Lage der Koalition: Mit welchen Nachwehen Union und SPD rechnen müssen

LB
05. Dezember 2025

Nach der erfolgreichen Abstimmung ist SPD-Fraktionschef Matthias Miersch sichtlich erleichtert. Es ist Freitag, 14 Uhr im Bundestag. Und es waren harte Wochen und Tage, in denen er zusammen mit Jens Spahn immer wieder an Lösungen gearbeitet hat, um die Junge Gruppe doch vom Rentenpaket zu überzeugen. Die Wahl ist geschafft, aber das Misstrauen unter den beiden Parteien wird bleiben. In den ersten sieben Monaten gab es bereits zwei handfeste Streitigkeiten, die die Koalition am Rande ihrer Belastungsgrenze gebracht haben. Wenn die Regierung ernsthaft Reformen auf dem Weg bringen will, kann das nicht die Umgangsform sein.

Trotz einer Kanzlermehrheit wird einmal mehr deutlich, wie wenig Unterstützung das Gesetz in den Reihen der Union erfährt. Im Laufe der Debatte gibt eine ganze Reihe von Abgeordneten eine persönliche Erklärung ab. Es ist ein gemeinsam formulierter Text, der noch einmal erklärt, warum Mitglieder der Fraktion den Entwurf in der Sache für falsch halten. In dem Dokument, das Table.Briefings vorliegt, wird insbesondere „die Vorfestlegungen, die darin für die 2030er-Jahre getroffen werden“ kritisiert. Man weise deshalb „ausdrücklich auf die Risiken hin, die der Gesetzentwurf zur Folge hat“. Von dem Papier gibt es drei Versionen, die sich in der Einleitung unterscheiden, sonst aber identisch sind: Es gibt Ablehnung, Enthaltung und Zustimmung.

Die vergangenen Wochen werden nicht spurlos an der Fraktion vorbei gehen. Im Gegenteil, sie dürften tiefe Narben hinterlassen. Viele Abgeordnete sind enttäuscht von Friedrich Merz. Mancher Auftritt des Kanzlers hinterließ Teile der Fraktion gar fassungslos. Etwa als Merz am vergangenen Dienstag in der Fraktion sagte, er sehe genau, „wer klatscht und wer nicht“. Oder, dass er sich auf keine „Spielchen mit der Mehrheit“ einlasse. Niemand dürfe sich auf die Ja-Stimmen der anderen verlassen, er erwarte von jedem Abgeordneten Zustimmung für das Paket, so Merz.

Normalerweise übt in solchen Situationen der Fraktionschef Druck aus. Auch damit der Kanzler versöhnend wirken kannt. In diesem Fall war es jedoch Spahn, der bemüht blieb, bei allem Druck auch immer wieder Verständnis für die Abgeordneten zu äußern, während Merz sich kompromisslos gab. Wie Table.Briefings aus Fraktionskreisen erfuhr, sind viele verärgert darüber, dass der Kanzler hier keine Debatte in der Sache zugelassen hat, sondern das Rentenpaket selbst zu einer Machtfrage machte. Selbst Außenminister Johann Wadephul soll im Bundesvorstand der CDU am Montag sein Bedauern über den fehlenden Verhandlungsspielraum geäußert haben: „Ich hätte nie gedacht, dass es nicht möglich ist, mit der SPD im parlamentarischen Verfahren nochmal zu verhandeln“, so Wadephul Teilnehmern zufolge. Zwar ist das vor allem eine Kritik am Koalitionspartner. Gleichwohl weisen andere darauf hin, dass der Kanzler sich in den vergangenen Wochen immer wieder schützend vor die SPD gestellt habe – auf Kosten der eigenen Partei.

Dabei war es der Kanzler, der den jungen Abgeordneten zunächst Recht gegeben hatte und damit die Mehrheitsbeschaffung für Spahn erschwerte. Und so hat der Rentenstreit auch einen Bruch zwischen dem Kanzler und seinem Fraktionsvorsitzenden zur Folge. Merz hat Spahn hier nicht nur allein gelassen, er hat auch immer wieder den Druck erhöht, ihm kaum Spielraum gelassen. Zuletzt am Donnerstagabend, als Merz in einer Pressekonferenz erklärte, er wünsche sich eine Kanzlermehrheit. Offenbar, ohne das zuvor mit seinem Fraktionschef abzustimmen. So hat der Kanzler das Dilemma erst provoziert, indem er Bewegungspielräume aufmachte, die nicht da waren. Anschließend schob er die Lösungsfindung auf Spahn ab; erschwerte diese gar mehrfach und hing dann auf der Zielgeraden noch die Messlatte höher als nötig. Womöglich spricht Spahn deshalb am Freitag von einer „Manöverkritik“, die nun nötig sei.

Nicht zuletzt scheint sowohl das Vertrauen der Union in die SPD aufgebraucht als auch andersherum. Zur Wahrheit gehört: Richtig happy ist die Koalition nie über ihre Zusammenarbeit. Zu groß sind die Differenzen zwischen den beiden Parteien – da helfen auch keine gemeinsamen Grillabende. Der erste große Bruch folgte nur rund zwei Monate nach der Regierungsbildung: Die gescheiterte Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf. Bis heute sitzt der Schmerz über das, was da passiert ist, tief. Das Gefühl seither: Die Union halte sich nicht an Absprachen. Die SPD sei schon öfters an ihre Schmerzgrenzen gegangen, das erwarte sie auch von ihrem Regierungspartner.

Hört man sich in diesen Tagen in der SPD-Fraktion um, heißt es immer wieder: Das Verhältnis war schon vor der Rentendebatte schlecht. Und wird es auch in Zukunft bleiben. Während Teile der Unionsfraktion sich gar überlegen, ob eine Minderheitsregierung nicht leichter sei als die Zusammenarbeit mit der SPD, gibt es bei den Sozialdemokraten bisher keinerlei solcher Gedankenspiele. Neuwahlen schließen beide Koalitionspartner aus. Wohl wissend, dass alles, was danach folgen könnte, nicht zu ihren Gunsten ausgehen würde.

Das größte Problem der SPD ist derzeit die Parteiführung. Beide Chefs, Bärbel Bas und Lars Klingbeil, sind in ihren Ministerien so eingespannt, dass kaum Zeit für die Parteiarbeit bleibt. Die Genossen sind genervt von der fehlenden Führung. Sie hatten sich eine neue Vision für die Partei gewünscht und bekommen die Ausarbeitung eines neuen Grundsatzprogrammes, die noch zwei Jahre dauern wird. Den Genossen geht das nicht schnell genug – wahrscheinlich auch, weil sie wissen, dass die nächste Bundestagswahl nicht unbedingt erst 2029 stattfinden wird. Auch deswegen haben sich einige Genossen über die umstrittenen Auftritte von Bas in den vergangenen Tagen gefreut. Wenigstens eine SPD-Stimme, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde, heißt es.

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Letzte Aktualisierung: 05. Dezember 2025