
Klimaneutralität bis 2050 sei „absolut realisierbar“, schreibt Mads Nipper, CEO von Ørsted, im Standpunkt. Doch dazu seien konkrete Schritte nötig, die Regierungen und Unternehmen jetzt gehen müssten.
Beim Kampf gegen den Klimawandel gibt es ermutigende Zeichen des Fortschritts. Tausende von Unternehmen haben sich der Race to Zero-Kampagne angeschlossen, und die Länder haben ihre national festgelegten Beiträge (NDCs) entsprechend dem Pariser Klimaabkommen von 2015 verstärkt. Aber immer noch klafft zwischen guten Absichten und sinnvollen Taten eine erhebliche Lücke: Wie die jüngsten Untersuchungen des Climate Action Tracker zeigen, wird die aktuelle staatliche Politik bis Ende des Jahrhunderts vermutlich zu einer Erwärmung von 2,9 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau führen – erheblich mehr als das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 1,5 Grad.
In diesem klimapolitischen Jahrzehnt wird die Klimakonferenz (COP26) der Vereinten Nationen im November zu einer Nagelprobe für die weltweiten Bemühungen. Das Ziel, bis 2050 eine Gesellschaft mit Nettonullemissionen aufzubauen, ist ehrgeizig und herausfordernd, aber es ist absolut realisierbar.
Da die Erzeugung und Verwendung von Energie für etwa 73 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich ist, ist ein Erfolg in diesem Sektor unsere beste Chance, einen Quantensprung Richtung Nettonull zu erreichen. Es ist gut dokumentiert, dass die Kosten erneuerbarer Energien – insbesondere für Sonnen- und Windenergie – im letzten Jahrzehnt stark gefallen sind, was die Erneuerbaren in über zwei Dritteln der Welt zur günstigsten Energiequelle macht. Aber warum kommt dann die Energiewende so langsam voran?
Enge Partnerschaften mit privaten Akteuren
Einfach ausgedrückt wird der grüne Wandel durch einen Mangel an angemessenen regulatorischen und institutionellen Rahmenbedingungen und Maßnahmen verzögert, die dazu dienen, die richtigen Marktsignale zu senden. Darüber hinaus müssen die Regierungen Ziele und Marktinstrumente für erneuerbare Energien einführen, die den Weg hin zur Risikominderung, zu besseren Planungs- und Genehmigungsprozessen sowie zu Investitionen in moderne Stromnetze und Infrastruktur bereiten.
Die Energiewende wird erhebliche Investitionen benötigen – laut einer Schätzung der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien von heute bis 2050 in Höhe von 131 Billionen Dollar. Da der größte Teil dieser Investitionen wohl durch den privaten Sektor erfolgt, werden enge Partnerschaften zwischen öffentlichen und privaten Akteuren entscheidend dafür sein, die nötige Größenordnung zu erreichen.
Die Regierungen können sich zu ehrgeizigen, verbindlichen Klimamaßnahmen und Zielen für erneuerbare Energien verpflichten, um den Investoren und dem Markt zu signalisieren, dass die Energiewende sowohl jetzt als auch langfristig Priorität hat. Verbinden wir diese Ziele mit den richtigen Märkten und Vertragsformen, können wir das Potenzial neuer Projekte erhöhen, private Investitionen auf sich zu ziehen.
Die zunehmenden Investitionen in erneuerbare Energien müssen auch so gestaltet werden, dass der Wandel in Harmonie mit Mensch und Natur stattfinden kann. Um zu gewährleisten, dass die entsprechenden Vorteile – wie die Schaffung guter Arbeitsplätze – allen Teilen der Gemeinschaft zugutekommen, ist es entscheidend, frühzeitig lokale Akteure zu beteiligen. Ebenso wichtig ist es, Nachhaltigkeit ins Zentrum des Wandels zu stellen, etwa in Bezug auf die Artenvielfalt.
Wind- und Solarenergie allein reichen nicht
Außerdem müssen die Regierungen gewährleisten, dass die Leasing-Verträge für Meeresflächen zum Bau von Offshore-Windanlagen verfügbar, bezahlbar und verlässlich sind. Wollen wir die Ziele des Pariser Abkommens erreichen, muss der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung achtmal schneller steigen als momentan.
Und schließlich müssen die Regierungen sicherstellen, dass die Systeme erneuerbarer Energien modern und zukunftssicher sind. Wind- und Solarkraftprojekte bekommen in den Medien die meiste Aufmerksamkeit, aber Investitionen zur Verbesserung und Erweiterung der Stromnetze innerhalb einzelner Rechtsräume und zwischen ihnen sind ebenso wichtig. Diese Infrastruktur ist nicht nur entscheidend für den Transport und die Verteilung von Strom dorthin, wo er benötigt wird, sondern macht das Energiesystem auch flexibler und resilienter.
Mit Wind- und Solarenergie können wir – gemeinsam mit erweiterter Elektrifizierung – den größten Teil des Weges hin zu unseren Dekarbonisierungszielen gehen; aber diese Technologien allein werden nicht ausreichen. Für schwer zu dekarbonisierende Sektoren wie Schwertransporte, Stahl oder Ammoniak – die für etwa 20 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sind – müssen große Mengen Wasserstoff und grüne Energieträger verfügbar gemacht werden.
Ähnlich wie bei der Offshore-Windkraft können die Kosten für Wasserstoff und erneuerbare Energieträger durch Industrialisierung und großflächige Produktion verringert werden. In einem Weißbuch über „Power-to-X“ (Prozesse, die Strom in andere Energieträger umwandeln) empfehlen wir den Regierungen, regulatorische Rahmenbedingungen einzuführen, um Pilotprojekte zu fördern, Power-to-X-Einrichtungen in die Infrastrukturplanung zu integrieren und die Bereitstellung erneuerbarer Energien zu beschleunigen, um stabile und günstige Energie für die nachhaltige Herstellung sauberen Wasserstoffs bereitzustellen.
Konkrete Maßnahmen von Unternehmen
Der grüne Wandel erfordert den Einsatz der ganzen Gesellschaft. Der private Sektor spielt dabei die Schlüsselrolle, den Prozess dadurch zu beschleunigen, dass er Milliarden von Dollar in die Energiewende investiert, technologiebedingte Kosten senkt, seine Aktivitäten dekarbonisiert und sich für verstärktes Handeln aller relevanten Akteure einsetzt. Die Maßnahmen des privaten und öffentlichen Sektors können sich gegenseitig verstärken, um „Ehrgeizschleifen“ zu erzeugen.
Ich sehe mindestens fünf Schritte, die die Unternehmen gehen können, um zu zeigen, dass sie zu effektivem Handeln bereit sind: Erstens müssen sich die Manager ihre Betriebsabläufe und ihre Lieferketten anschauen und sich Emissionsminderungsziele setzen, die mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar sind. Zweitens müssen die Unternehmen gewährleisten, dass langfristige Ziele im Einklang mit kurzfristigem Handeln und klimabezogenen Investitionen stehen.
Drittens sollten die Firmenchefs dafür sorgen, dass ihre Klima- und Nachhaltigkeitspläne auch Ziele für die Artenvielfalt beinhalten. Viertens dürfen sie Zertifikate zum Emissionsausgleich nicht als Wunderwaffe betrachten. Diese sollten nur für Emissionen verwendet werden, die momentan noch schwer zu vermeiden sind. Und zum Schluss müssen die Unternehmen durch Effizienzmaßnahmen ihren Gesamtenergieverbrauch verringern und ihren dann noch verbleibenden Verbrauch auf erneuerbare Energien umstellen.
Im Vorfeld von COP26 hoffen wir bei Ørsted, dass weitere Länder ihre NDCs entsprechend des Pariser Abkommens verbessern und Maßnahmen treffen, die unsere Möglichkeiten zur Minderung, Anpassung, Finanzierung und verstärkten Zusammenarbeit verbessern. Die benötigten Investitionen sind erheblich, aber unter den richtigen Rahmenbedingungen hervorragend handhabbar. Nun müssen wir alles auf eine Karte setzen.
In Kooperation mit Project Syndicate, 2021. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.