
Schon im Vorfeld des diesjährigen Nationalen Volkskongresses (two sesions/liang Hui) wurde eifrig über die Frage spekuliert, welche Verfassungsänderungen diesmal anstehen, um die Macht des Präsidenten weiter zu festigen. Trotz der vielfältigen Spannungen im Land, die Tausende auf die Straße treiben – etwa die systemische Bankenkrise, die massiven „White Paper“ Proteste, die am Ende die Lockerung der COVID-Politik errangen, oder der wirtschaftliche Abschwung – die beiden Sitzungen kamen dieses Mal zu einem günstigen Zeitpunkt. Zumindest aus finanztechnischer Sicht.
Denn die Weltbank befindet sich mitten in einem grundlegenden Reformprozess („Evolution Roadmap“) und durch den plötzlichen Rücktritt des noch von Donald Trump nominierten Weltbankchefs David Malpass auch in einem Nominierungsprozess. Der von Biden nominierte Ajay Banga, ein ehemaliger Mastercard-Manager, unternimmt in den nächsten drei Wochen Reisen um die Welt, auch nach China, um für Unterstützung zu werben. Im Winter 2022 trafen sich noch der Trump-nominierte Malpass und International Monetary Fund Chefin Kristalina Georgieva mit Li Keqiang und es hagelte nur Vorwürfe. Nun, da sich China in der Finanzregulation neu aufstellt und dringend Deeskalation für die beiden Kontrahenten gebraucht wird, ist diese Reise vielleicht ein Baustein der Entspannung.
Klimatechnisch ist diese Entwicklung allerdings recht fraglich.
Neues Spitzenpersonal
Im Vorfeld des NVK meldete die KP-Führung noch eine Umstrukturierung im Finanzsektor. Geplant war, die bestehende Bankenaufsicht durch eine neue Finanzaufsichtsbehörde mit erweiterten Befugnissen zu ersetzen. Der Finanzsektor sollte weiter unter zentrale Parteiaufsicht gestellt werden, der Staatsrat weiter entmachtet werden.
Zum Ende des NVK am Montag wurde jedoch bekannt, dass die voraussichtliche Neubesetzung der Spitzenposition der Zentralbank mit dem Xi-Loyalisten Zhu Hexin nicht stattfinden wird. Zhu ist Vorsitzender des mächtigen Finanzkonglomerats Citic Group Corp. Yi Gang wird Zentralbankchef bleiben – vorerst. Offenbar eine pragmatische Entscheidung für mehr Expertise auf diesem Posten. Dennoch: Der neue Posten des Parteisekretärs der People’s Bank of China wird wohl He Lifeng übernehmen.
Wie Urgewald berichtet, waren Guo Shuqing, Kopf der China Banking and Insurance Regulatory Commission (CBIRC, angesiedelt im Staatsrat), und Yi Gang, der jetzige Zentralbankchef, extrem innovativ und unnachgiebig in der Geldpolitik und bei der Bankenregulierung. So wurde 2021 der „Catalogue of Green Bond Support Projects“ überarbeitet, aus dem „clean coal“-Projekte ausgeschlossen wurden. Außerdem müssen chinesische Banken für ihre Klimakredite ihre CO₂-Einsparungen (carbon reduction tool) veröffentlichen. In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Finanzregulierungsreformen durchgeführt, darunter die Einrichtung eines neuen Mechanismus zur Koordinierung der Regulierung. Die Reformen sind noch nicht abgeschlossen, mehrere wichtige Bankengesetze werden gerade überarbeitet.
Chinas übergreifender politischer Rahmen für die Dekarbonisierung sieht vor, dass die Banken die Kreditvergabe an die sogenannten „Dual High“-Industrien (Industrien, die viel Energie verbrauche und hohe Kohlenstoffemmissionen verursachen) strikt begrenzen.
Aufweichung der grünen Kreditrichtlinien
Die neuen Personalien könnten aber eine Aufweichung der „grünen“ Kreditrichtlinien bedeuten. Der Schwerpunkt des zukünftigen Parteisekretärs der Zentralbank, He Lifeng, lag bisher auf lokale Infrastrukturprojekte. Ein im Februar 2023 erschienener Report belegt, dass sich die Kohlelobby innerhalb Chinas durchsetzt: 2022 wurden 106 Gigawatt neue Kohlekraftkapazität genehmigt (zum Vergleich: 106 Mal Datteln IV in NRW). Für viele dieser Projekte wurden die Genehmigungen im Schnellverfahren erteilt, sodass der Bau innerhalb weniger Monate beginnen konnte. Hunderte brandneuer Kohlekraftwerke werden die Erreichung der chinesischen Klimaziele erschweren und verteuern, da die Eigentümer der Anlagen ein Interesse daran haben, ihr Vermögen zu schützen und einen schnellen Kohleausstieg zu vermeiden.
Die chinesische Energieregulierungsbehörde erklärte Anfang 2022, dass keine neuen Kohlekraftwerke ausschließlich für die Zwecke der Massenstromerzeugung zugelassen würden. Die Provinzen, in denen die meisten neuen Kohlekraftwerksprojekte in Angriff genommen werden, erfüllen diese Anforderung jedoch kaum, da sie zu denjenigen gehören, die den größten Teil des Anstiegs ihres Strombedarfs durch Kohle decken.
Dazu erwägt Präsident Xi eine Wiedereinsetzung der Zentralen Kommission für Finanzarbeit (CFWC, 1998-2003). Die CFWC würde von einem Mitglied von Chinas mächtigen siebenköpfigem Ständigen Ausschuss des Politbüros geleitet werden, Li Qiang oder Ding Xuexiang. Ding ist Vorsitzender der Führungsgruppe zu Klimaschutz. Er steht sowohl für den aggressiven Ausbau der Erneuerbaren global, als auch für neue Finanzierungsquellen für Fossile. Der CFWC würde laut Xin Sun vom King’s College „starken Einfluss auf das gesamte Finanzsystem, einschließlich der Besetzung von Schlüsselpositionen haben“. Die CFWC ist ein reines Parteiorgan.
Xi bindet Finanzregulierung enger an sich
Die Regulierung der Banken wird in den kommenden Jahren nicht nur für Klimaschutz, sondern auch für die neue Entwicklungsoffensive „Global Development Initiative“, den Fortgang der Seidenstraßeninitiative und die Schuldenproblematik entscheidend sein. Die Zentralbank People’s Bank of China (PBoC) als Finanzaufsicht wird bei Wiedereinrichtung des CFWC entmachtet. Regulierung innerhalb des Staatsrates wird zentralisiert, die Banken- und Versicherungsaufsichtsbehörde (CBIRC), bisher die oberste Regierungsbehörde zur Regulierung des Banken- und Finanzwesens, wird tatsächlich ganz aufgelöst und in der neu gegründeten Nationalen Finanzaufsichtsbehörde (NFRA, im Staatsrat) aufgehen. Die CFWC in der Partei und die neue Finanzaufsichtbehörte im Staatsrat binden damit die Finanz-Regulierungsorgane enger an die Entscheidungsmacht Xi Jinpings.
Die Reise des potenziellen neuen Weltbankchefs Banga nach China und die Entscheidung der engeren Anbindung der Finanzregulierung Chinas an den Präsidenten Xi könnte Synergieeffekte hervorbringen. Ajay Banga ist Vorstandsmitglied von Temasek, einem globalen Investor mit Sitz in Singapur. Temasek Holdings hat auch Anteile an zwei wichtigen chinesischen Banken, der Bank of China (11,7 Prozent) und der China Construction Bank (5,1 Prozent). Die Beteiligung an der Bank of China ist die zweitgrößte einer ausländischen Gesellschaft an einer der großen chinesischen Banken.
Banken machen den Bau und die Rentabilität von Kraftwerken möglich. Öffentliche Banken können Tarife beeinflussen und Anreize für den Bau von Erneuerbaren oder fossilen Kraftwerken setzen. Urgewalds Fallstudie zu Pakistan hat gezeigt, wie die Weltbank der Regierung in Pakistan geholfen hat, das größte Kohleabbaugebiet der Welt zu erschließen, ohne dass die Finanzierung hierfür als fossile Unterstützung gekennzeichnet wurde.
Chinas Banken springen für die Weltbank ein
Die Weltbank steht vor einer grundlegenden Reform – auch weil sie ihren Auftrag der Armutsminderung und der Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele nicht nachgekommen ist. Urgewald-Recherchen ergaben, dass zwischen 2016 und 2020 über 12 Milliarden Dollar an direkten Finanzierungen für fossile Brennstoffprojekte in 38 Ländern bereitgestellt wurden.
Die neuen Personalien in der Finanzregulierung Chinas deuten an: Wenn die Weltbank dezidierter aus der Kohle aussteigt, könnten Chinas Banken einsteigen. Insbesondere wenn die indirekte Unterstützung fossiler Energien über die Weltbank weiter fortgeführt werden sollte, könnte sich hier eine fatale „Win-Win Situation“ für die globale Finanzierung fossiler Treibstoffen einstellen.
Nora Sausmikat ist habilitierte Sinologin und leitet den China-Desk bei Urgewald, die Kampagnenarbeit zur Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank sowie zur Asiatischen Entwicklungsbank betreibt. Neben dem Fokus auf die beiden Banken analysiert sie Chinas globale Rolle vor allem im Bereich Klima- und Menschenrechtspolitik.