Executive Summary
Erscheinungsdatum: 04. Oktober 2025

Industrie: Der große Arbeitsplatzschwund

Zentrale Bosch
Zuletzt kündigte Bosch Stellenstreichungen an. (Imago Images)

Deutschlands Industrie baut massiv Stellen ab: Bosch, VW, Siemens und andere streichen zehntausende Jobs. Doch trotz Krise gibt es Chancen für Erneuerung – wenn Politik und Unternehmen jetzt die richtigen Schritte gehen.

Die Krise der deutschen Wirtschaft ist vor allem eine Industriekrise. „Vom Beschäftigungsabbau ist vor allem die Industrie betroffen. Dort gehen derzeit monatlich rund 10.000 Stellen verloren, während in anderen Bereichen die Beschäftigung stabil bleibt oder sogar wächst“, erklärt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber im Gespräch mit Table.Briefings. „Was zunächst wie eine konjunkturelle Delle aussah, entwickelt sich zunehmend zu einer strukturellen Krise.“

Die Statistik stützt diese Diagnose: Im August waren in Deutschland rund 45,8 Millionen Menschen erwerbstätig, wie das Statistische Bundesamt meldet – nahezu unverändert zum Vorjahr. Deutlich anders stellt sich die Lage aber in der Industrie dar: Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit gingen im verarbeitenden Gewerbe binnen Jahresfrist rund 146.000 Stellen verloren, vor allem in der Metall- und Elektroindustrie. Gleichzeitig entstanden neue Jobs in Pflege (plus 71.000), Gesundheit (plus 66.000) und öffentlicher Verwaltung (plus 45.000).

Insgesamt waren im September 2,96 Millionen Menschen arbeitslos, etwas weniger als im August. Der monatliche Rückgang ist jedoch vor allem saisonbedingt. Strukturell bleibt die Lage angespannt. Zwar liegt die Arbeitslosenquote mit 4,0 Prozent im historischen Vergleich moderat – 2005 waren es noch über elf Prozent und mehr als fünf Millionen Arbeitslose –, doch die Risiken für die Industrie nehmen zu. Das zeigt sich an der Liste der jüngsten Abbaupläne von Unternehmern.

  • Bosch: Der Autozulieferer rechnet mit einem weiteren Abbau von rund 13.000 Stellen in Deutschland bis 2030, vor allem an den Mobility-Standorten. Betroffen seien Verwaltung, Vertrieb, Entwicklung und Produktion. Als Gründe nennt das Unternehmen die rückläufige Fahrzeugnachfrage, die Verlagerung von Absatzmärkten ins Ausland und hohen Wettbewerbsdruck.

  • Siemens: Der Technologiekonzern baut weltweit rund 6.000 Stellen ab, davon etwa 2.800 in Deutschland. Betroffen sind vor allem das Automatisierungsgeschäft von Digital Industries und das Geschäft mit Ladelösungen für Elektrofahrzeuge. Siemens verweist auf Anfrage auf Überkapazitäten durch schlechter als erwartet verlaufene Kernmärkte und die schwächelnde Automobilindustrie.

  • Volkswagen: Bis 2030 sollen an den zehn deutschen Werken 35.000 Stellen sozialverträglich entfallen. Stand heute seien bereits mehr als 20.000 Austritte über Altersteilzeit, Aufhebungsverträge und Renteneintritte fixiert, teilt der Konzern auf Anfrage mit.

  • Continental: Der Reifen- und Autozulieferer will weltweit 7.150 Stellen streichen, mehr als 2.700 davon in Deutschland.

  • Evonik: Der Chemiekonzern streicht bis 2026 rund 2.000 Stellen, davon etwa 1.500 in Deutschland. Betroffen sind vor allem Führungs- und Verwaltungspositionen.

Auch außerhalb der Industrie gibt es Jobabbau – so kündigte die Lufthansa an, bis 2030 rund 4.000 Stellen zu streichen. Der Stellenabbau großer Konzerne bedeutet nicht nur weniger Beschäftigung, sondern auch weniger Aufträge für Zulieferer und Dienstleister. Gerade mittelständische Firmen in den industriellen Wertschöpfungsketten spüren den Druck, wenn Investitionen verschoben oder ganze Produktionslinien gestrichen werden. Für viele stellt sich die Frage, ob sie neue Märkte erschließen – oder ob sie in Deutschland überhaupt noch investieren. „Seit 2019 gibt es keine Zuwächse mehr, und der Wohlstand stagniert sogar seit 2018“, warnt Sebastian Dettmers, CEO der Jobplattform StepStone im Podcast Table.Today. Wenn Unternehmen weniger investieren, sinkt auch die Produktivität – und umgekehrt.

Arbeitsmarktforscher Weber spricht von einer „Erneuerungskrise“: „Wenig neue Stellenausschreibungen, schwache Gründungsdynamik, sinkende Investitionen und kaum Chancen für Arbeitslose, wieder in Beschäftigung zu kommen.“ Betroffen seien alle Qualifikationen: „Akademiker, Helfer, Berufseinsteiger ebenso wie Beschäftigte mit mittlerer Qualifikation.“

Er fordert ein Gegensteuern. Zwar seien die technologischen Voraussetzungen vorhanden – Deutschland sei bei Wasserstoff, Windkraft oder Klimatechnik eigentlich gut aufgestellt. „Doch in der Breite gelingt die Umsetzung nicht, vor allem weil die wirtschaftspolitische Unsicherheit zu hoch ist und Investitionen gebremst werden.“

Nötig sei deshalb eine Industriepolitik, die Investitionen erleichtert und Planungssicherheit schafft, ohne dabei Wettbewerb zu schwächen. Dazu gehören verlässliche Rahmenbedingungen, eine konsequente Entbürokratisierung sowie Förderinstrumente, die innovationsorientiert und befristet sind. Auch die öffentliche Beschaffung könne stärker strategisch eingesetzt werden, um neue Technologien in den Markt zu bringen. Ziel müsse es sein, nicht bestehende Strukturen zu konservieren, sondern die Voraussetzungen für neue Wertschöpfung zu schaffen – von der Dekarbonisierung über Digitalisierung bis hin zu künstlicher Intelligenz.

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Letzte Aktualisierung: 04. Oktober 2025

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