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Kolumne|Bildungsreform
Letzte Aktualisierung: 6. August 2024

Bildungsrepublik: Drei Thesen für das Gelingen

Die Aufgabe im Hintergrund dürfte wohl nicht für ihre Altersklasse gedacht sein. Spaß hat das junge Mädchen trotzdem in der Schule. Die kleinen Erfolge im Alltag der Bildungspraxis sollten sichtbarer werden, findet unser Kolumnist Mark Rackles. (dpa)
Auf welche zentralen Fragen muss unser Bildungssystem Antworten geben, um jungen Menschen Perspektiven zu eröffnen? Unser Kolumnist Mark Rackles stellt in seinem letzten Beitrag für den Bildung.Table grundlegende Thesen auf: Wie man geistige Brandstifter in Schach hält und warum Optimismus unverzichtbar ist.
Bildungsberater, KMK-Kenner, Reformer: In seiner Kolumne denkt Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles jeden Monat Bildungspolitik neu. Erfahren Sie hier mehr über die Vita unseres Kolumnisten.
In diesem Sommer endet eine persönliche Etappe. Ich hatte das Vergnügen und Privileg, den schwerfälligen Tanker der deutschen Bildung vom Maschinenraum bis zum Oberdeck kennenzulernen. Neben der klassischen Qualifizierung zum Bildungsexperten durch die eigene Schulzeit waren mir 16 Jahre Schulzeit mit den eigenen drei Kindern vergönnt, acht Jahre Amtszeit als Staatssekretär für Bildung, fünf Jahre als freiberuflicher Publizist im Bildungswesen, drei Jahre als Gastwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin zum Thema „Educational Governance“ sowie zwei Jahre als Bildungsaktivist mit dem „Bildungsrat von unten“. Last but not least: ein gutes Jahr als Bildungskolumnist bei Bildung.Table!
Nun verlässt mein letztes Kind das deutsche Schulsystem und ich die Bildungsrepublik Deutschland. Beim Blick in den Rückspiegel stellt sich die Frage: Was bleibt? Da wäre viel zu erzählen. Ich will mich auf drei Thesen beschränken, die eher auf anekdotischer Evidenz gründen.

Es gilt, die Optimisten zu stärken

  • Der Glaube an die Veränderbarkeit zum Guten ist nicht nur eine notwendige Prämisse von Pädagogik. Es ist auch der notwendige Ausgangspunkt von guter Bildungspolitik. Gerade im „Zeitalter des Zorns“ (Pankaj Mishra) ist es wichtiger denn je, Politik nicht aus einer Wut heraus zu gestalten. Trotz der vielen unbestreitbaren Missstände und Fehlentwicklungen, trotz der unfassbaren Trägheit des föderalen Bildungssystems, kann eine sinnvolle Gestaltung von Bildungspolitik nur aus einer positiven Grundhaltung heraus erfolgen.

    „Optimisten aller Länder vereinigt Euch!“, möchte man rufen. In der Bildungspraxis und in den Bildungsmedien dominieren zu oft negative Grundhaltungen, die regelmäßig zum Frust, zur Demotivierung und zum Rückzug ins Private führen. Faktisch überlässt man das Feld damit den Verhinderern, den Lauten und Gereizten. Ich bin über die Jahre hinweg immer wieder mit den erstaunlichsten Menschen im Bildungssystem zusammengekommen. Sie haben mit ungeheurer Energie den täglichen Kampf um gute Bildung aufgenommen und gekämpft. Diese Optimisten gilt es zu stärken: Durch Vernetzung untereinander und durch Sichtbarmachung und Würdigung der „kleinen“ Erfolge im Alltag der Bildungspraxis.

Digitalisierung verändert menschliche Interaktion dramatisch

  • Die Folgen der Digitalisierung sind gesamtgesellschaftlich und bildungspolitisch viel größer (und gefährlicher) als erwartet. Als Staatssekretär für Bildung hatte ich mein Schlüsselerlebnis in Bezug auf die sozialen Medien mit dem „Fall Lisa“ Anfang 2016. Eine 13-jährige Schülerin aus Marzahn traut sich wegen Problemen in der Schule nicht nach Hause und übernachtet bei einem Bekannten. Das russischstämmige Mädchen erfindet zur Entschuldigung die Geschichte einer Vergewaltigung durch „südländisch“ aussehende Männer. Damit löst es eine hysterische Protestwelle Russlanddeutscher in Berlin aus. Im fernen Moskau schürt der russische Außenminister Lawrow das Feuer, indem er den deutschen Behörden die Vertuschung einer Vergewaltigung vorwirft.

    Der Mechanismus virtueller Skandalisierung ist heute vertrauter als damals, die Dynamik von Fake News eher höher. Aktuellstes Beispiel der unmittelbaren und physischen Wirkungen von Fake News im virtuellen Raum sind die gewalttätigen, rassistischen Ausschreitungen in Southport (UK). Die Herausforderung der Digitalisierung liegt nicht im Ausstattungsgrad der Schulen mit IT und der Stärke des schulischen WLANs.

    Es sind eher die dramatischen Veränderungen in der menschlichen Interaktion sowie das Aufweichen der Grenzen zwischen Wahr und Falsch, auf die (auch) in der Schule eine Antwort gefunden werden muss. So sehr diese Entwicklungen unterschätzt wurden, so sehr muss heute an deren Gestaltung mit Geboten (nicht Handy-Verboten) und klaren Regeln (bis hin zur Strafbarkeit von Fake News und deren Weiterleitung) gearbeitet werden.

    Die Kinder und Jugendlichen müssen sich ihrer Rolle und Verantwortung sowohl als Sender als auch als Empfänger in der modernen Kommunikation bewusst werden. Und wir müssen ihnen die notwendigen Kompetenzen vermitteln. Natürlich sollte man auch wissen, wie Netze und wie KI funktioniert. Am Ende hat das wenig mit dem Fach Informatik und viel mit Ethik, sozialem Lernen und Demokratiebildung zu tun. 

Extremismus: Gegenteil des demokratischen Bildungsideals

  • Die rechtsextreme Gefahr für unser demokratisches Gemeinwesen ist real und hat viel mit Bildung zu tun. Auch auf die Gefahr hin, mich an dieser Stelle zu wiederholen: Wenn ein Drittel der Jungwähler bei den Europawahlen im Mai stramm konservativ bis rechtsextrem gewählt hat und die aktuellen Umfragen die AfD trotz ihres rechtsextremen Profils bei den anstehenden Landtagswahlen als große Gewinnerin sehen, dann hat unsere Demokratie ein Problem, das tief in das Bildungssystem hineinreicht.

    Extremismus und Populismus, die regelmäßig gegen die Rechte Dritter (seien es vermeintliche Minderheiten, Andersdenkende oder „Fremde“) gerichtet sind, sind das Gegenteil eines demokratischen Bildungsideals. Die Hütte brennt bereits, und man muss kurzfristig die Flammen austreten und über Brandmauern reden. Mittelfristig muss man jedoch präventiv das Heranwachsen von Brandstiftern vermeiden.

    Dort wo geistige Brandstifter unterwegs sind, muss man sie als solche benennen und ihnen selbstbewusst entgegentreten. Das saugen Jugendliche nicht mit der Muttermilch ein. Es ist die Erfahrung von Selbstwirksamkeit in sozialen Prozessen, die nur im Miteinander und vorrangig in der Schule gemacht werden kann. 
Ein Blick ausgerechnet in die USA kann einem aktuell Mut machen. Erschien noch vor drei Wochen die Lage aus europäischer Sicht aussichtslos und eine zweite Präsidentschaft Trumps unvermeidbar, hat sich die Lage und die Stimmung durch politisches Agieren in kürzester Zeit gedreht.
Das führt nicht zwangsläufig zum Sieg der Vernunft und zur Stabilisierung demokratischer Prozesse und Institutionen. Aber es beweist doch das eine: Politik (und das gilt erst recht für Bildungspolitik) ist immer das Ergebnis menschlichen Handelns und daher gestaltbar. Es braucht dazu aber ausreichend Optimisten, die den Kampf um die Wahrheit (und gegen Fake News) aktiv aufnehmen und den geistigen Brandstiftern Paroli bieten.
Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass sich diese Auseinandersetzung nicht irgendwo abspielen wird, sondern unmittelbar und direkt im Bildungssystem. „Venceremos“, dieser Kampf lohnt sich!