittwoch kündigte DBV-Vorstandsmitglied Holger Hennies in Cottbus an, Özdemirs Aussage erfülle ihn mit einem “inneren, heiligen Zorn”. Er selbst habe nachgerechnet und komme zu dem Schluss, dass die Landwirtschaft durch die Politik der Ampel-Koalition nicht stärker entlastet, als sie durch die Abschaffung der Steuererleichterung für Agrardiesel belastet werde. Bei der Befragung im Bundestag hatte Özdemir im Wortlaut zu CDU-Agrarpolitiker Albert Stegemann gesagt: “Allein die Kompensation für GLÖZ 8 ist ein Zigfaches dessen. Ich kann es Ihnen gerne mit Heller und Cent nachrechnen, was beim Agrardiesel passiert. Ein Zigfaches dessen. Also, wenn sie da fair wären, würden sie zugeben, dass das, was die Landwirtschaft bekommt, wesentlich mehr ist.” 

    DBV-Vizepräsident Holger Hennies will Özdemir das nicht durchgehen lassen

    “Das kann man ihm so nicht durchgehen lassen”, sagte der niedersächsische Landvolk-Präsident Hennies vor den Bauern. Aber auch die FDP kommt nicht ganz unbescholten davon. DBV-Vize Torsten Krawczyk aus Sachsen sagte am Mittwoch, es habe ihn verletzt, als ein Spitzenpolitiker der Freien Demokraten das Agrarpaket der Ampel-Koalition als großen Wurf bezeichnet habe. “Man muss schon aufrecht, gerecht und bei der Wahrheit bleiben”, so Krawczyk. Anders als Özdemir wird dieser FDP-Mann aber weder beim Namen genannt noch vor Publikum auf der Bühne konfrontiert.

    Krawczyk lobte CDU-Mann Jochen Borchert. Der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister habe als Leiter der Kommission für den Umbau der Nutztierhaltung Konflikte erkannt, Lösungen gefunden und sich dann die Frage gestellt, wie das Ganze bezahlt werden könne. Aktuell beobachte er lediglich einen “politischen Zirkus”. Dafür erntete Krawczyk langen Applaus.

    Der frisch im Amt bestätigte Bauernpräsident Joachim Rukwied teilte die Meinung, dass das Agrarpaket der Ampel-Koalition “kein Entlastungspaket” sei. “Diese Botschaft ist in Berlin angekommen”, sagte Rukwied am Mittwoch. Anders als Felßner, der Özdemir am Donnerstag mit neuen Protesten drohte, wenn es zu keiner “echten Kompensation” komme, hielt sich Rukwied mit solchen Aussagen aber zurück.

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    Ernährungsstrategie: Wie Özdemir daran scheiterte, die Ernährungsarmut de facto abzuschaffen

    Mit weitreichenden Maßnahmen wollte Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) die Ernährungsarmut in Deutschland nahezu abschaffen – blitzte mit seinem Vorstoß jedoch am Bundessozialministerium (BMAS) von Minister Hubertus Heil (SPD) ab. Das geht aus einem E-Mail-Verkehr zwischen beiden Häusern hervor, der Table.Briefings vorliegt.

    Am 7. Juni 2023 hatte das für Sozialpolitik zuständige Referat 724 im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) demnach um einen “fachlichen Austausch” mit dem BMAS gebeten. Özdemirs Beamte saßen zu dieser Zeit über ihrem Entwurf der Ernährungsstrategie. Offenbar in Erwartung schwieriger Debatten suchten sie mit dem Sozialministerium bereits vor dessen Fertigstellung das Gespräch. “Auch das Thema Ernährungsarmut soll in der Strategie behandelt und mit Maßnahmen unterfüttert werden”, schrieben sie an die BMAS-Kollegen. “Aus der beigefügten Anlage können Sie die Ziele und Maßnahmen ersehen, die aus Sicht des BMEL […] in die Ernährungsstrategie aufgenommen werden sollten.”

    BMEL schlug konkrete Maßnahmen vor

    Bereits das “Ziel” offenbart, wie ernst es Özdemir meinte: “Die Bundesregierung will die Zahl der Menschen, die von Ernährungsarmut betroffen sind, bis 2035 halbieren und bis 2050 um 95 Prozent reduzieren.” So steht es in dem dreiseitigen Anhang – nebst konkreten Maßnahmen:

    • Mit einem “Monitoring” sollte das BMAS “eine valide Datenlage” zur Zahl der von Ernährungsarmut Betroffenen sowie zu ihrem Gesundheitszustand schaffen.  
    • Eine neue Berechnungsmethode für staatliche Sozialleistungen wie das Bürgergeld sollte geprüft werden – um “künftig eine gesundheitsförderliche und nachhaltige Ernährung für alle Menschen zu ermöglichen”. Eine “Erhöhung der staatlichen Grundsicherungsleistungen” bis 2030 sollte den Einkauf auf Basis der neuen lebensmittelbezogenen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für Transferempfänger bezahlbar machen.
    • Das BMEL wollte ausloten, ob auch die “soziale Teilhabe im Ernährungsbereich” in die Berechnung der Sozialleistungen einfließen kann – Details nennt das Ministerium dazu nicht.
    • In einem Pilotprojekt sollten einkommensschwache Haushalte Gutscheine für Gemüse und Obst erhalten.

    Ende 2022 hatte Özdemir als erster Bundesminister Ernährungsarmut als Problem in Deutschland bezeichnet. Mit seinen Vorschlägen hätte es erstmalig ein Regierungskonzept und eine Zielmarke gegeben. Hätte: Denn keine der genannten Maßnahmen schaffte es in die vom Bundeskabinett beschlossene Ernährungsstrategie.

    Laut Schriftverkehr, den Table.Briefings im Zuge einer Informationsfreiheitsanfrage erhalten hat, kam es am 15. Juni 2023 zu einem auf zwei Stunden angesetzten Videogespräch zwischen den Fachleuten beider Ministerien. Ein Termin, zu dem es nach Angaben des BMEL kein Protokoll gibt. Fest steht nur: Das BMAS ließ die Kollegen abblitzen. Bereits der Entwurf der Ernährungsstrategie, den Özdemir am 10. November 2023 in die Ressortabstimmung gab, war weitaus weniger ambitioniert als der initiale Plan.

    BMAS legte Widerspruch in Bezug auf verwendete Begriffe ein

    Dennoch legten Heils Beamte Widerspruch ein, bereits in Bezug auf die verwendeten Begriffe. “Das BMAS lehnt die Definition von ‘Ernährungsarmut’ […] ausdrücklich ab”, antwortete das Referat Ga2 im BMAS, zuständig für Armuts- und Reichtumsfragen, am 30. November. Das BMEL hatte es im Entwurf als “materielle Ernährungsarmut” beschrieben, “wenn Menschen die finanziellen Mittel fehlen, um sich qualitativ oder quantitativ ausreichend ernähren zu können”. Ein BMAS-Beamter kommentierte dazu am Rande des BMEL-Entwurfs: “Es gibt Mindestsicherungsleistungen, die Armut verhindern.” Und wenn überhaupt, könne es nur “Armut”, aber keine Untergruppe von Armut geben. Mit dieser Begründung forderte das BMAS nicht nur, den Begriff “Ernährungsarmut” aus der Regierungsstrategie zu streichen. Es lehnte auch das vom BMEL vorgeschlagene Monitoring sowie eine “interministerielle Projektgruppe” ab, die “effektive Maßnahmen” gegen Ernährungsarmut erarbeiten soll.

    Im Zentrum der Kontroverse stand zudem der Wissenschaftliche Beirat des BMEL (WBAE). Dieser war bereits 2020 zu dem Schluss gekommen, dass die Sozialleistungen nicht ausreichten, um eine gesunde Ernährung zu bezahlen. Zwei Studien von 2021 und 2022 bestätigten dies. 2023 legte der WBAE nach und nannte in Deutschland rund drei Millionen Menschen “durch materielle Ernährungsarmut gefährdet”. Mit dieser Expertise argumentierte auch das BMEL – und stieß bei Heils Fachleuten auf Widerstand. “Behauptung und Berechnung” des WBAE teile man “aus methodischen Gründen” nicht, bemerkte ein BMAS-Beamter. Allenfalls die Aussage, dass “ein geringer finanzieller Spielraum” auch aus Sicht der Wissenschaftler ein “Stressfaktor” sei, wollte das BMAS zugestehen – ein weitergehender Verweis auf den WBAE aber sei “nicht akzeptabel.”

    Aus Armutsbetroffenen wurden “Personen mit geringem Einkommen”

    Nach diesen Rückmeldungen war es das BMEL, das sich quer stellte. Es halte am Begriff “Ernährungsarmut” fest, teilte es dem BMAS mit, und kämpfte auch um die interministerielle Projektgruppe. Diese sei “schon ein Kompromiss” zu einer “ursprünglich vorgesehenen Task-Force”. So kam es im Dezember 2023 zu einem regen E-Mail- und Telefonaustausch. Im Ringen um Kompromisse wurden Özdemirs Pläne weiter abgeschwächt, sprachlich wie substanziell. Aus Armutsbetroffenen wurden “Personen mit geringem Einkommen”. Das konkrete “Monitoring” wich der Ankündigung, ein “Forschungskonzept” zu erarbeiten, aus dem später “Ansätze für ein Monitoring abzuleiten” seien. Studien, die die Sozialleistungen deutlich als zu gering einstuften, weisen laut finaler Strategie nur noch darauf hin, dass es für Transferempfänger “schwierig ist”, sich gesund zu ernähren. Und auch die interministerielle Projektgruppe soll es nicht geben: In dem Papier ist lediglich von der Absicht die Rede, zu einer anderen Arbeitsgruppe eine “Untergruppe Ernährungsarmut” einzurichten – dass diese auch “effektive Maßnahmen” erarbeiten soll, ist nicht mehr vorgesehen. Grundsätzlich erklärt sich das BMAS damit einverstanden, “Mangel- und Fehlernährung als Folge von Armut […] stärker in den Blick zu nehmen”. Konkrete Vorschläge unterbreitet es ausweislich des Schriftverkehrs nicht.

    Ein Zugeständnis macht das BMAS, in dem es den Begriff “Ernährungsarmut” schließlich akzeptiert. Bei der Definition fehlt jedoch der Hinweis auf fehlendes Geld als Ursache. Stattdessen geht es abstrakt um einen “unzureichenden Zugang zu gesunder und nachhaltiger Ernährung” – und um “mangelnde Ernährungskompetenzen”. Ganz anders die Perspektive des Bundesumweltministeriums (BMUV). Im Zuge der Ressortabstimmung regte es an, zu formulieren: “Langfristiges Ziel ist es […], die Tafeln durch eine geeignete Ernährungs- und Sozialpolitik obsolet zu machen.” Nach der Kontroverse mit dem BMAS konnte das BMUV dafür aber nicht einmal mehr das BMEL begeistern.

    • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
    • Cem Özdemir
    • Ernährung
    • Ernährungspolitik
    • Ernährungsstrategie
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    BGH-Urteil: Warum Katjes-Werbung mit dem Begriff “klimaneutral” irreführend ist

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Werbung des Süßwarenherstellers Katjes mit dem Begriff “klimaneutral” für irreführend erklärt. Das Unternehmen darf seine Produkte also nicht mehr auf diese Weise vermarkten. Katjes hatte allerdings schon vor dem Urteil darauf verzichtet.

    Geklagt hatte die Wettbewerbszentrale dagegen, dass Katjes seine “Grün-Ohr-Hasen” mit dem Slogan bewirbt: “Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral.” Ihr Argument: Es bestehe die Gefahr, dass der Begriff so verstanden würde, als dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral sei. Deshalb brauche es zumindest die Ergänzung, dass Klimaneutralität durch Kompensation entstehe.

    In seinem Urteil gibt der BGH der Wettbewerbszentrale nun recht. Der Begriff könne “sowohl im Sinne einer Reduktion von CO₂ im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO₂ verstanden werden”, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts. Gleichzeitig sei die Irreführungsgefahr bei umweltbezogener Werbung sehr groß, weshalb besonderer Aufklärungsbedarf bestünde.

    “Klimaneutralitätssiegel sind unhaltbar”

    Um “klimaneutral”-Siegel auf Produkten gibt es schon länger Streit. Der Vorwurf: Die Siegel würden den Verbraucher irreführen und suggerieren, dass bei der Produktion der Produkte keine Emissionen entstanden sind. “Klimaneutralitätssiegel sind unhaltbar”, sagt dazu Carsten Warnecke vom Thinktank New Climate Institute zu Table.Briefings. Die Siegel hätten keine Aussagekraft darüber, welche Anstrengungen Firmen zum Klimaschutz unternehmen, weil sie nichts über Emissionsreduzierung und Restemissionen aussagen. Stattdessen sollten Unternehmen ihre Bemühungen detaillierter und transparenter kommunizieren. Dass Katjes inzwischen – anders als die Konkurrenz – fast ausschließlich vegane Fruchtgummis produziere, sei sicher ein Schritt in die richtige Richtung, das Siegel “klimaneutral” dagegen nicht. Der Begriff ergebe für Staaten Sinn, die Restemissionen durch Kohlenstoffsenken ausgleichen könnten, für Produkte allerdings nicht, so Warnecke.

    Ende 2023 haben etwa die Verbraucherzentralen Klimaaussagen auf 87 Produkten untersucht. Sie registrierten dabei eine Vielzahl von unterschiedlichen Siegeln und Formulierungen und kamen zu dem Ergebnis, dass eine “sichere Beurteilung der Aussagekraft und Zuverlässigkeit von Klimaaussagen durch Verbraucher:innen derzeit nahezu unmöglich” sei. “Wir müssen uns von der naiven Annahme verabschieden, dass freiwillige Initiativen zur Selbstregulierung für Klimaschutz sorgen”, meint Warnecke. “Stattdessen brauchen wir staatliche Regulierung”.

    EU verbietet Werbung mit Klimaneutralität wegen Kompensation

    Noch vor der Entscheidung im Katjes-Fall hatte die EU bereits Klarheit geschaffen: Ende März 2024 trat ein Gesetz gegen Greenwashing in Kraft, durch das irreführende Werbung mit Umweltversprechen verboten wird. Produkte, die Emissionen durch Kompensation ausgleichen, dürften dann beispielsweise nicht mehr als “klimaneutral”, “zertifiziert CO₂-neutral” oder “CO₂-positiv” bezeichnet werden. Die Staaten haben nun zwei Jahre Zeit, diese Regelung in nationales Recht umzusetzen. “Auf Produkten wird der Claim klimaneutral dann wohl nicht mehr verwendet werden”, meint Johanna Wurbs vom Umweltbundesamt zu Table.Briefings.

    Mit der Green-Claims-Regelung der EU sollen Werbeaussagen außerdem in Zukunft vergleichbarer und zuverlässiger werden; über sie wird demnächst im EU-Parlament diskutiert. Agnes Sauter von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hofft, dass eine ambitionierte Fassung der Green-Claims-Regulierung verabschiedet wird. Insbesondere sei dafür wichtig, dass die ex ante Verifizierung von solchen Behauptungen realisiert werde. Das bedeutet, dass Claims vor Veröffentlichung von unabhängigen Prüfstellen gegengecheckt werden.

    Gleichzeitig soll der Begriff Klimaneutralität an robuste Standards geknüpft werden. Dazu wurde Ende 2023 die ISO 14068-1 Norm zu “carbon neutrality” veröffentlicht. “Eine wichtige Richtlinie”, meint Wurbs. “Erstmals wird Klimaneutralität damit weltweit als Standard definiert”. Zwar sei die Diskussion innerhalb der EU auf Produktebene weitgehend beendet, auf Unternehmensebene gehe sie aber weiter. Für das Umweltbundesamt hat die Norm aber auch Schwächen. In einem Factsheet schreibt es beispielsweise, theoretisch könnten auch “Unternehmen mit hohen THG-Emissionen und Unternehmen mit einem auf fossiler Energienutzung basierenden Geschäftsmodell die Norm erfüllen”.

    Der deutsche Gesetzgeber drücke sich – anders als die EU – davor, eine aktive Rolle einzunehmen, um diese Missstände anzugehen, meint Warnecke. Es entstehe der Eindruck, die Verbraucherschutzministerien überließen es Verbänden wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH), mit viel Aufwand und Ressourcen Klagen gegen Unternehmen zu führen, und schauten selbst nur zu.

    Bisherige Entscheidungen zur Werbung mit Klimaneutralität

    Gegen Katjes hat im aktuellen Fall aber nicht die DUH geklagt, sondern die Wettbewerbszentrale, die sich für fairen Wettbewerb einsetzt. Obwohl es inzwischen die neuen gesetzlichen Regelungen gibt, legte die Wettbewerbszentrale im Fall Katjes Revision vor dem BGH ein. “Wir wollen damit mehr Rechtssicherheit für die Werbung mit umweltbezogenen Begriffen schaffen”, erklärte Ulrike Gillner von der Wettbewerbszentrale vor dem Urteil im Gespräch mit Table.Briefings. Klimaneutralität sei ein unscharfer Begriff, daraus gehe nicht hervor, ob Unternehmen tatsächlich selbst Treibhausgase einsparen oder bloß Zertifikate kaufen.

    Bisher hatten deutsche Gerichte zur Verwendung des Siegels “klimaneutral” unterschiedlich geurteilt. Im Juli 2023 entschied beispielsweise das Landgericht Karlsruhe, dass die Drogeriemarktkette “dm” bestimmte Seifen damit nicht bewerben darf. Im selben Monat hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf allerdings Katjes erlaubt, seine Produkte weiterhin mit dem Label “klimaneutral” anzupreisen. Aus Sicht des BGH zu Unrecht: Ein Unterschied zwischen den Fällen ist zwar, dass Katjes auf die Website des Zertifizierers Climate Partner verwiesen hat, wo sich die Kriterien zur Zertifizierung nachlesen lassen – während dieser Hinweis bei dm fehlte. Nach Auffassung des Gerichts muss “bereits in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung” des Begriffs “klimaneutral” entscheidend ist.

    Einsicht bei Unternehmen und Zertifizieren

    “dm” hatte schon während des Verfahrens reagiert und erklärt, Produkte in Zukunft nicht mehr so bewerben zu wollen. Auch die Drogeriemarktkette Rossmann hatte sich schon Anfang 2023 entschieden, nicht mehr mit Klimaneutralität zu werben. “Das Label ist im Grunde tot“, hatte Geschäftsführer Raoul Roßmann damals der Zeit erklärt. Selbst der Zertifizierer Climate Partner scheint das so zu sehen: Er hat den Begriff “klimaneutral” inzwischen durch das Label “Finanzieller Klimabeitrag” ersetzt. Mitarbeit: Nicolas Heronymus

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    News

    Neue Gentechniken: Was das Scheitern der belgischen EU-Ratspräsidentschaft bedeutet

    Nachdem die belgische EU-Ratspräsidentschaft es trotz intensiver Bemühungen nicht geschafft hat, unter den Mitgliedstaaten einen mehrheitsfähigen Kompromiss zur Deregulierung neuer Gentechniken zu finden, dürfte die Arbeit an dem Dossier auf absehbare Zeit deutlich schleppender vorangehen. Ungarn, das ab 1. Juli die Ratspräsidentschaft übernimmt, gilt als gentechnik-kritisch.

    Man werde die Gespräche weiterführen, sagt ein Sprecher der ungarischen Präsidentschaft zu Table.Briefings, will sich aber nicht dazu bekennen, während der sechsmonatigen Amtszeit auch eine Einigung anzustreben. Auch Polen, das im Anschluss in der ersten Jahreshälfte 2025 den Ratsvorsitz innehaben wird, ist bisher nicht von dem Vorschlag überzeugt. Die scheidende belgische Ratspräsidentschaft hatte noch Anfang der Woche einen letzten Kompromissvorschlag vorbereitet, entschied sich aber letztlich, ihn nicht mehr den EU-Botschaftern vorzulegen, weil sich weiter nicht die nötige Mehrheit abzeichnete.

    Der EU-Bauernverband Copa Cogeca reagierte mit Bedauern auf das Scheitern der Bemühungen Belgiens. Werde der Deregulierungsvorschlag nicht bald umgesetzt, würden Landwirte in der EU gegenüber Kollegen in Drittstaaten benachteiligt. Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) begrüßte die Verzögerung dagegen und sprach zum Start der ungarischen Präsidentschaft von einer Atempause zu dem Thema. jd

    • EU-Gentechnik
    • EU-Gentechnikrecht
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    Gemeinsame Agrarpolitik: Wie Bund und Länder Regeln zur Fruchtfolge vereinfachen wollen

    Bund und Länder haben sich geeinigt, wie die von der EU erlaubten Lockerungen innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Deutschland umgesetzt werden sollen. Einen entsprechenden Beschluss verabschiedete die Agrarministerkonferenz (AMK) am Donnerstag im Umlaufverfahren.

    Strittig war vor allem eine Lockerung der Regel zur Fruchtfolge (GLÖZ 7). Die von der EU vorgesehene Option, statt dem Fruchtwechsel auch Nutzpflanzenvielfalt zu erlauben, setzt die Bundesrepublik laut der Einigung nun nicht um. Die Fruchtfolgeregelung soll aber vereinfacht werden. Künftig soll gelten: Auf jedem Ackerschlag muss spätestens nach drei Jahren die Hauptkultur gewechselt werden. Bisher ist vorgeschrieben, jedes Jahr auf mindestens einem Drittel der Ackerfläche die Hauptfrucht zu wechseln. Damit entfielen “starre prozentuale Flächenangaben”, auch komplexe Sonderregelungen zu Zwischenfrüchten und Untersaaten fielen weg, erklären die Länder im AMK-Beschluss.

    Vereinfachung vor allem für kleine Betriebe

    Thünen-Wissenschaftler Norbert Röder sieht in der Änderung eine “leichte Vereinfachung”. Profitieren dürften vor allem kleinere Betriebe, die jedes Jahr nur sehr wenige Ackerkulturen, aber in kurzer Fruchtfolge anbauen. Gleichzeitig sei der Schaden für die Umwelt durch die Vereinfachung gering, weil auch die ursprüngliche Regelung ohnehin kaum Nutzen gebracht habe.

    Vereinfacht werden sollen auch die Regeln zum Erhalt von Dauergrünland (GLÖZ 1), zur Bodenerosion (GLÖZ 5), und zur Bodenbedeckung (GLÖZ 6). So sollen keine festen Zeiträume mehr zur Mindestbodenbedeckung gelten, statt eines fixen Datums solle die “gute fachliche Praxis” zugrunde gelegt werden.

    Um den Wegfall der vier Prozent Pflichtbrache auszugleichen, gibt es zusätzliche freiwillige Förderangebote: Über die Ökoregelung 1 können künftig Brachen von bis zu acht Prozent der Ackerfläche gefördert werden, statt wie bisher sechs. Und auch die Regeln für die Förderung von Blühstreifen, die Landwirte immer wieder als zu eng gefasst kritisiert hatten, werden flexibilisiert. Ziel bleibt es weiter, die Änderungen am GAP-Strategieplan für 2025 bis Mitte Juli bei der EU-Kommission einzureichen. jd

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    Must Reads

    Lebensmittelzeitung: Dänemark führt Klimasteuer für die Landwirtschaft ein

    Dänemark will als erstes Land der Welt eine Klimasteuer für die Landwirtschaft einführen. Darauf hat sich die Regierung in Kopenhagen verständigt. Die Steuer soll ab 2030 gelten. Bauern müssten dann für ihre CO₂-Emissionen zahlen, anfangs 40 Euro pro Tonne und 100 Euro ab 2035. Zusätzlich soll ab 2028 eine CO₂-Steuer auf Emissionen aus kohlenstoffreichen Tieflandböden erhoben werden. Ein Landwirtschaftsfonds von 5,4 Milliarden Euro soll Landwirte für Klimaleistungen entschädigen, etwa, wenn sie landwirtschaftliche Flächen aufforsten. Für das Jahr 2023 erwartet die Regierung durch diese Maßnahmen eine Reduktion der CO₂-Emissionen um mindestens 1,8 Millionen Tonnen. Zum Artikel

    Der Spiegel: Soziologin über Stimmung in der Landwirtschaft: Wie zornig und rechts sind die Bauern, Frau Pieper?

    Im Spiegel-Interview äußert sich die Agrarsoziologin Janna Luisa Pieper zum Rechtsruck in der Landwirtschaft. Trotz des beschlossenen Agrarpakets der Bundesregierung glaubt sie nicht, dass sich die Stimmung unter den Bauern beruhigt. Im Gegenteil: Pieper spricht von anhaltender Unzufriedenheit und Wut. Sie nennt existenzielle Ängste sowie einen Mangel an gesellschaftlicher Wertschätzung als zentrale Ursachen dafür, dass die Proteste auch in Zukunft nicht abreißen dürften. Die Anforderung, mehr Tierwohl, Biodiversität und Klimaschutz zu liefern, führe zu enormem Druck. Das erkläre den Rechtsruck im Agrarsektor allerdings nur in Teilen. Während der Bauernproteste seien über Social Media viele rechtsextreme Ideologien verbreitet worden. Es gäbe Verbindungen zwischen der “Querdenker”-Szene, der “Neuen Rechten” und landwirtschaftlichen Akteuren. Diese Netzwerke nutzten Social Media, um ihre Botschaften zu verbreiten und Unterstützung zu mobilisieren. Zum Interview

    Reuters: Vandals destroy Italy’s first experimental rice field

    In Italien wurde ein Testfeld mit genmodifiziertem Reis von Vandalen systematisch zerstört und damit die Ergebnisse von Forschungsarbeiten gefährdet. Das von der Universität Mailand durchgeführte Experiment sollte Erkenntnisse zur Verbesserung der Resistenz von Reis gegen Krankheitserreger bringen und so zur Reduktion umweltschädlicher Pestizide beitragen. Aufgrund der Schäden am Reisfeld müsste der Versuch im nächsten Jahr wiederholt werden, allerdings läuft die derzeitige Genehmigung Ende 2024 aus. In der Landwirtschaft sind jahrzehntelang keine gentechnischen Experimente genehmigt worden. Für die Forschung der Universität Mailand wurde ein italienisches Notstandsdekret genutzt, das im vergangenen Jahr zur Bekämpfung der Dürre erlassen worden war und das vorübergehend Feldversuche mit Pflanzen erlaubte, die mithilfe von neuen genomischen Techniken (NGT) gewonnen wurden. Zum Artikel

    Agrifood.Table Redaktion

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