Der Digitale Produktpass: Fluch oder Chance für Mittelständler?

Von Karl Haeusgen
Karl Haeusgen im Gespräch über den digitalen Produktpass der EU
Karl Haeusgen ist Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Der VDMA vertritt rund 3400 deutsche und europäische Unternehmen der Maschinenbauindustrie.

Es ist eine der wichtigsten Initiativen im neuen Kreislaufwirtschaftspaket der EU-Kommission, das für das erste Quartal 2022 geplant ist. In der Theorie ist die Idee des Digitalen Produktpasses (DPP) gut: EU-Unternehmen dokumentieren künftig alle Stoffe, die in ihren Produkten zum Einsatz kommen. Sie benennen Ersatzteile und berechnen den CO2-Fußabdruck ihres Tuns. Damit werden Prozesse transparenter und Produkte erhalten Nachhaltigkeitskriterien. So kann die Kreislaufwirtschaft vorangebracht werden. 

Für die Herstellung eines T-Shirts oder eines Föhns mag das auch funktionieren. Je weniger Abfall wir produzieren und je mehr Produkte innerhalb einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft integriert sind, desto stärker schützen wir unseren Planeten und tragen zur Nachhaltigkeit bei. 

Das Problem einer solchen Regulierungsidee, wie im Digitalen Produktpass der EU vorgesehen, ist aber die Gleichstellung von unterschiedlichen Industrien. Konsumgüter wie Kleidung oder Kleinelektronik dürfen weder mit komplexen Maschinen und Anlagen gleichgesetzt noch mit den gleichen Regeln versehen werden. Anders als Konsumgüter sind Investitionsgüter immer reparaturfähig, aufrüstbar, oft wiederverwendbar und haben eine Lebensdauer von 20 Jahren oder mehr. Daher ist klar: Eine Einheitslösung für alle Industrien darf es unter dem Digitalen Produktpass nicht geben.

Komplexe Lieferketten

Der Maschinen- und Anlagenbau ist eine exportorientierte Industrie, agiert auf globalen Märkten und ist Teil komplexer Wertschöpfungsketten. Eine Maschine, die in der Regel ein auf spezielle Kundenwünsche maßgeschneidertes Produkt ist, besteht aus Tausenden von Komponenten und jeder Menge Input von externen Zulieferern. All diese Daten im Digitalen Produktpass der EU zu sammeln, wäre insbesondere für kleine und mittelständische Betriebe eine Überforderung. Weder Maschinenhersteller noch deren Zulieferer können in der alltäglichen Praxis alle Daten entlang der komplexen Lieferketten zur Verfügung zu stellen.

Und die notwendige Unterstützung seitens der Politik fehlt auch: Es gibt zum Beispiel keine frei verfügbaren Tools zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks, die die spezifischen Bedürfnisse der Industrie berücksichtigen. Hier driften Zielsetzung der Politik und unternehmerische Realität weit auseinander. Es drohen ein bürokratisches Chaos, steigende Kosten und sich überschneidende Meldepflichten etwa mit der SCIP-Datenbank, die bereits bedenkliche Stoffe in Produkten ausweist. 

Erfolg des Digitalen Produktpasses durch Einbindung der EU-Industrie 

Wie kann der Digitale Produktpass nun dennoch zu einem Erfolg werden? Denn die Grundidee der EU-Kommission, nur noch nachhaltige und kreislauffähige Produkte auf den europäischen Markt zu bringen, ist richtig und wichtig. Auch um die Klimaziele des Green Deals zu erreichen. Hier kann jeder – ob Bürger, Unternehmen oder Industrie – einen Beitrag leisten.

Für den Maschinen- und Anlagenbau ist die Kreislaufwirtschaft schon seit einigen Jahren ein Megatrend. Wir produzieren Maschinen, die nicht nur über Jahrzehnte genutzt werden, sondern auch als Material in den Kreislauf zurückgeführt werden. Von der Wiederverwendung von Komponenten über den Einsatz von modernster Recyclingtechnologie bis hin zur Optimierung der eigenen Produktionsprozesse – der Maschinenbau ist für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft essenziell. Dieses Potenzial zu nutzen und Innovationen voranzutreiben, muss im Interesse und Aufgabe der Politik sein. 

Um die benötigte Klimaneutralität der Wirtschaft zu erreichen, braucht es deshalb viel mehr Dialog der Politik mit der Industrie. Dafür steht der Maschinen- und Anlagenbau bereit. Wir wollen uns in die Konzeption des Digitalen Produktpasses einbringen und gemeinsam mit der EU Wege finden, die auch für die zahlreichen Hidden Champions innerhalb Europas gangbar sind.

Richtig gemacht, ist der Digitale Produktpass der EU nicht nur ein Schritt zu mehr Klimaschutz, sondern auch ein Instrument, das neue Geschäftsmodelle ermöglicht und Lerneffekte für die Industrie erlaubt. So könnte er tatsächlich zum Mehrwert für die Maschinenbauindustrie und zur Chance für alle Mittelständler werden. 

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