What’s cooking in Strasbourg

Von Claire Stam
Schwarz-weiß Portrait von Claire Stam

Die Taxonomie ist ein bisschen wie die Sauerkrautplatte, ein durchaus uriges elsässisches Gericht: Alles hängt von der Auswahl der Zutaten ab. Und die Europaabgeordneten müssen nächste Woche entscheiden, woraus die Taxonomie bestehen soll, dieses Finanzinstrument, das darauf abzielt, wirtschaftliche Aktivitäten nach ihren positiven Auswirkungen für Umwelt und Klima zu klassifizieren. Dabei werden sie für oder gegen den Delegierten Rechtsakt der Europäischen Kommission stimmen, der vorsieht, fossiles Gas und Atomenergie in die Klassifizierung nachhaltiger Investitionen aufzunehmen (Europe.Table berichtete). In ihrer Argumentation betrachtet die EU-Exekutive Gas und Atomkraft als Übergangsbrennstoffe auf dem Weg zu einem klimaneutralen Europa.

Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass der Vorschlag Atomkraft und Erdgas in die Taxonomie aufzunehmen bei Umweltorganisationen und bei einer Reihe von EU-Parlamentariern für einen Aufschrei gesorgt hat (Europe.Table berichtete). Zum einen, weil das gewählte Verfahren, der delegierte Rechtsakt, de facto Verhandlungen ausschließt: Nicht wenige Europaabgeordnete fühlten sich von der Kommission überrumpelt. Zum anderen, weil die Glaubwürdigkeit des Instruments auf dem Spiel steht, wenn sie eine Energiequelle das grüne Siegel gibt, die den Krieg in der Ukraine nährt.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat die Brisanz der Situation erkannt. In einem Brief an die deutsche Europaabgeordnete Viola von Cramon (Grüne) fordert er das Europäische Parlament auf (Europe.Table berichtete), den zweiten Delegierten Rechtsakt abzulehnen und bezog sich dabei auf die „sicherheitspolitische Bedeutung“ des Votums. Der vorliegende Vorschlag würde den Bau von Gaskraftwerken fördern, während LNG-Terminals als nicht förderfähig gälten – russisches Gas würde dementsprechend „klar favorisiert“. Dies wäre inmitten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein „fatales Signal“, heißt es in dem Brief.

Formal haben das Europäische Parlament und der Rat bis zum 11. Juli Zeit, um zu entscheiden, ob sie ein Veto gegen den Vorschlag der Kommission einlegen oder nicht. Im Rat ist es so gut wie sicher, dass die Mitgliedstaaten grünes Licht geben werden.

Atomkraft in EU-Taxonomie: Nein im Plenum unwahrscheinlich

In Frankreich zum Beispiel sind die Gelder, die durch die Anwendung der Taxonomie generiert werden können, unerlässlich, um die französischen Nuklearambitionen zu verwirklichen. EDF ist bereits hoch verschuldet und muss im Zeitraum 2014 bis 2030 100 Milliarden Euro in sein „Grand Carénage“-Programm investieren (Europe.Table berichtete), mit dem die Lebensdauer der Kraftwerke verlängert werden soll. Seine Pläne für neue EPR-Reaktoren, die noch nicht ganz fertig sind, könnten zwischen 52 und 64 Milliarden Euro kosten. Gas wiederum findet seine Befürworter vor allem in Deutschland.

Auf der Seite der EU-Parlamentarier ist hingegen die Situation nicht so klar. Zur Erinnerung: Wenn eine absolute Mehrheit von mindestens 353 Abgeordneten den Vorschlag ablehnt, muss die Kommission ihn zurückziehen oder ändern.

Wie stehen also die Chancen, dass die Europaabgeordneten den höchst umstrittenen Rechtsakt kippen? Der Flurfunk deutet darauf hin, dass eine große Anzahl von Abgeordneten noch unentschlossen ist. Am 14. Juni lehnten die Ausschüsse Envi und Econ des Europäischen Parlaments den Vorschlag der Kommission mit 76 zu 62 Stimmen ab, bei 4 Enthaltungen (Europe.Table berichtete). Damit unterstützten die Europaabgeordneten eine Resolution, die von Abgeordneten aus fünf verschiedenen Fraktionen (EVP, Renew, S&D, Grüne und Linke) vertreten wurde.

Doch Pascal Canfin, der einflussreiche Vorsitzende des Umweltausschusses (Europe.Table berichtete), hält ein Nein im Plenum für unwahrscheinlich. Und das aus zwei Gründen: Die Gegner der beiden umstrittenen Energien müssten eine absolute Mehrheit erreichen, während die Abstimmung in den Ausschüssen nur eine einfache erfordern würde. „Jeder, der nicht anwesend ist, geht zulasten des Erreichens der Mehrheit“, sagte der Renew-Abgeordnete. Außerdem seien die osteuropäischen Länder, die beide Energien befürworteten, im Plenum viel stärker vertreten als in den beiden Ausschüssen. „Die Balance ist sehr unterschiedlich.“

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