What’s cooking in Paris: Macrons Cordon bleu

Von Claire Stam
Schwarz-weiß Portrait von Claire Stam

Cordon bleu Pariser Art oder eine Anekdote, die in die Annalen des politischen Gedächtnisses einging: Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2017, genauer am Sonntag des ersten Wahlgangs, genehmigten sich der Kandidat Emmanuel Macron und sein Team eine Mittagspause auf einer Autobahnraststätte. Welches Gericht wählen sie? „Ich mag Cordon bleu“, sagte Emmanuel Macron. Die Kellnerin wendet ein: „Das gehört zum Kindermenü…“.

In diesem politischen Herbst wird Emmanuel Macron jedoch zwischen disruptivem Menü und Wahlkampfküche wählen müssen. Bevor wir mit der politischen Küche Frankreichs fortfahren, sei an dieser Stelle daran erinnert, dass der Ministerrat die Formation ist, die jede Woche – in der Regel am Mittwoch – alle 16 Minister unter dem Vorsitz des Staatsoberhauptes zusammenbringt.

Er ist eines der Elemente, die es dem Staatsoberhaupt ermöglichen, die Ausarbeitung und Umsetzung der Regierungspolitik zu überwachen und einer Reihe wichtiger Entscheidungen seine Zustimmung zu geben – oder zu verweigern. Ganz allgemein ermöglicht es dieser Rat dem Staatsoberhaupt, Diskussionen, an denen die gesamte Regierung beteiligt ist, durch seine Ansichten zu prägen. Die prunkvollen Empfangssäle, in denen die Regierungsmitglieder im Elysée-Palast empfangen werden, wetteifern mit dem hohen Grad an Formalitäten, der dort herrscht – und mit der Langeweile.

Aber das war Teil der Welt von früher, der Welt vor den Parlamentswahlen im Juni, bei denen Emmanuel Macrons politische Formation eine meisterhafte Wahlklatsche einstecken musste – und die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verlor. Neben dem Verlust der absoluten Mehrheit hat seine Partei fast die Hälfte ihrer Mandate verloren hat: Zum Amtsantritt Macrons 2017 war La République en Marche (LREM) mit 314 Abgeordneten in die Assemblée Nationale eingezogen, 2022 muss sie sich unter dem neuen Namen Renaissance mit 170 Sitzen begnügen. Die Nationalversammlung besteht aus insgesamt 577 Abgeordneten.

Politische Blockaden en masse

In einem so zentralisierten Land wie Frankreich haben die politischen Akteure und Beobachter plötzlich die Notwendigkeit der Kompromissfindung entdecken müssen, eine Vorgehensweise, die in der französischen Politik wie ein UFO wirkt. Die Frage ist nur, wie lange sich diese für Frankreich so fremde Kompromisskultur halten kann. Denn es ist eine Tatsache: Emmanuel Macrons Gegner, mit denen man parlamentarische Kompromisse finden könnte, sind nicht zahlreich genug, um ihm eine stabile und dauerhafte fünfjährige Amtszeit zu garantieren.

Denn in seinem Streben nach Macht hat der derzeitige französische Präsident seine politischen Gegner am rechten und linken Rand des politischen Spektrums geschwächt. Seine Strategie hat es ihm zwar ermöglicht, wiedergewählt zu werden, aber sie hat auch den beiden Extremen geholfen und sie hörbar gemacht. Auf diese Weise wird die Hypothese einer Blockade, die zur Auflösung der Nationalversammlung führen soll, in diesem Kontext besonders glaubwürdig.

Und an Gründen für eine politische Blockade wird es nicht mangeln: ein Gesundheitssystem am Rande des Abgrunds, der immer lauter werdende Unmut der Lehrer und die galoppierende Prekarität der Studenten, die Inflation und die steigenden Energiepreise, die Rentenreformen etc. Und das alles zu einer Zeit, in der das Land eine beispiellose Dürre und Brände erlebt hat.

Was bedeutet das also für Deutschland und die Europäische Union? Deutschland wie die EU sollten sich auf zwei unterschiedliche Phasen in der zweiten Amtszeit Macrons einstellen, stellen Ronja Kempin und Julina Mintel von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer neuen Analyse fest. In der ersten Zeit wird der Präsident eine Politik der Reformmehrheiten betreiben, mit dem Ziel, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen und sich eine gute Ausgangsposition für Neuwahlen zu sichern. „Entsprechend wird Macron in dieser Phase sehr viel politische Energie darauf verwenden, innenpolitische Kompromisse auszuhandeln – und dafür auch von seinem Versprechen abrücken, Frankreichs Staatsschulden abzubauen“, schreiben die beiden Wissenschaftlerinnen.

Macrons Nachfolgerin könnte Marine Le Pen heißen

Das bedeutet, Emmanuel Macron wird in der EU dafür werben, weitere Konjunkturpakete zu schnüren und neue Fonds zu entwickeln sowie sich für eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einsetzen, um mehr finanziellen Spielraum für seine innenpolitischen Reformvorhaben zu gewinnen. „Konflikte mit Berlin sind in dieser Phase also programmiert, wenn Berlin sich weigert, die Maastricht-Kriterien weiterhin auszusetzen oder zu reformieren“, schreiben die zwei Analystinnen. „Doch die Bundesregierung sollte stets im Hinterkopf behalten, dass Macron im Verlauf seines Mandats gezwungen sein wird, die Nationalversammlung aufzulösen, um eine innenpolitische Blockade zu umgehen.“

Falls erfolgreich, dann hätte er in der zweiten Phase seiner Amtszeit mehr Spielraum, sich den Zukunftsfragen der EU zuzuwenden – der Europäischen Politischen Gemeinschaft, der Autonomie der Union, dem Frieden in Europa. „Um diese Themen im deutsch-französischen Gleichklang zu bearbeiten, sollte die deutsche Europapolitik für sich das Ziel formulieren, dass Emmanuel Macron seine innenpolitische Reformagenda realisieren kann. Um den wachsenden sozialen Unterschieden in seinem Land entgegenzuwirken, bedarf Macron Berlins Unterstützung. Es wäre wichtig, dass sich die Bundesregierung klar zur Autonomie der EU in der Gesundheits- und Energiepolitik bekennt und Impulse zugunsten einer einheitlichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik setzt“, betonen sie.

Und schlussfolgern: „Es mag wohlfeil klingen, doch ist es wahrscheinlicher als je zuvor: Sollte Macron scheitern, dürfte seine Nachfolgerin 2027 Marine Le Pen heißen. Sie befindet sich seit den Parlamentswahlen im Juni in einer sehr komfortablen Machtposition – die in den kommenden Monaten durch eine rigide deutsche Europapolitik nicht noch weiter gestärkt werden sollte“.

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