CEO.Talk
Erscheinungsdatum: 23. Oktober 2025

„Wachsamkeit ja, Panik nein“ – Kapitalmarktexperte über den Boom an den Aktienmärkten

Christian Röhl ist seit Oktober 2024 als Chief Economist bei Scalable Capital tätig. (Christian Röhl)

Trotz geopolitischer Spannungen, Handelskonflikten und Konjunktursorgen zeigen sich die Aktienmärkte bemerkenswert stabil.

Ein wesentlicher Treiber sind die massiven Investitionen in künstliche Intelligenz. „Sehr viel von den Kursanstiegen, die wir gerade sehen, geht zurück auf das Narrativ der künstlichen Intelligenz“, betont der Kapitalmarktexperte und Chief Economist bei Scalable Capital, Christian Röhl, im Interview mit Table.Briefings.

Röhl sieht derzeit keine KI-Blase. „Wir müssen das langfristige Potenzial sehen und das ist sicherlich unstrittig und wird vielleicht sogar noch gar nicht ganz eingepreist“, sagt er. Erste Produktivitätsgewinne seien im Kleinen bereits sichtbar, etwa durch automatisierte Abläufe oder schnellere Datenanalysen.

Kurzfristig erkennt Röhl allerdings durchaus Risiken. In einzelnen Bereichen gebe es „kleine Bläschen“, wie er es nennt: So würden Unternehmen wie Oklo, ein Start-up für neuartige Mini-Atomreaktoren, oder Fermi, ein junges Unternehmen mit Plänen für gigantische KI-Rechenzentren, die bislang keinen nennenswerten Umsatz erzielen, bereits mit zweistelligen Milliardenbeträgen bewertet. Hier sei „viel Zukunft eingepreist“.

Trotz solcher Übertreibungen sieht Röhl das Fundament des Booms stabil. Denn die großen Tech-Konzerne treiben das Thema mit massiven Investitionen voran. Microsoft, Amazon, Alphabet und Oracle steckten Milliarden in den Ausbau der KI-Infrastruktur, wovon vor allem Zulieferer wie NVIDIA, Broadcom und AMD profitieren. Laut Berechnungen von JPMorgan stammen über 90 Prozent des US-Wachstums im ersten Halbjahr 2025 aus KI-Investitionen. Solange dieser Trend anhalte, bleibe das Narrativ an den Märkten intakt.

Doch genau diese engen Verflechtungen bergen auch Risiken. Wenn NVIDIA Milliarden in OpenAI investiere, OpenAI wiederum Oracle für Cloud-Services bezahle und Oracle anschließend neue Chips bei NVIDIA kaufe, entstehe eine Art Kreislaufwirtschaft. „Man recycelt quasi die Gewinne von heute zu den Umsätzen von morgen, baut sich selbst die Kunden auf“, erklärt Röhl.

Ein Blick zurück zeigt, wie fragil solche Narrative sein können. Von einer neuen Dotcom-Blase will Röhl trotzdem nicht sprechen. Der Unterschied zu 2000: Während damals vielen Unternehmen hochprofitable Stammgeschäfte fehlten, finanzieren Tech-Giganten heute ihre Investitionen aus profitablen Kerngeschäften. „Wir überschätzen meist das Tempo von technologischen Umbrüchen und unterschätzen ihre langfristige Wucht.“

Auch jenseits der KI-Euphorie gibt es Risiken. JPMorgan-Chef Jamie Dimon warnte vor „Kakerlaken im Kreditsystem“, also faulen Krediten im Schattenbankensektor. Fälle wie die Pleite des Autozulieferers First Brands oder die Probleme des US-Autofinanzierers Tricolor, der Fahrzeuge an Kunden vergeben hatte, die sie sich eigentlich nicht leisten konnten, könnten als Frühwarnzeichen gelten. Röhl betont jedoch, dass KI-Investitionen im Unterschied zu 2008 nicht kreditfinanziert seien, sondern aus den hohen Cashflows der großen Tech-Konzerne bestritten würden. Zudem sei Dimon für seine ständigen Warnungen bekannt: „Jamie Dimon hat ja zwölf der letzten drei Rezessionen richtig vorausgesagt.“

Sein Fazit für Anleger: „Wachsamkeit ja, aber keine Panik.“

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Letzte Aktualisierung: 24. Oktober 2025

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