Talk of the town
Erscheinungsdatum: 17. November 2025

Reiche am Golf: Wie die Wirtschaftsministerin in den Emiraten um günstiges Gas und frisches Geld buhlt

Katherina Reiche mit dem VAE-Industrieminister Sultan Ahmed Al Jabar (picture alliance / BMWE/photothek.de | Thomas Imo)

Katherina Reiche wirbt in den Emiraten um Investitionen für die Industrie und Gaslieferungen. Die geplante Übernahme des Chemieunternehmens Covestro durch einen Staatskonzern zeigt den Druck auf den deutschen Industriestandort.

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche wirbt auf ihrer Reise nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate um finanzkräftige Wirtschaftspartner für Deutschlands Industrie und unterstützt die erste Übernahme einer deutschen Traditionsfirma durch einen emiratischen Staatskonzern. Der Ölkonzern Adnoc aus Abu Dhabi soll den Leverkusener Kunststoffhersteller Covestro für rund 12 Milliarden Euro inklusive Schulden übernehmen. Außerdem verkündet die Ministerin die Bestellung von 100 Airbus-Flugzeugen A320neo durch die emiratische Linie FlyDubai.

Die Übernahme von Covestro, der traditionsreichen früheren Kunststoffsparte der Bayer AG, ist ein Beleg für den Druck, unter dem die deutsche Chemieindustrie steht. Sie muss eine historisch niedrige Auslastung, chinesische Überkapazitäten und hohe Standort- und Energiekosten verkraften. Hinter den Branchenschwergewichten BASF und Air Liquide, die mehr als die Hälfte der Marktkapitalisierung der Branche in Europa ausmachen, haben es kleinere Unternehmen wie Covestro schwer. „Die Industrie steht am Abgrund“, hatte Covestro-CEO Markus Steilemann, der auch Präsident des Verbands der Chemischen Industrie ist, vor wenigen Wochen gesagt. Nun schlüpft Covestro beim finanzkräftigen Staatskonzern der VAE unter. Erstmals hält dann ein arabischer Staatskonzern die Mehrheit an einem deutschen Traditionsunternehmen. Nur noch technische Details seien zu klären, in den kommenden Tagen werde der Deal verkündet, sagte Reiche Table.Briefings am Montag.

Die erste Auslandsreise mit einer großen Wirtschaftsdelegation führte die CDU-Ministerin nicht ohne Grund in die Golfregion. Die Emirate bieten inzwischen weit mehr als günstige Energie. Ein „verlässlicher Partner, der auf moderne Technologien setzt und kapitalstark ist“, begründet Reiche ihre Reise. Bei KI-Anwendungen, autonomem Fahren, der Wasserstoff-Technologie und der Recycling-Wirtschaft investieren die Herrscherfamilie und die von ihr dominierten Konzerne ein Vielfaches Deutschlands. Dazu kommt eine junge, diverse Bevölkerung: 85 Prozent der Bewohner sind Zugewanderte aus allen Teilen der Welt, die in den Emiraten ihr Glück suchen und Arbeit finden. „Es ist auch ein Zeichen des schleichenden relativen Abstiegs unseres Industriestandorts, dass wir hier inzwischen als Bittsteller auftreten“, sagte ein Mitglied der Wirtschaftsdelegation. „Hier sind Entwicklungen möglich, die bei uns versperrt bleiben durch Regulierung“, ergänzte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Auch sie reiste mit in das Golf-Emirat. Zu dem Erfolg des Landes, dessen Volkswirtschaft jährlich mit knapp fünf Prozent wächst, gehören auch Kooperationen mit den Top-Universitäten der USA, die in Abu Dhabi oder Dubai eigene Abschlüsse anbieten.

Immerhin wuchs auch der Handel zwischen den VAE und Deutschland zuletzt auf 12 Milliarden Euro. Die deutschen Exporte stiegen 2024 um 12 Prozent auf den Rekordwert von knapp 10 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Donald Trump hatte im Mai neue Investitionsvereinbarungen mit den VAE im Wert von über 200 Milliarden Dollar angekündigt. Eine hochkarätige Delegation begleitet die Wirtschaftsministerin, dazu gehören unter anderem die Siemens-Vorstände Anne-Laure de Chammard (Energy) und Peter Körte, Uniper-CEO Michael Lewis, Isar-Aerospace-CEO Daniel Metzler, SAP-Finanzvorstand Dominik Asam, Marvel-Fusion-CEO Moritz von der Linden, Secunet-Chef Christian Jüttner und der persönliche Investitionsbeauftragte des Kanzlers, Martin Blessing. 1.800 deutsche Firmen sind inzwischen in den Emiraten gemeldet. In einer Umfrage bezeichneten 85 Prozent der Wirtschaftslenker die Investitionsbedingungen als sehr gut.

Es geht bei Reiches Reise natürlich auch um energiepolitische Souveränität. Reiche verhandelte am Montag mit ihrem Amtskollegen Sultan Al Jabar über Wasserstofflieferungen nach Deutschland und den Covestro-Deal, Al Jabar ist zugleich CEO des Covestro-Übernehmers Adnoc. In den nächsten Tagen sollen die Unterschriften getätigt werden. „Das Engagement sehe ich als Auszeichnung für Covestro und als gute Kooperation für mehr Wachstum.“ Die Übernahme zeige aber auch, dass in Deutschland die Branche durch zu hohe Energiekosten, langwierige Genehmigungsverfahren und zu viel Regulierung belastet werde. Im Klartext: Allein wäre Covestro auf den Weltmärkten wohl nicht mehr überlebensfähig gewesen.

Auch neue Gaslieferungen und Energiepartnerschaften waren Thema. Entsprechende Gespräche hatten Vertreter des Düsseldorfer Kraftwerksunternehmens Uniper und des Rohstoffhändlers SEFE geführt. Reiche will Tempo machen beim Neubau von Gaskraftwerken, um die grüne Transformation der Wirtschaft mit zuverlässiger Energie abzusichern. Am Dienstag fliegt die Ministerin weiter nach Katar, wo Reiche auch den Flüssiggas-Deal wiederbeleben könnte, der unter dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck 2022 begonnen, aber nicht vollendet wurde. Damals kam der Deal nicht zustande, da Deutschland nur kurzfristige Engagements eingehen wollte.

Reiche dagegen ist bereit, langfristige Abkommen zu schließen. „Es geht um Langfristverträge. Deutschland muss sich in Bezug auf LNG-Gas diversifizieren“, so Reiche. Andreas Feicht, CEO des drittgrößten deutschen Energieversorgers Rhein Energie AG und ebenfalls Mitglied der Delegation, hält das für richtig. „Mithilfe langfristiger Gaslieferverträge können für die deutsche Wirtschaft wieder dauerhaft annähernd so günstige Gaspreise erreicht werden, wie sie vor dem Ukraine-Krieg gewesen sind.“ Die Gaspreise entwickelten sich Richtung 25 Euro pro MWh, das russische Pipeline-Gas lag damals bei 20 Euro, allerdings müsste man bei den damaligen Preisen auch die Investitionskosten für die Pipelines einberechnen, so Feicht.

Table.Today mit Michael Bröcker und Helene Bubrowski. "VAE kauft deutschen Traditionskonzern"

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Letzte Aktualisierung: 17. November 2025

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