Themenschwerpunkte


Vermitteln, nicht einmischen

Nora Sausmikat, Leiterin China Desk der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald e.V.
Sinologin Nora Sausmikat leitet den China-Desk bei urgewald.

Am 24. Februar, dem Jahrestag des russischen Einmarsches in die Ukraine, veröffentlichte das Außenministerium der VR China ein Zwölf-Punkte-Papier zu Chinas Position in diesem Aggressionskrieg. Noch kurz nach Beginn der Invasion gab es international die Hoffnung, China könnte seinen Einfluss auf Russland entscheidend für Vermittlungen und Frieden nutzen.

Denn China gilt als Russlands wichtigster Verbündeter. Der Aggressionskrieg gegen die Ukraine ist auch Zeichen eines offenen Kampfes der politischen Systeme. Schon kurz nach dem russischen Überfall bat der ukrainische Botschafter in Japan, China einzulenken. Seit zwölf Monaten also wartet die Welt auf Chinas Friedensinitiative – nun erscheint dieses Zwölf-Punkte-Papier.

Symbol für die Weltbühne

Was es nicht ist? Es ist keine klare Position des offiziellen Chinas zu dem Aggressionskrieg. Es ist weder eine eindeutige prorussische Stellungnahme noch ein klares „Machtwort“ in Richtung Russland, den Angriffskrieg zu stoppen.

Was es ist? Es ist ein diplomatisches Symbol für die Weltbühne, welches die Zutaten internationaler Diplomatie im chinesischen Sinne auslegt und für die Kriegssituation mit neuer Bedeutung füllt.

Grundsatz der Nichteinmischung

China verteidigt seit Langem das Konzept der staatlichen Souveränität, sprich das Recht souveräner Staaten, frei von ausländischer Einmischung zu sein. Dies sei der „Garant für Frieden, Sicherheit und Wohlstand“. Dieses Verständnis „staatlicher Souveränität“ geht jedoch weit über die in der UN-Charta enthaltenen entsprechenden Verbote der unerlaubten Gewaltanwendung und Bewaffnung oder Finanzierung von Rebellenbewegungen hinaus. 

Für China ist dieser Grundsatz des Völkerrechts gleichbedeutend mit „Nichteinmischung“. Denn China bezeichnet bereits bloße Kommentare zu seiner Innenpolitik – ganz zu schweigen von Kritik an seiner Menschenrechtsbilanz – routinemäßig als eine unzulässige Form der „Einmischung“ in seine staatliche Souveränität. Diese Haltung versucht China auf der Weltbühne der Diplomatie zu etablieren. 

Das ist höchst gefährlich, speziell, wenn es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere völkerrechtliche Vergehen geht – wie derzeit von Russland in der Ukraine begangen. Eine geschlossene internationale Reaktion auf von Russland begangene Gräueltaten in der Ukraine, die laut Völkerrecht eindeutig gegeben sind, wird so auch seit einem Jahr durch prorussische chinesische Haltung verhindert.

Universelles Verständnis von Menschenrechten lehnt China ab

Das Zwölf-Punktepapier ist eine aus chinesischer Sicht logische Konsequenz der seit zehn Jahren massiv vorgenommenen Umformung universeller Spielregeln auf nationale Befindlichkeiten. Beispiel Menschenrechte: Die Betonung der staatlichen Souveränität, der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und des Rechts auf wirtschaftliche Entwicklung als ein über allen anderen Rechten stehendes Menschenrecht droht das gesamte internationale Menschenrechtssystem sowie Normen zu Transparenz und Rechenschaftspflicht zu schwächen. Die Idee von universellen Menschenrechten, die über die nationale Souveränität hinausgehen und die internationale Gemeinschaft als Ganzes betreffen, lehnt China ab.

Im Zwölf-Punkte Papier betont China die Bedeutung der territorialen Souveränität aller Länder. Ein kleiner Unterschied zur staatlichen Souveränität mit großen Folgen. Dies kann heißen, dass dies eine Anerkennung russisch annektierter Gebiete als russisch nach sich zieht. Letztlich können hier auch Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Änderung des Status Taiwans nach sich ziehen. Es kann aber auch heißen – dies ist eher unwahrscheinlich -, dass China den Einmarsch in ein souveränes Land wie die Ukraine am Ende doch noch verurteilt.

Was das Zwölf-Punktepapier auch ist: ein Angebot Chinas als Vermittler, ein Aufruf zu Dialog und Kompromissen – unter den Prämissen eines umgedeuteten Völkerrechts. China spricht sich für einen Waffenstillstand und die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen aus.

Pekings Interessen

Die zwölf Punkte spiegeln darüber hinaus pragmatische Interessen Chinas wider: Lieferketten sollen wieder sicher funktionieren, der eurasische Kontinent muss dafür stabil gehalten werden, und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen soll die Sanktionen gegen Russland stoppen. Dialog und Verhandlungen seien die einzige Lösung, nicht Sanktionen. Es darf nicht vergessen werden: Die Ukraine ist wichtiges Transitland der Seidenstraße und wichtiger Militär- und Getreidelieferant Chinas. Konkret benennt Punkt 9 des Zwölf-Punkte-Plans die Getreide-Schwarzmeer-Initiative, die es gelte fortzusetzen.

Jetzt, ein Jahr nach Kriegsbeginn, sind Lieferketten, Finanzströme und Energietransportwege zwischen Russland und China gefestigt. Im globalen Wettbewerb um Einflusssphären zur Sicherung von (Energie-)Rohstoffen werden Loyalitätsbekundungen im Systemwettbewerb immer wichtiger. China signalisierte nun erneut, für den Wiederaufbau bereitzustehen. Xi Jinping macht der Ukraine Hoffnungen.

Umformung der internationalen Ordnung

Und die Ukraine verhält sich entsprechend: Auf der 51. Tagung des UN-Menschenrechtsrates im vergangenen Herbst enthielt sie sich, als über den Resolutionsentwurf abgestimmt wurde, der vorsah, bei der nächsten Tagung im März eine Debatte über die Situation in Xinjiang zu führen. Denkbar knapp war schließlich das Abstimmungsergebnis mit 17 Ja, 19 Nein und 11 Enthaltungen.

Dieser Zwölf-Punkte-Plan soll das weltweite Säbelrasseln durch Wohlwollen einhegen. Außenminister Qin Gang warnte vor weiteren Waffenlieferungen. Pekings globale Sicherheitsstrategie wurde zeitgleich mit dem Zwölf-Punkte Plan veröffentlicht. Sie soll ein Alternativsystem zur Nato etablieren. Beide Papiere sind Bausteine zur Umformung der internationalen Ordnung.

Nora Sausmikat ist habilitierte Sinologin und leitet den China-Desk bei urgewald, die Kampagnenarbeit zur Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank sowie zur Asiatischen Entwicklungsbank. Neben dem Fokus auf die beiden Banken analysiert sie Chinas globale Rolle vor allem im Bereich Klima- und Menschenrechtspolitik. Dieser Text erschien erstmals in der taz vom 3.3.2023.

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