Table.Briefing: Africa

Table.Spezial: Das AA und die koloniale Aufarbeitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Auswärtige Amt hat heute einen wissenschaftlichen Sammelband vorgestellt, in dem die Verwicklungen des Ministeriums vor, während und nach der deutschen Kolonialzeit aufgearbeitet werden. Für das Außenamt ist es ein weiterer wichtiger Schritt bei der eigenen Dekolonialisierung, die spätestens mit Außenministerin Annalena Baerbock in den Fokus gerückt ist. Dass mehr Sensibilität nötig ist, zeigt sich immer wieder, denn ausgerechnet das AA war zuletzt beim Kolonialismus-Thema immer wieder ins Fettnäpfchen getreten. In unserem Spezial schauen wir uns den beschwerlichen Weg des AA bei der Aufarbeitung der Kolonialzeit an und erklären, wie es das Amt künftig besser machen will.

Wir wünschen eine spannende Lektüre!

Ihr
David Renke
Bild von David  Renke

Analyse

AA: Darum ist die Aufarbeitung der eigenen kolonialen Geschichte wichtig

Außenministerin Annalena Baerbock hat am Mittwoch einen neuen Sammelband über die Geschichte des Auswärtigen Amtes und der ehemaligen deutschen Kolonien vorgestellt. In dem rund 600 Seiten starken Buch wird die Rolle des Außenamtes vor, während und nach dem Ende der Kolonialzeit betrachtet. Insgesamt 17 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dabei mit Zugang zu den Archiven des AA die kolonialen Verstrickungen des Ministeriums herausgearbeitet und die erste systematische wissenschaftliche Aufarbeitung vorgelegt.

Die Ergebnisse sind eindeutig: Das Auswärtige Amt hat mit seiner Politik dazu beigetragen, dass die Menschen in den Kolonialgebieten Opfer von Gewalt wurden. Mit Fehlurteilen der Beamten des Ministeriums wurde das Leid der Menschen in den Kolonien sogar vergrößert. Diese Fehler wurden jedoch – auch das ist ein Befund der Wissenschaftler – bis vor wenigen Jahren nicht richtig aufgearbeitet und relativiert.

Annalena Baerbock ist sich dieser Fehler bewusst. “Die deutsche Kolonialpolitik war geprägt von Unrecht und Gewalt. Es war eine Politik, die menschenverachtend und rassistisch war und für die das Auswärtige Amt damals klare Verantwortung trug”, sagte Baerbock am Mittwoch. Die Aufarbeitung sei ein fortlaufender Prozess, der nicht mit der Veröffentlichung des Bandes beendet sei.

Diplomats of Colours als Treiber der Aufarbeitung

Der Band ist bereits das zweite Buchprojekt, mit dem das Auswärtige Amt seine eigene Geschichte aufarbeitet. Bereits 2010 erschien der Band “Das Amt und die Vergangenheit”, in dem die Arbeit des AA während der NS-Zeit untersucht wird. Angestoßen wurde das neue Buch vom hausinternen Netzwerk “Diplomats of Colour”, das sich 2019 gründete.

Für das Auswärtige Amt ist das Buch ein weiterer wichtiger Schritt bei der allgemeinen Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit, die sich die Ampelregierung in den Koalitionsvertrag geschrieben hatte. Gleichzeitig kann jedoch auch die gelebte Erinnerungskultur nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Auswärtige Amt auch selbst noch nicht sattelfest im Umgang mit der eigenen Geschichte ist. Immer wieder treten Vertreterinnen und Vertreter des Ministeriums in diplomatische Fettnäpfchen, die unter anderem in Afrika und unter Kolonialismusforschern für Unmut sorgen.

“Internationale Schutztruppe” für Gaza

So schlug Baerbock erst am vergangenen Wochenende auf dem kleinen Parteitag der Grünen eine “internationale Schutztruppe” für Gaza vor. In der aufgeheizten Debatte um den Gaza-Krieg, in der Israel von der politischen Linken vorgeworfen wird, als “Kolonialmacht” zu agieren, sorgt die Wortwahl der Ministerin teilweise für Entrüstung: “Wenn sich Annalena Baerbock nur minimal für koloniales Erbe interessieren oder sich zumindest schlaumachen würde, wüsste sie, dass dieser Begriff für eine deutsche Außenministerin nicht geht. Schon alleine der Genozid an Herero und Nama sollte dies verbieten”, schrieb etwa der Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer auf X.

Auch Anfang des Jahres zog die Bundesregierung den Unmut der Regierung in Namibia auf sich. Am 12. Januar erklärte Deutschland seine Unterstützung Israels vor dem Internationalen Gerichtshof. Richtigerweise begründete die Bundesregierung ihren Schritt mit der historischen Verantwortung der Bundesrepublik und der besonderen Verbindung zu Israel. Am 12. Januar begann jedoch auch der bewaffnete Widerstand der Herero gegen die deutsche Kolonialmacht und damit der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Der Afrikawissenschaftler Henning Melber warf der Bundesregierung im Africa.Table “Ignoranz gegenüber den Nachfahren der Opfer” vor.

Botschaft tritt ins Fettnäpfchen

Nur zwei Wochen später beging auch die deutsche Botschaft in Windhoek einen Fauxpas, als diese in einem Tweet dem Holocaust gedachte, gleichzeitig aber den Genozid in Namibia nicht erwähnte.

Auch schon ein Jahr zuvor war das AA durch unsensible Kommunikation aufgefallen und hatte sich mit einem Tweet einen Shitstorm eingefangen. Die Social-Media-Abteilung des Ministeriums hatte den Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Südafrika kommentiert und geschrieben: “Der russische Außenminister Lawrow ist in Afrika, nicht um Leoparden zu sehen, sondern um unverblümt zu behaupten, die Partner der Ukraine ‘wollen alles Russische zerstören’.” Dabei hatte das AA ein Leopard-Emoji verwendet. Kritiker warfen dem AA vor, Klischees über den afrikanischen Kontinent zu verbreiten. Eine Sprecherin der AU kommentierte nach dem Tweet, Afrika sei mehr als nur ein “Safari-Kontinent”.

Proteste gegen Versöhnungsabkommen in Namibia

Welche Herausforderungen die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit für das AA bereithält, wird nicht zuletzt aber auch immer wieder am Versöhnungsabkommen mit Namibia deutlich. Dieses ist noch immer in der Ausarbeitung, obwohl es bereits 2021 eine gemeinsame Erklärung der deutschen und namibischen Regierungen gab, in der die gemeinsame Aufarbeitung der Kolonialzeit vereinbart wurde. In Namibia gibt es immer wieder Protest gegen das Abkommen.

Dieser sei nachvollziehbar, findet Brigitte Reinwald, Historikerin und Afrikaexpertin an der Universität Hannover und eine der Herausgeberinnen des vom AA vorgestellten Sammelbandes: “Mir hat es sich nicht erschlossen, ob die Bundesregierung in dem langen Aushandlungsprozess mit der namibischen Regierung seit 2004 nicht auch andere Ebenen der Information und Kommunikation gesucht hat.”

AA will Diplomaten besser schulen

Noch gebe es im AA und der Bundesregierung offenbar zu wenig Gespür dafür, dass es in den afrikanischen Ländern verschiedene, teils gegenläufige Interessensgruppen gibt. “Wir müssen nach innen schauen und die binnenpolitische Gemengelage in den Ländern verstehen, die unter deutscher Kolonialherrschaft standen”, sagt Reinwald. Entsprechend sei es kaum überraschend, dass Ovaherero und Orlam-Nama sich benachteiligt fühlen und gerichtlich gegen das Abkommen vorgehen wollen. “Wir haben es in den Ländern nicht mehr mit den Voraussetzungen zu tun, wie sie sich im Transitionsprozess vom Kolonialismus zum postkolonialen Nationalstaat gezeigt haben”, so Reinwald.

Aus den vergangenen Fehlern scheint das AA allerdings gelernt zu haben. In der diplomatischen Ausbildung soll der Kolonialismus künftig stärker in den Fokus rücken. “Das Thema ist mittlerweile Bestandteil im Curriculum. Wir wollen so die Sensibilisierung für das Thema bei den Kolleginnen und Kollegen, die dann sehr rasch an Auslandsvertretungen weltweit im Einsatz sind, steigern”, sagte Katja Keul im Vorfeld der Buchvorstellung. Diese zweifellos löbliche Entwicklung zeigt auch auf, wie wenig deutsche Diplomaten bisher für die eigene Kolonialgeschichte sensibilisiert sind.

  • Auswärtiges Amt
  • Bundesregierung
  • IGH
  • Kamerun
  • Kolonialismus
  • Namibia
  • Tansania
  • Togo

Africa.Table Redaktion

AFRICA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    das Auswärtige Amt hat heute einen wissenschaftlichen Sammelband vorgestellt, in dem die Verwicklungen des Ministeriums vor, während und nach der deutschen Kolonialzeit aufgearbeitet werden. Für das Außenamt ist es ein weiterer wichtiger Schritt bei der eigenen Dekolonialisierung, die spätestens mit Außenministerin Annalena Baerbock in den Fokus gerückt ist. Dass mehr Sensibilität nötig ist, zeigt sich immer wieder, denn ausgerechnet das AA war zuletzt beim Kolonialismus-Thema immer wieder ins Fettnäpfchen getreten. In unserem Spezial schauen wir uns den beschwerlichen Weg des AA bei der Aufarbeitung der Kolonialzeit an und erklären, wie es das Amt künftig besser machen will.

    Wir wünschen eine spannende Lektüre!

    Ihr
    David Renke
    Bild von David  Renke

    Analyse

    AA: Darum ist die Aufarbeitung der eigenen kolonialen Geschichte wichtig

    Außenministerin Annalena Baerbock hat am Mittwoch einen neuen Sammelband über die Geschichte des Auswärtigen Amtes und der ehemaligen deutschen Kolonien vorgestellt. In dem rund 600 Seiten starken Buch wird die Rolle des Außenamtes vor, während und nach dem Ende der Kolonialzeit betrachtet. Insgesamt 17 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dabei mit Zugang zu den Archiven des AA die kolonialen Verstrickungen des Ministeriums herausgearbeitet und die erste systematische wissenschaftliche Aufarbeitung vorgelegt.

    Die Ergebnisse sind eindeutig: Das Auswärtige Amt hat mit seiner Politik dazu beigetragen, dass die Menschen in den Kolonialgebieten Opfer von Gewalt wurden. Mit Fehlurteilen der Beamten des Ministeriums wurde das Leid der Menschen in den Kolonien sogar vergrößert. Diese Fehler wurden jedoch – auch das ist ein Befund der Wissenschaftler – bis vor wenigen Jahren nicht richtig aufgearbeitet und relativiert.

    Annalena Baerbock ist sich dieser Fehler bewusst. “Die deutsche Kolonialpolitik war geprägt von Unrecht und Gewalt. Es war eine Politik, die menschenverachtend und rassistisch war und für die das Auswärtige Amt damals klare Verantwortung trug”, sagte Baerbock am Mittwoch. Die Aufarbeitung sei ein fortlaufender Prozess, der nicht mit der Veröffentlichung des Bandes beendet sei.

    Diplomats of Colours als Treiber der Aufarbeitung

    Der Band ist bereits das zweite Buchprojekt, mit dem das Auswärtige Amt seine eigene Geschichte aufarbeitet. Bereits 2010 erschien der Band “Das Amt und die Vergangenheit”, in dem die Arbeit des AA während der NS-Zeit untersucht wird. Angestoßen wurde das neue Buch vom hausinternen Netzwerk “Diplomats of Colour”, das sich 2019 gründete.

    Für das Auswärtige Amt ist das Buch ein weiterer wichtiger Schritt bei der allgemeinen Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit, die sich die Ampelregierung in den Koalitionsvertrag geschrieben hatte. Gleichzeitig kann jedoch auch die gelebte Erinnerungskultur nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Auswärtige Amt auch selbst noch nicht sattelfest im Umgang mit der eigenen Geschichte ist. Immer wieder treten Vertreterinnen und Vertreter des Ministeriums in diplomatische Fettnäpfchen, die unter anderem in Afrika und unter Kolonialismusforschern für Unmut sorgen.

    “Internationale Schutztruppe” für Gaza

    So schlug Baerbock erst am vergangenen Wochenende auf dem kleinen Parteitag der Grünen eine “internationale Schutztruppe” für Gaza vor. In der aufgeheizten Debatte um den Gaza-Krieg, in der Israel von der politischen Linken vorgeworfen wird, als “Kolonialmacht” zu agieren, sorgt die Wortwahl der Ministerin teilweise für Entrüstung: “Wenn sich Annalena Baerbock nur minimal für koloniales Erbe interessieren oder sich zumindest schlaumachen würde, wüsste sie, dass dieser Begriff für eine deutsche Außenministerin nicht geht. Schon alleine der Genozid an Herero und Nama sollte dies verbieten”, schrieb etwa der Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer auf X.

    Auch Anfang des Jahres zog die Bundesregierung den Unmut der Regierung in Namibia auf sich. Am 12. Januar erklärte Deutschland seine Unterstützung Israels vor dem Internationalen Gerichtshof. Richtigerweise begründete die Bundesregierung ihren Schritt mit der historischen Verantwortung der Bundesrepublik und der besonderen Verbindung zu Israel. Am 12. Januar begann jedoch auch der bewaffnete Widerstand der Herero gegen die deutsche Kolonialmacht und damit der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Der Afrikawissenschaftler Henning Melber warf der Bundesregierung im Africa.Table “Ignoranz gegenüber den Nachfahren der Opfer” vor.

    Botschaft tritt ins Fettnäpfchen

    Nur zwei Wochen später beging auch die deutsche Botschaft in Windhoek einen Fauxpas, als diese in einem Tweet dem Holocaust gedachte, gleichzeitig aber den Genozid in Namibia nicht erwähnte.

    Auch schon ein Jahr zuvor war das AA durch unsensible Kommunikation aufgefallen und hatte sich mit einem Tweet einen Shitstorm eingefangen. Die Social-Media-Abteilung des Ministeriums hatte den Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Südafrika kommentiert und geschrieben: “Der russische Außenminister Lawrow ist in Afrika, nicht um Leoparden zu sehen, sondern um unverblümt zu behaupten, die Partner der Ukraine ‘wollen alles Russische zerstören’.” Dabei hatte das AA ein Leopard-Emoji verwendet. Kritiker warfen dem AA vor, Klischees über den afrikanischen Kontinent zu verbreiten. Eine Sprecherin der AU kommentierte nach dem Tweet, Afrika sei mehr als nur ein “Safari-Kontinent”.

    Proteste gegen Versöhnungsabkommen in Namibia

    Welche Herausforderungen die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit für das AA bereithält, wird nicht zuletzt aber auch immer wieder am Versöhnungsabkommen mit Namibia deutlich. Dieses ist noch immer in der Ausarbeitung, obwohl es bereits 2021 eine gemeinsame Erklärung der deutschen und namibischen Regierungen gab, in der die gemeinsame Aufarbeitung der Kolonialzeit vereinbart wurde. In Namibia gibt es immer wieder Protest gegen das Abkommen.

    Dieser sei nachvollziehbar, findet Brigitte Reinwald, Historikerin und Afrikaexpertin an der Universität Hannover und eine der Herausgeberinnen des vom AA vorgestellten Sammelbandes: “Mir hat es sich nicht erschlossen, ob die Bundesregierung in dem langen Aushandlungsprozess mit der namibischen Regierung seit 2004 nicht auch andere Ebenen der Information und Kommunikation gesucht hat.”

    AA will Diplomaten besser schulen

    Noch gebe es im AA und der Bundesregierung offenbar zu wenig Gespür dafür, dass es in den afrikanischen Ländern verschiedene, teils gegenläufige Interessensgruppen gibt. “Wir müssen nach innen schauen und die binnenpolitische Gemengelage in den Ländern verstehen, die unter deutscher Kolonialherrschaft standen”, sagt Reinwald. Entsprechend sei es kaum überraschend, dass Ovaherero und Orlam-Nama sich benachteiligt fühlen und gerichtlich gegen das Abkommen vorgehen wollen. “Wir haben es in den Ländern nicht mehr mit den Voraussetzungen zu tun, wie sie sich im Transitionsprozess vom Kolonialismus zum postkolonialen Nationalstaat gezeigt haben”, so Reinwald.

    Aus den vergangenen Fehlern scheint das AA allerdings gelernt zu haben. In der diplomatischen Ausbildung soll der Kolonialismus künftig stärker in den Fokus rücken. “Das Thema ist mittlerweile Bestandteil im Curriculum. Wir wollen so die Sensibilisierung für das Thema bei den Kolleginnen und Kollegen, die dann sehr rasch an Auslandsvertretungen weltweit im Einsatz sind, steigern”, sagte Katja Keul im Vorfeld der Buchvorstellung. Diese zweifellos löbliche Entwicklung zeigt auch auf, wie wenig deutsche Diplomaten bisher für die eigene Kolonialgeschichte sensibilisiert sind.

    • Auswärtiges Amt
    • Bundesregierung
    • IGH
    • Kamerun
    • Kolonialismus
    • Namibia
    • Tansania
    • Togo

    Africa.Table Redaktion

    AFRICA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen