Hongkong: Stadt im Widerstand

von Julia Haes und Klaus Mühlhahn
Julia Haes, Gründerin des China-Instituts für die deutsche Wirtschaft, und Klaus Mühlhahn, Sinologe und Präsident der Zeppelin Universität.
Julia Haes, Gründerin des China-Instituts für die deutsche Wirtschaft, und Klaus Mühlhahn, Sinologe und Präsident der Zeppelin Universität.

Nur drei Tage nach der Ernennung des als Hardliner bekannten John Lee zum neuen Regierungschef setzte die Hongkonger Polizei vier prominente Unterstützer der Demokratieaktivisten von 2019 fest. Neben dem prominenten 90 Jahre alten Kardinal Joseph Zen waren das die Anwältin und ehemalige Oppositionsabgeordnete Margaret Ng, die Kanto-Pop-Sängerin und kanadische Staatsangehörige Denise Ho und der Universitätsprofessor Hui Po-keung.

John Lee war der einzige Kandidat für die Wahl des Regierungschefs und erhielt 99,2 Prozent der abgegebenen 1.428 Stimmen. Er hatte bereits seit den 1970er-Jahren bei der Polizei der britischen Kolonialverwaltung gearbeitet und war vor seiner Wahl zuletzt Sicherheitsminister. Damit fiel auch der Umgang der Hongkonger Regierung mit den Demonstrationen von 2019 in seine Zuständigkeit.

Die Festnahme der vier prominenten Demokratieaktivisten zeigt, wie nervös und ängstlich die chinesische Regierung ist. Peking fürchtet seit jeher, Proteste und Kritik könnten in der Stadt wieder ausbrechen und auch auf das Festland übergreifen. Das wäre der Super-GAU für Peking, vor allem in einer Krisensituation wie zurzeit mit dem Covid-Chaos und einem massiven Einbruch der Konjunktur.

Peking will Proteste um jeden Preis vermeiden

Bis vor zehn Jahren war Hongkong vorwiegend als boomende Wirtschaftsmetropole bekannt. Viele Berichte schilderten die Hongkonger vor allem als Wirtschaftsakteure und Unternehmer, die sich nicht für Politik interessierten. Bis zu einem gewissen Grad ist das richtig, aber unser Buch zeigt auch eine andere Seite der Geschichte.

Schon im Jahr 1898, als die New Territories für 99 Jahre an Großbritannien verpachtet wurden, gab es die ersten Proteste. Auch im 20. Jahrhundert lehnte sich die Bevölkerung immer wieder gegen die britische Fremdherrschaft und gegen soziale Ungerechtigkeit auf. Ein Großteil dieser Geschichte wurde schlicht verdrängt. Die Besetzung Hongkongs sowie die dunklen Aspekte der britischen Herrschaft hätten Großbritannien schlecht aussehen lassen, sodass viele Darstellungen diese Dimension einfach aussparten. Erst in den letzten Jahren hat sich Hongkongs Identität als „Stadt des Protests“ wirklich herausgebildet und wurde weltweit wahrgenommen, erstmals durch die Regenschirm-Bewegung von 2014, dann aber vor allem durch die Proteste von 2019. Seither hat das Wort „Hongkong“ eine andere Bedeutung.

Hongkong – einst eine dynamische Presselandschaft

Schon unter den Briten entstand aufgrund dieser Widerstände nicht nur eine dynamische Wirtschaftsmetropole, sondern eine lebendige und kreative Zivilgesellschaft, die auch nach der Rückgabe der Stadt an China im Jahr 1997 weiterlebte. Da die politischen Strukturen kaum echte Mitbestimmung der Bevölkerung zuließen, wurden viele Themen anderswo ausgehandelt. In Universitäten, Debattierclubs und Buchläden, auf öffentlichen Plätzen und in der Presse diskutierten die Hongkonger ihre Anliegen. Die Vielfalt und Dynamik der Presselandschaft waren auch im globalen Vergleich bemerkenswert. Nirgendwo gab es so viele kleine und große Verlage, Redaktionen, Online-Medien auf engstem Raum. Für viele Jahre kam die beste China-Berichterstattung aus Hongkong.

Das verwundert nicht, war doch die Geschichte von Hongkong schon seit den Anfängen aufs Engste mit der chinesischen Geschichte verknüpft. Wichtige Ereignisse in China haben Hongkong stets unmittelbar beeinflusst. So planten etwa die Revolutionäre um Sun Yat-sen schon um 1900 ihre Aufstände von Hongkong aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Hongkong der Brückenkopf des Westens zur Bekämpfung des Kommunismus und zugleich Chinas einziges Tor zur Welt. Seit der Gründung Hongkongs machten Chinesen, die vom Festland eingewandert waren, den Großteil der Hongkonger Bevölkerung aus. Einige flohen aufgrund der politischen Situation, andere kamen als Arbeiter. Sie passten sich an und trugen zugleich dazu bei, eine einzigartige Identität Hongkongs zu prägen. Durch die weiterhin bestehenden familiären und wirtschaftlichen Kontakte zum Festland war Hongkong bis in die 2010er Jahre hinein ein wichtiger Helfer und Ermöglicher für China. Umgekehrt profitierte die Hongkonger Wirtschaft enorm vom wirtschaftlichen Aufstieg Chinas.

Xi Jinpings Amtsantritt ist Wendepunkt

Der Wendepunkt kam um 2013, als Xi Jinping chinesischer Staatspräsident wurde. Die Regierung des Festlands begann, sich stärker in Hongkong einzumischen. Sie war unzufrieden mit der Art, wie die Hongkonger Regierung mit den Protesten der Bürger umging. Diese wiederum erlebten eine Hongkonger Regierung, die ihre Probleme nicht verstand – oder nicht bereit war, auf sie einzugehen. Die Situation spitzte sich immer weiter zu und mündete in die Proteste von 2014 und 2019.

Als Reaktion auf die Proteste 2019 hat die Regierung des Festlands harte Maßnahmen gegen die Demokratiebewegung und gegen die freie Presse der Stadt ergriffen. Die im Juni 2020 erlassenen nationalen Sicherheitsgesetze sind sehr weit gefasst und bewusst vage. Sie verbieten Aufruhr, Subversion, Absprachen mit ausländischen Mächten und Terrorismus, aber es werden keine klaren Definitionen für diese Aktivitäten gegeben. Seit der Einführung des Gesetzes wurden mehr als 180 Menschen verhaftet, weil sie Protestparolen gerufen, vor Gericht geklatscht und die Reaktion der Regierung auf Covid kritisiert hatten.

Viele Hongkonger haben die Stadt verlassen. In unseren Gesprächen und Interviews mit Hongkongern begegnete uns oft ein immenses Gefühl der Verzweiflung. Sie haben Angst, in der Stadt nicht mehr leben zu können, und dass ihre Heimat in gewohnter Form nicht mehr existiert. Das Tempo, mit dem die Menschen Hongkong verlassen, hat sich jüngst noch beschleunigt, was sowohl auf die nationale Sicherheitsgesetzgebung als auch in jüngerer Zeit auf die drakonische Covid-Null-Politik zurückzuführen ist. In den nächsten Jahren könnten bis zu 300.000 Menschen der Stadt den Rücken kehren. In vielen Gegenden der Welt kam es zu einem echten Wachstum der Exilgemeinden aus Hongkong. Es besteht die Hoffnung, dass außerhalb der Stadt das Hongkonger Leben und die unverwechselbare Hongkonger Kultur weiter bestehen und gedeihen werden.

Mit der fortgesetzten Unterdrückung der Freiheitsrechte, der zunehmenden Verfolgung von Regierungskritikern und dem generellen Klima der Furcht ist Hongkongs Rolle als Stadt der Innovation und Kreativität bedroht. Das ist ein großes Problem für eine Stadt, die ihre Existenz darauf gründete, nicht einfach nur ein wirtschaftliches Zentrum mit globaler Bedeutung zu sein, sondern auch des freien Austausches und der Kritik. Es ist aber ein mindestens ebenso großer Verlust für Festland-China, auch wenn China das nicht wahrhaben will.

Julia Haes ist Geschäftsführerin des China-Instituts für die deutsche Wirtschaft in München und CEO von Finiens. Beide Unternehmen beraten chinesische und deutsche Firmen. Im Podcast „China ungeschminkt“ spricht sie mit Klaus Mühlhahn und Anja Blanke über Chinathemen.

Klaus Mühlhahn ist Professor für Sinologie und zugleich Präsident der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Zuvor war er Vizepräsident der Freien Universität Berlin. Mühlhahn gilt als führender China-Experte, 2009 wurde er mit dem John-King-Fairbank-Preis der American Historical Association ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr erschien Mühlhahns Buch „Geschichte des modernen China. Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart“ in der „Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung“.

Das neue Buch von Julia Haes und Klaus Mühlhahn: Hongkong als Stadt im Widerstand.

Am 16. Mai, erscheint ihr Buch „Hongkong: Umkämpfe Metropole. Von 1841 bis heute“ im Verlag Herder .

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