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Kolumne|Lehrerfortbildung
Letzte Aktualisierung: 2. Mai 2024

Bildungsföderalismus: Was hinter der Abwehr gegenüber dem Bund steckt

Fortbildung digitales
Es gibt mal wieder Streit zwischen Bund und Ländern – dabei geht es auch um eine mögliche Fortbildungsverpflichtung, um Lehrkräfte fit für den digitalen Unterricht zu machen. (IMAGO / Westend61)
Mit dem Ringen um den Digitalpakt 2.0 sieht Kolumnist Mark Rackles das föderale Dilemma auf die Spitze getrieben. Auf Länderseite heiße es: Geld ja, aber bitte keinen Einfluss. Beim Bund: Spielraum vorhanden, aber niemand da, der ihn nutzt. Dabei brauche es gerade jetzt mehr Kooperation.
Bildungsberater, KMK-Kenner, Reformer: In seiner Kolumne denkt Ex-Bildungsstaatssekretär Mark Rackles jeden Monat Bildungspolitik neu. Erfahren Sie hier mehr über die Vita unseres Kolumnisten.
In diesen Tagen lässt sich wieder das spezielle Dilemma des Bildungsföderalismus in Echtzeit beobachten: Die Länder pochen gegenüber dem Bund auf 100 Prozent Länderzuständigkeiten im Bildungsbereich und appellieren im gleichen Atemzug an die „gemeinsame Verantwortung“ (Bildungsministerin Karin Prien), mit der sie jenseits aller Zuständigkeiten eine Bundesfinanzierung einfordern. Frei nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“.
Aktuell lässt sich dieses Ritual besonders anschaulich beobachten bei den laufenden Verhandlungen zum Digitalpakt 2.0: Die vom Bund vorgeschlagene (naheliegende) 50-Prozent-Finanzierung zwischen Bund und Ländern wird von den Ländern ebenso wortreich abgelehnt wie die „übergriffigen“ Vorschläge des BMBF (Kultusminister Achim Schwarz) zu inhaltlichen Aspekten des Förderprogramms. Der vermeintliche Übergriff besteht in dem konkreten Vorschlag, dass die Länder bis 2026 eine Fortbildungsverpflichtung im Umfang von 30 Stunden gewährleisten, die auch dem digitalen Lehren und Lernen zugutekommen soll.

An der Lehrerfortbildung zeigt sich „föderales Dilemma“

Die Lehrkräftefortbildung wurde durch aktuelle Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der KMK stärker als bisher in ihrer Bedeutung anerkannt und durch Erhebungen wie dem aktuellen Deutschen Schulbarometer 2024 der Robert Bosch Stiftung empirisch unterlegt. Sie ist nur ein Beispiel von vielen für das föderale Dilemma: Wenn es keine wirksame länderübergreifende Instanz gibt und alle dem Wettbewerbsföderalismus frönen, dann ist der Bund die einzige Instanz, die länderübergreifende Interessen artikulieren und in die politische Arena einbringen kann. Das gilt für den Digitalpakt 2.0 (einheitliche Standards und Rahmenbedingungen) ebenso wie für das Startchancen-Programm (Verteilung der Mittel nach Bedarf und nicht nach Länderproporzen) und den Rechtsanspruch auf Ganztag ab 2026 (Ausbildungsinitiative für Fachkräfte, bauliche und personelle Standards). 
In all diesen Fällen geht es aus Sicht der Länder immer um ein Mehr an Bundesgeldern und eine Abwehr an Mitwirkung des Bundes. Diese Abwehr von Mitwirkung ist jedoch faktisch ein Kampf gegen einheitliche Standards und Rahmensetzungen, die in bestimmten Bereichen unverzichtbar sind. Zurück zum strategischen Thema Fortbildung:  Die SWK diagnostizierte der Lehrkräftefortbildung in ihrem Gutachten vom Dezember 2023 massive Schwächen und drängte auf eine Neuausrichtung. Vorgeschlagen werden ein „ländergemeinsamer Qualitätsrahmen“, eine verstärkte Kooperation der Universitäten und Länderinstitute untereinander – Stichwort „übergriffig“ – eine Fortbildungsverpflichtung im Umfang von 30 Stunden.

Bund bringt fehlende länderübergreifende Logik rein

Es ist völlig naheliegend und aus einer systemischen Perspektive heraus – angesichts der Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners in der KMK – sogar notwendig, dass ein starker Akteur auf länderübergreifende Leitplanken im Bereich der Lehrkräftebildung drängt. Es mag eigenartig klingen, aber gerade im Wettbewerbsföderalismus ist der Bund notwendig, um die fehlende länderübergreifende Logik einzubringen. Bildungspolitisch ist die Höhe der Bundesbeteiligung in Bund-Länderprogrammen zwar wichtig. Wichtiger jedoch ist die Bundesbeteiligung an und für sich. Die Länder sollten die anerkennen und inhaltliche Einwürfe des Bundes nicht wie lästige Hinweise auf Nebenwirkungen in Beipackzetteln der Finanzmittel zur Seite legen.
Allerdings hat auch der Bund eine besondere Verantwortung in diesem speziellen föderalen Setting: Er kann seine Rolle nur mit und nicht gegen die Länder entfalten. Das aktuelle Agieren mit erneuten medialen Durchstechereien von Programmvorlagen sowie die Drohung einer „letztmaligen“ Ko-Finanzierung beim Digitalpakt 2.0 sind nicht zwingend auf das Gelingen ausgerichtet. Der hessische Kultusminister Achim Schwarz unterstellt dem BMBF, dass es (angesichts fehlender Bundesmittel) gar kein Interesse an einer Einigung mit den Ländern habe.

Koalitionsvertrag hatte sich zu vertiefter Bund-Länder-Kooperation bekannt

Es baut sich damit ein vertrautes Szenario auf, das wir 2023 mit der halbherzigen Einladung des BMBF zum vergeigten „Bildungsgipfel“ schon einmal beobachten durften: Der Handlungsdruck in den übergreifenden Themen der Bildungspolitik wird allgemein anerkannt, und abstrakt betonen alle Akteure und Akteurinnen die gemeinsame Verantwortung. Konkret stehen sich Bund und Länder jedoch sprachlos und handlungsunfähig gegenüber. Das ist umso erstaunlicher, als der aktuelle Koalitionsvertrag der laufenden Wahlperiode sehr weitreichende Bekenntnisse zu einer vertieften Bund-Länder-Kooperation und klare Bekenntnisse zu Bund-Länder-Programmen in strategischen Themen enthält.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat auf dem Papier eigentlich mehr politische Beinfreiheit als ihre Vorgängerinnen, und dennoch waren die Chancen auf einen echten Bildungsgipfel (2.0) nie geringer als jetzt, wo er wirklich notwendig wäre. So hat der Föderalismus nicht nur ein Dilemma auf der Länderseite (Geld ja, aber bitte keinen Einfluss), sondern auch auf der Bundesseite (Spielraum vorhanden, aber niemand da, der ihn nutzt). Beide Seiten sollten sich einen Ruck geben und einen Neustart zu dem sachlich notwendigen Mehr an Kooperation geben. Und wenn’s „nur“ für die Schulen ist.