Themenschwerpunkte


Wenn das BMBF vor Soziologen in die Knie geht 

Wenig länger als der Zeitraum eines bösen Hangovers: von Freitagmorgen kurz vor neun bis Sonntag um fünf Uhr nachmittags dauerte es, bis die neue Bildungsstaatssekretärin Sabine Döring nach einem moderaten Shitstorm auf Twitter den Referentenentwurf des Wissenschaftszeitvertragsgesetze zurück in den Maschinenraum beorderte. Die vormalige Philosophie-Professorin twitterte, dass sie bedingt durch ihre erst jüngst erfolgte Berufung jetzt auch daran mitarbeiten könne. 

WissZeitVG: Einknicken unnötig 

Liebe Ex-Kollegen/-innen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, bitte aufpassen und jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Das empfiehlt ein in Twitterschlachten erfahrener Experte. Das, was sie erlebt haben, das war kein Tornado, sondern ein April-Wasserguss. Ein so bedingungsloses Einknicken vor diesem war und ist unnötig, ja politisch hochriskant. Denn die Gefahr ist groß, sich voreilig von bestimmten Interessensgruppen vereinnahmen lassen!  

Die Kritik am #Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat ihre Schlagseite. Schon #IchbinHanna und jetzt erst recht die Unterschriftenliste #ProfsfürHanna haben einen massiven Bias. Sie werden überwiegend von der Fachkultur Sozialwissenschaften insbesondere der Soziologie dominiert. Da hätte ich keine Einwände, wenn es transparent wäre, vielleicht sogar nach Fachkulturen differenziert. Derzeit studieren von den über 2,9 Millionen immatrikulierten Studenten circa 41.000 Soziologie. Selbst wenn man unsachgemäß Hunderttausende Sozial- und Geisteswissenschaftler dazu rechnen würde, wären es meiner Schätzung nach nur knapp ein Fünftel der Studierenden. 

Auch bei der Fachkultur der Promovierenden dominieren nicht die Sozialwissenschaften. 

Protest gegen das WissZeitVG bedient Einzelinteressen 

In Baden-Württemberg beispielsweise begannen 2021 gut 43 Prozent ihre Promotion in einem MINT-Fach. Mehr als ein Drittel (34 Prozent) strebte einen Abschluss in der Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften an. Knapp 12 Prozent entschieden sich für ein Fach der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 7 Prozent für ein geisteswissenschaftliches Fach. Alle anderen Fächergruppen kamen zusammen auf knapp 4 Prozent der Promotionsanfängerinnen und -anfänger.      

Überall wird sichtbar, dass mit der aktuellen Kampagne Partikular-Interessen bedient werden. Damit treffe ich noch keine Aussage, ob berechtigt oder nicht. Die lautstarke Agitprop-Fähigkeit, der sogenannten „weichen“ Fächer steht in keinem Verhältnis zu ihrem proportionalen Anteil. Übrigens sind diese Fächer in der GEW wie in politischen Parteien links der Mitte ebenfalls überproportional vertreten. Auch Andreas Keller, Vorstand der GEW zuständig für Hochschule und Forschung, entstammt dieser Fachkultur. Auf Social Media antwortete er mir auf diese meine Argumente, nein, die Minderheit seien die Unibosse. Schade, es gab einige Jahre, in denen wir sehr konsensual miteinander umgingen. Aber das Blasen einer Kampagnen-Posaune macht oft taub für andere Realitäten.     

Wie so oft schweigt die übergroße Mehrheit. Sind #MINT -Disziplinen und andere Disziplinen etwa anspruchsloser oder gar zufriedener? Ich bin so frei zu sagen, dass die Wetterfestigkeit, die Souveränität und die Zukunftsfähigkeit dieser Nation im Augenblick deutlich mehr von den harten als den weichen Fächern abhängt.  

Es braucht crosssektorale Laufbahn-Beratung 

Innovating Innovation: Ein neues Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird sich immer in Zielkonflikten bewegen. Zwischen dem berechtigten Interesse derer, die eine Wissenschaftskarriere verfolgen wollen, dem nach einer deutlich stabileren Lebensplanung, dem der Generationen-Gerechtigkeit für die danach kommenden Generationen an Forschenden, die ihre Entwicklungswege nicht auf Jahre zugesperrt erleben wollen, dem der Hochschulen nach Flexibilität in der Personaldisposition und dem Interesse vieler Stakeholder, dass Hochschulen durch ständige Mobilität nach draußen und nach drinnen innovationsstark bleiben können. Wir brauchen ein Befristungsrecht, das sich nicht an den dogmatischen Wünschen einer Fachkultur orientiert, sondern die ganze Bandbreite im Blick hat, vor allem aber die Zielkonflikte ausbalanciert. Und dafür fand ich den Referentenentwurf so schlecht nicht.  

Nur eines fehlte. Ich habe zum Beispiel immer davon gesprochen, dass es in frühen Semestern crosssektorale Laufbahn-Beratung geben muss. Vielleicht ist das in manchen Disziplinen besonders nötig und weniger bei MINT. Ich kenne viele Sozial -Wissenschaftler/-innen, die gar nicht wussten, dass es auch in der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft nicht wenige solcher Karrierepfade für sie gibt. Und sozial-wissenschaftliche Kompetenz ist dort dringend nötig!  

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