
CO2-neutral ist bei vielen Unternehmen ein beliebtes Label geworden. Immer mehr Firmen preisen Ihre Produkte damit an – sei es, um Kunden zu gewinnen oder, um – auch mit Blick auf die Finanzmärkte – als nachhaltig eingestuft zu werden. Erreichen können sie dies in aller Regel, indem sie ihre Emissionen mit freiwilligen Zertifikaten von sogenannten Offset-Märkten kompensieren. An anderer Stelle werden dafür zum Beispiel Erneuerbare Energien gefördert, um zusätzliche Emissionen zu vermeiden, oder es werden Bäume gepflanzt, um bereits ausgestoßenes CO2 aus der Atmosphäre langfristig aufzunehmen und zu speichern.
Zurzeit steigt die weltweite Nachfrage nach solchen CO2-Gutschriften. Die Offset-Märkte sind allerdings unter dem Kyoto-Protokoll entstanden, als viele Länder noch keine nationalen Einsparziele hatten. Eine Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten und technischen Möglichkeiten ist dringend erforderlich. Auf der laufenden COP26 sollten klare Regeln für die Anrechenbarkeit im Rahmen eines internationalen Handels mit Zertifikaten, wie im Artikel 6 des Pariser Klimavertrages vorgesehen, formuliert werden.
Doppelzählung verhindern
Anders als unter dem Kyoto-Protokoll haben sich heute praktisch alle Länder zur Senkung der Emissionen verpflichtet. Deshalb stellt sich die Frage, wie international gehandelte Zertifikate angerechnet werden. Werden projektfinanzierte Emissionsreduktionen auf die nationalen Einsparziele angerechnet, sollten diese nicht gleichzeitig als Reduktionen in einem anderen Land zählen. Das heißt, es müssen Regeln formuliert werden, welche die Doppelzählung der vermiedenen Emissionen verhindern.
Solange es sich um freiwillige Kompensation handelt, ist das Problem der Anrechnung weniger kritisch, weil diese CO2-Zertifikate für die Einsparziele im Land des Empfängers nicht wirksam werden. Das heißt, eine europäische Firma kann freiwillige CO2-Offsets nicht im europäischen Emissionshandel anrechnen, und es liegt in der Verantwortung der Firma, ihren Kunden glaubwürdig zu vermitteln, dass durch diese Projekte an anderer Stelle CO2 vermieden wurde.
Allerdings gilt diese Einschränkung nur zeitlich begrenzt – denn die national angerechneten Emissionen müssen möglichst schnell auf null sinken. So sehen zum Beispiel die Vorschläge im Fit-for-55-Paket der EU vor, dass der lineare Reduktionsfaktor angehoben wird und das EU-ETS bereits Ende des nächsten Jahrzehnts netto-null und dann sogar netto-negativ wird.
Es gibt aber Industriezweige – wie etwa die Zementherstellung – in denen der CO2-Ausstoß nicht auf null reduziert werden kann. Eine Fortsetzung des europäischen Emissionshandels setzt dann voraus, dass weiterhin anrechenbare CO2-Zertifikate verfügbar sind, die nicht zusätzlich außerhalb des EU-ETS in einem anderen Land als Emissionsreduktion angerechnet werden können.
Technische Lösungen der CO2-Entnahme
Daher bedarf es neben CO2-Offsets durch zusätzliche Vermeidung zunehmend CO2-Zertifikate aus der Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre. Bei solchen CO2-Entnahme-Zertifikaten liegt bislang ein starker Fokus auf naturbasierten Lösungen wie dem Aufforsten von Wäldern oder der Renaturierung von Mooren. Allerdings ist unklar, ob mit diesen Maßnahmen ein ausreichendes Angebot von CO2-Zertifikaten geschaffen werden könnte oder sollte. Hier sollte zunächst der Erhalt bedrohter Gebiete und die Vermeidung von Emissionen, die durch die Zerstörung der Gebiete entstehen würden, im Vordergrund stehen.
Um den Bedarf an CO2-Entnahme zu decken, braucht es daher auch technische Lösungen, das heißt, aus der Atmosphäre entnommenes CO2 wird geologisch oder in Baumaterialien gespeichert oder im Rahmen einer zirkulären CO2-Wirtschaft genutzt. Methoden wie das Direct-Air-Capture-Verfahren werden in Island bereits kleinskalig betrieben.
Märkte für CO2-Entnahme würden eine dezentrale Entwicklung unterschiedlicher Technologien und Ansätze ermöglichen. Dort könnten die (noch) wenigen Anbieter mit den Nachfragern nach CO2-Entnahme zusammenkommen und die im Vergleich bisherigen relativ hohen Transaktionskosten bei bilateralem, projekt-basiertem CO2-Handel senken. Durch die Standardisierung sowie ein einheitliches Preissignal kann sich hier die dezentrale Marktkraft entwickeln, sodass die technische CO2-Entnahme sich ausreichend entwickeln kann, um noch in die Nähe des 1,5-Grad-Ziels zu kommen.
Gleichzeitig sind CO2-Entnahme-Märkte Schritte in Richtung eines umfassenden Emissionshandels. Zertifikate, die in unterschiedlichen nationalen CO2-Preissystemen anrechenbar sind, erlauben, eben diese zu verknüpfen. Eine solche Verknüpfung erscheint regulatorischer einfacher als ein vollständiges Linking nationaler Märkte. Mit einer solchen indirekten Verknüpfung können unterschiedliche Besonderheiten wie die europäische Marktstabilitätsreserve erhalten bleiben. Darüber hinaus wäre es mit einheitlichen CO2-Entnahme-Zertifikaten einfacher, deren Zusätzlichkeit nachzuweisen und die Anrechnung in unterschiedlichen Ländern nachzuverfolgen.