
Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Net-Zero Industry Act zielt darauf ab, die Treibhausgasemissionen im Industriesektor bis 2050 auf Null zu reduzieren. Bis 2030 sollen mindestens 40 Prozent der EU-Nachfrage nach sauberen Technologien in Europa selbst gedeckt werden. Die Regulierung wird die Mitgliedstaaten verpflichten, nationale Pläne zur Dekarbonisierung der Industrie zu entwickeln. Sie wird auch die Entwicklung von Technologien zur Carbon Capture and Storage (CCUS) unterstützen, indem sie das Ziel setzt, bis 2030 jährlich 50 Millionen Tonnen CO₂ zu speichern.
Wissenschaftliche Bewertung der Trends fehlt
Diese Regelung soll eine Antwort auf den amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) sein und ist Teil des europäischen Green Deals, der darauf abzielt, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Leider lässt sich aus der europäischen Strategie keine klare Vision herauslesen und, noch schlimmer, ihre Fristen und ihre Ausführung sind wenig glaubwürdig.
Die Ziele wurden festgelegt, ohne dass eine wissenschaftliche Bewertung der Erreichbarkeit mit neuen Technologien vorgenommen wurde. Politische Leitlinien sind wichtig, aber sie müssen auf Fakten basieren.
Massive technologische Offensive fehlt
Die Ziele sind entweder unklar (was soll etwa „saubere Technologien aus heimischer Produktion“ konkret bedeuten?), unrealistisch (beim derzeitigen Stand der Technik wissen nur wenige Industriezweige, wie sie Netto-Null-Emissionen erreichen sollen) oder nicht ehrgeizig genug (das Gesamtziel für CCUS entspricht nur 1,5 Prozent der Gesamtemissionen der EU).
Es gibt auch kein Umsetzungskonzept („Execution is everything“) und es fehlt eine massive wissenschaftliche und technologische Offensive, die darauf abzielt, neue bahnbrechende Technologien zu entwickeln, aber auch die Reifung und Kostenreduzierung bestehender sauberer Technologien zu beschleunigen. Das Beispiel des grünen Wasserstoffs, der derzeit drei- bis viermal mehr kostet als CO₂-emittierender grauer Wasserstoff, zeigt, dass die ,Grünen Zusatzkosten‘ nicht frontal angegangen werden.
IRA mit einfachem Plan
Im Gegensatz dazu hat der IRA einen sehr einfachen Ausführungsplan: die „grüne Prämie“ für kohlenstoffreduzierende Technologien und Investitionen zu senken – unter der Bedingung, dass sie in den Vereinigten Staaten realisiert werden.
Der IRA hat eine klare protektionistische Komponente, aber soll als Beschleunigung der Energiewende gefeiert werden. Dies ist dem Green Deal bisher nicht gelungen, wobei man dazu sagen muss, dass die genauen Daten fehlen, um ihn abschließend zu bewerten. Es zeigt sich aber schon jetzt das übliche Problem der EU-Politik, sich auf Investitionspläne zu konzentrieren, anstatt auf eine präzise und unabhängige Ergebnisbewertung.
Sowohl die europäischen als auch die US-amerikanischen Pläne bleiben dennoch weit von einer echten innovativen Industriepolitik entfernt. Bei JEDI – der Joint European Disruptive Initiative – argumentieren wir, dass sie von drei Säulen getragen werden muss:
- einer sehr ehrgeizigen, aber glaubwürdigen Vision, die durch verschiedene Antizipationsszenarien je nach Technologie und industriellen Skalierungsoptionen gestützt werden muss.
- einem Förderprogramm, das gesellschaftlich und strategisch missionsorientiert sein muss, und nicht technologie- oder branchenspezifisch. Das letztere würde zu Protektionismus, einer Logik des „Pick the Winner“ und notorisch schlechten öffentlichen Direktinvestitionen führen.
- einer strategischen Nutzung des öffentlichen Beschaffungswesens, die mit den Regeln des internationalen Handels vereinbar bleibt, aber klare Klima- und Dekarbonisierungsziele vorgibt. Dazu müssen die technologischen Kompetenzen der öffentlichen Beschaffer gestärkt, der Prozess zur Anpassung an immer kürzere Innovationszyklen massiv agiler gestaltet und der Fokus auf die realen Auswirkungen auf Bürger und Gesellschaft gelegt werden.
Wir brauchen einen radikalen Wandel in der Arbeitsweise der EU, damit Europa auch im 21. Jahrhundert relevant bleibt.