Table.Briefing: Agrifood

EU-Agrarminister fordern mehr Bürokratieabbau + GLÖZ 8: Grüne versus FDP + Scholz trifft ZKL

Liebe Leserin, lieber Leser,

begleitet von protestierenden Landwirten haben sich die EU-Agrarminister am Montag in Brüssel zum Bürokratieabbau beraten. Insgesamt 900 Traktoren blockierten Straßen im EU-Viertel, wie die Nachrichtenagentur Belga unter Berufung auf die Polizei berichtete. Protestierende setzten Reifen in Brand, schütteten Gülle auf die Straße und richteten Pyrotechnik gegen Polizisten. Die Beamten setzten Wasserwerfer ein. Während der Proteste wurden drei Polizisten verletzt, wie Belga am Abend berichtete. Über ihren Zustand sei jedoch nichts bekannt. Die Polizei werde Bildmaterial auswerten, um die Randalierer zu identifizieren. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski verurteilte die Gewalt durch Protestierende nicht. “Wir konzentrieren uns darauf, Lösungen zu finden, die den wichtigsten Anliegen der Landwirte gerecht werden”, sagte er am Rande des EU-Agrarrates. Über die Haltung der EU-Mitgliedstaaten zum Vorschlag der EU-Kommission für Bürokratieabbau in der Landwirtschaft informiert meine Kollegin Julia Dahm.

Derweil verteidigt die Brüsseler Behörde ihre umstrittene Handelsagenda. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der EU-Kommission belege, dass die Agrar- und Ernährungswirtschaft von Freihandelsabkommen profitiere. Welche Sektoren das betrifft, hat meine Kollegin Amélie Günther aufgeschrieben.

In Berlin wird Landwirtschaft erneut zur Chefsache. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will sich im April mit der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) treffen. Seine Vorgängerin Altkanzlerin Angela Merkel hatte das Gremium bekanntlich berufen.

Ihre
Henrike Schirmacher
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Analyse

EU-Agrarminister fordern von Kommission mehr Entlastungen für Landwirte

Die Vorschläge der Kommission zur Entlastung der protestierenden Bauern reichen den EU-Landwirtschaftsministern nicht aus. Sie seien ein guter “erster Schritt”, der Agrarrat rufe die Kommission dazu auf, ihr Paket “rasch um ambitioniertere Maßnahmen zu ergänzen“, erklärte der belgische Minister David Clarinval in einer Pressekonferenz nach einer geschlossenen Sitzung des Rats. Auf einen gemeinsamen Forderungskatalog einigten sich die Minister aber nicht.

In einem nicht bindenden Papier hatte die Kommission am vergangenen Donnerstag kurz- und mittelfristige Entlastungen skizziert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will damit ihr Versprechen an die protestierenden Bauern einlösen, den Verwaltungsaufwand zu mindern.

Nitratrichtlinie auf dem Prüfstand

Mittelfristig will die Kommission die Verwaltungslast angehen, die durch die EU-Nitratrichtlinie entsteht. Seit Dezember läuft dazu eine öffentliche Konsultation. Nach deren Abschluss im März sollen nächste Schritte geprüft werden. Im vergangenen Sommer hatte Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Verstößen gegen die Nitratrichtlinie eingestellt. Die Änderungen beim Düngerecht, die hierzu nötig waren, bleiben in der Branche umstritten.

Ab März sollen Bauern in einer allgemeiner gefassten Online-Umfrage zudem ihre Beschwerden in Sachen Bürokratie vorbringen können. Darauf aufbauend will die Kommission im Herbst eine Studie zur Verwaltungslast vorlegen, die als Arbeitsauftrag für die neue Legislaturperiode fungieren dürfte.

GAP-Änderungen nach Europawahl möglich

Mittelfristig schließt die Kommission auch Gesetzesänderungen bei der GAP nicht aus – auch wenn das mitten in der Förderperiode ungewöhnlich wäre. Auch unter den Ministern gebe es hierfür Zustimmung, betonte Clarinval, der aktuell den Vorsitz des Agrarrats innehat. Zeitlich sei das aber erst nach der Europawahl möglich. Als kurzfristige Maßnahme schlug Clarinval vor, die EU-Regeln für nationale Beihilfen an Landwirtschaftsbetriebe weiter zu lockern. Die Mitgliedstaaten hätten dann mehr Spielraum, Höfe aus dem eigenen Haushalt zu unterstützen.

Wie Agrifood.Table berichtete, visiert die Kommission außerdem mehrere kurzfristige Maßnahmen an, die ohne Gesetzesänderungen umgesetzt werden können. Dazu gehören Vereinfachungen bei GAP-Strategieplänen und weniger Vor-Ort-Kontrollen auf den Höfen. Neu ist, dass die Brüsseler Behörde auch Lockerungen bei den Vorgaben zur Bodenbedeckung (GLÖZ 6) in Erwägung zieht. Details sollen im April folgen.

Dschungel an Forderungen bleibt

Die EU-Länder hatten im Vorfeld des Agrarrats jeweils eigene Vorschläge für Entlastungen eingereicht. Diese bekräftigten die Minister bei dem Treffen am Montag, stimmten sie aber nicht weiter aufeinander ab. Die Entscheidung darüber, welche Ideen in Rechtsakte gegossen werden, obliegt nun der Kommission.

Viele EU-Agrarminister gingen in ihren Forderungen weit über die GAP hinaus. So sprach sich der französische Minister Marc Fesneau dafür aus, beim Green Deal die Agrarproduktion stärker in den Vordergrund zu stellen. Laut Clarinval machten einige Minister während der Sitzung auch die Handelspolitik der EU zum Thema und machten sich für einen besseren Schutz heimischer Erzeuger stark.

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Strategiewechsel: Wie Tchibo sein nachhaltiges Geschäft ausbaut

Der Kaffeeröster Tchibo vollzieht einen Strategiewechsel. Bislang bezieht er nach eigenen Angaben rund 20 Prozent des Rohkaffees aus zertifiziertem Anbau (Fairtrade, Bio oder Rainforest Alliance) oder aus sogenannten “Joint Forces”-Projekten, die Tchibo mit Partnern betreibt. Daran hält das Unternehmen fest. Aber künftig will es auch bei den 80 Prozent seines Rohkaffees, die bislang aus konventionellem Anbau stammen, auf Nachhaltigkeitsaspekte achten. Tchibo spricht von “verantwortungsvollem Einkauf”.  

Programme für 75.000 Kleinbauern geplant

“Für jeden unserer Kaffees müssen wir wissen, woher er kommt und unter welchen Bedingungen er produziert wird”, sagt Pablo von Waldenfels, der Direktor Unternehmensverantwortung. 2027 soll die Strategie umgesetzt sein. Tchibo kauft jährlich ungefähr 180.000 Tonnen Kaffee ein. Der konventionelle Anteil stamme von rund 75.000 nicht zertifizierten Kleinfarmern, unter anderem aus Guatemala, Honduras, Vietnam und Brasilien. Tchibo will den Bauern helfen, Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zu machen, was je nach Region unterschiedliche Schwerpunkte haben kann.

  • In Honduras gehe es vor allem um Armutsbekämpfung, also die Erhöhung der niedrigen Einkommen durch Hilfsmaßnahmen zur Produktionssteigerung, etwa Schulungen.
  • Bisherige Erfahrungen zeigen, dass die Kleinbauern die Produktivität schon durch einfache landwirtschaftliche Verfahren wie Beschneiden, Unkraut jäten und Mulchen um 50 Prozent steigern können.
  • Dagegen liege der Fokus bei dem Programm in Brasilien mit seiner stark technisierten Plantagenwirtschaft von Kaffee auf dem Schutz von Biodiversität, Klima und Wasser
  • In den Programmen gehe es unter anderem um Agroforstwirtschaft, Aufforstung sowie die Diversifizierung der Einkommen von Bauern, etwa durch den Anbau von Obstbäumen und anderen Feldfrüchten. Bestandteil sei auch die Pflanzung neuer Kaffeesorten, die besser extremen Wetterlagen standhalten.

Das Hamburger Unternehmen setzt seit Anfang der 1990er-Jahre auf zertifizierte Kaffees und gehört zu den Fairtrade-Pionieren. Allerdings rückt das Unternehmen die Siegel bei der Vermarktung schon länger nicht mehr in den Vordergrund, weil es insgesamt als nachhaltige Marke wahrgenommen werden will. Dazu passt der jetzige Schritt. Wo steht das Unternehmen?

Kaffeeanbauflächen durch Klimawandel massiv bedroht

Tchibo verdiene Anerkennung für seine “klaren und gut definierten Nachhaltigkeitsinvestitionen und Investitionen innerhalb seiner Lieferkette”, heißt es im “Coffee Brew Index 2023”. Erstellt wird dieser von der US-NGO Conservation International und dem in über 50 Ländern tätigen Netzwerk Solidaridad.

Trotzdem gibt es noch Luft nach oben. Die Autoren des Index verweisen darauf, dass das Unternehmen mehr gegen die Abholzung von Wäldern und mehr für die “wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Kaffeebauern” tun sollte. Auf der fünfstufigen Skala des Index liegt Tchibo im Mittelfeld (siehe Grafik).

Kaffeeröster müssen heute auch aus Eigeninteresse ein Auge darauf haben, sich langfristig ausreichende Volumina an Kaffee in definierten Qualitäten zu sichern. Dabei kann es helfen, Farmer durch Programme an sich zu binden. Zwar halten sich Angebot und Nachfrage beim Kaffee noch weitgehend die Waage: Die Weltkaffeeernte wird laut der International Coffee Organisation im laufenden Kaffeejahr 2023/24 voraussichtlich um 5,8 Prozent auf 178 Millionen 60-Kilo-Säcke steigen, der Verbrauch um 2,2 Prozent auf 177 Millionen Säcke.

Aber die globale Nachfrage dürfte weiter zulegen, während das Angebot aus klimatischen und sozioökonomischen Gründen deutlich sinken könnte. Denn die temperaturempfindliche Kaffeepflanze gedeiht nur im Tropengürtel. Weltweit könnte die Anbaufläche je nach Temperaturanstieg bis 2050 um bis zu 60 Prozent schrumpfen. In manchen Regionen wie Brasilien sogar noch drastischer. Wenn die Weltgemeinschaft die Pariser Klimaziele verfehlt, könnten hier mehr als 90 Prozent der Flächen für den Kaffeeanbau verloren gehen. Außerdem könnten sich Kleinbauern aus dem Anbau verabschieden, weil sich dieser für sie nicht mehr lohnt.

12,5 Millionen Kaffeebauern gibt es weltweit. 95 Prozent der Farmen sind laut Coffeebarometer nicht größer als fünf Hektar, 84 Prozent kleiner als zwei Hektar. Die Einkommen der Kleinbauern sind häufig gering, was zu Problemen wie Kinderarbeit und illegaler Abholzung führt. Tchibo will mit seinen Programmen Kleinbauern mit sehr kleinen Anbauflächen adressieren.

“Alarmierende Situation im Kaffeegürtel erfordert Haltung und Handeln”

“Die alarmierende Situation im Kaffeegürtel erfordert Haltung und Handeln“, sagt Pablo von Waldenfels. Wir rücken näher an die Produzenten heran, “gehen weg von einem reinen Commodity-Thema und wirklich in die Lieferketten rein”. Mit den Kleinbauern will Tchibo Ziele über Abnahmemengen verabreden. Allerdings blieben diese Vereinbarungen unverbindlich. Es gebe keine Abnahmegarantien und keinen Mindestpreis, wie es beim Fairen Handel der Fall ist. “Am Ende bleibt es Verhandlungssache, wie viel Kaffee wir abnehmen”, sagt von Waldenfels.

Das Unternehmen will beweisen, dass es seine gesamten Kaffeelieferketten nachhaltiger gestalten kann, unabhängig davon, wie teuer der Kaffee im Regal ist. Ein Balanceakt. Es sei nicht möglich, “in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld vollständig aus den etablierten Preisen auszubrechen“, heißt es bei Tchibo. Zudem steht die gesamte Firma selbst unter Kostendruck. 2022 verzeichnete sie einen historisch hohen Verlust von 167 Millionen Euro. Tchibo gehört zu 100 Prozent der Holding Maxingvest, in der einige Mitglieder der Familie Herz ihre Beteiligungen gebündelt haben.  

Tchibo will in seine Programme lokale Organisationen und NGOs, aber auch die Non-Profit-Organisation World Coffee Research oder den Deutschen Kaffeeverband einbeziehen und über die Aktivitäten transparent berichten. Das ist wichtig. Bei Programmen anderer Unternehmen im Kakaosektor gibt es immer wieder Kritik an der Intransparenz hinsichtlich ihrer Wirkungen.

Drittpartei soll unabhängig prüfen

“Wir wollen eine Drittpartei haben, die unabhängig prüft”, sagt von Waldenfels – aber es solle anders geprüft werden als in einem Zertifizierungssystem. Die NGO Enveritas werde Länderberichte und Analysen für alle Kaffeeländer vorlegen, in denen Tchibo regelmäßig einkaufe.

Enveritas erhebt bereits regelmäßig statistisch signifikante Stichproben in Kaffeeregionen, zu Themen wie Kinderarbeit, Entwaldung oder Bodengesundheit. Die bewerteten sozialen und ökologischen Indikatoren “basieren auf jahrzehntelangen Verträgen und Protokollen von Organisationen wie der UNO und IAO und haben einen breiten zivilgesellschaftlichen Konsens”, heißt es bei Enveritas. 

Tchibo erhalte aggregierte Daten zu Regionen, zum Beispiel die Information, dass in einer Region 25 Prozent der Farmer Schutzausrüstungen beim Ausbringen von Pestiziden nutzen. Auf dieser Grundlage will Tchibo dann seine Aktionsprogramme formulieren. Es gehe darum, in jeder Region die zwei bis drei wichtigsten Themen zu adressieren und dann gemeinsam in die Lieferkette zu gehen, sagt von Waldenfels. Die Wirksamkeit der Programme wird dann später überprüft, indem Enveritas Daten von teilnehmenden Bauern mit Farmern vergleicht, die an keinem Programm teilgenommen haben. Mit der Zeit wird man sehen können, ob und wenn ja, welche Wirkungen das Konzept des “verantwortungsvollen Einkaufs” von Tchibo für Kleinbauern haben wird.

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News

Ampel-Koalition ist sich bei GLÖZ 8 uneinig

Der Countdown läuft: Bis Freitag muss die EU-Kommission informiert werden, ob die Bundesregierung an der Zwangsbrache (GLÖZ 8) festhalten will oder analog zum Vorschlag der Brüsseler Behörde für eine Lockerung der Regel stimmt. Dann könnten Landwirte in diesem Jahr Leguminosen und Zwischenfrüchte auf Brachen ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln anbauen. Die Ampel-Koalition ist sich uneinig.

Die Grünen knüpfen ihre Zustimmung an eine Bedingung. Das Kabinett soll am Mittwoch Eckpunkte zu Öko-Regelungen verabschieden. Ziel: mehr Biodiversität und mehr Geld für die Öko-Regelungen. Unter dieser Maßgabe konnte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir seine Parteikollegin und Umweltministerin Steffi Lemke überzeugen, von der Zwangsbrache abzurücken. Gegenwind kommt von der FDP. Die Partei will zum jetzigen Zeitpunkt kein Eckpunktepapier zu Öko-Regelungen verabschieden, aber trotzdem Ausnahmen für die Zwangsbrache einführen.

Özdemir will mehr Geld für Öko-Regelungen

Özdemir schweben im Rahmen des Eckpunktepapiers neue Öko-Regelungen für Milchviehhalter und Dauergrünland vor. Statt der Zwangsbrache wolle er erreichen, “dass man mit Biodiversität Geld verdient”, sagte der Minister. Allerdings müsse das Budget für die Öko-Regelungen zulasten der Flächenprämie erhöht werden, fordert der Ressortchef. has/jd

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Agrarreform: Zukunftskommission soll konkrete Empfehlungen vorlegen

Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) will bis April konkrete Empfehlungen zur Agrarreform vorlegen. Diese sollen am 11. April bei einem Treffen an Bundeskanzler Scholz getragen werden.

Vertreter der Ampelkoalition und der ZKL hatten sich vergangenen Mittwoch getroffen, um über Maßnahmen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft zu diskutieren. Auf der Agenda des Treffens standen sieben Themen, auf die sich die Ampel in einem Entschließungsantrag Mitte Januar festgelegt hatte. Strittig sind die geplante Einführung einer Tierwohlabgabe, sowie Maßnahmen zur Bürokratieentlastung.

Wie Table.Media von der ZKL erfuhr, will das Gremium weiter an seinem Abschlussbericht von 2021 festhalten. “Das setzt ein wichtiges Signal dafür, dass sich Landwirtschaft, Umwelt, Naturschutz und Wissenschaft weiter einig sind”, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Zukunftskommission Achim Spiller. In den kommenden Wochen wird die ZKL ihre Empfehlungen konkretisieren und die Themen aus dem Entschließungsantrag sowie die aktuellen Bauernproteste aufgreifen.

Ampelkoalition bei Tierwohlabgabe noch uneinig

Bislang besteht Uneinigkeit innerhalb der Ampelkoalition, wie eine Tierwohlabgabe in der Praxis aussehen könnte. Aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) kam der Vorstoß, einen Tierwohlcent ähnlich einer Kaffeesteuer einzuführen. Die Grünen unterstützen den Vorschlag. Auch die SPD gibt sich offen. Laut SPD-Agrarpolitikerin Susanne Mittag sei eine solche Tierwohlabgabe “systematisch sinnvoll”, allerdings müsse die Höhe einer solchen Verbrauchssteuer noch diskutiert werden.

Die FDP blockiert weiterhin den Vorschlag. Der Grund: Seitens der Liberalen bestehen Bedenken, dass eine solche Steuer gegen das europarechtliche Verbot wettbewerbsverzerrender Beihilfen verstoßen könnte. Zudem wäre nicht gesichert, dass die Einnahmen einer solchen Steuer zwingend in den Umbau der Tierhaltung fließen. Im Koalitionsvertrag sei außerdem vereinbart, dass es keine Steuererhöhungen geben werde. “Eine langfristige wirtschaftliche Perspektive kann nur marktwirtschaftlich sichergestellt werden”, sagt Gero Hocker, Sprecher des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft der FDP-Fraktion, zu Table.Media.

Ampel-Fraktionen wollen Entwurf bis April vorlegen

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte im Januar in einem Interview mit top agrar betont, dass ihm ein Gesamtpaket zur Entlastung der Landwirte wichtig sei, das insbesondere die Wiedereinführung der steuerlichen Tarifglättung und eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage beinhalte. Dieses Paket müsse auch einen nachhaltigen Bürokratieabbau sicherstellen. So könnte zum Beispiel die Düngemittelverordnung vereinfacht werden.

Bis April wollen die Ampel-Fraktionen einen ersten Entwurf auf den Weg bringen und mit den Empfehlungen der ZKL abgleichen. Das Gesetzespaket soll im Sommer auf den Weg gebracht werden. ag

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EU-Länder geben grünes Licht für Ukraine-Freihandel

Die EU-Botschafter votierten vergangene Woche mehrheitlich dafür, den zollfreien Handel mit der Ukraine um ein Jahr zu verlängern. Polen, Ungarn und die Slowakei, die sich laut Diplomatenkreisen gegen die Verlängerung stellten, wurden überstimmt. Die drei Anrainerstaaten der Ukraine argumentieren, heimische Landwirte würden durch die erleichterten Importe vom Markt verdrängt.

Mit der Zustimmung der EU-Länder nimmt der Vorschlag eine wichtige Hürde, die Entscheidung im Parlament steht noch aus. Am 7. März soll der federführende Handelsausschuss abstimmen, im April das Plenum. Die aktuellen Handelserleichterungen, die die EU der Ukraine zur wirtschaftlichen Unterstützung angesichts des russischen Angriffskriegs gewährt hat, laufen Anfang Juni aus.

Schutzmechanismen für Zucker, Hühnerfleisch und Eier geplant

Um Zeit zu sparen und eine rechtzeitige Verabschiedung der neuen Maßnahmen zu ermöglichen, übernahmen die EU-Botschafter den Vorschlag der Kommission unverändert. Die Berichterstatterin des Parlaments, Sandra Kalniete (EVP), schlägt vor, dies ebenfalls zu tun.

Die Kommission hatte vorgeschlagen, Zölle und Quoten auf ukrainische Importe für ein weiteres Jahr auszusetzen. Es sollen aber verschiedene Schutzmechanismen greifen, unter anderem eine Art Notbremse für Einfuhren von Zucker, Hühnerfleisch und Eiern. Die Importe dieser Produkte aus der Ukraine sind laut Kommission seit Beginn der Handelserleichterungen besonders stark angestiegen.

Agrarausschuss will Änderungen

Dass das Parlament den Vorschlag der Brüsseler Behörde unverändert annimmt, ist nicht ausgemacht. Kritik kommt unter anderem aus dem Agrarausschuss, der eine beratende Rolle einnimmt und am gestrigen Montagabend seine Position verabschiedete. Darin sprechen sich die Abgeordneten zwar grundsätzlich für ein weiteres Jahr Freihandel aus, wollen aber zusätzliche Schutzmaßnahmen. So soll geplante Notbremse für mehr Produkte gelten, als die Kommission vorsieht. Vor der Einfuhr in die EU soll festgelegt werden, für welches Zielland ein Produkt bestimmt ist.

Einzelne Abgeordnete der beiden rechten Parteien EKR und ID sprechen sich dafür aus, die Handelserleichterungen gar nicht zu verlängern und den Kommissionsvorschlag abzulehnen. Diese Position dürfte im Parlamentsplenum aber voraussichtlich in der Minderheit bleiben. jd

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Lieferkettengesetz: Grüne sehen Deutschlands Einfluss in Brüssel gefährdet

Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann, hat das Verhalten der FDP gegenüber der Europäischen Union kritisiert und davor gewarnt, Deutschland könne an Einfluss verlieren. Sie spielt hier unter anderem auf die Einigung zum EU-Lieferkettengesetz an, die die FDP derzeit blockiert. “Wir müssen ein verlässlicher Partner sein und zu dem Wort stehen, das wir einmal gegeben haben”, sagte sie zu Table.Media. “Wenn wir in den Verhandlungen eine Position vertreten, andere Mitgliedsländer auf uns zugehen und wir dann doch nicht für das erzielte Ergebnis stimmen: Dann werden die Mehrheiten künftig ohne Deutschland gebildet.” Dies könne auch wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen: “Wichtige Anliegen können wir dann nicht mehr einbringen, etwa für Unternehmen.” 

Lührmann, in ihrem Amt für die Themen Europa und Klima zuständig, reagiert damit auf ein Interview von Bundesjustizminister Marco Buschmann im Spiegel. Darin verteidigte der FDP-Politiker sein spätes Veto gegen das EU-Lieferkettengesetz, welches erst nach der Trilogeinigung erfolgte.

Große Lebensmittelkonzerne fordern Unterstützung für Trilogeinigung

Da ohne die Zustimmung Deutschlands fraglich ist, ob sich eine qualifizierte Mehrheit für den Kompromiss finden wird, haben sich mehrere große Lebensmittelkonzerne vergangene Woche an einen anderen Mitgliedsstaat gewandt, mit dessen Votum das EU-Lieferkettengesetz stehen und fallen könnte – Italien. In einem gemeinsamen Brief fordern Unternehmen wie Mondelez, Ferrero und Mars Wrigley die italienische Regierung auf, für die Trilogeinigung zu stimmen.

Ganz anders hatten sich weite Teile der deutschen Agrar- und Ernährungsbranche zuvor positioniert. Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) beispielsweise hatte das EU-Lieferkettengesetz im Januar als “nicht tragbar” bezeichnet. Der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) erscheint das Trilogergebnis übereilt. maw, heu

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Brief an Lindner: BDE warnt vor Scheitern der Verpackungsverordnung

Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) hat in einem Brief Bundesfinanzminister Christian Lindner dazu aufgefordert, die EU-Verpackungsverordnung nicht zu blockieren. Lindner solle vielmehr Sorge dafür tragen, dass die Bundesregierung “einen konstruktiven Beitrag zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen noch in dieser EU-Legislaturperiode” leiste.

Vorletzte Woche hatte Table.Media über einen möglichen Deal zwischen Lindner und Italien berichtet, in dem Rom dem FDP-Chef zu einer Sperrminorität im Rat bei der Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) verhelfe und Lindner Italien im Gegenzug dabei unterstütze, die Verpackungsverordnung zu blockieren.

Die Verpackungsverordnung dürfe nicht “zum Gegenstand eines politischen Kuhhandels werden”, schreiben BDE-Hauptgeschäftsführer Andreas Bruckschen und der Leiter der Brüsseler Vertretung des BDE, Christian Suhl. Sie warnen vor dem “allgemeinen politischen Schaden”, den ein solcher Deal dem Ansehen der Bundesregierung auf europäischer Ebene zufügen würde.

Recyclingindustrie für Kunststoffe unter Druck

Das Gesetz sei “für die deutsche Recyclingwirtschaft von existenzieller Bedeutung“, heißt es in dem Schreiben. Die Vorgaben zur Recyclingfähigkeit von Verpackungen und zum Einsatz von Rezyklat seien notwendig, um den Markt für Rezyklate zu stimulieren. Die Recyclingindustrie für Kunststoffe stehe aufgrund der niedrigen Primärrohstoffpreise und der deshalb geringen Nachfrage nach Rezyklat unter Druck; auch die hohen Energiepreise sowie der Konkurrenzdruck durch Importe aus Asien machten der hiesigen Industrie zu schaffen.

Auf eine Anfrage reagierte das Bundesfinanzministerium bisher nicht. Die EU-Verpackungsverordnung wird derzeit im Trilog verhandelt. Laut Entwurf sollen alle Verpackungen in der EU ab 2030 recyclingfähig sein. Hierüber sind sich Rat und Parlament weitgehend einig. Schwieriger sind die Verhandlungen über Mehrwegquoten und das Verbot einiger Einwegverpackungen. Beim nächsten Treffen auf politischer Ebene am 4. März wird eine Einigung angestrebt. leo

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Strafzölle der USA auf spanische Oliven-Exporte sind nicht gerechtfertigt

Im Handelsstreit mit den USA hat die Welthandelsorganisation (WTO) der EU recht gegeben. Strafzölle auf Oliven-Exporte aus Spanien seien regelwidrig, Washington müsse diese zurücknehmen. Als Gegenmaßnahme könne die EU ebenfalls Strafzölle einführen. Das will sie aber bislang nicht, teilt ein Sprecher der EU-Kommission mit. Die Brüsseler Behörde erwarte aber, dass die USA den Schiedsspruch zügig umsetzt.

Seit August 2018 erhebt die USA Strafzölle in Höhe von maximal 44 Prozent auf Oliven-Exporte aus Spanien. Dies sei gerechtfertigt, weil spanische Olivenbauern EU-Agrarsubventionen erhalten, meint Washington. Die Agrarförderung ist aus Sicht der WTO aber kein triftiger Grund für das Verhängen von Strafzöllen.

Spanischer Olivensektor hart getroffen

Dass die USA jetzt auf Strafzölle verzichtet, ist nicht selbstverständlich. Bereits 2021 erklärte die WTO, dass die Zölle regelwidrig seien. Bislang ohne Konsequenzen. Wirtschaftlich hat der seit Jahren andauernde Handelsstreit den Sektor in Spanien hart getroffen. 2017, vor dem Einsetzen der Zölle, kamen nach Angaben der EU-Kommission mehr als drei Viertel der in die USA importierten reifen Oliven aus Spanien. 2022 war es nur noch rund ein Viertel. Die Kommission begrüßte das WTO-Urteil als “klaren und vollständigen Sieg für die EU”. jd

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Milch- und Weinindustrie profitiert vom Freihandel

Die EU-Handelsagenda habe das Potenzial, für die EU-Agrar- und Ernährungswirtschaft von Vorteil zu sein. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC), die die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat. Durch Handelsabkommen profitieren vor allem EU-Produzenten von Molkereiprodukten, Schweinefleisch, Wein und Getränken sowie verarbeiteten Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen. Der Milchsektor könnte seine Exporte künftig beispielsweise um 4,8 Prozent erhöhen. Analog dazu würde der Erzeugerpreis für Milch um 0,4 Prozent steigen.

Allerdings gilt das nicht für alle Produktionszweige: Umgekehrt drücken Importe von Rind-, Schaffleisch, Geflügel, Zucker und Reis im EU-Binnenmarkt auf die Erzeugerpreise. Berechnungen zufolge würde der Erzeugerpreis für Rindfleisch künftig beispielsweise um 2,4 Prozent sinken. Unterm Strich würde die Handelsbilanz des EU-Lebensmittelsektors aber ausgeglichen bleiben, “mit leicht positiven Auswirkungen auf die Ausfuhren”, analysieren die Studienautoren.

Copa-Cogeca bekräftigt Mercosur-Kritik

Den europäischen Bauernverband Copa-Cogeca überzeugt das nicht. Die Studie zeige “deutlich”, wie der südamerikanische Staatenbund Mercosur auf Kosten anderer Handelspartner profitiere. Das trifft vor allem auf Rindfleischimporte zu. Anders sieht es EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Landwirte erhielten durch eine Liberalisierung ebenfalls Zugang zu neuen Märkten, und die EU zu mehr Handelspartnern. Das stärke die Unabhängigkeit und entsprechend die Ernährungssicherheit.

In der Studie werden die potenziellen Auswirkungen von zehn bevorstehenden Freihandelsabkommen auf die EU-Handelsbilanz des Lebensmittelsektors in 2032 untersucht. Unter den ausgewählten Handelspartnern sind beispielsweise der Staatenbund Mercosur, Australien und Neuseeland.

Das Abkommen mit dem Mercosur steht unter scharfer Kritik. Vorerst scheiterte es am Widerstand aus Argentinien und fehlender Unterstützung Frankreichs. ag

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Termine

27.02.2024 – 09.00 – 15.00 Uhr / Brüssel
Parlamentsplenum Abstimmung zum EU-Renaturierungsgesetz
Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur. INFO

28.02. – 01.03.2024 / Stuttgart
Messe New Food Festival
Unter dem Motto “Die Zukunft ist jetzt” bietet die fünfte internationale Konferenz und Messe mit Keynotes, Talkpanels, Pitches, Break out Sessions und Roundtables Inspiration, Networking, Fachwissen und Erfahrungsaustausch zu Startups und Innovationen aus dem Lebensmittel-, Agrar-, Gastronomie- und Handelsbereich entlang der gesamten Nahrungsmittelwertkette. INFO

29.02.- 01.03.2024 / Tagungszentrum des FBN
Tagung Der Tierhaltung eine Zukunft geben – Nutztier-Forum
Expert:innen diskutieren den aktuellen Stand des Wissens über Tierwohl auf dem Nutztier-Forum am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN). Eine wissenschaftliche Tagung, die ein Update zur Tierwohl-Entwicklung in Deutschland gibt und einlädt, darüber in den Austausch zu kommen. INFO

03.04. – 04.03.2024 / Karlsruhe
Messe Eurovino Fachmesse für Wein
Die EUROVINO – Fachmesse für Wein feiert am 3. + 4. März 2024 ihre Premiere in der Messe Karlsruhe. Sie ist die neue Plattform für Weinerzeuger, -vermarkter und -abnehmer mit Fokus auf den deutschsprachigen und europäischen Absatzmarkt. INFO

05.03.- 08.03.2024 / Justus-Liebig-Universität Gießen
17. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau Landwirtschaft und Ernährung – Transformation macht nur gemeinsam Sinn
Im Fokus stehen der fachliche Austausch zu neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und innovativen Lösungsansätzen für eine zukunftsfähige Land- und Ernährungswirtschaft sowie für die Transformation hin zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem. INFO & PROGRAMM

06.03.2024 – 9.00 – 16.00 Uhr / Auditorium Friedrichstraße 180, 10117 Berlin
Symposium HumusKlimaTag – Symposium für Humusaufbau und Klimaschutz
Der HumusKlimaTag ist ein Symposium für Humusaufbau und Klimaschutz. Am Vorabend findet der Politische Auftakt zum HumusKlimaNetz statt. Veranstalter sind der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft und DBV. INFO & ANMELDUNG

06.03.2024 – 9:15 – 16:00 Uhr / online
Tagung Ökolandbau und Wasserschutz – Jede Region ist anders
Ökolandbau verzichtet auf synthetische Pflanzenschutzmittel und hat eine geringere Stickstoff-Intensität pro Hektar. Aber auch Ökolandbau braucht genug Nährstoffe für akzeptable Erträge. Die zentrale Frage, die sich an jedem Standort je nach Boden, Klima und Kulturen anders stellt, lautet: Wie Öko-Kulturen gut ernähren – ohne das Grundwasser zu belasten? INFO

11.03.- 14.03.2024 / Potsdam
DAFA-Konferenz Agrarforschung zum Klimawandel
Bei der Konferenz “Agrarforschung zum Klimawandel” der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) wird der aktuelle Stand der Wissenschaft zu zentralen Themen im Bereich Landwirtschaft im Klimawandel präsentiert und diskutiert. Es soll gezeigt werden, welche Auswirkungen des Klimawandels die Landwirtschaft zukünftig zu erwarten hat, welche Anpassungsmaßnahmen erfolgversprechend sind und welche Stellschrauben für den Klimaschutz im Agrarsektor nötig sind. INFO

Presseschau

Frankreichs Präsident Macron muss Agrarmesse wegen Bauernprotesten verspätet eröffnen AgE
Polens Landwirtschaftsminister Siekierski fordert neuen Ansatz für Zusammenarbeit mit der Ukraine AgE
Lettland verbietet Agrarimporte aus Russland agrarheute
Neue Präsidentin von Renew Europe Hayer will auf die Sorgen der Landwirte eingehen Euractiv
Tarifkonflikt im Handel: Verdi weitet Streiks aus Lebensmittelzeitung
Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz: Verbraucherschützer fordern Scholz zum Handeln auf Lebensmittelzeitung
Hubertus Paetow bleibt Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft AgE
Mercosur-Abkommen verstößt laut Greenpeace gegen EU-Klimagesetz Lebensmittelzeitung
Wieso Frankreichs Landwirte so mächtig sind Handelsblatt
Umfrage: Mehrheit der Agrargenossenschaften sieht Beruf des Landwirts in Gefahr top agrar
Schlechte CO₂-Bilanz für Obst und Gemüse aus urbanen Gärten Spiegel
Rising Demand for Donkey Gelatin in China Sparks Conservation Concerns in Africa as Governments Move to Regulate Trade New York Times

Heads

Claudia Brück: Fairtrade von der Pike auf

Claudia Brück in Brasilien: Ein Berufsleben für den fairen Handel

Werden gesetzliche Regeln zum Schutz von Mensch und Umwelt in den Lieferketten den fairen Handel überflüssig machen? Schön wäre es, sagt Claudia Brück, aber das sei nicht in Sicht. Brück ist Vorständin für Kommunikation und Politik beim gemeinnützigen Verein Fairtrade Deutschland, der das bekannte Siegel mit demselben Namen vergibt. Zwar brächten die Lieferkettengesetze wichtige Verbesserungen, aber es bleibe noch ein gehöriger Weg hin zu weltweiten menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Ziel des fairen Handels seien Einkommen, die Menschen ein finanzielles Auskommen böten, mit dem sie sich sozial, gesellschaftlich und persönlich weiterentwickeln können.

Welche Entwicklungsmöglichkeiten der faire Handel ermöglichen kann, erlebte Brück im Sommer 2023 in Brasilien beim Besuch einiger Kaffeekooperativen. Diese nutzten die Einnahmen aus fairem Handel, um eine eigene Röstung und den Verkauf ihres Kaffees auf regionalen Märkten anzuschieben. Auch der Aufbau eigener Läden, in denen sie Waren des täglichen Gebrauchs und für die Feldarbeit zu günstigeren Preisen anboten, gehörte zu den bemerkenswerten Eigeninitiativen. Eine dieser Kooperativen bot sogar Englischunterricht für Erwachsene und Kinder an.

Seit ihrem Studium der Regionalwissenschaft Lateinamerika, während dessen sie zwei Jahre in Argentinien lebte, kennt sich Brück mit dem Kontinent gut aus. Bei dem Austausch mit den Fairtrade-Bauern dort und anderswo auf der Welt helfen ihr aber auch frühere Erfahrungen.

Evangelische Kirche und Friedensbewegung prägen sie

Sie wuchs in den 1970er-Jahren in einem kleinen Dorf im Hunsrück auf. Brück ist das jüngste Kind von drei Geschwistern. Kurz nach ihrer Geburt gaben die Eltern die Landwirtschaft auf. Fünf Milchkühe hielten sie zuletzt im Nebenerwerb. Während der Erntezeit half sie bisweilen Verwandten, erntete Kartoffeln, Heu oder Weintrauben. Stark prägte sie ihre Mutter, die nach dem frühen Tod des Vaters eine Ausbildung machte und die Schreinerei der Familie mit einigen Angestellten bis zum Jahr 2000 führte. Wichtig war auch ihre enge Verbindung zur evangelischen Kirche und der Friedensbewegung der 1980er-Jahre. Sie demonstrierte gegen die Stationierung von Raketen auf dem Hunsrück und arbeitete ehrenamtlich in einem der Weltläden, die damals den fairen Handel ausmachten.

Ende der 1980er-Jahre entstand dann die Idee, faire Waren auch im konventionellen Handel zu verkaufen. Damit konnte ein ungleich größerer Markt erschlossen werden. Zur Entwicklung der Kriterien und zur Kennzeichnung solcher Waren entstanden Siegelorganisationen.

Brück las bald nach dem Start von Transfair, wie die Siegelorganisation damals in Deutschland hieß, eine dreizeilige Stellenanzeige in der Lokalzeitung. Gesucht wurde eine Praktikantin für die Pressearbeit.

Nachdem sie die Praktikantenstelle übernommen hatte, stellte sie überrascht fest, dass es überhaupt keine Pressestelle gab. Wie so oft in neuen Organisationen ging es etwas chaotisch zu: wenige Menschen mussten die unterschiedlichsten Dinge tun. Aber das bot Chancen: Aus der Praktikantin wurde die Pressesprecherin, die schließlich eine ordentliche Kommunikationsabteilung leitete. Später wurde Brück Geschäftsführerin und dann ein Vorstandsmitglied. Seit dem Ausscheiden von Dieter Overath, der die Organisation an zentraler Stelle aufgebaut hatte, gibt es drei gleichberechtigte Vorstände.

Kaffeebauern waren gegen höheren Mindestpreis

Brück gestaltete den Wandel der Organisation mit, die anfangs durch Protestaktionen Aufmerksamkeit für die Anliegen der Kleinbauern im globalen Süden zu erzeugen suchte. Später wurde sie dann aber immer mehr zu einer Partnerorganisation von Handelsunternehmen und Markenfirmen. Anfangs war Fairtrade auch ein Liebling der Medien. Aber mit der Zeit kritisierten Wissenschaftler, Aktivisten und Journalisten auch manche Missstände.

Zum Job von Brück gehörte es daher auch, auf die Beschränkungen des fairen Handels hinzuweisen. Es ist eben ein Marktansatz. Höhere Preise müssen im Wettbewerb erzielt werden. Wie schwierig dies sein könne, sehe man am Mindestpreis für Kaffee. 13 Jahre lang habe Fairtrade ihn nicht angepasst, erzählt sie während einer Fahrt mit dem Kleinbus zu einer Kaffeekooperative in Brasilien.

Aber dies sei der Wunsch der beteiligten Bauern gewesen: sie selbst lehnten höhere Preise ab, trotz gestiegener Produktionskosten. Ihre Angst war, den Kaffee dann nur zu dem deutlich niedrigeren konventionellen Preis verkaufen zu können. Mittlerweile sei der Mindestpreis für Kaffee erhöht worden, sagt Brück. Allerdings garantiert der faire Handel keine Mindestabnahme. Wie viel zu fairen Preisen verkauft wird, entscheiden die Kaffeehändler und -verarbeiter. Einfache Lösungen für höhere Einkommen gibt es nicht. Ein Ansatz sei, die Produktion hochwertiger zu gestalten, damit mehr Wertschöpfung vor Ort entsteht. So wie bei den Kooperativen, die selbst Kaffee rösten.

Klimaneutralität ist die nächste Herausforderung

Beim fairen Handel machten einige indigene Gruppen mit, “die schon immer ökologisch angebaut haben”, sagt Brück. Auch sonst würden viele Bauern die Ökologie und das Soziale als zwei Seiten derselben Medaille ansehen. Auf ihre Frage, warum er ökologisch anbauen würde, habe ein Bauer gesagt: “Wenn ich mit meiner Familie gesund leben will, muss ich ökologisch anbauen.”

Aber in den fairen Standards ging es lange Zeit nur um soziale Fragen. Ökologische Aspekte wurden erst in den 2010er-Jahren integriert, nun habe die klimaneutrale Ausrichtung der Produktion hohe Priorität. Während sie erzählt, sind durch die Busfenster nur kleine Flecken Wald oder einzelne Urwaldriesen zu sehen. Sie habe hier “tolle Projekte” für den Kampf gegen die Klimakrise gesehen, sagt sie, “aber die große Wende steht noch aus“. Caspar Dohmen

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Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    begleitet von protestierenden Landwirten haben sich die EU-Agrarminister am Montag in Brüssel zum Bürokratieabbau beraten. Insgesamt 900 Traktoren blockierten Straßen im EU-Viertel, wie die Nachrichtenagentur Belga unter Berufung auf die Polizei berichtete. Protestierende setzten Reifen in Brand, schütteten Gülle auf die Straße und richteten Pyrotechnik gegen Polizisten. Die Beamten setzten Wasserwerfer ein. Während der Proteste wurden drei Polizisten verletzt, wie Belga am Abend berichtete. Über ihren Zustand sei jedoch nichts bekannt. Die Polizei werde Bildmaterial auswerten, um die Randalierer zu identifizieren. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski verurteilte die Gewalt durch Protestierende nicht. “Wir konzentrieren uns darauf, Lösungen zu finden, die den wichtigsten Anliegen der Landwirte gerecht werden”, sagte er am Rande des EU-Agrarrates. Über die Haltung der EU-Mitgliedstaaten zum Vorschlag der EU-Kommission für Bürokratieabbau in der Landwirtschaft informiert meine Kollegin Julia Dahm.

    Derweil verteidigt die Brüsseler Behörde ihre umstrittene Handelsagenda. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der EU-Kommission belege, dass die Agrar- und Ernährungswirtschaft von Freihandelsabkommen profitiere. Welche Sektoren das betrifft, hat meine Kollegin Amélie Günther aufgeschrieben.

    In Berlin wird Landwirtschaft erneut zur Chefsache. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will sich im April mit der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) treffen. Seine Vorgängerin Altkanzlerin Angela Merkel hatte das Gremium bekanntlich berufen.

    Ihre
    Henrike Schirmacher
    Bild von Henrike  Schirmacher

    Analyse

    EU-Agrarminister fordern von Kommission mehr Entlastungen für Landwirte

    Die Vorschläge der Kommission zur Entlastung der protestierenden Bauern reichen den EU-Landwirtschaftsministern nicht aus. Sie seien ein guter “erster Schritt”, der Agrarrat rufe die Kommission dazu auf, ihr Paket “rasch um ambitioniertere Maßnahmen zu ergänzen“, erklärte der belgische Minister David Clarinval in einer Pressekonferenz nach einer geschlossenen Sitzung des Rats. Auf einen gemeinsamen Forderungskatalog einigten sich die Minister aber nicht.

    In einem nicht bindenden Papier hatte die Kommission am vergangenen Donnerstag kurz- und mittelfristige Entlastungen skizziert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will damit ihr Versprechen an die protestierenden Bauern einlösen, den Verwaltungsaufwand zu mindern.

    Nitratrichtlinie auf dem Prüfstand

    Mittelfristig will die Kommission die Verwaltungslast angehen, die durch die EU-Nitratrichtlinie entsteht. Seit Dezember läuft dazu eine öffentliche Konsultation. Nach deren Abschluss im März sollen nächste Schritte geprüft werden. Im vergangenen Sommer hatte Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Verstößen gegen die Nitratrichtlinie eingestellt. Die Änderungen beim Düngerecht, die hierzu nötig waren, bleiben in der Branche umstritten.

    Ab März sollen Bauern in einer allgemeiner gefassten Online-Umfrage zudem ihre Beschwerden in Sachen Bürokratie vorbringen können. Darauf aufbauend will die Kommission im Herbst eine Studie zur Verwaltungslast vorlegen, die als Arbeitsauftrag für die neue Legislaturperiode fungieren dürfte.

    GAP-Änderungen nach Europawahl möglich

    Mittelfristig schließt die Kommission auch Gesetzesänderungen bei der GAP nicht aus – auch wenn das mitten in der Förderperiode ungewöhnlich wäre. Auch unter den Ministern gebe es hierfür Zustimmung, betonte Clarinval, der aktuell den Vorsitz des Agrarrats innehat. Zeitlich sei das aber erst nach der Europawahl möglich. Als kurzfristige Maßnahme schlug Clarinval vor, die EU-Regeln für nationale Beihilfen an Landwirtschaftsbetriebe weiter zu lockern. Die Mitgliedstaaten hätten dann mehr Spielraum, Höfe aus dem eigenen Haushalt zu unterstützen.

    Wie Agrifood.Table berichtete, visiert die Kommission außerdem mehrere kurzfristige Maßnahmen an, die ohne Gesetzesänderungen umgesetzt werden können. Dazu gehören Vereinfachungen bei GAP-Strategieplänen und weniger Vor-Ort-Kontrollen auf den Höfen. Neu ist, dass die Brüsseler Behörde auch Lockerungen bei den Vorgaben zur Bodenbedeckung (GLÖZ 6) in Erwägung zieht. Details sollen im April folgen.

    Dschungel an Forderungen bleibt

    Die EU-Länder hatten im Vorfeld des Agrarrats jeweils eigene Vorschläge für Entlastungen eingereicht. Diese bekräftigten die Minister bei dem Treffen am Montag, stimmten sie aber nicht weiter aufeinander ab. Die Entscheidung darüber, welche Ideen in Rechtsakte gegossen werden, obliegt nun der Kommission.

    Viele EU-Agrarminister gingen in ihren Forderungen weit über die GAP hinaus. So sprach sich der französische Minister Marc Fesneau dafür aus, beim Green Deal die Agrarproduktion stärker in den Vordergrund zu stellen. Laut Clarinval machten einige Minister während der Sitzung auch die Handelspolitik der EU zum Thema und machten sich für einen besseren Schutz heimischer Erzeuger stark.

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    Strategiewechsel: Wie Tchibo sein nachhaltiges Geschäft ausbaut

    Der Kaffeeröster Tchibo vollzieht einen Strategiewechsel. Bislang bezieht er nach eigenen Angaben rund 20 Prozent des Rohkaffees aus zertifiziertem Anbau (Fairtrade, Bio oder Rainforest Alliance) oder aus sogenannten “Joint Forces”-Projekten, die Tchibo mit Partnern betreibt. Daran hält das Unternehmen fest. Aber künftig will es auch bei den 80 Prozent seines Rohkaffees, die bislang aus konventionellem Anbau stammen, auf Nachhaltigkeitsaspekte achten. Tchibo spricht von “verantwortungsvollem Einkauf”.  

    Programme für 75.000 Kleinbauern geplant

    “Für jeden unserer Kaffees müssen wir wissen, woher er kommt und unter welchen Bedingungen er produziert wird”, sagt Pablo von Waldenfels, der Direktor Unternehmensverantwortung. 2027 soll die Strategie umgesetzt sein. Tchibo kauft jährlich ungefähr 180.000 Tonnen Kaffee ein. Der konventionelle Anteil stamme von rund 75.000 nicht zertifizierten Kleinfarmern, unter anderem aus Guatemala, Honduras, Vietnam und Brasilien. Tchibo will den Bauern helfen, Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zu machen, was je nach Region unterschiedliche Schwerpunkte haben kann.

    • In Honduras gehe es vor allem um Armutsbekämpfung, also die Erhöhung der niedrigen Einkommen durch Hilfsmaßnahmen zur Produktionssteigerung, etwa Schulungen.
    • Bisherige Erfahrungen zeigen, dass die Kleinbauern die Produktivität schon durch einfache landwirtschaftliche Verfahren wie Beschneiden, Unkraut jäten und Mulchen um 50 Prozent steigern können.
    • Dagegen liege der Fokus bei dem Programm in Brasilien mit seiner stark technisierten Plantagenwirtschaft von Kaffee auf dem Schutz von Biodiversität, Klima und Wasser
    • In den Programmen gehe es unter anderem um Agroforstwirtschaft, Aufforstung sowie die Diversifizierung der Einkommen von Bauern, etwa durch den Anbau von Obstbäumen und anderen Feldfrüchten. Bestandteil sei auch die Pflanzung neuer Kaffeesorten, die besser extremen Wetterlagen standhalten.

    Das Hamburger Unternehmen setzt seit Anfang der 1990er-Jahre auf zertifizierte Kaffees und gehört zu den Fairtrade-Pionieren. Allerdings rückt das Unternehmen die Siegel bei der Vermarktung schon länger nicht mehr in den Vordergrund, weil es insgesamt als nachhaltige Marke wahrgenommen werden will. Dazu passt der jetzige Schritt. Wo steht das Unternehmen?

    Kaffeeanbauflächen durch Klimawandel massiv bedroht

    Tchibo verdiene Anerkennung für seine “klaren und gut definierten Nachhaltigkeitsinvestitionen und Investitionen innerhalb seiner Lieferkette”, heißt es im “Coffee Brew Index 2023”. Erstellt wird dieser von der US-NGO Conservation International und dem in über 50 Ländern tätigen Netzwerk Solidaridad.

    Trotzdem gibt es noch Luft nach oben. Die Autoren des Index verweisen darauf, dass das Unternehmen mehr gegen die Abholzung von Wäldern und mehr für die “wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Kaffeebauern” tun sollte. Auf der fünfstufigen Skala des Index liegt Tchibo im Mittelfeld (siehe Grafik).

    Kaffeeröster müssen heute auch aus Eigeninteresse ein Auge darauf haben, sich langfristig ausreichende Volumina an Kaffee in definierten Qualitäten zu sichern. Dabei kann es helfen, Farmer durch Programme an sich zu binden. Zwar halten sich Angebot und Nachfrage beim Kaffee noch weitgehend die Waage: Die Weltkaffeeernte wird laut der International Coffee Organisation im laufenden Kaffeejahr 2023/24 voraussichtlich um 5,8 Prozent auf 178 Millionen 60-Kilo-Säcke steigen, der Verbrauch um 2,2 Prozent auf 177 Millionen Säcke.

    Aber die globale Nachfrage dürfte weiter zulegen, während das Angebot aus klimatischen und sozioökonomischen Gründen deutlich sinken könnte. Denn die temperaturempfindliche Kaffeepflanze gedeiht nur im Tropengürtel. Weltweit könnte die Anbaufläche je nach Temperaturanstieg bis 2050 um bis zu 60 Prozent schrumpfen. In manchen Regionen wie Brasilien sogar noch drastischer. Wenn die Weltgemeinschaft die Pariser Klimaziele verfehlt, könnten hier mehr als 90 Prozent der Flächen für den Kaffeeanbau verloren gehen. Außerdem könnten sich Kleinbauern aus dem Anbau verabschieden, weil sich dieser für sie nicht mehr lohnt.

    12,5 Millionen Kaffeebauern gibt es weltweit. 95 Prozent der Farmen sind laut Coffeebarometer nicht größer als fünf Hektar, 84 Prozent kleiner als zwei Hektar. Die Einkommen der Kleinbauern sind häufig gering, was zu Problemen wie Kinderarbeit und illegaler Abholzung führt. Tchibo will mit seinen Programmen Kleinbauern mit sehr kleinen Anbauflächen adressieren.

    “Alarmierende Situation im Kaffeegürtel erfordert Haltung und Handeln”

    “Die alarmierende Situation im Kaffeegürtel erfordert Haltung und Handeln“, sagt Pablo von Waldenfels. Wir rücken näher an die Produzenten heran, “gehen weg von einem reinen Commodity-Thema und wirklich in die Lieferketten rein”. Mit den Kleinbauern will Tchibo Ziele über Abnahmemengen verabreden. Allerdings blieben diese Vereinbarungen unverbindlich. Es gebe keine Abnahmegarantien und keinen Mindestpreis, wie es beim Fairen Handel der Fall ist. “Am Ende bleibt es Verhandlungssache, wie viel Kaffee wir abnehmen”, sagt von Waldenfels.

    Das Unternehmen will beweisen, dass es seine gesamten Kaffeelieferketten nachhaltiger gestalten kann, unabhängig davon, wie teuer der Kaffee im Regal ist. Ein Balanceakt. Es sei nicht möglich, “in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld vollständig aus den etablierten Preisen auszubrechen“, heißt es bei Tchibo. Zudem steht die gesamte Firma selbst unter Kostendruck. 2022 verzeichnete sie einen historisch hohen Verlust von 167 Millionen Euro. Tchibo gehört zu 100 Prozent der Holding Maxingvest, in der einige Mitglieder der Familie Herz ihre Beteiligungen gebündelt haben.  

    Tchibo will in seine Programme lokale Organisationen und NGOs, aber auch die Non-Profit-Organisation World Coffee Research oder den Deutschen Kaffeeverband einbeziehen und über die Aktivitäten transparent berichten. Das ist wichtig. Bei Programmen anderer Unternehmen im Kakaosektor gibt es immer wieder Kritik an der Intransparenz hinsichtlich ihrer Wirkungen.

    Drittpartei soll unabhängig prüfen

    “Wir wollen eine Drittpartei haben, die unabhängig prüft”, sagt von Waldenfels – aber es solle anders geprüft werden als in einem Zertifizierungssystem. Die NGO Enveritas werde Länderberichte und Analysen für alle Kaffeeländer vorlegen, in denen Tchibo regelmäßig einkaufe.

    Enveritas erhebt bereits regelmäßig statistisch signifikante Stichproben in Kaffeeregionen, zu Themen wie Kinderarbeit, Entwaldung oder Bodengesundheit. Die bewerteten sozialen und ökologischen Indikatoren “basieren auf jahrzehntelangen Verträgen und Protokollen von Organisationen wie der UNO und IAO und haben einen breiten zivilgesellschaftlichen Konsens”, heißt es bei Enveritas. 

    Tchibo erhalte aggregierte Daten zu Regionen, zum Beispiel die Information, dass in einer Region 25 Prozent der Farmer Schutzausrüstungen beim Ausbringen von Pestiziden nutzen. Auf dieser Grundlage will Tchibo dann seine Aktionsprogramme formulieren. Es gehe darum, in jeder Region die zwei bis drei wichtigsten Themen zu adressieren und dann gemeinsam in die Lieferkette zu gehen, sagt von Waldenfels. Die Wirksamkeit der Programme wird dann später überprüft, indem Enveritas Daten von teilnehmenden Bauern mit Farmern vergleicht, die an keinem Programm teilgenommen haben. Mit der Zeit wird man sehen können, ob und wenn ja, welche Wirkungen das Konzept des “verantwortungsvollen Einkaufs” von Tchibo für Kleinbauern haben wird.

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    News

    Ampel-Koalition ist sich bei GLÖZ 8 uneinig

    Der Countdown läuft: Bis Freitag muss die EU-Kommission informiert werden, ob die Bundesregierung an der Zwangsbrache (GLÖZ 8) festhalten will oder analog zum Vorschlag der Brüsseler Behörde für eine Lockerung der Regel stimmt. Dann könnten Landwirte in diesem Jahr Leguminosen und Zwischenfrüchte auf Brachen ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln anbauen. Die Ampel-Koalition ist sich uneinig.

    Die Grünen knüpfen ihre Zustimmung an eine Bedingung. Das Kabinett soll am Mittwoch Eckpunkte zu Öko-Regelungen verabschieden. Ziel: mehr Biodiversität und mehr Geld für die Öko-Regelungen. Unter dieser Maßgabe konnte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir seine Parteikollegin und Umweltministerin Steffi Lemke überzeugen, von der Zwangsbrache abzurücken. Gegenwind kommt von der FDP. Die Partei will zum jetzigen Zeitpunkt kein Eckpunktepapier zu Öko-Regelungen verabschieden, aber trotzdem Ausnahmen für die Zwangsbrache einführen.

    Özdemir will mehr Geld für Öko-Regelungen

    Özdemir schweben im Rahmen des Eckpunktepapiers neue Öko-Regelungen für Milchviehhalter und Dauergrünland vor. Statt der Zwangsbrache wolle er erreichen, “dass man mit Biodiversität Geld verdient”, sagte der Minister. Allerdings müsse das Budget für die Öko-Regelungen zulasten der Flächenprämie erhöht werden, fordert der Ressortchef. has/jd

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    Agrarreform: Zukunftskommission soll konkrete Empfehlungen vorlegen

    Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) will bis April konkrete Empfehlungen zur Agrarreform vorlegen. Diese sollen am 11. April bei einem Treffen an Bundeskanzler Scholz getragen werden.

    Vertreter der Ampelkoalition und der ZKL hatten sich vergangenen Mittwoch getroffen, um über Maßnahmen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft zu diskutieren. Auf der Agenda des Treffens standen sieben Themen, auf die sich die Ampel in einem Entschließungsantrag Mitte Januar festgelegt hatte. Strittig sind die geplante Einführung einer Tierwohlabgabe, sowie Maßnahmen zur Bürokratieentlastung.

    Wie Table.Media von der ZKL erfuhr, will das Gremium weiter an seinem Abschlussbericht von 2021 festhalten. “Das setzt ein wichtiges Signal dafür, dass sich Landwirtschaft, Umwelt, Naturschutz und Wissenschaft weiter einig sind”, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Zukunftskommission Achim Spiller. In den kommenden Wochen wird die ZKL ihre Empfehlungen konkretisieren und die Themen aus dem Entschließungsantrag sowie die aktuellen Bauernproteste aufgreifen.

    Ampelkoalition bei Tierwohlabgabe noch uneinig

    Bislang besteht Uneinigkeit innerhalb der Ampelkoalition, wie eine Tierwohlabgabe in der Praxis aussehen könnte. Aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) kam der Vorstoß, einen Tierwohlcent ähnlich einer Kaffeesteuer einzuführen. Die Grünen unterstützen den Vorschlag. Auch die SPD gibt sich offen. Laut SPD-Agrarpolitikerin Susanne Mittag sei eine solche Tierwohlabgabe “systematisch sinnvoll”, allerdings müsse die Höhe einer solchen Verbrauchssteuer noch diskutiert werden.

    Die FDP blockiert weiterhin den Vorschlag. Der Grund: Seitens der Liberalen bestehen Bedenken, dass eine solche Steuer gegen das europarechtliche Verbot wettbewerbsverzerrender Beihilfen verstoßen könnte. Zudem wäre nicht gesichert, dass die Einnahmen einer solchen Steuer zwingend in den Umbau der Tierhaltung fließen. Im Koalitionsvertrag sei außerdem vereinbart, dass es keine Steuererhöhungen geben werde. “Eine langfristige wirtschaftliche Perspektive kann nur marktwirtschaftlich sichergestellt werden”, sagt Gero Hocker, Sprecher des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft der FDP-Fraktion, zu Table.Media.

    Ampel-Fraktionen wollen Entwurf bis April vorlegen

    Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte im Januar in einem Interview mit top agrar betont, dass ihm ein Gesamtpaket zur Entlastung der Landwirte wichtig sei, das insbesondere die Wiedereinführung der steuerlichen Tarifglättung und eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage beinhalte. Dieses Paket müsse auch einen nachhaltigen Bürokratieabbau sicherstellen. So könnte zum Beispiel die Düngemittelverordnung vereinfacht werden.

    Bis April wollen die Ampel-Fraktionen einen ersten Entwurf auf den Weg bringen und mit den Empfehlungen der ZKL abgleichen. Das Gesetzespaket soll im Sommer auf den Weg gebracht werden. ag

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    EU-Länder geben grünes Licht für Ukraine-Freihandel

    Die EU-Botschafter votierten vergangene Woche mehrheitlich dafür, den zollfreien Handel mit der Ukraine um ein Jahr zu verlängern. Polen, Ungarn und die Slowakei, die sich laut Diplomatenkreisen gegen die Verlängerung stellten, wurden überstimmt. Die drei Anrainerstaaten der Ukraine argumentieren, heimische Landwirte würden durch die erleichterten Importe vom Markt verdrängt.

    Mit der Zustimmung der EU-Länder nimmt der Vorschlag eine wichtige Hürde, die Entscheidung im Parlament steht noch aus. Am 7. März soll der federführende Handelsausschuss abstimmen, im April das Plenum. Die aktuellen Handelserleichterungen, die die EU der Ukraine zur wirtschaftlichen Unterstützung angesichts des russischen Angriffskriegs gewährt hat, laufen Anfang Juni aus.

    Schutzmechanismen für Zucker, Hühnerfleisch und Eier geplant

    Um Zeit zu sparen und eine rechtzeitige Verabschiedung der neuen Maßnahmen zu ermöglichen, übernahmen die EU-Botschafter den Vorschlag der Kommission unverändert. Die Berichterstatterin des Parlaments, Sandra Kalniete (EVP), schlägt vor, dies ebenfalls zu tun.

    Die Kommission hatte vorgeschlagen, Zölle und Quoten auf ukrainische Importe für ein weiteres Jahr auszusetzen. Es sollen aber verschiedene Schutzmechanismen greifen, unter anderem eine Art Notbremse für Einfuhren von Zucker, Hühnerfleisch und Eiern. Die Importe dieser Produkte aus der Ukraine sind laut Kommission seit Beginn der Handelserleichterungen besonders stark angestiegen.

    Agrarausschuss will Änderungen

    Dass das Parlament den Vorschlag der Brüsseler Behörde unverändert annimmt, ist nicht ausgemacht. Kritik kommt unter anderem aus dem Agrarausschuss, der eine beratende Rolle einnimmt und am gestrigen Montagabend seine Position verabschiedete. Darin sprechen sich die Abgeordneten zwar grundsätzlich für ein weiteres Jahr Freihandel aus, wollen aber zusätzliche Schutzmaßnahmen. So soll geplante Notbremse für mehr Produkte gelten, als die Kommission vorsieht. Vor der Einfuhr in die EU soll festgelegt werden, für welches Zielland ein Produkt bestimmt ist.

    Einzelne Abgeordnete der beiden rechten Parteien EKR und ID sprechen sich dafür aus, die Handelserleichterungen gar nicht zu verlängern und den Kommissionsvorschlag abzulehnen. Diese Position dürfte im Parlamentsplenum aber voraussichtlich in der Minderheit bleiben. jd

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    Lieferkettengesetz: Grüne sehen Deutschlands Einfluss in Brüssel gefährdet

    Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann, hat das Verhalten der FDP gegenüber der Europäischen Union kritisiert und davor gewarnt, Deutschland könne an Einfluss verlieren. Sie spielt hier unter anderem auf die Einigung zum EU-Lieferkettengesetz an, die die FDP derzeit blockiert. “Wir müssen ein verlässlicher Partner sein und zu dem Wort stehen, das wir einmal gegeben haben”, sagte sie zu Table.Media. “Wenn wir in den Verhandlungen eine Position vertreten, andere Mitgliedsländer auf uns zugehen und wir dann doch nicht für das erzielte Ergebnis stimmen: Dann werden die Mehrheiten künftig ohne Deutschland gebildet.” Dies könne auch wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen: “Wichtige Anliegen können wir dann nicht mehr einbringen, etwa für Unternehmen.” 

    Lührmann, in ihrem Amt für die Themen Europa und Klima zuständig, reagiert damit auf ein Interview von Bundesjustizminister Marco Buschmann im Spiegel. Darin verteidigte der FDP-Politiker sein spätes Veto gegen das EU-Lieferkettengesetz, welches erst nach der Trilogeinigung erfolgte.

    Große Lebensmittelkonzerne fordern Unterstützung für Trilogeinigung

    Da ohne die Zustimmung Deutschlands fraglich ist, ob sich eine qualifizierte Mehrheit für den Kompromiss finden wird, haben sich mehrere große Lebensmittelkonzerne vergangene Woche an einen anderen Mitgliedsstaat gewandt, mit dessen Votum das EU-Lieferkettengesetz stehen und fallen könnte – Italien. In einem gemeinsamen Brief fordern Unternehmen wie Mondelez, Ferrero und Mars Wrigley die italienische Regierung auf, für die Trilogeinigung zu stimmen.

    Ganz anders hatten sich weite Teile der deutschen Agrar- und Ernährungsbranche zuvor positioniert. Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) beispielsweise hatte das EU-Lieferkettengesetz im Januar als “nicht tragbar” bezeichnet. Der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) erscheint das Trilogergebnis übereilt. maw, heu

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    Brief an Lindner: BDE warnt vor Scheitern der Verpackungsverordnung

    Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) hat in einem Brief Bundesfinanzminister Christian Lindner dazu aufgefordert, die EU-Verpackungsverordnung nicht zu blockieren. Lindner solle vielmehr Sorge dafür tragen, dass die Bundesregierung “einen konstruktiven Beitrag zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen noch in dieser EU-Legislaturperiode” leiste.

    Vorletzte Woche hatte Table.Media über einen möglichen Deal zwischen Lindner und Italien berichtet, in dem Rom dem FDP-Chef zu einer Sperrminorität im Rat bei der Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) verhelfe und Lindner Italien im Gegenzug dabei unterstütze, die Verpackungsverordnung zu blockieren.

    Die Verpackungsverordnung dürfe nicht “zum Gegenstand eines politischen Kuhhandels werden”, schreiben BDE-Hauptgeschäftsführer Andreas Bruckschen und der Leiter der Brüsseler Vertretung des BDE, Christian Suhl. Sie warnen vor dem “allgemeinen politischen Schaden”, den ein solcher Deal dem Ansehen der Bundesregierung auf europäischer Ebene zufügen würde.

    Recyclingindustrie für Kunststoffe unter Druck

    Das Gesetz sei “für die deutsche Recyclingwirtschaft von existenzieller Bedeutung“, heißt es in dem Schreiben. Die Vorgaben zur Recyclingfähigkeit von Verpackungen und zum Einsatz von Rezyklat seien notwendig, um den Markt für Rezyklate zu stimulieren. Die Recyclingindustrie für Kunststoffe stehe aufgrund der niedrigen Primärrohstoffpreise und der deshalb geringen Nachfrage nach Rezyklat unter Druck; auch die hohen Energiepreise sowie der Konkurrenzdruck durch Importe aus Asien machten der hiesigen Industrie zu schaffen.

    Auf eine Anfrage reagierte das Bundesfinanzministerium bisher nicht. Die EU-Verpackungsverordnung wird derzeit im Trilog verhandelt. Laut Entwurf sollen alle Verpackungen in der EU ab 2030 recyclingfähig sein. Hierüber sind sich Rat und Parlament weitgehend einig. Schwieriger sind die Verhandlungen über Mehrwegquoten und das Verbot einiger Einwegverpackungen. Beim nächsten Treffen auf politischer Ebene am 4. März wird eine Einigung angestrebt. leo

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    Strafzölle der USA auf spanische Oliven-Exporte sind nicht gerechtfertigt

    Im Handelsstreit mit den USA hat die Welthandelsorganisation (WTO) der EU recht gegeben. Strafzölle auf Oliven-Exporte aus Spanien seien regelwidrig, Washington müsse diese zurücknehmen. Als Gegenmaßnahme könne die EU ebenfalls Strafzölle einführen. Das will sie aber bislang nicht, teilt ein Sprecher der EU-Kommission mit. Die Brüsseler Behörde erwarte aber, dass die USA den Schiedsspruch zügig umsetzt.

    Seit August 2018 erhebt die USA Strafzölle in Höhe von maximal 44 Prozent auf Oliven-Exporte aus Spanien. Dies sei gerechtfertigt, weil spanische Olivenbauern EU-Agrarsubventionen erhalten, meint Washington. Die Agrarförderung ist aus Sicht der WTO aber kein triftiger Grund für das Verhängen von Strafzöllen.

    Spanischer Olivensektor hart getroffen

    Dass die USA jetzt auf Strafzölle verzichtet, ist nicht selbstverständlich. Bereits 2021 erklärte die WTO, dass die Zölle regelwidrig seien. Bislang ohne Konsequenzen. Wirtschaftlich hat der seit Jahren andauernde Handelsstreit den Sektor in Spanien hart getroffen. 2017, vor dem Einsetzen der Zölle, kamen nach Angaben der EU-Kommission mehr als drei Viertel der in die USA importierten reifen Oliven aus Spanien. 2022 war es nur noch rund ein Viertel. Die Kommission begrüßte das WTO-Urteil als “klaren und vollständigen Sieg für die EU”. jd

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    Milch- und Weinindustrie profitiert vom Freihandel

    Die EU-Handelsagenda habe das Potenzial, für die EU-Agrar- und Ernährungswirtschaft von Vorteil zu sein. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC), die die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat. Durch Handelsabkommen profitieren vor allem EU-Produzenten von Molkereiprodukten, Schweinefleisch, Wein und Getränken sowie verarbeiteten Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen. Der Milchsektor könnte seine Exporte künftig beispielsweise um 4,8 Prozent erhöhen. Analog dazu würde der Erzeugerpreis für Milch um 0,4 Prozent steigen.

    Allerdings gilt das nicht für alle Produktionszweige: Umgekehrt drücken Importe von Rind-, Schaffleisch, Geflügel, Zucker und Reis im EU-Binnenmarkt auf die Erzeugerpreise. Berechnungen zufolge würde der Erzeugerpreis für Rindfleisch künftig beispielsweise um 2,4 Prozent sinken. Unterm Strich würde die Handelsbilanz des EU-Lebensmittelsektors aber ausgeglichen bleiben, “mit leicht positiven Auswirkungen auf die Ausfuhren”, analysieren die Studienautoren.

    Copa-Cogeca bekräftigt Mercosur-Kritik

    Den europäischen Bauernverband Copa-Cogeca überzeugt das nicht. Die Studie zeige “deutlich”, wie der südamerikanische Staatenbund Mercosur auf Kosten anderer Handelspartner profitiere. Das trifft vor allem auf Rindfleischimporte zu. Anders sieht es EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Landwirte erhielten durch eine Liberalisierung ebenfalls Zugang zu neuen Märkten, und die EU zu mehr Handelspartnern. Das stärke die Unabhängigkeit und entsprechend die Ernährungssicherheit.

    In der Studie werden die potenziellen Auswirkungen von zehn bevorstehenden Freihandelsabkommen auf die EU-Handelsbilanz des Lebensmittelsektors in 2032 untersucht. Unter den ausgewählten Handelspartnern sind beispielsweise der Staatenbund Mercosur, Australien und Neuseeland.

    Das Abkommen mit dem Mercosur steht unter scharfer Kritik. Vorerst scheiterte es am Widerstand aus Argentinien und fehlender Unterstützung Frankreichs. ag

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    Termine

    27.02.2024 – 09.00 – 15.00 Uhr / Brüssel
    Parlamentsplenum Abstimmung zum EU-Renaturierungsgesetz
    Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur. INFO

    28.02. – 01.03.2024 / Stuttgart
    Messe New Food Festival
    Unter dem Motto “Die Zukunft ist jetzt” bietet die fünfte internationale Konferenz und Messe mit Keynotes, Talkpanels, Pitches, Break out Sessions und Roundtables Inspiration, Networking, Fachwissen und Erfahrungsaustausch zu Startups und Innovationen aus dem Lebensmittel-, Agrar-, Gastronomie- und Handelsbereich entlang der gesamten Nahrungsmittelwertkette. INFO

    29.02.- 01.03.2024 / Tagungszentrum des FBN
    Tagung Der Tierhaltung eine Zukunft geben – Nutztier-Forum
    Expert:innen diskutieren den aktuellen Stand des Wissens über Tierwohl auf dem Nutztier-Forum am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN). Eine wissenschaftliche Tagung, die ein Update zur Tierwohl-Entwicklung in Deutschland gibt und einlädt, darüber in den Austausch zu kommen. INFO

    03.04. – 04.03.2024 / Karlsruhe
    Messe Eurovino Fachmesse für Wein
    Die EUROVINO – Fachmesse für Wein feiert am 3. + 4. März 2024 ihre Premiere in der Messe Karlsruhe. Sie ist die neue Plattform für Weinerzeuger, -vermarkter und -abnehmer mit Fokus auf den deutschsprachigen und europäischen Absatzmarkt. INFO

    05.03.- 08.03.2024 / Justus-Liebig-Universität Gießen
    17. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau Landwirtschaft und Ernährung – Transformation macht nur gemeinsam Sinn
    Im Fokus stehen der fachliche Austausch zu neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und innovativen Lösungsansätzen für eine zukunftsfähige Land- und Ernährungswirtschaft sowie für die Transformation hin zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem. INFO & PROGRAMM

    06.03.2024 – 9.00 – 16.00 Uhr / Auditorium Friedrichstraße 180, 10117 Berlin
    Symposium HumusKlimaTag – Symposium für Humusaufbau und Klimaschutz
    Der HumusKlimaTag ist ein Symposium für Humusaufbau und Klimaschutz. Am Vorabend findet der Politische Auftakt zum HumusKlimaNetz statt. Veranstalter sind der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft und DBV. INFO & ANMELDUNG

    06.03.2024 – 9:15 – 16:00 Uhr / online
    Tagung Ökolandbau und Wasserschutz – Jede Region ist anders
    Ökolandbau verzichtet auf synthetische Pflanzenschutzmittel und hat eine geringere Stickstoff-Intensität pro Hektar. Aber auch Ökolandbau braucht genug Nährstoffe für akzeptable Erträge. Die zentrale Frage, die sich an jedem Standort je nach Boden, Klima und Kulturen anders stellt, lautet: Wie Öko-Kulturen gut ernähren – ohne das Grundwasser zu belasten? INFO

    11.03.- 14.03.2024 / Potsdam
    DAFA-Konferenz Agrarforschung zum Klimawandel
    Bei der Konferenz “Agrarforschung zum Klimawandel” der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) wird der aktuelle Stand der Wissenschaft zu zentralen Themen im Bereich Landwirtschaft im Klimawandel präsentiert und diskutiert. Es soll gezeigt werden, welche Auswirkungen des Klimawandels die Landwirtschaft zukünftig zu erwarten hat, welche Anpassungsmaßnahmen erfolgversprechend sind und welche Stellschrauben für den Klimaschutz im Agrarsektor nötig sind. INFO

    Presseschau

    Frankreichs Präsident Macron muss Agrarmesse wegen Bauernprotesten verspätet eröffnen AgE
    Polens Landwirtschaftsminister Siekierski fordert neuen Ansatz für Zusammenarbeit mit der Ukraine AgE
    Lettland verbietet Agrarimporte aus Russland agrarheute
    Neue Präsidentin von Renew Europe Hayer will auf die Sorgen der Landwirte eingehen Euractiv
    Tarifkonflikt im Handel: Verdi weitet Streiks aus Lebensmittelzeitung
    Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz: Verbraucherschützer fordern Scholz zum Handeln auf Lebensmittelzeitung
    Hubertus Paetow bleibt Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft AgE
    Mercosur-Abkommen verstößt laut Greenpeace gegen EU-Klimagesetz Lebensmittelzeitung
    Wieso Frankreichs Landwirte so mächtig sind Handelsblatt
    Umfrage: Mehrheit der Agrargenossenschaften sieht Beruf des Landwirts in Gefahr top agrar
    Schlechte CO₂-Bilanz für Obst und Gemüse aus urbanen Gärten Spiegel
    Rising Demand for Donkey Gelatin in China Sparks Conservation Concerns in Africa as Governments Move to Regulate Trade New York Times

    Heads

    Claudia Brück: Fairtrade von der Pike auf

    Claudia Brück in Brasilien: Ein Berufsleben für den fairen Handel

    Werden gesetzliche Regeln zum Schutz von Mensch und Umwelt in den Lieferketten den fairen Handel überflüssig machen? Schön wäre es, sagt Claudia Brück, aber das sei nicht in Sicht. Brück ist Vorständin für Kommunikation und Politik beim gemeinnützigen Verein Fairtrade Deutschland, der das bekannte Siegel mit demselben Namen vergibt. Zwar brächten die Lieferkettengesetze wichtige Verbesserungen, aber es bleibe noch ein gehöriger Weg hin zu weltweiten menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Ziel des fairen Handels seien Einkommen, die Menschen ein finanzielles Auskommen böten, mit dem sie sich sozial, gesellschaftlich und persönlich weiterentwickeln können.

    Welche Entwicklungsmöglichkeiten der faire Handel ermöglichen kann, erlebte Brück im Sommer 2023 in Brasilien beim Besuch einiger Kaffeekooperativen. Diese nutzten die Einnahmen aus fairem Handel, um eine eigene Röstung und den Verkauf ihres Kaffees auf regionalen Märkten anzuschieben. Auch der Aufbau eigener Läden, in denen sie Waren des täglichen Gebrauchs und für die Feldarbeit zu günstigeren Preisen anboten, gehörte zu den bemerkenswerten Eigeninitiativen. Eine dieser Kooperativen bot sogar Englischunterricht für Erwachsene und Kinder an.

    Seit ihrem Studium der Regionalwissenschaft Lateinamerika, während dessen sie zwei Jahre in Argentinien lebte, kennt sich Brück mit dem Kontinent gut aus. Bei dem Austausch mit den Fairtrade-Bauern dort und anderswo auf der Welt helfen ihr aber auch frühere Erfahrungen.

    Evangelische Kirche und Friedensbewegung prägen sie

    Sie wuchs in den 1970er-Jahren in einem kleinen Dorf im Hunsrück auf. Brück ist das jüngste Kind von drei Geschwistern. Kurz nach ihrer Geburt gaben die Eltern die Landwirtschaft auf. Fünf Milchkühe hielten sie zuletzt im Nebenerwerb. Während der Erntezeit half sie bisweilen Verwandten, erntete Kartoffeln, Heu oder Weintrauben. Stark prägte sie ihre Mutter, die nach dem frühen Tod des Vaters eine Ausbildung machte und die Schreinerei der Familie mit einigen Angestellten bis zum Jahr 2000 führte. Wichtig war auch ihre enge Verbindung zur evangelischen Kirche und der Friedensbewegung der 1980er-Jahre. Sie demonstrierte gegen die Stationierung von Raketen auf dem Hunsrück und arbeitete ehrenamtlich in einem der Weltläden, die damals den fairen Handel ausmachten.

    Ende der 1980er-Jahre entstand dann die Idee, faire Waren auch im konventionellen Handel zu verkaufen. Damit konnte ein ungleich größerer Markt erschlossen werden. Zur Entwicklung der Kriterien und zur Kennzeichnung solcher Waren entstanden Siegelorganisationen.

    Brück las bald nach dem Start von Transfair, wie die Siegelorganisation damals in Deutschland hieß, eine dreizeilige Stellenanzeige in der Lokalzeitung. Gesucht wurde eine Praktikantin für die Pressearbeit.

    Nachdem sie die Praktikantenstelle übernommen hatte, stellte sie überrascht fest, dass es überhaupt keine Pressestelle gab. Wie so oft in neuen Organisationen ging es etwas chaotisch zu: wenige Menschen mussten die unterschiedlichsten Dinge tun. Aber das bot Chancen: Aus der Praktikantin wurde die Pressesprecherin, die schließlich eine ordentliche Kommunikationsabteilung leitete. Später wurde Brück Geschäftsführerin und dann ein Vorstandsmitglied. Seit dem Ausscheiden von Dieter Overath, der die Organisation an zentraler Stelle aufgebaut hatte, gibt es drei gleichberechtigte Vorstände.

    Kaffeebauern waren gegen höheren Mindestpreis

    Brück gestaltete den Wandel der Organisation mit, die anfangs durch Protestaktionen Aufmerksamkeit für die Anliegen der Kleinbauern im globalen Süden zu erzeugen suchte. Später wurde sie dann aber immer mehr zu einer Partnerorganisation von Handelsunternehmen und Markenfirmen. Anfangs war Fairtrade auch ein Liebling der Medien. Aber mit der Zeit kritisierten Wissenschaftler, Aktivisten und Journalisten auch manche Missstände.

    Zum Job von Brück gehörte es daher auch, auf die Beschränkungen des fairen Handels hinzuweisen. Es ist eben ein Marktansatz. Höhere Preise müssen im Wettbewerb erzielt werden. Wie schwierig dies sein könne, sehe man am Mindestpreis für Kaffee. 13 Jahre lang habe Fairtrade ihn nicht angepasst, erzählt sie während einer Fahrt mit dem Kleinbus zu einer Kaffeekooperative in Brasilien.

    Aber dies sei der Wunsch der beteiligten Bauern gewesen: sie selbst lehnten höhere Preise ab, trotz gestiegener Produktionskosten. Ihre Angst war, den Kaffee dann nur zu dem deutlich niedrigeren konventionellen Preis verkaufen zu können. Mittlerweile sei der Mindestpreis für Kaffee erhöht worden, sagt Brück. Allerdings garantiert der faire Handel keine Mindestabnahme. Wie viel zu fairen Preisen verkauft wird, entscheiden die Kaffeehändler und -verarbeiter. Einfache Lösungen für höhere Einkommen gibt es nicht. Ein Ansatz sei, die Produktion hochwertiger zu gestalten, damit mehr Wertschöpfung vor Ort entsteht. So wie bei den Kooperativen, die selbst Kaffee rösten.

    Klimaneutralität ist die nächste Herausforderung

    Beim fairen Handel machten einige indigene Gruppen mit, “die schon immer ökologisch angebaut haben”, sagt Brück. Auch sonst würden viele Bauern die Ökologie und das Soziale als zwei Seiten derselben Medaille ansehen. Auf ihre Frage, warum er ökologisch anbauen würde, habe ein Bauer gesagt: “Wenn ich mit meiner Familie gesund leben will, muss ich ökologisch anbauen.”

    Aber in den fairen Standards ging es lange Zeit nur um soziale Fragen. Ökologische Aspekte wurden erst in den 2010er-Jahren integriert, nun habe die klimaneutrale Ausrichtung der Produktion hohe Priorität. Während sie erzählt, sind durch die Busfenster nur kleine Flecken Wald oder einzelne Urwaldriesen zu sehen. Sie habe hier “tolle Projekte” für den Kampf gegen die Klimakrise gesehen, sagt sie, “aber die große Wende steht noch aus“. Caspar Dohmen

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    • Handelspolitik
    • Nachhaltigkeit

    Agrifood.Table Redaktion

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