Letzte Aktualisierung: 3. November 2024
Die neue EU-Kommissarin für Start-ups: Aushängeschild oder Wegbereiterin?
Von Clark Parsons
Heute beginnt eine Marathonwoche, die für Insider der Brüsseler Blase wie der Superbowl ist. Die designierten EU-Kommissare für die Kabinettsposten werden in einer siebentägigen Anhörungsserie, bei der täglich vier Nominierte Rede und Antwort stehen müssen, im Europäischen Parlament „gegrillt“.
Für einige von uns ist eine Position, die viele Beobachter übersehen haben, besonders bemerkenswert: Die erfahrene bulgarische Politikerin Ekaterina Sachariewa ist als Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation nominiert.
Seit Langem gibt es EU-Kommissare für Forschung und Innovation; der Posten für Forschung, Wissenschaft und Innovation wurde 1967 eingeführt und war bis 1981 in Folge von drei Deutschen besetzt. 2019 wurde das Mandat geändert: „Wissenschaft“ wurde gestrichen und durch drei neue Titel ersetzt: Kultur, Bildung und Jugend. Der Posten ging an die junge, engagierte Bulgarin Mariya Gabriel.
Start-ups wollen mit am Tisch sitzen
Doch es war eine Mammutaufgabe mit fünf Verantwortungsbereichen. Obwohl Kommissarin Gabriel allgemein für ihre Amtszeit gelobt wurde, wurde schnell klar, dass die Rolle sie zu sehr beanspruchte. Ihr vorzeitiger Rücktritt – um eine Führungsposition in ihrer nationalen Regierung anzutreten – ließ ihrer Nachfolgerin Iliana Ivanova nur ein Jahr, um einen Eindruck zu hinterlassen.
Im Vorfeld des Nominierungsprozesses in diesem Herbst gab es unterschiedliche Erwartungen. Universitäten plädierten dafür, Bildung, Forschung und Innovation unter einer Kommissarin zu bündeln. Ebenso hofften Organisationen wie die meine darauf, dass Start-ups – jene innovativen, schnell wachsenden Unternehmen, die wirtschaftliches Wachstum antreiben und neue Industrien schaffen – endlich am Tisch sitzen würden. Befürworter einer stärkeren Ausrichtung auf europäische Technologieautonomie hatten ihre Hoffnungen auf die erfahrene Parlamentsabgeordnete Henna Virkkunen aus Finnland gesetzt, die Europa in technologischer Hinsicht wieder relevant machen könnte; würde sie ein Superministerium für Innovation erhalten?
Von der Leyen überrascht mit ihrer Entscheidung
Kommissionspräsidentin von der Leyen überraschte uns alle mit ihren Entscheidungen:
- Sie trennte Bildung von Forschung und Innovation und übertrug diesen Bereich einem Kommissar aus Rumänien.
- Sie schuf eine Vizepräsidentschaft für technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie für Henna Virkkunen, was viele erfreute.
- Sie übertrug die Aufgaben für Forschung und Innovation, einschließlich der Aufsicht über das riesige Horizon-Europe-R&D-Budget, Ekaterina Sachariewa, die als dritte bulgarische Kommissarin in Folge diesen Bereich übernimmt. Doch ein neuer Titel kam hinzu: Start-ups.
Weltmeister der Erfindung
Warum ist das wichtig? Ein altes Sprichwort besagt: „Erfindung bedeutet, Geld in Ideen umzuwandeln, während Innovation bedeutet, Ideen in Geld umzuwandeln.“ Nach dieser Definition ist Europa Weltmeister in der Erfindung. Wir haben eine beeindruckende Landschaft an Universitäten und Forschungseinrichtungen, die weltweit führende Talente, Patente und bahnbrechende Ideen hervorbringen.
Doch im Vergleich zu den USA sind wir schlecht darin, diese Ideen in Geld umzuwandeln. Forschungsprojekte werden oft nicht zu Unternehmen. Professoren oder Forscher sind selten vorbereitet oder motiviert, Unternehmer zu werden, und Universitäten stehen solchen Vorhaben oft feindlich gegenüber oder machen ihre geistigen Eigentumsrechte unmöglich zu lizenzieren. Unsere Top-Talente oder Start-ups zieht es oft ins Silicon Valley, wo Kapital leichter zu beschaffen ist.
Europa muss wieder weltweit führende Tech-Unternehmen bauen
Wer die Berichte von Enrico Letta oder Mario Draghi kennt, weiß, dass unsere strukturellen Defizite in Bezug auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit Europas geopolitische und wirtschaftliche Stärke erheblich geschwächt haben. Daher war es wenig überraschend, dass der Europäische Rat in einem achtseitigen Dokument die neue Kommission aufforderte, die „wirtschaftliche Verwertung“ der europäischen Forschung zu steigern. Erstaunlicherweise ließ dieses Dokument jedoch ein Wort aus: „Start-ups.“ Die erhoffte „Verwertung“ wird offenbar wie durch Zauberhand eintreten.
Deshalb ist es umso bedeutender, dass Präsidentin von der Leyen ausdrücklich den Bereich Start-ups in den Titel der neuen Kommissarin aufgenommen hat. Sie hat erneut signalisiert, dass sie weiß, was Europa heilen kann. Einfach ausgedrückt: Wenn Europa auf der globalen Bühne wieder relevant werden will, muss es seine Fähigkeit wiederentdecken, weltweit führende Unternehmen in neuen Technologiesektoren hervorzubringen – und das kann nur durch Europas Start-ups geschehen.
Start-ups: fehlendes Bindeglied zwischen Ideen und Innovation
Glücklicherweise hat Europa im letzten Jahrzehnt ein florierendes und dynamisches Netzwerk an Start-up-Ökosystemen aufgebaut, das von Tausenden von Start-ups in Bereichen wie KI, Klima- und Energietechnologie, Fintech, Deep Tech und vielen weiteren getragen wird. Unterstützt werden sie von fast 1.000 EU-basierten Risikokapitalfonds und einer Generation erfolgreicher Gründer, die die nächste Welle fördern und in sie reinvestieren. Mein Verband zählt inzwischen mehr als drei Dutzend Mitgliederorganisationen für Start-ups.
Und Deutschland kann sich freuen: Im dritten Quartal 2024 erhielten deutsche Start-ups laut Dealroom 2,7 Milliarden US-Dollar an Risikokapitalinvestitionen, womit Deutschland europaweit auf Platz zwei und vor Frankreich steht. Deutschland ist eine „Start-up-Nation wider Willen“. In den letzten zwei Monaten veranstaltete die Bundesregierung sowohl einen (ersten!) Start-up-Gipfel als auch einen (17.) Digital/IT-Gipfel, und beide Veranstaltungen – plötzlich vollgepackt mit Start-ups – zeigten, dass immer mehr deutsche Führungskräfte erkennen, dass Start-ups das fehlende Bindeglied zwischen Ideen und Innovation sind.
Was fehlt: Kapitalmarktunion und ein echter Binnenmarkt
Von der Bundesregierung bis zur EU-Kommission ist die Botschaft angekommen. Aber es gibt noch viel zu tun. Ganz oben auf der Agenda stehen zwei zentrale Probleme, deren Lösung die europäische Start-up-Landschaft erheblich verbessern würde:
- Das Fehlen einer Kapitalmarktunion bedeutet, dass Kapital, insbesondere in Wachstumsphasen oder bei einem geplanten Börsengang, viel schwerer zu beschaffen ist.
- Der „Binnenmarkt“ existiert für Start-ups, die schnell in ganz Europa expandieren wollen, nur in sehr eingeschränkter Form. Anstatt 27 Unternehmen gründen zu müssen (ein bürokratischer Albtraum), ist sich jeder einig, dass ein „28. Regime“ notwendig ist. Unsere Start-ups sollten sich so schnell ausbreiten können wie junge US-Unternehmen auf ihrem eigenen Kontinent.
Beide Themen stehen seit Langem auf der EU-Agenda, aber ihre Lösung ist nach wie vor der schnellste Weg, um Europa wettbewerbsfähig zu machen. Ironischerweise sind die beiden Kommissare, die sich vermutlich am ehesten mit diesen wichtigen Problemen befassen werden, NICHT die Start-up-Kommissarin.
- Die Kapitalmarktunion wird von der portugiesischen designierten Finanzkommissarin Maria Luis Albuquerque angegangen.
- Das „28. Regime“ wird voraussichtlich in die Zuständigkeit des irischen designierten Justizkommissars Michael McGrath fallen.
Zum Glück hat die designierte Kommissarin Sachariewa bereits zugesagt, eng mit diesen beiden anderen Kommissaren zusammenzuarbeiten.
Bildungsinstitutionen müssen über Lehre und Forschung hinausgehen
Ist ihre Rolle also nur die einer Cheerleaderin? Nein. Die Ernennung einer Start-up-Kommissarin bedeutet, dass erstmals jemand im Kabinett für diesen entscheidenden Teil der Wirtschaft einsteht und auch daran gemessen wird, wie gut sich das europäische Start-up-Ökosystem entwickelt. Viele Länder, darunter Deutschland, haben Beamte, die für Start-ups zuständig sind (wie die Start-up-Beauftragte Anna Christmann). Aber stellen Sie sich eine Welt vor, in der jede nationale Regierung jemanden auf Kabinettsebene dafür verantwortlich hätte; hier hat Präsidentin von der Leyen ein großartiges Beispiel gesetzt.
Die Kombination von Start-ups, Innovation und Forschung sendet ebenfalls ein starkes Signal: Unsere Bildungseinrichtungen müssen über Lehre und Forschung hinausgehen. Laborexperimente müssen auch auf dem Markt erfolgreich sein. Andernfalls finanzieren wir alle nur ein gigantisches Wohltätigkeitsprogramm zur Ausbildung zukünftiger amerikanischer Talente.
Sachariewa muss ihre Kollegen im Kabinett mobilisieren
Wir wissen noch nicht, was uns erwartet, wenn Kommissarin Sachariewa ein Europäisches Innovationsgesetz vorstellt oder ihre geplante Start-up- und Scale-up-Strategie präsentiert.
Pessimisten sagen, dass sich ihr Fokus auf das Budget für Universitäten und Forschungseinrichtungen beschränken wird und Start-ups in Vergessenheit geraten. Ekatarina Sachariewa hat kaum Erfahrungen in ihren drei Aufgabenbereichen. Sogar das Europäische Parlament scheint kaum daran interessiert, die designierte Komissarin Sachariewa über Start-ups zu befragen; fast keine der ihr vorab gestellten Fragen beziehen sich darauf.
Optimisten wie ich hingegen finden es großartig, eine fähige Politikerin zu haben, die ihre Kollegen im Kabinett mobilisieren und für Start-ups in zahlreichen Sektoren eintreten kann. Hoffentlich gelingt es ihr, Europa davon zu überzeugen, dass Start-ups so entscheidend für unsere Zukunft sind, dass sogar Deutschland eines Tages das Amt der Innovationskommissarin übernehmen möchte. Das wäre ein starkes Signal.
Clark Parsons ist CEO des European Startup Network, einem Netzwerk europäischer Start-up-Verbände, und Managing Director der Innovate Europe Foundation. Die Stiftung setzt sich als Thinktank, Forum und Dialogpartner für die Anliegen des deutschen und europäischen Digital- und Innovations-Ökosystems ein.