Letzte Aktualisierung: 28. Februar 2024
Lehrkräfteausbildung: Es braucht mehr Mut zur Einheitlichkeit
Bildungsberater, KMK-Kenner, Reformer: In seiner Kolumne denkt Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles regelmäßig Bildungspolitik neu. Erfahren Sie hier mehr über die Vita unseres Kolumnisten.
Es kommt nicht oft vor, dass die Kultusministerinnen und Kultusminister ihre Beschlüsse selbst so bedeutsam finden, dass sie diesen einen Namen verpassen. Im Fall des „Quedlinburger Beschlusses“ vom 2. Juni 2005 war das der Fall. Die schöne Stadt Quedlinburg in Sachsen-Anhalt ist somit nicht nur eines der größten Flächendenkmäler Deutschlands, sondern auch prominente Namenspatronin in der Beschlusswelt der KMK.
Konkret steht der Quedlinburger Beschluss für die „Eckpunkte für die gegenseitige Anerkennung von Bachelor- und Masterabschlüssen in Studiengängen, mit denen die Bildungsvoraussetzungen für ein Lehramt vermittelt werden“. Der Quedlinburger Beschluss ist so lesenswert wie die Stadt Quedlinburg sehenswert: Wer die Quelle einiger Probleme der universitären Lehrkräfteausbildung in Deutschland sucht, findet sie hier.
Beharrliches Festhalten am Zwei-Fächer-Prinzip
Vor knapp 20 Jahren bekräftigte der Beschluss die verbindliche Festlegung auf das sogenannte Zwei-Fächer-Prinzip (anders als in vielen anderen Ländern, die sich mit einem Ausbildungsfach begnügen) sowie die Ausgestaltung der Studiengänge nach Lehrämtern (und nicht nach Schulstufen). Die konsequente Umstellung auf die gestufte Ausbildung im Bachelor und Master wurde vermieden. Und es blieb den Ländern überlassen, ob sie an der bisherigen Studienstruktur mit dem Abschlussziel Staatsexamen festhalten. Zudem wurde das universitäre Privileg in der Lehrkräftebildung festgeschrieben: Das Studium erfolgt an „Universitäten oder gleichgestellten Hochschulen“ (womit es keine Öffnung zu den Fachhochschulen gab).
Ein paar Jahre später erfolgte eine weitere wichtige Festlegung für die universitäre Lehrkräftebildung, die bis heute – negativ – nachwirkt: Das Papier „Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken“ legt fest, dass die Universitäten nicht durchgängig eigene lehramtsbezogene Lehrveranstaltungen anbieten müssen. Es findet sich der – für die Fakultäten der Fachwissenschaften – schöne Satz: „Es ist davon auszugehen, dass – von Fach zu Fach unterschiedlich – größere Bereiche des lehramtsbezogenen fachwissenschaftlichen Lehrangebots Teil des Studienangebotes eines Faches insgesamt sind.“
Aktuelle Studie: „Neue Lehrkräfte braucht das Land!“
Eine aktuelle Studie („Lehrkräftebildung in Deutschland 2024 – Herausforderungen und Handlungsempfehlungen“, Veröffentlichung am heutigen Mittwoch), die ich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erarbeitet habe, kommt zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland zwar eine Vielzahl von Beschlüssen, aber keine ländereinheitliche Ausbildung der Lehrkräfte gibt. Wie schrieben der Bildungsforscher Maik Walm und die Bildungsforscherin Doris Wittek doch bereits vor zehn Jahren: „Die Frage, wie Lehrkräftebildung in Deutschland realisiert wird, lässt sich mit einer simplen Feststellung grundsätzlich beantworten – überall anders!“.
Meine Untersuchung bestätigt: Die Verteilung von Fachwissenschaften, Didaktik, Bildungswissenschaft und Praxisanteilen im Studium weicht in den Ländern erheblich voneinander ab. Hinzu kommt der deutliche Unterschied bei den (geringeren) Anforderungen im ersten Staatsexamen, an dem noch sieben Länder festhalten. Selbst innerhalb der Studiengänge mit Abschlussziel Staatsexamen unterscheidet sich der sogenannte Workload (ECTS-Punkte) um bis zu 90 ECTS, was immerhin einem Zeitaufwand von 2.700 Stunden entspricht.
Keine überzeugenden Argumente gegen volle FH-Einbindung
Vor diesem Hintergrund sollte sich die KMK dringend eine kritische Überprüfung ihrer Beschlüsse vornehmen. Sie sollte ergebnisoffen auswerten, welche Beschlüsse sich über die letzten 20 Jahre bewährt haben und welche alten Zöpfe im Lichte der Erfahrungen (und des Bedarfs) abgeschnitten werden sollten. So gibt es beispielsweise keine überzeugenden Argumente, die gegen die Öffnung des universitären Privilegs in der Lehramtsausbildung und gegen die vollwertige Einbindung der Fachhochschulen sprechen.
Die Debatte um das sehr deutsche Dogma von zwei Fächern ist bereits angelaufen, wird aber viel zu zaghaft nur für den Quereinstieg diskutiert. Ähnlich zaghaft geht es bei der Frage der zweiphasigen Ausbildung zu: Erste duale Ansätze will man erproben, allerdings noch ohne jede übergreifende Verständigung über die Verzahnung von universitären Studienzeiten und Praxisphasen.
Bildungsföderalismus zeigt auch Lösungswege
Der Bildungsföderalismus bietet auch Chancen. Die erwähnte Untersuchung weist darauf hin, dass sich die dort dokumentierten „Sonderentwicklungen“ in den Ländern auch konstruktiv für die notwendige Reform der Lehrkräfteausbildung nutzbar machen lassen. Hierzu zählt zum Beispiel das sogenannte „Hamburger Modell“ einer Zentralisierung der Fachdidaktiken in einer Fakultät. Oder die Reduzierung der Lehrämter in Richtung Stufenlehrämter wie in Berlin und Bremen sowie das Angebot flexibler Bachelor-Studiengänge, in denen man sich erst ab dem fünften Semester für die konkrete Schulart entscheidet, wie dies Rheinland-Pfalz praktiziert.
20 Jahre nach Quedlinburg bietet sich für das Präsidentschaftsland Saarland die Chance einer kritischen Revision alter Beschlüsse und einer produktiven Auswertung vorhandener Praxisansätze. Zeit für einen zukunftsfesten „Völklinger Beschluss“ im Juni 2024.