der Brics-Gipfel von Johannesburg war der erste Schritt auf dem Weg zur globalen Neuordnung. Davon ist nicht nur der Gastgeber überzeugt, Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. Auch wenn die Brics-Kernstaaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika weder wirtschaftlich vergleichbar sind noch politisch am selben Strang ziehen, verlangt die beschlossene Erweiterung größte Aufmerksamkeit. Die erste Reaktion der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock wirkt da etwas allgemein: Man werde mit den Ländern auf der Welt kooperieren, auch mit denen, die andere Ansichten hätten, lässt sie mitteilen. Das sei in einer globalisierten und gut vernetzten Welt nötig.
In den vergangenen Tagen haben wir das Ereignis eingehend mit täglichen Spezialausgaben begleitet. An diesen haben die Redaktionen von Table.Media eng zusammengearbeitet. So geben wir Ihnen einen tiefen Einblick in diesen Gipfel und die Veränderungen, die dieser mit sich bringen wird – ganz im Sinne des deep journalism, für den Table.Media steht.
Heute analysieren wir für Sie die Ergebnisse der Tagung unter verschiedenen Gesichtspunkten: Was bedeutet die Erweiterung vor allem für Afrika? Wie muss Geopolitik neu austariert werden? Und: Abschied der Brics-Mitglieder vom US-Dollar als Leitwährung – ist das realistisch?
Zu guter Letzt teilt unser Korrespondent Andreas Sieren, der seit Jahren ganz in der Nähe des Sandton Convention Centre in Johannesburg lebt, seine persönlichen Eindrücke rund um den Tagungsort mit Ihnen.
Wenn Ihnen der Africa.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Und falls Ihnen diese Mail selbst weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Africa.Table und weitere Themen anmelden.
Als die für Mittwochnachmittag geplante Pressekonferenz kurzfristig verschoben wurde, hat sich schon abgezeichnet, dass sich eine große Überraschung anbahnt. Kurz darauf verkündete die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor, dass sich die Brics-Länder auf Kriterien für die Aufnahme neuer Mitglieder geeinigt hatten. Diese sollten eine große Bevölkerung haben, aus dem globalen Süden stammen und in ihrer Region einen guten Ruf haben. Die Entscheidung sollte am Donnerstag verkündet werden.
“Das Interessante an Brics in diesem Jahr ist, dass jeder dabei sein möchte”, sagte die Ministerin. Ursprünglich hatten sich mehr als 40 Länder für eine Mitgliedschaft interessiert. 23 stellten einen Antrag, darunter auch aufstrebende Mächte wie Indonesien oder Nigeria.
Es folgte ein Paukenschlag, der das Ende der globalen Weltherrschaft des Westens einleiten soll. Brics als die Stimme der Mehrheit der Welt und des globalen Südens ist nun breit aufgestellt: Argentinien ist im Club aufgenommen, auch die Ölstaaten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), selbst der Iran. Afrika bekommt mit Ägypten und Äthiopien zwei starke Stimmen.
Die sechs neuen Mitglieder werden offiziell zum 1. Januar 2024 beitreten. Seit 2010, als Südafrika aufgenommen wurde, hatte sich Brics nicht vergrößert. Nun steigert sich noch einmal die Wirtschaftskraft von Brics, die ohnehin schon leicht größer war als die der G7, der Ländergruppe der alten Industriestaaten. Brics kommt nun auf einen Anteil von 37 Prozent an der Weltwirtschaft, ein Zuwachs von rund fünf Prozent. Die G7-Staaten liegen bei weniger als 30 Prozent.
“Diese Mitgliedererweiterung ist historisch”, sagte der chinesische Präsident Xi Jinping. “Es zeigt die Entschlossenheit dieser Länder zur Einheit und Zusammenarbeit mit den größeren Entwicklungsländern.” UN-Generalsekretär António Guterres nahm die Kritik der Brics-Staaten an den Institutionen der Nachkriegsordnung auf und fügte hinzu, dass “die heutigen globalen Governance-Strukturen die Welt von gestern spiegeln”. Reformen seien notwendig. Institutionen wie die UN, IWF und Weltbank “entstanden größtenteils nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele afrikanische Länder von Kolonialmächten regiert wurden und nicht einmal mit am Tisch saßen.”
Mit der Aufnahme Argentiniens ist nun auch das zweitwichtigste Land Lateinamerikas dabei. Asien war mit China und Indien schon stark vertreten. Mit Saudi-Arabien, den VAE und dem Iran, um dessen Beitritt hart verhandelt werden musste, bekam der Nahe Osten eine Aufwertung, vor allem, weil sie wichtige Ölexporteure sind. Ihre Aufnahme wird die Brics als Sprachrohr der erdölproduzierenden Länder stärken.
Brics wirkt nun global besser austariert. Das Übergewicht Asiens wurde zurückgenommen, Südamerika gestärkt, Afrika aufgewertet und wichtige Golfstaaten eingegliedert.
Vor allem die Aufnahme seines engen Verbündeten Saudi-Arabien muss die US-Regierung stören. Peking ist ein Coup gelungen, dass die Extrempole des Nahen Ostens – Saudi-Arabien und Iran – gemeinsam zu Brics stoßen. Erst im März war es Peking gelungen, dass beide Seiten wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen. Besonders ärgerlich für Washington ist: Den Iran haben die USA mit Sanktionen belegt, an die sich auch die Europäer halten müssten. Die Politik, den Iran zu isolieren, wird nun schwieriger.
Die Aufwertung Afrikas schrieb sich vor allem Südafrikas Cyril Ramaphosa zu. “Wir teilen unsere Vision von Brics als Verfechter der Bedürfnisse und Anliegen der Menschen im globalen Süden”, sagte er im Anschluss an den Gipfel und meinte damit vor allem Afrika.
Das 111 Millionen Menschen starke Ägypten stellte seinen Antrag erst im Juni. Dem Land wird großer Einfluss unter den blockfreien Staaten nachgesagt. Zwischen dem Nahen Osten und Afrika fungiert die drittgrößte Wirtschaft Afrikas als Brücke. Für China ist Ägypten ein zentraler Partner der Belt and Road Initiative. Der Suez-Kanal bildet eine wichtige Wirtschaftsader, die Ostasien mit Europa verbindet.
Auch Äthiopien bat erst im Juni um Aufnahme. Das Land hat nach Nigeria mit 123 Millionen Menschen die zweitgrößte Bevölkerung Afrikas. Äthiopien pflegt enge Verbindungen zu den USA, die etwa in der Nähe von Arba Minch eine wichtige Drohnenbasis betreiben. Dennoch sind die Beziehungen zum Westen angespannt. Im September 2021 haben die USA das Land wegen des Bürgerkriegs in Tigray mit Sanktionen belegt.
Äthiopien hat auch enge Wirtschaftsbeziehungen zu China, an dessen Geldtropf das Land heute hängt. Äthiopien ist auch wichtig, weil in Addis Abeba die Afrikanische Union ihren Sitz hat und die Vereinten Nationen ihre wichtigste Afrika-Präsenz. Auch Russland hofft offenbar darauf, über Äthiopien Einfluss in Ostafrika zu gewinnen.
Aber auch die Liste der Enttäuschten ist lang:
Der Club der Brics-Staaten vereint ganz unterschiedliche Länder. Auf der einen Seite stehen autoritäre Staaten wie Russland und China, auf der anderen Seite die demokratischen Länder Brasilien, Indien und Südafrika. Eines eint sie jedoch: Sie fordern mehr Mitbestimmung in der Welt.
Die Brics-Länder sehen sich weder als anti-amerikanisch noch als anti-westlich. Sie betrachten sich als Beitrag zu größerer globaler Vielfalt, waren es doch nicht zuletzt die Amerikaner, die der Welt erklärt haben, wie wichtig Wettbewerb ist. Noch philosophischer gab sich der chinesische Präsident Xi Jinping in seiner Auftaktrede beim Gipfel, die seltsamerweise sein Handelsminister Wang Wentao verlas: “Veränderung ist die Natur des Universums”, zitierte er einen chinesischen Philosophen.
Tatsächlich brauchte Brics einen langen Anlauf. Der erste Brics-Gipfel auf Präsidentenebene 2009 stand im Schatten der Finanzkrise von 2007/2008. Schon damals forderten die fünf Länder, wenn auch zurückhaltend, ein größeres Mitspracherecht. Von den G7-Staaten gab es für diese Forderung nur ein müdes Lächeln.
Südafrika kam 2010 auf Betreiben Chinas hinzu, als erstes Land aus Afrika. Aus Bric wurde Brics. Diese Aufnahme wurde argwöhnisch beobachtet. Vor allem afrikanische Staaten waren sich nicht sicher, ob Südafrika ein geeigneter Fürsprecher für den Kontinent ist. Inzwischen stellt das niemand mehr in Frage. Präsident Ramaphosa stieß gar die erste afrikanische Friedensinitiative für einen Konflikt in Europa an. Die wäre ohne den Rückhalt von Brics nicht denkbar gewesen.
Spätestens jetzt in Johannesburg ist klar geworden: An Brics kommt die Welt nicht mehr vorbei. Gleich sechs Länder werden 2024 als Mitglieder aufgenommen. Das Bündnis der aufstrebenden Wirtschaftsmächte wird repräsentativer und soll den Globalen Süden künftig besser vertreten. Weitere Aufnahmen werden folgen.
In einer Grundsatzrede am Sonntag vor dem Gipfel warnte Ramaphosa vor einer Schwächung des Multilateralismus. In der sich verändernden globalen Machtdynamik bestehe das Land am Kap weiter auf die viel kritisierte Neutralität. “Während einige unserer Kritiker eine offene Unterstützung ihrer politischen und ideologischen Entscheidungen bevorzugen, lassen wir uns nicht in einen Wettbewerb zwischen den Weltmächten hineinziehen”, sagte der Präsident, der in diesem Zusammenhang auch einen EU-Südafrika-Gipfel für Ende 2023 ankündigte.
Für Südafrika habe Brics “positive Chancen” gebracht, darunter Finanzspritzen der Neuen Entwicklungsbank (NDB). Zentral ist die für Südafrika und auch Afrika enger werdende Verbindung zu China, das mit enormen Investitionen wahrscheinlich am meisten geholfen hat, Afrika sichtbarer auf der wirtschaftlichen Weltkarte werden zu lassen.
So nutzte Xi Jinping den Morgen vor dem Gipfel für einen Staatsbesuch in Südafrika. Es ist erst seine zweite Auslandsreise in diesem Jahr, nachdem er im März nach Moskau gereist war. Das zeigt, wie wichtig Xi Brics und Afrika sind. Der Besuch kommt Tage, nachdem sich US-Präsident Biden mit seinen Verbündeten Südkorea und Japan getroffen hatte, wo er das “gefährliche und aggressive Verhalten” Chinas kritisierte.
China und Südafrika begehen in diesem Jahr 25 Jahre diplomatische Beziehungen. In dieser Zeit ist der bilaterale Handel auf mehr als 50 Milliarden Euro gewachsen, rund ein Fünftel des Handels Chinas mit Afrika. Seit 2009 ist China Südafrikas wichtigster Handelspartner. Zwei Drittel der südafrikanischen Exporte nach China sind allerdings Rohstoffe. Ramaphosa erhofft sich in Zukunft eine ausgeglichenere Handelsbilanz und den Export von mehr höherwertigen Produkten, die in Südafrika verarbeitet worden sind.
Auch hat sich Ramaphosa in den vergangenen beiden Jahren für China und Russland aus dem Fenster gelehnt und dabei Spannungen mit den westlichen Staaten, vor allem den USA, in Kauf genommen. Xi dankte es damit, dass sein zweiter Staatsbesuch seit Covid nach Pretoria ging. “Eine starke Botschaft für die afrikanischen Nationen”, schrieb die Johannesburger Wochenzeitung Mail & Guardian. “Chinas Wiederaufleben nach einer pandemiebedingten Pause signalisiert auch eine robuste Rückkehr zum Engagement und zur Partnerschaft mit Afrika.”
Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht die verschobenen Machtverhältnisse. Nach der europäischen Kolonialzeit und dem Ende des Kalten Krieges teilten sich erst einmal die USA und Europa die Macht auf der Welt. Dann kam China mit einem rasanten Wirtschaftsaufstieg, forderte mehr Mitsprache und scharte die Länder des Globalen Südens um sich. Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht die Unterschiede. Während der Westen Russland verurteilt und in die Enge treibt, ist der Globale Süden pragmatischer. Man ist gegen den Krieg, will aber weiter mit Russland kooperieren.
So fasste Gastgeber Ramaphosa in seiner Abschlusserklärung zusammen: “Mit diesem Gipfel haben die Brics-Staaten ein neues Kapitel in ihren Bemühungen aufgeschlagen, eine Welt zu schaffen, die unparteiisch ist, eine Welt, die gerecht ist, eine Welt, die auch integrativ und wohlhabend ist.” Der nächste Brics-Gipfel wird im kommenden Jahr in der russischen Stadt Kasan stattfinden, obwohl Brasilien an der Reihe gewesen wäre. Vielleicht wird sich dann Brics auf ein permanentes Sekretariat einigen. Aber schon jetzt sitzen sie an den Tischen, wo die globale Zukunft gestaltet wird.
Selbst der südafrikanische Brics-Botschafter Anil Sooklal hatte sich auf dem 15. Brics-Gipfel angesichts der Spekulationen über eine Brics-Währung verhaspelt: “Die Währung wird diskutiert, aber lassen Sie mich korrigieren: Es geht nicht um eine Brics-Währung.” Vielmehr ginge es um “die Schaffung von größerer finanzieller Inklusion im Hinblick auf globale Finanztransaktionen, globale Finanzgeschäfte und Zahlungsabwicklung”. Auf eine Ablösung vom Dollar hofft besonders Wladimir Putin, der den Prozess per Video als “unumkehrbar” bezeichnete.
Seit Beginn des Ukrainekrieges hat die Debatte um eine Abkopplung vom Dollar an Tempo gewonnen. Den aufstrebenden Mächten ist es ein Dorn im Auge, dass die US-Regierung über ihre Währung Sanktionen durchsetzen kann, auch wenn es im Falle Putin den richtigen treffen mag. Die meisten Länder, die ihre Devisenreserven überwiegend in US-Dollar halten, empfinden ihre Abhängigkeit von den Launen der amerikanischen Finanzpolitik als problematisch.
Der Dollar ist allgegenwärtig. Dreiviertel des südafrikanischen Handels beispielsweise werden mit westlichen Staaten abgewickelt, in Dollar und in Euro. Auch werden die weltweiten Devisenreserven zu fast 60 Prozent in Dollar gehalten und zu knapp 20 Prozent in Euro. Der Yuan kommt auf nicht einmal drei Prozent. Dennoch: Vor gut zwanzig Jahren lag der Dollar bei 70 Prozent.
Der Gipfel hat die Debatte um die von den USA dominierte Weltbank und den IWF angefacht. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa forderte eine “grundlegende Reform der globalen Finanzinstitutionen”. Nun scheint die Brics-Gruppe nach ihrer Erweiterung erstmals die Macht zu haben, reellen Druck auf Washington auszuüben.
Dilma Rousseff, die Vorsitzende der Brics-Bank, die mit rund 75 Milliarden Euro ausgestattet ist, kündigte an, den Anteil der Transaktionen in einheimischen Währungen von derzeit weniger als 20 auf 30 Prozent zu erhöhen. Für den südafrikanischen Finanzminister Enoch Godongwana geht es darum, “wie wir Projekte in den einzelnen Brics-Mitgliedstaaten in ihren Währungen finanzieren können“.
Zum US-dominierten internationalen Zahlungssystem Swift gibt es derzeit keine Alternative. Die Chinesen arbeiten daran und setzen sich für eine größere Nutzung des Yuan nicht nur innerhalb der Brics ein. Doch der Brics-Erfinder Jim O’Neill, ehemaliger Top-Ökonom bei Goldman Sachs, nannte die Idee einer Brics-Währung in einem Interview mit IC Intelligence im Juni “lächerlich”. Immerhin räumte er ein, dass wahrscheinlich der Yuan und möglichweise auch die indische Rupie “irgendwann in der Zukunft eine viel wichtigere Währung für die Welt sein werden”.
Im März hatten sich Brasilien und China geeinigt, ihren bilateralen Handel über ihre eigenen Währungen abzuwickeln. Mit den Sanktionen wurde Russland von Swift ausgeschlossen. China bezahlt russisches Öl nun in Yuan. Indien handelt seit August mit den Emiraten in Rupie. Saudi-Arabien hat überlegt, seine Ölexporte nach China in Yuan abzuwickeln, und bekam prompt Druck aus Washington. Die Brics-Mitgliedschaft zeigt, wie man in Riad damit umzugehen gedenkt. Der Nahe Osten ist für China ein wichtiger Partner. 30 Prozent seines Energiebedarfes bezieht es von dort. Saudi-Arabien ist der wichtigste Ölproduzent, China sein wichtigster Kunde. Die Zeiten, in denen man von Petrodollar sprach, gehen zu Ende.
Auch Afrika rechnet Geschäfte mit China zunehmend in Yuan ab. Während des Russland-Afrika-Gipfels im Juli sprach sich, wen wundert es, auch Wladimir Putin für eine Ent-Dollarisierung in Afrika aus: “Um das gesamte Spektrum der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen weiter auszubauen, ist es wichtig, bei der finanziellen Abwicklung von Handelsgeschäften mit größerem Enthusiasmus auf nationale Währungen umzusteigen.”
Parallel dazu will der Kontinent den innerafrikanischen Handel mit dem Pan-African Payment and Settlement System (PAPSS) ankurbeln. Das System erlaubt es, den Handel in einer der 42 afrikanischen Währungen anstelle des Dollar abzuwickeln, was Gebühren von bis zu fünf Milliarden Dollar jährlich einsparen könnte.
Auch der kenianische Präsident William Ruto befürwortet die Ent-Dollarisierung: “Wir sind nicht gegen den Dollar, wir wollen nur viel freier handeln. Lasst uns in Dollar bezahlen, was wir von den USA kaufen.” Obwohl der Dollar etablierte Handelswährung in Afrika ist, und auch für wirtschaftliche Stabilität sorgt, treibt die Anhängigkeit viele Länder in die Inflation. Inzwischen finden manche Regierungen, dass sie jenseits des Dollar größeren Spielraum in ihrer Finanzpolitik bekommen.
Die Finanzminister und Zentralbanker der Brics-Länder wurden am Ende des Gipfels aufgefordert, Zahlungen in einheimischen Währungen stärker in Betracht zu ziehen und entsprechende Zahlungsinstrumente zu entwickeln. Die Ergebnisse sollen auf dem Brics-Gipfel im kommenden Jahr vorgestellt werden.
Die Dollar-Debatte steigert auch das Interesse an Gold. Einige Zentralbanken decken sich damit als Devisenreserve ein, darunter die Türkei und Singapur. China hat ebenfalls in diesem Jahr bisher 126 Tonnen Gold gekauft und seine offiziellen Reserven auf 2136 Tonnen erhöht. Dass angesichts des Brics-Gipfels ausgerechnet Johannesburg seine Existenz und seinen Reichtum der Entdeckung von Gold im späten 19. Jahrhundert verdankt, ist nur ein historischer Zufall.
Sandton ist die reichste Quadratmeile in Afrika. Hier zeigt sich der Kontinent von seiner besten Seite. Die Botschaft: So kann Afrika werden. Doch zuvor mussten Teilnehmer, die nicht in Regierungsmaschinen anreisten, durch den inzwischen unfreundlichen und ineffizienten internationalen Flughafen von Johannesburg. Immerhin gelang es den Organisatoren, den Strom von Delegationen der aufstrebenden Mächte gut zu managen. Der Verkehr floss nach der morgendlichen Rushhour gemächlich, trotz rund 5000 Gästen. Die Sonne sorgt an diesen Frühlingstagen bereits für sommerliche Temperaturen, die Bürgersteige sind sauber. Geschäftsleute und Besucher beobachten die Fernsehteams der Weltpresse rund um das abgeriegelte Sandton Convention Centre. Allein die Polizeipräsenz an allen Kreuzungen und vor den Hotels sowie die vielen blau-weißen Banner zeugen von dem wichtigen Ereignis. Das Viertel und seine modernen Hochhäuser wirkt aufgeräumt und fortschrittlich wie andere Wirtschaftszentren der Welt.
In Johannesburg wird fast die Hälfte des BIP des Landes erwirtschaftet. Mit 14.600 Dollar-Millionären ist es laut World Wealthiest Cities Report 2023 die reichste Stadt Afrikas, doppelt so wohlhabend wie Kairo, das an zweiter Stelle liegt und jetzt die Chance hat, zu einer Brics-Metropole aufzusteigen. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nur wenige Kilometer vom Tagungsort entfernt völlig anders aussieht. In der historischen Innenstadt von Johannesburg, wo vor 150 Jahren der Goldrausch begann, herrschen Verfall und Armut. Hier die insulare Moderne, dort Chaos – ein kontrastreiches Bild, das man von Südafrika und Afrika insgesamt kennt. Fast tägliche Stromausfälle sind in beiden Vierteln üblich. Allerdings merkt man sie in Sandton kaum, weil es dort mehr Generatoren gibt.
Ein klein wenig Durcheinander der Eitelkeiten gibt es bei der Anreise dann doch. So will der indische Präsident Narendra Modi nach der Landung seine Maschine nicht verlassen, weil er – anders als der chinesische Präsident – nicht von Cyril Ramaphosa am Flugfeld empfangen wird. Eilig schickt das Protokoll dann den stellvertretenden Präsidenten Paul Mashatile, macht aber deutlich, dass es sich bei Xis Besuch um einen Staatsbesuch handelte, bei Modi dagegen “nur” um einen Arbeitsbesuch.
Ansonsten einte die Teilnehmer das fast berauschende Gefühl, an einem historischen Ereignis teilzuhaben, einem großen Schritt in die Selbstbestimmung des globalen Südens. Ramaphosa bekam gute Noten für sein diplomatisches Geschick, das ihm viele nicht zugetraut hatten. Erfolge, die Afrika brauchen kann. Zwar ist der rohstoffreiche Kontinent in den vergangenen 30 Jahren wirtschaftlich im Durchschnitt um 3,3 Prozent gewachsen. Enorme Fortschritte wurden gemacht in florierenden Metropolen, mit mutigen Innovationen, beim Ausbau der Infrastruktur (meist mit Hilfe aus China), Arbeitsplätzen und Bildung. Aber selbst im vornehmen Sandton ging es nicht so schnell bergauf, wie sich das viele gewünscht hatten.
Dies soll sich nun im Rahmen von Brics ändern. So sieht Busi Mabuza, Vorsitzende des Brics Business Council und Chefin der Industrial Development Bank of South Africa, dem größten Entwicklungsfinanzinstitut in Subsahara-Afrika, die Möglichkeit, durch die Erweiterung einen sinnvollen Beitrag zur Zukunft der globalen nachhaltigen Entwicklung zu leisten. “Afrika mit seinem Potenzial, seinen natürlichen Ressourcen und seiner sehr jungen Humanressourcenbasis spielt in dieser Agenda eine entscheidende, sehr entscheidende Rolle.” Das ist auch für Südafrika dringend nötig: Sein Anteil an der Weltwirtschaft sinkt, von 0,63 Prozent in 2018 auf 0,58 Prozent im vergangenen Jahr, gemessen an der Kaufkraft.
Mabuza ist sicher, dass die nächste Welle des globalen Wachstums von Afrika kommt. Aber es geht auch darum, der Außenwelt deutlich zu machen, dass dieser Aufstieg anders verlaufen wird als in anderen Teilen der Welt. Stichwort Klimaschutz: In Afrika ist die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen derzeit noch groß. “Wir müssen auch auf dem Recht der afrikanischen Nationen bestehen, Ressourcen zur Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel zu nutzen, auch durch den Einsatz fossiler Brennstoffe,” fand Sim Tshabalala, CEO der südafrikanischen Standard Bank, während des Brics Business Council Meetings am ersten Tag des Gipfels.
Damit ist man in Sandton schon weit vorangekommen, wo etwa klimafreundliche Solarzellen die Büros durch den langen Sommer kühlen. “Das Geschäftszentrum von Sandton hat seit der FIFA-Weltmeisterschaft 2010 vor 13 Jahren nicht mehr so gut ausgesehen,” schrieb die Wirtschaftsnews-Plattform Moneyweb. Am Abend kann man die Delegierten in der Alto234-Bar auf dem Dach des Leonardo in Sandton sehen, der höchsten städtischen Bar Afrikas. Oder am ONE80° Pool Deck des Radisson Blu Hotels im 8. Stock. Die Stimmung ist locker, es dominiert das Gefühl einer neuen Gemeinschaft. “Nun schaffen wir es endlich, zusammenzuhalten,” hört man eine asiatische Frau mit Brics-Badge zu einem Mann aus dem mittleren Osten sagen, er pflichtet ihr bei.
Monatelang hatte der südafrikanische Polizeiminister Bheki Cele, der während des Gipfels auch südafrikanische Streitkräfte befehligte, seine Beamten vorbereitet. Sie hatten ein wachsames Auge, regelten den Verkehr und aßen nebenbei Fastfood von KFC. An normalen Tagen sieht man Polizei in Sandton eher selten, und nicht immer ist es sicher.
Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa wollte Afrika und den Tagungsort von seiner schönsten Seite zeigen. Ihm ist es wichtig, den Kontinent voranzubringen. Entsprechend auch der sehr lange Untertitel des Gipfels: “BRICS and Africa: Partnership for Mutually Accelerated Growth, Sustainable Development and Inclusive Multilateralism”. Vor UN-Generalsekretär António Guterres, dem Ehrengast beim Gipfel, hob Ramaphosa die Brics-Partnerschaft als Katalysator für globales Wachstum hervor, das auf die Bedürfnisse aller Nationen eingehe. “Es ist das Recht Afrikas und des gesamten globalen Südens, die Vorteile des globalen Handels und der globalen Investitionen voll auszuschöpfen. Ohne Handel und Investitionen können unsere Volkswirtschaften nicht gedeihen, und die materiellen Bedingungen unserer Völker können sich nicht verbessern.” Genau das ist in Südafrika ebenso wichtig wie in den anderen aufstrebenden Wirtschaftsnationen des afrikanischen Kontinents, sei es Nigeria, Senegal, Tansania oder in den jetzt neuen Brics-Ländern Ägypten und Äthiopien.
Wie bei der Fußball-WM 2010 bewies Südafrika in den vergangenen Tagen, dass es sich von seiner besten Seite zeigen kann, wenn es will. Seinerzeit reisten Fußballer und Fans wieder ab, das Land verfiel in den alten Trott mit Chaos und hohen Kriminalitätsraten, die auch ausländische Investoren abschrecken. Diesmal soll es anders sein: “Wir werden noch lange nach Brics präsent sein,” verspricht jedenfalls Polizeiminister Cele.
der Brics-Gipfel von Johannesburg war der erste Schritt auf dem Weg zur globalen Neuordnung. Davon ist nicht nur der Gastgeber überzeugt, Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. Auch wenn die Brics-Kernstaaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika weder wirtschaftlich vergleichbar sind noch politisch am selben Strang ziehen, verlangt die beschlossene Erweiterung größte Aufmerksamkeit. Die erste Reaktion der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock wirkt da etwas allgemein: Man werde mit den Ländern auf der Welt kooperieren, auch mit denen, die andere Ansichten hätten, lässt sie mitteilen. Das sei in einer globalisierten und gut vernetzten Welt nötig.
In den vergangenen Tagen haben wir das Ereignis eingehend mit täglichen Spezialausgaben begleitet. An diesen haben die Redaktionen von Table.Media eng zusammengearbeitet. So geben wir Ihnen einen tiefen Einblick in diesen Gipfel und die Veränderungen, die dieser mit sich bringen wird – ganz im Sinne des deep journalism, für den Table.Media steht.
Heute analysieren wir für Sie die Ergebnisse der Tagung unter verschiedenen Gesichtspunkten: Was bedeutet die Erweiterung vor allem für Afrika? Wie muss Geopolitik neu austariert werden? Und: Abschied der Brics-Mitglieder vom US-Dollar als Leitwährung – ist das realistisch?
Zu guter Letzt teilt unser Korrespondent Andreas Sieren, der seit Jahren ganz in der Nähe des Sandton Convention Centre in Johannesburg lebt, seine persönlichen Eindrücke rund um den Tagungsort mit Ihnen.
Wenn Ihnen der Africa.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Und falls Ihnen diese Mail selbst weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Africa.Table und weitere Themen anmelden.
Als die für Mittwochnachmittag geplante Pressekonferenz kurzfristig verschoben wurde, hat sich schon abgezeichnet, dass sich eine große Überraschung anbahnt. Kurz darauf verkündete die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor, dass sich die Brics-Länder auf Kriterien für die Aufnahme neuer Mitglieder geeinigt hatten. Diese sollten eine große Bevölkerung haben, aus dem globalen Süden stammen und in ihrer Region einen guten Ruf haben. Die Entscheidung sollte am Donnerstag verkündet werden.
“Das Interessante an Brics in diesem Jahr ist, dass jeder dabei sein möchte”, sagte die Ministerin. Ursprünglich hatten sich mehr als 40 Länder für eine Mitgliedschaft interessiert. 23 stellten einen Antrag, darunter auch aufstrebende Mächte wie Indonesien oder Nigeria.
Es folgte ein Paukenschlag, der das Ende der globalen Weltherrschaft des Westens einleiten soll. Brics als die Stimme der Mehrheit der Welt und des globalen Südens ist nun breit aufgestellt: Argentinien ist im Club aufgenommen, auch die Ölstaaten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), selbst der Iran. Afrika bekommt mit Ägypten und Äthiopien zwei starke Stimmen.
Die sechs neuen Mitglieder werden offiziell zum 1. Januar 2024 beitreten. Seit 2010, als Südafrika aufgenommen wurde, hatte sich Brics nicht vergrößert. Nun steigert sich noch einmal die Wirtschaftskraft von Brics, die ohnehin schon leicht größer war als die der G7, der Ländergruppe der alten Industriestaaten. Brics kommt nun auf einen Anteil von 37 Prozent an der Weltwirtschaft, ein Zuwachs von rund fünf Prozent. Die G7-Staaten liegen bei weniger als 30 Prozent.
“Diese Mitgliedererweiterung ist historisch”, sagte der chinesische Präsident Xi Jinping. “Es zeigt die Entschlossenheit dieser Länder zur Einheit und Zusammenarbeit mit den größeren Entwicklungsländern.” UN-Generalsekretär António Guterres nahm die Kritik der Brics-Staaten an den Institutionen der Nachkriegsordnung auf und fügte hinzu, dass “die heutigen globalen Governance-Strukturen die Welt von gestern spiegeln”. Reformen seien notwendig. Institutionen wie die UN, IWF und Weltbank “entstanden größtenteils nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele afrikanische Länder von Kolonialmächten regiert wurden und nicht einmal mit am Tisch saßen.”
Mit der Aufnahme Argentiniens ist nun auch das zweitwichtigste Land Lateinamerikas dabei. Asien war mit China und Indien schon stark vertreten. Mit Saudi-Arabien, den VAE und dem Iran, um dessen Beitritt hart verhandelt werden musste, bekam der Nahe Osten eine Aufwertung, vor allem, weil sie wichtige Ölexporteure sind. Ihre Aufnahme wird die Brics als Sprachrohr der erdölproduzierenden Länder stärken.
Brics wirkt nun global besser austariert. Das Übergewicht Asiens wurde zurückgenommen, Südamerika gestärkt, Afrika aufgewertet und wichtige Golfstaaten eingegliedert.
Vor allem die Aufnahme seines engen Verbündeten Saudi-Arabien muss die US-Regierung stören. Peking ist ein Coup gelungen, dass die Extrempole des Nahen Ostens – Saudi-Arabien und Iran – gemeinsam zu Brics stoßen. Erst im März war es Peking gelungen, dass beide Seiten wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen. Besonders ärgerlich für Washington ist: Den Iran haben die USA mit Sanktionen belegt, an die sich auch die Europäer halten müssten. Die Politik, den Iran zu isolieren, wird nun schwieriger.
Die Aufwertung Afrikas schrieb sich vor allem Südafrikas Cyril Ramaphosa zu. “Wir teilen unsere Vision von Brics als Verfechter der Bedürfnisse und Anliegen der Menschen im globalen Süden”, sagte er im Anschluss an den Gipfel und meinte damit vor allem Afrika.
Das 111 Millionen Menschen starke Ägypten stellte seinen Antrag erst im Juni. Dem Land wird großer Einfluss unter den blockfreien Staaten nachgesagt. Zwischen dem Nahen Osten und Afrika fungiert die drittgrößte Wirtschaft Afrikas als Brücke. Für China ist Ägypten ein zentraler Partner der Belt and Road Initiative. Der Suez-Kanal bildet eine wichtige Wirtschaftsader, die Ostasien mit Europa verbindet.
Auch Äthiopien bat erst im Juni um Aufnahme. Das Land hat nach Nigeria mit 123 Millionen Menschen die zweitgrößte Bevölkerung Afrikas. Äthiopien pflegt enge Verbindungen zu den USA, die etwa in der Nähe von Arba Minch eine wichtige Drohnenbasis betreiben. Dennoch sind die Beziehungen zum Westen angespannt. Im September 2021 haben die USA das Land wegen des Bürgerkriegs in Tigray mit Sanktionen belegt.
Äthiopien hat auch enge Wirtschaftsbeziehungen zu China, an dessen Geldtropf das Land heute hängt. Äthiopien ist auch wichtig, weil in Addis Abeba die Afrikanische Union ihren Sitz hat und die Vereinten Nationen ihre wichtigste Afrika-Präsenz. Auch Russland hofft offenbar darauf, über Äthiopien Einfluss in Ostafrika zu gewinnen.
Aber auch die Liste der Enttäuschten ist lang:
Der Club der Brics-Staaten vereint ganz unterschiedliche Länder. Auf der einen Seite stehen autoritäre Staaten wie Russland und China, auf der anderen Seite die demokratischen Länder Brasilien, Indien und Südafrika. Eines eint sie jedoch: Sie fordern mehr Mitbestimmung in der Welt.
Die Brics-Länder sehen sich weder als anti-amerikanisch noch als anti-westlich. Sie betrachten sich als Beitrag zu größerer globaler Vielfalt, waren es doch nicht zuletzt die Amerikaner, die der Welt erklärt haben, wie wichtig Wettbewerb ist. Noch philosophischer gab sich der chinesische Präsident Xi Jinping in seiner Auftaktrede beim Gipfel, die seltsamerweise sein Handelsminister Wang Wentao verlas: “Veränderung ist die Natur des Universums”, zitierte er einen chinesischen Philosophen.
Tatsächlich brauchte Brics einen langen Anlauf. Der erste Brics-Gipfel auf Präsidentenebene 2009 stand im Schatten der Finanzkrise von 2007/2008. Schon damals forderten die fünf Länder, wenn auch zurückhaltend, ein größeres Mitspracherecht. Von den G7-Staaten gab es für diese Forderung nur ein müdes Lächeln.
Südafrika kam 2010 auf Betreiben Chinas hinzu, als erstes Land aus Afrika. Aus Bric wurde Brics. Diese Aufnahme wurde argwöhnisch beobachtet. Vor allem afrikanische Staaten waren sich nicht sicher, ob Südafrika ein geeigneter Fürsprecher für den Kontinent ist. Inzwischen stellt das niemand mehr in Frage. Präsident Ramaphosa stieß gar die erste afrikanische Friedensinitiative für einen Konflikt in Europa an. Die wäre ohne den Rückhalt von Brics nicht denkbar gewesen.
Spätestens jetzt in Johannesburg ist klar geworden: An Brics kommt die Welt nicht mehr vorbei. Gleich sechs Länder werden 2024 als Mitglieder aufgenommen. Das Bündnis der aufstrebenden Wirtschaftsmächte wird repräsentativer und soll den Globalen Süden künftig besser vertreten. Weitere Aufnahmen werden folgen.
In einer Grundsatzrede am Sonntag vor dem Gipfel warnte Ramaphosa vor einer Schwächung des Multilateralismus. In der sich verändernden globalen Machtdynamik bestehe das Land am Kap weiter auf die viel kritisierte Neutralität. “Während einige unserer Kritiker eine offene Unterstützung ihrer politischen und ideologischen Entscheidungen bevorzugen, lassen wir uns nicht in einen Wettbewerb zwischen den Weltmächten hineinziehen”, sagte der Präsident, der in diesem Zusammenhang auch einen EU-Südafrika-Gipfel für Ende 2023 ankündigte.
Für Südafrika habe Brics “positive Chancen” gebracht, darunter Finanzspritzen der Neuen Entwicklungsbank (NDB). Zentral ist die für Südafrika und auch Afrika enger werdende Verbindung zu China, das mit enormen Investitionen wahrscheinlich am meisten geholfen hat, Afrika sichtbarer auf der wirtschaftlichen Weltkarte werden zu lassen.
So nutzte Xi Jinping den Morgen vor dem Gipfel für einen Staatsbesuch in Südafrika. Es ist erst seine zweite Auslandsreise in diesem Jahr, nachdem er im März nach Moskau gereist war. Das zeigt, wie wichtig Xi Brics und Afrika sind. Der Besuch kommt Tage, nachdem sich US-Präsident Biden mit seinen Verbündeten Südkorea und Japan getroffen hatte, wo er das “gefährliche und aggressive Verhalten” Chinas kritisierte.
China und Südafrika begehen in diesem Jahr 25 Jahre diplomatische Beziehungen. In dieser Zeit ist der bilaterale Handel auf mehr als 50 Milliarden Euro gewachsen, rund ein Fünftel des Handels Chinas mit Afrika. Seit 2009 ist China Südafrikas wichtigster Handelspartner. Zwei Drittel der südafrikanischen Exporte nach China sind allerdings Rohstoffe. Ramaphosa erhofft sich in Zukunft eine ausgeglichenere Handelsbilanz und den Export von mehr höherwertigen Produkten, die in Südafrika verarbeitet worden sind.
Auch hat sich Ramaphosa in den vergangenen beiden Jahren für China und Russland aus dem Fenster gelehnt und dabei Spannungen mit den westlichen Staaten, vor allem den USA, in Kauf genommen. Xi dankte es damit, dass sein zweiter Staatsbesuch seit Covid nach Pretoria ging. “Eine starke Botschaft für die afrikanischen Nationen”, schrieb die Johannesburger Wochenzeitung Mail & Guardian. “Chinas Wiederaufleben nach einer pandemiebedingten Pause signalisiert auch eine robuste Rückkehr zum Engagement und zur Partnerschaft mit Afrika.”
Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht die verschobenen Machtverhältnisse. Nach der europäischen Kolonialzeit und dem Ende des Kalten Krieges teilten sich erst einmal die USA und Europa die Macht auf der Welt. Dann kam China mit einem rasanten Wirtschaftsaufstieg, forderte mehr Mitsprache und scharte die Länder des Globalen Südens um sich. Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht die Unterschiede. Während der Westen Russland verurteilt und in die Enge treibt, ist der Globale Süden pragmatischer. Man ist gegen den Krieg, will aber weiter mit Russland kooperieren.
So fasste Gastgeber Ramaphosa in seiner Abschlusserklärung zusammen: “Mit diesem Gipfel haben die Brics-Staaten ein neues Kapitel in ihren Bemühungen aufgeschlagen, eine Welt zu schaffen, die unparteiisch ist, eine Welt, die gerecht ist, eine Welt, die auch integrativ und wohlhabend ist.” Der nächste Brics-Gipfel wird im kommenden Jahr in der russischen Stadt Kasan stattfinden, obwohl Brasilien an der Reihe gewesen wäre. Vielleicht wird sich dann Brics auf ein permanentes Sekretariat einigen. Aber schon jetzt sitzen sie an den Tischen, wo die globale Zukunft gestaltet wird.
Selbst der südafrikanische Brics-Botschafter Anil Sooklal hatte sich auf dem 15. Brics-Gipfel angesichts der Spekulationen über eine Brics-Währung verhaspelt: “Die Währung wird diskutiert, aber lassen Sie mich korrigieren: Es geht nicht um eine Brics-Währung.” Vielmehr ginge es um “die Schaffung von größerer finanzieller Inklusion im Hinblick auf globale Finanztransaktionen, globale Finanzgeschäfte und Zahlungsabwicklung”. Auf eine Ablösung vom Dollar hofft besonders Wladimir Putin, der den Prozess per Video als “unumkehrbar” bezeichnete.
Seit Beginn des Ukrainekrieges hat die Debatte um eine Abkopplung vom Dollar an Tempo gewonnen. Den aufstrebenden Mächten ist es ein Dorn im Auge, dass die US-Regierung über ihre Währung Sanktionen durchsetzen kann, auch wenn es im Falle Putin den richtigen treffen mag. Die meisten Länder, die ihre Devisenreserven überwiegend in US-Dollar halten, empfinden ihre Abhängigkeit von den Launen der amerikanischen Finanzpolitik als problematisch.
Der Dollar ist allgegenwärtig. Dreiviertel des südafrikanischen Handels beispielsweise werden mit westlichen Staaten abgewickelt, in Dollar und in Euro. Auch werden die weltweiten Devisenreserven zu fast 60 Prozent in Dollar gehalten und zu knapp 20 Prozent in Euro. Der Yuan kommt auf nicht einmal drei Prozent. Dennoch: Vor gut zwanzig Jahren lag der Dollar bei 70 Prozent.
Der Gipfel hat die Debatte um die von den USA dominierte Weltbank und den IWF angefacht. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa forderte eine “grundlegende Reform der globalen Finanzinstitutionen”. Nun scheint die Brics-Gruppe nach ihrer Erweiterung erstmals die Macht zu haben, reellen Druck auf Washington auszuüben.
Dilma Rousseff, die Vorsitzende der Brics-Bank, die mit rund 75 Milliarden Euro ausgestattet ist, kündigte an, den Anteil der Transaktionen in einheimischen Währungen von derzeit weniger als 20 auf 30 Prozent zu erhöhen. Für den südafrikanischen Finanzminister Enoch Godongwana geht es darum, “wie wir Projekte in den einzelnen Brics-Mitgliedstaaten in ihren Währungen finanzieren können“.
Zum US-dominierten internationalen Zahlungssystem Swift gibt es derzeit keine Alternative. Die Chinesen arbeiten daran und setzen sich für eine größere Nutzung des Yuan nicht nur innerhalb der Brics ein. Doch der Brics-Erfinder Jim O’Neill, ehemaliger Top-Ökonom bei Goldman Sachs, nannte die Idee einer Brics-Währung in einem Interview mit IC Intelligence im Juni “lächerlich”. Immerhin räumte er ein, dass wahrscheinlich der Yuan und möglichweise auch die indische Rupie “irgendwann in der Zukunft eine viel wichtigere Währung für die Welt sein werden”.
Im März hatten sich Brasilien und China geeinigt, ihren bilateralen Handel über ihre eigenen Währungen abzuwickeln. Mit den Sanktionen wurde Russland von Swift ausgeschlossen. China bezahlt russisches Öl nun in Yuan. Indien handelt seit August mit den Emiraten in Rupie. Saudi-Arabien hat überlegt, seine Ölexporte nach China in Yuan abzuwickeln, und bekam prompt Druck aus Washington. Die Brics-Mitgliedschaft zeigt, wie man in Riad damit umzugehen gedenkt. Der Nahe Osten ist für China ein wichtiger Partner. 30 Prozent seines Energiebedarfes bezieht es von dort. Saudi-Arabien ist der wichtigste Ölproduzent, China sein wichtigster Kunde. Die Zeiten, in denen man von Petrodollar sprach, gehen zu Ende.
Auch Afrika rechnet Geschäfte mit China zunehmend in Yuan ab. Während des Russland-Afrika-Gipfels im Juli sprach sich, wen wundert es, auch Wladimir Putin für eine Ent-Dollarisierung in Afrika aus: “Um das gesamte Spektrum der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen weiter auszubauen, ist es wichtig, bei der finanziellen Abwicklung von Handelsgeschäften mit größerem Enthusiasmus auf nationale Währungen umzusteigen.”
Parallel dazu will der Kontinent den innerafrikanischen Handel mit dem Pan-African Payment and Settlement System (PAPSS) ankurbeln. Das System erlaubt es, den Handel in einer der 42 afrikanischen Währungen anstelle des Dollar abzuwickeln, was Gebühren von bis zu fünf Milliarden Dollar jährlich einsparen könnte.
Auch der kenianische Präsident William Ruto befürwortet die Ent-Dollarisierung: “Wir sind nicht gegen den Dollar, wir wollen nur viel freier handeln. Lasst uns in Dollar bezahlen, was wir von den USA kaufen.” Obwohl der Dollar etablierte Handelswährung in Afrika ist, und auch für wirtschaftliche Stabilität sorgt, treibt die Anhängigkeit viele Länder in die Inflation. Inzwischen finden manche Regierungen, dass sie jenseits des Dollar größeren Spielraum in ihrer Finanzpolitik bekommen.
Die Finanzminister und Zentralbanker der Brics-Länder wurden am Ende des Gipfels aufgefordert, Zahlungen in einheimischen Währungen stärker in Betracht zu ziehen und entsprechende Zahlungsinstrumente zu entwickeln. Die Ergebnisse sollen auf dem Brics-Gipfel im kommenden Jahr vorgestellt werden.
Die Dollar-Debatte steigert auch das Interesse an Gold. Einige Zentralbanken decken sich damit als Devisenreserve ein, darunter die Türkei und Singapur. China hat ebenfalls in diesem Jahr bisher 126 Tonnen Gold gekauft und seine offiziellen Reserven auf 2136 Tonnen erhöht. Dass angesichts des Brics-Gipfels ausgerechnet Johannesburg seine Existenz und seinen Reichtum der Entdeckung von Gold im späten 19. Jahrhundert verdankt, ist nur ein historischer Zufall.
Sandton ist die reichste Quadratmeile in Afrika. Hier zeigt sich der Kontinent von seiner besten Seite. Die Botschaft: So kann Afrika werden. Doch zuvor mussten Teilnehmer, die nicht in Regierungsmaschinen anreisten, durch den inzwischen unfreundlichen und ineffizienten internationalen Flughafen von Johannesburg. Immerhin gelang es den Organisatoren, den Strom von Delegationen der aufstrebenden Mächte gut zu managen. Der Verkehr floss nach der morgendlichen Rushhour gemächlich, trotz rund 5000 Gästen. Die Sonne sorgt an diesen Frühlingstagen bereits für sommerliche Temperaturen, die Bürgersteige sind sauber. Geschäftsleute und Besucher beobachten die Fernsehteams der Weltpresse rund um das abgeriegelte Sandton Convention Centre. Allein die Polizeipräsenz an allen Kreuzungen und vor den Hotels sowie die vielen blau-weißen Banner zeugen von dem wichtigen Ereignis. Das Viertel und seine modernen Hochhäuser wirkt aufgeräumt und fortschrittlich wie andere Wirtschaftszentren der Welt.
In Johannesburg wird fast die Hälfte des BIP des Landes erwirtschaftet. Mit 14.600 Dollar-Millionären ist es laut World Wealthiest Cities Report 2023 die reichste Stadt Afrikas, doppelt so wohlhabend wie Kairo, das an zweiter Stelle liegt und jetzt die Chance hat, zu einer Brics-Metropole aufzusteigen. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nur wenige Kilometer vom Tagungsort entfernt völlig anders aussieht. In der historischen Innenstadt von Johannesburg, wo vor 150 Jahren der Goldrausch begann, herrschen Verfall und Armut. Hier die insulare Moderne, dort Chaos – ein kontrastreiches Bild, das man von Südafrika und Afrika insgesamt kennt. Fast tägliche Stromausfälle sind in beiden Vierteln üblich. Allerdings merkt man sie in Sandton kaum, weil es dort mehr Generatoren gibt.
Ein klein wenig Durcheinander der Eitelkeiten gibt es bei der Anreise dann doch. So will der indische Präsident Narendra Modi nach der Landung seine Maschine nicht verlassen, weil er – anders als der chinesische Präsident – nicht von Cyril Ramaphosa am Flugfeld empfangen wird. Eilig schickt das Protokoll dann den stellvertretenden Präsidenten Paul Mashatile, macht aber deutlich, dass es sich bei Xis Besuch um einen Staatsbesuch handelte, bei Modi dagegen “nur” um einen Arbeitsbesuch.
Ansonsten einte die Teilnehmer das fast berauschende Gefühl, an einem historischen Ereignis teilzuhaben, einem großen Schritt in die Selbstbestimmung des globalen Südens. Ramaphosa bekam gute Noten für sein diplomatisches Geschick, das ihm viele nicht zugetraut hatten. Erfolge, die Afrika brauchen kann. Zwar ist der rohstoffreiche Kontinent in den vergangenen 30 Jahren wirtschaftlich im Durchschnitt um 3,3 Prozent gewachsen. Enorme Fortschritte wurden gemacht in florierenden Metropolen, mit mutigen Innovationen, beim Ausbau der Infrastruktur (meist mit Hilfe aus China), Arbeitsplätzen und Bildung. Aber selbst im vornehmen Sandton ging es nicht so schnell bergauf, wie sich das viele gewünscht hatten.
Dies soll sich nun im Rahmen von Brics ändern. So sieht Busi Mabuza, Vorsitzende des Brics Business Council und Chefin der Industrial Development Bank of South Africa, dem größten Entwicklungsfinanzinstitut in Subsahara-Afrika, die Möglichkeit, durch die Erweiterung einen sinnvollen Beitrag zur Zukunft der globalen nachhaltigen Entwicklung zu leisten. “Afrika mit seinem Potenzial, seinen natürlichen Ressourcen und seiner sehr jungen Humanressourcenbasis spielt in dieser Agenda eine entscheidende, sehr entscheidende Rolle.” Das ist auch für Südafrika dringend nötig: Sein Anteil an der Weltwirtschaft sinkt, von 0,63 Prozent in 2018 auf 0,58 Prozent im vergangenen Jahr, gemessen an der Kaufkraft.
Mabuza ist sicher, dass die nächste Welle des globalen Wachstums von Afrika kommt. Aber es geht auch darum, der Außenwelt deutlich zu machen, dass dieser Aufstieg anders verlaufen wird als in anderen Teilen der Welt. Stichwort Klimaschutz: In Afrika ist die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen derzeit noch groß. “Wir müssen auch auf dem Recht der afrikanischen Nationen bestehen, Ressourcen zur Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel zu nutzen, auch durch den Einsatz fossiler Brennstoffe,” fand Sim Tshabalala, CEO der südafrikanischen Standard Bank, während des Brics Business Council Meetings am ersten Tag des Gipfels.
Damit ist man in Sandton schon weit vorangekommen, wo etwa klimafreundliche Solarzellen die Büros durch den langen Sommer kühlen. “Das Geschäftszentrum von Sandton hat seit der FIFA-Weltmeisterschaft 2010 vor 13 Jahren nicht mehr so gut ausgesehen,” schrieb die Wirtschaftsnews-Plattform Moneyweb. Am Abend kann man die Delegierten in der Alto234-Bar auf dem Dach des Leonardo in Sandton sehen, der höchsten städtischen Bar Afrikas. Oder am ONE80° Pool Deck des Radisson Blu Hotels im 8. Stock. Die Stimmung ist locker, es dominiert das Gefühl einer neuen Gemeinschaft. “Nun schaffen wir es endlich, zusammenzuhalten,” hört man eine asiatische Frau mit Brics-Badge zu einem Mann aus dem mittleren Osten sagen, er pflichtet ihr bei.
Monatelang hatte der südafrikanische Polizeiminister Bheki Cele, der während des Gipfels auch südafrikanische Streitkräfte befehligte, seine Beamten vorbereitet. Sie hatten ein wachsames Auge, regelten den Verkehr und aßen nebenbei Fastfood von KFC. An normalen Tagen sieht man Polizei in Sandton eher selten, und nicht immer ist es sicher.
Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa wollte Afrika und den Tagungsort von seiner schönsten Seite zeigen. Ihm ist es wichtig, den Kontinent voranzubringen. Entsprechend auch der sehr lange Untertitel des Gipfels: “BRICS and Africa: Partnership for Mutually Accelerated Growth, Sustainable Development and Inclusive Multilateralism”. Vor UN-Generalsekretär António Guterres, dem Ehrengast beim Gipfel, hob Ramaphosa die Brics-Partnerschaft als Katalysator für globales Wachstum hervor, das auf die Bedürfnisse aller Nationen eingehe. “Es ist das Recht Afrikas und des gesamten globalen Südens, die Vorteile des globalen Handels und der globalen Investitionen voll auszuschöpfen. Ohne Handel und Investitionen können unsere Volkswirtschaften nicht gedeihen, und die materiellen Bedingungen unserer Völker können sich nicht verbessern.” Genau das ist in Südafrika ebenso wichtig wie in den anderen aufstrebenden Wirtschaftsnationen des afrikanischen Kontinents, sei es Nigeria, Senegal, Tansania oder in den jetzt neuen Brics-Ländern Ägypten und Äthiopien.
Wie bei der Fußball-WM 2010 bewies Südafrika in den vergangenen Tagen, dass es sich von seiner besten Seite zeigen kann, wenn es will. Seinerzeit reisten Fußballer und Fans wieder ab, das Land verfiel in den alten Trott mit Chaos und hohen Kriminalitätsraten, die auch ausländische Investoren abschrecken. Diesmal soll es anders sein: “Wir werden noch lange nach Brics präsent sein,” verspricht jedenfalls Polizeiminister Cele.