Als China am 7. Dezember die Covid-Maßnahmen abrupt aufhob, gab es Befürchtungen: Die anstehende Reisewelle und das Zusammentreffen von Familien während der chinesischen Neujahrsfeiertage könne die Pandemie erheblich verschärfen. Beim Silvesteressen am vergangenen Samstag schien jedoch fast jeder in China bereits infiziert und wieder genesen zu sein – oder verstorben.
Verwandte und Freunde tauschten ihre Erfahrungen mit der Krankheit aus und trauerten um die Toten. Doch die Angst ist verflogen. Den Leuten wurde eine große Last genommen. Auf jeden Fall haben sie das Gefühl: Die schwere Zeit ist jetzt vorbei.
Dies ist das erste Mal seit drei Jahren, dass chinesische Familien ein fast normales Neujahrsfest feiern können. Nach dem Kummer der letzten Jahre schienen Familienmitglieder und Verwandte freundlicher zueinander geworden zu sein – oder emotional distanzierter, je nachdem, wie man es sieht.
Covid dämpfte den Familienstress
Die Feiertage, die eigentlich ein Anlass für freudige und besinnliche Treffen sein sollen, sind oft auch die Zeit für Familienkrach. Generationskonflikte, Fehden zwischen Geschwistern, Unzufriedenheit über die Verteilung des Vermögens und der familiären Verpflichtungen – all das bricht durch, wenn alle beisammen sind.
In den vergangenen zehn Jahren wurden in den sozialen Medien Beschwerden junger Menschen über nervige Verwandte lauter. Sie stammen oft von Arbeiterinnen und Arbeitern, die weit entfernt von ihrem Heimatort leben und sich darüber ärgern, zum Heiraten und Kinderkriegen gedrängt zu werden.
In diesem Jahr sind die Klagen darüber jedoch leiser geworden. „Sie drängen nicht mehr so aggressiv“, sagte eine 33-jährige Freundin von mir aus Zhejiang. Sie ist verheiratet, hat aber kein Kind. „Einige Verwandte fragen zwar immer noch danach, aber der Ton ist höflich, und man kann auch über etwas anderes reden.“
Plötzlich waren alle gegen Null-Covid
Auch die Demografie spielt eine Rolle. China hat 1979 die Ein-Kind-Politik eingeführt. Die erste Generation von Einzelkindern ist inzwischen Anfang bis Mitte vierzig. Zusammen mit der Verstädterung hat dies zu einer Verkleinerung der Familien und einer schwächeren Bindung der Großfamilie geführt. Das wiederum bedeutet eine geringere Einmischung ins Privatleben.
Während der Neujahrsfeiertage der letzten Jahre gab es am Familientisch eine weitere Quelle für Spannungen: unterschiedliche politische Ansichten, etwa über die Covid-Maßnahmen, die gelegentlich auch zu leidenschaftlichen Debatten führen konnten. In diesem Jahr ist von solchen Auseinandersetzungen kaum etwas zu hören. „In meiner Familie und in meinem Freundeskreis in Chengdu lästern inzwischen selbst diejenigen über die Null-Covid-Politik, die sie zuvor noch voll unterstützt haben“, kommentiert ein Mann namens Lacus auf Wechat.
Die Regierung gibt launige Feiertagsstimmung vor
In den Familien, die im vergangenen Monat Angehörige durch den Omikron-Ausbruch verloren haben, ist die Stimmungslage naturgemäß düsterer. Die Regierungsstellen haben dies vorausgesehen und im Vorfeld der Feiertage vorbeugende Richtlinien veröffentlicht, um zu verhindern, dass negative Kommentare vom Esstisch in die Medien überschwappen.
Die chinesische Internetsicherheitsbehörde kündigte am 18. Januar den Start einer einmonatigen Kampagne für „sauberen und klaren Cyberspace“ an. Ein zentraler Punkt ist die „Verhinderung der Verbreitung düsterer Stimmung … und der dunklen Seiten der Gesellschaft“. Das ist eine vage Definition. Offensichtlich gehören Todesfälle und Schmerzen durch Covid dazu.
Ein Weg, dies zu verhindern, besteht wie üblich in der Zensur von Artikeln und Beiträgen und sogar der Sperrung von Social-Media-Konten. Es gibt aber noch zahlreiche andere Informationen, deren Verbreitung die Regierung unterdrücken will.
Demonstranten wurden verhaftet
Ebenfalls kurz vor dem Neujahrsfest wurden neun Teilnehmer der regierungsfeindlichen Proteste Ende November in Peking offiziell verhaftet. Vor den Verhaftungen veröffentlichte eine Demonstrantin, Cao Zhixing, eine Videobotschaft im Internet. Sie hatte die Gefahr offenbar geahnt.
Ihr Videoclip und die Nachricht über die Verhaftungen zirkulierten auf sozialen Medien außerhalb Chinas. Einige posteten sie auch auf chinesischen Plattformen, die Beiträge wurden aber schnell gelöscht oder ausgeblendet.
Die Wut darüber, dass diese jungen Menschen die Feiertage hinter Gittern verbringen müssen und dann höchstwahrscheinlich ins Gefängnis wandern, zeigte sich an den Diskussionen darüber, wie ihnen geholfen werden könnte.
Vietnam feiert das Jahr der Katze
Das Neujahrsfest nach dem Mondkalender wird in vielen Ländern Ostasiens gefeiert. Seinen Ursprung hat es wahrscheinlich in China. Es ist jedoch zu einem festen Bestandteil all dieser lokalen Kulturen geworden.
Einige dieser Länder haben kleine Änderungen vorgenommen. So wird in Vietnam das neue Jahr zwar nach dem Mondkalender gefeiert. Aber während die Vietnamesen fast die gleichen Tierkreiszeichen zur Bezeichnung der Jahre verwenden, gibt es eine Ausnahme. Chinesen feiern das Jahr des Hasen. In Vietnam ist es das Jahr der Katze.