Themenschwerpunkte


Die globale Technologiespaltung aufhalten

Von Hoe Ee Khor und Suan Yong Foo

Die erhöhten Spannungen zwischen den USA und China haben die Aussichten auf eine tiefe, weltweite technologische Kluft erhöht, die andere Länder potenziell zwingen könnte, sich für ein Lager zu entscheiden. Es gibt eine Menge düsterer Szenarien, bei denen es um eine unüberbrückbare Spaltung bei Schlüsseltechnologien geht, die ein breites Spektrum von Produkten und Dienstleistungen antreiben: von Flugzeugen und Autos bis hin zur Präzisionstechnologie im Bereich der Robotik und zu Zahlungssystemen für den elektronischen Handel. Falls sich diese Szenarien verwirklichen, werden die beiden weltgrößten Volkswirtschaften enorme Mengen an Ressourcen für einen Nullsummen-Wettlauf aufwenden, um Spitzentechnologien zu kontrollieren.

Sowohl den USA als auch China ist die zentrale Rolle der Technologie als Treiber ihrer Volkswirtschaften und der globalen Entwicklung bewusst. Sie wissen auch, dass die Beherrschung dieser Technologien und der Schutz des betreffenden geistigen Eigentums ihre nationale Sicherheit und ihren geopolitischen Einfluss stärken können – mit wichtigen Rückkopplungseffekten für ihr nachhaltiges Wachstum und ihre bleibende Resilienz.

Anteil der USA an der Halbleiterproduktion weltweit ist rückläufig

Mittelfristig stehen die lange Dominanz der USA bei den Natur- und Ingenieurswissenschaften sowie ihre Fähigkeit zur Produktion wichtiger Komponenten stark infrage. Ein Beispiel: Obwohl die US-Unternehmen hochmoderne Halbleiter entwickeln, ist Amerikas Anteil an der weltweiten Produktion von 37 Prozent im Jahr 1990 auf lediglich 12 Prozent heute zurückgegangen.

Derweil ist China trotz aller Fortschritte bei vielen Produkten, wie etwa Computerchips und Flugzeugen, noch ein ganzes Stück vom Stand des technisch Machbaren entfernt. Zwar hat das Land bei vielen Fertigungsarten ein Ökosystem von beträchtlicher Tiefe entwickelt, und es ist in außergewöhnlicher Weise in der Lage, schnell und großmaßstäblich zu produzieren. Auch in den globalen Rankings für Patente und Forschungs- und Entwicklungsausgaben steht es weit oben. Doch ist China in vielen Bereichen anfällig. Es importiert jährlich Halbleiter im Wert von 300 Milliarden Dollar, davon rund die Hälfte für die Exportfertigung. Darüber hinaus werden für viele mit Waren verknüpfte Dienstleistungen, z. B. für in Smartphones integrierte Apps, Halbleiter benötigt.

China rekrutiert weltweit Talente im Halbleiterbereich

Andere hoch entwickelte Volkswirtschaften mit der Fähigkeit zur Entwicklung oder Herstellung wichtiger Komponenten in den Halbleiter-Lieferketten, darunter Japan, Südkorea, Taiwan und die Niederlande, sind bei den Spannungen zwischen den USA und China zwischen die Fronten geraten. Für diese Länder werden neben wirtschaftlichen unweigerlich auch geopolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, was sorgfältige Kalkulationen erfordert.

Das mittelfristig wahrscheinlichste Ergebnis ist angesichts der Bemühungen vieler Länder zur Verringerung ihrer Anfälligkeiten eine technologische Auseinanderentwicklung, die sich freilich in Grenzen halten wird. Mehrere US-Unternehmen bauen derzeit leistungsstarke Halbleiterfabriken, während China globale Talente rekrutiert und seine Forschung und Entwicklung im Halbleiterbereich sowie bei der zur Produktion von Halbleitern erforderlichen Software, Maschinerie und Ausrüstung verstärkt.

Andere Länder verfolgen derweil unterschiedliche Alternativen. Hierzu gehören der Abschluss von Bündnissen, um ihre Versorgung mit wichtigen Komponenten sicherzustellen, die Ausweitung ihrer Fähigkeit, eine Interoperabilität zwischen unterschiedlichen technologischen Standards zu erreichen, und die Stärkung ihres Angebots an technisch ausgereifteren Produkten und Dienstleistungen gegenüber den Weltmärkten und damit ihrer Verhandlungspositionen gegenüber den USA und China.

Jede Volkswirtschaft will Spitzenposition in Hightech-Produkten

Längerfristig jedoch muss die Welt ehrgeiziger sein und die multilateralen Bemühungen zur Stärkung der globalen Kooperation im Technologiebereich ausweiten. Die entwickelten Volkswirtschaften und auch die Schwellenländer sollten daher mit technologischen Spannungen verbundene Fragen in einem breiteren Kontext fassen.

Zunächst einmal sollten sie sich erinnern, dass die wirtschaftliche Öffnung Wachstum und Wohlstand enorm gesteigert hat. In Asien wird dies durch die rasche wirtschaftliche Entwicklung Festlandschinas unter Beweis gestellt. Südkorea, Singapur, Taiwan und Hongkong haben es, obwohl sie kaum oder gar nicht über eigene Rohstoffvorkommen verfügen, ebenfalls geschafft, sich zu industrialisieren und zu modernisieren – teilweise dank der Globalisierung. Und eine wachsende Zahl von Entwicklungs- und Schwellenländern in Afrika, Lateinamerika und Europa bewegen sich die Einkommensleiter hinauf, indem sie Nischen erschließen und sich an globalen Wertschöpfungsketten beteiligen.

Darüber hinaus kann sich keine Volkswirtschaft – egal, wie groß oder hoch entwickelt sie ist – der Globalisierung entziehen und sicherstellen, dass sie immer die Spitzenposition bei allen Hightech-Produkten innehaben, sicher mit wichtigen Komponenten versorgt sein und zum Betrieb eines exponentiell wachsenden Netzes aus komplexen Produktionsprozessen in der Lage sein wird. Auch hierfür sind Halbleiter ein Paradebeispiel: Ihre Produktionskette ist außergewöhnlich komplex und stützt sich auf hunderte von Vorprodukten, die mittels hoch technisierter, aus aller Welt beschaffter Hilfsmittel verarbeitet und produziert werden. In diesem Sektor auch nur einen Fuß in die Tür zu bekommen erfordert enorme Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen und lange Vorlaufzeiten.

Technologietransfer statt Protektionismus

Zwar stimmt es, dass ein Land seine Anfälligkeit gegenüber ungünstigen äußeren Entwicklungen verringern kann. Doch könnten die Kosten dafür immens sein, insbesondere wenn das Ziel darin besteht, bei möglichst vielen technologischen Produkten völlig autark und kosteneffizient zu sein.

Angesichts dieser Beschränkungen sollten Länder das Ziel einer auf multilateralen Übereinkünften beruhenden Globalisierung verfolgen. Eine Priorität sollte es sein, technologische Fortschritte schneller und weiter unter entwickelten Volkswirtschaften und Schwellenmärkten zu verbreiten, um deren Anfälligkeiten zu reduzieren und mehr neue, aufstrebende Volkswirtschaften in die Lage zu versetzen, Fortschritte zu erzielen – und zwar auch durch Technologietransfer. Die politischen Entscheidungsträger sollten zudem die Reichweite ihrer Handels- und Investitionsabkommen ausweiten, um die Interessen von Unternehmen, Arbeitnehmern und Ländern zu schützen und zugleich die negativen externen Folgen des Protektionismus zu minimieren. Dies könnte u. a. die Erweiterung von Freihandelsverträgen um spezielle Kapitel zu Technologiefragen und Anhänge zum Schutz der Rechte einkommensschwacher und schutzbedürftiger Arbeitnehmer umfassen.

Chipunternehmen aus USA und China gründen eine Arbeitsgruppe

Derartige Entwicklungen werden sich nicht spontan entfalten. Doch ist der Unternehmenssektor womöglich in der Lage, einen konstruktiven Weg voran zu finden, ohne die nationalen Sicherheitsinteressen zu untergraben. So haben etwa im Mai die Branchenverbände der Halbleiterindustrie Chinas und der USA erklärt, dass sie eine gemeinsame Arbeitsgruppe ins Leben rufen werden. Vertreter von zehn Chipunternehmen aus jedem Land werden sich zweimal jährlich treffen, um Fragen wie Exportbeschränkungen, die Sicherheit der Lieferketten und Verschlüsselungstechnologien zu diskutieren.

Die von den USA und China verfolgte Politik wird natürlich eine Schlüsselrolle bei der Vermeidung einer bedeutenden technologischen Spaltung spielen. Doch indem sie sich aus dem chinesisch-amerikanischen Konflikt heraushält, kann die übrige Welt dazu beitragen, die Entwicklung eines neuen, vertrauensbasierten Konsenses auf Basis einer gemeinsamen Vision gemeinschaftlichen technologischen Fortschritts voranzutreiben.

Hoe Ee Khor ist Chefökonom des ASEAN+3 Macroeconomic Research Office (AMRO). Suan Yong Foo ist leitender Ökonom bei AMRO. Aus dem Englischen von Jan Doolan.

Copyright: Project Syndicate, 2021.
www.project-syndicate.org

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