
Das französische Loi de Vigilance (LdV) ist das erste Gesetz seiner Art weltweit: Seit 2017 ist es in Kraft und verpflichtet große französische Unternehmen, menschenrechtliche Sorgfalt in ihren globalen Wertschöpfungsketten walten zu lassen. Die verpflichteten Unternehmen müssen Pläne zum Umgang mit Menschenrechts- und Umweltrisiken weltweit in ihrer gesamten Wertschöpfungskette erstellen und veröffentlichen. Bei Verstößen gegen diese Pflicht können Betroffene vor französischen Zivilgerichten klagen, Nachbesserung verlangen und, sofern eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und einem Schaden besteht, auch Schadensersatz verlangen.
Das erste Urteil nach diesem Gesetz zeigt nun: Allein ein gutes Gesetz verhilft den Menschen, denen es nutzen soll, nicht unbedingt zu ihrem Recht. Es kommt auf die Anwendung und Auslegung eines Gesetzes an.
Mega-Ölpipeline mit verheerender Klimabilanz
2019 reichten zwei französische und vier ugandische Organisationen die erste Klage nach dem LdV ein. Sie richtete sich gegen die französische Ölfirma Total wegen einer Vernachlässigung ihrer menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten bei ihrer Mega-Ölpipeline Eacop (East African Crude Oil Pipeline) in Uganda und dem Tilenga Projekt in Tansania.
Die längste beheizte Ölpipeline der Welt, die Total gemeinsam mit Staatsfirmen aus China, Uganda und Tansania baut, soll die Ölfelder im Westen Ugandas und insbesondere Ölquellen im ugandischen Naturschutzgebiet Murchison Falls mit dem Indischen Ozean verbinden. Für Total und seine Partner geht es um eine Milliarde Barrel Rohöl mit einem aktuellen Wert von 80 Milliarden US-Dollar. Klimaforscher haben berechnet, dass der Klimaabdruck des Projektes in seiner gesamten Laufzeit 25-mal so viel sein wird wie die derzeitigen CO₂-Jahresemissionen von Uganda und Tansania zusammen.
Kläger forderten Entschädigung
Die Kläger werfen TotalEnergies vor, für die Pipeline mehr als 100.000 Menschen von ihrem Land ohne angemessene Entschädigungen vertrieben und ohne Rücksicht auf die in dem Naturschutzgebiet lebenden bedrohten Arten agiert zu haben. Sie machten geltend, dass das Gericht Total verpflichten müsse, seine bestehenden Pläne zur Öl-Förderung und Pipeline entsprechend der Pflichten nach dem LdV zu gestalten und adäquate Maßnahmen zum Umgang mit den menschenrechtlichen Risiken zu treffen.
Außerdem sollte Total Entschädigungen an betroffene Gemeinschaften zahlen. In einem zivilrechtlichen Eilverfahren sollte das Gericht das Projekt aussetzen, solange die damit verbundenen Risiken nicht korrekt identifiziert und die nötigen Maßnahmen zur Beendigung von Menschenrechtsverletzungen und zur Verhinderung einer Umweltkatastrophe nicht umgesetzt sind.
Abweisung der Klage aus formalen Grünen
Am 28. Februar 2023 wies das Gericht in Paris die Klage in diesem Eilverfahren ab. Es begründete seine Entscheidung mit formellen Argumenten. Die klagenden Organisationen hätten nicht das Verfahren eingehalten, weil sie nicht nach Klageeinreichung immer wieder eine formale Beschwerde gegen neu erstellte Sorgfaltspläne des Unternehmens einreichten und gleichzeitig in der mündlichen Verhandlung Ende 2022 Tatsachen vorbrachten, die sich nach 2019 ereignet hätten.
Im Übrigen könne das Gericht im Eilverfahren nur prüfen, ob das Unternehmen überhaupt Sorgfaltspläne nach dem LdV aufgestellt habe, was im konkreten Fall geschehen sein. Ob diese Pläne den inhaltlichen Anforderungen des Ldv genügen, müsse in einem ordentlichen Verfahren geklärt werden.
Fokus auf Sorgfaltspflichtenplan
Dieses Urteil wirft die Frage auf: Sind französische Gerichte in der Lage, mit den Problemen globaler Wertschöpfungsketten umzugehen? Oder haben die NGO überspannte Erwartungen, wie der Anwalt von Total nahelegt, wenn er behauptet, dass sie eine „marxistische“ Auslegung des Gesetzes anstreben.
Das Gericht berücksichtigt in seiner Entscheidung nicht den internationalen Rahmen, in dem das Gesetz entstanden ist. Das LdV ist ein Gesetz, das internationale Standards menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen in nationales Recht umsetzt. Nach den VN-Leitprinzipien geht es darum, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um menschenrechtliche Risiken zu verhindern und zu minimieren.
Es geht nicht darum, einfach nur einen Sorgfaltspflichtenplan zu erstellen. Mit der Fokussierung auf die Erstellung eines Sorgfaltsplans formalisiert das Gericht eine Pflicht, in der es um ein Bemühen um die im spezifischen Kontext am meisten angemessene Maßnahmen geht.
Eilverfahren sollte präventiv wirken
Sinn und Zweck von Sorgfaltspflichtgesetzen wie dem LdV ist es, präventiv zu wirken, Menschenrechtsverletzungen also zu verhindern. In der Auslegung des Pariser Gerichts kann das Eilverfahren, das eigentlich ebenso präventiv wirken soll, eben gerade keine aufschiebende Wirkung in der Hauptsache entfalten. Das ganze Verfahren läuft damit praktisch leer.
Die Klagenden können nun einerseits gegen diese Entscheidung im Eilverfahren in die zweite Instanz gehen, was einige Jahre dauern wird. Oder sie können versuchen, im Hauptverfahren doch noch Recht zu bekommen. Aber auch dieses wird seine Zeit brauchen. Bis es ein endgültiges Urteil gibt, wird das Pipelineprojekt wohl voll funktionsfähig und der Schaden an Umwelt und für sehr viele Menschen bereits geschehen sein.
Miriam Saage-Maaß ist Juristin und Legal Director beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), wo sie den Programmbereich für Wirtschaft und Menschenrechte aufgebaut hat. Sie hat an verschiedenen Gerichtsverfahren gegen Unternehmen im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Arbeitern in Bangladesch und Pakistan mitgearbeitet.