Table.Briefing: Agrifood

Ausblick 2024 + GFFA + Prof. Taube zur Agrarwende

Liebe Leserin, lieber Leser,

traditionell findet im Januar das Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) im Rahmen der internationalen Grünen Woche in Berlin statt. In 2024 steht der vom Bundeslandwirtschaftsministerium ausgerichtete Kongress, zu dem rund 70 Agrarminister und -ministerinnen aus der ganzen Welt anreisen, im Zeichen nachhaltiger Ernährungssysteme und der Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen.

Nach den jüngsten Zahlen hungert jeder zehnte Mensch auf dieser Erde. Mehr als zwei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten. Vor diesem Hintergrund will das BMEL den internationalen agrarpolitischen Dialog intensivieren und beschleunigen.

Vier Themenschwerpunkte setzt der Gastgeber: nachhaltige Produktion von Lebensmitteln und Ernährungssouveränität, resiliente und nachhaltige Lieferketten, Lebensmittelverluste und -verschwendung sowie vulnerable Gruppen.

Das GFFA findet vom 17. bis 20. Januar statt. Am letzten Tag findet die informelle Agrarministerkonferenz statt, während der ein politisches Kommuniqué beschlossen werden wird. Neben den Agrarministern nehmen Vertreter internationaler Organisationen, wie die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Welthandelsorganisation (WTO) und die Weltbank, teil.

Ihre
Henrike Schirmacher
Bild von Henrike  Schirmacher

Analyse

Welche Änderungen für Agrarorganisationen 2024 relevant sind

Sparpläne der Bundesregierung: Die Streichung der Agrardieselvergünstigung als auch die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge dürfte auch im neuen Jahr für Zündstoff sorgen. Noch hat die Ampelkoalition keine alternativen Sparpläne veröffentlicht. Ihren Willen dazu aber bekundet. Die FDP-Bundestagsfraktion hat beispielsweise vorgeschlagen, Bundesmittel für den Umbau der Tierhaltung zu kürzen. Der Deutsche Bauernverband (DBV) kündigte weitere Proteste gegen die Sparpläne an.

EU-Verpackungsverordnung: Direkt zu Beginn des neuen Jahres nehmen der Rat, die Kommission und das Parlament die Trilogverhandlungen über die EU-Verpackungsverordnung auf. Nach Informationen von Table.Media ist das erste politische Treffen für den 10. Januar geplant, allerdings noch nicht offiziell bestätigt. Wegen der kontroversen Positionen zu dem Gesetz ist ungewiss, wie lang die Verhandlungen dauern werden. Die Verhandler streben eine Einigung vor dem Ende der Legislaturperiode an.

EU-Renaturierungsgesetz: Das Trilogergebnis zum Nature Restoration Law hat die Zustimmung des Umweltausschusses gefunden. Damit kann das Gesetzgebungsverfahren bald abgeschlossen werden. Es fehlt noch grünes Licht im Plenum. Dies wird voraussichtlich in der Woche vom 26. Februar sein. Dann muss der Rat auch seine förmliche Zustimmung erteilen. Da der Text bereits grünes Licht von den EU-Mitgliedstaaten erhalten hat, ist dies nur noch eine Formalität.

EU-Gentechnikrecht: Ohne die Zustimmung Deutschlands ist es schwierig, eine qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag der Brüsseler Behörde zur Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts zustande zubringen. Ab Januar übernimmt die belgische Ratspräsidentschaft die Verhandlungen zu offenen EU-Dossiers. Ob das Land eine Einigung der EU-Mitgliedstaaten vor den Europawahlen herbeiführen wird, ist allerdings offen.

Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung: Die Ampelkoalition muss im ersten Halbjahr eine Überarbeitung der Verordnung für den Einsatz des umstrittenen Herbizids Glyphosat auf den Weg bringen. Bislang ist dort noch ein Verbot glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel ab 2024 verankert. Novellierte Vorgaben im Rahmen der EU-Verordnung zur erneuten Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat müssen aber in nationalem Recht umgesetzt werden. Übergangsweise gilt eine Eilverordnung, damit glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel weiterhin eingesetzt werden können in Deutschland.

GAP: Die aktuelle GAP-Förderperiode geht in ihr zweites Jahr. Für Landwirte bringt diese kleine Veränderungen mit sich. Ob das reicht, um die Öko-Regelungen bei den Landwirten auch wirklich attraktiver zu machen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. So oder so ringen die zuständigen Instanzen aber bereits um weitere Anpassungen der GAP, die ab dem Jahr 2025 greifen könnten. Dem BMEL schweben neue Öko-Regelungen und Änderungen bei den GAP-Modalitäten vor. Dafür konnte sich in der Agrarministerkonferenz jedoch bislang keine Mehrheit finden.

Einige agrarpolitische Akteure sind derweil bereits dabei, ihren Blick noch viel weiter in die Ferne zu richten. Die Diskussion um die GAP nach 2027 dürfte in diesem Jahr an Fahrt aufnehmen. Nachdem die Verbände-Plattform und der Bauernverband (DBV) bereits Ende vergangenen Jahres ihre Ideen und Forderungen für die neue GAP-Förderperiode veröffentlicht haben, warten Landwirtschaftslobby und Umweltverbände nun gespannt auf die Vorschläge, die das BMEL dieses Jahr in Brüssel einreichen wird.

GAK: Dem ländlichen Raum stehen in diesem Jahr weniger Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK) zur Verfügung. Obwohl die massiven Kürzungen vor Jahresende in den Haushaltsverhandlungen leicht abgeschwächt werden konnten, muss der ländliche Raum mit mehr als 200 Millionen Euro weniger auskommen. Gleichzeitig steht eine Flexibilisierung der GAK zugunsten der Länder an. So sollen GAK-Mittel, die bis zum 31. August 2024 nicht abgerufen worden sind, unter den Bundesländern aufgeteilt werden.

Ernährungsstrategie: Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir ist der Bevölkerung 2024 noch eine Ernährungsstrategie schuldig. Die bereits für das vergangene Jahr versprochene Strategie hatte es Mitte November zwar in die Ressortabstimmung geschafft, war dann aber nicht mehr wie angekündigt zum Jahresende von der Bundesregierung beschlossen worden. “Zeitnah” soll das laut BMEL nun nachgeholt werden. Bis die ersten Maßnahmen aus der Ernährungsstrategie dann aber auch wirklich umgesetzt werden, kann es noch weit länger dauern. Das BMEL selbst peilt hierfür das Jahr 2025 an.

Agri-PV: Der Bundestag hat im Oktober erstmals über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beraten, das die Weichen für den Ausbau von Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen – kurz Agri-PV – stellt. Im Anschluss an die erste Lesung im Bundestag wurde das sogenannte Solarpaket 1 an den zuständigen Ausschuss überwiesen. Dort hatten Experten Änderungen angemahnt. Die weiteren Lesungen des Gesetzes im Bundestag stehen damit noch aus. Die Verordnung, die das Solarpaket 1 für die Kombination von Photovoltaik und Biodiversität vorsieht, wird für März erwartet.

Unfaire Handelspraktiken des LEH: Der Bundestag verhandelt derzeit über einen Entschließungsantrag, um die Regeln gegen “unfaire Handelspraktiken” im Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz zu überarbeiten. Laut der zuständigen Berichterstatterin der SPD-Fraktion, Franziska Kersten, wird darin unter anderem gefordert, dass Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 4 Milliarden Euro in den Schutzbereich der Regelungen miteinbezogen werden. Bislang schützt das Verbot unlauterer Handelspraktiken Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis zu 350 Millionen Euro, sowie abweichend davon Lieferanten von Milch-, Fleisch-, Obst-, Gemüse- und Gartenbauprodukten mit einem Jahresumsatz von bis zu 4 Milliarden Euro. Diese Ausnahmeregelung ist allerdings bis 2025 befristet. In dem Antrag wird zudem gefordert, bestimmte Handelspraktiken, die zuvor als “graue Handelspraktiken” galten, als “schwarze Handelspraktik” zu deklarieren und damit grundsätzlich zu verbieten. Das umfasst unter anderem die Regalpflege. Das ist eine Praxis, bei der Lieferanten nach eigenem Ermessen nicht verkaufte Lebensmittel in den Filialen zurücknehmen und gegen frische Ware austauschen können. Mit einem Verbot soll verhindert werden, dass Erzeuger für nicht abgeholte Ware das alleinige Kostenrisiko tragen.  

Nach Vorlage des Entschließungsantrages wird das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) einen Gesetzesentwurf auf den Weg bringen, der den formalen Gesetzgebungsprozess innerhalb der nächsten 6 Monate durchlaufen könnte, sagt BMEL-Staatssekretärin Silvia Bender. Bender spricht zudem für die Einführung sogenannter Drei-Parteien-Verträge aus, die über die Wertschöpfungskette hinweg klare Gewinnmargen für alle Beteiligten – also Erzeuger, Lieferer, und Einzelhandel – festlegen. Der genaue Inhalt des Gesetzesentwurfs bleibt damit noch abzuwarten.  

  • Agrarpolitik
  • Agri-PV
  • Deutschland
  • Ernährungsstrategie
  • EU
  • EU-Gentechnik
  • EU-Gentechnikrecht
  • EU-Renaturierungsgesetz
  • Franziska Kersten
  • Glyphosat
  • Lebensmittel
  • Nature Restoration Law
  • UTP-Richtlinie

Forscher zur Agrarwende: “Die Kanzlerpartei fällt völlig aus”

Professor Friedhelm Taube, Agrarwissenschaftler an der Universität Kiel

Herr Professor Traube, 2017 wären Sie fast Daniel Günthers Landwirtschaftsminister geworden. Es wurde dann aber eine Jamaika-Regierung mit Robert Habeck als Agrarminister. Hat Sie das gewurmt?

Nein, ich habe als parteiloser Verhandlungsführer der CDU für den Bereich Landwirtschaft und Umwelt einen wissenschaftlich fundierten Koalitionsvertrag mit entwickelt; das war gut so.

Sie haben 30 Jahre die Forschungsbereiche Pflanzenbau und ökologischer Landbau in Kiel geleitet und waren neun Jahre im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Sie sind also intensiver Begleiter der Agrarwende, der sich die EU mit dem Green Deal verschrieben hat. Geht sie voran?

Es wird häufig so getan, als ob die Agrarwende eine politische Entscheidung wäre. Dabei steht hinter dem Green Deal der Joint Research Council, das Wissenschaftsgremium der EU. Was hier umgesetzt werden soll, ist nichts anderes als der Stand der Forschung zur Frage, wie Landnutzung im Einklang mit Ressourcenschutz laufen sollte. Dieser Weg muss ambitioniert beschritten werden – und das ist leider nicht der Fall.

Woran hakt die Agrarwende?

Wir Wissenschaftler glaubten, dass mit dem Regierungswechsel ein Aufbruch kommt, nach dem jahrelangen Bremsen seitens der CDU-CSU und dem Klöckner-Ministerium. Aber das ist nicht der Fall. Die FDP hat die Lobby-Vertretung der Union zu 110 Prozent übernommen. Die Grünen und Cem Özdemir gehen bei weitem nicht mutig genug an die Konflikte mit den Koalitionspartnern heran. Und die Kanzlerpartei? Fällt völlig aus. Niemand seitens der SPD versucht, den gordischen Knoten zu durchschlagen.

“Wir müssen von unserem Fleischkonsum massiv herunter”

Welche Art der Transformation brauchen wir?

Das Wichtigste ist, den Bevölkerungen in den reichen Ländern die Notwendigkeit einer Ernährungswende zu vermitteln und diese politisch zu untermauern. In Deutschland lehnen die konservativen Parteien einen Abbau der Subventionen für die Tierindustrie ab, die jährlich Milliardenbeiträge verschlingen. Begründung: Jeder solle selbst entscheiden dürfen, was er verzehrt. Das ist ein Wegducken vor gesellschaftlichen Problemen. Wir haben gigantische Kosten im Gesundheitswesen durch Fehlernährung. Ich kenne keine Studie weltweit, die das anders sehen würde – mal abgesehen von jenen im Auftrag des Bauernverbands. Wir müssen von unserem Fleischkonsum massiv herunter.

Massiv weniger Fleisch heißt konkret?

Es geht um Größenordnungen von 50 bis 70 Prozent.

Aus gesundheitlichen Gründen.

Und wegen unserer knappen Ressourcen. Für das Erzeugen von einer Kalorie Rindfleisch brauchen wir achtmal so viel Land wie für eine pflanzliche Kalorie. Wenn wir in den reichen Ländern den Verzehr tierischer Produkte halbieren würden, könnten wir zugleich den Hunger in der Welt halbieren. Der Hebel ist immens. Europa könnten seine Exporte an Brotgetreide dadurch mehr als verdoppeln, wie eine neue Nature-Studie zeigt. Wir könnten den Amazonas schonen, statt tropische Urwälder weiter zu roden für den Soja-Anbau. Und müssten dafür nicht Vegetarier werden, sondern konsequent ‘Flexitarier’.

Was ist dran an den Heilsversprechen durch die neuen genomischen Züchtungstechniken wie CripsrCas?

Auch wenn ich überzeugt  bin, dass wir in den nächsten zehn Jahren auch CRISPRCas-Ansätze  brauchen werden, sollten wir die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Wir brauchen sie, um den Einsatz des chemischen Pflanzenschutzes zu reduzieren. Nur: Mehr ernten werden wir dadurch sehr wahrscheinlich nicht. Höhere Erträge sehen wir heute schon in der klassischen Züchtung. Sie werden aber draußen auf den Äckern nicht mehr umgesetzt.

“Im Norden züchten sie geradezu Krankheiten und Unkräuter”

Keine höheren Ernten trotz besserer Züchtung – warum nicht?

Die Kulturvielfalt fehlt, die die Pflanzen widerstandsfähig macht. Vor 30 Jahren hatte man auf einem Acker in der Regel Kleegras, Getreide, Raps, Rüben und mehr. Heute gibt es in einer sogenannten Fruchtfolge oft nur noch zwei bis drei Kulturen, auch wenn die europäische Agrarpolitik neuerdings vier vorschreibt, was nur auf sehr begrenzter Fläche umgesetzt wird. Hier im Norden ist die gängige Fruchtfolge Raps-Weizen-Weizen. Wenn der Raps sehr viel Geld bringt, bauen die Landwirte ihn jedes zweite Jahr an. Und wundern sich dann über Rapskrankheiten, die wir seit 60 Jahren nicht mehr hatten. Sie züchten geradezu Krankheiten und Unkräuter. Der Ackerfuchsschwanz ist mittlerweile im Getreide herbizidresistent.

Vielfältige Fruchtfolgen würden mehr helfen als neue Pflanzenzüchtungen?

Bevor wir über gesellschaftlich umstrittene Technologien reden, müssten wir dringend über andere Innovationen sprechen. Wir haben einen zweijährigen Anbau von Kleegras im ökologischen und im konventionellen Landbau getestet. Ergebnis: Wir brauchten keine Pflanzenschutzmittel mehr! Stattdessen: Kohlenstoffspeicherung, Stickstoff aus der Luft, die CO2-Emissionen gegen Null. Und: Die Futterpflanze Kleegras stellt Eiweiß bereit – adé Importsoja. Wir haben der Bundesregierung vorgeschlagen, Kleegras in die Ökoregeln für alle Landwirte aufzunehmen – bisher noch ohne Erfolg.

Apropos ökologisch: Was ist mit dem Argument des Bauernverbands, das Bio-Anbau durch seine geringeren Erträge die Welternährung gefährde?

Das Argument ist falsch. Wenn wir weniger Fleisch konsumierten, könnten wir sogar mehr Ökolandbau machen, und dennoch den Welthunger bekämpfen. Dennoch halte ich die politische Agenda der Ampel, 30 Prozent Ökolandbau bis 2030, weder für realistisch noch für sinnvoll. Wir haben in einigen Bundesländern gerade mal um die sechs Prozent.

Warum stellen nicht mehr Landwirte um?

Ich bin viel draußen und spreche mit Landwirten, die gerne etwas für die Umwelt tun möchten. Die beobachten dann aber beispielsweise beim Nachbarn, der vor vier Jahren auf Bio umgestellt hat, dass er erstmal zwei Hungerjahre überstehen musste – in denen er die Erzeugnisse noch nicht als Bio vertreiben durfte – und dann für seine Milch nicht den vollen Ökopreis bekommt. Da sagt er sich natürlich, warum soll ich dieses Risiko eingehen? Es gäbe andere Lösungen. Nur bietet die Politik sie nicht an.

Was schlagen Sie statt Bio vor?

Wir nennen das dritte Wege zur Ernährung der Welt. Das war ein großes Forschungsprojekt, das wir mit weltweit 20 Doktoranden durchgeführt haben. Dritte Wege sind Hybridsysteme mit Elementen des Ökolandbaus. Wenn konventionelle Landwirte nur 50 Prozent ihrer Fruchtfolge an Ökostandards ausrichten, kommen sie schon ohne Pflanzenschutz und Mineraldünger aus. Aber anstatt solche gangbaren Wege konsequent zu beschreiten, beharrt die eine Seite auf dem Status Quo, während die andere die reine Öko-Lehre vertritt. Ich sehe keine Politik, die sich am Machbaren orientiert.

“Werbung für eine Gruppe gehört sich nicht für einen Agrarminister”

Einspruch! Bio ist machbar, normiert und wird kontrolliert. Bestünde nicht die Gefahr eines Greenwashings bei dritten Wegen, etwa mit einer Kleegras-Anbaupflicht?

Die Betriebe sind in Bezug auf ihre Flächennutzung perfekt kontrolliert. Wir haben Satellitenaufnahmen, die genau zeigen, welche Kultur wo steht. Im Übrigen: Es ist vollkommen unangemessen, wenn Cem Özdemir den Ökolandbau in großen Anzeigen in Bezug auf Klimafreundlichkeit bewerben lässt. Die Klimabilanz zwischen Bio-Betrieben variiert nämlich mehr als die zwischen öko und konventionell. Werbung explizit für eine Gruppe der Landwirtschaft gehört sich nicht für einen Agrarminister.

Wie würden Sie Landwirte für Ihren öko-konventionellen-Weg gewinnen?

Wir könnten sofort im aktuellen Subventionssystem beginnen. Normalerweise baut der Landwirt als Futterpflanze langjährig auf der gleichen Fläche Mais an. Man könnte erhebliche Umweltkosten vermeiden, indem man ihm einen Ausgleich dafür gibt, dass er abwechselnd mit der Alternative Kleegras einen etwas geringeren Ertrag einfährt, aber mehr für die Umwelt leistet.

Und wie würden Sie die Gemeinsame Agrarpolitk langfristig entwickeln?

Es darf kein Geld mehr für Landbesitz geben. Heute zahlt die EU noch rund 150 Euro pro Hektar, die letztlich nur das Land verteuern. Ab 2028 sollte es nur noch Geld geben für Ökosystemleistungen. Dafür gibt es Modelle. Die Gemeinwohlprämie des Deutschen Verbands für Landschaftspflege hat sogar im EU-Parlament eine Mehrheit bekommen. Aber der Rat hat sie nicht verabschiedet, weil die konservative EVP dagegen war. Das ist inakzeptabel – besonders angesichts der aktuellen, auch finanziellen Situation.

Ist das, was Sie fordern, “regenerative Landwirtschaft”?

Der Begriff ist nicht geschützt, jeder kann sich regenerativ nennen. Eigentlich geht es um eine Rückbesinnung auf klassische ackerbauliche Regeln: Anbausysteme mit mehr Diversität, mit Tiefwurzlern wie Kleegras oder Leguminosen, die Wurzelgänge für nachfolgende Kulturen bilden, so dass Wasserzugänge erleichtert werden.

Dringen Sie mit diesen Vorschlägen bei den Agrarministern der Länder durch?

Bayern als sehr reiches Land ist da ein Vorreiter. Die haben ein Programm Luzerne, insbesondere in Franken, wo man Probleme mit Nitrat hat aufgrund der Durchlässigkeit der Böden und der Trockenheit. Indem sie dort zwei, drei Jahre Luzerne oder Kleegras anbauen, lösen sie das Problem. Abgesehen von Bayern sind die unionsgeführten Ministerien aber eher auf dem KI-Technologietrip. Und die grün geführten versuchen primär, Ökolandbau zu fördern.

Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist Düngung. Brüssel fand die 2017 und 2020 verbesserte Düngeverordnung (DÜV) so gut, dass es im Juni das Verfahren gegen Deutschland wegen erhöhter Nitratwerte eingestellt hat. Ihr Erfolg?

Nicht ‘mein Erfolg’, nein, aber ich denke, als Wissenschaftler einen notwendigen Beitrag geleistet zu haben. Das Julius-Kühn-Institut hat die Umsetzung der neuen DÜV in sechs Regionen in Deutschland untersucht – bei freiwilligen Teilnehmern. Ergebnis: Die Hälfte der Betriebe macht es sehr gut, die andere nicht. Und das sind Höfe, die glauben, dass sie gut sind! Trotzdem: Wir haben deutschlandweit eine Reduktion der Stickstoffüberschüsse um etwa 20 Prozent in fünf Jahren. Das zeigt, dass das Ordnungsrecht wirkt.

“Die Phosphorprobleme sind in manchen Regionen ernster als Nitrat”

Gegen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hat die Deutsche Umwelthilfe wegen Nitratbelastung im Emsland kürzlich vor Gericht gesiegt. Hat Brüssel also voreilig Deutschland vom Haken gelassen?

Die Einstellung des Verfahrens gegen Deutschland drückte ein Vorschussvertrauen aus. Wobei immer noch Klagen in Hinblick auf die EU-Wasserrahmenrichtlinie und  Ammoniak aus der Landwirtschaft drohen. Und in der EU-Meeresstrategie kommt Phosphat zum Tragen. Die Phosphorprobleme sind in manchen Tierhaltungsregionen noch deutlich ernster als die Nitratbelastung …

… die im Einzugsgebiet der Ems freilich noch zu hoch ist.

Die Klage der Deutschen Umwelthilfe kann ich sehr gut nachvollziehen. Die Landkreise Cloppenburg und Vechta, Hochburgen der Tierhaltung, haben noch immer kaum die gesetzlichen Mindestanforderungen umgesetzt und das wird unverständlicherweise auch fünf Jahre nach der Novellierung der Düngeregeln offenbar toleriert.

Und was kann Niedersachsen nun tun in seinen Roten Gebieten?

Eine Maßnahme, die schnell wirkt, wäre, dass man nicht nur weniger düngt, sondern vor allem die organische Düngung mit Gülle absenkt, denn über die Gülle kommt neben Stickstoff vor allem zu viel Phosphor aus der Tierhaltung zurück auf die Flächen.

Müssten die Bauern dafür Tiere schlachten?

Das ist eine unternehmerische Entscheidung. Der Landwirt hat Sorge dafür zu tragen, dass die überschüssige Gülle seiner Tiere abgefahren wird. Weil das kostet, kann es dann auf weniger Tiere hinauslaufen.

“Die Ernährungsindustrie ist mindestens ein Jahrzehnt weiter”

Zum Schluss: Werden Sie sich auch als Pensionär noch für die Agrarwende engagieren?

BASF hat mich in sein internationales Nature Advisory Council berufen ebenso wie die Tönnies-Forschung in ihr Kuratorium..

Wie können Sie dort  helfen?

Ich habe dort über Milcherzeugung der Zukunft primär auf der Basis von Grünlandfutter vorgetragen. Im Auditorium: die Chefeinkäufer der großen Supermarktketten. Die Ernährungsindustrie ist mindestens ein Jahrzehnt weiter als die Politik und der Bauernverband!

  • Agrarwende
  • Cem Özdemir
  • Green Deal
  • Greenwashing
  • Landwirtschaft
  • Ökologische Landwirtschaft
  • Pflanzenschutz

COGECA will Berufsnachwuchs fördern

Der EU-Dachverband der Agrargenossenschaften COGECA hat sein Programm zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in der europäischen Land- und Forstwirtschaft vorgestellt. In dem auf einem Fachkongress entwickelten Tarragona-Manifest” formuliert der Dachverband, der über 22.000 europäische Unternehmen der Agrar- und Forstwirtschaft vertritt, 23 Ziele und Maßnahmen, mit denen der Berufsnachwuchs gefördert werden soll.  

Neue Ausbildungsprogramme und Beratungsangebote

So sollen bessere Marktbedingungen und Beratungsangebote geschaffen werden, um junge Landwirtinnen und Landwirte in ihren Vorhaben zu unterstützen. Dafür will COGECA den Zugang zu Böden und Finanzmitteln erleichtern. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung von Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft. Entsprechende Ausbildungsprogramme sollen Berufseinsteiger und neue Genossenschaftsmitglieder in diesen Themen schulen. Zudem will COGECA den Berufsnachwuchs stärker für Führungspositionen qualifizieren und besser bundesweit und international vernetzen. Junge Menschen sollen mehr Verantwortung in Gremien übernehmen können.  

Hintergrund ist die demografische Krise in der europäischen Land- und Forstwirtschaft, die nur durch die Förderung junger Landwirtinnen und Landwirte überwunden werden kann, so der Bericht. Laut COGECA-Präsident Ramon Armengol seien Genossenschaften “das Instrument, um die Position der Landwirte in der Lebensmittelversorgungskette ganzheitlich zu verbessern”. Gleichzeitig seien diese für ihren Fortbestand auf junge Leute angewiesen. Bereits im Oktober hatte das Europäische Parlament in seiner Entschließung zum Generationenwechsel in landwirtschaftlichen Betrieben der Zukunft in der EU gefordert, dass junge Menschen mehr in Genossenschaften eingebunden werden.

  • Berufsausbildung
  • EU
  • Fachkräftemangel
  • Landwirtschaft

Termine

4.01.2024 – 7.01.2024 / Milchwerk Radolfzell am Bodensee
Tagung 47. Naturschutztage – Ist die Welt noch zu retten?
.”Das Programm der Naturschutztage ist ein Spiegel der Themen, die uns in der Gesellschaft und insbesondere im Naturschutz bewegen. Das Treffen bietet den vielen hunderten Naturschutzinteressierten kluge Lösungen an, macht Mut und sät Zuversicht. Damit wir gerade jetzt beim Natur-, Arten- und Klimaschutz weiterkommen”, Thomas Körner vom NABU INFOS & ANMELDUNG

10.01.2024 – 20.00 Uhr / online
Webinar Dialog Milch: Social Media – Was geht künftig ab?” und “TikTok – ein neuer Kuhler Kanal?”
Auf Augenhöhe von anderen lernen: Milk.Fluencer- Weeks von und für junge Landwirte. Wie Social Media von Milchkuhbetrieben genutzt werden können, zeigt DIALOG MILCH in vier Online-Webinaren von und für Landwirte. INFO & ANMELDUNG

17.01.2024 – 19.00 Uhr / Vertretung des Landes Hessen in Berlin
Podiumsdiskussion Klimabilanz im LEH: Jetzt kommt’s auf die Bauern an!
Welchen Einfluss hat die Wertschöpfungskette Lebensmittel auf die Klimaziele? Welche Strategien gibt es, um die Bilanz zu verbessern? Bietet das Thema Klima für Bauern neue Einkommenschancen? INFOS & ANMELDUNG

17.01.2024 – 20.01.2024 / Berlin
Konferenz 16. Global Forum for Food and Agriculture – Ernährungssysteme der Zukunft: Gemeinsam für eine Welt ohne Hunger
Um die Ernährungssysteme für unsere Zukunft fit zu machen und die Agenda 2030 umzusetzen, sind enorme Anstrengungen erforderlich. Der internationalen Gemeinschaft – uns allen – bleiben nur noch sieben Jahre, um die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu erreichen. Laut den jüngsten Zahlen hungert jedoch jeder zehnte Mensch auf dieser Erde. Mehr als zwei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten. INFOS

18.01.2024 – 16.00 – 17.30 Uhr / Berlin
High Level Panel Ernährung, Klima und Sicherheit: Gemeinsam für eine sichere Zukunft
Das Bundeslandwirtschaftsministerium richtet erstmals mit der Münchner Sicherheitskonferenz eine gemeinsame “High Level Debate” zur Verbindung Klimakrise, Ernährungssicherheit sowie Kriege und Konflikte auf dem 16. Global Forum for Food and Agriculture aus. INFOS

18.01.2024 – 20.00 Uhr / BMEL Halle 23a, City Cube Berlin
Empfang BMEL Empfang für ausländische Ehrengäste auf dem 16. Global Forum for Food and Agriculture PROGRAMM

20.01.2024 – 09:00 – 15:00 Uhr / Berlin
Konferenz Berliner Agrarministerkonferenz auf dem 16. Global Forum for Food and Agriculture
Themen: Nachhaltige Produktion und Ernährungssouveränität stärken; resiliente und nachhaltige Lieferketten fördern; Lebensmittelverluste und -verschwendung reduzieren; vulnerable Gruppen stärken. PROGRAMM

19.01.2024 – 28.01.2024 / Messe Berlin
Messe Grüne Woche
Die internationale Leitmesse für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau. Aussteller aus aller Welt präsentieren an zehn Veranstaltungstagen ein umfangreiches Produktangebot. Zudem gibt die Grüne Woche aktuellen gesellschaftlichen Fragen wie Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und nachhaltige Landnutzung eine Bühne. Infos

22.01.2024 – 23.01.2024
Tagung Rat für Landwirtschaft und Fischerei der Europäischen Union INFOS

Presseschau

Wird aus den Bauernprotesten ein Generalstreik gegen die Ampel? agrarheute
Agrardiesel-Subvention sind nicht mehr zeitgemäß top agrar
Agrareinkommen österreichischer Landwirte in 2023 deutlich gesunken agrarzeitung
Gastronomie: der Mehrwertsteuersatz für Speisen wird ab dem 1. Januar wieder auf 19 Prozent erhöht agrarzeitung
Umsätze mit Bio-Lebensmitteln steigen wieder. Erholung für 2024 prognostiziert lebensmittelzeitung
2024 wird kein gutes Jahr in der Konsumgüterbranche Handelsblatt
In Spanien soll die erste Farm für Oktopoden entstehen faz
Interview: Risikoforscher Andreas Hensel über die Angst vor Glyphosat faz
Nachhaltigkeitsexperte Kai Niebert: Umweltpolitik scheitert oft auch an der Romantisierung von Wildnis die Zeit
Brazil to launch regulated carbon market Financial Times
China is on a mission to become a robot superpower – also in the field of agriculture economist



Heads

Mette Lykkes App gegen Lebensmittelverschwendung 

Mette Lykke, Geschäftsführerin von Too Good To Go.

Das erste Mal hört Mette Lykke von Too Good To Go 2016 bei einer Busfahrt durch Kopenhagen. “Die Idee, übrig gebliebene Lebensmittel zu retten und Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen hat mich sofort überzeugt”, sagt Lykke. Kurz darauf kontaktiert sie die Gründer der Initiative, investiert in die App und ein Jahr später übernimmt sie die Rolle der Geschäftsführerin von Too Good To Go. 

Gegründet wurde Too Good To Go 2015 in Kopenhagen. Bei der App können sich Restaurants, Supermärkte, Bäcker und Cafés registrieren und am Ende ihres Arbeitstages Tüten mit Lebensmitteln zusammenstellen, die andernfalls weggeworfen worden wären. Kunden von Too Good To Go können sich diese Überraschungstüten dann zu günstigen Preisen abholen. Heute ist die dänische App zu einer Bewegung geworden: 81 Millionen Nutzer haben sich registriert, 145 000 Restaurants, Supermärkte und Cafés aus 17 Ländern arbeiten derzeit mit Too Good To Go zusammen. 

200 Millionen Mahlzeiten – Tendenz steigend 

Bevor Mette Lykke ins Geschäft der Lebensmittelrettung einstieg, arbeitete sie bei McKinsey. 2007 co-gründete die Dänin die Sport-App Endomondo, die später von dem Sporthersteller Under Armour aufgekauft wurde. “Als ich 2017 die Geschäftsführung von Too Good To Go übernahm, mussten wir erstmal herausfinden, ob die Überraschungstüte als Konzept zur Lebensmittelrettung überhaupt funktioniert”, sagt Lykke. “Wir mussten einen Weg finden, der wirklich gegen die Verschwendung hilft, der aber auch den Kunden zusagt.” 

In den ersten sechs Jahren seiner Gründung wurden über die App 200 Millionen Tüten mit Lebensmitteln verkauft. “Unsere Verkaufszahlen steigen rasant”, sagt Mette Lykke. “2022 konnten wir innerhalb von sechs Monaten 50 Millionen Mahlzeiten unter die Menschen bringen.” In Deutschland konnten Lykke und ihre Kollegen auch die Supermarktketten Rewe und Edeka für eine Partnerschaft mit der App gewinnen. 

Essenpakete direkt vom Hersteller 

Für Mette Lykke ist die Verschwendung von Lebensmitteln nicht nur ein soziales, sondern auch ein ökologisches Problem. “Lebensmittelverschwendung ist für zehn Prozent der von Menschen verursachten Treibausgasemissionen verantwortlich”, sagt Lykke. “Dieses Problem anzugehen, ist für uns einer der wichtigsten Schritte gegen die Klimakatastrophe.”  

Von der Politik fordert Lykke einen anderen Ansatz als die gängigen Mindesthaltbarkeitsdaten. “Wenn die tatsächliche Haltbarkeit von Produkten transparenter wäre, könnte man vor allem in Privathaushalten gegen die Verschwendung von Lebensmitteln vorgehen.” 

Weil den App-Betreibern eine Überraschungstüte beim lokalen Bäcker nicht weit genug geht, weiten sie ihre Partnerschaften auf Lebensmittelproduzenten aus. 20 Prozent der Lebensmittelverschwendung in Europa passiert laut Eurostat 2020 noch bei den Produzenten. “Wir haben deswegen unser neues Produkt Magic Parcels gelauncht, bei dem Nutzer überschüssige Lebensmittel direkt beim Hersteller kaufen können”, so Lykke. Derzeit sind diese Pakete nur in Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Italien verfügbar. Svenja Schlicht

  • Landwirtschaft
  • Lebensmittel
  • Lebensmittelindustrie
  • Lebensmittelkennzeichnung
  • Lebensmittelverschwendung

Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    traditionell findet im Januar das Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) im Rahmen der internationalen Grünen Woche in Berlin statt. In 2024 steht der vom Bundeslandwirtschaftsministerium ausgerichtete Kongress, zu dem rund 70 Agrarminister und -ministerinnen aus der ganzen Welt anreisen, im Zeichen nachhaltiger Ernährungssysteme und der Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen.

    Nach den jüngsten Zahlen hungert jeder zehnte Mensch auf dieser Erde. Mehr als zwei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten. Vor diesem Hintergrund will das BMEL den internationalen agrarpolitischen Dialog intensivieren und beschleunigen.

    Vier Themenschwerpunkte setzt der Gastgeber: nachhaltige Produktion von Lebensmitteln und Ernährungssouveränität, resiliente und nachhaltige Lieferketten, Lebensmittelverluste und -verschwendung sowie vulnerable Gruppen.

    Das GFFA findet vom 17. bis 20. Januar statt. Am letzten Tag findet die informelle Agrarministerkonferenz statt, während der ein politisches Kommuniqué beschlossen werden wird. Neben den Agrarministern nehmen Vertreter internationaler Organisationen, wie die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Welthandelsorganisation (WTO) und die Weltbank, teil.

    Ihre
    Henrike Schirmacher
    Bild von Henrike  Schirmacher

    Analyse

    Welche Änderungen für Agrarorganisationen 2024 relevant sind

    Sparpläne der Bundesregierung: Die Streichung der Agrardieselvergünstigung als auch die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge dürfte auch im neuen Jahr für Zündstoff sorgen. Noch hat die Ampelkoalition keine alternativen Sparpläne veröffentlicht. Ihren Willen dazu aber bekundet. Die FDP-Bundestagsfraktion hat beispielsweise vorgeschlagen, Bundesmittel für den Umbau der Tierhaltung zu kürzen. Der Deutsche Bauernverband (DBV) kündigte weitere Proteste gegen die Sparpläne an.

    EU-Verpackungsverordnung: Direkt zu Beginn des neuen Jahres nehmen der Rat, die Kommission und das Parlament die Trilogverhandlungen über die EU-Verpackungsverordnung auf. Nach Informationen von Table.Media ist das erste politische Treffen für den 10. Januar geplant, allerdings noch nicht offiziell bestätigt. Wegen der kontroversen Positionen zu dem Gesetz ist ungewiss, wie lang die Verhandlungen dauern werden. Die Verhandler streben eine Einigung vor dem Ende der Legislaturperiode an.

    EU-Renaturierungsgesetz: Das Trilogergebnis zum Nature Restoration Law hat die Zustimmung des Umweltausschusses gefunden. Damit kann das Gesetzgebungsverfahren bald abgeschlossen werden. Es fehlt noch grünes Licht im Plenum. Dies wird voraussichtlich in der Woche vom 26. Februar sein. Dann muss der Rat auch seine förmliche Zustimmung erteilen. Da der Text bereits grünes Licht von den EU-Mitgliedstaaten erhalten hat, ist dies nur noch eine Formalität.

    EU-Gentechnikrecht: Ohne die Zustimmung Deutschlands ist es schwierig, eine qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag der Brüsseler Behörde zur Liberalisierung des EU-Gentechnikrechts zustande zubringen. Ab Januar übernimmt die belgische Ratspräsidentschaft die Verhandlungen zu offenen EU-Dossiers. Ob das Land eine Einigung der EU-Mitgliedstaaten vor den Europawahlen herbeiführen wird, ist allerdings offen.

    Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung: Die Ampelkoalition muss im ersten Halbjahr eine Überarbeitung der Verordnung für den Einsatz des umstrittenen Herbizids Glyphosat auf den Weg bringen. Bislang ist dort noch ein Verbot glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel ab 2024 verankert. Novellierte Vorgaben im Rahmen der EU-Verordnung zur erneuten Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat müssen aber in nationalem Recht umgesetzt werden. Übergangsweise gilt eine Eilverordnung, damit glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel weiterhin eingesetzt werden können in Deutschland.

    GAP: Die aktuelle GAP-Förderperiode geht in ihr zweites Jahr. Für Landwirte bringt diese kleine Veränderungen mit sich. Ob das reicht, um die Öko-Regelungen bei den Landwirten auch wirklich attraktiver zu machen, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. So oder so ringen die zuständigen Instanzen aber bereits um weitere Anpassungen der GAP, die ab dem Jahr 2025 greifen könnten. Dem BMEL schweben neue Öko-Regelungen und Änderungen bei den GAP-Modalitäten vor. Dafür konnte sich in der Agrarministerkonferenz jedoch bislang keine Mehrheit finden.

    Einige agrarpolitische Akteure sind derweil bereits dabei, ihren Blick noch viel weiter in die Ferne zu richten. Die Diskussion um die GAP nach 2027 dürfte in diesem Jahr an Fahrt aufnehmen. Nachdem die Verbände-Plattform und der Bauernverband (DBV) bereits Ende vergangenen Jahres ihre Ideen und Forderungen für die neue GAP-Förderperiode veröffentlicht haben, warten Landwirtschaftslobby und Umweltverbände nun gespannt auf die Vorschläge, die das BMEL dieses Jahr in Brüssel einreichen wird.

    GAK: Dem ländlichen Raum stehen in diesem Jahr weniger Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe “Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK) zur Verfügung. Obwohl die massiven Kürzungen vor Jahresende in den Haushaltsverhandlungen leicht abgeschwächt werden konnten, muss der ländliche Raum mit mehr als 200 Millionen Euro weniger auskommen. Gleichzeitig steht eine Flexibilisierung der GAK zugunsten der Länder an. So sollen GAK-Mittel, die bis zum 31. August 2024 nicht abgerufen worden sind, unter den Bundesländern aufgeteilt werden.

    Ernährungsstrategie: Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir ist der Bevölkerung 2024 noch eine Ernährungsstrategie schuldig. Die bereits für das vergangene Jahr versprochene Strategie hatte es Mitte November zwar in die Ressortabstimmung geschafft, war dann aber nicht mehr wie angekündigt zum Jahresende von der Bundesregierung beschlossen worden. “Zeitnah” soll das laut BMEL nun nachgeholt werden. Bis die ersten Maßnahmen aus der Ernährungsstrategie dann aber auch wirklich umgesetzt werden, kann es noch weit länger dauern. Das BMEL selbst peilt hierfür das Jahr 2025 an.

    Agri-PV: Der Bundestag hat im Oktober erstmals über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beraten, das die Weichen für den Ausbau von Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen – kurz Agri-PV – stellt. Im Anschluss an die erste Lesung im Bundestag wurde das sogenannte Solarpaket 1 an den zuständigen Ausschuss überwiesen. Dort hatten Experten Änderungen angemahnt. Die weiteren Lesungen des Gesetzes im Bundestag stehen damit noch aus. Die Verordnung, die das Solarpaket 1 für die Kombination von Photovoltaik und Biodiversität vorsieht, wird für März erwartet.

    Unfaire Handelspraktiken des LEH: Der Bundestag verhandelt derzeit über einen Entschließungsantrag, um die Regeln gegen “unfaire Handelspraktiken” im Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz zu überarbeiten. Laut der zuständigen Berichterstatterin der SPD-Fraktion, Franziska Kersten, wird darin unter anderem gefordert, dass Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 4 Milliarden Euro in den Schutzbereich der Regelungen miteinbezogen werden. Bislang schützt das Verbot unlauterer Handelspraktiken Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis zu 350 Millionen Euro, sowie abweichend davon Lieferanten von Milch-, Fleisch-, Obst-, Gemüse- und Gartenbauprodukten mit einem Jahresumsatz von bis zu 4 Milliarden Euro. Diese Ausnahmeregelung ist allerdings bis 2025 befristet. In dem Antrag wird zudem gefordert, bestimmte Handelspraktiken, die zuvor als “graue Handelspraktiken” galten, als “schwarze Handelspraktik” zu deklarieren und damit grundsätzlich zu verbieten. Das umfasst unter anderem die Regalpflege. Das ist eine Praxis, bei der Lieferanten nach eigenem Ermessen nicht verkaufte Lebensmittel in den Filialen zurücknehmen und gegen frische Ware austauschen können. Mit einem Verbot soll verhindert werden, dass Erzeuger für nicht abgeholte Ware das alleinige Kostenrisiko tragen.  

    Nach Vorlage des Entschließungsantrages wird das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) einen Gesetzesentwurf auf den Weg bringen, der den formalen Gesetzgebungsprozess innerhalb der nächsten 6 Monate durchlaufen könnte, sagt BMEL-Staatssekretärin Silvia Bender. Bender spricht zudem für die Einführung sogenannter Drei-Parteien-Verträge aus, die über die Wertschöpfungskette hinweg klare Gewinnmargen für alle Beteiligten – also Erzeuger, Lieferer, und Einzelhandel – festlegen. Der genaue Inhalt des Gesetzesentwurfs bleibt damit noch abzuwarten.  

    • Agrarpolitik
    • Agri-PV
    • Deutschland
    • Ernährungsstrategie
    • EU
    • EU-Gentechnik
    • EU-Gentechnikrecht
    • EU-Renaturierungsgesetz
    • Franziska Kersten
    • Glyphosat
    • Lebensmittel
    • Nature Restoration Law
    • UTP-Richtlinie

    Forscher zur Agrarwende: “Die Kanzlerpartei fällt völlig aus”

    Professor Friedhelm Taube, Agrarwissenschaftler an der Universität Kiel

    Herr Professor Traube, 2017 wären Sie fast Daniel Günthers Landwirtschaftsminister geworden. Es wurde dann aber eine Jamaika-Regierung mit Robert Habeck als Agrarminister. Hat Sie das gewurmt?

    Nein, ich habe als parteiloser Verhandlungsführer der CDU für den Bereich Landwirtschaft und Umwelt einen wissenschaftlich fundierten Koalitionsvertrag mit entwickelt; das war gut so.

    Sie haben 30 Jahre die Forschungsbereiche Pflanzenbau und ökologischer Landbau in Kiel geleitet und waren neun Jahre im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Sie sind also intensiver Begleiter der Agrarwende, der sich die EU mit dem Green Deal verschrieben hat. Geht sie voran?

    Es wird häufig so getan, als ob die Agrarwende eine politische Entscheidung wäre. Dabei steht hinter dem Green Deal der Joint Research Council, das Wissenschaftsgremium der EU. Was hier umgesetzt werden soll, ist nichts anderes als der Stand der Forschung zur Frage, wie Landnutzung im Einklang mit Ressourcenschutz laufen sollte. Dieser Weg muss ambitioniert beschritten werden – und das ist leider nicht der Fall.

    Woran hakt die Agrarwende?

    Wir Wissenschaftler glaubten, dass mit dem Regierungswechsel ein Aufbruch kommt, nach dem jahrelangen Bremsen seitens der CDU-CSU und dem Klöckner-Ministerium. Aber das ist nicht der Fall. Die FDP hat die Lobby-Vertretung der Union zu 110 Prozent übernommen. Die Grünen und Cem Özdemir gehen bei weitem nicht mutig genug an die Konflikte mit den Koalitionspartnern heran. Und die Kanzlerpartei? Fällt völlig aus. Niemand seitens der SPD versucht, den gordischen Knoten zu durchschlagen.

    “Wir müssen von unserem Fleischkonsum massiv herunter”

    Welche Art der Transformation brauchen wir?

    Das Wichtigste ist, den Bevölkerungen in den reichen Ländern die Notwendigkeit einer Ernährungswende zu vermitteln und diese politisch zu untermauern. In Deutschland lehnen die konservativen Parteien einen Abbau der Subventionen für die Tierindustrie ab, die jährlich Milliardenbeiträge verschlingen. Begründung: Jeder solle selbst entscheiden dürfen, was er verzehrt. Das ist ein Wegducken vor gesellschaftlichen Problemen. Wir haben gigantische Kosten im Gesundheitswesen durch Fehlernährung. Ich kenne keine Studie weltweit, die das anders sehen würde – mal abgesehen von jenen im Auftrag des Bauernverbands. Wir müssen von unserem Fleischkonsum massiv herunter.

    Massiv weniger Fleisch heißt konkret?

    Es geht um Größenordnungen von 50 bis 70 Prozent.

    Aus gesundheitlichen Gründen.

    Und wegen unserer knappen Ressourcen. Für das Erzeugen von einer Kalorie Rindfleisch brauchen wir achtmal so viel Land wie für eine pflanzliche Kalorie. Wenn wir in den reichen Ländern den Verzehr tierischer Produkte halbieren würden, könnten wir zugleich den Hunger in der Welt halbieren. Der Hebel ist immens. Europa könnten seine Exporte an Brotgetreide dadurch mehr als verdoppeln, wie eine neue Nature-Studie zeigt. Wir könnten den Amazonas schonen, statt tropische Urwälder weiter zu roden für den Soja-Anbau. Und müssten dafür nicht Vegetarier werden, sondern konsequent ‘Flexitarier’.

    Was ist dran an den Heilsversprechen durch die neuen genomischen Züchtungstechniken wie CripsrCas?

    Auch wenn ich überzeugt  bin, dass wir in den nächsten zehn Jahren auch CRISPRCas-Ansätze  brauchen werden, sollten wir die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Wir brauchen sie, um den Einsatz des chemischen Pflanzenschutzes zu reduzieren. Nur: Mehr ernten werden wir dadurch sehr wahrscheinlich nicht. Höhere Erträge sehen wir heute schon in der klassischen Züchtung. Sie werden aber draußen auf den Äckern nicht mehr umgesetzt.

    “Im Norden züchten sie geradezu Krankheiten und Unkräuter”

    Keine höheren Ernten trotz besserer Züchtung – warum nicht?

    Die Kulturvielfalt fehlt, die die Pflanzen widerstandsfähig macht. Vor 30 Jahren hatte man auf einem Acker in der Regel Kleegras, Getreide, Raps, Rüben und mehr. Heute gibt es in einer sogenannten Fruchtfolge oft nur noch zwei bis drei Kulturen, auch wenn die europäische Agrarpolitik neuerdings vier vorschreibt, was nur auf sehr begrenzter Fläche umgesetzt wird. Hier im Norden ist die gängige Fruchtfolge Raps-Weizen-Weizen. Wenn der Raps sehr viel Geld bringt, bauen die Landwirte ihn jedes zweite Jahr an. Und wundern sich dann über Rapskrankheiten, die wir seit 60 Jahren nicht mehr hatten. Sie züchten geradezu Krankheiten und Unkräuter. Der Ackerfuchsschwanz ist mittlerweile im Getreide herbizidresistent.

    Vielfältige Fruchtfolgen würden mehr helfen als neue Pflanzenzüchtungen?

    Bevor wir über gesellschaftlich umstrittene Technologien reden, müssten wir dringend über andere Innovationen sprechen. Wir haben einen zweijährigen Anbau von Kleegras im ökologischen und im konventionellen Landbau getestet. Ergebnis: Wir brauchten keine Pflanzenschutzmittel mehr! Stattdessen: Kohlenstoffspeicherung, Stickstoff aus der Luft, die CO2-Emissionen gegen Null. Und: Die Futterpflanze Kleegras stellt Eiweiß bereit – adé Importsoja. Wir haben der Bundesregierung vorgeschlagen, Kleegras in die Ökoregeln für alle Landwirte aufzunehmen – bisher noch ohne Erfolg.

    Apropos ökologisch: Was ist mit dem Argument des Bauernverbands, das Bio-Anbau durch seine geringeren Erträge die Welternährung gefährde?

    Das Argument ist falsch. Wenn wir weniger Fleisch konsumierten, könnten wir sogar mehr Ökolandbau machen, und dennoch den Welthunger bekämpfen. Dennoch halte ich die politische Agenda der Ampel, 30 Prozent Ökolandbau bis 2030, weder für realistisch noch für sinnvoll. Wir haben in einigen Bundesländern gerade mal um die sechs Prozent.

    Warum stellen nicht mehr Landwirte um?

    Ich bin viel draußen und spreche mit Landwirten, die gerne etwas für die Umwelt tun möchten. Die beobachten dann aber beispielsweise beim Nachbarn, der vor vier Jahren auf Bio umgestellt hat, dass er erstmal zwei Hungerjahre überstehen musste – in denen er die Erzeugnisse noch nicht als Bio vertreiben durfte – und dann für seine Milch nicht den vollen Ökopreis bekommt. Da sagt er sich natürlich, warum soll ich dieses Risiko eingehen? Es gäbe andere Lösungen. Nur bietet die Politik sie nicht an.

    Was schlagen Sie statt Bio vor?

    Wir nennen das dritte Wege zur Ernährung der Welt. Das war ein großes Forschungsprojekt, das wir mit weltweit 20 Doktoranden durchgeführt haben. Dritte Wege sind Hybridsysteme mit Elementen des Ökolandbaus. Wenn konventionelle Landwirte nur 50 Prozent ihrer Fruchtfolge an Ökostandards ausrichten, kommen sie schon ohne Pflanzenschutz und Mineraldünger aus. Aber anstatt solche gangbaren Wege konsequent zu beschreiten, beharrt die eine Seite auf dem Status Quo, während die andere die reine Öko-Lehre vertritt. Ich sehe keine Politik, die sich am Machbaren orientiert.

    “Werbung für eine Gruppe gehört sich nicht für einen Agrarminister”

    Einspruch! Bio ist machbar, normiert und wird kontrolliert. Bestünde nicht die Gefahr eines Greenwashings bei dritten Wegen, etwa mit einer Kleegras-Anbaupflicht?

    Die Betriebe sind in Bezug auf ihre Flächennutzung perfekt kontrolliert. Wir haben Satellitenaufnahmen, die genau zeigen, welche Kultur wo steht. Im Übrigen: Es ist vollkommen unangemessen, wenn Cem Özdemir den Ökolandbau in großen Anzeigen in Bezug auf Klimafreundlichkeit bewerben lässt. Die Klimabilanz zwischen Bio-Betrieben variiert nämlich mehr als die zwischen öko und konventionell. Werbung explizit für eine Gruppe der Landwirtschaft gehört sich nicht für einen Agrarminister.

    Wie würden Sie Landwirte für Ihren öko-konventionellen-Weg gewinnen?

    Wir könnten sofort im aktuellen Subventionssystem beginnen. Normalerweise baut der Landwirt als Futterpflanze langjährig auf der gleichen Fläche Mais an. Man könnte erhebliche Umweltkosten vermeiden, indem man ihm einen Ausgleich dafür gibt, dass er abwechselnd mit der Alternative Kleegras einen etwas geringeren Ertrag einfährt, aber mehr für die Umwelt leistet.

    Und wie würden Sie die Gemeinsame Agrarpolitk langfristig entwickeln?

    Es darf kein Geld mehr für Landbesitz geben. Heute zahlt die EU noch rund 150 Euro pro Hektar, die letztlich nur das Land verteuern. Ab 2028 sollte es nur noch Geld geben für Ökosystemleistungen. Dafür gibt es Modelle. Die Gemeinwohlprämie des Deutschen Verbands für Landschaftspflege hat sogar im EU-Parlament eine Mehrheit bekommen. Aber der Rat hat sie nicht verabschiedet, weil die konservative EVP dagegen war. Das ist inakzeptabel – besonders angesichts der aktuellen, auch finanziellen Situation.

    Ist das, was Sie fordern, “regenerative Landwirtschaft”?

    Der Begriff ist nicht geschützt, jeder kann sich regenerativ nennen. Eigentlich geht es um eine Rückbesinnung auf klassische ackerbauliche Regeln: Anbausysteme mit mehr Diversität, mit Tiefwurzlern wie Kleegras oder Leguminosen, die Wurzelgänge für nachfolgende Kulturen bilden, so dass Wasserzugänge erleichtert werden.

    Dringen Sie mit diesen Vorschlägen bei den Agrarministern der Länder durch?

    Bayern als sehr reiches Land ist da ein Vorreiter. Die haben ein Programm Luzerne, insbesondere in Franken, wo man Probleme mit Nitrat hat aufgrund der Durchlässigkeit der Böden und der Trockenheit. Indem sie dort zwei, drei Jahre Luzerne oder Kleegras anbauen, lösen sie das Problem. Abgesehen von Bayern sind die unionsgeführten Ministerien aber eher auf dem KI-Technologietrip. Und die grün geführten versuchen primär, Ökolandbau zu fördern.

    Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist Düngung. Brüssel fand die 2017 und 2020 verbesserte Düngeverordnung (DÜV) so gut, dass es im Juni das Verfahren gegen Deutschland wegen erhöhter Nitratwerte eingestellt hat. Ihr Erfolg?

    Nicht ‘mein Erfolg’, nein, aber ich denke, als Wissenschaftler einen notwendigen Beitrag geleistet zu haben. Das Julius-Kühn-Institut hat die Umsetzung der neuen DÜV in sechs Regionen in Deutschland untersucht – bei freiwilligen Teilnehmern. Ergebnis: Die Hälfte der Betriebe macht es sehr gut, die andere nicht. Und das sind Höfe, die glauben, dass sie gut sind! Trotzdem: Wir haben deutschlandweit eine Reduktion der Stickstoffüberschüsse um etwa 20 Prozent in fünf Jahren. Das zeigt, dass das Ordnungsrecht wirkt.

    “Die Phosphorprobleme sind in manchen Regionen ernster als Nitrat”

    Gegen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hat die Deutsche Umwelthilfe wegen Nitratbelastung im Emsland kürzlich vor Gericht gesiegt. Hat Brüssel also voreilig Deutschland vom Haken gelassen?

    Die Einstellung des Verfahrens gegen Deutschland drückte ein Vorschussvertrauen aus. Wobei immer noch Klagen in Hinblick auf die EU-Wasserrahmenrichtlinie und  Ammoniak aus der Landwirtschaft drohen. Und in der EU-Meeresstrategie kommt Phosphat zum Tragen. Die Phosphorprobleme sind in manchen Tierhaltungsregionen noch deutlich ernster als die Nitratbelastung …

    … die im Einzugsgebiet der Ems freilich noch zu hoch ist.

    Die Klage der Deutschen Umwelthilfe kann ich sehr gut nachvollziehen. Die Landkreise Cloppenburg und Vechta, Hochburgen der Tierhaltung, haben noch immer kaum die gesetzlichen Mindestanforderungen umgesetzt und das wird unverständlicherweise auch fünf Jahre nach der Novellierung der Düngeregeln offenbar toleriert.

    Und was kann Niedersachsen nun tun in seinen Roten Gebieten?

    Eine Maßnahme, die schnell wirkt, wäre, dass man nicht nur weniger düngt, sondern vor allem die organische Düngung mit Gülle absenkt, denn über die Gülle kommt neben Stickstoff vor allem zu viel Phosphor aus der Tierhaltung zurück auf die Flächen.

    Müssten die Bauern dafür Tiere schlachten?

    Das ist eine unternehmerische Entscheidung. Der Landwirt hat Sorge dafür zu tragen, dass die überschüssige Gülle seiner Tiere abgefahren wird. Weil das kostet, kann es dann auf weniger Tiere hinauslaufen.

    “Die Ernährungsindustrie ist mindestens ein Jahrzehnt weiter”

    Zum Schluss: Werden Sie sich auch als Pensionär noch für die Agrarwende engagieren?

    BASF hat mich in sein internationales Nature Advisory Council berufen ebenso wie die Tönnies-Forschung in ihr Kuratorium..

    Wie können Sie dort  helfen?

    Ich habe dort über Milcherzeugung der Zukunft primär auf der Basis von Grünlandfutter vorgetragen. Im Auditorium: die Chefeinkäufer der großen Supermarktketten. Die Ernährungsindustrie ist mindestens ein Jahrzehnt weiter als die Politik und der Bauernverband!

    • Agrarwende
    • Cem Özdemir
    • Green Deal
    • Greenwashing
    • Landwirtschaft
    • Ökologische Landwirtschaft
    • Pflanzenschutz

    COGECA will Berufsnachwuchs fördern

    Der EU-Dachverband der Agrargenossenschaften COGECA hat sein Programm zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in der europäischen Land- und Forstwirtschaft vorgestellt. In dem auf einem Fachkongress entwickelten Tarragona-Manifest” formuliert der Dachverband, der über 22.000 europäische Unternehmen der Agrar- und Forstwirtschaft vertritt, 23 Ziele und Maßnahmen, mit denen der Berufsnachwuchs gefördert werden soll.  

    Neue Ausbildungsprogramme und Beratungsangebote

    So sollen bessere Marktbedingungen und Beratungsangebote geschaffen werden, um junge Landwirtinnen und Landwirte in ihren Vorhaben zu unterstützen. Dafür will COGECA den Zugang zu Böden und Finanzmitteln erleichtern. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung von Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft. Entsprechende Ausbildungsprogramme sollen Berufseinsteiger und neue Genossenschaftsmitglieder in diesen Themen schulen. Zudem will COGECA den Berufsnachwuchs stärker für Führungspositionen qualifizieren und besser bundesweit und international vernetzen. Junge Menschen sollen mehr Verantwortung in Gremien übernehmen können.  

    Hintergrund ist die demografische Krise in der europäischen Land- und Forstwirtschaft, die nur durch die Förderung junger Landwirtinnen und Landwirte überwunden werden kann, so der Bericht. Laut COGECA-Präsident Ramon Armengol seien Genossenschaften “das Instrument, um die Position der Landwirte in der Lebensmittelversorgungskette ganzheitlich zu verbessern”. Gleichzeitig seien diese für ihren Fortbestand auf junge Leute angewiesen. Bereits im Oktober hatte das Europäische Parlament in seiner Entschließung zum Generationenwechsel in landwirtschaftlichen Betrieben der Zukunft in der EU gefordert, dass junge Menschen mehr in Genossenschaften eingebunden werden.

    • Berufsausbildung
    • EU
    • Fachkräftemangel
    • Landwirtschaft

    Termine

    4.01.2024 – 7.01.2024 / Milchwerk Radolfzell am Bodensee
    Tagung 47. Naturschutztage – Ist die Welt noch zu retten?
    .”Das Programm der Naturschutztage ist ein Spiegel der Themen, die uns in der Gesellschaft und insbesondere im Naturschutz bewegen. Das Treffen bietet den vielen hunderten Naturschutzinteressierten kluge Lösungen an, macht Mut und sät Zuversicht. Damit wir gerade jetzt beim Natur-, Arten- und Klimaschutz weiterkommen”, Thomas Körner vom NABU INFOS & ANMELDUNG

    10.01.2024 – 20.00 Uhr / online
    Webinar Dialog Milch: Social Media – Was geht künftig ab?” und “TikTok – ein neuer Kuhler Kanal?”
    Auf Augenhöhe von anderen lernen: Milk.Fluencer- Weeks von und für junge Landwirte. Wie Social Media von Milchkuhbetrieben genutzt werden können, zeigt DIALOG MILCH in vier Online-Webinaren von und für Landwirte. INFO & ANMELDUNG

    17.01.2024 – 19.00 Uhr / Vertretung des Landes Hessen in Berlin
    Podiumsdiskussion Klimabilanz im LEH: Jetzt kommt’s auf die Bauern an!
    Welchen Einfluss hat die Wertschöpfungskette Lebensmittel auf die Klimaziele? Welche Strategien gibt es, um die Bilanz zu verbessern? Bietet das Thema Klima für Bauern neue Einkommenschancen? INFOS & ANMELDUNG

    17.01.2024 – 20.01.2024 / Berlin
    Konferenz 16. Global Forum for Food and Agriculture – Ernährungssysteme der Zukunft: Gemeinsam für eine Welt ohne Hunger
    Um die Ernährungssysteme für unsere Zukunft fit zu machen und die Agenda 2030 umzusetzen, sind enorme Anstrengungen erforderlich. Der internationalen Gemeinschaft – uns allen – bleiben nur noch sieben Jahre, um die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu erreichen. Laut den jüngsten Zahlen hungert jedoch jeder zehnte Mensch auf dieser Erde. Mehr als zwei Milliarden Menschen können sich keine gesunde Ernährung leisten. INFOS

    18.01.2024 – 16.00 – 17.30 Uhr / Berlin
    High Level Panel Ernährung, Klima und Sicherheit: Gemeinsam für eine sichere Zukunft
    Das Bundeslandwirtschaftsministerium richtet erstmals mit der Münchner Sicherheitskonferenz eine gemeinsame “High Level Debate” zur Verbindung Klimakrise, Ernährungssicherheit sowie Kriege und Konflikte auf dem 16. Global Forum for Food and Agriculture aus. INFOS

    18.01.2024 – 20.00 Uhr / BMEL Halle 23a, City Cube Berlin
    Empfang BMEL Empfang für ausländische Ehrengäste auf dem 16. Global Forum for Food and Agriculture PROGRAMM

    20.01.2024 – 09:00 – 15:00 Uhr / Berlin
    Konferenz Berliner Agrarministerkonferenz auf dem 16. Global Forum for Food and Agriculture
    Themen: Nachhaltige Produktion und Ernährungssouveränität stärken; resiliente und nachhaltige Lieferketten fördern; Lebensmittelverluste und -verschwendung reduzieren; vulnerable Gruppen stärken. PROGRAMM

    19.01.2024 – 28.01.2024 / Messe Berlin
    Messe Grüne Woche
    Die internationale Leitmesse für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau. Aussteller aus aller Welt präsentieren an zehn Veranstaltungstagen ein umfangreiches Produktangebot. Zudem gibt die Grüne Woche aktuellen gesellschaftlichen Fragen wie Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und nachhaltige Landnutzung eine Bühne. Infos

    22.01.2024 – 23.01.2024
    Tagung Rat für Landwirtschaft und Fischerei der Europäischen Union INFOS

    Presseschau

    Wird aus den Bauernprotesten ein Generalstreik gegen die Ampel? agrarheute
    Agrardiesel-Subvention sind nicht mehr zeitgemäß top agrar
    Agrareinkommen österreichischer Landwirte in 2023 deutlich gesunken agrarzeitung
    Gastronomie: der Mehrwertsteuersatz für Speisen wird ab dem 1. Januar wieder auf 19 Prozent erhöht agrarzeitung
    Umsätze mit Bio-Lebensmitteln steigen wieder. Erholung für 2024 prognostiziert lebensmittelzeitung
    2024 wird kein gutes Jahr in der Konsumgüterbranche Handelsblatt
    In Spanien soll die erste Farm für Oktopoden entstehen faz
    Interview: Risikoforscher Andreas Hensel über die Angst vor Glyphosat faz
    Nachhaltigkeitsexperte Kai Niebert: Umweltpolitik scheitert oft auch an der Romantisierung von Wildnis die Zeit
    Brazil to launch regulated carbon market Financial Times
    China is on a mission to become a robot superpower – also in the field of agriculture economist



    Heads

    Mette Lykkes App gegen Lebensmittelverschwendung 

    Mette Lykke, Geschäftsführerin von Too Good To Go.

    Das erste Mal hört Mette Lykke von Too Good To Go 2016 bei einer Busfahrt durch Kopenhagen. “Die Idee, übrig gebliebene Lebensmittel zu retten und Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen hat mich sofort überzeugt”, sagt Lykke. Kurz darauf kontaktiert sie die Gründer der Initiative, investiert in die App und ein Jahr später übernimmt sie die Rolle der Geschäftsführerin von Too Good To Go. 

    Gegründet wurde Too Good To Go 2015 in Kopenhagen. Bei der App können sich Restaurants, Supermärkte, Bäcker und Cafés registrieren und am Ende ihres Arbeitstages Tüten mit Lebensmitteln zusammenstellen, die andernfalls weggeworfen worden wären. Kunden von Too Good To Go können sich diese Überraschungstüten dann zu günstigen Preisen abholen. Heute ist die dänische App zu einer Bewegung geworden: 81 Millionen Nutzer haben sich registriert, 145 000 Restaurants, Supermärkte und Cafés aus 17 Ländern arbeiten derzeit mit Too Good To Go zusammen. 

    200 Millionen Mahlzeiten – Tendenz steigend 

    Bevor Mette Lykke ins Geschäft der Lebensmittelrettung einstieg, arbeitete sie bei McKinsey. 2007 co-gründete die Dänin die Sport-App Endomondo, die später von dem Sporthersteller Under Armour aufgekauft wurde. “Als ich 2017 die Geschäftsführung von Too Good To Go übernahm, mussten wir erstmal herausfinden, ob die Überraschungstüte als Konzept zur Lebensmittelrettung überhaupt funktioniert”, sagt Lykke. “Wir mussten einen Weg finden, der wirklich gegen die Verschwendung hilft, der aber auch den Kunden zusagt.” 

    In den ersten sechs Jahren seiner Gründung wurden über die App 200 Millionen Tüten mit Lebensmitteln verkauft. “Unsere Verkaufszahlen steigen rasant”, sagt Mette Lykke. “2022 konnten wir innerhalb von sechs Monaten 50 Millionen Mahlzeiten unter die Menschen bringen.” In Deutschland konnten Lykke und ihre Kollegen auch die Supermarktketten Rewe und Edeka für eine Partnerschaft mit der App gewinnen. 

    Essenpakete direkt vom Hersteller 

    Für Mette Lykke ist die Verschwendung von Lebensmitteln nicht nur ein soziales, sondern auch ein ökologisches Problem. “Lebensmittelverschwendung ist für zehn Prozent der von Menschen verursachten Treibausgasemissionen verantwortlich”, sagt Lykke. “Dieses Problem anzugehen, ist für uns einer der wichtigsten Schritte gegen die Klimakatastrophe.”  

    Von der Politik fordert Lykke einen anderen Ansatz als die gängigen Mindesthaltbarkeitsdaten. “Wenn die tatsächliche Haltbarkeit von Produkten transparenter wäre, könnte man vor allem in Privathaushalten gegen die Verschwendung von Lebensmitteln vorgehen.” 

    Weil den App-Betreibern eine Überraschungstüte beim lokalen Bäcker nicht weit genug geht, weiten sie ihre Partnerschaften auf Lebensmittelproduzenten aus. 20 Prozent der Lebensmittelverschwendung in Europa passiert laut Eurostat 2020 noch bei den Produzenten. “Wir haben deswegen unser neues Produkt Magic Parcels gelauncht, bei dem Nutzer überschüssige Lebensmittel direkt beim Hersteller kaufen können”, so Lykke. Derzeit sind diese Pakete nur in Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Italien verfügbar. Svenja Schlicht

    • Landwirtschaft
    • Lebensmittel
    • Lebensmittelindustrie
    • Lebensmittelkennzeichnung
    • Lebensmittelverschwendung

    Agrifood.Table Redaktion

    AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen