Big Tech muss aufhören, sich zu verstecken

Von Mariana Mazzucato und Ilan Strauss
Big Tech-Unternehmen dürfen sich nicht verstecken: Mariana Mazzucato ist Professorin am University College London, Ilan Strauss ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am UCL Institute for Innovation and Public Purpose.
Mariana Mazzucato ist Professorin am University College London, Ilan Strauss ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am UCL Institute for Innovation and Public Purpose.

Im Jahr 2021 gehörten Alphabet (Googles Mutterkonzern), Amazon, Apple, Meta (wie sich Facebook heute nennt) und Microsoft gemessen an Umsatz und Gewinn zu den größten Unternehmen der Welt. Allein diese fünf Unternehmen haben ihre Marktkapitalisierung um einen Betrag gesteigert, der größer ist als das BIP Italiens (2,5 Billionen Dollar gegenüber 2,1 Billionen Dollar). Auf Big Tech entfällt inzwischen fast ein Viertel der Marktkapitalisierung des US-Leitindex S&P 500 und ein Viertel der Forschungs- und Entwicklungsausgaben börsennotierter US-Unternehmen außerhalb des Finanzsektors. Amazon ist der fünftgrößte Arbeitgeber der Welt, und er wächst weiter.

Was kann gegen die wachsende Marktdominanz dieser Unternehmen getan werden? Zunächst einmal erfordert die Situation eine proaktivere Regulierungsagenda, damit die Behörden nicht ständig Anstrengungen unternehmen müssen, um gleichzuziehen. Was wir heute haben, ist ein fallweise geführter regulatorischer „Zermürbungskrieg“, der häufig in Form von Rechtsstreitigkeiten wegen früherer Geschäftspraktiken ausgetragen wird. Nach einem langwierigen Berufungsverfahren läuft das Ergebnis fast immer auf „zu wenig, zu spät“ hinaus.

Das Problem wird durch einen Mangel an aufgeschlüsselter finanzieller Offenlegung der großen Technologieunternehmen noch verschärft. Anhand ihrer aggregierten Angaben lässt sich nicht einmal mehr ansatzweise erklären, wie sie arbeiten. Investoren und Regulierungsbehörden müssen mehr wissen. Wie viele Menschen nutzen WhatsApp jeden Monat und wie viele Stunden lang? Wie hoch ist die Gewinnspanne des Apple App Store? Wie groß ist der Anteil von Microsoft Azure am Cloud-Computing-Markt?

Ja, manchmal kann man ungefähre Antworten auf solche Fragen in der Google-Suche finden, aber nur, wenn sie von einem Whistleblower, durch ein nicht geschwärztes Gerichtsdokument oder die Schätzung eines Website-Traffic-Unternehmens offenbart wurden. Die Antworten sind sicherlich nicht in den öffentlichen 10-Ks von Big Tech zu finden, den jährlichen Finanzberichten, die alle börsennotierten US-Unternehmen bei der US-Börsenaufsichtsbehörde einreichen müssen.

Probleme liegen in den Geschäftsmodellen

Diese Auslassungen ergeben sich aus zwei Merkmalen des mächtigen Plattform-Geschäftsmodells von Big Tech. Erstens wird der Nutzen einer Plattform häufig durch „kostenlose“ oder subventionierte Produkte untermauert, die die Nutzerakzeptanz fördern. Auch wenn diese Produkte letztendlich zu Geld gemacht werden – entweder indirekt durch Werbung oder direkt durch Abonnements, Verkäufe und Gebühren – müssen sie nicht in den 10-K aufgeführt werden, solange sie für den Verbraucher weitgehend „kostenlos“ bleiben.

Nehmen wir Alphabet, das mindestens neun Produkte – darunter YouTube, Android, Chrome, Gmail und Google Maps – besitzt, die mehr als eine Milliarde aktive monatliche Nutzer haben. Obwohl jedes Produkt den Weltmarkt in seinem Sektor dominiert, werden in den 10-K-Finanzberichten von Alphabet lediglich eine aggregierte Kategorie „Werbung“ und einige wenige Finanzkennzahlen für YouTube und Google Cloud aufgeführt. Diese Undurchsichtigkeit hat dem Unternehmen geholfen, sich der behördlichen Kontrolle zu entziehen, während es gleichzeitig auf den wichtigsten digitalen Märkten weltweit Fuß gefasst hat.

Zwar geben die großen Technologieunternehmen bei der Verkündung ihrer Geschäftsergebnisse an die Investoren manchmal die monatliche Zahl der aktiven Nutzer an, doch diese Zahlen werden nicht systematisch in ihren 10-K-Jahresberichten offengelegt, bei denen die rechtliche Verpflichtung strenger ist. Eine ordnungsgemäße Offenlegung der „Nutzer-Kennzahlen“ ist dringend erforderlich, da die Marktbeherrschung dieser Unternehmen (und der damit verbundene Machtmissbrauch) zunehmend nicht-preislichen Charakter hat. Entscheidend für diese Vormachtstellung ist ein großer Nutzerstamm.

Ein großer Nutzerstamm bei einem Produkt, wie etwa MS Word, kann es einem Unternehmen ermöglichen, seine Dominanz durch Bündelung auf andere Märkte auszuweiten (man denke an MS Teams). Die Marktmacht der großen Technologieunternehmen liegt zunehmend in den von ihnen kontrollierten „Ökosystemen“ und nicht in einem einzelnen Produkt. Diese Macht ermöglicht es ihnen, Nutzer an sich zu binden, Wettbewerber zu verdrängen und Datenfestungen zu errichten.

Produktdiversifizierung verstärkt finanzielle Intransparenz

Das zweite Merkmal des Geschäftsmodells von Big Tech, das zur finanziellen Intransparenz beiträgt, ist die Produktdiversifizierung. Durch die Diversifizierung ihres Produktangebots – oft durch neue Produktbündel – können Technologieplattformen Nutzer in ihrem Ökosystem halten und so mehr Umsatz generieren. Diese zunehmend diffusen Gewinnquellen werden in den 10-K-Jahresberichten allerdings nur selten offengelegt. Obwohl die derzeitigen Regeln für die „Segmentberichterstattung“ darauf abzielen, dass große, diversifizierte Konglomerate aufgeschlüsselte Finanzinformationen veröffentlichen, lassen die Regeln den Unternehmen in der Praxis einen großen Ermessensspielraum bei der Definition dessen, was als „operatives Segment“ gilt. Apple beispielsweise definiert seine Segmente nicht nach Produkten, sondern nach geografischen Gesichtspunkten, sodass das Unternehmen nicht verpflichtet ist, die Gewinne aus dem App Store auszuweisen.

Diese Flexibilität ermöglicht es Big-Tech-Unternehmen, die Finanzdaten einiger ihrer führenden Produkte zu verbergen, selbst wenn diese eigentlich den Schwellenwert für die Berichterstattung überschreiten, weil sie 10 Prozent oder mehr des Gesamtvermögens, der Einnahmen oder des Gewinns/Verlusts ausmachen. Big-Tech-Firmen sind mittlerweile so groß, dass selbst riesige Produktsegmente mit einem Umsatz von über 20 Milliarden Dollar so eingestuft werden können, dass sie den Schwellenwert überhaupt nicht erreichen. Der volle Umfang des Cloud-Geschäfts von Amazon Web Services scheint also länger als erlaubt vor den Wettbewerbern verborgen geblieben zu sein.

Das Fehlen detaillierter Finanz- und Betriebsinformationen bedeutet, dass Regulierungsbehörden, die mit der Feststellung eines möglichen Missbrauchs von Marktmacht beauftragt sind, bei jedem Fall praktisch bei Null anfangen müssen. Um die Macht eines Unternehmens feststellen zu können, müssen Aufsichtsbehörden in der Lage sein, das Verhältnis zwischen Preisen, Kosten und Kapitalaufwand zu analysieren. Diese Faktoren werden jedoch verschleiert, wenn die Finanzdaten für alle Produkte zusammengefasst werden. Wertschaffende Aktivitäten werden regelmäßig mit unproduktiven Nullsummenaktivitäten vermischt. Und obwohl Big-Tech-Unternehmen mit „kostenlosen“ Produkten zu Gatekeepern für ganze Märkte geworden sind, sind sie weiterhin lediglich verpflichtet, Gewinne und Verluste offenzulegen.

Regeln für 10-K-Jahresberichte und Segmentberichterstattung anpassen

In einem neuen Bericht, den wir gemeinsam mit Tim O’Reilly und Josh Ryan-Collins verfasst haben, erörtern wir, dass die 10-K-Jahresberichte, die der US-Börsenaufsichtsbehörde vorzulegen sind, dringend angepasst werden müssen. Die Aufsichtsbehörden müssen jenseits von Angaben über „Gewinn und Verlust“ für alle Produkte, die einen bestimmten Schwellenwert an monatlich aktiven Nutzern erreichen, spezifische nicht-finanzielle Betriebsangaben verlangen. Diese Regel würde aufgeschlüsselte operative Angaben zu Produkten wie Google Search, YouTube, Chrome und Android von Alphabet oder Facebook, Instagram, WhatsApp und Messenger von Meta voraussetzen. Da die Unternehmen bereits intern Betriebsdaten über die Nutzer verwenden, um die Produktleistung zu bewerten, würden sie durch eine obligatorische Offenlegung in ihren 10-K-Jahresberichten nicht belastet.

Darüber hinaus muss dafür gesorgt werden, dass die Regeln für die Segmentberichterstattung auch tatsächlich greifen, und sie müssen an die Unternehmensgröße angepasst werden, um die Freigabe „versteckter Daten“ aus Konzernabschlüssen zu gewährleisten. Um beide Probleme zu lösen, sollten die Unternehmen verpflichtet werden, detaillierte Finanzdaten für jedes Produkt mit einem Jahresumsatz von mindestens 5 Milliarden Dollar offenzulegen. Die Höhe dieser Summe würde beispielsweise zur Offenlegung von Finanzinformationen über Apples AirPods und Microsofts Azure führen.

So wie die Berichterstattung über Umwelt- und Sozialfragen sowie zur Unternehmensführung für die Bewältigung des Klimawandels unverzichtbar wird, ist eine verbesserte 10-K-Berichterstattung notwendig, um Art und Umfang der Marktdominanz von Big Tech aufzudecken. Nur dann können wir sehen, ob diese Giganten ihr anhaltendes Wachstum der Wertschöpfung oder der Wertabschöpfung verdanken.

In Kooperation mit Project Syndicate, 2022. Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

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