- Hinter den Kulissen der Macht: Xis Neujahrsansprache
- Was das Jahr des Büffels bringt – ein Horoskop
- Die berühmtesten Büffel – von Willy Brandt bis Kate Moss
- 红包 – Hongbao – die komplizierte Geldübergabe
- Feier in der Ferne – das harte Los der Wanderarbeiter
- „Bleibt, wo Ihr seid!“ – Reisen in der Pandemie
- Sonne oder Ski – Neujahr für Expats
- 爆 竹 – Kein „explodierender Bambus“ in Peking
- Barbie oder Büffel-Schal – was wird geschenkt?
- Festmahl mit Jiaozi und Niangao
- Das Jiaozi-Rezept von Yuhang Wu
春节快乐! Heute endet das Jahr der Ratte- und um Mitternacht beginnt das Jahr des Büffels. Das gesamte Team von China.Table möchte Ihnen ein frohes neues Jahr wünschen. Möge Ihnen, ihren KollegInnen, Ihren GeschäftspartnerInnen und natürlich Ihrer Familie ein erfolgreiches, fröhliches und vor allem ein gesundes neues Jahr bevorstehen.
Zu den Faszinationen des chinesischen Neujahrs gehört die Ansprache des Präsidenten Xi Jinping. Weniger wegen Xis Worten schreibt Johnny Erling in unserer Festtagsausgabe. Wohl aber wegen der Dekoration seines Arbeitszimmers, die jedes Jahr aufs Neue Anlass zu den spannendsten Deutungen gibt.
Sind Sie vielleicht – wie Willy Brandt oder Kate Moss – ein Büffel? In unserem Neujahrs-Glossar finden Sie nicht nur Hinweise darauf. Felix Lee hat dem Büffel auch ein Horoskop gewidmet. Und das ganze China.Table-Team trägt zusammen, wohin die Chinesen und die Expats in diesem Pandemie-Jahr fahren können und mit welchen Geschenken sie ihre Familienmitglieder und Freunde überraschen.
Besonders bewegend ist die Geschichte von Frau Mo. Sie ist eine von 300 Millionen Wanderarbeitern, verdient ihr Geld als Haushaltshilfe in Peking und wird in diesem Jahr ihre Familie nicht zum Neujahrsfest besuchen können. Ning Wang hat mit Frau Mo gesprochen.
Vielleicht möchten Sie Ihre Familie heute Abend noch mit frisch zubereiteten Jiaozi überraschen? Yuhang Wu und Jonas Borchers betreiben in Berlin ein kleines Restaurant. Sie haben für uns Jiaozi gekocht und für Sie das Rezept aufgeschrieben.
Ich wünsche Ihnen im Namen des ganzen Table-Teams viel Spaß beim Lesen – und vergessen Sie nicht: Büffel sollten ab morgen jeden Tag etwas Rotes tragen, um Unglück abzuwenden.
Antje Sirleschtov

Hinter den Kulissen der Macht: Xis Neujahrsansprache

Johnny Erling
Chinesen schätzen sich glücklich, weil sie den Jahreswechsel zweimal feiern dürfen (mit doppeltem Urlaubsanspruch). Sie freuen sich am 31. Dezember auf das westliche Neujahr und danach auf ihr traditionelles Neujahrs- und Familienfest (Chunjie), das dieses Jahr in der Nacht auf den 12. Februar beginnt. Aber nur einmal – am westlichen Silvestertag – spricht Präsident Xi Jinping direkt über TV zu ihnen aus seinem Büro im geheimnisvollen Zhongnanhai – dem Partei- und Regierungssitz. Seine Neujahrsrede ist in China Kult.
Wie macht man salbungsvolle, aber langweilige Neujahrsansprachen für TV-Zuschauer interessant? Kanzlerin Angela Merkel hat dafür noch kein Rezept gefunden. Neuankömmling Joe Biden riss mit seiner ersten Neujahrsrede auch niemanden vom Hocker. Laut Umfragen hätten viele seiner Zuschauer kaum zehn Minuten später vergessen, worüber er im Oval Office gerade sprach.
Solche Sorgen sind Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping fremd. Seit er in der Silvesternacht auf das Jahr 2014 erstmals eine Neujahrsrede hielt, schauen ihm jedes Jahr immer mehr Chinesen zu – so wie bei seinem 20-minütigen Geleitwort auf das Jahr 2021. Für viele ist es sogar ein Hobby, sich Screenshots vom Bildschirm zu schießen.
Faszination Neujahrsansprache
Ihre Faszination hat nichts mit dem Inhalt seiner Ansprache zu tun. Die ist ebenso dröge wie Neujahrsreden anderer Staatschefs. Chinas Präsident zieht mit seinem Neujahrsauftritt nur deshalb so viele Zuschauer an, weil sie wissen wollen, was er für sie Neues in den Bücherregalen seines Büros versteckt hat. Die TV-Kameras helfen ihnen auf die Spur. Mit Rundumschwenks zoomen sie sich mit Nahaufnahmen in Xis imposante Bibliothek hinein. Dort stehen aufgestellt vor den Bücherreihen zahlreiche Familienfotos aus dem Privatalbum des Präsidenten. Angeblich sucht Xi die Bilder jährlich selbst aus. Die kuriose Neugier treibt seither Millionen Chinesen jedes Neujahr von Neuem um, nach mehr Fotos ihres Herrschers umzusehen. Den Hype heizen Staatspresse und soziale Medien nach Kräften an.
Xi Neujahrsrede 2014 wurde gleichzeitig auch zur Premiere für sein Büro im geheimnisvollen Zhongnanhai, dass er erstmals der Öffentlichkeit vorstellte. Die Aufregung stieg, als findige Blogger sechs Familienfotos in den Regalen entdeckten und Screenshots davon machten. Die Aufnahmen machten Furore, zeigten sie doch Chinas neuen Herrscher als fürsorglichen Vater, der seine kleine Tochter auf dem Fahrrad in die Schule fuhr, als glücklichen Ehemann mit seiner Frau Peng Liyuan, als hilfreichen Sohn, der seinen Vater Xi Zhongxun im Rollstuhl schob. Parteizeitungen und soziale Medien feierten prompt die neue Offenheit. Xi erlaube den Bürgern nicht nur als Zaungäste in sein Büro zu schauen, sondern gewähre ihnen auch Einblick in sein Privatleben.

Es blieb nicht lange bei den sechs Familienfotos. Ein Jahr später 2015 umgab sich Xi mit zehn Aufnahmen. Screenshots reichten nun nicht mehr aus, um alle zu identifizieren. Das besorgten Parteizeitungen und Webseiten. Sie veröffentlichten nummerierte Foto-Wegweiser durch Xis Büro, zeigten wo und welche Bilder in den Regalen stehen. Sie erklärten etwa ein Foto, das Xi und seine Frau Peng beim Berlinbesuch im März 2014 zeigt. Das Ehepaar posiert darauf mit deutsch-chinesischen Nachwuchskickern nach einem Freundschaftsmatch der Juniorenmannschaft des VfL Wolfsburg gegen eine Jugendauswahl aus Hubei und Shaanxi. Xi stellte sich das Bild nicht nur deshalb in sein Büro, weil er Fußballfan ist. Er verlangte den Sport als Pflichtfach in Chinas Sportunterricht einzuführen. So geschah es dann auch. Zu Chinas Traum, den Xi propagiert, gehört auch, dass sich das Reich der Mitte in die FIFA-Weltspitze kickt.
Es ist alles Kalkül
Es ist alles Kalkül. Peking kontrolliert und steuert den Einblick, den es in Xis Fotowelten erlaubt. Es sorgt, wie Spötter sagen, für Transparenz mit chinesischen Besonderheiten. Eine Public-Relations-Kampagne soll vor allem Xi ins rechte Bild rücken und zugleich seinen Personenkult befördern.
Blogger Zheng Zhijian, hinter dessen Pseudonym die kommunistische Jugendzeitung steht, stellte in seinem WeChat-Account alle diesjährigen Fotos vor, die in Xis Büro aufgestellt sind. Er meldete mit 21 Aufnahmen einen neuen Rekord. 13 darunter seien neue Fotos. Die meisten stellen Xi als vorbildlichen Familienmenschen, als Mann des Volkes und als Sieger über die Corona-Pandemie vor. Doch zwei Bilder zeigen ihn auch als politischen Machtmenschen. Eines stammt vom März 2018, als Xi vor dem Volkskongress seinen Amtseid auf die Verfassung ablegt. Xi hat es kurz zuvor geschafft, die Verfassung zu ändern und aus ihr die zeitliche Limitierung für das Amt des Präsidenten zu streichen. Er kann von nun an auf unbegrenzte Zeit regieren. Das zweite Foto zeigt ihn im Dezember 2017, als er im Geburtshaus der Kommunistischen Partei mit geballter Faust der KP Chinas die Treue schwört. Eigentlich schwört er sich selbst die Treue. Denn Xi hat die Partei zuvor dazu gebracht, ihre Statuten zu ändern, um seinen Namen und seine Führungsrolle hinein zu schreiben. Die Partei hat Xi zu folgen.

Kritischen Beobachtern fiel auf, dass sechs der 21 Fotos zum neuen Jahr Portraitaufnahmen von Xi sind. Erstmals ist auch ein Jugendbild seiner Frau Peng dabei. Auf weiteren Bildern posieren beide bei einem Ausflug vor den Ruinen des alten Sommerpalasts, oder freuen sich zu dritt mit ihrem Baby. Der Eindruck vom harmonischen Familienleben ist gewollt. Er soll wohl Online-Gerüchte zerstreuen, wonach es mit der Ehe nicht mehr zum Besten steht.
Zwischen den Zeilen lesen
Bei der Auswahl der 21 Privatfotos scheint an alles gedacht worden zu sein. Oder doch nicht? Der langjährige China-Korrespondent für Japans Nikkei-Nachrichtenagentur, Katsuji Nakazawa, stutzte bei einer Aufnahme. Sie zeigt Xi im Jahr 2020 bei einer Inspektion der südwestchinesischen Provinz Yunnan. Er steht inmitten lachender Mädchen und Jungen der Wa-Minorität. Das Foto will Xis Erfolge in der Armutsbekämpfung herausstellen. In seiner Neujahrsansprache nennt er 2020 das Jahr, das ihm den „entscheidenden Sieg“ in seiner seit acht Jahren verfolgten Kampagne zur Überwindung extremer Armut in China brachte. Den japanischen Journalisten interessiert dagegen nur das Datum unter dem Foto: 19. Januar 2020. Da eskalierte gerade die Corona-Krise in Wuhan, ohne das Peking die Notbremse zog. Nagazawa recherchierte, dass Xi am 17. und 18. Januar auf Staatsbesuch im benachbarten Myanmar war. Auf der Heimreise hätte er im 3000 Kilometer von Peking entfernten Yunnan Station gemacht, um das Frühlingsfest zu verbringen. Am 21. Januar sei er wieder in Peking eingetroffen. Am 23. Januar erst wurde Wuhan komplett abgeriegelt. Hatten Xi und Peking entgegen ihren heutigen Beteuerungen doch viel zu spät reagiert und damit mitverschuldet, dass die Pandemie auf dem Weg in alle Welt war?
Nicht nur die Familienfotos sind besonders ausgewählt auch die Einrichtung in Xis Büro ist speziell arrangiert. Demonstrativ sitzt er vor zwei Symbolen chinesischer Macht, im Rücken die Staatsfahne und ein imposantes Gemälde, auf dem sich die Große Mauer über die Berge zieht. Sein wuchtiger Schreibtisch scheint aus der Zeit zu stammen, als IT-Hightech und Büroelektronik noch nicht erfunden waren. Handy, Tablet, Computer oder Mobiluhren fehlen. Das wirkt anachronistisch, zumal Peking gerade meldete, dass fast eine Milliarde Chinesen Ende 2020 das Internet nutzten. Vermutlich darf Xi seine Büro-Hightech nicht zeigen, damit die Marken nicht erkannt werden können. Auf seinem Tisch steht eine kompakte konventionelle Telefonanlage mit drei Apparaten, zwei roten und einem weißen Telefon. Nach Richard McGregor, Autor des 2010 erschienenen Standardwerks „Die Partei“, wurden sie einst die „roten Maschinen“ genannt und waren Teil eines verschlüsselten Kommunikationssystems. Nur allerhöchste Funktionäre und Konzernchefs der wichtigsten Staatsunternehmen waren darüber mit den Parteiführern verbunden. Xi hat gleich zwei rote Telefone stehen. Sie dienen heute wohl nur noch als Statussymbole.
Aus der Zeit fällt auch sein Bambusbehälter voll gespitzter Blei- und Buntstifte. Unter Mao nutzten Parteiführer sie, um mit Kringeln Dokumente als gelesen abzuzeichnen und in den Umlauf zu geben. Noch musealer wirkt ein Lochblattkalender auf dem Tisch, auf dem die letzte Seite des Jahres 2020 aufgeschlagen ist.
Bidens Zeichen für Xi?
Bei der TV-Neujahrsansprache am 31. Dezember im Oval Office, die erstmals Joe Biden hielt, lagen ebenfalls keine Handys auf seinem Tisch herum. Dafür standen zwei moderne Bild-Ton-Telefonanlagen neben ihm. US-Blogger schauten sich sofort virtuell in Bidens Büro um, beschrieben seine Familienfotos, die er auf einer Fensterbrett aufstellte. Dann erspähten sie etwas Altmodisches bei ihm so wie Xis Lochblattkalender. In der Mitte auf Bidens Tisch lag ein Abakus aus Holz, ein chinesisches mechanisches Rechenbrett. Vielleicht ist es als Zeichen für Xi gedacht?
- Innenpolitik der KP China
- Joe Biden
- KP China
- Xi Jinping
Neujahrs-Glossar

Was das Jahr des Büffels bringt – ein Horoskop
Tempelfeste sind abgesagt, Neujahrsmärkte ebenso – aus Furcht vor neuen Corona-Ausbrüchen hat Chinas Führung für die nächsten Wochen sämtliche Veranstaltungen mit größeren Menschenansammlungen verboten. Bloß kein Rummel, lautet die Devise. Dabei ist das neue Jahr, das nach dem Mondkalender in der Nacht zum Freitag begrüßt wird, dem Volksmund zufolge eigentlich ein gutes. Das zurückliegende Jahr war das der Ratte – es gilt als wild und unruhig. Und so war das Pandemie-Jahr ja auch. 2021 hingegen steht im Zeichen des Büffels. Und das verspricht friedlicher zu werden. Insofern passen die abgesagten Jahrmärkte: der Auftakt zu einem ruhigerem Jahr.
In der chinesischen Astrologie wird in einem Zwölfjahreszyklus jedes Jahr einem bestimmten Tier zugeordnet: Ratte, Büffel, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Hund und Schwein. Sowohl den Menschen, die in dem entsprechenden Jahr geboren sind, als auch dem Jahr selbst, werden die Charaktereigenschaften des jeweiligen Tieres nachgesagt. Der Büffel steht in China für Geduld und Unbeirrbarkeit. Gemäß diesen Charaktereigenschaften wird auch das Jahr verlaufen: gemächlich, keine allzu abrupten Veränderungen.
Weltpolitisch könnte diese Prognose zutreffen: Trump wurde bereits im Rattenjahr abgewählt – mit Joe Biden als neuer US-Präsident kehren ruhigere Zeiten in Washington ein. Und auch Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping scheint auf weniger aggressive Töne zu setzen, wenn er wie zuletzt beim digitalen Weltwirtschaftsforum von Davos dazu aufruft, bei der globalen Pandemie doch zusammenzuarbeiten. „Wir können gemeinsame Herausforderungen nicht in einer gespaltenen Welt meistern“, sagte er in seiner Rede. Zumindest verbal setzt er im Jahr des Büffels auf mehr Völkerverständigung. Xi selbst ist nach dem chinesischen Horoskop aber kein Büffel, sondern im Jahr der Schlange geboren. Und Schlangen gelten als hinterlistig und nicht ganz ehrlich. Büffel haben Angst vor ihnen.
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