
Nahezu alle Zentralbanken der Welt arbeiten an der Entwicklung und Einführung von digitalem Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency, CBDC). Dabei handelt es sich um eine digitale Währung, die Verbrauchern, Unternehmen, dem Handel und der Wirtschaft als Alternative zum Bargeld zugänglich gemacht werden soll. Doch es gibt noch mehr Gründe für das Engagement der Zentralbanken: Zum einen reagieren sie mit CBDC auf die aktuellen technologiegetriebenen Entwicklungen im Zahlungsverkehr und wollen der Verbreitung von privaten, alternativen digitalen Bezahlsystemen, wie zum Beispiel Bitcoin oder Facebook Diem, entgegensteuern. Zum anderen soll so nicht nur die Digitalisierung der Wirtschaft unterstützt, sondern auch die eigene staatliche Währungshoheit und Relevanz im internationalen Zahlungsverkehr gewahrt werden.
Im Wettrennen hat China die Nase vorn
Sieht man einmal von den Bahamas ab, die bereits im vergangenen Jahr den digitalen „Sand Dollar“ lanciert haben, wird China voraussichtlich die erste große Volkswirtschaft sein, die ein als e-CNY (E-Yuan) bezeichnetes digitales Zentralbankgeld einführt (China.Table berichtete). Damit ergreift das Reich der Mitte frühzeitig die Chance, künftig auch im internationalen Zahlungsverkehr eine bedeutende – digitale – Rolle zu spielen.
Im bargeldlosen Zahlungsverkehr innerhalb des eigenen Wirtschaftsraums zählt China bereits zu den führenden digitalen Ländern der Welt. An diese Vorreiterrolle will die Regierung mit der Entwicklung des digitalen Yuans (DCEP – Digital Currency Electronic Payment) anknüpfen und treibt die Entwicklung des e-CNY seit 2016 vehement voran. Damit dies gelingt, gründete die chinesische Zentralbank im Juni 2017 das PBoC Digital Currency Research Institute, das für das Design und die Entwicklung des e-CNY zuständig ist.
Peking erweitert Handlungsspielraum
Die chinesische Regierung hat erklärt, dass eine führende Rolle bei der Entwicklung globaler Technologiestandards – gerade auch im Paymentsektor – die Wettbewerbsfähigkeit Chinas erhöhen und die Wirtschaft ankurbeln wird. E-CNY soll aber nicht nur für einen Technologieschub sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes nach vorne bringen, sondern auch den eigenen Handlungsspielraum gegenüber großen lokalen digitalen Technologieunternehmen wie zum Beispiel Tencent oder Alibaba erweitern. Diese dominieren mit Wechat Pay und Alipay den dortigen digitalen Zahlungsmarkt und haben so im Grunde ein alternatives Finanzsystem in China geschaffen, das sich relativ unabhängig von der Zentralbank nutzen lässt.
Das Interesse der Regierung ist also groß, kommerziellen Payment-Anbietern nicht das gesamte Feld zu überlassen und gegebenenfalls die Kontrolle zu verlieren. Der Zugang zu den wertvollen Daten über die Zahlungsströme und das Nutzerverhalten der Bevölkerung ist dabei wichtig. Zudem will man den Status als globalen Impulsgeber bei der Entwicklung von digitalen Zahlungssystemen ausbauen und zum Technologieführer bei der Blockchain avancieren. Auch die Entwicklung von grenzüberschreitenden Finanzinnovationen und die Möglichkeit Verträge mit Partnerländern auf Yuan- statt US-Dollar-Basis zu schließen, soll mit e-CNY möglich werden. Das würde China letztlich auch unabhängiger von etwaigen US-Sanktionen machen.
Eine erste Runde von e-CNY-Pilotprogrammen wurde von der Zentralbank der Volksrepublik China (People’s Bank of China, PBoC) bereits durchgeführt. Bis März dieses Jahres führte die PBoC sieben e-CNY Tests durch, bei denen insgesamt 160 Millionen e-CNY (etwa 24,6 Millionen US-Dollar) verteilt wurden. Mehr als eine halbe Million Menschen haben bisher e-CNY erhalten und Tests in weiteren Gebieten sollen folgen. Die PBoC verfolgt das ehrgeizige Ziel, den digitalen Yuan an den Austragungsorten der olympischen Winterspiele in Peking 2022 großflächig auszurollen.
Design von Land zu Land unterschiedlich
China verfolgt bei der Ausgestaltung von CBDC einen zentralistischen Ansatz. Das bedeutet, wer in Zukunft digitale Payments in China ausführen möchte, kommt am digitalen Yuan nicht vorbei. Doch auch ohne e-CNY hat der chinesische Staat Möglichkeiten, Geldströme zu verfolgen. Die meisten mobilen Zahlungen oder Devisentransaktionen laufen über die zentrale Clearing-Plattform NetUnion oder über das China Foreign Exchange Trade System. Das bedeutet, auch ohne e-CNY kann die chinesische Finanzaufsicht in Echtzeit sehen, wie Geld ausgegeben wird.
Technische Details zu e-CNY sind bisher nur wenige bekannt. Nach Angaben der PBoC gehören der Schutz der Privatsphäre der Nutzer, eine verbesserte Nachverfolgung, geringere Transaktionskosten sowie die Vereinfachung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs zu den Vorteilen des e-CNY. Nach Angaben der PBoC wird e-CNY ein gesetzliches Zahlungsmittel sein, das in einem zentralisierten und zweistufigen Ausgabe- und Verteilungssystem Bargeld ersetzen bzw. ergänzen soll. Rechtlich gesehen, sind seine Funktionen und Eigenschaften dem Bargeld gleichgestellt. Die Ausgabe erfolgt über die chinesischen Geschäftsbanken, die das digitale Geld dann über eine App verteilen. Dieses Geld ist durch eine entsprechende Einlage bei der PBoC gedeckt. Die App ist so konzipiert, dass es ohne Netzwerkverbindungen „Dual-Offline“ arbeiten kann, das heißt sowohl der Zahlende als auch der Zahlungsempfänger befinden sich in einem Offline-Modus. Voraussichtlich werden auf e-CNY keine Zinsen gezahlt und auch die Menge, wie viel e-CNY jeder Bürger erhalten kann, ist vermutlich begrenzt.
Die amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed) sieht bei der Entwicklung und Einführung des e-Dollars weniger Eile geboten. Wie Fed-Chef Jerome Powell jüngst bei einer Online-Diskussion der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) betonte, sei die US-Notenbank noch nicht einmal in einer Phase der „Entscheidungsfindung“. Die Fed denkt zwar über die Einführung nach und sondiert mögliche Vorteile und Risiken, aber hat nicht den Ehrgeiz hier Pionierarbeit leisten zu wollen. Sicherheit hat für die Amerikaner höchste Priorität. Der Fed fehlt es auch noch an der Unterstützung des Kongresses, der, so Powell, noch grünes Licht geben muss. Es gibt auch einige wenige privatwirtschaftliche Initiativen zum digitalen Dollar. So soll dem Initiative Digital Dollar Project zufolge, in den kommenden Monaten einige Pilotprojekte zum e-Dollar starten, die auch die möglichen Vorteile von digitalem Zentralbankgeld untersuchen. Bisher stützen sich die Überlegungen der USA zu CBDC auf Erhebungen anderer Länder. Erst jetzt will man beginnen, eigene Daten zu erheben.
EU zögert beim digitalen Euro
In der EU positioniert man sich zwischen einem zentralisierten und freiwilligen Ansatz. Zur Jahresmitte will die Europäische Zentralbank (EZB) die Entscheidung fällen, ob es den e-Euro geben wird oder nicht. Anders als die US-Notenbank setzt sich die EZB seit geraumer Zeit mit den Möglichkeiten und Vorteilen eines digitalen Euros auseinander. Bereits 2019 gründete EZB-Chefin Christine Lagarde eine interne Task Force zum digitalen Euro. Wichtige Themen sind für die Europäer unter anderem Datenschutz und Anonymität bei Transaktionen. Insgesamt steht die EU noch vor einigen Herausforderungen in Zusammenhang mit CBDC. So werden beispielsweise fast 70 Prozent aller Retail-Transaktionen in der EU noch immer in bar getätigt. Doch nicht nur die Ausgabe von CBDC im Bereich des privaten Konsums hat für die EU Vorrang, digitales Zentralbankgeld soll auch in der Industrie und bei digitalen Geschäftsmodellen zum Tragen kommen. Hier ist vor allem der Einsatz bei Pay-per-Use-Modellen oder im Feld der Machine-to-Machine-Payments zu nennen.
China hat bereits riesige Schritte nach vorne geleistet und ist auf dem besten Weg, das Rennen um die Einführung einer digitalen Währung zu machen und auch in diesem Feld eine technologische Führungsrolle zu übernehmen. Doch bei aller Eile Chinas bleibt die Frage, ob die Regierungen und Zentralbanken der westlichen Länder wertvolle Erkenntnisse aus Chinas e-CNY-Tests für sich gewinnen können. Immerhin ist das chinesische System in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich – von seinem stark kontrollierten Finanzsystem über strenge Kapitalverkehrsvorschriften bis hin zum riesigen Volumen des mobilen Zahlungsverkehrs.
Nachdem Europa im Bereich der digitalen Zahlungsdienstleistungen allerdings durchaus weiter abgeschlagen ist, ist es richtig, dass die EZB in Sachen digitaler Euro jetzt an Fahrt aufnimmt. Nicht zuletzt um die Weichen für den Bereich des Internets der Dinge (IoT) frühzeitig zu stellen und im industriellen Umfeld nicht ins Hintertreffen zu geraten. Banken und Privatwirtschaft arbeiten hier bereits an eigenen Lösungen. Ein Zögern könnte das Potenzial anderen globalen Technologieunternehmen zugänglich machen und das spannende Feld der digitalen Währungen branchenfremden Playern überlassen.
Dr. Nils Beier, Managing Director, Leiter des Bereichs Strategie für Banken und Public Sector bei Accenture in DACH.