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Viele Risiken und ein wenig Hoffnung: Das geopolitische Jahreshoroskop

Von Florence Gaub
Porträtfoto von Florence Gaub mit beiger Jacke vor blauem Himmel.
Florence Gaub ist deutsch-französische Politikwissenschaftlerin.

Was wir jetzt schon wissen ist, dass auch das kommende chinesische Jahr des Hasen – wie auch die vergangenen Jahre – nicht langweilig zu werden verspricht. Wenngleich das schlimmste der Inflation laut des Internationalen Währungsfonds hinter uns liegt, bleibt sie auch 2023 noch Teil der wirtschaftlichen Landschaft und beeinträchtigt das Wachstum.

Inflation sowie Korruption werden damit das dominante Thema der Wahlen dieses Jahr sein: Gleich zu Jahresbeginn wird klar, ob Präsident Biden 2024 wieder kandidiert. Da Trump seine Kandidatur schon angekündigt hat, deutet das auf einen sehr langen Wahlkampf hin.

Scheinwahlen in China und Kuba

Auch in anderen Ländern wird es politisch heiß rund um die Wahlen: in Nigeria (25. Februar), Sierra Leone und Türkei (Juni), Pakistan (Oktober), Argentinien (Oktober) und Demokratische Republik Kongo (Dezember). Auch dort, wo Wahlen weniger frei sind, werden sie hart umkämpft sein – in manchen Fällen ist durchaus auch mit Gewalt zu rechnen. Weniger erbittert wird es bei den „Wahlen“ im März in Kuba und in China zugehen, das Ergebnis steht jetzt schon fest.

Im Zeichen des Fischs jährt sich im Februar die russische Invasion der Ukraine zum ersten Mal. Auch für 2023 ist die Wahrscheinlichkeit eines Nuklearkriegs sehr gering, aber auch ein Kriegsende ist nicht schnell zu erwarten. Rein statistisch gesehen ist der Konflikt ab Mai länger als durchschnittliche Kriege zwischen Staaten, aber dies sagt wenig darüber aus, wann er tatsächlich zu Ende gehen wird. Wenn die Nato sich Mitte Juli in Vilnius trifft, wird der Krieg im Zentrum stehen, aber eine Mitgliedschaft der Ukraine wird wahrscheinlich nach wie vor für die meisten Mitgliedstaaten ein No-Go sein.

Risiko für neue Kriege in mehreren Staaten

Wenngleich wir noch keine Methoden haben, den genauen Zeitpunkt von Konfliktausbrüchen zu bestimmen, wissen wir dennoch, dass das Risiko hierfür 2023 in Afghanistan, Syrien, Jemen, Irak hoch ist. Versuche, in diesen Ländern Reformen umzusetzen, werden dadurch immer wieder beeinträchtigt werden und erschweren damit auch deutsche Versuche zur Stabilisierung.

2023 wird ebenfalls ein entscheidendes Jahr für die sozialen Medien: in den Fällen Gonzalez v. Google und Twitter v. Taamneh entscheidet das amerikanische Verfassungsgericht über deren Rolle im Zusammenhang mit Terrorismus des sogenannten Islamischen Staates. Die Auswirkungen dieser Entscheidungen sind auch in Europa zu erwarten.

Stresstest für Großbritannien

Im Zeichen des Stiers – und somit der Periode der Schöpfung und Romantik – steht die Krönung König Charles III. am 6. Mai. Aber das Event selbst, für manche ein Symbol der Einheit, verspricht nur noch mehr Debatte über die Monarchie und Großbritannien allgemein hervorzurufen. Am 10. Januar erscheint Prinz Harrys Biografie, und schon jetzt wird sich für noch mehr Skandal gewappnet.

Auch unabhängig von Harry und Meghan wird es dieses Jahr hoch hergehen im Königreich: Das britische Verfassungsgericht mag schottische Pläne für ein Unabhängigkeitsreferendum am 19. Oktober abgeschmettert haben, Premierminister Nicola Sturgeon hat die Wahlen 2024 zur de facto Abstimmung über Loslösung erklärt – das ganze nächste Jahr wird demnach davon geprägt sein.

Wenn Großbritannien am 21. Mai im Zeichen des Zwillings zum G7-Gipfel in Hiroshima erscheint, wird es das am meisten wirtschaftlich (und politisch) gebeutelte Land der Runde sein. Der Europäische Rat wird sich fünfmal dieses Jahr treffen – in der ersten Jahreshälfte wird Schweden die Ratspräsidentschaft innehaben, in der zweiten Spanien.

Der Klimawandel schreitet voran

Auch dieser Sommer wird wieder von Dürren und Hitzewellen geprägt sein – der fortschreitende Klimawandel macht diese zehn Mal wahrscheinlicher als früher. Im Zeichen der Jungfrau, wenn die UN Generalversammlung zum 78. Mal in New York tagt, wird auch dies wieder ein Thema sein, aber noch viel mehr zwei Monate später, wenn COP28 im Skorpion in Dubai stattfindet. Zeitlich wird dort das erste Wasserstoff-betriebene „Fliegende Boot“, der Jet, präsentiert.

Neuerungen gibt es auch anderswo: Argentinien eröffnet die Expo 2023 im Oktober, die Türkei schickt im Sommer ihren Satelliten Türksat 6A (in Kooperation mit SpaceX) ins All, und die NASA Mission OSIRIS-REX kehrt im September zurück zur Erde.

Historische Ereignisse jähren sich dieses Jahr und werden damit auch die Debatte beeinflussen: die Entstehung der Republik Türkei (100 Jahre), das Ende der Rassentrennung im amerikanischen Militär (75 Jahre), das Ende des Vietnamkriegs und der Jom Kippur Krieg (50 Jahre) und das Karfreitagsabkommen, das den irischen Bürgerkrieg beendete (25 Jahre).

Florence Gaub ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Militärexpertin. Bis Ende 2022 war sie Zukunftsberaterin für den Europäischen Rat und leitet jetzt das von ihr gegründete Beratungsinstitut Futurate mit Sitz in Paris.

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