Ampel-Koalition: Grüne und FDP stehen vor Personalproblemen

Alle schauen auf die Ministerriege. Verständlich, denn deren Besetzung ist kompliziert genug: Selbstgegebene Vorgaben wie Frauenanteil, aber auch Machtverhältnisse und Regionalproporze sind zu berücksichtigen. Auch bei anderen herausgehobenen Positionen wie parlamentarischen Staatssekretären (die im Auswärtigen Amt und Bundeskanzleramt aus historischen Gründen Staatsminister heißen), Bundesbeauftragten und Fraktionsvorsitzenden ist es ein filigranes Werk für jede der drei Parteien, besonders kompliziert bei den beiden kleineren Koalitionspartner mit wohl höchstens fünf Ministerposten.

Die letzte Regierungsbeteiligung der Grünen auf Bundesebene ist mittlerweile 16 Jahre her. Von den damaligen Ministerinnen und Ministern sind nur Renate Künast und Jürgen Trittin überhaupt noch auf Bundesebene sichtbar. Auch bei der FDP sind die Minister der bislang letzten schwarz-gelben Koalition 2009 bis 2013 nicht mehr beteiligt.

Doch das größere Problem kommt auf die beiden Neuregierungsparteien erst unterhalb der Ministerebene zu. Denn mit Farbwechseln eines Ministeriums gehen üblicherweise Personalwechsel einher. Für parlamentarische Staatssekretäre gibt es genug Kandidaten aus den gewachsenen Bundestagsfraktionen. Und auch den Großteil der beamteten Staatssekretäre in den Häusern dürften die beiden „Neuen“ in einer künftigen Ampel-Koalition noch aufbringen können.

Doch dies ist nur ein kleiner Teil der üblichen Veränderungen. Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht mehrfach gemahnt, dass zwar nicht jeder politische Beamte bei einem Regierungswechsel ausgetauscht und in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden dürfe – auch in höheren Funktionen gelte grundsätzlich das Lebenszeitprinzip und ein Beamter sei Staats-, nicht Parteidiener. Allerdings dürfe die Loyalität nicht infrage stehen. Und genau das ist an vielen Stellen fraglich – insbesondere dann, wenn Häuser massiv den politischen Kurs wechseln sollen.

Wohin mit CDU- und CSU-nahem Personal?

Das Kanzleramt wird absehbar personell umgekrempelt werden. Dorthin sind Beamte stets nur entliehen – sie haben ein Stammhaus, in das sie zurückkehren können und gegebenenfalls auch müssen. Dass unter anderem aus der Abteilung Planung des Finanzministeriums neues Personal kommt, davon ist fest auszugehen. Denn auch wenn Angela Merkel nicht immer strikt nach Parteibuch ging: Ihr und ihren Kanzleramtschefs waren im unmittelbaren Machtapparat politische Näheverhältnisse wichtig. Damit steht aber bereits ein knappes Dutzend Versorgungsfälle an, deren künftige Verwendung ein Problemfall wird.

Denn während bei der SPD vor allem eine Personalrochade von alten zu neuen Häusern ansteht, sitzen nach 16 Jahren Unionsregierung derzeit CDU- und CSU-nahe oder bisherigen Ministern loyale Akteure an den administrativen Schalthebeln der Macht. Welche Aufgaben gibt man diesen künftig? In welchen Häusern?

Fast alle übernehmen und auf deren Loyalität hoffen, wie Winfried Kretschmann es in Baden-Württemberg einst tat? Ein Bundesministerium ist politisch noch viel aufgeladener als die Landesebene. Und kann man Politik überhaupt verändern, ohne auch in den entscheidenden Verwaltungspositionen Personal auszuwechseln? Am Ende stehen Gelb und Grün vor einem Doppelproblem: die Unionsköpfe loszuwerden – und zugleich überhaupt eigene Leute zu finden, für die Plätze frei sein müssten.

Suche nach passenden Ministerien

Für die Grünen gibt es mehrere Bereiche, in denen die Rekrutierung grundsätzlich möglich scheint. Insbesondere im Bereich Umwelt, Klima, Verkehr, bei der Entwicklungszusammenarbeit und im Bereich Verbraucherschutz gibt es ausreichend Vorfeldorganisationen. Der Rückgriff auf Personal thematisch profilierter Akteure wie internationaler Organisationen, Think-Tanks wie der Agora Energiewende oder Verbände ist eine plausible Möglichkeit.

Zudem haben die Grünen auf Landesebene mehrfach entsprechende Ministerien besetzt und auch dort Personal aufbauen können, ein Reservoir, aus dem auch im Bund geschöpft werden kann – zumindest bei den stets notwendigen Juristen. Allerdings wird in Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung wie in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Hessen und Berlin schon befürchtet, dass die Bundesebene nun die Länder ‚leerziehen‘ könnte – was dort Probleme verursachen würde.

Doch die Grünen haben auf Landesebene einige Ressorts immer gemieden, was sich nun rächen könnte. So war das Finanzressort, Ausnahmen in kleinen Ländern mal ausgenommen, nur selten ein Grünes. Im größeren Baden-Württemberg besetzt man es erst wenige Monate. Auch wenn mit Gerhard Schick, Sven-Christian Kindler und Sven Giegold drei starke Stimmen der Debatten das grüne Parteibuch haben, könnte das für die komplexe Materie, die europäische und internationale Koordination des Finanzministeriums, zu wenig sein. Ein Grund, aus praktischen Gründen lieber andere Häuser zu wollen? Dort sieht es teils noch schwieriger aus. Als zuletzt etwa kolportiert wurde, dass Grünen-Chef Robert Habeck gerne Bundesinnenminister werden wolle, kratzten sich in Parteikreisen einige kräftig am Kopf.

Strategisch wäre das zwar geschickt, heißt es unter Grünenpolitikern. Immerhin würde hier ein wahrnehmbarer Unterschied entstehen. Doch das Haus ist so schwarz, dass eigentlich enormer Personalbedarf entstünde. Während für die Rollen der parlamentarischen Staatssekretäre mit Irene Mihalic und Konstantin von Notz zwei profilierte grüne Innenpolitiker verfügbar wären, würde es bei potenziellen Staatssekretären schon etwas komplizierter. Noch schwieriger würde es bei den bis zu zwölf Abteilungsleitern, die selbst nach einer Remigration des Baubereichs in einen anderen Geschäftsbereich und einer Umorganisation der Heimatabteilung noch vonnöten wären.

Diesen zwölf Abteilungsleitern sind derzeit 23 Unterabteilungsleitungen nachgeordnet – und deren Besetzung ist nicht leicht anpassbar. Politisch müssten hier an vielen Stellen Veränderungen folgen. Doch zugleich können neue Hausherren weder auf das Fachwissen verzichten, noch verfügen sie über ausreichend Personal, das sie an entsprechende Stellen bringen können. Zwar könnten die Grünen beispielsweise beim Asylrecht auf Personal von Amnesty International zurückgreifen. Doch bei Mitarbeitern, die nicht aus der Ministerialbürokratie kommen, besteht die Gefahr, dass sie vom vorhandenen Apparat professionell ausgespielt werden.

Die Länderreservoirs sind überschaubar

Auch bei der FDP steht man vor Problemen: Während die Liberalen weniger Probleme als die Grünen damit hätten, aus Verbänden oder auch Unternehmen Experten in ihre Ministerien zu holen, sind sie derzeit an nur noch vier Landesregierungen beteiligt. 2009 waren sie kurzfristig in der Hälfte der Bundesländer an der Regierung beteiligt, danach verloren die Liberalen massiv an Macht und Einfluss. Nicht zuletzt das vorübergehende Ausscheiden aus dem Bundestag kostete sie personelle Optionen: Wer hätte seine Ministerialkarriere damals schon an ein FDP-Parteibuch geknüpft? Zudem ging eine ganz Legislatur Fraktions- und Abgeordneten-Mitarbeiter ging verloren.

Auch die Landesministerien sind kein großes Reservoir: So besetzt die FDP in Schleswig-Holstein das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren sowie das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus (MWVATT). Aber dies sind trotz langer Titel und breiter Zuständigkeiten kleine Häuser: Im gesamten MWVATT sind insgesamt nur 297 Stellen für das Jahr 2020 veranschlagt. Und in Sachsen-Anhalt haben die Liberalen gerade erst im September einen Regierungsposten erobert: Lydia Hüskens ist dort die einzige FDP-Ministerin für Infrastruktur und Digitales, in ihrem Haus kann man nicht räubern gehen.

Am ehesten können die Liberalen also auf Personal aus Rheinland-Pfalz (seit 2016 mit FDP-Beteiligung, Ministerien Justiz und Wirtschaft, Landwirtschaft und Verkehr) und Nordrhein-Westfalen zurückgreifen. NRW mit seinen personalstarken Ministerien dürfte für die FDP-Personalbedarfe wichtig werden: Im Wirtschafts-, Digital- und Innovationsministerium und im Kinder-, Jugend-, Flüchtlings- und Integrationsministerium gibt es relevantes Personal mit FDP-Parteibuch. Doch aus dem Vollen schöpfen können auch die Liberalen nicht.

Damit überhaupt jemand Neues kommen kann, muss dafür eine Planstelle frei sein. Genüsslich würde die künftige Opposition einen höheren Stellenbedarf, der primär politisch bedingt ist, im nächsten Bundeshaushalt kritisieren. Weshalb auch in grünen wie gelben Koalitionsverhandlerkreisen das Problem als solches zwar erkannt, eine Lösung aber erst mal nicht absehbar ist.

Strategische Umsetzungen nur mittelfristige Lösung

Und so wird es bei Grün und Gelb auf eine andere Methode hinauslaufen: strategische Umsetzungen. Wer mit schwarzem Parteibuch an strategischen Schlüsselpositionen sitzt, kann sich schon geistig darauf vorbereiten, sich bei nächster Gelegenheit auf gleicher Ebene in unpolitischer Position wiederzufinden.

Wann immer ein Unterabteilungsleiter oder Abteilungsleiter pensioniert wird, werden verfügbare Beamte nachbesetzt. Doch selbst dann gilt: Die besonders lange in Unionshand befindlichen Häuser auch unterhalb der politischen Ebene zu begrünen beziehungsweise zu liberalisieren, dürfte kaum binnen einer Legislaturperiode gelingen. Die Einstellungs- und Beförderungspolitik in den Bundesministerien ist dafür zu träge. Und wer unter alter Führung opponierte, dürfte schwerlich die für weitere Beförderungen zwingend notwendigen Benotungsempfehlungen erhalten haben.

Ampel-Koalition hat noch Arbeitsschritte vor sich

Der FDP schwante bereits im Sommer, dass hier Probleme auftreten könnten: Sie stellte zwei Monate vor der Bundestagswahl eine Kleine Anfrage an die amtierende Bundesregierung. Aufgeschlüsselt werden sollte unter anderem, in wie vielen Fällen Abteilungsleiter im formellen Rang eines Ministerialdirigenten statt eines Ministerialdirektors verblieben waren – und somit keine politischen Beamten sind, die relativ einfach ausgetauscht werden könnten. Die Leiter von insgesamt vier unionsgeführten Ministerialabteilungen, so die Antwort, würden auf diese Konstruktion zurückgreifen – davon ließen sich zwei Abteilungsleiter absichtlich nicht in den höheren Rang ernennen, bei den anderen beiden war dies wohl auch nicht vorgesehen.

Und so werden Grün wie Gelb in den kommenden Wochen und Monaten nicht nur über ihren politischen Vorhaben, sondern auch über Stellenplänen und Umsetzungen, Personalrekrutierung und anderem Handwerkzeug brüten müssen. Das Gesamtkunstwerk einer Ampel-Koalition, es hat noch einige Arbeitsschritte vor sich.

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