Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 11. November 2025

Politische Überzeugung und Handeln klaffen auseinander

Martin Frick
Martin Frick, Direktor der Deutschen Sektion des UN-Welternährungsprogramms (picture alliance/dpa | Larissa Schwedes)

Die Bundesregierung hat den Etat für humanitäre Hilfe drastisch gekürzt. Zum Ende der Haushaltsverhandlungen erinnert der Deutschland-Chef des World Food Programme an die deutsche Tradition der Solidarität – auch über Grenzen hinweg.

Auf Deutschland ruhten viele Hoffnungen. Während sich andere große und wohlhabende Länder zunehmend nach innen kehrten, wollte Deutschland die internationale Zusammenarbeit stärken, die regelbasierte Ordnung bewahren und mehr Menschen in Not helfen. Das wurde im Koalitionsvertrag verankert und ist fester Sprechpunkt des halben Bundeskabinetts. Es unterstreicht die außenpolitischen Ambitionen, zeugt von einem Verständnis für „soft power“ und ist auch Balsam für all jene, die mit großer Sorge beobachten, wie das Recht des Stärkeren zum akzeptierten Prinzip internationaler Politik wird.

Blättert man jedoch durch den Bundeshaushalt 2025 oder den Entwurf für 2026 auf der Suche nach konkreten Mitteln, die diese Hoffnungen, Zusagen und Bekenntnisse untermauern und entsprechende Maßnahmen finanzieren könnten, wird schnell klar: Sie fehlen. Im Gegenteil – ein Blick auf zentrale Haushaltstitel zur Hungerbekämpfung zeigt, dass sich die drastischen Kürzungen des hastig verabschiedeten Haushalts 2025 eher verfestigen: 50 Prozent weniger Mittel für humanitäre Hilfe im Etat des Auswärtigen Amts, rund 30 Prozent weniger für die langfristige Hungerbekämpfung im entsprechenden Budgetposten des BMZ.

Gewiss, für Verteidigung steht sehr viel Geld bereit. Doch kaum etwas davon fließt in Maßnahmen, die einem umfassenden Sicherheitsbegriff gerecht werden – einem Verständnis, in dem humanitäre Hilfe und Resilienzstärkung als kostengünstige und wirksame Instrumente der Sicherheitspolitik gelten.

Dabei ist jedem und jeder in Parlament, Wissenschaft, Ministerien oder Bundeswehr klar: Sicherheit beginnt nicht erst mit dem Einsatz militärischer Mittel. Oft will, kann oder sollte man sich militärisch gar nicht dort engagieren, wo Instabilität auch deutsche Interessen bedroht. In fragilen Staaten und Regionen wie der Sahelzone, Syrien oder dem Sudan sind es häufig Organisationen wie das UN-Welternährungsprogramm (WFP), die mit ihren Programmen Stabilität schaffen, bevor Konflikte eskalieren. Sie sind oft die letzten Akteure mit Zugang zu gefährdeten Bevölkerungsgruppen und damit die letzte Verteidigungslinie gegen Hunger, Vertreibung und Radikalisierung.

Diese Verteidigungslinie bröckelt nicht, sie bricht. In Syrien versorgte das WFP weit über fünf Millionen Menschen. Heute reichen die Mittel nurmehr für 1,5 Millionen. In Somalia kann das WFP statt 1,1 Millionen nur noch 350.000 Menschen unterstützen. In Afghanistan erreichen wir statt neun Millionen nur noch 900.000 – besonders Frauen und Mädchen stehen vor dem harten Winter erstmals seit Jahrzehnten ohne jede Unterstützung da.

Bei solchen Nachrichten blicken viele kopfschüttelnd in Richtung USA, Stichwort: USAID. Doch die Wahrheit ist: Auch Deutschland kürzt seine Beiträge zur internationalen Hilfe dramatisch.

Das ist keine Anklage, sondern die Feststellung eines Paradoxons. Auf allen politischen Ebenen, über Parteigrenzen hinweg und in nahezu jedem Gespräch gibt es nichts als aufrichtige Unterstützung und starke Bekenntnisse zur stabilisierenden und lebensrettenden Arbeit der Vereinten Nationen, Multilateralismus und internationaler Hilfe. Massive ideologische Gräben fehlen, und Desinformation hält sich – zumindest beim Thema humanitäre Hilfe – in Grenzen. Passanten in deutschen Fußgängerzonen wollen nicht, dass Menschen im Sudan verhungern. Das hat einen großen Wert. Doch Mittel, um diese Haltung und Interessen auch finanziell zu untermauern, sind im politischen Prozess nicht zu finden. Dabei geht es zwischen schwindelerregenden Sondervermögen und optimistischen Steuerschätzungen um bescheidene Beträge. Eine solide ausgestattete humanitäre Hilfe würde nicht mehr als 0,4 Prozent des diesjährigen Haushaltsvolumens ausmachen.

Natürlich gibt es haushälterische Zwänge, Budgetumschichtungen sind schwierig, bürokratische Prozesse zäh. Aber bei humanitärer Hilfe und Resilienzstärkung klaffen politische Überzeugung und Handeln auseinander. Es fehlt der Wille, sich – salopp gesagt – wirklich ins Zeug zu legen für ein Thema, das weltweit Millionen Menschen existenziell betrifft. Vielleicht, weil sich damit gerade politisch wenig gewinnen lässt?

Hilfe für schwächere und weniger privilegierte Menschen ist weit mehr als ein sicherheitspolitisches Thema. Sie gehört zur DNA der Bundesrepublik – geprägt durch Krieg, erlebte Not in der Nachkriegszeit und ein darauf folgendes Wirtschaftswunder, das Solidarität über Grenzen hinweg in der Gesellschaft verankerte. Darauf kann Deutschland stolz sein. Es ist ein Hoffnungsthema in dunklen Zeiten, dem man neues Leben einhauchen muss. Die Dividende ist um ein Vielfaches höher als jeder bisher geleistete Geldbetrag. Es sollte nicht zu einem bloßen Lippenbekenntnis verkommen.

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Letzte Aktualisierung: 17. November 2025

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