Analyse
Erscheinungsdatum: 14. September 2025

Antrittsbesuch mit innenpolitischer Note

Polens Präsident Karol Nawrocki (picture alliance / PAP | Albert Zawada)

Am Dienstag kommt Polens neuer Präsident Karol Nawrocki erstmals nach Berlin und wird von Friedrich Merz und Frank-Walter Steinmeier empfangen. Es gäbe viel Aktuelles zu besprechen. Aber wahrscheinlich wird ein Thema aus der Vergangenheit den Kurzbesuch dominieren.

Am Dienstag besucht der neue polnische Präsident Karol Nawrocki erstmals Deutschland, und man spürt schon im Vorfeld, dass sich der Ton geändert hat. Themen gibt es viele zwischen den Ländern: Die Zusammenarbeit bei der europäischen Sicherheit, die jüngst erst wieder durch den russischen Drohnenangriff auf Polen in den Vordergrund gerückt ist; die Zusammenarbeit bei der Unterstützung der Ukraine; die Einführung der gegenseitigen Grenzkontrollen zur Begrenzung der Migration und die schwierigen Fragen im Zusammenhang mit der deutschen Geschichte.

Doch Nawrocki hat im Vorfeld seines Besuches angekündigt, dass er vor allem ein altbekanntes Thema ansprechen will: Der parteilose, aber von der rechtsnationalen PiS unterstützte Historiker und ehemalige Leiter des Amtes für Nationales Gedenken will Reparationszahlungen in Billionenhöhe für die von Deutschland verübten Verbrechen und Zerstörungen in Polen während des Zweiten Weltkriegs einfordern. Die Bundesregierung lehnt Reparationsforderung seit Jahren mit der Begründung ab, juristisch sei diese Frage bereits mit dem polnischen Verzicht von 1953 abgeschlossen. Sie wäre stattdessen zu einer humanitären Geste bereit, die finanziell jedoch deutlich geringer ausfallen würde.

Mit seinen Forderungen nach Entschädigung steht Nawrocki nicht allein. Etwa 60 Prozent der Polen meinen, dass Deutschland das Nachbarland nicht ausreichend für Zerstörung und Verbrechen des Zweiten Weltkriegs entschädigt hat und zahlen müsse. Nawrocki weiß, dass sich an der deutschen Haltung kaum etwas ändern wird. Und so geht es bei seinem Antrittsbesuch in Berlin vermutlich weniger um ein deutsches Zugeständnis, denn um polnische Innenpolitik.

Der nationalkonservative Präsident will den liberalkonservativen Premierminister Donald Tusk und seine Bürgerplattform mit einem robusten Auftritt in Deutschland unter Druck setzen und vor sich hertreiben. „Theoretisch könnten die Rahmenbedingungen für eine gute Partnerschaft zwischen den beiden Nachbarländern derzeit nicht besser sein“, sagt Piotr Buras vom European Council of Foreign Relations in Warschau. Tusk und Kanzler Friedrich Merz verstünden sich gut und gehörten derselben europäischen Parteienfamilie an. Sie hätten also die Möglichkeit, etwas aus dem Verhältnis zu machen und damit einen Mehrwert für Europa zu schaffen – vor allem in einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Er plädiert für ein „Leuchtturmprojekt“, mit dem Deutschland Polen entgegenkommen könnte und das Thema der Entschädigungszahlungen mit einer substantiellen deutschen Investition in die gemeinsame Sicherheitspolitik verbinden würde. So könnte nicht nur eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft gebaut werden, „zwischen dem Krieg vor 80 Jahren und dem Krieg, der uns jetzt aus Russland bedroht“, sagt Buras. So könnte auch dem Narrativ Nawrockis eine positivere Erzählung entgegengesetzt werden.

Seit seinem Amtsantritt hat sich Merz bemüht, die Jahre der Stagnation in den deutsch-polnischen Beziehungen unter seinem Vorgänger Olaf Scholz zu überwinden und die Partnerschaft voranzubringen: Er reiste sofort nach Warschau, fuhr gemeinsam mit Tusk im Zug nach Kyjiw und versucht auch sonst, Polen in europäische Formate einzubinden. Allerdings war die Einführung der Grenzkontrollen am selben Tag von Merz‘ Antrittsbesuch nach Ansicht von Jędrzej Bielecki, Journalist der Zeitung Rzeczpospolita, keine gute Idee: „Die PiS-Partei hat erklärt, die Deutschen nehmen Tusk nicht ernst“. Bielecki will nicht ausschließen, dass dieser Vorgang auch Einfluss auf die anschließende Präsidentenwahl in Polen gehabt hat. Tusk hält nun zunehmend Abstand. Er befürchtet, von Nawrocki, der PiS und der rechten Presse für jede Deutschland-freundliche Geste angeprangert zu werden.

Der Druck auf Tusk wächst spürbar. Die Journalistin Magdalena Gwozdz-Pallokat, die für die Deutsche Welle arbeitet und für die Zusammenarbeit mit dem polnischen öffentlichen Fernsehsender TVP zuständig ist, beobachtet, dass sich „der anti-deutsche Ton verstärkt hat, auch weil es in Polen immer mehr rechte Medien gebe“. Unter diesen Umständen ist es unklar, ob die für dieses Jahr geplanten Regierungskonsultationen in Deutschland stattfinden. „Das Thema Deutschland ist jetzt toxischer denn je“, sagt Piotr Buras.

Positive Entwicklungen in den deutsch-polnischen Beziehungen finden in dieser gespannten Atmosphäre wenig Beachtung: So funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Gesellschaften beider Länder im Alltag nach wie vor sehr gut. Auch wurde vor kurzem ein provisorisches Denkmal für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus in Berlin offiziell eingeweiht. Noch entspricht es nicht völlig den polnischen Erwartungen, aber es ist ein erster Schritt. Auch der Einsatz deutscher Patriot Batterien zur Abwehr des jüngsten Drohnenvorfalls im polnischen Luftraum sei „exzellent“ gewesen, meint Jędrzej Bielecki.

Seit seiner Amtseinführung Anfang August hat Nawrocki sich zum Ziel gesetzt, Tusks Politik und seine Gesetze zu torpedieren. Er präsentiert sich als Europa-kritisch und verhindert, dass die von der EU geforderte Reform der Rechtsstaatlichkeit vorankommt. Mit seiner Blockade-Politik macht er es dem Premierminister schwer, seine Wahlversprechen umzusetzen. Tusks Umfragewerte leiden, Nawrocki hingegen gilt laut einer Umfrage mit 52 Prozent als der glaubwürdigste Politiker Polens. So ist nicht ausgeschlossen, dass Tusks regierende Koalition zerbricht und bei den nächsten Parlamentswahlen die rechten Kräfte in Polen wieder eine Mehrheit bekommen. Das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau würde dadurch noch komplizierter.

Schon jetzt zeigt Nawrockis Reisekalender, wie sich die Prioritäten verschoben haben: Seine erste Etappe führte ihn in die USA, wo er den Schulterschluss mit dem ihm ideologisch nahestehenden Donald Trump suchte. Später ging es nach Italien, Finnland und Litauen. Deutschland ist erst das fünfte Land auf seiner Besuchsliste. Lang halten wird es ihn in Berlin auch nicht: Nach wenigen Stunden will er bereits nach Paris weiterfliegen.

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Letzte Aktualisierung: 14. September 2025

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