der Genozid in Ruanda vor 30 Jahren ließ die Welt in die tiefsten Abgründe menschlichen Daseins blicken. Er begann am 7. April 1994. In 100 Tagen bis in den Juli hinein schlachtete die Mehrheitsgruppe der Hutu rund drei Viertel der in Ruanda lebenden Tutsi ab und tötete auch jene Hutu, die sich diesem Massenwahnsinn nicht anschließen wollten. Sie vergewaltigten massenweise Frauen und töteten in einem Blutrausch mit Gewehren und Macheten, bis die Täter tief im Blut ihrer Opfer standen.
In dieser Spezialausgabe des Africa.Table befassen wir uns mit dem 30. Jahrestag dieses Völkermords und wie Deutschland heute auf ihn blickt.
Dieser Tage hat Deutschland viel über diesen Völkermord diskutiert, doch wenig über die deutsche Mitschuld. Die Lehren aus dieser Untätigkeit sind mau. Außenministerin Baerbock forderte in der Bundestagsdebatte mehr Wachsamkeit. Haben die deutschen Politiker keine größeren Lehren aus dem Versagen der deutschen Diplomaten im Jahr 1994 gezogen? Wäre eine notwendige Lehre aus dem deutschen Versagen nicht, in der Außenpolitik konsequenter Haltung zu zeigen? David Renke hat die Debatte im Bundestag heute Nachmittag für Sie verfolgt.
Nach dem Völkermord hat Deutschland Tätern bereitwillig Zuflucht gewährt. Die Mörder lebten unter uns und konnten sich jahrelang einer Strafverfolgung entziehen, manche bis heute. Diesem Aspekt, auf den in diesen Gedenktagen wenig geschaut wird, gehen wir auf den Grund.
Und schließlich haben wir mit Kordula Schulz-Asche gesprochen, der Grünen-Politikerin aus Hessen, die 1994 in Ruanda Entwicklungshilfe leisten wollte und den Völkermord aus nächster Nähe miterleben musste. Sie blickt nicht nur zurück, sondern auch weit nach vorn.
Ein Trost aus diesem Völkermord ist, dass Ruanda trotz dieses unvorstellbaren kollektiven Traumas heute wirtschaftlich erfolgreicher dasteht als jemals zuvor und dass sich die Lebensumstände für viele Bewohner des Landes seitdem verbessert haben.
Am Donnerstag hat der Deutsche Bundestag in einer Debatte dem 30. Jahrestag des Genozids in Ruanda gedacht. Dabei rückten die Parlamentarier die Aufarbeitung der deutschen Verantwortung während des Völkermordes in den Mittelpunkt. “Die große Lehre aus Ruanda ist, dass wir Verantwortung tragen für unser Handeln, genauso wie für unser Nicht-Handeln”, sagte Außenministerin Annalena Baerbock vor dem Parlament. Die internationale Gemeinschaft habe in Ruanda nicht hinsehen wollen, gab Baerbock zu. Seither habe Deutschland aber gelernt, unter anderem, indem die Bundesrepublik verstärkt in Instrumente der Krisenprävention investiere.
Eine zweite Lehre aus Ruanda sei zudem, die Täter nicht straflos davon kommen zu lassen. In diesem Zusammenhang lobte die Ministerin die traditionellen Gerichte, die infolge des Genozids in Ruanda wiederbelebt wurden. “Auch in Deutschland wurde Jahrzehnte später noch einer der Täter am Oberlandesgericht Frankfurt verurteilt. Das war neu in der Völkerstrafrechtsgeschichte“, sagte Baerbock. Ein solches Weltrechtsprinzip leite auch heute die Aufarbeitung anderer Völkermorde, wenn diese nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof möglich ist.
Trotz aller Lehren aus dem Völkermord sind jedoch längst nicht alle Fragen um den Völkermord geklärt. Besonders die SPD forderte eine bessere Aufarbeitung des deutschen Versagens bei der Verhinderung des Völkermords. “Die Nacht, in der die Weltgemeinschaft zu Versagern wurde, hätte abgewendet werden können”, sagte SPD-Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur. Nur wer die Vergangenheit aufarbeitet und durchdringt, könne verhindern, dass sich etwas Ähnliches noch einmal ereignet.
Auch ihre Parteikollegin Nadja Sthamer betonte die deutsche Verantwortung. Einerseits durch die Verschärfung der ethnischen Trennung der Hutu und Tutsi, die in der Kolonialzeit rassistisch aufgeladen wurde, andererseits durch die Kooperation des Auswärtigen Amts mit Ruanda trotz des sich abzeichnenden Völkermords. “Das kollektive Versagen der internationalen Gemeinschaft ist also auch ein Versagen der deutschen Politik“, so Sthamer. Die Aufarbeitung bleibe bis heute schwierig. Tatsächlich bietet sich mit dem 30. Jahrestag neue Möglichkeiten für eine wissenschaftliche Aufarbeitung der deutschen Rolle während des Genozids, denn die Sperrfrist für Akten des Bundesarchivs laufen aus und werden für die Öffentlichkeit zugänglich.
Kritik gab es auch von der Linken. Dietmar Bartsch kritisierte die Außenministerin für ihre Einschätzung der Vergangenheitsbewältigung und die Lehren für aktuelle Krisen: “Die Bundesregierung stellt pauschal fest, dass man Lehren aus den Versäumnissen gezogen hat. Ich höre ihre Botschaft wohl, mir fehlt jedoch der Glaube.” Bei den Kriegen im Südsudan, in Äthiopien oder der Lage in Haiti habe man erneut weggeschaut. Zudem forderte Bartsch eine unabhängige Aufarbeitung der Fehleinschätzung der Lage durch deutsche Diplomaten, die Warnzeichen nicht wahrgenommen hätten.
Gleichzeitig lenkten die Abgeordneten in der Debatte das Augenmerk auf die Lage im Ostkongo. “Der Krieg im Osten des Kongo, der die gesamte Region destabilisiert, darf nicht eskalieren”, warnte der CSU-Abgeordnete Volker Ullrich. Auch Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Union, kritisierte Ruandas Rolle im Konflikt: “Bei aller Freundschaft zu Ruanda müssen wir klarmachen, dass die Ruanda-Regierung die Lehren aus den Erfahrungen der Vergangenheit ziehen sollte und mehr zum Frieden in der Region beitragen sollte.” Auch Außenministerin Baerbock forderte ein “Hinschauen” im Konflikt im Ostkongo.
Für einen Eklat sorgte Jürgen Braun, der menschenrechtspolitische Sprecher der AfD. In seiner Rede leugnete er, dass die koloniale Herrschaft der Deutschen und Belgier in Ruanda die Voraussetzungen für einen Völkermord geschaffen hätte. Kordula Schulz-Asche, die Grüne Vorsitzende der Parlamentariergruppe Östliches Afrika, warf Braun in der Folge die “Verachtung der Opfer des Völkermords” in Ruanda vor. Auch Sevim Dağdelen wurde kritisiert, nachdem sie Parallelen zwischen der Lage in Ruanda und der aktuellen Situation in Gaza gezogen hatte. Sie warf der Bundesregierung in beiden Fällen eine “Kultur des Wegschauens und Abwiegelns” vor.
Beim Genozid in Ruanda machte sich die Bundesregierung in mehrerlei Hinsicht mitschuldig. Lange redete sie die explosive Lage in Ruanda klein. Aber schlimmer noch: Täter konnten zum Teil jahrzehntelang unbehelligt in Deutschland Unterschlupf finden.
Eine besonders unglückliche Rolle spielte die deutsche Botschaft in Kigali. Sie hatte die Lage völlig falsch beurteilt. Noch am 21. März 1993 bezeichnete sie in einem Schreiben an das Auswärtige Amt die Interahamwe-Milizen, die später maßgeblich am Völkermord beteiligt waren, nur als jugendliche Parteianhänger. “Eine Fehleinschätzung von vielen”, sagt Politikwissenschaftler Anton Peez, der am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) arbeitet und Einblick in die Akten des Auswärtigen Amtes genommen hat.
Das war kein Versehen der Botschaft. Schon am 2. Februar 1993 hatte sie geschrieben: “Die pauschalen Vorwürfe ,Völkermord’ und ,Kriegsverbrechen’ könnten sich auf die an den Tutsi verübten Gewalttaten beziehen. In dem im Wort ,Völkermord’ implizierten Ausmaß, nämlich in der Vernichtung eines ganzen Volkes, liegen die an der Ethnie der Tutsi verübten Verbrechen ganz sicher nicht.”
Den damaligen deutschen Botschafter beschrieb der Zeitzeuge Jörg Zimmermann als “absolut schwach” und “überfordert”. Wie sehr sich der deutsche Diplomat täuschte, wurde am 7. April 1994 offenbar. Von da an wurde in einem 100 Tage währenden Blutrausch, je nach Quelle, 800.000 bis eine Million Menschen abgeschlachtet. Dies war der tragische Höhepunkt des Konflikts zwischen Hutu und Tutsi. Unter den Opfern befanden sich auch Blauhelm-Soldaten, Jesuiten und Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen.
Zum 30. Jahrestag des Genozids wird viel über die Mitschuld des Westens diskutiert. Vor allem Frankreich hatte unter dem damaligen Präsidenten François Mitterrand die Urheber des Völkermords gestützt. Deutschland muss sich vorwerfen lassen, dem Morden und den Massenvergewaltigungen tatenlos zugeschaut zu haben.
Ein anderes Thema bleibt im deutschen Gedenken weitgehend unbeachtet: Deutschland hat nach dem Genozid vielen Tätern Asyl gewährt, sodass sie seit Jahrzehnten unbehelligt eine unscheinbare Existenz hierzulande führen können. Dabei dürfen deutsche Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgen, auch wenn diese im Ausland, von Ausländern und ohne Bezug zu Deutschland begangen wurden.
Viele Täter tauchten in Frankreich unter, etwa Félicien Kabuga oder Sosthene Munyemana. Auch in Belgien fanden viele Täter Unterschlupf. In Frankreich hat es sich das Ehepaar Alain und Dafroza Gauthier zur Lebensaufgabe gemacht, die Täter aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. In Deutschland ist das Interesse an den Tätern des Genozids, die nun im Land leben, gering.
Einer der wenigen Fälle die in Deutschland ans Tageslicht gekommen sind, ist der von Onesphore Rwabukombe. Er war während des Genozids Bürgermeister von Kiziguro und hatte seine Mitbürger am 11. April 1994 zum sogenannten Kirchenmassaker an mindestens 400 Tutsi aufgestachelt. Im Jahr 2015 hat das Oberlandesgericht Frankfurt Rwabukombe zu lebenslanger Haft verurteilt.
“Es war ein unvorstellbares Blutbad, bei dem der Angeklagte knöcheltief im Blut stehend seine Befehle gab”, sagte der Vorsitzende Richter Josef Bill in seiner Begründung. Der Richter stellte bei Rwabukombe eine besondere Schwere der Schuld fest, was eine vorzeitige Haftentlassung ausschließt.
Oder Jean Twagiramungu: In der fraglichen Zeit war er Professor der EAV Kaduha High School und hatte seine Studenten aufgefordert, in die Mordmilizen einzutreten und ihre Nachbarn zu ermorden. Nach dem Genozid war Twagiramungu nach Deutschland geflüchtet. Erst 2015 wurde er verhaftet und 2017 nach Ruanda ausgeliefert. Dort wurde er im vergangenen Jahr zu 25 Jahren Haft verurteilt.
Andere Täter – ihre Zahl ist nicht bekannt – befinden sich heute noch in Deutschland, nachdem die Bundesregierung ihnen nach dem Völkermord Zuflucht gewährt hatte. Begründet wurde dies auch damit, dass ihnen die Todesstrafe drohte. Erst 2007 wurde diese in Ruanda abgeschafft. Rwabukombe war 2002 nach Deutschland eingereist, lebte jahrelang als Asylbewerber in Hessen und wurde 2010 in Untersuchungshaft genommen.
Der Prozess gegen Rwabukombe war der erste deutsche Prozess gegen einen Täter des Völkermords. Andere Verfahren wurden abgebrochen, bevor sie begonnen hatten. So im Fall von Enoch Ruhigira: Ihn hatte die deutsche Polizei im Juli 2016 am Flughafen Frankfurt festgenommen und acht Monate lang in Auslieferungshaft in der JVA Frankfurt I behalten.
Ruhigira wurde vorgeworfen, im Juni 1994 Straßenblockaden errichtet und Macheten verteilt zu haben. Ende März 2017 ließ die Generalstaatsanwaltschaft ihn frei. Die Begründung: Ruanda werde “diktatorisch” regiert, sodass rechtsstaatliche Standards nicht eingehalten würden. So bleiben Ruhigiras Verbrechen bisher ungesühnt.
Eine Lehre aus Ruanda sei, Täter nicht straflos davonkommen zu lassen, sagte Außenministerin Baerbock am Donnerstag in der Bundestagsdebatte. “Wenn die Opfer und ihre Nachfahren die Gewissheit haben, dass die Täter nicht straffrei davonkommen, können sie irgendwann vergeben”, sagte Baerbock weiter. Noch ist es nicht zu spät, Genozid-Täter, die in Deutschland leben, vor Gericht zu stellen.
Frau Schulz-Asche, Sie haben in Ruanda gelebt und gearbeitet, als der Völkermord begann. Wie haben Sie den Gewaltausbruch erlebt?
Meine vierjährige Tochter lag schon schlafend im Bett, als am 6. April um 20.20 Uhr in Kigali ein lauter Knall aus Richtung Flughafen zu hören war. Danach herrschte einen Moment lang tiefste Stille – und dann meldeten die Funkgeräte den mutmaßlichen Abschuss des Flugzeugs des damaligen ruandischen Präsidenten und die ersten Straßensperren in der Stadt. In dieser Nacht begann, wie wir heute wissen, der organisierte Völkermord an den Tutsi und die Ermordung von moderaten und oppositionellen Hutu.
Wie kam Ihre Familie davon?
Wir haben uns verbarrikadiert mit allem, was wir hatten, die Fenster mit Büchern und sogar mit Spielsachen meiner Tochter. Drei Tage später gelangten wir im ersten Evakuierungskonvoi der Amerikaner nach Burundi. Unsere Mitarbeiter hatten dieses Glück nicht – nur ein Beispiel: Am 7. April erhielten wir den Anruf der Ehefrau eines Arbeitskollegen, beide Tutsi. Sie bat verzweifelt um Hilfe, weil Soldaten versuchten, in das Haus einzudringen. Plötzlich hörten wir Krachen im Hintergrund; dann brach das Gespräch ab. Später haben wir erfahren, dass an diesem Tag die gesamte Familie ermordet worden war.
Geschah der Völkermord aus dem Nichts, waren alle vorher ahnungslos?
Nein. Eine rassistisch begründete politische Radikalisierung war längst spürbar. Es gab auch vorher in einigen Gegenden Anschläge auf Tutsi, die man im Nachhinein zynisch als “Test-Genozide” beschreiben könnte. Da wurden systematisch Menschen zusammengetrieben und ermordet. Da die Milizen aber noch nicht ihr Ziel erreichten, spitzte sich die Situation zu. Der Mob fuhr in bunten Uniformen drohend durch Kigali; Aussöhnung wurde immer unerreichbarer. Kurz: Wir wussten alle, dass das Land instabil ist und weiteres Morden droht, hatten aber nicht damit gerechnet, dass es so heftig und so umfassend durchorganisiert kommen würde.
Für wen haben Sie damals gearbeitet?
Für den Deutschen Entwicklungsdienst in einer NGO, die die Gesundheitsversorgung im Land für nichtstaatliche Einrichtungen organisierte. In dem Zusammenhang interessant: Oft arbeitete der DED mit staatlichen Organisationen zusammen. Doch da Beamte im Gesundheitsministerium bereits einen gewissen negativen Ruf hatten, arbeitete der DED bei der Gesundheitsversorgung mit einer kirchlichen Organisation zusammen. Meine direkte Chefin dort ist gemeinsam mit ihrem Mann während des Völkermords umgebracht worden. Ihre Kinder überlebten und wurden von deutschen Kollegen aufgenommen.
Deutschland war 1994 zweitgrößter Geberstaat für Ruanda; vor Ort gab es auch eine UN-Schutztruppe. Der Völkermord geschah also gewissermaßen vor den Augen der Welt. Welche Lehren ziehen Sie daraus?
Damals ist fast als erstes das belgische UN-Kontingent, das die Premierministerin schützen sollte, umgebracht worden; die UN hat sich nicht gewehrt und auch niemanden beschützt. Man muss also lernen, wie man robuste Mandate aufbaut, die tatsächlich Schutz bieten können und nicht selber Opfer schaffen. Sehr lange wurde ja über diese robusten Mandate diskutiert. Mittlerweile werden sie – robust oder nicht – eins nach dem anderen zugemacht, siehe Kongo und Mali. Inzwischen haben wir aber in Afrika kaum noch Regionen, wo solche neuen UN-Mandate nicht dringend notwendig wären. Im Sahel erlebt die Bevölkerungsgruppe der Peulh, überwiegend Viehzüchter, derzeit genozidale Attacken seitens der Armee und der Milizen, die vorgeben, die Interessen der Ackerbauern zu vertreten.
Welche Rolle spielt die Kolonialgeschichte für den Rassismus in Ruanda?
Die deutsche Präsenz bis zum ersten Weltkrieg in der Region hat die Bevölkerung nicht nachhaltig tangiert. Aber die rassische Trennung der vermeintlich europäisch aussehenden Tutsi und der agrarisch geprägten Hutu begann tatsächlich während dieser kurzen Periode. Die anschließende Herrschaft der Belgier war teilweise sehr brutal. Sie bediente sich der ethnischen Trennung nach der Devise: “Teile und herrsche”. Angesichts dieser historischen Verantwortung hätte Deutschland vor 1994 eine stärkere Rolle spielen müssen bei der Eindämmung der Gefahr eines Massenmordes, denn unser Land war nicht so aktuell als Konfliktpartei belastet wie Belgien und Frankreich.
Eine Lehre aus Ruanda war ja die UN-Doktrin “Responsibility to protect”. Nach der R2P muss die internationale Gemeinschaft eine Bevölkerung schützen, wenn der eigene Staat versagt. Viele NGOs fordern dies für Gaza ein – wie sehen Sie das?
Es gibt eine Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, Bevölkerungen in Not zu schützen und Friedensprozesse zu unterstützen. Die R2P hat das Ziel, Völkermorde im Vorfeld zu verhindern. Die Situation der Bevölkerung in Gaza – so schlimm sie ist – ist nicht vergleichbar mit der Situation der Tutsi in Ruanda oder der Jüdinnen und Juden in Nazi-Deutschland. Zum Völkermord gehört, dass eine bestimmte ethnische Gruppe systematisch ausgerottet werden soll. Wir sollten deshalb mit dem Begriff selbst sehr vorsichtig umgehen.
In Ruanda gehört Paul Kagame seit dem Ende der Massaker der Regierung an, seit 2000 als Präsident. Er gilt als Politiker, der das Land nach dem Völkermord vereint hat, aber auch als autoritär. Guckt der Westen über Menschenrechtsverletzungen im heutigen Ruanda hinweg?
Ruanda ist eines der wenigen stabilen Länder in Ostafrika, und das ist auch Kagame zu verdanken. Sicher ist er eher ein Diktator denn ein Demokrat. Trotzdem glaube ich, dass er 1994 der einzige war und eventuell immer noch ist, der die zerbrechliche Situation im Lande stabil hält. Heute geht es wirtschaftlich rasch voran und es steht nicht mehr im Ausweis, welcher ethnischen Gruppe eine Ruanderin oder ein Ruander angehört. Ich war mehrfach wieder dort, direkt nach dem Genozid und auch später; ich bin Vorsitzende der Parlamentariergruppe Östliches Afrika und kann daher sagen: Das ist ein Fortschritt, auch wenn Ruanda keine Demokratie ist.
Was sagen Sie zur Kritik, dass Ruanda in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo eingreift und dort die M23-Rebellen, überwiegend Tutsis, unterstützt?
Der Ostkongo könnte der nächste Sprengstoffgürtel sein, der explodiert. Die M23 ist eine Rebellenarmee, die von Ruanda unterstützt wird und Menschenrechtsverletzungen begeht. Aber man muss sehr vorsichtig bei der Beurteilung der Gesamtlage sein. In der DR Kongo haben Militärs und Hutu-Bürgermeister aus Ruanda eine auf den alten rassistischen Strukturen basierende Streitmacht und Verwaltung aufgebaut. Die ehemaligen Völkermörder sind im Prinzip samt ihrer Bevölkerung in den Ostkongo gegangen, das darf man nicht vergessen. Mit ihnen ist die M23 im Konflikt, auch weil die kongolesische Armee und Regierung es nicht geschafft oder gewollt haben, die Rebellen zu integrieren. Nun gibt es Meldungen, dass sich ein neues, brandgefährliches Narrativ ausbreitet: Ruanda jetzt zurückerobern und die Tutsi endgültig auslöschen. Gleichzeitig erleben wir gerade eine neue Welle der Leugnung des Genozids im Jahr 1994.
Erklären Sie das bitte.
Die Nachkommen der ehemaligen Ruanda-Flüchtlinge sagen, es gab gar keinen Völkermord, sondern die Tutsis haben uns bedroht so wie heute die M23-Rebellen. Deswegen mussten wir uns wehren und deswegen sind wir geflohen. Das ist die neue, alte Geschichte, die eine starke Hutu-Gruppe im Ostkongo entwickelt, mit dem Ziel, nach Ruanda zurückzukehren.
Könnte mit Ihnen der Konflikt in Ruanda wieder aufleben?
Ja, zumal immer noch neue Massengräber gefunden werden in Ruanda, gerade jetzt auch bei Bürgermeistern, bei denen man bisher davon ausgegangen war, dass sie unschuldig waren. Ich kann mir vorstellen, dass die starken Gruppierungen, die sich gerade im Ostkongo bilden – die Zugang zu Geld und Waffen haben – für Ruanda bedrohlich werden können. Die M23-Rebellen befeuern diesen Konflikt ihrerseits. Den kann man nicht militärisch lösen. Es wäre eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, für die Lage im Ostkongo zusammen mit Ruanda und anderen Staaten in der Region der Großen Seen eine Lösung zu finden. Sonst kann es spätestens in fünf, sechs Jahren wieder losgehen. Zumal auch Kagame irgendwann als Stabilitätsanker ausfallen wird.
Großbritanniens Regierung möchte künftig alle Asylbewerber nach Ruanda bringen lassen, um dort Asylverfahren durchführen zu lassen. Auch die CDU fordert einen Drittstaat ein als Aufnahmeland für Asylbewerber. Wie stehen Sie zu solchen Vorschlägen?
Ganz ehrlich? Ich finde den britischen Vorschlag aberwitzig. Wir haben in der Region der Großen Seen, gerade auch in Ruanda, eine der größten Bevölkerungsdichten, die man sich überhaupt vorstellen kann. Der Kampf um knappste Ressourcen war eine weitere Ursache des Genozids. In ein solches Land Menschen zu schicken, die nicht aus dem Land kommen, die keine wirtschaftlichen Beziehungen dahin haben, in eine Region, die unter ethnischen Konflikten leidet: Das halte ich für eine der inhumansten Ideen, auf die eine demokratisch gewählte Regierung kommen kann.
Glauben Sie denn, dass überhaupt ein sicherer Drittstaat gefunden werden kann?
Ich würde an ganz Afrika große Fragezeichen machen. Und zwar deswegen, weil es der einzige Kontinent ist, wo die Bevölkerung nach wie vor enorm wächst. Alle anderen Kontinente haben Nachwuchssorgen und damit ein Problem des Fachkräftemangels. Meiner Meinung nach sollte man schauen, wie man die Menschen, die jetzt in Afrika geboren werden, gut ausbildet für Berufe, für die wir hier dringend Menschen brauchen. Die Hochschule Koblenz bildet zum Beispiel kenianische Abiturienten zu Pflegefachkräften aus. Das halte ich für eine großartige Idee.
Am Donnerstag steht ja eine Debatte im Bundestag über den Völkermord in Ruanda auf der Agenda. Welche Erwartungen haben Sie?
Wir müssen die Themen Friedenssicherung, Krisenprävention- und -bearbeitung aufarbeiten. Wir haben ja im Prinzip die Frühwarnsysteme, die uns einen Hinweis darauf geben, ob sich ein Genozid oder der Kollaps eines Staates abzeichnet, aber warum wird immer aufs Neue nicht auf sie gehört? Das ist ja nichts, was vom Himmel fällt! Die demokratischen, ehemals kolonialen Mächte – dazu zählen für mich auch die USA – müssen mit ihrer Verantwortung neu und anders umgehen lernen. Was Afrika angeht, habe ich den Eindruck, dass man im Moment Gefahr läuft, den Kontinent auf zentralen Konfliktfeldern sich selbst zu überlassen – oder China und Russland.
Drei tansanische Soldaten, die im Rahmen einer Friedenstruppe der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) in der DR Kongo im Einsatz waren, wurden vor wenigen Tagen bei einem Angriff auf ihren Stützpunkt in Sake im Osten des Landes getötet. Das SADC-Kontingent, bestehend aus Truppen aus Südafrika, Tansania und Malawi, war im Dezember vom kongolesischen Präsidenten Tshisekedi beauftragt worden, die Miliz M23 zu bekämpfen – eine von mindestens 120 bewaffneten Gruppen in der Region. Ruanda unterstützt M23 militärisch und finanziell, wie aus einer UN-Untersuchung hervorgeht, streitet dies jedoch vehement ab.
M23 gründete sich 2012 mit dem Anspruch, kongolesische Tutsi gegen Hutu-Milizen wie die FDLR zu verteidigen. Nach dem Völkermord an den Tutsi in Ruanda waren viele Hutu, darunter auch Täter, aus Angst vor Vergeltung in den benachbarten Kongo geflohen. Aus den Überresten der völkermordenden Interahamwe-Milizen bildete sich die FDLR, die heute noch im Ostkongo aktiv ist. Ruanda wirft der kongolesischen Regierung vor, mit der FDLR gemeinsame Sache zu machen und gegen kongolesische Tutsi zu hetzen.
Aus einer Pressemitteilung der SADC ging nicht hervor, wer für den Angriff in Sake verantwortlich ist. Allerdings war das SADC-Kontingent rund um die Stadt zuletzt in Kämpfe mit der M23 verwickelt. Der Ort ist die letzte große Hürde für die Miliz auf dem Weg zur Provinzhauptstadt Goma an der Grenze zu Ruanda.
Schon im Februar und März waren südafrikanische Soldaten im Ostkongo getötet worden. Der Tod ausländischer Soldaten verstärkt die internationale Befürchtung, es könnte zu einer regionalen Eskalation wie im Zweiten Kongokrieg (1998-2003) kommen. Damals kämpften Armeen aus mindestens neun afrikanischen Ländern im Kongo, und mehr als fünf Millionen Menschen kamen ums Leben.
Seit November sind nach Angaben von Hilfsorganisationen mehr als eine Million Menschen durch den Konflikt vertrieben worden. Hinzu kommen 6,9 Millionen Geflüchtete, die bereits zuvor ihre Häuser verlassen mussten.
Unterdessen haben sich die Präsidenten der DR Kongo und Ruandas, Félix Tshisekedi und Paul Kagame, bereit erklärt oder zumindest öffentlich zugesagt, sich zu treffen und über eine Lösung des Konflikts zu beraten. Zugleich beschuldigen sich beide Präsidenten allerdings weiterhin gegenseitig, das Problem zu sein.
Die AU, die SADC und die EAC bemühen sich um eine Wiederaufnahme der Gespräche zwischen den beiden Staatschefs und möglicherweise auch mit den Rebellengruppen. Regionale und internationale Organisationen fordern die Wiederaufnahme der Friedensprozesse von Luanda und Nairobi. Ersterer bezieht sich auf den direkten Dialog zwischen Kinshasa und Kigali, letzterer auf den Dialog zwischen Kinshasa und den bewaffneten Gruppen im Osten der DR Kongo. Beide waren zuletzt ins Stocken geraten. ajs
der Genozid in Ruanda vor 30 Jahren ließ die Welt in die tiefsten Abgründe menschlichen Daseins blicken. Er begann am 7. April 1994. In 100 Tagen bis in den Juli hinein schlachtete die Mehrheitsgruppe der Hutu rund drei Viertel der in Ruanda lebenden Tutsi ab und tötete auch jene Hutu, die sich diesem Massenwahnsinn nicht anschließen wollten. Sie vergewaltigten massenweise Frauen und töteten in einem Blutrausch mit Gewehren und Macheten, bis die Täter tief im Blut ihrer Opfer standen.
In dieser Spezialausgabe des Africa.Table befassen wir uns mit dem 30. Jahrestag dieses Völkermords und wie Deutschland heute auf ihn blickt.
Dieser Tage hat Deutschland viel über diesen Völkermord diskutiert, doch wenig über die deutsche Mitschuld. Die Lehren aus dieser Untätigkeit sind mau. Außenministerin Baerbock forderte in der Bundestagsdebatte mehr Wachsamkeit. Haben die deutschen Politiker keine größeren Lehren aus dem Versagen der deutschen Diplomaten im Jahr 1994 gezogen? Wäre eine notwendige Lehre aus dem deutschen Versagen nicht, in der Außenpolitik konsequenter Haltung zu zeigen? David Renke hat die Debatte im Bundestag heute Nachmittag für Sie verfolgt.
Nach dem Völkermord hat Deutschland Tätern bereitwillig Zuflucht gewährt. Die Mörder lebten unter uns und konnten sich jahrelang einer Strafverfolgung entziehen, manche bis heute. Diesem Aspekt, auf den in diesen Gedenktagen wenig geschaut wird, gehen wir auf den Grund.
Und schließlich haben wir mit Kordula Schulz-Asche gesprochen, der Grünen-Politikerin aus Hessen, die 1994 in Ruanda Entwicklungshilfe leisten wollte und den Völkermord aus nächster Nähe miterleben musste. Sie blickt nicht nur zurück, sondern auch weit nach vorn.
Ein Trost aus diesem Völkermord ist, dass Ruanda trotz dieses unvorstellbaren kollektiven Traumas heute wirtschaftlich erfolgreicher dasteht als jemals zuvor und dass sich die Lebensumstände für viele Bewohner des Landes seitdem verbessert haben.
Am Donnerstag hat der Deutsche Bundestag in einer Debatte dem 30. Jahrestag des Genozids in Ruanda gedacht. Dabei rückten die Parlamentarier die Aufarbeitung der deutschen Verantwortung während des Völkermordes in den Mittelpunkt. “Die große Lehre aus Ruanda ist, dass wir Verantwortung tragen für unser Handeln, genauso wie für unser Nicht-Handeln”, sagte Außenministerin Annalena Baerbock vor dem Parlament. Die internationale Gemeinschaft habe in Ruanda nicht hinsehen wollen, gab Baerbock zu. Seither habe Deutschland aber gelernt, unter anderem, indem die Bundesrepublik verstärkt in Instrumente der Krisenprävention investiere.
Eine zweite Lehre aus Ruanda sei zudem, die Täter nicht straflos davon kommen zu lassen. In diesem Zusammenhang lobte die Ministerin die traditionellen Gerichte, die infolge des Genozids in Ruanda wiederbelebt wurden. “Auch in Deutschland wurde Jahrzehnte später noch einer der Täter am Oberlandesgericht Frankfurt verurteilt. Das war neu in der Völkerstrafrechtsgeschichte“, sagte Baerbock. Ein solches Weltrechtsprinzip leite auch heute die Aufarbeitung anderer Völkermorde, wenn diese nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof möglich ist.
Trotz aller Lehren aus dem Völkermord sind jedoch längst nicht alle Fragen um den Völkermord geklärt. Besonders die SPD forderte eine bessere Aufarbeitung des deutschen Versagens bei der Verhinderung des Völkermords. “Die Nacht, in der die Weltgemeinschaft zu Versagern wurde, hätte abgewendet werden können”, sagte SPD-Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur. Nur wer die Vergangenheit aufarbeitet und durchdringt, könne verhindern, dass sich etwas Ähnliches noch einmal ereignet.
Auch ihre Parteikollegin Nadja Sthamer betonte die deutsche Verantwortung. Einerseits durch die Verschärfung der ethnischen Trennung der Hutu und Tutsi, die in der Kolonialzeit rassistisch aufgeladen wurde, andererseits durch die Kooperation des Auswärtigen Amts mit Ruanda trotz des sich abzeichnenden Völkermords. “Das kollektive Versagen der internationalen Gemeinschaft ist also auch ein Versagen der deutschen Politik“, so Sthamer. Die Aufarbeitung bleibe bis heute schwierig. Tatsächlich bietet sich mit dem 30. Jahrestag neue Möglichkeiten für eine wissenschaftliche Aufarbeitung der deutschen Rolle während des Genozids, denn die Sperrfrist für Akten des Bundesarchivs laufen aus und werden für die Öffentlichkeit zugänglich.
Kritik gab es auch von der Linken. Dietmar Bartsch kritisierte die Außenministerin für ihre Einschätzung der Vergangenheitsbewältigung und die Lehren für aktuelle Krisen: “Die Bundesregierung stellt pauschal fest, dass man Lehren aus den Versäumnissen gezogen hat. Ich höre ihre Botschaft wohl, mir fehlt jedoch der Glaube.” Bei den Kriegen im Südsudan, in Äthiopien oder der Lage in Haiti habe man erneut weggeschaut. Zudem forderte Bartsch eine unabhängige Aufarbeitung der Fehleinschätzung der Lage durch deutsche Diplomaten, die Warnzeichen nicht wahrgenommen hätten.
Gleichzeitig lenkten die Abgeordneten in der Debatte das Augenmerk auf die Lage im Ostkongo. “Der Krieg im Osten des Kongo, der die gesamte Region destabilisiert, darf nicht eskalieren”, warnte der CSU-Abgeordnete Volker Ullrich. Auch Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Union, kritisierte Ruandas Rolle im Konflikt: “Bei aller Freundschaft zu Ruanda müssen wir klarmachen, dass die Ruanda-Regierung die Lehren aus den Erfahrungen der Vergangenheit ziehen sollte und mehr zum Frieden in der Region beitragen sollte.” Auch Außenministerin Baerbock forderte ein “Hinschauen” im Konflikt im Ostkongo.
Für einen Eklat sorgte Jürgen Braun, der menschenrechtspolitische Sprecher der AfD. In seiner Rede leugnete er, dass die koloniale Herrschaft der Deutschen und Belgier in Ruanda die Voraussetzungen für einen Völkermord geschaffen hätte. Kordula Schulz-Asche, die Grüne Vorsitzende der Parlamentariergruppe Östliches Afrika, warf Braun in der Folge die “Verachtung der Opfer des Völkermords” in Ruanda vor. Auch Sevim Dağdelen wurde kritisiert, nachdem sie Parallelen zwischen der Lage in Ruanda und der aktuellen Situation in Gaza gezogen hatte. Sie warf der Bundesregierung in beiden Fällen eine “Kultur des Wegschauens und Abwiegelns” vor.
Beim Genozid in Ruanda machte sich die Bundesregierung in mehrerlei Hinsicht mitschuldig. Lange redete sie die explosive Lage in Ruanda klein. Aber schlimmer noch: Täter konnten zum Teil jahrzehntelang unbehelligt in Deutschland Unterschlupf finden.
Eine besonders unglückliche Rolle spielte die deutsche Botschaft in Kigali. Sie hatte die Lage völlig falsch beurteilt. Noch am 21. März 1993 bezeichnete sie in einem Schreiben an das Auswärtige Amt die Interahamwe-Milizen, die später maßgeblich am Völkermord beteiligt waren, nur als jugendliche Parteianhänger. “Eine Fehleinschätzung von vielen”, sagt Politikwissenschaftler Anton Peez, der am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) arbeitet und Einblick in die Akten des Auswärtigen Amtes genommen hat.
Das war kein Versehen der Botschaft. Schon am 2. Februar 1993 hatte sie geschrieben: “Die pauschalen Vorwürfe ,Völkermord’ und ,Kriegsverbrechen’ könnten sich auf die an den Tutsi verübten Gewalttaten beziehen. In dem im Wort ,Völkermord’ implizierten Ausmaß, nämlich in der Vernichtung eines ganzen Volkes, liegen die an der Ethnie der Tutsi verübten Verbrechen ganz sicher nicht.”
Den damaligen deutschen Botschafter beschrieb der Zeitzeuge Jörg Zimmermann als “absolut schwach” und “überfordert”. Wie sehr sich der deutsche Diplomat täuschte, wurde am 7. April 1994 offenbar. Von da an wurde in einem 100 Tage währenden Blutrausch, je nach Quelle, 800.000 bis eine Million Menschen abgeschlachtet. Dies war der tragische Höhepunkt des Konflikts zwischen Hutu und Tutsi. Unter den Opfern befanden sich auch Blauhelm-Soldaten, Jesuiten und Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen.
Zum 30. Jahrestag des Genozids wird viel über die Mitschuld des Westens diskutiert. Vor allem Frankreich hatte unter dem damaligen Präsidenten François Mitterrand die Urheber des Völkermords gestützt. Deutschland muss sich vorwerfen lassen, dem Morden und den Massenvergewaltigungen tatenlos zugeschaut zu haben.
Ein anderes Thema bleibt im deutschen Gedenken weitgehend unbeachtet: Deutschland hat nach dem Genozid vielen Tätern Asyl gewährt, sodass sie seit Jahrzehnten unbehelligt eine unscheinbare Existenz hierzulande führen können. Dabei dürfen deutsche Gerichte nach dem Weltrechtsprinzip Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgen, auch wenn diese im Ausland, von Ausländern und ohne Bezug zu Deutschland begangen wurden.
Viele Täter tauchten in Frankreich unter, etwa Félicien Kabuga oder Sosthene Munyemana. Auch in Belgien fanden viele Täter Unterschlupf. In Frankreich hat es sich das Ehepaar Alain und Dafroza Gauthier zur Lebensaufgabe gemacht, die Täter aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. In Deutschland ist das Interesse an den Tätern des Genozids, die nun im Land leben, gering.
Einer der wenigen Fälle die in Deutschland ans Tageslicht gekommen sind, ist der von Onesphore Rwabukombe. Er war während des Genozids Bürgermeister von Kiziguro und hatte seine Mitbürger am 11. April 1994 zum sogenannten Kirchenmassaker an mindestens 400 Tutsi aufgestachelt. Im Jahr 2015 hat das Oberlandesgericht Frankfurt Rwabukombe zu lebenslanger Haft verurteilt.
“Es war ein unvorstellbares Blutbad, bei dem der Angeklagte knöcheltief im Blut stehend seine Befehle gab”, sagte der Vorsitzende Richter Josef Bill in seiner Begründung. Der Richter stellte bei Rwabukombe eine besondere Schwere der Schuld fest, was eine vorzeitige Haftentlassung ausschließt.
Oder Jean Twagiramungu: In der fraglichen Zeit war er Professor der EAV Kaduha High School und hatte seine Studenten aufgefordert, in die Mordmilizen einzutreten und ihre Nachbarn zu ermorden. Nach dem Genozid war Twagiramungu nach Deutschland geflüchtet. Erst 2015 wurde er verhaftet und 2017 nach Ruanda ausgeliefert. Dort wurde er im vergangenen Jahr zu 25 Jahren Haft verurteilt.
Andere Täter – ihre Zahl ist nicht bekannt – befinden sich heute noch in Deutschland, nachdem die Bundesregierung ihnen nach dem Völkermord Zuflucht gewährt hatte. Begründet wurde dies auch damit, dass ihnen die Todesstrafe drohte. Erst 2007 wurde diese in Ruanda abgeschafft. Rwabukombe war 2002 nach Deutschland eingereist, lebte jahrelang als Asylbewerber in Hessen und wurde 2010 in Untersuchungshaft genommen.
Der Prozess gegen Rwabukombe war der erste deutsche Prozess gegen einen Täter des Völkermords. Andere Verfahren wurden abgebrochen, bevor sie begonnen hatten. So im Fall von Enoch Ruhigira: Ihn hatte die deutsche Polizei im Juli 2016 am Flughafen Frankfurt festgenommen und acht Monate lang in Auslieferungshaft in der JVA Frankfurt I behalten.
Ruhigira wurde vorgeworfen, im Juni 1994 Straßenblockaden errichtet und Macheten verteilt zu haben. Ende März 2017 ließ die Generalstaatsanwaltschaft ihn frei. Die Begründung: Ruanda werde “diktatorisch” regiert, sodass rechtsstaatliche Standards nicht eingehalten würden. So bleiben Ruhigiras Verbrechen bisher ungesühnt.
Eine Lehre aus Ruanda sei, Täter nicht straflos davonkommen zu lassen, sagte Außenministerin Baerbock am Donnerstag in der Bundestagsdebatte. “Wenn die Opfer und ihre Nachfahren die Gewissheit haben, dass die Täter nicht straffrei davonkommen, können sie irgendwann vergeben”, sagte Baerbock weiter. Noch ist es nicht zu spät, Genozid-Täter, die in Deutschland leben, vor Gericht zu stellen.
Frau Schulz-Asche, Sie haben in Ruanda gelebt und gearbeitet, als der Völkermord begann. Wie haben Sie den Gewaltausbruch erlebt?
Meine vierjährige Tochter lag schon schlafend im Bett, als am 6. April um 20.20 Uhr in Kigali ein lauter Knall aus Richtung Flughafen zu hören war. Danach herrschte einen Moment lang tiefste Stille – und dann meldeten die Funkgeräte den mutmaßlichen Abschuss des Flugzeugs des damaligen ruandischen Präsidenten und die ersten Straßensperren in der Stadt. In dieser Nacht begann, wie wir heute wissen, der organisierte Völkermord an den Tutsi und die Ermordung von moderaten und oppositionellen Hutu.
Wie kam Ihre Familie davon?
Wir haben uns verbarrikadiert mit allem, was wir hatten, die Fenster mit Büchern und sogar mit Spielsachen meiner Tochter. Drei Tage später gelangten wir im ersten Evakuierungskonvoi der Amerikaner nach Burundi. Unsere Mitarbeiter hatten dieses Glück nicht – nur ein Beispiel: Am 7. April erhielten wir den Anruf der Ehefrau eines Arbeitskollegen, beide Tutsi. Sie bat verzweifelt um Hilfe, weil Soldaten versuchten, in das Haus einzudringen. Plötzlich hörten wir Krachen im Hintergrund; dann brach das Gespräch ab. Später haben wir erfahren, dass an diesem Tag die gesamte Familie ermordet worden war.
Geschah der Völkermord aus dem Nichts, waren alle vorher ahnungslos?
Nein. Eine rassistisch begründete politische Radikalisierung war längst spürbar. Es gab auch vorher in einigen Gegenden Anschläge auf Tutsi, die man im Nachhinein zynisch als “Test-Genozide” beschreiben könnte. Da wurden systematisch Menschen zusammengetrieben und ermordet. Da die Milizen aber noch nicht ihr Ziel erreichten, spitzte sich die Situation zu. Der Mob fuhr in bunten Uniformen drohend durch Kigali; Aussöhnung wurde immer unerreichbarer. Kurz: Wir wussten alle, dass das Land instabil ist und weiteres Morden droht, hatten aber nicht damit gerechnet, dass es so heftig und so umfassend durchorganisiert kommen würde.
Für wen haben Sie damals gearbeitet?
Für den Deutschen Entwicklungsdienst in einer NGO, die die Gesundheitsversorgung im Land für nichtstaatliche Einrichtungen organisierte. In dem Zusammenhang interessant: Oft arbeitete der DED mit staatlichen Organisationen zusammen. Doch da Beamte im Gesundheitsministerium bereits einen gewissen negativen Ruf hatten, arbeitete der DED bei der Gesundheitsversorgung mit einer kirchlichen Organisation zusammen. Meine direkte Chefin dort ist gemeinsam mit ihrem Mann während des Völkermords umgebracht worden. Ihre Kinder überlebten und wurden von deutschen Kollegen aufgenommen.
Deutschland war 1994 zweitgrößter Geberstaat für Ruanda; vor Ort gab es auch eine UN-Schutztruppe. Der Völkermord geschah also gewissermaßen vor den Augen der Welt. Welche Lehren ziehen Sie daraus?
Damals ist fast als erstes das belgische UN-Kontingent, das die Premierministerin schützen sollte, umgebracht worden; die UN hat sich nicht gewehrt und auch niemanden beschützt. Man muss also lernen, wie man robuste Mandate aufbaut, die tatsächlich Schutz bieten können und nicht selber Opfer schaffen. Sehr lange wurde ja über diese robusten Mandate diskutiert. Mittlerweile werden sie – robust oder nicht – eins nach dem anderen zugemacht, siehe Kongo und Mali. Inzwischen haben wir aber in Afrika kaum noch Regionen, wo solche neuen UN-Mandate nicht dringend notwendig wären. Im Sahel erlebt die Bevölkerungsgruppe der Peulh, überwiegend Viehzüchter, derzeit genozidale Attacken seitens der Armee und der Milizen, die vorgeben, die Interessen der Ackerbauern zu vertreten.
Welche Rolle spielt die Kolonialgeschichte für den Rassismus in Ruanda?
Die deutsche Präsenz bis zum ersten Weltkrieg in der Region hat die Bevölkerung nicht nachhaltig tangiert. Aber die rassische Trennung der vermeintlich europäisch aussehenden Tutsi und der agrarisch geprägten Hutu begann tatsächlich während dieser kurzen Periode. Die anschließende Herrschaft der Belgier war teilweise sehr brutal. Sie bediente sich der ethnischen Trennung nach der Devise: “Teile und herrsche”. Angesichts dieser historischen Verantwortung hätte Deutschland vor 1994 eine stärkere Rolle spielen müssen bei der Eindämmung der Gefahr eines Massenmordes, denn unser Land war nicht so aktuell als Konfliktpartei belastet wie Belgien und Frankreich.
Eine Lehre aus Ruanda war ja die UN-Doktrin “Responsibility to protect”. Nach der R2P muss die internationale Gemeinschaft eine Bevölkerung schützen, wenn der eigene Staat versagt. Viele NGOs fordern dies für Gaza ein – wie sehen Sie das?
Es gibt eine Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, Bevölkerungen in Not zu schützen und Friedensprozesse zu unterstützen. Die R2P hat das Ziel, Völkermorde im Vorfeld zu verhindern. Die Situation der Bevölkerung in Gaza – so schlimm sie ist – ist nicht vergleichbar mit der Situation der Tutsi in Ruanda oder der Jüdinnen und Juden in Nazi-Deutschland. Zum Völkermord gehört, dass eine bestimmte ethnische Gruppe systematisch ausgerottet werden soll. Wir sollten deshalb mit dem Begriff selbst sehr vorsichtig umgehen.
In Ruanda gehört Paul Kagame seit dem Ende der Massaker der Regierung an, seit 2000 als Präsident. Er gilt als Politiker, der das Land nach dem Völkermord vereint hat, aber auch als autoritär. Guckt der Westen über Menschenrechtsverletzungen im heutigen Ruanda hinweg?
Ruanda ist eines der wenigen stabilen Länder in Ostafrika, und das ist auch Kagame zu verdanken. Sicher ist er eher ein Diktator denn ein Demokrat. Trotzdem glaube ich, dass er 1994 der einzige war und eventuell immer noch ist, der die zerbrechliche Situation im Lande stabil hält. Heute geht es wirtschaftlich rasch voran und es steht nicht mehr im Ausweis, welcher ethnischen Gruppe eine Ruanderin oder ein Ruander angehört. Ich war mehrfach wieder dort, direkt nach dem Genozid und auch später; ich bin Vorsitzende der Parlamentariergruppe Östliches Afrika und kann daher sagen: Das ist ein Fortschritt, auch wenn Ruanda keine Demokratie ist.
Was sagen Sie zur Kritik, dass Ruanda in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo eingreift und dort die M23-Rebellen, überwiegend Tutsis, unterstützt?
Der Ostkongo könnte der nächste Sprengstoffgürtel sein, der explodiert. Die M23 ist eine Rebellenarmee, die von Ruanda unterstützt wird und Menschenrechtsverletzungen begeht. Aber man muss sehr vorsichtig bei der Beurteilung der Gesamtlage sein. In der DR Kongo haben Militärs und Hutu-Bürgermeister aus Ruanda eine auf den alten rassistischen Strukturen basierende Streitmacht und Verwaltung aufgebaut. Die ehemaligen Völkermörder sind im Prinzip samt ihrer Bevölkerung in den Ostkongo gegangen, das darf man nicht vergessen. Mit ihnen ist die M23 im Konflikt, auch weil die kongolesische Armee und Regierung es nicht geschafft oder gewollt haben, die Rebellen zu integrieren. Nun gibt es Meldungen, dass sich ein neues, brandgefährliches Narrativ ausbreitet: Ruanda jetzt zurückerobern und die Tutsi endgültig auslöschen. Gleichzeitig erleben wir gerade eine neue Welle der Leugnung des Genozids im Jahr 1994.
Erklären Sie das bitte.
Die Nachkommen der ehemaligen Ruanda-Flüchtlinge sagen, es gab gar keinen Völkermord, sondern die Tutsis haben uns bedroht so wie heute die M23-Rebellen. Deswegen mussten wir uns wehren und deswegen sind wir geflohen. Das ist die neue, alte Geschichte, die eine starke Hutu-Gruppe im Ostkongo entwickelt, mit dem Ziel, nach Ruanda zurückzukehren.
Könnte mit Ihnen der Konflikt in Ruanda wieder aufleben?
Ja, zumal immer noch neue Massengräber gefunden werden in Ruanda, gerade jetzt auch bei Bürgermeistern, bei denen man bisher davon ausgegangen war, dass sie unschuldig waren. Ich kann mir vorstellen, dass die starken Gruppierungen, die sich gerade im Ostkongo bilden – die Zugang zu Geld und Waffen haben – für Ruanda bedrohlich werden können. Die M23-Rebellen befeuern diesen Konflikt ihrerseits. Den kann man nicht militärisch lösen. Es wäre eine Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, für die Lage im Ostkongo zusammen mit Ruanda und anderen Staaten in der Region der Großen Seen eine Lösung zu finden. Sonst kann es spätestens in fünf, sechs Jahren wieder losgehen. Zumal auch Kagame irgendwann als Stabilitätsanker ausfallen wird.
Großbritanniens Regierung möchte künftig alle Asylbewerber nach Ruanda bringen lassen, um dort Asylverfahren durchführen zu lassen. Auch die CDU fordert einen Drittstaat ein als Aufnahmeland für Asylbewerber. Wie stehen Sie zu solchen Vorschlägen?
Ganz ehrlich? Ich finde den britischen Vorschlag aberwitzig. Wir haben in der Region der Großen Seen, gerade auch in Ruanda, eine der größten Bevölkerungsdichten, die man sich überhaupt vorstellen kann. Der Kampf um knappste Ressourcen war eine weitere Ursache des Genozids. In ein solches Land Menschen zu schicken, die nicht aus dem Land kommen, die keine wirtschaftlichen Beziehungen dahin haben, in eine Region, die unter ethnischen Konflikten leidet: Das halte ich für eine der inhumansten Ideen, auf die eine demokratisch gewählte Regierung kommen kann.
Glauben Sie denn, dass überhaupt ein sicherer Drittstaat gefunden werden kann?
Ich würde an ganz Afrika große Fragezeichen machen. Und zwar deswegen, weil es der einzige Kontinent ist, wo die Bevölkerung nach wie vor enorm wächst. Alle anderen Kontinente haben Nachwuchssorgen und damit ein Problem des Fachkräftemangels. Meiner Meinung nach sollte man schauen, wie man die Menschen, die jetzt in Afrika geboren werden, gut ausbildet für Berufe, für die wir hier dringend Menschen brauchen. Die Hochschule Koblenz bildet zum Beispiel kenianische Abiturienten zu Pflegefachkräften aus. Das halte ich für eine großartige Idee.
Am Donnerstag steht ja eine Debatte im Bundestag über den Völkermord in Ruanda auf der Agenda. Welche Erwartungen haben Sie?
Wir müssen die Themen Friedenssicherung, Krisenprävention- und -bearbeitung aufarbeiten. Wir haben ja im Prinzip die Frühwarnsysteme, die uns einen Hinweis darauf geben, ob sich ein Genozid oder der Kollaps eines Staates abzeichnet, aber warum wird immer aufs Neue nicht auf sie gehört? Das ist ja nichts, was vom Himmel fällt! Die demokratischen, ehemals kolonialen Mächte – dazu zählen für mich auch die USA – müssen mit ihrer Verantwortung neu und anders umgehen lernen. Was Afrika angeht, habe ich den Eindruck, dass man im Moment Gefahr läuft, den Kontinent auf zentralen Konfliktfeldern sich selbst zu überlassen – oder China und Russland.
Drei tansanische Soldaten, die im Rahmen einer Friedenstruppe der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) in der DR Kongo im Einsatz waren, wurden vor wenigen Tagen bei einem Angriff auf ihren Stützpunkt in Sake im Osten des Landes getötet. Das SADC-Kontingent, bestehend aus Truppen aus Südafrika, Tansania und Malawi, war im Dezember vom kongolesischen Präsidenten Tshisekedi beauftragt worden, die Miliz M23 zu bekämpfen – eine von mindestens 120 bewaffneten Gruppen in der Region. Ruanda unterstützt M23 militärisch und finanziell, wie aus einer UN-Untersuchung hervorgeht, streitet dies jedoch vehement ab.
M23 gründete sich 2012 mit dem Anspruch, kongolesische Tutsi gegen Hutu-Milizen wie die FDLR zu verteidigen. Nach dem Völkermord an den Tutsi in Ruanda waren viele Hutu, darunter auch Täter, aus Angst vor Vergeltung in den benachbarten Kongo geflohen. Aus den Überresten der völkermordenden Interahamwe-Milizen bildete sich die FDLR, die heute noch im Ostkongo aktiv ist. Ruanda wirft der kongolesischen Regierung vor, mit der FDLR gemeinsame Sache zu machen und gegen kongolesische Tutsi zu hetzen.
Aus einer Pressemitteilung der SADC ging nicht hervor, wer für den Angriff in Sake verantwortlich ist. Allerdings war das SADC-Kontingent rund um die Stadt zuletzt in Kämpfe mit der M23 verwickelt. Der Ort ist die letzte große Hürde für die Miliz auf dem Weg zur Provinzhauptstadt Goma an der Grenze zu Ruanda.
Schon im Februar und März waren südafrikanische Soldaten im Ostkongo getötet worden. Der Tod ausländischer Soldaten verstärkt die internationale Befürchtung, es könnte zu einer regionalen Eskalation wie im Zweiten Kongokrieg (1998-2003) kommen. Damals kämpften Armeen aus mindestens neun afrikanischen Ländern im Kongo, und mehr als fünf Millionen Menschen kamen ums Leben.
Seit November sind nach Angaben von Hilfsorganisationen mehr als eine Million Menschen durch den Konflikt vertrieben worden. Hinzu kommen 6,9 Millionen Geflüchtete, die bereits zuvor ihre Häuser verlassen mussten.
Unterdessen haben sich die Präsidenten der DR Kongo und Ruandas, Félix Tshisekedi und Paul Kagame, bereit erklärt oder zumindest öffentlich zugesagt, sich zu treffen und über eine Lösung des Konflikts zu beraten. Zugleich beschuldigen sich beide Präsidenten allerdings weiterhin gegenseitig, das Problem zu sein.
Die AU, die SADC und die EAC bemühen sich um eine Wiederaufnahme der Gespräche zwischen den beiden Staatschefs und möglicherweise auch mit den Rebellengruppen. Regionale und internationale Organisationen fordern die Wiederaufnahme der Friedensprozesse von Luanda und Nairobi. Ersterer bezieht sich auf den direkten Dialog zwischen Kinshasa und Kigali, letzterer auf den Dialog zwischen Kinshasa und den bewaffneten Gruppen im Osten der DR Kongo. Beide waren zuletzt ins Stocken geraten. ajs