Weshalb Daten-Geiz ins digitale Abseits führt

Von Henning Vöpel und Stephan Biallas
Stephan Biallas (l.) ist Leiter der Mittelstandsberatung bei EY für Zentral- und Westeuropa, Henning Vöpel ist Direktor des Centrums für Europäische Politik (cep).

Ihrem Wettbewerber die eigenen Daten überlassen? Was sich wie eine sozialistische Utopie oder eine digitale Dystopie anhört, wird in der EU schon bald regulatorische Realität. Alle Daten, die durch Nutzung vernetzter Produkte, etwa Autos, Smart Consumer Electronic oder Haushaltsgeräte, entstehen, müssen demnächst zugänglich gemacht werden.

Die Kommission will Herstellern vernetzter Produkte und Erbringern verbundener Dienste eine Datenteilungspflicht auferlegen. Was heißt das konkret? Sie als Hersteller müssen gegenüber Geschäftspartnern und Kunden sowie den von diesen beauftragten Drittunternehmen Ihre Daten bereitstellen. Die EU möchte mit diesem regulatorischen Eingriff die europäische Datenwirtschaft und den digitalen Wettbewerb dadurch voranbringen, dass der Austausch und die Nutzung dieser Daten erleichtert wird. Dies gilt übrigens auch für nicht in der EU ansässige Unternehmen, die ihre vernetzten Produkte in der EU vertreiben – wie Sprachassistenten oder Smart Watches. Somit werden diese Anbieter erstmals gesetzlich zu umfassender Transparenz der durch ihre Produkte generierten Daten verpflichtet.  

Produkt und Nutzung werden gläsern

Was bedeutet das für ein Unternehmen, das in Zukunft compliant sein will? Sie müssen Daten in strukturierter und lesbarer Form zur Verfügung stellen. Ihr Produkt und dessen Nutzung wird somit gläsern, auch für Ihre Wettbewerber, und Sie verfügen nicht mehr allein und ausschließlich über „Ihre“ Daten. Dieser Kontrollverlust mag für viele Unternehmen zunächst bedrohlich klingen. Tatsächlich aber bietet er gleichzeitig immense Chancen für neue Geschäftsfelder und innovative Geschäftsstrategien. Dies sei an einem Beispiel aus der Haushaltsgerätebranche erläutert:  

Hersteller A, unser „passives Subjekt„, entscheidet sich aufgrund des Data Act, nur noch möglichst wenig Daten (zum Beispiel Betriebsstunden) zu generieren, um seinen Wettbewerbern dadurch möglichst wenig Einblick in sein Produkt, dessen Design und Eigenschaften geben zu müssen. Hersteller B, unser „innovativer Gestalter“, erfasst dagegen nun noch umso detailliertere Betriebsdaten und stellt diese gemäß Data Act zur Verfügung.

Geschäftsmodelle der Datenökonomie

Es ist nicht schwer zu erraten, welcher der beiden Hersteller in einer zukünftigen Datenökonomie attraktiver für Kunden, Vertriebs- und Servicepartner und sogar seine eigene Entwicklungsabteilung ist. Nicht derjenige, der sich ins digitale Schneckenhaus zurückzieht, sondern derjenige, der sich offensiv für Daten-Partnerschaften anbietet. Es seien nur einige denkbare Vorteile und neue Geschäftsfelder für Hersteller und deren Handelspartner genannt:

  • der Kunde kann das Ausfallrisiko seines Gerätes verringern, indem er einen günstigen, auf „predictive maintenance“ basierenden Wartungsvertrag eines Serviceanbieters abschließt
  • sollte es zu einem Defekt kommen, so kann der Kunde basierend auf den Daten des Fehlerspeichers des defekten Gerätes, die er auf eine entsprechende Reparaturplattform stellt, den Reparaturauftrag seines Gerätes verauktionieren
  • die Daten ermöglichen dem Kunden ferner ein hohes Maß an Bequemlichkeit und die Nutzung von Preisvorteilen bei der Beschaffung von Verbrauchsmaterialien, etwa durch eine bedarfsorientierte automatische Nachbestellung von Waschmittel
  • es ergeben sich zahlreiche Chancen für nachhaltigeres und ressourcenschonenderes Handeln im Zusammenspiel zwischen den Kunden, Servicepartnern und dem Hersteller durch Datenpartnerschaften. Daten werden zum entscheidenden Treiber der Nachhaltigkeitsstrategie  

Die Digitalisierung wird neue Ökosysteme hervorbringen, in denen es zu Mischformen aus Daten-Wettbewerb und Daten-Kooperation kommt. Der Data Act beschleunigt diese Entwicklung. Rhetorische Frage: Welche Rolle wollen Sie in diesem neuen Umfeld spielen – die des passiven Mitschwimmers als bloßer Datenlieferant, des aktiven Gestalters oder vielleicht sogar eines strategischen Investors, der zum zentralen Akteur in datenbasierten Ökosystemen wird? Die intuitive Reaktion auf den Data Act ist also grundfalsch: Statt mit Daten zu geizen, ist es viel besser, offensiv die Chancen des Data Act zu nutzen.

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