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Die deutsch-französische Zusammenarbeit: problembehaftet und unverzichtbar

Von Sébastien Treyer und Nicolas Berghmans
Sébastien Treyer und Nicolas Berghmans

Die Unterstützung Deutschlands und Frankreichs für die Umsetzung des europäischen Green Deal ist unerlässlich – und eindeutig. Sie zeigt sich insbesondere darin, dass Ende 2022 die Klimakomponente des Pakts angenommen wurde. Damit soll er an das Ziel angepasst werden, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken.

Aber reicht das aus? Die Energiekrise setzt alle EU-Staaten unter Druck. Viel Geld wurde ausgegeben, um die Covid-Pandemie zu bewältigen. Jetzt müssen die Regierungen ihre Ausgaben unter Kontrolle halten – und zugleich Lösungen finden für die aktuellen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Krisen.

Das europäische Projekt und der Zusammenhalt der Union sind durch die Folgen des Krieges in der Ukraine gefährdet. Die Pandemie hat zwar die europäische Solidarität gestärkt, und Deutschland und Frankreich arbeiten gemeinsam an der Wiederbelebung der Wirtschaft. Doch die Risiken einer Divergenz bleiben zahlreich. Ein Alleingang kann keine Option sein. 

Jedes Land reagiert souverän auf die Krise

Die EU hat nach der russischen Invasion der Ukraine schnell Notfallmaßnahmen verabschiedet und eine Strategie entwickelt, um den Winter zu überstehen, ihren Energiemix anzupassen und Übergewinne abzuschöpfen. Die Mitgliedstaaten haben Unternehmen und Privathaushalte unterstützt. Aber viele Maßnahmen zielten in unterschiedliche Richtungen.

Natürlich ist jedes Land souverän darin, Lösungen für die sozialen Probleme zu finden, die diese Krise mit sich bringt. Der französische Energieschutzschild war besonders massiv und schützte die Haushalte vor den stärksten Preisanstiegen. Aber er war nicht gezielt genug auf die ärmsten Haushalte ausgerichtet, er ging nicht mit einer beschleunigten Förderung von Investitionen in energiesparende Geräte einher und er schützte die Unternehmen stärker als die Haushalte. 

Deutschland wird seinerseits beschuldigt, mit seinem eigenen Hilfsprogramm eine Art wettbewerbsorientierte Abwertung zu organisieren, indem es die heimischen Energiepreise senkt, um seine Industrie zu unterstützen. Eine Koordinierung zwischen beiden Ländern scheint es nicht zu geben.

Neue Formen der gemeinsamen Verschuldung nötig

Der Wettlauf um wirtschaftliche Krisenhilfe, der bald zu einem Wettlauf um neue grüne Investitionen werden könnte, ist für andere Mitgliedsstaaten besorgniserregend. Ihre öffentlichen Kassen sind nicht gut gefüllt. Es besteht die große Gefahr, dass diese Art der Krisenbewältigung zu einem wachsenden wirtschaftlichen Egoismus auf dem Kontinent führt. Sie wird derzeit nur teilweise durch Solidaritätsmechanismen rund um die gemeinsame Verschuldung wie „NextGenerationEU“ abgewendet.

Unter diesen schädlichen politischen Bedingungen kann die EU nicht darauf verzichten, über neue Formen der gemeinsamen Verschuldung nachzudenken. Frankreich macht dazu Vorschläge, Deutschland wird eher als zurückhaltend angesehen. Beide sollten ihren Dialog dazu vertiefen – in Transparenz gegenüber den anderen Mitgliedstaaten, insbesondere während des deutsch-französischen Ministerrats, der am kommenden Sonntag 60 Jahre Freundschaft und pragmatische Kompromisse rund um den Jahrestag des Élysée-Vertrags feiern wird. 

Staatliche Beihilfen besser verteilen

Sollte man zur früheren, makroökonomischen Orthodoxie zurückkehren? Angesichts der Beträge, die die USA oder China auf den Tisch legen, ist es vernünftig, dass die europäischen Akteure nicht die letzten sind, die staatliche Beihilfen ebenfalls erlauben. Erst recht, wenn sie notwendig erscheinen, um die grüne Transformation der Industrie zu unterstützen.

Was jedoch nicht ausreichend diskutiert wird, ist die Verteilung der von den Mitgliedstaaten gezahlten staatlichen Beihilfen an die Unternehmen. Eine Statistik der EU-Kommission über die Beiträge innerhalb des befristeten Krisenrahmens spricht eine deutliche Sprache: Mehr als die Hälfte wird von Deutschland an seine Unternehmen gezahlt. 24 Prozent von Frankreich an seine eigenen Wirtschaftsakteure. Und den Rest teilen sich die anderen 25 Mitgliedstaaten!

Darüber muss man sprechen. Die Akteure und Mitgliedstaaten, die gegenüber staatlichen Beihilfen zurückhaltender und dem freien Wettbewerb verpflichtet sind, müssen angehört werden. Die europäische Antwort auf die amerikanischen und chinesischen Pläne muss mit ihnen gemeinsam aufgebaut werden. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb des Binnenmarkts noch verschärfen. Ein gemeinsamer Ansatz ist notwendig, um die grüne Industrie zu entfalten und zu unterstützen.

Handelspolitik: Bedenken sind berechtigt

Wie sieht es in der Handelspolitik aus? Deutschland und Frankreich haben sich letztlich dazu geeinigt, wie der Klimaschutz in die Handelspolitik einbezogen werden soll. Aber für die Handelspartner der EU im Globalen Süden, insbesondere in Afrika, entstehen auch Risiken. Im Wettlauf um staatliche Beihilfen zwischen den großen Wirtschaftsmächten Asiens, Europas und der USA könnten sie von den Märkten verdrängt werden.

Zwar verspricht man ihnen, ihre Interessen zu berücksichtigen, wenn man bei ihnen grünes Gas oder Wasserstoff beziehen wird. Aber das verbirgt nur sehr schlecht die von den Mitgliedstaaten und insbesondere von Deutschland verfolgten individuellen Strategien. Die europäischen Akteure zeigen den afrikanischen Partnern nicht, dass sie die schädlichen Auswirkungen anderer großer, unkoordinierter Wirtschaftsentscheidungen auf ihr Potenzial, sich wirtschaftlich zu entwickeln, erkannt hätten. Auch das wird für das europäische Projekt sehr gefährlich sein. 

Ob in der gemeinsamen Verschuldungspolitik, der staatlichen Förderung der klimafreundlichen Transformation oder der Handelspolitik mit Energiebezug: Wenn Deutschland und Frankreich, die beiden wirtschaftlichen Schwergewichte der EU, deren Zusammenhalt nicht gefährden wollen, müssen sie sich besser aufeinander abstimmen

Sébastien Treyer ist der Exekutivdirektor des Pariser Nachhaltigkeits-Think-Tanks IDDRI. Nicolas Berghmans ist IDDRIs führender Experte für Europäische Angelegenheiten, Energie und Klima. 

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